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Die Gläserne Pfeife

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Die Gläserne Pfeife

Der Tag, an dem mein Meister mich in sein Atelier brachte, war der Tag, an dem er meine Ausbildung für beendet erklärte. Für diejenigen, die mit seiner Lehre nicht vertraut sind, mag dies nach einem wenig bedeutsamen Moment klingen, doch wisset, dass mein Meister ein Gott ist, und ich sein Erbe.

Götter sterben.

Und wie alle Meister ihres Fachs müssen auch sie eines Tages ihre Sterblichkeit anerkennen und einen Nachfolger wählen, der ihr Lebenswerk fortführt. Das ist der natürliche Lauf der Dinge.

Der Meister mühte sich die drei Stufen hinunter, die das Atelier mit dem Gang dahinter verbanden und gebot mir mit einer Geste, ihm zu folgen. Sein lahmes Bein schonend bewegte er sich mit erstaunlichem Geschick zu seinem Schreibtisch, der an der hintersten Wand lehnte.

Geschliffene Kristallkugeln unterschiedlichster Form und Farbe türmten sich in den wackligen Regalen, unter Tischen und zwischen Pergamentrollen, die aus Schubladen quollen und über den Fußboden verstreut lagen wie Herbstlaub im Wald. Papierstapel reckten sich der Decke entgegen und Federkiele ragten aus wahllos verstreuten Tintenfässern.

„Bring mir die Pfeife, Eli.“

Vorsichtig durchquerte ich das Meer aus Gerätschaften und nahm die gläserne Pfeife, die eines der wenigen aufgeräumten Regalfächer besetzte und auf ein schwarzes Samtkissen gebettet im schräg einfallenden Sonnenlicht schimmerte. Es war das erste Mal, dass ich sie berühren durfte. Sie war schwer und so glatt, dass ich fürchtete, sie könnte meinen Fingern entgleiten, doch ich trug sie ohne Zögern zu meinem Meister und er nahm sie ehrfürchtig entgegen.

„Mein letztes Werk“, sagte er und strich über die glänzende Form. Dann griff er nach einem der Papiere.

Lange Nächte in der Bibliothek meines Meisters hatten mir die Zeichen und Symbole vertraut gemacht, die das Pergament in leuchtend grüner Tinte bedeckten und mir verrieten, welcher Befehl mich als nächstes erwartete.

Ich hob eine kleine, rotgoldene Kristallkugel vom Boden auf und reichte sie ihm. Er lächelte und die Falten in seinem Gesicht vertieften sich. Die geschliffenen Facetten der Kugel reflektierten das Sonnenlicht in alle Richtungen und malten ein Muster aus leuchtenden Sprenkeln an Decke und Wände.

Der Meister stellte die Kristallkugel vor sich auf dem Tisch ab und setzte das Mundstück der Glaspfeife an seine Lippen. Dann riss er das Pergament in kleine Fetzen und stopfte mit ihnen die Pfeife.

„Feuer, bitte.“ Ich streckte meine Hand aus und ließ meinen Daumen kraftvoll über die Spitze meines Zeigefingers schnellen, so als würde ich eine Münze schnipsen. Ein Feuerfunken entsprang meinen Fingern und landete auf dem zerrissenen Papier, das grün aufloderte.

Der Meister wartete einige Sekunden, bis das Feuer das gesamte Papier verzehrt hatte, dann zog er an der Pfeife, bis seine Lungen zum Bersten gefüllt waren. Er legte die Pfeife ab, hob die Kristallkugel und hielt sie mit der abgeflachten Unterseite an seinen Mund.

Als er ausatmete, durchdrang der grüne Rauch den geschliffenen Kristall und füllte die Kugel mit wabernden Schwaden, die sich wie in Wasser getropfte Tinte ausbreiteten.

Als er geendet hatte, hob er die Kugel gegen das Sonnenlicht und prüfte die Formen, die sich schemenhaft im Inneren des Kristalls bildeten, auflösten und neu ordneten. Er nickte andächtig und reichte mir die Kugel zur Begutachtung.

