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Das Herz der Hölle

von

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Der Eine

Das Schöne beim Kiffen war – einer der wenigen Vorteile – dass am nächsten Morgen der Kater ausblieb. Das Gefühl von Watte und einem schweren Kopf vom Abend begrüßte Raphael ohne Nebenwirkungen am Morgen, was er selber als bedenklich einstufte. Das war eben der bemerkenswerte Vorteil gegenüber dem Alkohol. Er war nicht abhängig, das hier war die große Ausnahme gewesen; er hatte schon ganz vergessen, dass dieses Tütchen überhaupt existiert hatte. Aber Michael förderte des Öfteren etwas zu Tage, dessen Besitz er heute sogar leugnen würde; Geschmäcker änderten sich immerhin stetig. Es war ohnehin bemerkenswert, dass seit dem letzten Zusammensturz seiner Behausung – auch hervorgerufen durch besagten Freund – so ein Päckchen überleben konnte.
 

Nun drehte er sich auf den Rücken und stellte mit mulmigem Gefühl fest, dass er sich nachts an den warmen Körper neben sich gekuschelt hatte. Der Besitzer dessen schlief zum Glück noch – zumindest war ihm ein nackter Rücken zugedreht und gleichmäßiges Atmen ließ ihn sich heben und senken. Michael hatte die Arme von sich gestreckt nach vorne gelegt und die Beine etwas angezogen und Raphael wagte sich daran zu erinnern, letzte Nacht seine Jungfräulichkeit verloren zu haben. Mal wieder. Jetzt, bei Tageslicht betrachtet, behagte ihm dieser Gedanke nicht wirklich. Es war nun kein Drama aber sich vorzustellen, seinem guten Freund so unverschämt nahe zu kommen, war im nüchternen Kopf befremdlich bis unmöglich. Er würde auch unter keinen Umständen in romantische Gefühle verfallen und sich nun an ihn heranschmiegen, um einen Quicke am Morgen zu erreichen – von küssen am Hals oder dem Befummeln ganz zu schweigen.
 

Im Gegenteil; Raphael schob vorsichtig die Beine über die Bettkante und behielt dabei stets Michael im Blick. Vergessen würde dieser die letzte Nacht nicht haben, doch er wollte nicht selbstverständlich nackt neben ihm liegen, wenn er erst einmal erwachte. Mika-Chan hatte die lästige Angewohnheit, Raphael permanente Geilheit zu unterstellen und auf dessen zu 90% negativ ausfallende Reaktion auf seine ausnahmsweise mal vorhandene Unschuld konnte er heute gut und gerne verzichten.
 

„Ich bin wach“, grollte es plötzlich von der anderen Seite des Bettes und Raphael erstarrte mitten in der Bewegung; nun bloß keine Schwäche zeigen, Michael witterte Angstschweiß förmlich und bohrte seine Finger gnadenlos in die betreffenden Wunden, wenn man ihm die Chance dazu ließ.
 

„Schön. Gut geschlafen?“, antwortete Raphael und kam nun doch in die Höhe, nur um nach seiner Kleidung zu fahnden; er fühlte sich schutzlos, wenngleich ein paar Mikrometer Stoff ihn nicht vor Tritten und Schlägen, geschweige denn einer Wand aus Feuer schützen würden. Es ging ums Prinzip.
 

„Fresse“, grollte der Rothaarige und setzte sich auf; seine Haare standen an einer Seite ab, während sie auf der anderen plattgelegen waren. Er wirkte unglücklich und genervt – wie so oft, wenn sie sich trafen – und irgendwie sah seine Schulter…
 

„Hast du sie dir schon wieder ausgerenkt…?“
 

„Wenn du mich nicht vernünftig heilen kannst!“
 

„Ich heile niemanden, der im Suff von zwei Soldaten umgerannt wird!“, keifte Raphael zurück und schlüpfte in Shorts und Jogginghose, zog das Band fest und wich dem geworfenen Kissen gerade noch rechtzeitig aus da er fest damit gerechnet hatte, der auf ihn zufliegende Gegenstand sei der Feuerengel höchst persönlich.
 

