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Herzenswille

von

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Ein Rückfall?

Nach zwei Tagen wurde die Dreiständekammer eröffnet und ab da an begann sich alles zu ändern: Im Parlament stritten die Vertreter des Adels und der Kirche mit Volksvertretern und kamen zur keiner Einigung – einen ganzen Monat lang nicht. Nun herrschte schon Anfang Juni und es war noch immer keine Besserung in Sicht...

 

„Seit das Parlament eröffnet wurde, gab es noch keine Pause.“, meinte André auf seinem Posten an dem Parlamentsgebäude – die gesamte Söldnertruppe wurde unter dem Kommando von Oscar hierher beordert, um für Ordnung zu sorgen. „Es scheint heiß her zu gehen.“ Und André meinte nicht nur das sonnige Wetter und die Hitze. Er machte sich Gedanken um seine Geliebte und um ein gewisses etwas, dessen Erzeuger er war. Hoffentlich würden die Abgeordneten und die Parlamentarier schon bald zu einer Einigung kommen, so dass Oscar sich etwas erholen konnte – sie sah nämlich ein wenig erschöpft aus und das gefiel André ganz und gar nicht...

 

„Ja.“, stimmte Alain, der neben André auf dem Posten vor dem Parlamentsgebäude stramm ausharrte, ihm auf seine Aussage zu. „Es wird erzählt, dass unsere Volksvertreter den Nichtstuern aus dem Adel und der Kirche ganz schön kräftig zusetzen. Ich könnte was tun, wenn ich dort mal Mäuschen spielen dürfte...“ Gleichmäßige Schritte entstanden hinter ihrem Rücken und Alain sah über die Schulter. „Oh, da kommt unser Kommandant Oscar.“ Er wartete, bis sie die Treppe runter kam und sie beide passierte. „Na, was tut sich da drüben? Gibt es was Neues im Parlament?“

 

„Sie liefern sich bittere Mordgefechte. Wenn die Konferenz vorbei ist, brauchen wir Urlaub. Aber bis dahin müssen wir hart arbeiten.“ Oscar blieb stehen, um einen tiefen Atemzug zu holen. Dem kleinen Wesen unter ihrem Herzen schien es nicht sonderlich zu passen, dass sie ununterbrochen auf den Beinen war und sich keine Ruhe gönnte. Es machte sich mit kleinen Bewegungen in ihrem Bauch bemerkbar und Oscar verdrängte krampfhaft den Drang, ihren Arm um ihre Leibesmitte zu legen. Auch André versuchte sie schweren Herzens nicht anzusehen und ihr auch keine Beachtung zu schenken. Sie waren hier im Dienst und ihre Pflicht hatte größere Priorität. Zudem noch dürfte niemand etwas über ihren Umstand und auch, dass sie Andrés Geliebte war, merken. Aber bald würde ihr keine andere Wahl bleiben, das alles preiszugeben... Jedoch nicht jetzt... Nur noch etwas Geduld... Oscar senkte ihren Blick und dabei fiel ihr etwas ins Auge: eine leere Flasche lag vor ihren Füßen und sie hob sie auf. „Das geht aber nicht!“ Wenigstens half ihr dieses Fundstück ihren kühlen Ton wieder zu finden. „Was macht es für einen Eindruck!“ Sie drehte sich zu der Soldatenreihe um. „Ich habe euch schon mal gesagt, dass die Straße keine Müllkippe ist!“

 

„Entschuldigung. Wir haben das Ding gar nicht bemerkt.“, murmelte André und plötzlich verschleierte sich seine Sicht. Nein, er hatte das doch schon überwunden und er war geheilt! Oder war das ein Rückfall? Und warum ausgerechnet jetzt? André blinzelte, um klarer sehen zu können, aber das half nicht viel – er sah noch immer leicht verschwommen... Nicht schon wieder... Er bemühte sich, nicht mit seinem Arm über die Augen zu reiben, um Oscar nicht zu beunruhigen. Diese merkte in der Tat nichts von seinem Kampf mit sich selbst und richtete ihre nächsten Worte direkt an ihn: „Hier, wirf sie weg!“, ordnete sie an und warf die Flasche ihm zu.

 

„Ja, mache ich.“ André breitete seine Arme aus, behielt die fliegende Flasche im Visier , obwohl seine Sehkraft noch etwas verschleiert war und machte ein paar Schritte nach vorn, um besser fangen zu können. Aber dabei hatte er die Rechnung ohne seine Sehkraft gemacht... Die Sicht verschwamm stärker und er verfehlte sein Fang knapp – die Flasche zerbrach auf den Pflastersteinen fast vor seinen Füßen.

