Zum Inhalt der Seite

Herzenswille

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Sorge

Stunden...

 

Endlose Stunden vergingen, aber André kam immer noch nicht zu sich...

 

Er lag in seinem Bett als wäre er eine leblose Hülle und nur sein leicht senkender und hebender Brustkorb verriet, dass er noch lebte...

 

Doktor Lasonne, der ihn erneut untersuchte, sprach nebenbei mit Andrés Großmutter: „Zum Glück hatte er sich nicht das Genick gebrochen. Ein paar Tage Bettruhe würden ihm auf den Weg der Besserung sicherlich helfen.“

 

„Aber wann wird er wieder zu sich kommen?“, schniefte Sophie vor Sorge um ihren Enkel. Sie stand direkt beim Doktor und ging ihm wie selbstverständlich zur Hand.

 

„Das kann ich nicht genau sagen“, gestand ihr der Doktor und beruhigte sie sogleich, als ihre Augen sich vor Angst weiteten und ihre Brille dabei auf ihrem Nasenrücken tiefer abrutschte. „Aber keine Sorge, Eurem Enkel droht keine Lebensgefahr. Er muss sich nur von den Strapazen ausruhen.“

 

Sophie atmete erleichtert auf. Oscar stand die ganze Zeit stumm am Fenster und ließ André nicht aus den Augen. Erneut hatte sie Angst um ihn ertragen müssen und erneut konnte sie ihn nicht vor dem Schlimmen bewahren! Und das war nicht das erste Mal! Oscar erinnerte sich noch genau, als er in der Kaserne von seinen Kameraden zusammengeschlagen wurde, weil die Söldner ihn für einen Spion hielten. Und wenige Monate zuvor hatte ihn der schwarze Ritter am Auge verletzt, weil er für sie den Lockvogel gespielt und dafür sein linkes Auge eingebüßt hatte...

 

Oscar war es so, als bringe sie André nur Unglück. Vielleicht wäre es für ihn besser, wenn sie getrennte Wege gingen? Jedoch wusste sie genau, dass das unmöglich war. André würde ihr immer folgen - das hatte er schon bewiesen, indem sie ihn vor nicht allzu langer Zeit aus ihren Diensten entlassen hatte und er dann später unerwartet in der Kaserne als Soldat auftauchte, wo sie als Befehlshaber versetzt wurde. „Warum tust du das nur?“, dachte Oscar wehmütig bei sich und ihr Brustkorb zog sich erdrückend zusammen: „Warum musst du mich lieben, André? Warum kann es zwischen uns nicht so sein wie früher, als wir noch Kinder waren?“ Oscar war unfähig darauf eine Antwort zu finden. Ihr Denken war wie gelähmt, ihr Blick ruhte nur auf ihren Gefährten und alles, was um sie herum geschah, blendete sie aus.

 

André...

 

Immer wieder André!

 

Oscars Gedanken galten nur ihm. Der Doktor war schon gegangen und Sophie geleitete ihn hinaus. Dennoch stand Oscar weiterhin reglos am Fenster und betrachtete ihren Freund, der immer noch im Bett bewusstlos lag und sich kein einziges Mal bewegt hatte. Nur sein lautloses Atmen und die zurückkehrende Farbe seiner Haut deutete auf ein Lebenszeichen von ihm. In Gedanken versunken bewegte Oscar doch noch ihre Füße. An dem Kopfende seines Bettes blieb sie stehen. Wie friedlich er da lag! Oder kam ihr das nur so vor? Sie kannte doch seinen Schmerz, seine Liebesqual! Verspürte er das auch jetzt? Oscar bewegte leicht ihre Lippen auseinander: „André, kannst du mich hören?“

 

Von ihm kam keine Antwort. Wie denn auch?! Das war ein törichter Versuch. „André...“, brachte Oscar etwas lauter von sich. Sie gab nicht nach. Vielleicht würde ihre Stimme zu ihm durchdringen und ihn aus der Ohnmacht holen? „Es tut mir leid... Es war nicht deine Schuld... Ich alleine trage die Verantwortung für den Unfall... und für alles, was dir widerfahren ist... vergib mir, mein...“ Oscar hielt inne. Schon wieder drohten ihre Gefühle wie ein Fass überzulaufen! Diese weiche, sensible Seite in ihr war ihr fremd und schnürte ihr die Kehle zu. Erneut rief sich Oscar zur Ordnung und als ihr das halbwegs gelang, beendete sie den Satz anders: „Ich schwöre dir, ich werde alles daran setzten, dass du bald wieder gesund wirst...“

 

