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Herzenswille

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo und herzlich willkommen zu meiner neuen Fanfiction "Herzenswille" und ich wünsche euch allen viel Spaß beim Lesen. ;-) Und natürlich ein liebes Dankeschön an zerocool für das bealesen dieser FF und ich freue mich dass es mit Korrektur so gut geklappt hat. :-)

Liebe Grüße,
Saph_ira Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben!

Hier ist nun das letzte Kapitel und ich wünsche euch viel spaß beim Lesen. :-)

Liebe Grüße,
Saph_ira Komplett anzeigen

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Wütender Mob

Ein Abend...

 

Es sollte doch ein ganz gewöhnlicher Abend im Sommer werden! Sie wollten doch nur einem obersten General für die Freilassung eines Soldaten danken! Lassalle hatte vorgestern sein Gewehr verkauft und wurde dadurch von der Militärpolizei verhaftet. Ihm hatte die Exekution gedroht. Oscar hatte sich für ihn eingesetzt und den obersten General von seiner Unschuld überzeugt. Nun fuhr sie mit André durch die nächtliche Großstadt Paris in einer Kutsche, um eben diesem General für Lassalle zu danken.

 

Weder Oscar noch André hatten jemals mit einem wütenden Mob gerechnet. Wie aus heiterem Himmel und ohne Erbarmen überfielen sie das prächtige Gefährt. Etwa Hundert Menschen von bürgerlicher Herkunft krochen aus allen Ecken wie Ameisen, umzingelten die Kutsche und zerrten brutal die Insassen heraus. Nur weil die Kutsche einem Adligen gehörte und das einfache Volk die Unterdrückung nicht mehr aushielt - sie hassten den Adel und die Monarchie abgrundtief!

 

„Hört auf! André ist nicht von Adel, bitte verschont ihn!“, schrie Oscar aufgebracht, während die wutentbrannte Menschenmasse sie von ihrem Freund trennte und von ihnen in eine andere Richtung weggeschleppt wurde. Ihr heiser und gleichzeitig flehender Ausruf verlor sich in dem Wirrwarr der hasserfüllten Stimmen. Kein Mensch hörte auf sie. Jeder von ihnen sann nach Rache und war bereit, jeden Adligen zu töten, der ihnen in den Weg kam! In dem Getöse waren ihre brüllenden Stimmen lauter, fordernder und grollender, als die flehentliche Rufe eines Aristokraten.

 

Oscar wurde in der tobenden Menge zu Boden geschlagen. Immer und immer wieder spürte sie Fußtritte und Fäuste an ihrem zierlichen Körper. Sie bedeckte ihren Kopf mit beiden Armen, damit wenigstens dieser nicht so viele Schläge abbekam. Sie war nicht fähig sich zu wehren. Wie denn auch? Es waren einfach zu viele...

 

Oscar glaubte Andrés Stimme in der Ferne wahrgenommen zu haben: Er rief ihren Namen – panisch und verzweifelt. Sie versuchte mit aller Kraft ihm zurückzurufen: „André!“ In dem Moment traf sie hart ein Knüppel in die Seite und sie schnappte heftig nach Luft. „André...“, japste sie erstickt und spürte schon einen Fußtritt in ihrer Mitte. Nach diesem folgten als nächstes Fausthiebe und sie wusste, es würde nicht aufhören, bis sie tot war...

 

 

 

André hatte von Oscar keinen einzigen Laut mehr gehört, seit man sie aus der Kutsche gezerrt hatte. Er war zu weit weg von ihr. Der wütende Mob hatte ihn von ihr getrennt und mit sich fortgespült – so, wie ein tosender Fluss ein Gegenstand mit sich fortspülte. André wehrte sich gegen die Strömung, versuchte zu Oscar zu gelangen und bekam dafür noch mehr Schläge von allen Seiten. „Oscar!“, schrie er verzweifelt - immer und immer wieder. Seine Stimme wurde immer brüchiger und leiser. Er bekam kaum noch Luft zum Atmen. „Oscar...“

 

Die Rettung kam genauso unerwartet, wie der Überfall selbst. In tobender und nach Rache sinnender Menschenmasse vernahm André schwach mehrere Hufschläge von vielen Pferden. Wie aus der Ferne kamen sie auf sie zu. So, als würde eine Armee im vollen Galopp sich nähren. Es wäre schön, wenn es eine königliche Armee wäre! Und dann glaubte André die Stimme des Grafen von Fersen gehört zu haben. Dieser rief suchend nach Oscar. André hörte auf sich zu wehren. „Wenigstens wirst du gerettet, Oscar...“, dachte er bei sich und wurde noch heftiger zusammengeschlagen.

 

 

 

- - -

 

 

 

Oscar hätte bestimmt nie im Leben gedacht, ausgerechnet von dem Mann gerettet zu werden, dem sie zu lieben geglaubt und zu dem sie vor Monaten die Freundschaft beendet hatte. Von Fersen kam mit dreihundert Soldaten aus der königlichen Armee und während die wütenden Menschen sich aufgeschreckt zerstreuten, brachte er Oscar in eine Seitengasse in Sicherheit. Er lehnte sie an die kahle Wand eines Hauses und hielt sie bei den Oberarmen fest, um ihr einen noch sichereren Halt zu gewähren. „Der Spuk ist vorbei, Lady Oscar“, sprach von Fersen dabei auf sie beruhigend ein.

 

Oscar sah ihn so nahe vor sich, wie noch nie zuvor. Nicht einmal als sie mit ihm das einzige Mal vor wenigen Jahren getanzt hatte, war er ihr so nahe wie jetzt. „Von Fersen...“, murmelte sie schwach und dann plötzlich war sie wieder hellwach. „André! Wo ist André?!“ Sie sperrte alle ihren Körperschmerzen aus, ihr Herz schlug aufgebracht und ihre Füße machten schon den Ansatz, um loszurennen.

 

Von Fersen hielt sie noch rechtzeitig von ihrem waghalsigen Versuch ab und drückte sie fester gegen die Wand. „Beruhigt Euch! Ihr dürft Euch jetzt nicht aufregen!“

 

Oscar fühlte sich eingezwängt, in ihr brodelte rasend das Blut und sie begann sich zu wehren. Sie versuchte von Fersen von sich zu stoßen und von ihm Reißaus zu nehmen. „Lasst mich los! Ihr dürft mich nicht aufhalten!“, brüllte sie ihn dabei besinnungslos an: „Mein André ist in Gefahr!“ Und dann erlahmte sie plötzlich. Sie sah von Fersen mit weit aufgerissenen Augen an und glaubte selbst nicht daran, was sie da gerade gesagt hatte.

 

Von Fersen sah sie genauso überrascht an. „Was sagt Ihr da: Mein André ist in Gefahr?“ Er bekam darauf keine Antwort. Oscar starrte ihn perplex an und versuchte bestimmt selbst ihre eigenen Worte zu begreifen. Von Fersen las die Sorge in ihren Augen und verstand auf Anhieb, was Oscar bewegte. „Also gut. Ihr versprecht hier zu bleiben. Ich werde versuchen, Eurem Freund zu helfen.“ Er ließ sie sogleich los und war im nächsten Augenblick fort.

 

Oscar nahm das alles kaum wahr. Sie glitt an der Wand in die Hocke und war wie gelähmt. „Mein André... Du musst leben...“, murmelte sie stockend. War das etwa nur die Sorge um ihren langjährigen Freund aus Kindertagen, die sie bis ins Mark zerfraß und ihr Herz bluten ließ?

Oscar fühlte sich elend und erbärmlich, als sie daran dachte, dass André womöglich umgekommen sein könnte. Nein, das dürfte nicht passieren! Er war ihr wichtig, sehr wichtig sogar! Und sie musste ihm beistehen! Egal, was von Fersen zu ihr gesagt hatte, sie musste André finden, ihn mit eigenen Augen sehen und sich von seinem Zustand selbst vergewissern! In welcher Verfassung André auch sein mochte, aber sie musste zu ihm!

 

Oscar rappelte sich quälend auf die Beine hoch, biss die Zähne zusammen und mit einem Arm an der Wand stützend, setzte sie einen Fuß vor dem anderen. Sie hörte von Fersens Stimme und verharrte für einen kurzen Augenblick. Es hörte sich danach an, als hätte er André gefunden. Oscar spähte vorsichtig um die Ecke der Gasse und versuchte zu erhaschen, aus welchen Richtung sie kam.

 

Etwa eine Straße weiter wurde André in der Tat von dem Grafen gefunden. Der wütende Mob war gerade dabei, ihn an einem improvisatorischen Galgen aufzuhängen. Von Fersen verhinderte das, in dem er seine Pistole mit dem Lauf nach oben abfeuerte und zu den Menschen lauthals brüllte: „Hört auf mich, bevor euch es noch leidtun wird! Mein Name ist Hans Axel von Fersen!“

 

„Graf Hans Axel von Fersen?“, spie einer ungläubig aus dem Knäuel.

 

„Von Fersen? Das ist doch der Liebhaber von Marie Antoinette!“, leuchtete es einem anderen verächtlich ein.

 

Unverständliches Murren und Knurren entstand zwischen den aufgebrachten Menschen. In dem Moment war André ganz vergessen und die Rachegelüste richteten sich jetzt auf den Grafen. „Schnappt ihn euch!“, rief jemand provokativ und der Mob marschierte los.

 

Von Fersen hatte nur darauf gewartet. Er wendete sein Pferd, stieß ihm in die Seiten und galoppierte weg. Die Menschen setzten ihm nach und André blieb somit ganz alleine am Boden kauern. Er versuchte zu begreifen, was gerade vorgefallen war. War von Fersen tatsächlich hier, um ihn zu retten? Aber wieso? Aus welchen Grund? Oder steckte womöglich Oscar dahinter? Wenn dem so war, dann ging es ihr gut!

 

André atmete auf. Sein ganzer Körper schmerzte und brannte höllisch. Aber wenn er daran dachte, dass es Oscar gut ging, dann war sein Pein nicht von Bedeutung. Er versuchte sich hochzurappeln, aber scheiterte. Seine Hände waren mit einem Strick nach hinten gebunden und seine Glieder gehorchten ihm nicht. Dann bemerkte er schemenhaft eine schmale Gestalt, nicht weit vor ihm. Sie stützte sich an einer Hauswand und bewegte sich schleppend auf ihn zu. Trotz der spärlichen Dunkelheit des späten Abends und seiner verschleierten Sehkraft erkannte er sie sofort. „Oscar!“

 

Oscar hatte ihn deutlich gehört und bewegte sich schneller. „André!“, rief sie ihm halblaut zu und stand schon in wenigen Augenblicken vor ihm. „André...“, wiederholte sie mit glasigen Augen und kniete sich zu ihm vor. Sie zückte ihren Dolch und durchtrennte seine Fesseln. André rieb sich die Handgelenke und stöhnte schmerzverzerrt auf - man hatte ihm anscheinend den Arm gebrochen. Wenn es keine gefährliche Situation wäre, dann wären sich die beiden vielleicht in die Arme gefallen. „Wir müssen hier weg.“, sagte Oscar sachlich, obwohl ihre glänzenden Augen eine andere Sprache verrieten. Sie half André beim Aufstehen und da hörten sie wieder Hufklappen von Pferden.

 

„Kommandant de Jarjayes!“, rief dabei eine tiefe Stimme.

 

„Das sind königliche Soldaten!“ Oscar strafte ihren Rücken, unterdrückte gewissenhaft ihre schmerzenden Knochen und antwortete laut und energisch zurück: „Wir sind hier!“

 

Eine Gruppe von sechs Männern auf Pferden erreichten sie und der ranghöhere Offizier von ihnen redete schon schnell weiter: „Kommandant! Wir haben den Befehl bekommen, Euch sicheren Geleits von hier nach Hause zu bringen!“ Er schnippte seinem Kameraden mit dem Finger und dieser übergab ihr die Zügel eines Pferdes. „Beeilt Euch. Der Mob hat sich noch nicht ganz zerstreut.“

 

Oscar dagegen starrte auf das reiterlose Tier. Warum stellte man ihnen nur ein Pferd zur Verfügung? Wusste man denn nicht, dass sie immer in Begleitung ihres Gefährten war? Oder dachte man nicht an ihn, sondern nur an sie, weil sie höheren Standes war?

 

„Oscar...“, hörte sie André hinter sich bestimmend sagen, „Steig auf und bring dich in Sicherheit.“

 

„Nein!“ Oscar drehte sich halb zu ihm um. Wie konnte er so etwas nur in Erwägung ziehen?! So als wäre er nichts wert! „Wenn ich von hier fort reite, dann nur mit dir! Entweder wir beide oder gar keiner von uns!“

 

„Aber Oscar...“, wandte André stockend ein.

 

„Keine Widerrede! Ich lass dich nicht hier zurück! Du reitest bei mir!“ Oscar schenkte ihm ihren altbekannten kühlen Blick, der keine Ausflüchte duldete und begab sich zu dem Pferd. Sie schob einen Fuß in den Steigbügel und saß auf. Sofort meldeten sich heftige Schmerzen, aber sie gab nichts davon Preis. Sie rückte sich etwas nach vorn und herrschte die Soldaten in ihrem befehlshaberischen Ton an: „Helft ihm beim Aufsteigen! Er hat einen gebrochenen Arm!“

 

„Zu Befehl.“ Zwar widerwillig, aber die Soldaten gehorchten ihr.

 

„Wir werden aber langsamer vorankommen, Oscar...“, meinte André, als er hinter ihr mit Hilfe der Soldaten aufgesessen hatte.

 

„Das ist mir gleich!“, knurrte diese und nahm die Zügel an sich: „Halt dich an mir fest und dann wird es schon gehen!“

 

André schlang zögerlich seinen gesunden Arm um ihre Mitte und Oscar trabte das Pferd schon an. Im gestreckten Ritt ließen sie Paris hinter sich und ritten auf das Anwesen zu. So nahe, hatte André Oscar noch nie gespürt. Ihr Becken drückte sich leicht zwischen seinen Schenkeln und ihr Rücken berührte seinen Brustkorb. Ihre goldblonde Haarmähne wehte ihm beinahe ins Gesicht, aber das störte ihn nicht. Er versuchte diese Nähe zu ihr sich einzuprägen. Das war falsch und hoffnungslos, aber für ihn sehr kostbar. Er war froh, dass Oscar lebte. Daran was mit ihm geschehen war, verschwendete er keinen Gedanken.

 

Oscar spürte seinen Körper hinter sich und den festen Druck seines Armes um ihre Mitte - ihr war das aber nicht unangenehm. Ihr wurde sogar etwas wärmer ums Herz, weil er lebte und weil sie ihn nicht verloren hatte. André war kräftiger als sie, das hatte Oscar schon einmal zu spüren bekommen, als er fast über sie hergefallen war - das lag allerdings einige Monate zurück und sie hatte ihm den Vorfall verziehen, aber vergessen konnte sie es trotzdem nicht. Damals hatte André seine Tat sofort bereut und unter Tränen geschworen, dass er so etwas nie wieder tun würde! Und zu allen Überfluss hatte er ihr noch seine Liebe gestanden. Wie vermochte es in ihm jetzt aussehen?! Das war nicht der richtige Moment, eine völlig falsche Situation, um darüber nachzudenken – aber dennoch...

 

„Oscar...“, hörte sie ihn nahe an ihrem Ohr flüstern.

 

„Was ist, André?“ Eine erdrückende Sorge keimte in ihr auf. Ging es ihm noch schlimmer? Vielleicht sollte sie ihr Pferd verlangsamen?

 

„Es tut mir leid...“, flüsterte André erneut halblaut und seine Hand umfasste sie fester um die Mitte, „...dass ich dir nicht helfen konnte...“

 

„Es ist nicht deine Schuld, André.“ Oscar schluckte einen dicken Kloß herunter. Ihr Herz zerriss in Fetzen und dämpfte sogar den körperlichen Schmerz. Wenn André ihr Gesicht sehen könnte, dann hätte er ihre haltlosen Tränen sofort gemerkt. „Halt dich an mir noch fester und fall nicht runter. Wir sind gleich zuhause...“ Sie bemühte sich um einen festen Tonfall und trieb das Pferd schneller an.

 

Bis sie bei dem Anwesen ankamen, versiegten ihr die Tränen und der Gegenwind trocknete die verräterische Nässe auf ihrem Gesicht. Ihr Herz blutete dennoch qualvoll weiter und ihr kam es so vor, als würden scharfe Dolche in ihr Brustkorb erbarmungslos einschneiden...

Zusammenbruch

Kurz vor Morgengrauen setzte der Regen ein – zuerst fielen langsam die Tropfen auf den Boden, dann wurde der Regen immer stärker und stürmischer. In Strömen goss er über die Erde, überflutete Straßen und peitschte tosend gegen die Fensterscheiben der Häuser. Kein vernünftiger Mensch würde sich jetzt nach draußen wagen, geschweige denn bei diesem Unwetter Überfälle auf adlige Kutschen veranstalten. Oder waren die Bürger bereits so stark verzweifelt und wütend, dass ihnen solch ein grausiges Wetter nichts mehr anhaben würde? Wäre möglich, denn zu lange hatte der dritte Stand unter dem monarchistischen Regime gelitten und Unterdrückung ausgehalten...