 

„André!“ Oscar riss erschrocken die Augen auf und bekam prompt eine schlechte Vorahnung.

 

Alain eilte gleich herbei, schob André zur Seite und sammelte die Scherben ein. „Fangen ist wohl nicht deine Stärke...“ Er wusste ja über seine schwindende Sehkraft schon von Anbeginn an, als André vor einem Jahr der Söldnertruppe beigetreten war. Ebenso wusste er über seine verborgene Liebesqual zu Kommandant Oscar, was er nicht sonderlich verstand. Nun gut, sie war ein guter Anführer und hervorragender Fechter, aber solche Frauen zu lieben brachte doch nur Schwierigkeiten mit sich... „Lass das nur, ich mach das weg.“, fügte er hinzu und vernahm sogleich Oscars Stimme mit einer weichen Note in ihrem sonst so kühlen Ton: „Hat es etwas mit deinem Auge zu tun?“, vermutete Oscar besorgt und André richtete sich sogleich in ganzer Größe auf. „Nein!“, beteuerte er und lachte gar auf.

 

Alain zog stutzig seine buschigen Augenbrauen zusammen. Etwas stimmte mit den beiden nicht! Zwischen ihnen lag keine altbekannte Distanz, sondern es sah danach aus, als hätten sie etwas zu verheimlichen... Alain sammelte die restlichen Glasscherben auf, er würde das schon in Erfahrung bringen. „Wenn wir hier den ganzen Tag stehen, wird uns etwas schummrig in den Stübchen.“, meinte er verschwörerisch, um seine Vorahnung nicht anmerken zu lassen und André schnappte sich sofort den Köder: „Richtig, genauso ist es! Ich bin ein bisschen erschöpft. Vielleicht sollte ich mich für einen Moment hinsetzen.“

 

„Ja, natürlich, ruh dich aus, André.“ Oscar ließ das mulmige Gefühl nicht los, dass er nicht ganz bei der Wahrheit war. Jedoch war das jetzt gerade nicht der richtige Zeitpunkt, ihn zur Rede zu stellen: Das Rollen einer Kutsche erregte ihre Aufmerksamkeit und kaum dass sie hinsah, passierte diese schon die Tore. „Das ist die Kutsche von Marie Antoinette...“, stellte sie wunderlich fest und ein Verdacht, dass etwas nicht in Ordnung war, breitete sich in ihr aus.

 

Nach der Königin folgte auch der König. Die Unterbrechung des Parlaments konnte nur eines bedeuten: Dem Thronfolger, Prinz Louis Joseph, ging es sehr schlecht. Er war krank – todkrank um genauer zu sein und das auch nicht erst seit Kurzem. Die Versammlung des Parlaments wurde daher aufgelöst, die Söldnertruppe nach Hause geschickt und am Abend wurde die Hitze des Tages durch einen Regen abgelöst. Wenigstens befanden sich Oscar und André dieses eine Mal bereits auf dem Anwesen und standen nicht mehr in den Strömen des Regens am Parlamentsgebäude. Merkwürdigerweise fiel der Regen dieses Jahr viel zu oft und verhieß nichts Gutes für die Ernte, wenn es so weiter gehen würde...

 

„Ein furchtbares Wetter...“, bemerkte dabei André schwer seufzend. „Dem Kleinen Prinzen Joseph soll es sehr schlecht gehen.“ Er stand am Fenster in Oscars Salon, schaute in die verregnete Dunkelheit des späten Abends nach draußen, während seine Geliebte hinter ihm am Tisch saß und einen Tee trank. „Hoffentlich ist es nicht so schlimm...“, erwiderte Oscar bedrückt und legte zart ihre Hand auf die kleine Bauchwölbung, die unter ihrem Hemd und Weste noch genauso gut verborgen war wie unter ihrer kompakten Uniform. „Der Prinz ist noch so jung und er war immer so fröhlich...“ Oscar schmerzte es selbst bei dem Gedanken, welche Qualen der kleine Junge gerade durch seine Krankheit ausfochten musste und versuchte sich gleichzeitig Mut zusprechen. „Aber er ist ein Kämpfer, er wird sich bestimmt wieder erholen.“

 

„Hoffentlich.“ André tat der kleine Prinz auch leid und er vermochte sich nicht vorzustellen, welche Schmerzen er gerade durchleiden musste... Aber gleichzeitig schwebte er nebenbei auch in anderen Gedanken: Der heutige Vorfall mit seiner Sehkraft ließ ihn nicht in Ruhe. Er sah zwar wieder besser und hatte erneut angefangen Medizin einzunehmen, aber wer wusste schon, ob das nicht noch einmal kommen würde? Oder war das heute wirklich so wie Alain es gesagt hatte? Wurde sein rechtes Auge nur überanstrengt und ihm nur wegen der Hitze und weil er ungewohnt so lange unter der segnenden Sonne gestanden hatte, schummrig?