Ich hob sie in die Höhe und öffnete mein Inneres Auge, das mir erlaubte, die Rauchschwaden zu interpretieren. Nur ein Augenblick verging und doch sah ich alle Jahre, alle Entwicklungen, jede einzelne Zukunft vor mir wie ein gewaltiges Gemälde, ein perfekter Plan ohne Fehl.

„Es ist eine gute Welt“, sagte ich und reichte Arien die Kugel. Er hatte sein letztes Werk vollendet. Er war nun kein Meister mehr.

„Eintausend Kugeln“, sagte er und stand ächzend auf. „Und nur einhundertzweiundachtzig Welten, die mich zufrieden stellen. Mein Meister hat Besseres von mir erwartet." Er sah mich ernst an. "Ich erwarte Besseres von dir, Eli.“

Ich verbeugte mich vor ihm. Als ich aufsah, war er verschwunden.

An seiner Stelle lag auf dem Stuhl eine blauschwarze Pfeife, deren matter Farbton ihr gläsernes Wesen erst auf den zweiten Blick preisgab. Ich lächelte und legte die neue Pfeife behutsam auf ihren angestammten Platz im Regal, dann stellte ich die frisch erschaffene Welt zwischen zwei anderen Kugeln, von denen ich wusste, dass Arien sie wertgeschätzt hatte.

Ich betrachtete die Rauchschwaden einen Moment länger. Viele Gabelungen des Weltenschicksals führten auf den richtigen Weg. Es war eine gute Welt, die beste, vielleicht, die Arien je erschaffen hatte.

Als ich wieder an den Schreibtisch trat, begutachtete ich die alte Glaspfeife mit Bedauern. Sie war ein gutes Instrument gewesen. Jetzt lag sie zersplittert auf dem Holz, ihre frühere Form nur noch zu erahnen.

Götter sterben. Das ist der natürliche Lauf der Dinge.

Und wenn sie sterben, dann werden sie zu Pfeifen aus Glas.

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  Adisa
2017-04-24T05:11:22+00:00 24.04.2017 07:11
Eine schöne Geschichte, in sich abgeschlossen, und ich mag den Schreibstil sehr. Danke schön, dass du sie mit uns geteilt hast!
Antwort von:  yazumi-chan
24.04.2017 16:12
Danke für die netten Worte!
Von:  Kerstin-san
2017-02-25T17:30:23+00:00 25.02.2017 18:30
Hallo,
 
ich mochte die Geschichte. Es ist zwar traurig, dass Eli alleine zurück bleibt, aber sein Meister scheint den Tod als natürlich hinzunehmen und ihn fast schon zu begrüßen, sodass ich das Gefühl hatte, dass er gerne geht. Es ist schön zu sehen, dass man dem eigenen Tod so furchtlos begegnen kann. Ich hab mich unweigerlich gefragt, wie lange der Meister eigentlich gelebt hat und wie lange Elis Ausbildung wohl gedauert hat.
 