 

Wenn Oscar zurück dachte, wie knapp André und sie dem wütenden Mob vor wenigen Stunden mit dem Leben davon gekommen waren, dann lief ihr jedes Mal ein eisiger Schauer über den Rücken. Nicht einmal das prasselnde Feuer im Kamin und die vertraute Wärme in ihrem Salon oder die Gewissheit, dass es Ende Sommer war, vermochten diese Kälte zu verjagen.

 

Unter dem dünnen Stoff ihres Hemdes spürte Oscar den fest angelegten Verband um ihre Körpermitte und den leicht brennenden Schmerz ihrer Blessuren und Wunden, während sie tiefsinnig bei diesen düsteren Gedanken ein- und ausatmete. Um ihre Stirn und auf ihren Händen und Armen trug sie auch Bandagen, die ihr unmissverständlich verrieten, welche Verletzungen sie darunter trug und wie gewaltig und erbarmungslos Menschen sein konnten, wenn sie entschlossen und hasserfüllt waren...

 

Und da war noch André – ihr Begleiter und Gefährte seit Kindertagen...

 

Der Familienarzt des Hauses hatte sich um sie beide sofort gekümmert, sie beide verarztet und medizinisch versorgt, nachdem man sie auf das Anwesen ohne weitere Zwischenfälle von Paris bis hierher gebracht hatte. Jetzt saß Oscar an einem Tisch in ihrem Salon und versuchte die Geschehnisse zu verarbeiten. Sie sollte sich hinlegen und ausruhen hatte der Doktor gesagt. Aber wie konnte man an Erholung und Schlaf nach so einem Vorfall nur denken?! Die wütenden und hasserfüllten Menschenmassen hatten dafür gesorgt, dass sie keinen Schlaf in dieser Nacht mehr fanden.

 

Jemand öffnete die Tür und Oscar sah hin. Ihr einstiges Kindermädchen ging mit beladenem Tablett herein und stellte es auf dem Tisch ab. „Ich bringe Euch eine heiße Tasse Schokolade - das wird Euch gut tun.“, redete sie dabei in einem besorgten Ton, „Ich kann mir vorstellen, wie Euch zumute ist... Was sind das nur für Zeiten?! Man kann sich nicht mehr nach Paris trauen!“

 

Das hatte man nun davon, wenn die Verhältnisse im Land sich nicht änderten, sich weder verschlechterten noch besserten. Oscar nahm derweilen die besagte Tasse und trank einen kleinen Schluck von der Schokolade. Sie wollte nicht darauf eingehen und mit der alten Haushälterin darüber sprechen. „Wie geht es André inzwischen?“, fragte sie, um von dem Thema abzulenken.

 

„Zum Glück hat er keine schweren Verletzungen. Und Ihr wisst, er ist ein sehr tapferer Junge. Er kommt schon wieder auf die Beine.“, sinnierte Sophie und kam wieder auf das Thema zurück: „Aber denkt erst mal an Euch. Ihr solltet mal einfach aufs Land fahren...“

 

Eigentlich ein gutgemeinter Ratschlag, das wusste Oscar, aber... „Aufs Land?“ Sie lachte freudlos auf. „Du willst mich wohl dem Pöbel zum Fraß vorwerfen?!“

 

Die alte Haushälterin verzog missverstanden ihr rundes und faltiges Gesicht. „Also macht bitte keine Witze! Ich habe schon genug Sorgen mit Euch!“ Sie wandte sich sogleich ab und ging beleidigt aus dem Salon.

 

„Entschuldige, Sophie! Vielen Dank! Die Schokolade ist vorzüglich!“, rief ihr Oscar versöhnlich nach, aber Sophie war schon weg. Oscar nahm noch einen Schluck des Getränkes und als sie die warme Tasse von ihren Lippen absetzte, kehrte sie in ihre Gedanken zurück. Bilder des Geschehens verfolgten sie ununterbrochen und erneut musste sie an ihren Freund denken: „André! Wo ist André! Lasst mich los, mein André ist in Gefahr!“, hatte sie von Fersen angeschrien und diese Szene kreiste ihr immer wieder durch den Kopf. Und da war noch der Ritt mit ihm auf einem Pferd. Sie hatten kaum Wörter auf dem Weg hierher miteinander gewechselt und dennoch spürte Oscar seine Nähe noch immer an ihrem Körper. Ihr Herz hämmerte wieder schneller gegen ihre geschundenen Rippen und stach dabei schmerzlich. Oscar schloss ihre Augen, um ihr Herz zu beruhigen und die aufkeimende Empfindung niederzuringen. Aber nicht für lange. Wieder hörte sie, dass jemand die Tür öffnete und ihr Salon betrat. Oscar machte die Augen auf und schaute hin.

 

André stand in der Tür – in einem Hemd und einer Hose bereits umgezogen. Genauso wie sie trug er einen Verband um seinen Kopf und an seinem Körper. Einziger Unterschied war, dass sein rechtes Arm, der ihm beim Übergriff gebrochen wurde, in der Schlinge ruhte. Sophie hatte recht, er hatte ebenso wie sie keine schweren Verletzungen davon getragen – welch ein Trost. „Oscar, ich habe soeben erfahren, dass Graf von Fersen sicher nach Versailles zurückgekehrt ist“, berichtete André ihr gleich von der Türschwelle und in seinem typischen, freundlichen Ton. Er versuchte sich dabei sogar an einem Schmunzeln.

 

„Das ist gut.“ Oscar konnte die Erleichterung in ihrer Stimme nicht unterdrücken und zwang sich zu einem, kaum merklichen Lächeln. Sie betrachtete André ausgiebig, entdeckte keine weitere Auffälligkeiten, dass es ihm schlechter gehen könnte und ihre Mundwinkel zogen sich mehr nach oben. „Möchtest du dich zu mir setzen?“

 

André merkte ihr kaum merkliches Lächeln und das schmerzte ihn zu tiefst. Sie freute sich bestimmt wegen von Fersen und das hieß, dass sie ihre Gefühle zu diesem Mann noch nicht überwunden hatte! Aber was hatte er denn anderes erwartet? Oscar hatte doch geschworen, diese weibliche Gefühle nie mehr wieder zuzulassen, weil sie von der Liebe verletzt wurde. Von der Liebe, die sie vor einiger Zeit zum Grafen von Fersen, der ohnehin für immer und ewig zu der Königin gehörte, empfunden hatte... In Oscar sah von Fersen nur eine Freundin und Kameradin – mehr nicht. Das war der Grund, weshalb Oscar die Freundschaft zu ihm beendete und versuchte krampfhaft das Leben eines Mannes weiter so zu führen, wie ihr Vater sie dafür von ihrer Geburt an erzogen hatte. Und deshalb antwortete André ihr beherrscht, ohne das es überhaupt stimmte: „Verzeih, aber ich habe keine Zeit.“ Er wartete nicht, bis sie etwas sagte und verließ ihren Salon auf der Stelle.

 

Oscar hielt ihn nicht auf. Hauptsache sie hatte gesehen, dass es ihm gut ging - im Gegensatz zu ihr. Zumindest nicht, was ihren Gefühlen betraf. Seufzend stand sie von ihrem Stuhl auf und ging ans Fenster. Der Regen draußen trommelte weiterhin in Strömen und Oscar konnte kaum noch etwas erkennen. Das war ihr jedoch einerlei. In ihr herrschte ein Gefühlschaos und ihr kam so vor, als bräche um sie herum alles zusammen! Was war nur mit ihr los?!

 

 

 

André seinerseits hätte Oscar gerne den Gefallen getan und wäre bei ihr geblieben. Aber das konnte er nicht. Nicht nach dem sie ihm ein kleines Lächeln gezeigt hatte, das offensichtlich für von Fersen galt! Das konnte er nicht ertragen! Deshalb hatte er eine Ausrede gefunden und sie verlassen. Warum hatte er ihr überhaupt berichtet, dass von Fersen sicher angekommen war? Er fügte doch sich selbst damit die Schmerzen zu! Sein Herz litt dabei immer mehr...

 

Aber André kannte die Antwort: Er tat es für Oscar! Weil er sie liebte und weil er sie glücklich sehen wollte. Sie würde ihn nie lieben können wie er sie. Wieso war sie dann so besorgt um ihn und wollte nicht ohne ihn nach Hause reiten?

 

Auch darauf fand André die Antwort: Er war ihr Freund, mit dem sie aufgewachsen war und den sie sehr schätzte. Mehr nicht. André erinnerte sich noch deutlich an die vergangene Zeit vor etwa fünfzehn Jahren, als Oscar sich für ihn vor dem damaligen König, Ludwig XV, eingesetzt hatte. Damals hatte sie ihn gerettet und vor dem sicheren Tod bewahrt. Auch von Fersen hatte sich für ihn eingesetzt. Den Grund dafür wusste keiner und niemand hatte damals geahnt, was viele Jahre später auf sie alle zukommen würde...

 

André schleppte sich den langen Gang entlang und dann passierte es wieder: Seine Sehkraft schwand! Systematisch bedeckte er sein Auge mit dem gesundem Arm und rieb mit seinem Handrücken darüber - jedoch seine Füße bewegte er trotzdem weiter. Das würde gleich vergehen und er würde wieder sehen können! In letzter Zeit war es schon ein paar Male passiert, dass die Sehkraft auf dem gesundem Auge sich urplötzlich verschlechterte und es um ihn herum alles dunkler wurde... Blindlings und auf wackeligen Beinen schwankend erreichte André das Ende des langen Ganges, ohne es zu merken... Somit merkte er auch nicht die Treppe, die am Ende des Ganges in das untere Stockwerk führte... Der Boden verschwand plötzlich unter seinen Füßen und er fiel wie in einen tiefen Abgrund. Mit einem überraschten Aufschrei purzelte er nach unten und blieb am Fuße der Treppe reglos liegen...

 

„André!“ Der entsetzte Schreckenslaut von seiner Großmutter hallte schrill durch das ganze Anwesen und drang somit bis in den Salon von Oscar. Sophies Schützling eilte unverzüglich herbei und ein eiskalter Schauer überlief ihren Rücken, als sie ihren Freund grotesk und reglos liegend bei den letzten Stufen sah. „Um Gotteswillen, André!!!“

Sorge

Stunden...

 

Endlose Stunden vergingen, aber André kam immer noch nicht zu sich...

 

Er lag in seinem Bett als wäre er eine leblose Hülle und nur sein leicht senkender und hebender Brustkorb verriet, dass er noch lebte...

 

Doktor Lasonne, der ihn erneut untersuchte, sprach nebenbei mit Andrés Großmutter: „Zum Glück hatte er sich nicht das Genick gebrochen. Ein paar Tage Bettruhe würden ihm auf den Weg der Besserung sicherlich helfen.“

 

„Aber wann wird er wieder zu sich kommen?“, schniefte Sophie vor Sorge um ihren Enkel. Sie stand direkt beim Doktor und ging ihm wie selbstverständlich zur Hand.

 

„Das kann ich nicht genau sagen“, gestand ihr der Doktor und beruhigte sie sogleich, als ihre Augen sich vor Angst weiteten und ihre Brille dabei auf ihrem Nasenrücken tiefer abrutschte. „Aber keine Sorge, Eurem Enkel droht keine Lebensgefahr. Er muss sich nur von den Strapazen ausruhen.“

 

Sophie atmete erleichtert auf. Oscar stand die ganze Zeit stumm am Fenster und ließ André nicht aus den Augen. Erneut hatte sie Angst um ihn ertragen müssen und erneut konnte sie ihn nicht vor dem Schlimmen bewahren! Und das war nicht das erste Mal! Oscar erinnerte sich noch genau, als er in der Kaserne von seinen Kameraden zusammengeschlagen wurde, weil die Söldner ihn für einen Spion hielten. Und wenige Monate zuvor hatte ihn der schwarze Ritter am Auge verletzt, weil er für sie den Lockvogel gespielt und dafür sein linkes Auge eingebüßt hatte...

 

Oscar war es so, als bringe sie André nur Unglück. Vielleicht wäre es für ihn besser, wenn sie getrennte Wege gingen? Jedoch wusste sie genau, dass das unmöglich war. André würde ihr immer folgen - das hatte er schon bewiesen, indem sie ihn vor nicht allzu langer Zeit aus ihren Diensten entlassen hatte und er dann später unerwartet in der Kaserne als Soldat auftauchte, wo sie als Befehlshaber versetzt wurde. „Warum tust du das nur?“, dachte Oscar wehmütig bei sich und ihr Brustkorb zog sich erdrückend zusammen: „Warum musst du mich lieben, André? Warum kann es zwischen uns nicht so sein wie früher, als wir noch Kinder waren?“ Oscar war unfähig darauf eine Antwort zu finden. Ihr Denken war wie gelähmt, ihr Blick ruhte nur auf ihren Gefährten und alles, was um sie herum geschah, blendete sie aus.

 

André...

 

Immer wieder André!

 

Oscars Gedanken galten nur ihm. Der Doktor war schon gegangen und Sophie geleitete ihn hinaus. Dennoch stand Oscar weiterhin reglos am Fenster und betrachtete ihren Freund, der immer noch im Bett bewusstlos lag und sich kein einziges Mal bewegt hatte. Nur sein lautloses Atmen und die zurückkehrende Farbe seiner Haut deutete auf ein Lebenszeichen von ihm. In Gedanken versunken bewegte Oscar doch noch ihre Füße. An dem Kopfende seines Bettes blieb sie stehen. Wie friedlich er da lag! Oder kam ihr das nur so vor? Sie kannte doch seinen Schmerz, seine Liebesqual! Verspürte er das auch jetzt? Oscar bewegte leicht ihre Lippen auseinander: „André, kannst du mich hören?“

 

Von ihm kam keine Antwort. Wie denn auch?! Das war ein törichter Versuch. „André...“, brachte Oscar etwas lauter von sich. Sie gab nicht nach. Vielleicht würde ihre Stimme zu ihm durchdringen und ihn aus der Ohnmacht holen? „Es tut mir leid... Es war nicht deine Schuld... Ich alleine trage die Verantwortung für den Unfall... und für alles, was dir widerfahren ist... vergib mir, mein...“ Oscar hielt inne. Schon wieder drohten ihre Gefühle wie ein Fass überzulaufen! Diese weiche, sensible Seite in ihr war ihr fremd und schnürte ihr die Kehle zu. Erneut rief sich Oscar zur Ordnung und als ihr das halbwegs gelang, beendete sie den Satz anders: „Ich schwöre dir, ich werde alles daran setzten, dass du bald wieder gesund wirst...“

 

Auch da regte sich André nicht. Das war kaum zu ertragen! Eine bedrückende Stille legte sich im Raum und vermischte sich mit dem betörenden Geruch nach Medizin, welche Doktor Lasonne in kleinen Phiolen hinterlassen hatte. Oscar hielt es nicht mehr aus – die Stille schien ihr viel zu laut zu sein und raubte ihr beinahe den Verstand! Sie fiel direkt vor dem Bett auf die Knie, bedeckte Andrés Handrücken mit ihrer Hand und vergrub darin ihr Gesicht - so, als wären ihr die Kräfte entwichen. Sie konnte nicht mehr! Der Kloß in ihrer Kehle schien sie zu erdrücken und ihre Augen brannten von den anlaufenden Tränen, die sie krampfhaft versuchte zu unterdrücken. „André...“ Oscar umschloss fester seine Finger – seine Haut fühlte sich rau und warm an. „Bitte, wach doch auf...“ Sie hätte am liebsten aufgeschrien, aber das konnte sie nicht. „Ich... ich brauche dich... ich kann nicht ohne dich...“ Oscar schluchzte verhaltend und ihre Schultern zitterten. Sie fühlte sich schwach, wie ausgemergelt – und sie konnte dem nicht mehr standhalten. Wie beschämend! Ihre Schwäche und nahenden Tränen waren beschämend für ihre Person, aber die Sorge um ihren einzigen und treuen Freund erwies sich zu ihrem Überdruss viel stärker und gewann immer intensiver die Oberhand...

 

 

 

Und wieder verging die Zeit – unerträglich langsam und an den Nerven zerrend. Wie lange sie da so niederkniete wusste Oscar nicht. Andrés warme Hand war bereits von ihren Tränen angefeuchtet und nicht einmal ihre Nähe weckte ihn. Spürte er ihre Anwesenheit überhaupt?

 

Ihr zum Teil aufgelöstes Gemüt beruhigte sich langsam und die Tränen versiegten. Oscar fiel in eine Art wachen Schlaf und merkte somit nicht, wie draußen der Regen aufhörte und der neue Tag den Einzug hielt. Und um diese Zeit kam ihre Mutter heim. Der Kutschenüberfall war bis nach Versailles durchgedrungen und die Königin hatte deshalb Emilie de Jarjayes sofort nach Hause geschickt, damit sie sich um ihre Tochter kümmern konnte und ihr dann berichten sollte, wie schlimm es um Oscar stand.

