One-shot
Ein leises Seufzen entdrang seiner Kehle, als er seine Glieder streckte. Es tat gut die Arme auszustrecken nachdem er mehrere Stunden in einer einzigen Sitzposition verbracht hatte.
Draußen war es vor einer ganzen Weile dunkel geworden, der junge Schüler Suguro Ryuji hatte nicht einmal gemerkt wie schnell die Zeit vergangen war, doch ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es fast ein Uhr war.
Es war Dienstag, oder doch vielleicht bereits Mittwoch, ganz sicher war er nicht, denn er verlor schnell den Überblick über den Kalender, wenn er sich bis lang in die Nacht in seinen Lehrbüchern vergrub. Der Tag bisher war verlaufen wie bereits viele seit die Ausbildung der Adepten begonnen hatte. Aufstehen um 5:30, Joggen, Haare frisieren, die Akademie und anschließen die Exorzisten-schule besuchen. Als danach die Freizeit für seine sechs Mitschüler anfing, begann er weiter zu lernen. Zumindest wenn keine weiteren Aufgaben anstanden.
Auch jetzt saß er noch immer an der gleichen Stelle wie am Nachmittag im Zimmer der Akademie-Unterkunft, welches er mit seinen Freunden Konekomaru und Shima teilte.
Als er von seinem Buch aufsah bemerkte er, dass Koneko sich wohl bereits vor einer Weile in seine Decke gerollt hatte und nun seelenruhig mit dem Gesicht zur Wand schlief, Shima hingegen saß im Schneidersitz auf seinem Bett und blätterte in einer Zeitschrift, zu deren Besitz er mit Sicherheit nicht berechtigt war.
Für einen Moment war Bon verwundert, das der Rosahaarige um diese Zeit überhaupt noch wach war, aber er führte diese Tatsache schnell darauf zurück, dass er ja den Rest des Tages die meiste Zeit irgendwo schlief anstatt etwas sinnvolles mit seiner Zeit anzufangen.
Bon war müde und in etwas über 4 Stunden würde sein Wecker klingeln, aber mitten im Kapitel seines Buches würde er sicher nicht aufhören. Also lehnte er sich wieder mit dem Rücken gegen die Wand, richtete seine kleine Lampe etwas anders aus und lies weiter den Blick über die Zeilen schweifen.
Ein paar Minuten vergingen, eine viertel Stunde, eine halbe Stunde.
Und das nächste was Bon bemerkte war, dass er sich in einem seltsamen Traum befand. Ihm mussten wohl einfach die Augen zugefallen sein, denn er erinnerte sich nicht das Kapitel beendet oder das Buch weggelegt zu haben.
Er träumte von der Schule, den Eigenarten ihres schrillen Direktors und seinen nervigen Mitschülern, die ihn im Traum ebenso wie in der Realität vom lernen abhielten. Okumura war laut, Kamiki schlecht gelaunt, nichts also was er nicht gewohnt war. Nur wäre es ihm lieber gewesen zumindest Nachts Ruhe vor ihnen zu haben, ihm blieb heute wohl nichts erspart.
Dann spürte er etwas Warmes, Weiches an den Lippen. Ein sehr sonderbares und fremdes Gefühl, denn er konnte nicht behaupten oft so etwas gespürt zu haben. Beinahe gleichzeitig kam es ihm vor, als striche etwas ihm durch die Haare, doch es war weder der Wind noch ein Kamm oder etwas Anderes, was bisher an seine Haare gekommen war. Obwohl Bon klar war dass er schlief, verstand er nicht wo diese fremden Eindrücke herkommen konnten. Träumte man denn von Dingen, die man nicht gewohnt war?
Danach wurde der Traum wieder wirrer, irgendetwas von Dämonen, denen sie bereits begegnet waren und neuen bizarren Vorstellungen von solchen, die vermutlich nur aus seiner Fantasie kamen. Alles ohne einen direkten Zusammenhang und zu abstrus um dem eine Bedeutung abzugewinnen.
Als Bon die Lider schwerfällig wieder hob, war das Erste was er merkte dass er wirklich mitten im Lernen eingenickt war. Das Licht war noch immer angeschaltet, erhellte aber nun mehr eine einzelne Ecke des Zimmers.