„Ich würd gar nicht zu dir kommen, wenn sich mein Sanitäter nicht komplett abgeschossen hätte“, grollte Michael und rutschte nun selber aus dem Bett, den einen Arm wieder gefährlich hängend. Raphael schnaufte, umrundete das Bett und stellte sich vor ihn, um dann einen lebensbedrohlichen Schritt zu vollziehen und ihn nach hinten zu schubsen, was Michael tatsächlich viel zu irritiert auffasste, um ihm nun das Genick zu brechen. Raphael drängte sich zwischen seine Beine. Damit schien wohl die Erinnerung von letzter Nacht aufzukommen und er sah sich mit Gegenwehr konfrontiert, was er entnervt mit einem Augenrollen quittierte.
 

„Halt still ich renk dich ein.“
 

Michael zog misstrauisch die Augen zusammen und wieder konnte Raphael sich kurz nicht von seinem Gesicht losreißen, dann besann er sich eines Besseren, fasste ihn am Oberarm, zog kräftig und drehte ihn nach außen. Ein lautes Knacken ertönte, dann ließ er ihn wieder los.
 

Fest zusammengepresste Lippen lösten sich wieder, dann setzte sich der Feuerengel wieder auf und drehte – Raphael könnte ihn wirklich köpfen – wieder an der Schulter. Mürrisch und von Angstgefühlen längst keine Spur mehr ergriff er den Verband am Bodes, setzte seinen Fuß auf die Matratze und nutzte sein Knie, um wieder eine feste Mullbinde zu wickeln. Dass er dabei Michael zwischen seinen Beinen einsperrte, war ihm ganz recht – so ohne weitere Überlegung bezüglich möglicher Schäden.
 

„Lass das Scheißteil endlich weg und heil mich, das ist dein Job!“
 

„Wenn du deinen ernst nehmen würdest, hätte ich mit meinem nicht so viel Sonderstunden. Ich heile dich nicht, basta. Ich bin Arzt und keine persönliche Krankenversicherung.“
 

„Wenn du einen Lerneffekt auslösen willst, kannst du das so was von vergessen“, knurrte Michael und rollte mit den Augen, als Raphael wieder mit dem Verband anrückte und ihn fest um die angeschlagene Schulter wickelte. Er musste sich sichtlich beherrschen, ihm nicht extra weh zu tun, aber das ließ die Berufsehre nicht zu. Meistens zumindest, Michael war sich fast sicher, dass einige Wunden hätten anders versorgt werden können statt noch in ihren herumzupulen und nur noch schlimmer siffen zu lassen.
 

„Musst du ja mit rumlaufen, mein Körper ist gesund.“
 

„Bis auf deine verätzte Raucherlunge, klar.“
 

Ein Lächeln huschte über Raphaels Gesicht, der nun endlich das Bein runternahm und beobachtete, wie Michael trotz nur eines Arms zielsicher in seine Shorts schlüpfte und diese geschickt verschloss.
 

„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich meinem Körper Krebs erlauben würde? Ich bin topfit.“
 

Nun kräuselten sich die Lippen Michaels, der nach seinem Oberteil fahndete und es schließlich halb unter dem Bett liegend fand. Ihm lag ein bissiger Kommentar zu letzter Nacht auf den Lippen, doch er wollte dieses Thema eigentlich beruhen lassen. Es war nicht so, dass er sich nach dem Sex schämte und sich seiner Nacktheit nicht gewahr werden konnte, ohne purpurrot anzulaufen. Er hatte diesbezüglich wirklich keine Probleme; klar, einiges war nicht so stark ausgebildet wie es für einen Körper, der irgendwo im Alter zwischen 14 und 16 das Wachstum eingestellt hatte, dennoch sein könnte, doch was scherte es ihn? Er hatte genug Freude damit. Vor allem, da Sex wirklich die Ausnahme blieb. Es gab andere Dinge, mit denen er sich beschäftigen konnte und ein mangelndes Intimleben kompensieren konnte. Töten, zum Beispiel.
 

Raphael war der spöttische Ausdruck nicht entgangen und so zog er eine Augenbraue hoch, stupste den anderen einmal an.
 