 

Oscar hörte in ihrem Unterbewusstsein, wie die Tür aufging und jemand in das Zimmer hereinging. Hellwach hob sie ihren Kopf und sah schon ihre Mutter direkt neben ihr stehen. „Vielleicht sollst du lieber dich ins Bett legen. Dort ist es weicher“, sagte sie dabei mütterlich weich und lächelnd.

 

„Nein, Mutter. Mir geht es gut.“ Oscar war es egal, welchen Anblick sie gerade bot. Sie schaute gleich auf André. „Er war immer an meiner Seite. Jetzt werde ich bei ihm sein. Ich werde ihn nicht alleine lassen.“

 

„Du musst aber etwas essen.“ Emilie kam auf sie näher heran und legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. „Es wird alles gut, Oscar.“

 

Oscar nickte. Sie wollte daran glauben, aber das gelang ihr schwer. Was würde denn gut sein? Wenn André erwachen würde, dann würde alles beim Alten bleiben. Diese Gewissheit schmerzte sie tief im Herzen und dennoch erhob sie sich – ihre Gelenke knackten, ihr geschundener Körper schmerzte, aber das ignorierte sie. „Ich bin gleich wieder da.“, murmelte sie zu André und schleppte sich aus seinem Zimmer.

 

Emilie sah ihrer Tochter schwermütig nach. Ihr armes Kind! Zu einem Leben eines Mannes und Offiziers bestimmt, konnte sie nicht einmal ehrlich zu sich selbst sein! Warum musste Reynier sie wie einen Knaben erziehen lassen! Nur weil ihm ein Sohn fehlte und ihm bewusst war, dass seine Frau ihm kein Kind mehr schenken können würde?

 

Ja, das wäre gut möglich... Sie waren beide nicht mehr die Jüngsten und Oscar wurde auch immer älter... Emilie wünschte sich schon immer, Oscar möge irgendwann das Glück einer Frau vergönnt sein und sie von diesem harten Soldatenleben befreien. Leider war ihr auch gleich immer bewusst, dass es unmöglich war, so lange Oscar selbst nicht bereit war das Leben einer Frau zu führen. Emilie seufzte schwer und warf einen Blick auf André. „Werde bitte gesund, mein Junge. Oscar braucht dich jetzt am meisten“, dachte sie bei sich sorgenvoll und verließ sein Zimmer auch.

Hilflos

Um die Nachmittagszeit kam der Arzt wieder, um nach den beiden Kranken zu sehen. André war immer noch nicht aufgewacht. Doktor Lasonne untersuchte ihn und wechselte ihm die Bandagen. Zu seiner Großmutter sagte er, dass es ihm schon bald besser gehen würde, um sie zu beruhigen. Oscar befand sich wieder in dem Zimmer und ließ ihren Blick nicht von ihrem langjährigen Freund – wie friedlich er da lag... Jedoch in seinem Herzen herrschte schon lange kein Frieden – wegen der unerwiderten Liebe zu ihr... Oscar hatte seinen tief verborgenen Schmerz in jener Nacht verstanden, als er über sie beinahe hergefallen war – aus Verzweiflung und weil sie seine Liebe nie bemerkt hatte, obwohl er immer an ihrer Seite war... Nun lag das fast vier Monate zurück und sie hätte sich gerne bei ihm entschuldigt... Aber wofür? Für seine Liebesqual? Dafür, dass sie ihm immer Unglück brachte? Oder weil sie ihre eigene Gefühle niemals eingestehen konnte und sie stets gekonnt unterdrückte?

 

André war ihr doch nicht gleichgültig: Er war ihr Gefährte seit sie denken konnte, er half ihr schon immer aus misslichen Lagen und sogar das eine oder andere Mal hatte er sie vor Gefahren beschützt, in die sie waghalsig gestürzt hätte... Vielleicht wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür gekommen, um sich mit ihm auszusprechen? Ihm, dem einzigen Menschen, der sie verstand, der ihre Entscheidung nie in Frage stellte und der niemals würde über sie bestimmen wollen, könnte sie ihr Herz öffnen? Dafür müsste er aber nur aufwachen...

 

„Und nun müssen wir bei Euch den Verband wechseln.“

 

Oscar war zu sehr in ihrer Gedankenwelt vertieft, um mitzubekommen, dass der Arzt mit seiner Untersuchung bei André fertig wurde und nun sich an sie wandte. „Natürlich“, sagte sie nur und mühte sich, ihren Gedanken nicht mehr so schnell zu verfallen – das würde sie besser dann tun können, wenn sie alleine sein würde. Jedoch widerwillig verließ sie André und ging mit dem Arzt in ihre Gemächer, während Sophie bei ihrem Enkel blieb.

 

In ihrem Salon wechselte der Doktor ihr den Verband und reinigte ihre Abschürfungen, bevor er einen neuen Verband anlegte. „Eure Wunden verheilen genauso gut, wie bei Eurem Freund.“

 

„Das freut mich.“ Mehr sagte Oscar nicht.

 

Der Doktor wirkte auf einmal nachdenklich, als wäre er unschlüssig geworden. Dann entschied er sich doch noch. „Sagt, Lady Oscar, was macht Andrés Sehkraft auf seinem rechten Auge? Ich wollte seine Großmutter damit nicht beunruhigen, deswegen frage ich Euch.“

 

Die Frage traf Oscar unvorbereitet. „Was meint Ihr damit? Was soll mit seiner Sehkraft schon sein?“

 

„Nun, er hat mich vor Monaten konsultiert. Er meinte, er sähe auf seinem rechten Auge vor Zeit zu Zeit verschwommen. Ich habe ihn beruhigt, dass es nur die Überanstrengung wegen seines linken Auges ist.“

 

„Was sagt Ihr?“ Oscar sah ihn fassungslos an.

 

„Hatte er etwa Euch nichts von dem Besuch bei mir erzählt?“ Auch der Doktor schien etwas überrascht zu sein.

 

„Nein, hatte er nicht! Was ist nun mit seiner Sehkraft?!“ Das war unfassbar! Oscar hatte immer stärker ein flaues Gefühl im Magen.

 

Doktor Lasonne rang etwas mit sich, bevor er weiter sprach: „Nun, zum Vergleich vor wenigen Monaten befürchte ich, dass seine Sehkraft nachgelassen hat.“

 

„Was soll das heißen?!“ Und vor allem, warum verschwieg ihr André so etwas Wichtiges?!

 

Doktor Lasonne knotete ihr den Verband auf einer Hand zu und machte das gleiche mit der anderen. „Das könnte bedeuten, dass André, wenn er sich nicht vorsieht und nicht behandeln lässt, auf seinem rechten Auge auch erblinden wird.“

 

„Nein, das kann nicht sein!“ Oscar geriet außer sich und nur mit Mühe versuchte sie krampfhaft Ruhe zu bewahren. „Das darf nicht passieren!“

 

„Es gibt eine Möglichkeit.“ Doktor Lasonne packte die restlichen Sachen von Bandagen in seine Medizintasche ein und war dann wieder bei ihr. „Wenn er sich daran hält, dann wird sein Auge gerettet sein.“

 

„Welche?! Sprecht!“ Oscar konnte nicht mehr ihr aufgewühltes Gemüt verbergen, ihr ganzer Körper war angespannt und ihre Gedanken überschlugen sich – sie war auf alles gefasst. „Ich werde dafür sorgen, dass er alles befolgt!“

 

„Ich bin beruhigt, Lady Oscar. Auf Euch wird er bestimmt hören.“ Doktor Lasonne schmunzelte gar zufrieden – auch in Anbetracht Oscars gereiztem Gemüt. Er konnte das ihr nicht verdenken und würde sich höchstwahrscheinlich genauso fühlen, wenn ein Freund vor ihm etwas verheimlichen würde. „Ich lasse Medizin, die er auf seinem Auge anwenden soll. Das reinigt und entspannt. Etwa zwei Wochen darf er keine Anstrengungen sich zumuten und an einem ruhigen Ort sich ausruhen. Das würde ihm helfen können“, empfahl er und holte aus seiner Tasche eine Phiole, die er sogleich Oscar reichte.

 

Oscar beschaute die Phiole aus dunklem Glas in ihren Händen und die darin sich befindende Flüssigkeit. „Dafür werde ich sorgen! Ich schwöre es!“ Das war schrecklich! Warum hatte André ihr davon nichts erzählt, dass seine Sehkraft nachließ, fragte sie sich zum wiederholten Male. Sie waren doch Freunde! Sie hatten doch keine Geheimnisse voreinander! Was hatte sich denn zwischen ihnen geändert, dass es zu so etwas kam?!

 

 

 

- - -

 

 

 

Oscar befand sich wieder auf Andrés Zimmer und stand am Fenster mit verschränkten Armen vor der Brust, nachdem sie die Phiole mit der flüssigen Medizin auf dem kleinen Tischlein neben seinem Bett abgestellt hatte. Zu der Sorge um ihn kreiste nun das Arztgespräch in ihrem Kopf durch. Sie versuchte Andrés Verschwiegenheit ihr gegenüber zu begreifen. War sie etwa auch der Grund dafür?

 

Es war in der letzten Zeit vieles passiert, um es in einfache Worte zu fassen... Zwischen ihnen war vieles passiert!

 

Oscar seufzte schwer. Darüber zu grübeln bereitete ihr noch mehr Kopfzerbrechen. An aller erster Stelle stand jedoch, dass André bald aufwachen würde. „Gib nicht auf...“, murmelte Oscar beinahe tonlos und ihre Augen schimmerten wieder ungewollt. „Tu das bitte für mich... Nur dieses eine mal noch... Dann werde ich für dich sorgen, ich verspreche es... ich werde mich um dich kümmern...“

 

Und wieder einmal kam keine Regung von André. Das schien fast hoffnungslos zu sein, hier zu verweilen und über ihn zu wachen. Aber Oscar gab nicht nach. Sie war schon öfters weggerannt – von ihren Problemen und Gefühlen, mit denen sie selbst nicht fertig werden wollte. Diesmal würde sie aber bleiben. Sie würde André nicht im Stich lassen, so wie er sie niemals im Stich gelassen hatte!

 

Die Tür zu seinem Zimmer ging auf und wie erwartet kam Sophie herein. Sie sah kurz auf ihren Enkel, senkte dann etwas bedauernd ihren Kopf und schaute gleich zu ihrem Schützling. „Lady Oscar. Es ist Zeit zum Speisen und der Tisch ist bereits angerichtet. Eure Mutter beabsichtigt danach nach Versailles zurückzukehren. Ach, ja, und Euer Vater ist gerade heimgekommen und will dann wieder nach Versailles aufbrechen, nachdem er mit Euch gesprochen hat.“

 

„Danke, Sophie.“ Oscar entriss sich widerwillig von dem Fenster und bewegte ihre Füße. „Falls er mich sucht, ich bin im Speisezimmer.“

 

Das war schon lange her, dass Oscar mit ihren Eltern an einem Tisch gesessen und gespeist hatte. Sie musste zugeben, dass war schon irgendwo ein merkwürdiges Gefühl. Kaum als die ganze Familie de Jarjayes den Platz am Tisch nahm, begann schon Reynier mit dem Gespräch. Er hatte seine Tochter bei der Begrüßung verstohlen gemustert und eine Entscheidung getroffen. „Ich werde nachher nach Versailles aufbrechen und mit der Königin reden.“

 

„Mit der Königin?“ Was gab es da mit ihr zu reden? Das verstand Oscar nicht so recht. „Aber wieso?“

 

„Du bist nicht gerade in bester Verfassung, um deinen Dienst weiterführen zu können.“ Reynier legte seine Gabel neben dem Teller und schaute seine Tochter, die ihren Eltern gegenüber saß, eindringlich an. „Und zweitens, du brauchst einen neuen Gardist.“

 

„André ist noch bewusstlos, Vater.“ Auch wenn in Oscar ein ungutes Gefühl keimte, bewahrte sie ihre Ruhe – zumindest versuchte sie das. „Und ich beabsichtigte ohnehin für ein bis zwei Wochen dienstfrei zu nehmen.“

 

„Gut.“ Der General schien mit dieser Aussage zufrieden zu sein. „In drei Wochen wirst du deinen Dienst wieder antreten können.“ Er tupfte mit einer Serviette an seine Mundwinkel, ohne Oscar aus seinen strenggesonnenen Blick zu lassen. „Was allerdings André betrifft... Mir wäre es lieber, wenn du dir eine neue Leibgarde suchen würdest. Was nützt ein halbblinder Gardist, auf den man selbst aufpassen muss?“

 

„Was sagt Ihr?!“ Oscar glaubte sich verhört zu haben! Wut stieg in ihr hoch, die sie aber krampfhaft niederrang. „Ihr sprecht von André, als wäre er ein Gegenstand, den man beiseiteschieben kann, wenn er nicht mehr brauchbar ist! Niemals werde ich es tun! André ist mit mir aufgewachsen, er ist mein Freund und ich werde ihn nicht gegen einen anderen ersetzen!“

 

Madame de Jarjayes befürchtete schon eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Hitzköpfen und wollte sich schon einmischen, um die Gemüter zu beruhigen, als ihr Gemahl schon unverhohlen zu Oscar weitersprach: „Die Entscheidung liegt bei dir. Aber wenn noch so ein Vorfall vorkommt, dann werde ich dafür sorgen, dass André seiner Pflichten entlassen wird und du eine neue Leibgarde bekommst.“

 

„Dazu wird es nicht kommen!“, sagte Oscar kühl und ihre blauen Augen funkelten. „André wird wieder gesund! Sobald er erwacht, fahre ich mit ihm in die Normandie und kümmere mich um ihn!“

 

„Das liegt auch bei dir, Tochter. Aber es ändert dennoch nichts an meiner Entscheidung.“ Reynier beeindruckte ihre Rage keineswegs. „Du solltest mir lieber die Schurken beschreiben, die dich überfallen haben. So ein Vergehen darf nicht ungestraft bleiben.“

 

„Es war Nacht, Vater!“ Oscar hielt es nicht mehr aus, ihr platzte der Kragen. „Das waren hunderte Menschen! Wie konnte ich da jemanden erkennen und dessen Gesicht mir merken?! Oder wollt Ihr etwa ganz Paris dafür jagen und jeden Verdächtigen festnehmen?“

 

Auch Reyniers Geduld neigte an seine Grenzen. Er zog seine Augenbrauen zusammen, schob beiläufig sein Teller von sich und fügte seiner Stimme ein grimmigen Ton hinzu. „Wenn es sein muss, ja.“

 

„Aber, Vater!“, protestierte Oscar empört und drohte wie ein nahendes Gewitter auszubrechen. „Wäre es nicht besser gegen die Armut des Volkes etwas zu unternehmen, anstelle die Menschen wie eine Plage zu bekämpfen? Weil es ist nämlich genau das, warum sie anfangen die Kutschen der Adligen zu überfallen!“

 

„Genug!“, donnerte Reynier barsch und hob seinen Ton noch lauter an: „Der Mob hat dich fast zu Tode geprügelt und du verteidigst sie noch?!“ Nicht einmal Emilies Hand auf seinem Armgelenk konnte ihn milde zustimmen. Sie müsste doch wissen, solange sich Oscar ihm widersetzte, würde er sich nicht beruhigen können!

 

„In Anbetracht der Umstände, ja.“ Trotz der aufgeladenen Stimmung zwischen ihr und ihrem Vater, versuchte sie ihm die Augen zu öffnen: „Man muss die Kehrseite der Münze auch betrachten, Vater. Wenn die Verhältnisse sich nicht ändern, wird noch Schlimmeres geschehen. Bitte, Vater, spricht mit dem König. Macht ihm klar, dass es so nicht weitergehen kann. Er liebt doch sein Volk...“

 

„Ich werde mit seiner Majestät so oder so sprechen und gegen die Aufständischen militärisch vorgehen!“ Reynier missverstand sie wie immer – er wollte sie nicht einmal zuhören. „Einen anderen Ausweg gibt es nicht.“

 

„Nein, Vater! Das könnt Ihr nicht tun!“

 

„Doch, Tochter!“ Reynier reichte es. „Und wenn es der Befehl des Königs wird, umso mehr!“

 

„Aber, Vater!“

 

„Wir sind treue und loyale Diener des Königs und seiner Familie, vergiss das nicht!“ Reynier erhob sich, um nicht noch mehr mit seiner widerspenstigen Tochter debattieren zu müssen und schaute zu seiner Gemahlin. „Ich bin gesättigt und warte auf dich bei der Kutsche.“

 

Oscar wartete bis ihre Eltern fort waren und donnerte dann heftig gegen die Tischplatte mit ihrer Faust. Das war unfassbar! Die Worte ihres Vaters hatten sie noch mehr in die Rage getrieben als die Erkenntnis, dass André über seine schwindende Sehkraft vor ihr verheimlicht hatte! Oscar konnte nicht mehr ruhig sitzen – sie musste sich unbedingt abreagieren, sonst würde sie vor Wut platzen! Wie in Windeseile rannte sie aufgebracht auf ihr Zimmer, schnappte hastig ihren Degen und stürzte auf den Hof und dann in den Garten hinaus.

