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Achillesfersen

Hiroomi x Akihito
von

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Von Brillen und Spitznamen

»Senpai, ist alles in Ordnung?«
 

»Sicher. Alles bestens.«
 

»Du siehst irgendwie grün um die Nase aus.«
 

»Mir ist nur ein bisschen flau im Magen. Nicht der Rede wert.«
 

Akihito war empört. Er würde Mitsuki umbringen. Und vielleicht musste er Hiroomi auch umbringen. Je nachdem, ob der elende Perverse in die Sache eingeweiht gewesen war, oder nicht. Immerhin hatte er ihn dazu gezwungen, sich Männer beim Sex miteinander anzuhören, also wer konnte schon sagen, was für Neigungen Hiroomi abgesehen von seinem Schwesternkomplex sonst noch hatte? Akihito wollte es sich lieber nicht ausmalen.
 

Er saß mit Kuriyama-san im Raum des Literaturclubs und beobachtete seine Mitschülerin dabei, wie sie liebevoll ihre Bonsaibäumchen mit Wasser besprühte. Wie jemand, der dauernd über seine eigenen Füße stolperte, eine derartige Feinmotorik aufweisen konnte, wenn es um winzige Pflänzchen ging, war ihm ein Rätsel. Immerhin schwang Kuriyama-san für gewöhnlich nur ein riesiges Schwert. Sie mit einer Nagelschere dabei zu beobachten, wie sie winzige überstehende Zipfel ihrer Bonsaisammlung entfernte, war in der Tat ein wenig befremdlich.
 

»Vielleicht solltest du dann mal im Krankenzimmer vorbeischauen, Senpai.«
 

Kuriyama-san war wirklich sehr hübsch. Vor allem mit ihrer Brille. Akihito fand Brillen großartig, das wusste so ziemlich jeder in seiner Nähe. Aber bislang hatte er sich dabei auf hübsche Frauen mit Brillen beschränkt. Selbst Mitsuki, die ihn ansonsten lediglich mit ihrem Gestichel auf die Palme brachte und sich gern über ihn lustig machte, sah mit Brille hervorragend aus. Hiroomi hingegen hatte Akihito noch nie mit Brille gesehen und er hatte auch keinerlei Interesse daran gehabt. Der elende Perversling ging ihm mit seinem dauernden Gefummel und seinen kalten Händen, die er überall hinschob, auf den Keks. Und ob er nun eine Brille trug, oder nicht, war vollkommen irrelevant. Zumindest hatte Akihito das bislang gedacht.
 

Bis Mitsuki ihm das Foto unter die Nase gehalten hatte.
 

Hiroomi mit seinem dummen Schal, weil er immer fror, mit seinem bescheuerten Lächeln, wahrscheinlich weil er an Mitsuki dachte, mit einer schwarzgerahmten, rechteckigen Brille auf der Nase. Verflucht nochmal.
 

»Senpai, bitte mach die Manuskripte nicht kaputt. Mitsuki-senpai und ich wollen sie noch lesen!«, rief Kuriyama-san, während Akihito voller Empörung eines der Hefte so fest in den Händen hielt, dass er es unweigerlich zerknitterte.
 

»Tschuldigung. Ich glaub, ich geh heim. Vielleicht hilft eine Tasse Tee«, meinte er matt und erhob sich. Kuriyama-san sah ihn besorgt an, doch Akihito tat so, als wäre abgesehen von seinem Magen alles ok und verließ hastig den Clubraum. Das Foto, das ihn in die momentane Stimmung versetzt hatte, steckte zerknüllt in seiner Hosentasche und Akihito wagte nicht, es hervor zu holen, ehe er nicht seine Wohnungstür hinter sich abgeschlossen hatte.
 