„Wenn du mich jetzt mit dir vergleichst, bist du nicht fair. Nicht jeder kann hyperaktiv durch die Gegend wirbeln und erwarten, dass seine Freunde da mitziehen. Du kannst ja keine zehn Minuten still auf dem Arsch sitzen bleiben, um es mal vulgär zu sagen.“
 

„Und das hat mir eben den unzählige Male gerettet“, murrte der Rothaarige und überlegte, wann er seine Schuhe ausgezogen hatte. Raphael nickte zur Seite; die hatte er ihm schließlich von den Füßen gelöst und eigentlich für immer entsorgen wollen, Michael trennte sich aber ungern gegen seines Wissens von Klamotten, mit denen er Krach machen konnte und dazu waren die mit Eisen unter den Sohlen beschlagenen Stiefel hervorragend geeignet.
 

„Welche Frechheit ist dir eingefallen, die du dir gerade verkneifst?“, wollte Raphael dann aber doch wissen und wagte es, einen Blick über das Bett schweifen zu lassen. Zerwühlte Laken und unter dem Kopfkissen schimmerte die kleine Tube mit Gleitmittel hervor. Zwei Stummel ehemaliger Joints lagen auf seinem Nachtschrank und im Schlaf hatte Michael es irgendwie fertig gebracht, ein Kissen von dessen Hülle zu befreien.
 

„Na ja“, hörte er dann doch eine Antwort, mit der er gar nicht wirklich gerechnet hatte. Er wusste nur nicht, was er sonst sagen sollte.
 

„Deine Kondition letzte Nacht hat zu wünschen übrig gelassen, meinst du nicht? Wenn du damit dauernd Weiber abschleppst, kommt keine ein zweites Mal wieder.“
 

Bitte? Dieser freche Knilch! Dabei hatte er für seinen Zustand und vor allem den Umstand mit wem er da geschlafen hatte, eine wirklich passable Zeit von nicht ganz acht Minuten hingelegt! Da hatte Michael selber ja wohl deutlich den Kürzeren gezogen aber das konnte er ihm natürlich nicht sagen. Ein Schnaufen von Raphael, der einen kühlen Blick zum Feuerengel schleuderte.
 

„Kannst ja wiederkommen, wenn du nüchtern bleibst dann zeig ich dir mal, was Kondition ist.“ Das wollte er eigentlich gar nicht sagen, für ihn war das Thema abgehakt gewesen. Ein zweites Stelldichein mit Mika-Chan war schon so etwas wie eine Affäre und das ausgerechnet mit einem Mann und dann noch dem da? Ihre Freundschaft stand auch irgendwo auf der Kippe, wenn da was schief ging.
 

Raphael hörte ein leises Lachen und sah zu, wie Michael sich hingebungsvoll am und vor allem im Ohr kratzte.
 

„Eher umgekehrt. Ich bin keine Gummisusi und ein schneller Fick schon gar nicht. Außerdem hast du gestern Nacht angefangen mit dem Gefummel, mich trifft keine Schuld.“
 

Das war leider richtig, er hatte ihn immerhin unbedingt küssen wollen und auch jetzt bestand eigentlich der Wunsch, ihn so zum Schweigen zu bringen aber bei Tageslicht bangte Raphael um einen Großteil seiner Zunge, wenn er es denn wagen sollte.

Trotzdem ließ er sich nicht so einfach abspeisen und zog dann die einzige Registerkarte, die eigentlich immer wirkte: „Wenn du Angst hast, dann nicht.“
 

Auf so eine billige Provokation ging Michael meist nicht ein, auch jetzt legte er nur das gewisse Maß an Verachtung an den Tag und zuckte mit der gesunden Schulter.
 

„Das nicht aber wenn es jedes Mal so läuft, kann ich mir gleich wen anderes suchen.“
 

Raphael überlegte gerade ernsthaft, ihn nach vorne zu schubsen und sich von hinten an ihn zu drängten aber er musste niemandem seine Potenz aufzwingen, außerdem konnte das wirklich schlecht enden. Michael musterte ihn aufmerksam, erlaubte sich dann ein schräges Grinsen.
 