Die Frust

Oscar drosch auf einen jungen Baum mit ihrem Degen wie besessen ein. Wie konnte ihr Vater das nur annehmen und in Erwägung ziehen, dass sie einen neuen Gardisten brauchte?! Sie hatte ja André! Und sie würde ihn niemals durch einen anderen Gefährten ersetzen! Auch wenn Andrés Sehkraft schwand, würde sie niemals einen anderen an ihrer Seite dulden! Oscar war außer sich. Und im Allgemeinen hatte ihr Vater nicht das Recht über die Menschen zu urteilen, ohne vorerst über den Grund oder die Ursache überlegt zu haben! Auch wenn der wütende Mob sie beinahe getötet hätte, wäre es trotzdem ratsam, sich um die hungernden und verzweifelnden Menschen zu kümmern, anstelle gegen sie mit Waffengewalt anzugehen! Denn genau das Letztere würde einen noch größeren Aufstand nach sich ziehen, der noch fatalere Folgen haben würde als ein Überfall auf die adligen Kutschen!

 

Oscar war außer Puste, sie schnaufte ununterbrochen, während ihre Hand immer und immer wieder die Hiebe gegen den Baum ausführte. Die Blätter, Zweige und Äste flogen nur so umher und wirbelten unter ihren Stiefeln wieder auf, als sie sich eine neue Position aussuchte. Sie konnte nicht aufhören! Ihr geschundener Körper schmerzte, ihre Wunden scheuerten und brannten unter dem Verband bei jeder ihrer Bewegungen, aber in ihrer Rage nahm sie das kaum wahr!

 

Noch ein Hieb, noch ein gefallener Zweig und unzählige Blätter, von denen sich einige in ihrem Haar verfingen. Langsam ließ der rote Schleier der Wut vor ihren Augen nach, ihre Hiebe wurden immer kraftloser und Oscar sah den von ihr verunstalteten Baum immer klarer: Die Rinde hatte überall tiefe Kerben, die unteren Äste waren fast alle abgebrochen und wirkten wie im Winter kahl und grässlich. Oscar fiel ermattet auf die Knie und immer mehr wurde sie dem Ausmaß ihrer Wut und den körperlichen Schmerzen gewahr – alles um sie herum war mit Grünzeug von dem verunstalteten Baum bestreut. Das war das erste Mal, dass sie sich derart unbeherrscht gehen ließ. Meistens, wenn sie in Weißglut geriet oder ihr hitziges Temperament auszubrechen drohte, dann war André zur Stelle und hatte sie mit ein paar aufheiternden Worten zu beruhigen gewusst. Nun lag er aber bewusstlos in seinem Bett und es war ungewiss, wann er wieder aufwachen würde...

 

André! Oscar rammte ihren Degen in den Boden und versuchte die restliche Wut in ihr im Keim zu ersticken. Wie konnte er ihr seine schwindende Sehkraft verschweigen?! Sie hätte ihm doch gerne geholfen und nach einer Lösung gesucht! Aber nein, er verstellte sich nur stets gekonnt und gaukelte ihr sein unbeschwertes Wesen vor! Warum nur?

 

Das war so entsetzlich! Und das Schlimmste war, sie konnte ihm die Täuschung nicht einmal verübeln! Oscar atmete mehrere Male tief durch, um die erneut aufkeimende Wut niederzuringen und die Rage schien langsam nachzulassen. Sie hob noch etwas außer Atem ihren Blick und sah eine alte Eiche unweit vor ihr. Sofort stiegen Erinnerungen aus vergangener Zeit in ihr hoch: „Weißt du noch, als du sieben warst, hast du einen Schatz unter dieser Eiche vergraben. Willst du nicht nachsehen, ob noch alles da ist?“, hatte André damals vor etlichen Jahren gefragt und sie hatte ihm geantwortet, dass sie sich nicht erinnern konnte. Sie war nicht ganz ehrlich zu ihm gewesen.

 

Oscar stützte sich auf ihren Degen, erhob sich auf die Beine und ging auf die alte Eiche mit schleppenden Schritten zu. „Doch, André, ich erinnere mich...“, flüsterte sie kaum hörbar zu sich selbst und kniete an einer bestimmten Stelle unter den Baum. Ganz leicht fuhr sie mit ihren Fingern über die grünen Grashalme, tauchte tiefer bis zu der Erde vor und begann sie mechanisch zu zupfen und die Erde auszuheben. Ihre schon sowieso tauben und bandagierten Hände spürten kaum etwas, einen Knoten löste sich von den heftigen Bewegungen und die Enden baumelten dann lose und verdreckt herab. Oscar achtete nicht darauf und grub immer weiter - solange, bis sie auf einen Gegenstand stieß. Der sogenannte Schatz war nicht tief vergraben, aber er war da und Oscar durchströmte dabei eine gewisse Erleichterung. Sie stellte die modrige, aber noch stabile Holzkiste auf ihren Schoß und strich die restliche Erde ab. In ihrem Geist hörte sie das Kinderlachen und vor ihrem inneren Auge sah sie, wie André und sie diesen Schatz begruben: Die Schaufel war zu groß für alle beide, aber es hielt sie nicht vor ihrem Vorhaben ab! Gemeinsam hielten sie die Schaufel, stießen sie in die Erde und hoben eine Grube aus. Ihre Haut scheuerten sie sich dabei auf und später waren dadurch kleine Bläschen entstanden, aber das war ihnen beiden egal – der Schatz und das herrliche Gefühl von Stolz und Glückseligkeit waren ihnen tausendfach wichtiger! Und nicht einmal ihre verdreckte Kleidung und der Tadel von Sophie konnte ihnen etwas anhaben! Wie unbeschwert und fröhlich sie doch damals waren! So sorglos und unschuldig... Im Gegensatz zu hier und jetzt...

 

Willst du nicht nachsehen, ob noch alles da ist?“, hallte wieder Andrés Stimme in ihrem Kopf wie ein Echo.

 

„Natürlich, will ich das.“, sagte Oscar zu sich selbst und ein kaum merkliches Lächeln stahl sich auf ihren Lippen, als sie den Deckel öffnete. Es war alles noch da: das rote Messer, einen Kreisel aus Blei und ein Zinnsoldat! Sie nahm den Zinnsoldaten heraus und betrachtete ihn gedankenverloren. André hatte ihn damals zu ihren Sachen in die Kiste gelegt. Oscar erinnerte sich aber dabei, dass er noch wenige Tage zuvor ebendiesen Zinnsoldaten vor ihr versteckt und behauptet hatte - so ein Spielzeug sei nur für echten Knaben! Wie zornig sie auf ihn danach war und sie hatte den ganzen Tag deshalb mit ihm nicht geredet! Als Kind hatte sie sich für einen Jungen gehalten und wollte mit allem, was ein Mädchen ausmachte, nichts am Hut haben. Bis sie älter wurde... und irgendwann die Liebe zu einem Mann kennengelernt hatte...

 

Oscar umschloss den Zinnsoldaten in ihrer Faust fester – als würde sie die Vergangenheit einholen und ihr wieder Leid zufügen... Sie wollte aber nicht mehr an die unerwiderten Gefühle zu von Fersen erinnert werden – das war alles vorbei und sie hatte schon längst damit abgeschlossen! Von Fersen hätte niemals in ihr eine Frau gesehen und demzufolge auch nie geliebt, denn sein Herz gehörte ganz alleine der Königin, Marie Antoinette! Nein, Sie spürte nichts mehr zu ihm, außer Bedauern und Mitgefühl für seine Liebesqual...

 

Oscar versuchte an diese schmerzliche Erinnerung nicht mehr zu denken und kehrte lieber in ihren Gedanken an den Tag zurück, als sie und André den Schatz begruben. Sie fühlte sich dadurch wieder besser, hielt den Zinnsoldaten in ihrer Hand lockerer und entspannte sich, als sie sich das glockenhelle Kinderlachen und die leuchtenden Augen von ihr und André aus der unwiderruflichen Kindheit wieder vorstellte.

 

„Lady Oscar!“

 

„Was ist, Sophie?“ Oscar schreckte beinahe hoch - sie hatte nicht gemerkt, dass Andrés Großmutter zu ihr gekommen war.

 

„Was macht Ihr da?“ In Anbetracht der etwas zerstreuten Verfassung ihres Schützlings vergaß die alte Haushälterin auf der Stelle, weshalb sie eigentlich sie ersuchte.

 

Oscar überspielte ihre Sorge, richtete ihren Blick wieder auf die kleine Kiste auf ihrem Schoß und klappte den Deckel wieder zu. „Ich habe meinen alten Schatz ausgegraben – das sieht man doch.“

 

„Mit bloßen Händen?“ Der Schreck stand Sophie im Gesicht geschrieben, als sie die lose hängenden und vor Erde verdreckten Enden von dem Verband auf ihren Händen sah. Das konnte doch nicht wahr sein! Was wenn dadurch ihre Wunden sich entzündeten! Obwohl die Bandagen genau das verhinderten, aber das hieß doch noch lange nichts! Und genau das versuchte Sophie sogleich zu erklären: „Das geht nicht! Schaut Euch doch Eure Hände an! Jetzt sind sie schmutzig!“

 

„Diesen Schmutz kann man wegwaschen, Sophie. Im Gegensatz zu einem anderen...“ Oscar erhob sich auf die Beine, ignorierte das Knacken ihrer Kniescheiben und ging etwas hinkend in das Haus zurück. Sie hatte Sophie nicht einmal zugehört und schwebte noch in der Erinnerung an ihrer Kindheit - ihrer und Andrés Kindheit! Denn es gab praktisch nichts, was sie nicht zusammen erlebt hatten! Gemeinsam hatten sie Freude und Leid geteilt, sie waren beinahe unzertrennlich und dennoch hatte sich mit den Jahren vieles zwischen ihnen verändert. Die Gefühle hatten sich zueinander verändert. Während André Oscar stillschweigend liebte, hatte sie wiederum ihr Herz an einen anderen verloren – an jenen von Fersen, der sie von dem wütenden Mob gerettet hatte und dessen Herz der Königin von Frankreich gehörte!

 

Nun war das alles aus – die damalige Liebe zu dem Grafen existierte nicht mehr, genauso wie auch die Freundschaft zu ihm... Oscar verspürte eine Leere, ein dumpfes Gefühl, als sie an ihn dachte und sich an die Tage erinnerte, an denen sie wegen ihm Liebeskummer hatte... Aber war das wirklich Liebe?

 

...zu lieben und geliebt zu werden, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge...“, erinnerte sich Oscar an Andrés Worte, die er ihr einstmals und vor vielen Jahren gesagt hatte, „...und so manch eine Liebe währt schon seit einer Ewigkeit, ohne dass der andere überhaupt davon weiß...“ Schon damals hatte er ihr seine Gefühle zu ihr angedeutet, aber sie war zu blind von ihren eigenen Gefühlen zu dem Grafen, um ihn wahrzunehmen. Bis an einem Abend er es nicht mehr ausgehalten hatte: „...eine Rose bleibt immer eine Rose – eine Rose kann keine Distel sein...“

Oscar schluckte bei dieser Erinnerung bitter, denn das war keine schöne Erinnerung. Für diese Worte hatte sie ihn geohrfeigt und gleich wütend angefaucht: „Willst du etwa sagen, dass die Frauen niemals wie Männer sein können?“

André hatte natürlich darauf nichts geantwortet und das hatte sie zur Weißglut getrieben, woraufhin er die Beherrschung verloren, sie grob angepackt und sie auf ihr Bett geworfen hatte...

 

Oscar blieb vor Andrés Zimmer stehen und schloss die Augen. Sie wollte nicht an diese schrecklichen Momente erinnert werden, denn André hatte ihr das Hemd zerrissen und erst dann von ihr abgelassen – selbst über seine grauenvolle Tat zutiefst erschrocken! Reuevoll hatte er sich entschuldigt und sie mit einer Decke zugedeckt. „...bitte verzeih mir, Oscar... ich schwöre bei Gott, dass es so etwas nie wieder passieren wird...“ Er hatte dabei selbst Tränen vergossen – das hatte sie aus seiner belegten Stimme vernommen und dann war er gegangen, aber nicht ohne hinzuzufügen: „...dennoch kann eine Rose niemals eine Distel sein... Versteh mich doch... zwanzig Jahre bin ich nun mit dir zusammen... Ja, ich liebe dich – ich habe dich schon immer geliebt... ich liebe dich aus tiefstem Herzen...“

 

Oscar schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals mehrfach herunter, um an diesen Vorfall, vor beinahe einem Jahr, nicht mehr zu denken. Das hatte sie beide verletzt – so wie sie, so auch ihn und jetzt blutete ihr Herz genauso qualvoll wie damals. Aber diesmal, weil ihr die Augen geöffnet wurden und sie begann langsam zu verstehen, für wen ihr Herz eigentlich wirklich schlug...

 

 

 

Auf Andrés Zimmer setzte sich Oscar wieder auf den Stuhl neben seinem Bett und stellte die Schatzkiste auf ihrem Schoß ab. Sie hatte sich schon halbwegs gefangen und ihre Gefühle besänftigt. Das war nicht leicht, aber die Hoffnung auf die Besserung gab ihr Zuversicht und half ihr dabei. „Ich habe unser alten Schatz ausgegraben... Weißt du noch? Du wolltest doch, dass ich nachsehe, ob alles noch da ist... Es ist alles da, André... und auch dein Zinnsoldat... Du hast ihn damals gar nicht erwähnt... Wolltest du mich etwa damit auf die Probe stellen? Das sieht dir ähnlich... Aber ich erinnere mich daran - klar und deutlich! Ich lasse nicht zu, dass du ersetzt wirst - das habe ich gerade auf den Zinnsoldaten geschworen!“ Oscar hielte eine Pause ein und warf einen kurzen Blick auf den besagten Zinnsoldaten in ihrer Hand. „Ach, André... Es wäre schön, wenn du jetzt aufwachen und mit mir reden würdest...“

Endlich erwacht

André erwachte erst beim Morgengrauen des nächsten Tages. Langsam schlug er seine Augenlider auf – sein Kopf dröhnte leicht und vor seinem Auge sah er noch alles verschwommen. Seine Sicht musste sich für eine Weile klären, bis er die Umrisse des Raumes realisieren konnte und starte reglos an die Decke hoch. Erinnerungen an seinen Sturz von der Treppe kam wieder vor seinem geistigen Auge zum Vorschein und davor war noch der Kutschenüberfall, dann der Ritt mit Oscar auf einem Pferd und schlussendlich ihr Lächeln, welches nicht ihm gegolten hatte...

 

Erneut keimte der seelische Schmerz in ihm auf und André atmete tief ein und aus, um es wenigstens halbwegs zu verdrängen, aber spürte plötzlich einen leichten Druck auf seiner Bettdecke, so, als würde jemand auf der Bettkante sitzen. Das war bestimmt seine Großmutter, kam ihm gleich durch den Sinn - auf jemand anderes hoffte André nicht. Er versuchte sich auf sein gesundes Arm hochzurappeln und seine Großmutter über Oscar auszufragen. Er stützte sich auf einen Ellbogen und schaute ganz überrascht auf den blonden Kopf: Oscar saß auf dem Stuhl, hatte ihren Oberkörper auf die Bettkante abgelegt, ihre Arme eingewickelt und darauf ihren Kopf gebetet. Ob sie schlief oder nicht wusste André nicht. Auf jeden Fall waren ihre Augen geschlossen und sie war hier, bei ihm! André schluckte hart, ihm verschlug es die Sprache! Wie gerne hätte er ihre blonde Locken berührt, aber dadurch hätte er sie geweckt - das wollte er nicht. Er wollte sie lieber stundenlang betrachten, bis sie selbst aufwachte....

 

Als hätte Oscar seine Gedanken gelesen, regte sie sich schwach und öffnete die Augen. Der Blick ihrer klaren blauen Augen war direkt auf ihn gerichtet. Sie schimmerten freudig, obwohl ihr Gesichtsausdruck unverändert verhärmt blieb. Nur ein kleines Lächeln stahl sich auf ihren Mundwinkel. Oder war das nur seine Einbildung?