Er kochte sich tatsächlich einen Tee und machte sich ein Reisomelette, dann verzog er sich damit in sein Bett und kramte das Foto hervor. Während er den ersten Löffel seines Reisomelettes kaute, versuchte er mühsam, es zu glätten. Er war bei seinem Bemühen nicht sonderlich erfolgreich, aber man erkannte Hiroomi immer noch gut genug. Er schaute nicht in die Kamera und sah alles in allem eher so aus, als würde er einfach verträumt in die Gegend starren. Die Frage war nur, wieso er diese Brille trug. Hiroomi hatte noch nie eine Brille getragen! Es war also naheliegend, dass Mitsuki ihn extra dazu gebracht hatte diese Brille aufzusetzen. Um Akihito in den Wahnsinn zu treiben. Mädchen mit Brillen waren sexy. Hiroomi mit Brille sollte ganz eindeutig nicht sexy sein!
 

Akihito schnippte das Foto fluchend auf den Boden und widmete sich ganz seinem Reisomelette. Sein Handy vibrierte.

»Na, Perverser? Hast du mit dem Foto schon unanständige Dinge angestellt?«

Akihito fluchte lautstark und begann eine unfreundliche Antwort an Mitsuki zu tippen, dann wurde ihm klar, dass er ihr lediglich in die Hände spielte, wenn er sich beklagte. Er versuchte sich zu beruhigen und das Hämmern in seinem Brustkorb zu ignorieren. Das Herzklopfen rührte sicher daher, dass er sich so über Mitsuki aufregte. Da würde jeder Mensch einen Herzinfarkt bekommen!
 

»Nein, dafür musste ich beinahe kotzen, als ich es mir angeschaut hab!«
 

»Wer’s glaubt.«
 

Akihito fragte sich, wieso er eigentlich mit Mitsuki befreundet war. Mit gerunzelter Stirn starrte er das zerknüllte Foto auf dem Boden an. Dann stellte er seinen leeren Teller beiseite und beugte sich von seinem Bett herunter, um das Bild vom Boden zu fischen und wieder auseinander zu falten. Hiroomi sah nicht übel aus für einen Kerl. Akihito hatte kein Problem, das zuzugeben. Aber die Sache mit der Brille… Es war empörend, weil alle wussten, dass Brillen seine Schwachstelle waren. Natürlich gab es auch andere Jungs um ihn herum, die eine Brille trugen, aber die interessierten ihn einfach nicht. Die Tatsache, dass er angesichts dieses Fotos so durchgedreht war, konnte demnach nur bedeuten, dass Hiroomi ihn… irgendwie interessierte. Und bevor er sich das eingestand, würde er sich eher freiwillig Kuriyama-sans Kochkünsten aussetzen und sich ein paar Wochen um ihre Bonsaibäume kümmern.
 

Er stopfte das Foto unter sein Kopfkissen und machte sich auf den Weg in die Küche, um seinen Teller abzuwaschen. Wenn er das Foto einfach wegwarf, dann würde er sich ganz sicher wieder beruhigen. Akihito musste sich vermutlich einfach ganz viele Bilder von hübschen jungen Frauen mit Brillen ansehen, damit er den Anblick von Hiroomi auf diesem Bild ganz schnell wieder vergaß.
 

*
 

Akihito warf das Foto nicht weg. Er konnte nicht erklären, wieso genau es unter seinem Kopfkissen liegen blieb, aber sich genauere Gedanken darüber zu machen, schien ihm eine schlechte Idee zu sein. Er ignorierte Hiroomi so gut es ging und zeigte auch Mitsuki die kalte Schulter, was Mitsuki allerdings nur wenig beeindruckte. Sie sprach regelmäßig von sexueller Frustration, zwischenmenschlicher Inkompetenz und darüber, dass Akihito der größte Vollidiot war, den sie je das Unglück hatte zu treffen. Und das sollte laut ihrer Aussage schon etwas heißen, da sie nach ihren eigenen Worten mit dem idiotischsten Bruder geschlagen war, den die Welt je gesehen hatte.
 

Was diese Ansicht anging, konnte Akihito Mitsuki nur zustimmen. Aber da er momentan nicht mit ihr redete, konnte er ihr das nicht mitteilen.

»Senpai, was ist eigentlich los zwischen dir und Mitsuki-senpai?«
 

»Nichts Besonderes, wieso?«
 

»Du schweigst sie die ganze Zeit an und sie ist noch gemeiner zu dir als sonst.«
 

Akihito musterte Kuriyama-san schweigend und seufzte ungehalten.