„Vergiss es einfach, das war eine einmalige Sache. Popp weiter deine Helferinnen und lass meinen Arsch in Ruhe.“
 

Der Punkt, an dem Raphael resignierte und auf Durchzug schaltete. Das kannte er ja alles, er der Engel vom Planeten Porno bla, bla, nahm alles und jeden bla, bla, hör auf zu rauchen und reg mich nicht auf, bla, bla…
 

Doch so viel Aufmerksamkeit teilte Michael ihm gar nicht zu, er schaute sich im Schlafzimmer um und schien etwas zu suchen, schaute sogar unters Bett und beugte sich dabei unverschämt frech nach vorn; Raphael schloss die Augen und zählte kurz von zehn herunter. Wenn sein Körper nun auf Michael und dessen Kleidung konditionierte, bekam er ein ernstzunehmendes Problem, denn etwas Haut war immer irgendwie zu sehen und meistens die, für die er bei anderen Personen einen arbeitsreichen Abend investieren musste. Oberschenkel, Bauch, die empfindliche Stelle am Rücken, wo die Flügel emporwuchsen. Offiziell bestand noch immer eine schwindende Toleranz bezüglich Sexualität, wenn man der breiten Öffentlichkeit Glauben schenken konnte.

Dass sich dies auf die höchstrangingen Engel bezog, die eben diese mindere Meinung mit viel Tam-Tam und harten Strafen vertraten, war dabei absolut nicht von Interesse.

Die langen Arbeitsgewänder der Frauen wichen dennoch – je nach Anstellung – kurzer, enger Kleidung und was schon all die Jahre im Hintergrund lief, breitete sich allmählich mehr und mehr aus. Dennoch befanden sie sich in einer Art mittelalterlichen Lebenseinstellung in den Bereichen der Homosexualität und anderweitigen Interessen wider jeder Natur.
 

Sicher, dachte Raphael. Da es unsere Natur ist, einen gegengeschlichtlichen Partner zu suchen und uns zu vermehren.
 

Die Politik des Himmels war hässlich und voller Lügen, aber das brachte dieses System eben überall mit sich.

Außerdem, wenn er sich beeilte, könnte er Mika-Chan in seine Bettdecke einwickeln und damit verhindern, weiter auf die weißen beine starren zu müssen, die er in der letzten Nacht so ungehindert auf die Matratze pressen konnte. Ob der Kleinere zu einem Spagat fähig war? Biegsam war er allemal und wieder kam Raphael ein eindeutig sexueller Gedanke in den Kopf, den er gerne weiterverfolgen würde, doch dann wurde er zur Seite geschoben.
 

„Kann man helfen?“
 

„Rucksack“, kam die knappe Antwort, die schon wieder nach einer Anweisung klang. Michael wollte er definitiv nicht als Chef haben.
 

„Na ja hier sicher nicht. Wahrscheinlich im Wohnzimmer oder Flur. Darf man fragen, wie die eigentlich hergekommen bist? Ja wohl kaum mit deinen Flügeln, oder?“
 

„Und wenn doch?“
 

„Wie um alles in der Welt konntest du auch nur zwei Flügelschläge hintereinander koordinieren?“
 

„Fuck mich nicht ab, man!“ Kurz war er zu Raphael herumgewirbelt, der Michael nun quer durch seine eigene Behausung folgte und zugleich mit Ausschau hielt, wobei dieses stinkende Ungetüm eines Rucksacks garantiert nicht in seiner sauberen Umgebung untergehen würde.
 

„Ich frag doch nur!“
 

„Du nervst, Mann!“
 

Zugegeben, manchmal irritierten ihn diese plötzlichen Ausbrüche, an seiner Frage war ja nichts Verwerfliches gewesen. Dennoch beließ er es bei dem Thema und seufzte, zupfte sich sein offenes Hemd zurecht und beobachtete, wie der Rothaarige seinen gefundenen Rucksack entdeckte, ihn sich auf die eine heile Schulter schob und noch in der Seitentasche kramte, um sein Telefon herauszuziehen. Raphael sparte sich den Kommentar seines Hausanschlusses, da sich der bekannte Sturkopf wieder zeigte und mit dem wollte er unter keinen Umständen aneinander geraten. Sein Wohnzimmer war gerade renoviert.
 

„Ja wie lange braucht ihr? Ist gut, bin auf dem Dach.“
 

Ah, eine Eskorte also. Raphael könnte ihm nun hinterherlaufen und schauen, wie Michael mit einem Arm hoch aufs Dach zu kommen gedachte, doch eigentlich wollte er es gar nicht wissen. Gedanklich ging er schon seinen Terminplan durch und buchte Mika-Chan einen neuerlichen Termin, ohne dass er diesen davon in Kenntnis setzte. Meistens lag Raphael mit seinen Schätzungen ziemlich günstig.
 