 

Oscar hob den Kopf und setzte sich auf dem Stuhl gerade hin. „Guten Morgen, André... Du hast gestern den ganzen Tag verschlafen. Weißt du das?“

 

André schüttelte verneinend den Kopf. Nein, das wusste er nicht. Er versuchte sich jetzt richtig aufzusetzen und das gelang ihm mühevoll. Oscar hätte ihm gerne geholfen, aber sie wusste, dass er das ablehnen würde. „Ich werde deine Großmutter holen.“, sagte sie und eilte schon aus seinem Zimmer. Was war da mit ihr los?! Ihr Herz pochte so aufgeregt, als stünde es in Flammen! Sie hatte zu tief in Andrés Auge gesehen und entdeckte dort etwas, was sie noch nie bemerkt hatte oder besser gesagt, nie wahr haben wollte: diese aufrichtige Liebe, die er ihr schon einmal gestanden hatte! Aber was war mit ihr? Liebte sie ihn denn auch? War das möglich, zwei Mal zu lieben? Oder war das zu von Fersen keine Liebe, sondern etwas anderes, als sie damals angenommen hatte? Denn bei von Fersen hatte ihr Herz nie so wild gepocht, als wollte es aus ihrem Brustkorb herausspringen...

 

Hin und hergerissen, als stünde sie zwischen zwei Fronten, erreichte Oscar die Küche. Sophie war gerade aufgestanden und bereitete das Frühstück zu. Oscar versuchte schnell ihre Aufregung zu dämpfen, bevor sie ihr einstiges Kindermädchen mit einer langersehnten Nachricht konfrontierte: „Sophie! André ist wach!“

 

Diese schien ihren Schützling nicht ganz verstanden zu haben und schaute zu ihr leicht irritiert hin. „Was sagt Ihr?“

 

Oscar nickte ihr schmunzelnd zu und wiederholte es: „André ist gerade aufgewacht. Geh zu ihm und bring ihm etwas zu Essen. Er muss verhungert sein. Und ich hole Doktor Lasonne. Siehst du, Sophie, es wird wieder alles gut!“ Sie wartete auf keine Antwort und stürmte schon eilends in Richtung des Stalles.

 

 

 

- - -

 

 

 

Oscar war fort und wieder hatte sie ihn alleine gelassen, ohne mit ihm lange zu reden... Das war typisch von ihr und doch schmerzte es André sehr. Aber warum war sie dann auf seiner Bettkante eingeschlafen? Er hätte sich sehr gewünscht, dass sie bei ihm länger geblieben wäre, aber stattdessen war sie vor ihm wieder auf und davon...

 

Ein Rascheln hinter der Tür erregte seine Aufmerksamkeit und er sah hellhörig hin. War das etwa Oscar? Kehrte sie zu ihm zurück?

 

Aber leider nein... Seine Grußmutter kam mit dem Essen für ihn herein und überschüttete ihn mit Fragen: „Wie geht es dir mein Junge? Ich bringe dir eine warme Hühnersuppe, mit knusprigen Brot – so, wie du es magst. Wieso bist du eigentlich die Treppe heruntergefallen? Die Teppiche sind doch glatt ausgelegt! Oder bist du über deine eigenen Füße gestolpert? Du hast uns damit alle wahnsinnig erschreckt! Weißt du das eigentlich? Aber als der Doktor sagte, dass es dir besser gehen wird, dann waren wir erleichtert...“

André hörte ihr nur mit halben Ohr zu und aß, damit er nicht viel antworten musste und grübelte weiter über Oscar, bis die weiteren Worte seiner Großmutter ihn wieder aufhorchen ließen. „Ach, ja, mein Junge, fast hätte ich es vergessen.“, riss seine Großmutter ihn aus seinen Grübeleien. Sophie bewegte ihre Füße zu der Kommode, die sich gegenüber seinem Bett am Fußende befand, und blieb dort stehen. André folgte ihr mit seinem Blick und erkannte erst jetzt eine Kiste auf der Kommode. Er glaubte sich sogar zu erinnern, was das war und schluckte hart das gekaute Stück Hähnchenfleisch. Seine Großmutter bestätigte ihm die Vorahnung. „Lady Oscar hatte ihren alten Schatz ausgegraben und hier abgestellt. Hast du schon gegessen?“, fragte sie, als er ganz baff die Schatzkiste betrachtete und nicht mehr weiter aß.

 

André bejahte mit einem Nicken. Er konnte nichts sagen und starrte ganz gebannt auf den Zinnsoldaten, der auf der Schatzkiste stand. Sophie räumte das Geschirr weg und verließ sein Zimmer. André, als hätte er nur darauf gewartet, schlug die Bettdecke hoch und stieg aus dem Bett. Er musste das aus der Nähe betrachten! Leicht wackelig ging er auf seine Kommode zu, ungeachtet darauf, dass er nur ein Hemd trug, das ihm bis zu den Knien reichte und Kindheitserinnerungen strömten dabei nur so auf ihn ein – besonders wie er mit Oscar diesen Schatz vergraben hatte... Oscar war damals so stolz darauf und ihre Fröhlichkeit, helles Lachen und leuchtenden Augen hatten sich für immer in ihn eingeprägt... Aber jetzt war alles anders gekommen: Sie beide waren erwachsen geworden und Oscars einstmalig so schönes, ansteckendes und unbeschwertes Kinderlachen existierte schon lange nicht mehr...

 

André nahm den Zinnsoldaten an sich und öffnete den Deckel: ein rotes Messer und ein Kreisel aus Blei lagen darin. Es war alles da, außer den Zinnsoldaten, den er gerade in der Hand hielt. Erneut übermannten ihn die Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit, aber diesmal noch intensiver, wehmütiger und melancholischer... Wie glücklich und unbeschwert sie doch damals waren! André seufzte schwer, legte den Zinnsoldaten in die Kiste zurück und schloss den Deckel. Die Kindheit war unwiderruflich vorbei und keine Macht der Welt würde sie zurückbringen können! Oscar hätte den alten Schatz nicht ausgraben brauchen. Man sollte die Vergangenheit am besten ruhen lassen, sonst würde es noch schmerzlicher in der Seele werden. Oder wollte sie ihm damit etwas sagen?

 

Wenn sie mit ihm nur reden würde! Aber Oscar zählte nun mal nicht zu der Sorte von redseligen Menschen... Meistens war er der Geschwätzigste von ihnen - ob das ein wichtiger Bericht war oder eine belanglose Sache, aber Oscar hatte nicht immer ihren Beitrag dazu gegeben und wenn, dann äußerte sie sich knapp zu fast jedem Thema. So war eben Oscar: unergründlich wie tiefes Wasser. Doch er schien sie als einziger in und auswendig zu kennen.

 

„André?“

 

André fuhr erschrocken herum - er hatte es nicht mitbekommen, dass jemand sein Zimmer betreten hatte – zu tief war er anscheinend in Gedanken versunken. Und vor allem nicht sie! Oscar schloss die Tür hinter sich und bewegte sich langsam auf ihn zu, ohne auf seine kräftigen und sichtbaren Waden zu sehen. Sie schaute ihm nur ins Gesicht und der Unterton in ihrer Stimme verriet eine gewisse Weichheit: „Du musst doch im Bett bleiben - so lange, bis Doktor Lasonne es dir erlaubt aufzustehen. Ich war gerade bei ihm und er muss bald hier sein, da er eine Kutsche genommen hat.“

 

André sagte nichts und auch rührte sich nicht von der Stelle. Aber er nickte, als Zeichen, dass er sie verstanden hatte. Oscar blieb auf einer Armlänge direkt vor ihm stehen und André glaubte eine gewisse Sorge in ihren sonst so kühlen Blick zu erkennen. Aber wieso? Oder war das wegen seiner Wenigkeit?

 

Oscar senkte ihre langen Wimpern und schaute auf die Kiste. „Du hast den Zinnsoldaten also zurückgelegt... Ich habe den Schatz heute für dich ausgegraben... und weil ich sehen wollte, ob noch alles da ist...“

 

André nickte wieder. Aber diesmal versuchte er etwas zu sagen: „Damit weiter alles da ist, habe ich deshalb den Zinnsoldaten zurück in die Kiste gelegt.“

 

„Vielleicht auch besser so... Da bleibt es wenigstens alles zusammen...“

 

„Ja, das stimmt...“

 

„André...“ Oscar warf ihm wieder ihren Blick zu und konnte auf einmal nicht weitersprechen. Etwas nagte an ihr, das las André sofort in ihren schimmernden Augen.

 

„Oscar...“ Auch er wusste nicht, was er weiter sagen sollte. Sekunden schienen von einem Moment zu dem anderen sich in Stunden zu verwandeln und sich in die Länge zu ziehen: Quälend, auf eine Art berauschend und als wären sie verzaubert oder in Statue verwandelt, standen sie sich gegenüber und sahen sich tief in die Augen. Keiner wagte sich zu rühren oder eine Bewegung zu machen...

 

Draußen waren Geräusche und Stimmen zweier Personen. Das brachte zumindest André in Bewegung: Er flüchtete in sein Bett zurück, als wollte er nicht ertappt werden. Oscar blieb bei der Kommode, aber dann marschierte sie gleich zu dem Fenster und bezog dort ihre gewohnte Stellung, wie schon mehrere Male zuvor. Die Tür ging auf und Sophie geleitete den Arzt in das Zimmer. „Entschuldigt die Verspätung, Lady Oscar. Ihr wart auf Eurem Pferd wieder einmal schneller, als ich mit meiner Kutsche.“, äußerte er sich höflich und schmunzelte bei Betrachtung seines aufgewachten Patienten.

 

„Es ist schon in Ordnung, Herr Doktor. Jetzt seid Ihr hier.“ Oscar machte eine Handbewegung und legte sich ihre Arme um die Mitte auf einander.

 

Doktor Lasonne widmete sich gleich seinem Patienten. Er stellte ihm Fragen nach seinem Befinden und André antwortete ihm wahrheitsgemäß. Dann schaute er zum Fenster hinüber. „Lady Oscar, ich würde André jetzt die Bandagen wechseln. Darf ich Euch bitten...“

 

„Aber natürlich...“ Oscar verstand und verließ das Zimmer augenblicklich - sie merkte nicht, dass sie dabei leicht errötete. Sie ging in ihren Salon und spielte Klavier, bis Sophie zu ihr kam und mitteilte, dass Doktor fertig war und mit ihr noch sprechen wollte. Also kehrte Oscar wieder in Andrés Zimmer zurück.

 

Doktor Lasonne erklärte, dass er Medizin da lassen würde und wie André sie einnehmen oder annwenden sollte. Sophie geleitete ihn dann aus dem Anwesen und Oscar blieb wieder mit André alleine. „Das Zeug schmeckt grässlich“, klagte er, um nicht schon wieder das Schweigen zwischen ihnen in die Länge ausbreiten zu lassen.

 

„Es ist aber zu deinem Besten, André“, meinte Oscar in ihrer kühlen Art wieder. „Besonders für dein rechtes Auge...“

 

André sah sie verdattert an. „Wie meinst du das? Ich weiß nicht wovon du sprichst...“

 

Oscar schüttelte den Kopf, als Zeichen, dass sie ihm nicht glaubte. „Du kannst mich nicht mehr täuschen. Doktor Lasonne hat mir alles erzählt, dass du vor einigen Monaten bei ihm warst und dass der Verdacht auf Erblindung deines rechten Auges besteht. Warum hast du mir verschwiegen, dass deine Sehkraft schwindet?!“

 

„Oscar...“ André konnte sie nicht mehr ansehen. Beschämend senkte er seinen Blick auf seine Hände im Schoß. „Ich wollte niemanden Sorgen bereiten, deswegen habe ich das für mich behalten.“

 

„Aber so etwas ist doch wichtig, André! Wie kannst du mir das antun?!“ An dieser Stelle verstummte sie plötzlich. Ihre Gefühle schienen in ihr wieder verrückt zu spielen.

 

André horchte auf. Aber außer dem Wort: „Entschuldige...“, brachte er nichts von sich.

 

Und wieder trat diese rauschende und lautlos knisternde Stille zwischen ihnen ein, die sie beide unangenehm stimmte... Oscar konnte das nicht mehr länger ertragen: „Wir werden zwei Wochen unseren Dienst nicht antreten können. Wegen unseren Wunden hat uns der Doktor das abgeraten und auch mein Vater wird heute mit seiner oder ihrer Majestät darüber sprechen. Das heißt, dass wir zwei lange Wochen zum Nichtstun verdammt sind.“, wechselte sie das Thema, in einem etwas versöhnlichen Tonfall: „Ich habe mir überlegt, dass wir in die Normandie fahren. Aber natürlich, wenn du deinen Arm in der Schlinge nicht mehr tragen brauchst.“

 

„Wir?“ Das überraschte André.

 

Wie konnte er nur so ahnungslos tun? Oscar beschloss seine Ausreden nicht mehr zum Zug kommen zu lassen. „Ja, wir! Denkst du, ich lasse dich nach so einem Vorfall alleine? Und zudem noch muss doch jemand darauf achten, dass du die Anordnungen des Arztes befolgst!“

 

„Aber, Oscar...“

 

„Keine Widerrede, André! Du bist mir sehr wichtig, ich will dich nicht verlieren...“ Und wieder hielt Oscar inne. Ihre Gefühle schienen sich hartnäckig in den Vordergrund zu rücken und die Oberhand über ihre eiserne Disziplin zu gewinnen. Am liebsten wäre sie wieder aus dem Zimmer gestürmt. Aber nein, sie hatte sich doch geschworen, nie mehr wegzurennen. Standhaft harrte sie am Fenster aus und sah André direkt an. Jedoch ihre Augen schimmerten eigenartig, als wäre sie hin und her gerissen.

 

Das überraschte André. Was blieb ihm anderes übrig, als nachzugeben? Er konnte ihr doch niemals eine Bitte abschlagen! „Also gut, Oscar, ich komme mit dir in die Normandie mit.“

 

„Wie schön!“ Ein freudiger Funke glomm in Oscars Augen und ließ André noch mehr in Verwunderung stürzen. Etwas geschah mit Oscar Außergewöhnliches, was er nicht deuten konnte. Vielleicht sie selbst, aber auch daran zweifelte er.

In Wandlung

Normandie. Das lag schon lange zurück, dass sie zuletzt hier waren - vor allem André. Oscars Besuch hier dagegen war etwa vor einem viertel Jahr. Um genauer zu sein war es eine Woche, bevor sie in die Kaserne zur Söldnertruppe bei Paris versetzt wurde.

 

Die Bediensteten trugen gleich Oscars Gepäck aufs Zimmer und bereiteten alles geschäftig vor. André brachte sein bescheidenes Gepäck selbst auf sein ebenso bescheidenes Zimmer. Er wollte eigentlich zuvor die Pferde absatteln, aber Oscar hatte es kategorisch abgeraten. „Wir sind gerade angekommen und du sollst dich nicht gleich überanstrengen“, war ihre Antwort. Sehr eigenartig! Seit Oscar um seine schwindende Sehkraft wusste, benahm sie sich ziemlich fürsorglich um seine Wenigkeit: Sorgsam achtete sie darauf, dass er seine Medizin nahm und dass er seinen verletzten Arm nicht allzu sehr überlastete – obwohl er ihn seit drei Tagen nicht mehr in der Schlinge trug und auch Bandagen brauchte man nicht mehr anzulegen. Die Wunden verheilten gut und Oscar hatte es deshalb schon am fünften Tag für gut befunden, endlich in die Normandie aufzubrechen und dort gemeinsam auf dem Anwesen zu genesen. Vielleicht wirkte die Fürsorge von ihr sogar etwas zu übertrieben, was gar nicht zu ihrer Natur passte und schon alleine deswegen wusste André nicht, ob er sich über Oscars Sinneswandel geschmeichelt fühlen oder das mit Bedacht aufnehmen sollte.

 

Er stellte sein Gepäck ab und warf sich rücklings auf sein Bett. Zum Auspacken würde sich noch genügend Zeit finden. Er musste viel nachdenken, wie beispielsweise über Oscar und ihr wechselhaftes Verhalten ihm gegenüber: Was ging in ihr vor? Was wollte sie ihm damit sagen? Oder hieß es etwa...

 

Nein, das war unmöglich! Nach der Trennung mit Graf von Fersen würde sie sich nicht so schnell verlieben! Vor allem nicht nach dem, was er, der treuer Freund seit Kindesbeinen, ihr beinahe angetan hatte! Der Vorfall, als André vor etwa einem halben Jahr über sie fast hergefallen war, zerrte an ihm noch immer. Er hatte seine Tat bereut und sie hatte es ihm verziehen, aber vergessen konnte sie es bestimmt noch immer nicht und das war genau das, was ihm am meisten zu schaffen machte... Und da war noch die Sache mit seinem Auge...

 

André seufzte schwer - das war alles so vertrackt! Auf dem Weg hier her hatten sie miteinander kaum gesprochen - von Oscars Seite war das nichts Ungewöhnliches. Aber wie sollte es nun weiter mit ihm gehen, da sie nun über seine schwindende Sehkraft Bescheid wusste?

 

Er wollte ihr nicht zur Last fallen, aber auch weiterhin an ihrer Seite bleiben, um sie beschützen zu können, wenn das auch nicht mehr gehen würde. Der Überfall in Paris von hunderten von Menschen hatte ihm das deutlich vor Augen geführt. Und würde Oscar ihn denn überhaupt weiterhin dulden können, wenn die noch eine, letzte Woche ihrer und seiner Genesung vorbei sein würde?