»Es ist nur, weil sie nervt«, erklärte er lahm und Kuriyama-san legte verständnislos den Kopf schief. Akihito konnte es ihr nicht verübeln, seine Antwort hielt nicht wirklich eine Erklärung bereit, aber er war eindeutig nicht in der Stimmung dazu, mit Kuriyama-san über seine merkwürdigen Probleme angesichts von Hiroomi mit Brille zu sprechen.
 

Das schlimmste an alledem war, dass Hiroomi mit verletztem Unverständnis auf seine kalte Schulter reagierte und bei jeder Gelegenheit mit Akihito über seine Gefühle reden wollte. Als würde Akihito jemals mit Hiroomi über seine Gefühle reden wollen. Pah!

Kuriyama-san senkte den Kopf und seufzte leise.

»Na gut, senpai. Wenn du darüber reden willst, kannst du es ja sagen.«
 

Akihito war sich sicher, dass er die momentane Situation einfach irgendwann mit ins Grab nehmen würde. Und sein Grab war angesichts seines Status‘ als halber Youmu relativ nah, zumindest wenn er es realistisch betrachtete. Nicht, dass er auf Teufel komm raus sterben wollte, aber er brauchte sich schließlich auch nicht einreden, dass er irgendwann einmal aufgrund von hohem Alter das Zeitliche segnen würde.
 

Die Tür ging auf und Mitsuki kam herein, Hiroomi folgte ihr auf den Fersen und die beiden führten offensichtlich die übliche »Nenn mich doch bitte Onii-chan«-Diskussion, über die Akihito mittlerweile nur noch die Augen verdrehen konnte. Einen Augenblick lang starrte er Hiroomi nachdenklich an, dann fragte er sich, ob Hiroomi wohl genauso darauf abgehen würde, wenn jemand anders ihn Onii-chan nannte. Und bevor er seine Zunge im Zaum halten und sich diese Sache noch einmal gründlich überlegen konnte, hatte er schon den Mund geöffnet.

»Nun gib es schon auf, Onii-chan.«
 

Einen Moment lang herrschte vollkommene Stille im Raum des Literaturclubs. Dann geschahen mehrere Dinge auf einmal. Mitsuki begann breit und ziemlich gehässig zu grinsen, Kuriyama-san vergrub das Gesicht in den Händen, schüttelte heftig den Kopf und murmelte »Ich hab es ja gewusst, ich hab es ja gewusst« und Hiroomi starrte ihn einen Wimpernschlag lang verwirrt an, dann wurden seine Wangen plötzlich knallrot, als wären Farbpatronen auf seinem Gesicht explodiert.
 

»Wie unerfreulich, senpais!«
 

»Ihr zwei Perversen habt euch doch wirklich gefunden. Komm, wir gehen Tee trinken, Mirai-san.«
 

»Jawohl, Mitsuki-senpai!«
 

»Hey! Hey! Was soll denn das? Wieso geht ihr?«
 

Akihito wollte plötzlich sehr dringend, dass Kuriyama-san blieb und sich mit ihm über Bonsaibäume unterhielt. Tatsächlich würde er sich lieber drei Stunden am Stück von Mitsuki beleidigen lassen, bevor er jetzt in diesem Moment mit Hiroomi allein sein musste. Aber die Tür schwang hinter den beiden Mädchen zu und das Geräusch hallte unglaublich laut in Akihitos Ohren wieder.
 

»Äh, ja… ich muss dann auch dringend–«
 

»Akkey…«
 

»Was ist?«
 

»Nenn mich nie wieder so!«
 

»Hatte ich nicht vor!«, rief Akihito empört, aber gleichzeitig spürte er einen enttäuschten Stich irgendwo in seinem Brustkorb. Und er kam sich ausgesprochen lächerlich vor. Er wünschte, er hätte auf dieses Foto so abweisend reagieren können, wie Hiroomi nun auf seinen verbalen Patzer. Wieso zum Teufel hatte er es gesagt? Weil er sauer war, dass Hiroomi diese Wirkung auf ihn hatte und… weil er wollte, dass er dieselbe Wirkung auf Hiroomi hatte? Er musterte die grünen Augen, die ihm trotzig entgegen blickten, den Schal, der wie immer eng um Hiroomis Hals geschlungen war und jetzt auch seinen Mund verdeckte.
 