Die Überlegung, wie hier Welten entstehen, fand ich schön und 1000 Welten scheinen eine unglaubliche Anzahl zu sein, auch wenn Arien letztendlich nur mit einem Bruchteil davon zufrieden ist. Das Ende fand ich sehr berührend. Im Prinzip lebt Arien also doch noch irgendwie weiter, nur dass er jetzt selbst ein Instrument in den Händen seines Schülers ist. Ein hoffnungsvoller Gedanke, wie ich finde :)
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von:  yazumi-chan
25.02.2017 18:38
Vielen Dank für deine Gedanken zu der Geschichte. Freut mich, dass sie dich berührt hat :) Mir gefiel beim Schreiben das Bild von einem Regal voller Welten in Glaskugeln und Göttern, die nach getaner Arbeit sterben, beziehungsweise zum Instrument ihres Nachfolgers werden.
Von:  Kalliope
2015-05-30T18:25:22+00:00 30.05.2015 20:25
Puh, ich war mir sicher, dass ich diese Geschichte schon kommentiert habe, denn gelesen habe ich sie schon vor einer Weile. Hm, da muss ich mich wohl getäuscht haben :"D
Ich mag die Geschichte jedenfalls, auch oder gerade weil sie schön kurz und knackig ist. Ich freue mich für Eli, weil er nun selbst ein Meister ist, aber es ist auch traurig, dass Arien nicht mehr an seiner Seite sein kann. Die alten Götter scheinen zu Glaspfeifen zu werden, die wiederum kaputt gehen, wenn eine andere Pfeife entsteht. Eli ist nun also auch ein Gott und wird irgendwann einen Schüler haben, vermute ich. So, wie du ihn geschrieben hast, denke ich aber, dass er ein guter Gott sein wird und schöne Welten erschafft :)
Antwort von:  yazumi-chan
31.05.2015 00:45
Ich hatte bei Finera auch das Gefühl, viel öfter kommentiert zu haben, als es letztlich der Fall war. Oh well xD Richtig, Götter haben sozusagen zwei Phasen, die als Erschaffer und die als Instrument :) Bei manchen Geschichten ist die Kürze einfach das beste daran. Ich habe versucht, zu diesem One-Shot eine Fortsetzung zu machen, aber das ging ziemlich schief xD Belassen wir es lieber so :`D
Antwort von:  Kalliope
31.05.2015 13:41
Ja, dann lass es so stehen, es wirkt auch für sich gut :)
Von:  YasuDesire
2014-11-03T10:43:27+00:00 03.11.2014 11:43
Uiuiui so viele Adverbien, ich musste mich ehrlich gestanden etwas konzentrieren um nicht "verloren" zu gehen im Text.
Aber in Anbetracht der Kapitellänge ist die eine Szene echt perfekt zusammengefasst! Man konnte sich wirklich sehr gut vorstellen, was du versuchst auszudrücken. Es wirkte sehr malerisch; ein wenig, als würdest du die Schönheit unserer Welt zum Ausdruck bringen wollen (ums mal kitschig auszudrücken).
Sehr lesenswert und wunderbar geschrieben :)

Lg yasu
Antwort von:  yazumi-chan
03.11.2014 17:17
Ja, mit den Adverbien hab ich wohl an mancher Stelle etwas dick aufgetragen ;) Vielen Dank für deinen Kommentar, es freut mich sehr, dass dir dieser One-Shot gefällt :D
Von:  BlackWolfLucy
2014-10-01T22:24:27+00:00 02.10.2014 00:24
Hallöchen!
Ich muss wirklich sagen, dass diese Geschichte (obwohl sie sehr kurz ist, zumindest für meinen Geschmack) einem sehr gut die Gefühle vermittelt, die sie wohl vermitteln soll (hört sich vielleicht etwas komisch an, aber anders konnte ich es nicht ausdrücken ;)
Deine Geschichte ist auf jeden Fall lesenswert und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man auf ihrer Basis auch eine längere Geschichte über Götter und ihren Weg schreiben könnte.
Die Idee, aus Rauch und Kugeln neue Welten zu erschaffen ist wirklich einzigartig und ein sehr schöner Gedanke.
GlG Lucy
Antwort von:  yazumi-chan
02.10.2014 00:37
Danke für das Lob ;)
Von:  Hexenhund
2014-09-22T18:04:50+00:00 22.09.2014 20:04
T.T
Es ist eine wirklich süße Geschichte, und iwie traurigschön...
Schön auch die Idee, dass sotzusagen der MEister bei seinem Schüler bleibt. Und die Idee mit den Glaspfeifen und das Götter Welten blasen... alles macht nachdenken. Eine wirklich schöne Kurzgeschichte


Antwort von:  yazumi-chan
24.09.2014 19:12
Schön, dass sie dir gefällt ;) Die Idee kam mir eines Abends einfach und dann habe ich das Ganze ziemlich zügig aufgeschrieben :D


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