 

Und dann traf es André wie ein Schlag aus heiterem Himmel: Vielleicht beabsichtigte Oscar ihn hier zurückzulassen und dann alleine nach Paris zurückkehren! Weshalb waren sie denn hier in der Normandie, wo sie doch auch auf dem Anwesen zu Hause genauso gut die restlichen Tage genesen konnten?! André glaubte nun Oscars wahre Absichten durchschaut zu haben und das schmerzte ihn umso mehr. Er saß abrupt auf und im demselben Moment klopfte jemand an der Tür – nicht Oscar, ahnte er und meinte daher etwas lauter: „Ja, herein.“

 

Einer der Diener öffnete die Tür und teilte ihm mit, ohne sein Zimmer zu betreten: „Lady Oscar wünscht, dass Sie zu Ihr kommt, wenn Sie sich ausgeruht haben.“

 

„Ich fühle mich bestens. Ich komme gleich zu ihr“, hörte sich André wie selbstverständlich sagen und war schon auf den Beinen. Diese Einladung war ihm gerade sehr willkommen! Vielleicht würde er herausfinden können, was Oscar für Absichten mit ihm tatsächlich hatte und ob seine Vorahnung damit bestätigt sein würde...

 

 

 

- - -

 

 

 

Oscar nippte an ihrem Tee in ihrem Salon, als André vorerst klopfte und sich meldete, bevor er eintrat. Überrascht schaute sie ihn an, als er ohne ein weiteres Wort zu verlieren die Tür hinter sich schloss und bei ihr stehenblieb. So schnell hatte Oscar mit ihm nicht gerechnet. Sie dachte, er würde noch beim Auspacken seiner Sachen sein. Aber andererseits war es nichts Ungewöhnliches von ihm – er war immer zur Stelle, wenn sie ihn brauchte. „Möchtest du dich zu mir setzen und mit mir einen Tee trinken?“, lud sie ihn höflich ein und nahm schon eine zweite Tasse von dem silbernen Tablett, um für ihn den aromatisch duftenden und angenehm warmen Tee einzuschenken.

 

André setzte erschrocken seine Füße in Bewegung. „Oscar, du musst das nicht tun...“ Was tat sie da eigentlich? Er gehörte doch zu Bediensteten und nicht sie!

 

„Und warum nicht?“ Oscar stellte die Teekanne beiseite und schob die Tasse auf den Platz zu ihrer Rechten, wo André gerade am Tisch zum Stehen kam. Dann schaute sie zu ihm hinauf. „Ich habe dir doch schon einmal gesagt, dass ich mein Leben selbst in die Hand nehmen will und dass ich es nicht mehr brauche, von dir bedient zu werden.“ Das war eine falsche Wortwahl, das spürte sie, denn genau das hatte sie ihm an jenem verhängnisvollen Abend, der beinahe ihre Freundschaft zerstört hatte, gesagt und ihn aus ihren Diensten entlassen. Kein Wunder, dass er es nicht ausgehalten und ihr den Vergleich mit Rose und Distel gesagt hatte... Oscar schüttelte sich und versuchte an den verhängnisvollen Abend nicht mehr zu denken. Auch André sah sie an, dass ihn das getroffen hatte - sein Gesichtsausdruck verhärmte sich. „Warum bin ich dann hier?“, fragte er verkrampft.

 

Oscar senkte ihren Blick, nahm ihre Tasse an sich und schaute hinein – der betörende Duft stieg ihr in die Nase und sie ließ ihn in sich tief wirken. Was sollte sie ihm drauf antworten? „Ich wollte nicht alleine sein...“, entfuhr es ihr kaum hörbar, aber sogleich fasste sie sich zusammen – André durfte nichts merken, was in ihr vorging! „Und zudem noch muss doch jemand darauf achten, dass du die Anweisungen des Arztes befolgst.“, fügte sie daher sachlich hinzu.

 

„Warum tust du das?“ Ja, warum nur? Vielleicht war das jetzt der richtige Moment, um mit ihr das endlich zu klären. „Ich bin schließlich kein Kind mehr.“

 

„Du bist mir sehr wichtig, André...“, entfuhr es ihr wieder weich und ungewollt von den Lippen. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Egal wie sie sich innerlich anstrengte, ihre hartherzige Disziplin beizubehalten, aber in letzter Zeit misslang es ihr immer mehr... Vielleicht würde es ihr besser gehen, wenn sie ihm die Gründe offenbaren würde? „So wichtig, dass ich mich einsam fühle...“ Die Worte verließen ihre Lippen kaum hörbar, aber André verstand sie dennoch. Wie benommen nahm er den Platz auf den Stuhl neben ihr und versuchte ihr Gesicht aus näheren Sicht zu ergründen: Es war wie immer undurchschaubar, aber er glaubte trotzdem etwas Melancholisches wahrgenommen zu haben. Oscar sah von ihrer Tasse nicht auf und hielt sie in ihren Händen, aber trank auch nichts daraus. Die blonden Locken umrahmten ihr Gesicht an den Schläfen und sie mühte sich um einen festen Tonfall, was ihr anschließend doch noch gelang: „Ich wünsche mir, dass du gesund wirst, André... Dass es zwischen uns genauso sein wird wie früher... und dass du immer bei mir bist... Nicht wie mein persönlicher Diener oder meine Leibgarde, sondern wie mein Freund oder wie mein Gefährte... Das wünsche ich mir von Herzen...“ Oscar hielt kurz inne, horchte ihrem aufgeweckten Herzschlag und hob ihren Blick von der Tasse. Es war gesagt, aber leichter ums Herz war ihr dagegen trotzdem noch nicht. So, als würde ihr noch immer etwas fehlen... Damit würde sie sich allerdings später befassen – alles zur seiner Zeit, redete sie sich ein und lächelte André dabei matt an.„Und nun trink deinen Tee, sonst wird er kalt...“, deutete sie ihm, um von ihren erdrückenden Gefühlen abzulenken.

 

André war erschüttert. Dass sie so offen zu ihm sein würde, hätte er nie gedacht! Es hatte ihr bestimmt viel Kraft gekostet, so etwas auszusprechen und er wusste mit Sicherheit, dass sie es aufrichtig meinte. Und er begriff noch eine Tatsache: Oscar stand mit ihren Gefühlen in Wandlung! Wieder einmal bekämpfte sie ihre Empfindungen und versuchte sie auszusperren. Der ganze Zweifel zerstreute sich bei ihm in Bruchteilen einer Sekunde und sein Herz schlug vor Aufregung schneller. Vielleicht war das ein Zeichen auf eine Chance und wenn er nicht nachhalf, würde sie für immer verloren gehen. Er wagte den ersten Schritt und legte kaum berührend seine Hand auf ihr Handgelenk. „Ich werde immer bei dir sein, Oscar... Zwischen uns wird es immer so sein wie früher...“

 

Oscars Augen weiteten sich leicht - sie war gerührt, das merkte er an den schimmernden Glanz in ihrem Blick. „Ich danke dir, André...“, formten ihre Lippen tonlos und die Zeit blieb für die beiden einen kurzen Augenblick still stehen. Sie sahen sich an und ein reines Lächeln huschte auch nun auf Andrés Mundwinkel. Das Gefühl, dass wieder alles gut sein würde, erfüllte ihr Inneres und machte sie auf eine Art beschwingt. André war der erste, der die Stille unterbrach: „Wollen wir eine Runde fechten?“

 

Eigentlich kein schlechter Vorschlag, da sein rechter Arm trainiert werden müsste. Oscar kam nicht umhin dabei zu schmunzelt und deutete mit gespielter Aufforderung auf seine Tasse. „Und dein Tee?“

 

André nahm die Tasse und trank sie aus. „Zufrieden?“ Er grinste frech und das brachte Oscar zum Lachen. „In dem Fall können wir fechten gehen!“

 

 

 

- - -

 

 

 

Ein Hieb von rechts, ein Hieb von links – ausweichen, zurückschlagen und zustechen! André merkte schon bei der ersten Minute, dass er fast aus der Übung war. Oscar gab ihm keine einzige Möglichkeit auszumanövrieren und mit einem Überraschungsangriff sie zu überlisten! Und dennoch fühlte er sich belebter – wie in guten alten Zeiten es schon immer zwischen ihm und Oscar war.

 

„Obacht!“ Ihre Warnung brachte ihn schlagartig in die Gegenwart zurück. Zu spät merkte er ihre sausende Klinge und konnte gerade rechtzeitig noch zur Seite springen. Oscars Klinge schlitzte ihm den Ärmel auf, während er mir überraschtem Laut stolperte und auf seinen Allerwertesten unsanft zu Boden ging. „Alles in Ordnung?“ Oscar war sofort bei ihm, beugte sich auf ein Knie und legte ihren Degen zur Seite. Sie schnaufte noch außer Puste und betrachtete umsorgt seinen Oberarm – das Hemd war bestimmt dahin, aber wenigstens wies seine sichtbare Haut keine verräterischen Kratzer und Blut auf.

 

„Mir geht es gut. Ich bin nur gestolpert.“, versicherte André ihr ebenso schnell atmend. Wie hinreißend sie doch aussah – so nah und doch so fern...

 

Als hätte Oscar seinen Blick auf sich gespürt, schaute sie ihm direkt ins Gesicht. „Oder hat es mit deinem Auge zu tun? Hast du nicht richtig sehen können?“

 

„Nein, ich kann klar und deutlich sehen...“ Und spüren... Spüren, wie sein Herz ihm bis zum Hals schlug und er befürchten musste, dass Oscar es hören konnte. „Ich bin nur über einen Stein gestolpert, wirklich...“

 

„Gut...“ Oscar schluckte hart, auch ihr Herz drohte aus ihrem Brustkorb herauszuspringen. Dieser fesselnde Moment, in dem ihre Schwäche zum Vorschein kam... Das angenehme Rauschen, der im Kopf wie ein Hauch des Windes entstand und die Sinne benebelte... Sein bannender Blick, in dem so viel Sanftheit und Liebe lag... Warum hatte sie das noch nie gemerkt? „André...“ Nein, er durfte sie nicht so ansehen, sonst... Immer näher kam sein Gesicht dem ihren... Oscar spürte seinen warmen Atem auf ihrer Haut und glaubte sich in dem grün seines Auges zu verlieren – das andere, erblindete Auge war bis zu den Wangenknochen mit seinen Haarsträhnen verdeckt. Wie gerne hätte sie ihm diese braune Strähnen zur Seite gestrichen – in ihren Fingern kribbelte es, aber sie war unfähig sich zu bewegen. Und dann berührte er hauchzart ihre Lippen mit den seinen. Oscar versteifte sich – die Erinnerung an jenen grauenvollen Abend schoss ihr sogleich durch den Kopf, aber so gleich merkte sie den Unterschied und verharrte nur reglos. Das war kein gewaltsamer, harter Kuss und sie war nicht wie damals an den Handgelenken von ihm gepackt. André hielt sie überhaupt nicht. Sie spürte nur seine Lippen auf den ihren – ein sanfter, angenehmer und warmer Druck, der ihr ein wohliges Kribbeln in der Magengrube bescherte...

 

 

 

In Bruchteilen weniger Sekunden, die wie eine Ewigkeit verstrichen, ließ er ihre Lippen frei und entfernte sich hastig von ihr. Was hatte er gerade getan? Er hatte sich selbst den Gnadenstoß versetzt! Beschämend vergrub er seinen Kopf in den Händen und wagte nicht Oscar anzusehen. „Vergib mir... ich werde es nie wieder tun...“, murmelte er erstickt. „Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist...“

 

Oscar wusste, was in ihn gefahren war und ihr schmerzte es zu tiefst, ihn so anzusehen. Aber was sollte sie ihm sagen? Sie hatte keine passenden Worte dafür... Sie biss sich auf die Lippe und schmeckte noch die Wärme, die er ihr darauf hinterlassen hatte... „André...“ Zaghaft legte sie ihm ihre Hand auf die Schulter, spürte wie er darunter zusammenzuckte und entfernte sie hastig. „Ich wollte dich nicht verletzen...“, murmelte sie aufrichtig, griff nach ihrem Degen und erhob sich. „Lass uns bitte nicht mehr darüber sprechen...“

 

Als ob das einfach wäre! Sie wusste doch genau, wie schmerzlich und qualvoll das war, die Gefühle stillschweigend für sich zu tragen! Er hätte gerne mit ihr darüber gesprochen oder wenigstens ihre Vorwürfe angehört, aber bis auf „In Ordnung, Oscar“ sagte er nichts. Vielleicht, weil sie ihn nicht verstoßen hatte und ihm damit eine kleine Hoffnung gab... André sah zu ihr doch noch auf und war sichtlich überrascht, als sie ihm ihre Hand reichte. „Ich danke dir...“ Sachte ergriff er sie und erhob sich auf ihre Augenhöhe, wobei er sie fast um eine Kopfgröße überragte.

 

„Lass uns ins Haus gehen.“ Oscar wandte sich von ihm ab und ging ihm vor, ohne auf seine Antwort zu warten. Ihre Wangen glühten, ihre Lippen sehnten sich nach seinem hauchzarten Kuss und ihre Hand spürte noch den sanften Druck seiner Finger... Nicht schon wieder diese weiblichen Gefühle, die sie in Stücke rissen und ihr die Tränen in die Augen trieben! André durfte davon nichts mitbekommen, sonst würde sie ihn noch mehr verletzen und das wollte sie am allerwenigsten. Sie war hier in der Normandie, um zu genesen und damit sich seine Sehkraft erholte... Mehr nicht...

 

André zögerte noch etwas, bevor er ihr folgte. Er hatte die verräterische Nässe in ihren blauen Augen schimmern gesehen und das versetzte ihm einen Stich mitten durchs Herz. Oscar war mit ihren eigenen Gefühlen überfordert, das spürte er und das schmerzte ihm mehr, als ihre Zurückweisung. Sie durfte nicht noch mehr leiden und ganz besonders nicht seinetwegen! Aber vielleicht brauchte sie Zeit?

 

Ja, das wäre möglich und er würde alles daran setzen, um sie wieder glücklich zu sehen... um sie lachen zu sehen... wie in ihrer unbeschwerten Kindheit... „Ich werde dich für immer lieben...“, flüsterte André und die leichte Brise des Windes trug seine Worte ungehört davon...

Sonnenuntergang

Drei Tage...

 

Drei Tage, in denen so viel und zeitgleich nichts passierte...

 

Drei Tage befanden sie sich schon in der Normandie und verloren kein Wort über den lautlos knisternden und angenehm berauschenden Nachmittag ihrer Ankunft...

 

Oscar hielt ihr Versprechen und sorgte für André. André hielt seinerseits auch sein Versprechen und nahm ihre Fürsorge gelassen hin, um immer bei ihr zu sein. So konnte es aber trotzdem nicht weiter gehen – die Schweigsamkeit über ihre Gefühle drohte mit jedem Tag zu platzen!

 

Ein Pistolenschuss donnerte, zerriss mit einem lauten Knallen die Luft und traf ihr Ziel in etwa fünfzig Meter Entfernung: Die leere Flasche zersprang in mehrere Teile, als die Kugel sie durchschnitt. Oscar gab André die abgefeuerte Pistole, damit er sie in die Waffenkiste zurücklegen konnte. „Das war jetzt die letzte Flasche.“, sagte er, während er die Pistole nahm und sie sorgsam in die Kiste legte. Unbeabsichtigt berührten sich dabei ihre Finger und ließ eine gewisse Wärme bei allen beiden durchströmen. Wie lange sollten sie sich gegenseitig noch verschweigen, was in ihnen wirklich vorging? Auch wenn sie das dem anderen ansahen, trotzdem... oder gerade deshalb sollten sie sich endlich aussprechen...

 

„Wollen wir heute an die Küste, ans Meer ausreiten?“, schlug Oscar unvermittelt vor. Sie waren gerade bei einem Schießtraining und wieder sahen sie sich innehaltend an, bis André als erster den Blick von ihr abwandte. „Wird es aber nicht schon dunkel sein, wenn wir zurück kommen?“

 

„Das macht mir nichts aus. Du bist ja bei mir.“ Auch Oscar senkte ihren Blick, sie wollte mit ihm unter vier Augen reden – sie wollte endlich einen Schlussstrich ziehen und hatte sich dafür lange vorbereitet. „Ich möchte dir etwas zeigen.“

 

„Eine Überraschung?“ André hob seinen Blick, nahm die Kiste und stand auf.

 

„Nein.“ Oscar bewegte langsam ihre Füße. „Ich wollte mit dir einen Sonnenuntergang sehen. Das hatten wir schon lange nicht mehr getan.“

 

„Einverstanden.“ Obwohl die grauen Wolken ein Vorbote auf Regen war, konnte er trotzdem ihr die Bitte nicht abschlagen und holte sie mitsamt der Kiste ein. Die zersprungenen Glasscherben auf dem Tisch, den sie beide gerade passierten, räumten schon zwei Dienstmädchen weg.