Unweigerlich erinnerte sich Akihito daran, wie Hiroomi schon damals einen Schal getragen hatte, als sie sich kennen gelernt hatten. Hiroomi fror immer, Akihito war meistens eher zu warm als zu kalt. Hiroomi war geschickt worden, um ihn zu töten und stattdessen hatte er für ihn sein Leben riskiert. Er hatte kein Konzept von Intimsphäre und Akihito dachte mit pochendem Herzen daran, wie Hiroomi ihn dazu gebracht hatte, sich Aufnahmen von zwei miteinander schlafenden Männern anzuhören. Er wusste nicht, wieso sein Gehirn immer all diese Gedanken ausspuckte, wenn er es am wenigsten gebrauchen konnte.
 

Mit einem peinlich berührten Grummeln und mit gesenktem Kopf stapfte er an Hiroomi vorbei zur Tür. Er würde sich einfach irgendwo eingraben und nie wieder zur Schule gehen, um der Peinlichkeit dieser ganzen Sache ein für alle mal zu entgehen. Hiroomi sagte nichts mehr und hielt Akihito nicht auf, als dieser den beiden Mädchen aus dem Clubraum folgte und sich mit hängenden Schultern und ununterbrochenem grummeligen Gemurmel auf den Weg zur nächsten Unterrichtsstunde machte.
 

*
 

Er wurde eindeutig wahnsinnig, soviel stand fest. Akihito hatte das verfluchte Foto in den letzten vier Tagen mindestens einhundert Mal angeschaut, hatte zu viele Schulstunden geschwänzt und hatte sich geweigert mit irgendjemandem über seine neuerlich erwachte Sexualitätskrise zu sprechen. Mit wem auch? Kuriyama-san würde nur laut »Wie unerfreulich, senpai!« rufen und knallrot im Gesicht von dannen stürzen, Mitsuki würde ihn einen Perversen nennen und ihn beleidigen und anschließend erklären, dass sie es ja immer schon gewusst hatte.
 

Einmal – und Akihito wagte es kaum sich dies einzugestehen – hatte er unter der Dusche an das verteufelte Bild gedacht. Wie erniedrigend konnte dieses ganze Debakel denn noch werden? Er musste etwas unternehmen, dringend! Da er Mitsuki nicht umbringen konnte, – und es eigentlich auch nicht wollte, wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war – musste er zusehen, dass er diese Sache mit Hiroomi regelte. Aber wie? Was sollte er sagen? Er hatte Hiroomis tiefe Stimme im Ohr, die ihn amüsiert schmunzelnd Akkey nannte und Akihito hatte diesen Spitznamen immer gehasst. Also wieso wurde ihm nun bei der Vorstellung davon, wie Hiroomi ihn so nannte, ganz heiß und kribbelig zumute?
 

»Hey Hiroomi, ich hab dich auf einem Foto mit Brille gesehen und jetzt ist mir irgendwie klar geworden, dass ich dich gut finde, wie ich normalerweise hübsche Mädchen gut finde. Also, wie sieht’s aus, wollen wir mal rummachen? So probehalber?«
 

Als würde er das jemals sagen! Akihito hatte schon lange nicht mehr so viel allein in seiner Wohnung geflucht wie in den letzten Tagen, seit er das verdammte Foto gesehen hatte. Bei all dem emotionalen Stress dem ihn dieses Bild aussetzte, verwandelte er sich vermutlich bald in sein mörderisches Youmuselbst und fing an die ganze Stadt in Schutt und Asche zu legen. Leise seufzend warf Akihito sich auf sein Bett und dachte etwas wehmütig daran, dass ihm dann immerhin noch das Versprechen von Hiroomi blieb, dass er ihn umbringen würde. Zusammen mit Kuriyama-san würde er es ja vielleicht sogar schaffen.
 