Er blinzelte ein paar Mal um den verschwommenen Schleier vor seinem Sichtfeld zu vertreiben, doch ganz gelang es ihm nicht. Noch war es keine 5:30 und er beschloss es wäre das Beste zumindest die letzten Stunden zu schlafen. Er musste nur das Buch zur Seite legen und... doch als er hinunter in seine Hand sah, war da kein dickes, schweres Buch. Ganz im Gegenteil, zwischen seinen Fingern lag eine viel dünnere, leichtere Zeitschrift mit der Aufschrift „xXx girls and more“. Auf dem Cover lag ein Zettel in krakeliger, ihm nur allzu bekannter Handschrift >Entspann dich mal, Prinzessin<
„...Idiot“
Er lies ein leises Grummeln hören, rollte das Schmuddel-heftchen eng zusammen und warf es kurzerhand seinem ursprünglichen Besitzer im nebenan liegenden Bett entgegen. Dieser stöhnte als das Geschoss seinen Kopf traf, denn der Rosahaarige hatte sich schon eine ganze Weile schlafen gelegt und war jetzt nicht gerade erfreut so unsanft geweckt zu werden.
„Behalt deine Schundhefte bei dir und nenn mich nie wieder Prinzessin“
murrte Bon und versuchte Shimas Hinterkopf so böse anzustarren, dass er es merken musste auch ohne ihn direkt zu sehen.
Bons Wangen waren zu seinem Missfallen tatsächlich etwas warm geworden. Er hatte nie verstanden, wieso Shima sich diese Hefte ansah. Nur wenige Male hatte er zufällig den ein oder anderen Blick auf eine Seite erhascht, minimal bekleidete oder ganz nackte Frauen in anzüglichen Posen, nichts was er sich freiwillig ansehen würde.
Als er nur ein weiteres unwilliges Stöhnen als Antwort bekam, schloss er resigniert die Augen und schüttelte leicht den Kopf. Doch da bemerkte er etwas. Etwas, was im Gegensatz zu seiner restlichen Erinnerung an seinen vorherigen wirren Traum geblieben war. Das warme Kribbeln auf seinen Lippen.
Etwas ratlos legte er die Fingerspitzen an die Unterlippe, doch das Gefühl verschwand nicht. Da kam ihm ein sonderbarer Gedanke. Vielleicht war das Nichts, was sein Hirn im Schlaf zu verarbeiten versucht hatte. Vielleicht war dieses Gefühl gar kein Traum gewesen.
„Shima?“
„hmm?“
kam die verschlafene Antwort.
„Sag mal, hast du...“
mich geküsst, das hatte er fragen wollen, direkt und urteilsfrei, doch Angesprochener lies ihn die Frage gar nicht erst stellen.
„-eben gerade noch geschlafen?“
beendete Shima stattdessen selbst die Frage und klang dabei nicht so überzeugend, wie er es wohl geplant hatte. Vor allem aber klang er plötzlich gar nicht mehr müde.
„Ja hab ich und würde das jetzt auch gerne wieder. Und du solltest das auch endlich mal, also gute Nacht!“
Mit den Worten zog er sich die Decke bis weit über die Nase und hoffte, dass der Dialog damit beendet war.
„Hm, ok. Gute Nacht“
antwortete Bon, denn er ahnte, dass er auch keine Antwort bekommen würde, würde er seine eigentliche Frage jetzt wiederholen. Außerdem hatte er Recht, es war schon fast morgen und sie sollten ohnehin eigentlich seit Stunden schlafen. Vielleicht würde er zu einem anderen Zeitpunkt eine Antwort bekommen.
Er schaltete das Licht aus, zog die Decke über die Schultern und schloss die Augen. Er wusste noch nicht was er davon halten würde, wenn er Recht hatte. Das Gefühl der weichen Lippen, die vielleicht tatsächlich seine berührt hatten war noch immer nicht verschwunden und er erwischte sich bei einem leichten Lächeln.
Waren Shimas Ohren eben rot geworden?