 

„Übrigens...“, hörte er Oscar das Thema wechseln. „Ich habe noch etwas anderes auf dem Herzen. Darf ich mit dir darüber sprechen?“

 

„Natürlich.“ Was war das für eine Frage?! Sie konnte jederzeit mit ihm sprechen! André drehte sich nichts ahnend um und war äußerst überrascht, plötzlich eine Dolchspitze vor seinem Gesicht zu bekommen. „Was soll das?!“, fragte er leicht erschrocken. „Ist das jetzt eine Untersuchung?“ Oder hatte er sich heute beim Fangen der Flasche irgendwie verraten, dass Oscar ihm auf diese Weise auf die Schliche kam?

 

„Wie viele Zinken hat diese Gabel?“ Ihre Frage kam ihr trocken von den Lippen, aber die Sache war ihr wirklich ernst und sie wollte nichts anderes als die Wahrheit.

 

„Mit Verlaub, Oscar, aber das ist ein Dolch und keine Gabel!“ André umschloss ihre Hand mit dem Dolch und zog seine Geliebte schwungvoll an sich. Sie sollte sich nicht um ihn sorgen, sie hatte schon genug mit sich zu tun... Er strich mit seinen Fingern an ihrer Bauchwölbung und Oscar verstand, was er damit andeuten wollte. Dennoch zweifelte sie. Er war ihr schließlich auch wichtig! Neben dem Kind sogar der wichtigster Mensch auf der Welt! Wie konnte er dann von ihr erwarten, dass sie sich um ihn keine Sorgen machte?! „Du meinst, du hast keinen Rückfall?“

 

„Nein, ich schwöre es.“, versicherte er ihr aufrichtig und zog seine Mundwinkel leicht nach oben. „Und wenn, dann würde ich es dir schon sagen, versprochen.“

 

Oscar konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. „Gut.“ Sie hob eine Hand und strich ihm zärtlich an der rechten Wange. „Ich glaube dir.“

 

André umschloss sie etwas fester in seinen Armen, spürte wie ihre Bauchwölbung sich gegen ihn drängte und stellte sich das kleine Wesen darin vor. Das Gefühl, dass ihn dabei überflutete, war mit keinen Worten zu beschreiben. Vielleicht beschwingt, glückselig und berauscht von dem einzigen, innigen Moment, der zwischen ihnen gerade lautlos und wohltuend knisterte... Er wollte sie küssen, sie waren ja ganz alleine unter sich in dem Salon und es würde bestimmt keiner mehr reinkommen... Auch Oscar hatte den gleichen Gedanken und näherte ihr Gesicht langsam zu dem seinen. Dann aber hielt sie hellhörig inne. Im nächsten Augenblick entriss sie sich schon abrupt von ihm und war mit wenigen Schritten am Fenster.

 

„Was hast du, Oscar?“ André folgte ihr unverzüglich nach und obwohl das Rauschen des Regens da draußen alles zu übertönen schien, hörte er trotzdem ganz schwach wie die Glocken von Notre Dame läuteten... Totenglocken... Das hieß nichts Gutes... Und dann trat das ein, was alle schon längst befürchtet hatten: Der kleine Prinz und Thronfolger verlor den Kampf um Leben und Tod. Louis Joseph war nicht einmal acht Jahre alt geworden...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chrizzly
2016-07-19T07:31:38+00:00 19.07.2016 09:31
Süß geworden. Obwohl ich das Drama mit dem kleinen Prinzen immer wieder furchtbar traurig finde. Aber das Kapitel ist wieder sehr schön geworden. Auf alain bin ich ja mal noch gespannt. 😅😅😅😅
Antwort von:  Saph_ira
20.07.2016 20:42
Ein herzliches Dankeschön für deinen lieben Kommi. :-* Auf Alain kannst du ruhig gespannt sein, er wird noch oft vorkommen. ;-)


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