Als es an der Tür klingelte, zuckte Akihito so heftig zusammen, als wäre eine Bombe direkt neben seinem Bett eingeschlagen. Er hatte seit Tagen nicht aufgeräumt, weil er zu beschäftigt mit seiner Identitätskrise gewesen war und so manövrierte er sich nun zwischen Stapeln von Zeitschriften, CDs und getragenen Klamotten hindurch und stolperte beinahe über einen seiner Turnschuhe, der mitten im Flur lag. Entnervt kickte Akihito ihn beiseite und fragte sich dumpf, ob Mitsuki vorbei gekommen war, um ihn noch ein wenig mehr auszulachen oder einen Perversen zu schimpfen. Doch als er die Tür aufriss, starrte ihm ein Paar allzu bekannter grüner Augen oberhalb eines ebenfalls altbekannten Schals entgegen. Akihito musste sich mit aller Macht dazu zwingen, die Tür nicht einfach wieder zuzuschlagen. Sein Gehirn verwandelte sich in einen einzigen riesigen Knoten, der es ihm unmöglich machte, irgendetwas Eloquentes zu sagen und sein Herz stolperte wie ein betrunkener Volltrottel in seinem Brustkorb. Wie konnte das nur passieren?
 

»Hrmpf«, machte Akihito anstelle einer Begrüßung. Er spürte, wie sein Gesicht heiß wurde, als Hiroomis Augenbrauen in die Höhe wanderten.

»Ist alles in Ordnung, Akkey?«

Alles, was er in seinem Zustand eindeutig nicht gebraucht hatte: Hiroomis Anwesenheit, sein besorgter und verwirrter Blick und diese verteufelt tiefe Stimme, die ihn bei diesem beknackten Spitznamen nannte.

»Nein«, blaffte er ungehalten und wedelte wenig aussagekräftig mit der rechten Hand durch die Luft. Hiroomis Augenbrauen wanderten so weit nach oben, dass sie unter seinem Pony kaum noch zu erkennen waren.
 

»Bist du krank?«, wollte Hiroomi wissen und zu Akihitos Entsetzen streckte er die Hand aus und legte sie prüfend auf Akihitos Stirn. Wie immer waren Hiroomis Hände eiskalt und Akihitos Stirn kribbelte unter der Berührung.

»Hm. Schon etwas heißer als sonst«, meinte Hiroomi nachdenklich und Akihito konnte sich gut vorstellen, dass seine Haut sich momentan in etwa so warm wie die Oberfläche eines jeden Moment explodierenden Vulkans anfühlen musste. Er konnte jedenfalls Hitzewelle um Hitzewelle durch seine Körper wogen spüren.
 

»Ich bin nicht krank!«, platzte es aus Akihito heraus, während Hiroomi sich völlig ungerührt an ihm vorbei in die Wohnung schob und mit einem ziemlich angeekelten Blick das Chaos musterte, das sich vor seinen Augen ausbreitete.

»Das heißt, bei dir sieht es immer so aus?«
 

»Nein!«
 

»Sagst du mir dann endlich, was los ist?«
 

»Nein!«
 

Akihito hatte keine Ahnung, wie genau es dazu kam, dass Hiroomi über einen Stapel seiner alten Magazine stolperte, kurz mit den Armen durch die Luft ruderte und dann dank einer mehr oder weniger eleganten Drehung in der Luft bäuchlings auf Akihitos Bett landete. Es gab ein leises »Uff« und Akihito beschloss, dass er unter normalen Umständen Hiroomi für seine Tollpatschigkeit mindestens fünf Minuten lang ausgelacht hätte, aber jetzt war alles, woran er denken konnte, dass Hiroomi in seinem beknackten Bett lag.
 

Als Hiroomi wieder auftauchte, hielt er etwas in der Hand und mit einem Anfall von Panik wurde Akihito klar, dass er immer noch das Foto unter seinem Kopfkissen gehabt hatte und Hiroomi nun genau dieses in den Fingern hielt. Grüne Augen starrten hinunter auf das zerknüllte Bild, Akihito starrte auf Hiroomi und dann hob Hiroomi den Kopf und sah Akihito an.