Auch da regte sich André nicht. Das war kaum zu ertragen! Eine bedrückende Stille legte sich im Raum und vermischte sich mit dem betörenden Geruch nach Medizin, welche Doktor Lasonne in kleinen Phiolen hinterlassen hatte. Oscar hielt es nicht mehr aus – die Stille schien ihr viel zu laut zu sein und raubte ihr beinahe den Verstand! Sie fiel direkt vor dem Bett auf die Knie, bedeckte Andrés Handrücken mit ihrer Hand und vergrub darin ihr Gesicht - so, als wären ihr die Kräfte entwichen. Sie konnte nicht mehr! Der Kloß in ihrer Kehle schien sie zu erdrücken und ihre Augen brannten von den anlaufenden Tränen, die sie krampfhaft versuchte zu unterdrücken. „André...“ Oscar umschloss fester seine Finger – seine Haut fühlte sich rau und warm an. „Bitte, wach doch auf...“ Sie hätte am liebsten aufgeschrien, aber das konnte sie nicht. „Ich... ich brauche dich... ich kann nicht ohne dich...“ Oscar schluchzte verhaltend und ihre Schultern zitterten. Sie fühlte sich schwach, wie ausgemergelt – und sie konnte dem nicht mehr standhalten. Wie beschämend! Ihre Schwäche und nahenden Tränen waren beschämend für ihre Person, aber die Sorge um ihren einzigen und treuen Freund erwies sich zu ihrem Überdruss viel stärker und gewann immer intensiver die Oberhand...

 

 

 

Und wieder verging die Zeit – unerträglich langsam und an den Nerven zerrend. Wie lange sie da so niederkniete wusste Oscar nicht. Andrés warme Hand war bereits von ihren Tränen angefeuchtet und nicht einmal ihre Nähe weckte ihn. Spürte er ihre Anwesenheit überhaupt?

 

Ihr zum Teil aufgelöstes Gemüt beruhigte sich langsam und die Tränen versiegten. Oscar fiel in eine Art wachen Schlaf und merkte somit nicht, wie draußen der Regen aufhörte und der neue Tag den Einzug hielt. Und um diese Zeit kam ihre Mutter heim. Der Kutschenüberfall war bis nach Versailles durchgedrungen und die Königin hatte deshalb Emilie de Jarjayes sofort nach Hause geschickt, damit sie sich um ihre Tochter kümmern konnte und ihr dann berichten sollte, wie schlimm es um Oscar stand.

 

Oscar hörte in ihrem Unterbewusstsein, wie die Tür aufging und jemand in das Zimmer hereinging. Hellwach hob sie ihren Kopf und sah schon ihre Mutter direkt neben ihr stehen. „Vielleicht sollst du lieber dich ins Bett legen. Dort ist es weicher“, sagte sie dabei mütterlich weich und lächelnd.

 

„Nein, Mutter. Mir geht es gut.“ Oscar war es egal, welchen Anblick sie gerade bot. Sie schaute gleich auf André. „Er war immer an meiner Seite. Jetzt werde ich bei ihm sein. Ich werde ihn nicht alleine lassen.“

 

„Du musst aber etwas essen.“ Emilie kam auf sie näher heran und legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. „Es wird alles gut, Oscar.“

 

Oscar nickte. Sie wollte daran glauben, aber das gelang ihr schwer. Was würde denn gut sein? Wenn André erwachen würde, dann würde alles beim Alten bleiben. Diese Gewissheit schmerzte sie tief im Herzen und dennoch erhob sie sich – ihre Gelenke knackten, ihr geschundener Körper schmerzte, aber das ignorierte sie. „Ich bin gleich wieder da.“, murmelte sie zu André und schleppte sich aus seinem Zimmer.

 

Emilie sah ihrer Tochter schwermütig nach. Ihr armes Kind! Zu einem Leben eines Mannes und Offiziers bestimmt, konnte sie nicht einmal ehrlich zu sich selbst sein! Warum musste Reynier sie wie einen Knaben erziehen lassen! Nur weil ihm ein Sohn fehlte und ihm bewusst war, dass seine Frau ihm kein Kind mehr schenken können würde?

 

Ja, das wäre gut möglich... Sie waren beide nicht mehr die Jüngsten und Oscar wurde auch immer älter... Emilie wünschte sich schon immer, Oscar möge irgendwann das Glück einer Frau vergönnt sein und sie von diesem harten Soldatenleben befreien. Leider war ihr auch gleich immer bewusst, dass es unmöglich war, so lange Oscar selbst nicht bereit war das Leben einer Frau zu führen. Emilie seufzte schwer und warf einen Blick auf André. „Werde bitte gesund, mein Junge. Oscar braucht dich jetzt am meisten“, dachte sie bei sich sorgenvoll und verließ sein Zimmer auch.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  YngvartheViking86
2016-06-10T15:33:58+00:00 10.06.2016 17:33
Ein geniales Kapitel. Oscars Sorge kommt mir wie eine unterdrückte Sehnsucht vor.
Ich wette Emilie weiß was in den Beiden vorgeht.
LG Chris
Antwort von:  Saph_ira
10.06.2016 17:46
Das hast du gut erkannt. ;-) Schon als ich diese Folge gesehen hatte, dachte ich mir dass Oscar ihre Gefühle schon da zu André erkennt, aber leider war es ziemlich später geschehen und deshalb versuche ich in dieser FF es etwas umzuändern. ^^ Und ich denke auch, dass Emilie ahnt was in den beiden vorgeht. :-)
Ein liebes Dankeschön für deinen Kommentar. :-)
Liebe Grüße
Ira


Zurück