 

Oscar beachtete das kaum. „Gut. Aber zuvor, vergiss nicht deine Medizin einzunehmen.“, ermahnte sie André und dieser zog seine Mundwinkel leicht nach oben. „Schon erledigt.“

 

„Dann können wir gleich los.“ Auch Oscar schmunzelte dabei etwas. „Und vielleicht auch um die Wette reiten.“

 

 

 

Um die Wette zu reiten, das war für Oscar ein typisches Spiel. Sie fühlte sich dabei stets frei und sorglos – besonders wenn der Wind ihr ins Gesicht wehte und ihr die salzige Luft nach Meer dabei in die Nase stieg, als sie im rasenden Galopp an der Küste entlang preschten. Das Wasser, die schäumende Gischt spritzte unter den Hufen der Pferde und hinterließ nasse Spuren, die sogleich von den anrollenden, schäumenden Wellen verwischt wurden.

 

André ritt knapp hinter Oscars Schimmel und versuchte diese Schönheit vor ihm erst gar nicht zu überholen. Wozu denn auch? Wenn sie ihm schon niemals ihre Gefühle gestehen würde, dann konnte er wenigstens diesen kleinen, zauberhaften Anblick für sich gewinnen und genießen – so lange, bis der Moment noch währte...

 

Im schnellen Galopp erreichten sie die weißen Felsen, die im Gegensatz zu den gewöhnlichen Grauen das Licht der Sonne und die Schatten der grauen Wolken widerspiegelten und im bestimmten Moment aufleuchten ließ. Die grüne Landschaft darauf und drum herum wirkte dabei wie ein grünes Moos, die eine weiße Marmorwand an bestimmten Stellen befallen hatte...

 

Oscar und André lachten in dem schnellen Ritt ausgelassen – der entgegen wehende, sausende Wind kitzelte ihnen die unbedeckte Haut im Gesicht und trieb sie regelrecht zum Lachen an. Diese Gegend war verlassen und leer, kein Mensch kam hierher und war vielleicht deshalb ein gerngesehener Ort für Oscar. Hier konnte sie ungestört ihren Gedanken nachgehen oder einfach ihre Ruhe von allen Aufgaben und Pflichten haben. Wie gerade jetzt. An einem dieser seltsamen weißen Felsen zügelte sie ihr Pferd - das häufigste Ziel ihrer Wettritte und wartete, bis André sie einholte. „Du hast wieder gewonnen!“ André lachte, als er sein Pferd neben dem ihren zum Stehen bewog. „Aber auf dem Rückweg werde ich bestimmt gewinnen!“

 

„Wenn du meinst...“ Oscar schmunzelte kurz in sich und schaute zum Horizont. „Was macht dein Auge? Ist es besser geworden?“

 

Das fragte sie ihn tagtäglich und André erwiderte ihr wie immer darauf ehrlich: „Auf jeden Fall...“

 

„Das ist gut...“ Oscar schmunzelte wieder kaum merklich. „Schau, es geht los... Die Sonne geht gleich runter... Ist es nicht schön?“

 

„Ja, wunderschön...“

 

„Du hast doch gar nicht hingeschaut!“

 

André schaute kurz auf die rotglühende Sonne, die immer mehr von grauvioletten Wolken umgeben wurde und die salzige Meeresluft schien dabei noch stärker nach dem nahenden Regen zu riechen. „Es sieht schön aus, aber du bist noch schöner.“

 

„André...“ Oscar warf zu ihm einen kurzen Blick von der Seite. In den letzten Tagen, genauer gesagt nach dem kleinen Zwischenfall am Nachmittag ihrer Ankunft, machte er ihr öfters und meistens unterschwellig derartige Komplimente – auch wenn er sie selbst niemals damit direkt ansprechen würde. Ob er ahnte, dass in ihr eine Veränderung vorging? Konnte man es denn an ihr ansehen? War das etwa so offensichtlich? Sie war doch sonst undurchschaubar! Sie senkte ihre langen Wimpern. „André, du weißt doch, dass es nicht geht. Es tut mir leid.“

 

„Was meinst du damit?“ André ahnte, was das war, aber er wollte auch, dass sie sich ihm öffnete und dass sie ihren Kummer nicht mehr alleine mit sich trug.

 

Oscar stieg von ihrem Pferd herab und band es an einem herausragenden Stein. Dann strich sie an den muskulösen Hals des Tieres. Sie war mit ihren Gefühlen hin und her gerissen, obwohl sie äußerlich eine Ruhe ausstrahlte. André verstand, dass sie womöglich zu einer Rede ansetzen würde, die sie vorerst überlegen und zurechtlegen musste. Er machte es ihr gleich und band sein Pferd neben ihrem Schimmel. Dann hielt er sich direkt neben ihr auf und sie drehte sich zu ihm um. Eine Weile sahen sie sich nur an, bis Oscar nachgab und tief Luft holte. „André, versteh mich nicht falsch, aber ich kann nicht noch einmal lieben... Wobei ich das gern tun würde... Aber ich habe mich dem Leben eines Mannes verschrieben und das halte ich auch ein...“

 

André seufzte kaum hörbar – jetzt oder nie. „Ist das wegen von Fersen?“

 

„Wie kommst du darauf?“ Oscar sah ihn unsicher an. André schien ihre Gefühlslage durchschaut zu haben und das bestätigte sich, als er seinen Blick senkte und ganz leise, mitfühlend äußerte: „Weil du durch die unerwiderte Liebe zu ihm, verletzt wurdest...“

 

Oscar lag schon ein spitzer Widerspruch auf der Zunge, aber das brachte sie nicht über sich – sie wollte ihn nicht mehr mit ihrer Zurechtweisung verletzen – das hatte sie schon zur Genüge getan. Vielleicht wäre es besser, wenn sie sich hier und jetzt endlich aussprechen und dieses Kapitel endgültig abschließen? Mit welchem Ausgang auch immer es sein mochte, aber sie war endlich für ein offenes Gespräch bereit – das spürte sie durch einen mulmigen Druck in ihrem Brustkorb. Oscar atmete tief durch, bevor sie zum Reden ansetzte. „Vor ein paar Monaten, ja, das war der Grund gewesen... aber jetzt weiß ich nicht, ob das überhaupt Liebe war, die ich für ihn empfunden hatte... Ich hatte Mitgefühl mit ihm und vielleicht war es genau das, was ich mit der Liebe verwechselt habe...“

 

André sah sie wieder an. Diese Offenheit hatte er von ihr nicht erwartet und das überraschte ihn aufs Neue. „Oscar...“ Er wollte ihr etwas sagen, aber sie ließ das nicht zu: „Warte, André, ich war noch nicht fertig...“ Oscar atmete wieder tief ein und aus. „Ich weiß nicht mehr weiter... Seit dem unsere Kutsche überfallen wurde, begreife ich, was du mir wirklich bedeutest und wie wichtig du für mich bist... Von Fersen hat uns gerettet, aber ich hatte nur Leere zu ihm gespürt... meine Sorge galt nur dir... André, bitte sag mir, was du darüber denkst...“

 

„Liebe...“, entfuhr es ihm von den Lippen und ein Glücksgefühl erstrahlte sein Inneres. „Ich habe schon immer gespürt, dass du diese Liebe für mich empfindest. So wie ich für dich.“

 

„Was?“ Oscar weitete die Augen. Sie erahnte diese Antwort und eine ungewöhnliche Wärme breitete sich in ihr aus, aber sie wollte nicht noch einmal verletzt werden. „André... Ich weiß, dass du mich liebst, aber wie kannst du das? Nach allem was zwischen uns gewesen ist, nach all dem Unglück, das ich dir verursacht habe... Wie kannst du mich dann noch lieben?“

 

„Wir sind für einander bestimmt...“ André lächelte sie liebevoll an. Endlich gestand sie ihre Gefühle! Und es lag nun an ihm, ob er ihr Herz endgültig für sich gewinnen können würde. „Ich liebe dich mein ganzes Leben und bis in den Tod hinaus.“

 

„André...“ Oscar konnte nicht mehr. Ihre Augen schimmerten glasig und eine Schwäche breitete sich in ihr aus. Sie lehnte sich an ihn. „Vergib mir... aber ich kann nicht... Ich liebe dich auch, aus tiefsten Herzen, das habe ich erkannt, aber ich kann nicht noch einmal eine Frau sein, wo ich mich doch für das Leben eines Mannes entschieden habe...“

 

André schloss sie sachte in seinen Armen. „Du bist aber eine Frau, Oscar und ich habe dich schon immer als Frau gesehen...“

 

„Fang jetzt aber nicht mit dem Vergleich zwischen Rose und Distel an...“, zischte sie gedämpft in sein Hemd.

 

„Nein, das mache ich nicht...“ André strich ihr sanft durch das Haar, spürte die Weichheit ihrer blonden Locken, sein Herz pochte dabei immer schneller und er selbst war von einem Glücksgefühl erfasst, wie schon seit Langem nicht mehr. „Ich werde niemals etwas machen, was du nicht willst... Und ich vergebe dir, denn ich liebe dich einfach zu sehr...“

 

Oscar hob ihren Kopf und schaute ihm direkt in die Augen. „Meinst du, wir haben eine Chance, von vorne zu beginnen und miteinander glücklich zu werden?“

 

André berührte vorsichtig ihre Wange, wartete auf ihre Reaktion und als sie kein Missfallen oder Unwohlsein zeigte, fuhr er leicht mit Daumen die Kontur ihre Lippen nach. „Dafür ist es niemals zu spät, Oscar...“

 

„Du hast recht...“ Auch Oscar erfasste ein strahlendes Gefühl. „Dann halt mich fest, Geliebter... Ich will nie mehr ohne dich sein... Wenn wir uns lieben, dann wird alles gut...“

 

„Ja, Liebste...“ André neigte seinen Kopf tiefer und küsste ihre weichen Lippen – kostete den süßen Geschmack, prägte sich jede einzelne Sekunde ein und genoss den kostbarsten Moment, den er je hatte. Wie schön das war! So rein, berauschend und beschwingt...

Im Sturm der Leidenschaft

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Wieder Daheim

Wie eigenartig es sich doch anfühlte, in den Alltag zurückzukehren zu müssen, wenn einem bewusst wurde, dass sich einiges geändert hatte. Ja, die Woche in der Normandie war vorüber und obwohl alles beim Alten zu sein schien, blieb trotzdem ein seltsames, dumpfes Gefühl, dass etwas fehlte. Die Liebe und Leidenschaft, die Geborgenheit und Zuneigung, die Oscar mit André in der Normandie verlebt hatte, durfte nun nicht mehr offen zur Schau getragen werden. Oscar und André war das bewusst und doch stimmte sie das wehmütig, sobald sie auf das Anwesen ankamen und ihren Dienst wieder antraten.

 

 

 

In der Kaserne mussten sie erfahren, dass Alain schon seit Wochen von seinem Urlaub nicht zurück gekehrt war. Merkwürdig. Alain de Soisson war einer der zuverlässigsten Soldaten in der Söldnertruppe, die ausschließlich aus Männer bürgerlicher Herkunft bestand. Er war ein hervorragender Kämpfer, seine Kameraden folgten und vertrauten ihm blindlings, und André zählte zu seinen Freunden.

„Vor etwa einer Woche hatte er Urlaub genommen, um seine Schwester zu besuchen und ist noch immer nicht zurückgekehrt.“, berichtete der unterstellte Adjutant Dagous, der neben Oscar dem Adel angehörte. „Das ist noch nie geschehen. Er ist kein Mann, der ohne Erlaubnis von der Truppe fernbleibt.“ Das war in der Tat sehr eigenartig und nicht seine Art der Kaserne unerlaubt fernzubleiben.

 

Oscar konnte Alains Verhalten sich nicht richtig vorstellen und während sie später bei der Überprüfung einiger Dokumenten über ihn rätselte, kam André zu ihr in das Offizierszimmer. „Oscar, ich bitte um Erlaubnis, die Kaserne zu verlassen. Ich möchte Alain seinen Sold bringen.“

 

Oscar war schon selbst am Überlegen, Alain aufzusuchen. „Ich komme mit dir mit.“

 

 

 

- - -

 

 

 

Drei Mal kräftig klopfte André an der Wohnungstür de Soissons, aber keiner machte auf. Unheimliche Totenstille lag hinter der Tür, als wäre niemand Zuhause. Dennoch spürte André, dass etwas nicht stimmte und drehte den Türknauf, bis die alte Tür nachgab und mit lautem Knarzen aufging. „Alain! Ich bin es, André. Ich bringe dir deinen Sold.“, meldete er sich gleichzeitig, um Missverständnisse zu vermeiden. Er erhielt darauf keine Antwort und trat mit Oscar in die Wohnung vorsichtig ein. Beißender Gestank stieg den beiden in die Nase, als sie sich in der ärmlichen und schäbigen Wohnung umsahen. Eine alte, abgemagerte und tot unglückliche Frau saß vor einem Vorhang auf einem Stuhl und hüllte sich in ein zerlumptes Tuch um ihre knochigen Schultern ein. Oscar und André bewegten ihre Füße auf die Frau zu, dabei verdeckten sie ihre Nasen mit dem Unterarm. „Seid Ihr Alains Mutter?“, fragte André mit einem dumpfen Gefühl. Madame de Soisson nickte nur darauf zustimmend, ohne ihren verweinten Blick zu heben und Andrés Stimmer wurde belegter: „Wo ist Alain?“

 

„Bei seiner geliebten Schwester...“, schluchzte sie und schlug sich die Hände vors Gesicht.

 

André schob die schwere Vorhänge auseinander und das Bild, das sich ihm und Oscar dahinter offenbarte, ließ alle beide vor Entsetzen erstarren: Am Fenster stand ein Bett und darauf lag ein verwesender Leichnam einer jungen Frau im Brautkleid. Diane, Alains jüngere Schwester, die vor wenigen Wochen heiraten wollte und deshalb Alain Urlaub genommen hatte...

 

Nun erfuhren sie den Grund seiner Abwesenheit und der Schrecken stand ihnen förmlich in den Gesichtern geschrieben. Alains Schwester hatte sich erhängt, weil ihr Bräutigam sie verraten hatte. „...er war ein verarmter Adliger...“, schluchzte die Mutter von Alain in ihrem Stuhl noch heftiger und ließ ihren Tränen freien Lauf. „...einen Tag vor der Hochzeit erhielt er einen Antrag von der Tochter eines reichen Mannes und dann hatte er Diane sitzen lassen... So, als würde man eine Tasse Kaffee wegkippen, die übrig geblieben ist... Sie hat ihn geliebt und hat ihm alles gegeben... Sie hat es nicht ertragen, dass er sie so schrecklich hintergangen hat und hat sich erhängt... Unser Leben ist mit ihrem zerstört worden...“

 

Alain kniete vor dem Bett seiner Schwester – verbittert, am Boden zerstört und als wäre er selbst gestorben. Nur sein rauer Ton verriet, dass in ihm noch Leben war. „Es tut mir leid, aber ich werde eine ganze Weile nicht mehr nach Hause kommen können. Bis ich begriffen habe, dass es ihr Lächeln, ihr Liebreiz – das alles nicht mehr geben wird... Dass so etwas Kostbares für immer verloren ist... Und nichts mehr, nichts mehr so sein kann, wie es einmal war...“, sprach er aus und auch ihm rollten die Tränen die Wangen herab.

 

Oscar schluckte hart – sie war unfähig etwas zu sagen, aber etwas tun musste sie. Schließlich war sie sein Oberst. Das Einzige, was sie für ihn tun konnte, war ihn weiterhin zu beurlauben. Und bevor sie aus der Wohnung ging, ließ André seinem Freund und dessen Mutter den Sold.

 

Draußen schnappten sie nach der stickigen Luft und als sie zu Pferde durch die Straßen von Paris ritten, mussten sie einer Gruppe Menschen ausweichen, die mit fordernden und lauten Stimmen ihnen entgegen marschierten. „Nieder mit dem Adel, es lebe die Republik!“

 

Oscar zügelte ihr Pferd, ließ sie passieren und sah ihnen mit gemischten Gefühlen nach. „Es werden immer mehr...“, stellte sie fest, als aus einer Seitenstraße sich noch eine Gruppe der Bewegung anschloss.

 

„Es scheinen neue Zeiten anzubrechen...“, vermutete André mit einem ebenso mulmigen Gefühl.

 

„Ich muss dagegen etwas unternehmen!“ Oscar gab unvermittelt ihrem Schimmel die Sporen und ritt nach Versailles. Sie musste unbedingt die Königin konfrontieren, damit endlich was getan würde!

 

Es waren etliche Monate her, als sie die Königin zuletzt besucht hatte. Versailles strotzte noch immer vor Eleganz, Reichtum und Glanz, was Oscar in Anbetracht des Leidens und der elendigen Zustände der armen Menschen aus dem Volk zuwider war. Der glatt polierte Fließboden knirschte unter ihren Stiefelsohlen, der Weg durch die langen Gänge, die von Marmorskulpturen der Reihe nach ausgestattet war, erschien ihr zum ersten Mal viel zu lang als noch vor einigen Jahren.