»Hat Mitsuki dir das gegeben?«, fragte er. Akihito hatte einen riesigen Frosch im Hals und nickte deswegen nur. Hiroomi seufzte leise und legte das Bild beiseite.

»Ah. Und ich dachte schon, sie hat das Bild für sich selbst geknipst«, sagte Hiroomi und klang ehrlich bedauernd darüber, als hätte ihm nicht von vornherein klar sein können, dass seine kleine Schwester natürlich nicht ein bebrilltes Foto von ihm haben wollte, einfach nur, um es liebevoll anzuschauen. Mitsuki hatte ausgesprochen selten liebevolle Anfälle für ihren großen Bruder und keiner dieser Anfälle hatte irgendetwas mit Brillen zu tun.
 

»In welchem Universum würde sie das tun?«, maulte Akihito, machte zwei Schritte nach vorn und schnappte Hiroomi mit hochrotem Kopf das Foto aus der Hand. Er stopfte es in seine Hosentasche und ließ seine Hände dem Bild folgen, dann starrte er verlegen und unsicher, was er tun sollte, aus dem Fenster. Einerseits wollte er, dass Hiroomi ging, sich beim Gehen den Kopf stieß und vergaß, dass er dieses Bild je gesehen hatte. Andererseits hatte er dieses bescheuerte Verlangen danach, dass Hiroomi ihn anfasste – und sei es nur so wie er es sonst immer tat, wenn er seine kalten Hände unter Akihitos Armen wärmte.
 

»Ich hab mir Gedanken gemacht«, sagte Hiroomi in einem seichten Plauderton und an einem Rascheln hörte Akihito, dass er aufgestanden war. Akihito vermied es allerdings weiterhin, Hiroomi anzuschauen. Wieso hatte er das vermaledeite Foto nicht einfach weggeworfen?

»Sag’s noch mal.«

Akihitos Kopf schnellte herum und er zuckte zurück, da Hiroomi direkt vor ihm zum Stehen gekommen war.

»W…was!?«
 

»Sag’s noch mal.«
 

»Was soll ich sagen?«
 

»Du weißt schon…«
 

Hiroomi wandte seinen Blick nicht von Akihito ab, aber ein leichter Rotschimmer hatte sich auf seinen Wangen gebildet. Akihito schluckte, während seine Gedanken sich rasend schnell im Kreis drehten.
 

Hiroomi hatte das Foto gesehen, Akihito hatte sich mit großer und schrecklicher Wahrscheinlichkeit in Hiroomi verknallt, Hiroomi wollte, dass Akihito ihn noch einmal Onii-chan nannte, Hiroomi hatte das Foto gesehen und wusste jetzt, dass Akihito ihn mit Brille toll fand, aber Hiroomi war nicht gegangen, sondern wollte, dass Akihito ihn noch einmal Onii-chan nannte…
 

Akihito holte Luft und schwankte einen Herzschlag lang zwischen der Möglichkeit Hiroomi rauszuschmeißen oder zu sagen, was er hören wollte… Seine Zunge und sein hämmerndes Herz trafen die Entscheidung für ihn.

»Onii-chan.«

Das Rot auf Hiroomis Wangen wurde noch dunkler und Akihito war sich sicher, dass er etwas in Hiroomis Augen aufblitzen sah, doch er kam nicht dazu, sich weiter darüber Gedanken zu machen, denn zwei kalte Hände legten sich auf seine Wangen und dann küsste Hiroomi ihn. Mitten auf den Mund.
 