„Meld dich bitte bald wegen der Schulter, ja?“
 

„Wirst ja sehen, ob ich wieder vor dir stehe oder nicht.“
 

Nein, das offensichtliche Augenrollen gönnte er ihm nicht. Verabschiedungen waren auch nicht wirklich ihr Ding, sie umarmten sich nicht, es gab keine Küsschen auf die Wange und schmerzliche Tränen blieben auch aus – Michael kam, wirbelte durch seinen Tagesablauf und ging wieder auf unbestimmte Zeit. Vielleicht sollte Raphael den Spieß mal umdrehen und sich bei ihm blicken lassen, doch meist lungerten irgendwelche Soldaten bei ihm herum und auf deren zweifelhafte Gesellschaft konnte er ganz gut verzichten.

Trotzdem sorgte er sich nach dem letzten großen Krieg um ihn, was genau mit Luzifer passiert war, hatte er vom Rothaarigen selbst auch nie erfahren. Die wichtigsten Informationen hatte Barbiel ihm zugetragen und das war es dann.

Letztendlich war jeder kurze Wutausbruch eine willkommene Konstante, an der er seinen alten Freund noch erkannte.
 

Der hatte sich wohl bemerkt bereits aus dem Staub gemacht, was Raphael jetzt erst bemerkte. Mit einem Schmunzeln wandte er sich wieder der Aufgabe zu, in seinem Schlafzimmer Ordnung zu schaffen.
 

-
 

Michael sparte sich das genervte Fluchen, als er endlich auf dem verdammten Dach war und sich dort hinhockte, um sein Bein zu inspizieren. Ein langer, sauberer Schnitt war das Resultat vom Abrutschen an der Dachkante, was er auf den nutzlosen Arm schon, an dem wiederrum Raphael seiner Meinung nach Schuld war. Also, nicht direkt. Wirklich angefangen hatte es wie vom Blonden schon vorgeworfen damit, dass die Jungs – mal wieder, musste Michael sich eingestehen – einen über den Durst getrunken und ihn dann einfach über den Haufen gerannt hatten. Und das, musste er ebenso zugeben, lag an seinem eigenen Pegel. Letztendlich war irgendwer auf seinen Arm getreten oder sonst was, zumindest tat es verdammt weh und da blieb ihm nur der Weg zurück. Einrenken hätte es fast jeder können, aber er wollte wirklich einfach schnell geheilt werden. Verdammter Fummler! Jetzt saß er hier mit mehr Wunden als zuvor und wartete auf die Soldaten, die gerade eh in der Gegend waren und ihn mit dem Flugschiff einsammeln sollten.
 

Seine Füße schmerzten vom langen Marsch hierher und von anderen Bereichen wollte er gar nicht erst anfangen. So war der Abend definitiv nicht geplant gewesen, auch wenn das Rauchen vom Joint ganz nett gewesen war. Der Gedanke, Rauschmittel und Alkohol einfach mal fallen zu lassen, kam ihm momentan immer seltener. Es gefiel ihm, an nichts mehr denken zu müssen und all die Sorgen der letzten Jahrtausende für ein paar Stunden zu vergessen. Luzifer war wieder da, nach diesem musste er also nicht mehr suchen. Die Hölle selber hatte schwere Rückschläge erleiden müssen, von daher hatten die Dämonen gerade wirklich andere Sorgen als einen ungeplanten Angriff gen Himmel; zumal der Chef wieder regierte und für kopflose Aktionen bisher herzlich wenig übrig gehabt hatte.
 

Michael langweilte sich also, mal wieder. Einen Abend im Rausch zu verbringen war keine schlechte Idee und wenn er sie zählen würde, hätte er einen schockierenden Überblick über den tatsächlichen Zustand, in dem er gerade herumdümpelte. Drogenprobleme? Hatte er hinter sich gelassen. Damals, vor ewig langer Zeit. Inzwischen konnte er sie besser einschätzen, wie er selber fand.
 

Das Dröhnen des sich nähernden Flugschiffs brachte ihn schon wieder fast auf 180; sie hatten einige zur Auswahl, allerdings hatte genau dieses einen Motorschaden. Wie auch sonst sollte er mit dem verräterischen Ding in den Kampf ziehen, wenn ihn jeder potenzielle Feind kilometerweit erahnen konnte?

Mussten sie ausgerechnet dieses Scheißding nehmen?
 

Noch einmal schloss er die Augen, während das warme Blut von seinem Bein runter in den verschmutzten Stiefel rutschte, aber jetzt noch einmal zu Raphael zu gehen, der ihm nur noch mehr unnötige Verbände anlegte? Das schaffte er auch alleine, dazu sparte er sich die überflüssige Standpauke.
 

Staub wirbelte auf und über ihm nahm das Dröhnen zu; eine metallische Tür glitt auf und jemand rief seinen Namen, dann ließen sie eine primitive Strickleiter herunter – wirklich niemand würde wagen zu vergessen, dass der Boss gerade nicht fliegen konnte – und Michael erhob sich, schob den Rucksack noch einmal auf die Schulter und ergriff dann eine Sprosse; schlagartig kam ein Ruck und sie zogen ihn schnell nach oben. Ein letzter Blick auf Raphaels Anwesen, dann war er in den Innenraum geklettert und sah sich zwei zerstört wirkenden Soldaten gegenüber. Sie hatten darauf verzichtet, Camael ans Steuer zu setzen – zum Glück, noch jemand mit geladenen Standpauken – und schauten ihn abwartend an, während Michael auf die Beine kam. Er nahm sie prüfend ins Auge und schleuderte endlich seinen Rucksack von sich, blaffte dann ein „Was?“ in die angespannten Gesichter.
 

„Boss, du blutest.“
 

„Welch Seltenheit“, knurrte Michael und zwängte sich zwischen ihnen her, ließ sich dann auf dem Platz des Co-Piloten nieder. Die Koordinaten würden ihn wieder direkt nach Hause bringen, doch wollte er wirklich dort hin? Andererseits war eine Grenzpatrouille gerade wirklich nicht ratsam, sein Körper war schwer und müde, geschlafen hatte er nicht wirklich und jetzt begann die nervige Schulter auch wieder zu pochen. Eine Woche, niemals würde er den verdammten Verband eine ganze Woche tragen, das konnte Raphael sich abschminken!
 

Eigentlich wollte er die Koordinaten aus Trotz ändern, doch zuhause klang ganz gut. Schlafen und gegen die Schmerzen ein paar Medikamente nehmen. Ach, sein Bein könnte er auch später versorgen und wenn es wirklich gerade abfallen sollte, würde Raphael sich sicherlich dennoch erbarmen. Und es war ja nicht so, dass es sonst keine Heiler im Himmel gab, die er passende bedrohen konnte.

Ein schmerzlicher Gedanke an Bal keimte auf, die vor so langer Zeit einen ganz anderen Weg eingeschlagen hatte. Michael würde sogar wagen zu behaupten – es aber nie auszusprechen – dass er so etwas wie eine romantische Zuneigung für sie empfunden hatte; ein wenig verliebt war er schon gewesen. In die einzige Frau, die nie einen Unterschied gemacht hatte zwischen ihm und Luzifel.

Bis sie sich in genau diesen verliebte und ihm ebenso den Rücken zuwandte.

Ein Seufzen, für das er nachdenkliche Blicke erntete, dann rollte er sich etwas auf seinem Sitz ein und lehnte den Kopf zur Seite, schloss die Augen. Er würde niemandem Rechenschaft schulden, was er die ganze Nacht bei Raphael getan hatte. Drei Tage war er weggewesen; eine nahezu lächerlich bedeutungslose Zeit, verglich man diese mit Einsätzen von zum Teil Jahren. Was ging sie es an, was er in seiner Freizeit machte? Edin Wort, dessen Bedeutung viel zu viel von Michaels Leben in Anspruch genommen hatte.

Er grunzte abfällig, ehe ein leichter Schlaf ihn überfiel.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Lyneth
2014-05-31T07:50:15+00:00 31.05.2014 09:50
Hab deine FF erst vor kurzem entdeckt und finde sie super. Deine art zu schreiben ist einfach klasse. Hoffe es geht bald weiter. Bin echt gespannt was Michael dem Sturkopf noch so dummes einfällt. ;-) Ganz lieben Gruß Lyn
Antwort von:  Inzestprodukt
31.05.2014 21:08
Huhu, danke für den Kommentar!
Das hat mich daran erinnert, dass ich die anderen Kapitel noch hochladen muss :)


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