Akihito hatte noch nie jemanden geküsst. Er hatte keine Ahnung, ob Hiroomi schon einmal jemanden geküsst hatte, aber diese Lippen fühlten sich nicht nach einem Anfänger an. Akihitos Kopf schaltete sich ab, als er sich unbeholfen nach vorn gegen Hiroomi fallen ließ und eine Hand unsicher auf Hiroomis Rücken legte. Menschliche Nähe war nichts, was er für gewöhnlich für sich beanspruchte. Mit einem dumpfen Gefühl im Magen dachte er daran, dass unter seiner Hand auf Hiroomis Rücken die schreckliche Narbe war, die sein Youmuselbst ihm zugefügt hatte. Doch als er Hiroomis Zunge an seinen Lippen spürte, verschwanden diese Gedanken.
 

Akihito klammerte sich an Hiroomi fest, als wäre er kurz vorm Ertrinken und er spürte, wie Hiroomi in den Kuss hinein lächelte. Unter gewöhnlichen Umständen hätte Akihito Hiroomi dafür angemault, aber er war zu aufgeregt, zu sehr erfüllt von hämmerndem Herzklopfen und kribbelnden Feuerwerken auf der Haut, als dass er darüber nachdenken wollen würde. Körperkontakt war gut. Küssen war wirklich, wirklich gut. Akihito schnappte nach Luft und löste den Kuss, weil er sich sicher war, dass er sonst jeden Moment vor Aufregung erstickte. Hiroomi schmunzelte ihm entgegen und Akihito hatte nicht übel Lust, ihm eine reinzuhauen. Oder ihn noch mal zu küssen. Eine sehr schwere Wahl.
 

»Ich glaube Mitsuki und Kuriyama-san haben irgendwas geahnt…«
 

»Was du nicht sagst.«
 

»Darf ich jetzt also offiziell meine Hände unter deine Arme stecken?«
 

»Von mir aus…«
 

»Und soll ich jetzt ab und an mal eine Brille tragen?«
 

»Ich hasse dich.«
 

»Ach, Akkey.«
 

Hiroomi sagte es mit diesem amüsierten, nachsichtigen Lächeln. Akihito grummelte leise, dachte noch einmal darüber nach, ob er Hiroomi hauen oder küssen wollte und entschied sich letztendlich für letzteres. Geschlagen hatte er Hiroomi schon oft genug, aber sein Bedarf nach Küssen war eindeutig noch lange nicht gedeckt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2014-08-10T14:20:19+00:00 10.08.2014 16:20
Es ist so süß!!!
KnK ist auch so eine Serie, wo ich das Main Pairing einfach gar nicht verstehe. Sie sind beide super süß und helfen einander wirklich, aber für mich ist es 0% romantisch oder so. Der Kuss war sehr seltsam für mich, weil einfach gar keine ~romantische Energie~ oder was auch immer zwischen ihnen war, meiner Meinung nach. Das war echt schräg. Für mich hätten sie als Freunde viel mehr Sinn ergeben.
Von:  Schwarzfeder
2014-08-09T22:05:52+00:00 10.08.2014 00:05
Mal wieder...keine Ahnung vom Fandom, aber es ist wirklich niedlich und gut geschrieben und auch beschrieben.
Ich hatte keine so großen Verständnis Probleme als dass ich es nicht hatte lesen können ... (Grammatik /non x'D)
Jedenfalls hab ich alles soweit verstanden, als dass ich es wi~rklich genießen konnte und..ich glaub es ist etwas spät für eloquente Kommission x'D
Naja...thumps up!
Sehr süß, und... Ich werd mir diese Serie mal genauer an gucken, die klingen nach interessantem Spaß!
LG
Von:  Selkie
2014-08-09T16:34:37+00:00 09.08.2014 18:34
Ich kenne die Serie zwar nicht (auch wenn mir nach meinen ersten Google-Eindrücken die Figuren bekannt vorkommen), aber die Geschichte hat mich sehr bespaßt! :)
Ziemlich klasse!
Von:  herzausglas
2014-08-09T16:27:59+00:00 09.08.2014 18:27
Awwwww, sie sind pure Liebe *_____* ich weiß gar nicht was ich schreiben soll... ES IST NOCH TAUSEND MAL BESSER ALS ICH ES MIR VORGESTELLT HATTE
(ich glaube, ich kann erst später einen halbwegs brauchbaren Kommentar schreiben, entschuldige bitte :'D)


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