 

„Oscar!“ Die altbekannte Stimme ihres Vaters ließ sie mitten auf dem Weg zu Audienzsaal stocksteif stehenbleiben. „Du bist schon zurück?“, fragte er in seinem tiefen Ton.

 

„Wie Ihr es seht, ja, Vater.“ Oscar gab sich Mühe, ihre lodernden Gefühle nicht vor ihm ausbrechen zu lassen.

 

„Gut.“ Reynier schweifte mit seinem Blick auf André und musterte ihn abschätzend. „Und du bist also auch schon da.“ Das war eher eine Feststellung als eine Frage.

 

„Ja, General.“

 

„Bist du dir sicher, dass du Oscar weiterhin begleiten kannst?“, fragte Reynier ihn zynisch.

 

„Natürlich, General.“ André verstand ihn nicht so recht.

 

„Was soll das, Vater!“, platzte Oscar dazwischen. Sie dagegen verstand ihren Vater sehr wohl und worauf dieser anspielte. „André ist wieder gesund und...“

 

„Ist das so?“ Reynier ließ sie nicht weiter sprechen. Sein Blick ruhte weiterhin auf André – hart und zweifelnd. „Ich habe nämlich das Gefühl, dass du schon ausgedient hast – schon alleine wegen deiner Erblindung an einem Auge und in dem du es versäumt hast, meine Tochter vor dem Mob zu bewahren!“

 

Was für eine schamlose Anschuldigung! André wurde fahl im Gesicht, Oscar brauste dagegen auf: „Wie könnt Ihr so etwas sagen! Es waren viele verzweifelte, wütende Bürger! Wie konnte André mich davor bewahren, wenn er von mir getrennt wurde und selbst beinahe gestorben wäre! Ihr habt kein Recht, ihm alleine die Schuld zu geben!“

 

„Sei still!“, fuhr der General seine Tochter schroff an. „Vergiss nicht, wo du dich hier befindest! Und natürlich habe ich das Recht, ihn zu verurteilen! Immerhin habe ich ihn in deine Dienste gestellt und kann es genauso widerrufen!“ Ja, das stimmte, er hatte André als Kind zu Diensten seiner Tochter eingestellt, damit dieser mit ihr im Fechten übte und sie vor Gefahren beschützte.

 

„Nein!“ Oscar kochte bereits das Blut in den Adern, sie konnte kaum noch an sich halten. „André bleibt an meiner Seite!“

 

Die darauffolgende Ohrfeige von ihrem Vater saß und brannte höllisch auf ihrer Wange. „Ich habe dir schon einmal gesagt, was ich tun werde, wenn so ein Vorfall sich wiederholt! Und was den Mob angeht, darum wird sich seine Majestät kümmern!“

 

Oscar versuchte ihre Rage zu dämpfen und gleichzeitig ihrem Vater die Augen zu öffnen. „Deswegen bin ich auch hier und will mit Ihrer Majestät sprechen! Es muss etwas getan werden! Die Bewegung wird immer größer und wenn nichts unternommen wird, wird etwas Schreckliches passieren!“

 

„Das braucht dich nicht zu kümmern! Geh zurück auf deinen Posten und sorge dafür, dass Ruhe in der Stadt herrscht! Das ist nämlich deine Aufgabe!“ Reynier wartete nicht auf ihre Antwort und setzte seinen Weg fort. Dieses widerspenstige Kind! War es etwa doch ein Fehler, sie wie einen Knaben zu erziehen? Sie war doch sonst so gehorsam! Und wieso interessierte sie die Meinung des Volkes mehr, als seine oder gar königliche Anordnungen? Das dürfte er ihr auf kein Fall durchgehen lassen! Etwas würde ihm schon einfallen...

 

 

 

Oscar glühte vor Wut. André stand zwar direkt hinter ihr, aber er vermochte nicht sie zu trösten. Sie befanden sich in Versailles und jede noch so kleinste Unachtsamkeit würde viel Getuschel auf sich ziehen und dann würde ihre Beziehung in Gefahr geraten. Weder André noch Oscar wollten über die Folgen nachdenken. „Ich werde trotzdem mit Ihrer Majestät sprechen!“, schnaufte Oscar und setzte sich aufgebracht in Bewegung.

 

André folgte ihr selbstverständlich, allerdings musste er vor dem Audienzsaal draußen vor der Tür bleiben. Obwohl er Oscars Begleiter und Gefährte war, durfte er wegen seiner niederen Herkunft trotzdem solche Räume nicht unaufgefordert betreten. Er vertrat sich an der Tür, hinter der Oscar verschwunden war, die Füße, betrachtete desinteressiert das goldverzierte Muster an den Türrahmen und merkte nicht, wie der Kommandant des königlichen Garderegiments auf ihn zukam. „Ist wohl Lady Oscar bei der Königin?“, fragte dieser und blieb bei ihm stehen. Nach Oscars Versetzung in die Söldnertruppe, bekam Graf de Girodel das Kommando über die königliche Garde.

 

„Ja.“ sagte André schlicht. Der Mann behagte ihm nicht. Weil ausgerechnet Girodel vor kurzem Oscar heiraten wollte, aber nachdem sie ihn abgewiesen hatte, musste er wohl oder übel ihre Entscheidung anerkennen.

 

„Geht es ihr wieder gut? Ich bedaure den Überfall sehr und werde alles in meiner Macht setzen, um die Verantwortlichen dingfest zu machen und sie zur Rechenschaft ziehen. Ich habe mich schon deshalb mit dem General besprochen und er hat mir seine Hilfe zugesichert.“ Girodel lächelte vor sich hin. „Bestellt Lady Oscar herzliche Grüße von mir und sagt ihr, wenn sie eine neue Leibgarde braucht, stehe ich ihr gerne zur Verfügung.“ Er beachtete Andrés leicht geweiteten Augen nicht und ging einfach weiter.

 

André fühlte sich zur Seite geschoben und sein sonst so gelassenes Gemüt verwandelte sich in Bestürzung. Nein, er würde Oscar nicht verlassen, das würde sie nicht einmal zulassen! Aber wer war er schon, um darüber zu entscheiden? Nur ein einfacher Bediensteter, ein Stallbursche? Dieser Standesunterschied war falsch und ungerecht! Alle Menschen waren doch gleich!

 

Oscar kam nach einer Weile aus dem Audienzsaal auf ihn zugesteuert. André las schon von ihrem wütenden Gesichtsausdruck, dass sie wenig erreicht hatte. „Marie Antoinette wird mein Anliegen seiner Majestät sagen.“, erzählte sie, als sie Versailles ein gutes Stück hinter sich ließen und ihre Pferde etwas langsamer trabten. „Sie hat mir zugehört, aber ich habe nicht das Gefühl, dass meine Worte sie erreicht hatten.“

 

„Sie war bestimmt bei von Fersen in Gedanken.“, vermutete André und Oscar nickte ihm einvernehmlich zu. „Das denke ich auch.“

 

„Wo reiten wir jetzt hin, Oscar?“ Das interessierte ihn wirklich sehr. Nach allem, was er und seine Geliebte heute erleben mussten, und dazu noch die unerfreuliche Begegnung mit ihrem Vater und der abweisende Empfang der Königin, befürchtete er, dass sie etwas Unüberlegtes tun würde.

 

„Zurück in die Kaserne natürlich.“, belehrte ihn Oscar eines Besseren. „Wir warten ab, was noch so passiert. Aber eines sage ich dir: Ich werde nichts gegen einfache Bürger unternehmen und gegen sie mit Waffengewalt angehen!“

 

Auch wenn André etwas erleichtert aufatmete, lastete trotzdem ein mulmiges Gefühl in seiner Seele. „Und ich hoffe, dass es zu so etwas gar nicht kommen wird.“

 

„Das hoffe ich auch, André...“

Winter der Liebe

Leise Musik füllte die Räume und Gänge des Anwesens de Jarjayes, brachte mit sanftem Klang die Herzen zum Schmelzen und überdeckte sogar die großen Uhren an der Wand, die gerade Mitternacht schlugen. Oscar konnte schon immer gut Klavier spielen und heute verzauberte sie André damit aufs Neue. Entspannt wartete er darauf, bis sie zu Ende gespielt hatte, um ihr die Neuigkeiten mitzuteilen, die er heute Abend vor kurzem in Paris erfahren hatte. Draußen schneite es schon seit Stunden – die dicken Schneeflocken fielen genauso leise wie die taktvolle Melodie von Oscars Klavierspiel. André stand hinter ihr und seine Hände ruhten auf ihren schmalen Schultern, unter ihrer blonden Haarpracht und seine Daumen massierten ihr zärtlich den Nackenwirbel.

 

Mit jeder wechselnder Berührung ihrer zartgliedrigen Fingern auf den weißen und schwarzen Klaviertasten spürte er die kleinen Bewegungen ihrer Armmuskeln unter seinen Handflächen. Da sie beide sich sicher waren, dass alle um diese Zeit auf dem Anwesen bereits schliefen, kosteten sie diese seltenen Momente ihrer ungestörten Zweisamkeit aus. Das war schwer, aber im fünften Monat ihrer heimlichen Liebe gewöhnte man sich daran, ein Doppelleben zu spielen... Es war qualvoll ihre Sehnsüchte vor Augen der Welt zu verbergen und so zu tun, als wären sie langjährige Freunde und nicht mehr oder weniger... Womit nur würde das alles enden?

 

Natürlich mit nichts Gutem... Es würde gravierende Folgen für ihn und Oscar haben, wenn ihre Liebesbeziehung aufliegen sollte... Deshalb müsste alles noch geheim bleiben. Und zurzeit waren noch andere Sorgen unterwegs: Die Zustände des Landes besserten sich nicht - mehr Bürger gingen auf die Straßen, mehr Versammlungen fanden statt und mehr dunkle Vorahnungen wuchsen in Oscar. In Versailles tat sich noch immer nichts, um gegen Not der Menschen eine Lösung zu finden und bescherte ihr mehr und mehr Kopfzerbrechen. André konnte sie verstehen wie kein anderer, denn ihn plagte das Gleiche... Er entließ einen tiefsinnigen Seufzer, beugte sich etwas vor und hauchte einen Kuss auf den Scheitel seiner Geliebten.

 

Oscar spürte alles: seine Nähe, seinen Kuss und seine Hände, was ihr Geborgenheit und Wärme schenkte. Es tat ihr auf dem Herzen gut, ihn an ihrer Seite zu wissen und seine bedingungslose Liebe zu genießen. Ach, wenn sie schon viel früher seine Liebe erwidert hätte... Tiefe Zuneigung und Sehnsucht durchströmte ihren Körper und sie konnte sich nicht mehr so richtig auf das Klavierspiel konzentrieren. Dennoch beendete sie das Musikstück und verharrte einen Augenblick reglos – die liebliche Melodie hallte noch wie ein Echo in ihrem Kopf und sie ließ das tief in sich wirken, bevor sie aufstand, den Klavierdeckel zuklappte und sich umdrehte. „André...“ Vertraulich lehnte sie sich an seine Brust und hörte durch sein Hemd seinen gleichmäßigen Herzschlag. „Geliebter... Hast du etwas in Paris herausfinden können?“ Sie beide hatten heute Nachmittag Dienstfrei genommen und André war noch etwas in der Stadt geblieben, während sie auf das Anwesen geritten war. Er sollte sich unter den Menschen mischen und an einer dieser Versammlungen auf der Straße teilnehmen, um herauszufinden, was da vor sich ging und welche Stimmung die Bevölkerung hatte. Als Bürgerlicher wäre er nicht so unter seinesgleichen aufgefallen wie Oscar in ihrer Uniform eines adligen Befehlshabers.

 

„Ja.“ André legte sachte um sie seine Arme, vergrub seine Nase in ihren weichen Locken und genoss den milden Duft, der ihm dabei in der Nase stieg. „Ich habe Bernard getroffen.“

 

„Bernard?“ Oscar hob ihren Kopf von seiner Brust und sah ihn wunderlich an. Bernard Châtelet war ein Journalist und Gerichtsschreiber. Er arbeitete für Robespierre, der sich als Anwalt für das Volk bezeichnete und für dessen Rechte er sich auch einsetzte. Bernard gehörte zu einem seiner Schüler und vor nicht allzu langer Zeit hatte er als schwarze Ritter die Adelshäuser unsicher gemacht und seine Beute an die Ärmsten der Armen verteilt. Und ausgerechnet ihm verdankte André die Verletzung an seinem linken Auge. Wie wütend und außer sich Oscar danach war! Sie wollte ihm das Gleiche antun, was er André angetan hatte und als sie ihn endlich gefangengenommen hatte, hatte ausgerechnet André ihr Vorhaben vereitelt, Rache zu nehmen. „Wir können nichts gegen Armut des Volkes unternehmen, aber der schwarze Ritter schon... Deswegen finde ich, du sollst ihn dem Richter nicht übergeben lassen...“, war seine Begründung gewesen. Oscar hatte ihn nicht verstanden und dennoch hatte sie den schwarzen Ritter gehen lassen... Da sie ihm, bevor sie ihn gefangen hatte, in die Schulter geschossen hatte, musste er noch gepflegt werden und deswegen hatte sie ihn zu Rosalie geschickt.

 

Rosalie... Wie es ihr jetzt wohl ging?

 

Das bürgerliche Mädchen, das sie einstmals bei sich aufgenommen hatte, war ihr sehr ans Herz gewachsen und wohnte jetzt aber seit einer langen Zeit in Paris...

 

Oscar hob ihre Hand und strich die Haarsträhnen von Andrés erblindeten Auge. Die rosige Narbe, die vom Wangenknochen bis zur Augenbraue verlief, kam wie ein Mahnmal zum Vorschein und Oscar fuhr vorsichtig mit ihren Fingern darüber.

 

André zuckte leicht zusammen und entfernte sachte ihre Finger von dort. Ihm tat dabei nichts weh, es war ihm nur unangenehm. Er ahnte, dass Oscar seine Verletzung und Erblindung des linken Auges zu schaffen machte, immerhin hatte er den Lockvogel für sie gespielt und er wollte nicht, dass sie deshalb sich selbst die Schuld dafür gab. Auf ihre Finger, die er noch in seiner Hand umschlossen hielt, hauchte er einen zärtlichen Kuss und versuchte ihr damit die Schuldlast zu nehmen. Oscar verstand ihn ohne weitere Worte und bat ihn daher weiter zu erzählen, was André auch tat: „Bernard ist Vorsprecher in einer der Bewegungen. Seine Reden, die Sagen, dass das einfache Volk das gleiche Recht hat wie die Adligen, sie klingen überzeugt und geben den Menschen Mut. Und Rosalie hilft ihm auch dabei.“

 

„Rosalie?“ Das war für Oscar wirklich überraschend. Was hatte denn Rosalie mit Bewegungen zu tun?

 

„Ja, Oscar, sie arbeitet jetzt auch für Robespierre und verteilt Handzetteln.“ Andrés Mundwinkel zogen sich dabei immer mehr nach oben. „Bernard hat mich auf eine Tasse Tee eingeladen und ich habe sie bei ihm dann getroffen. Sie beide sind miteinander verheiratet und Rosalie lässt dir schöne Grüße ausrichten.“

 

„Danke.“ Oscar konnte noch immer nicht so recht glauben, dass ihre liebe Rosalie den ehemaligen schwarzen Ritter geheiratet hatte. Sie ließ sich das durch den Kopf gehen und schmunzelte leicht angetan. „Sie hat ihr Glück also gefunden. Ich freue mich für sie. Rosalie ist ein liebes Mädchen, so rein und klar, wie ein Sonnenstrahl. Ich wünsche ihr von Herzen, dass sie glücklich wird.“

 

„Das wünsche ich ihr auch, von ganzem Herzen. An Bernards Seite sieht sie wirklich glücklich aus.“ André ließ sich noch einmal das Gespräch mit Bernard durch den Kopf gehen und machte eine Pause. Oscar sah an seinem glanzvollen Blick, dass das noch nicht alles war, dass er noch etwas zu erzählen hatte und wurde ungeduldiger. André zog es in die Länge, bis sie kurz davor stand, ihn mit ihrem eisigen Blick zu strafen und auf diese Weise herauszufordern, dann erst machte er den Mund auf: „Die Dreiständekammer ist bestätigt!“

 

„Ist es wahr?“ Oscar erstrahlte, Glückseligkeit und Hoffnung breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als er zustimmend nickte und genauso fröhlich hinzufügte: „Einer von Bernards Männern kam herein und hat das bestätigt. Am ersten Mai wird die Dreiständekammer eröffnet.“ Dass der König dazu keine andere Wahl hatte, blieb erst einmal ungesagt. Durch die Missernten, Hungersnot und ständige Erhöhung der Steuern wäre eine Zusammensetzung aller drei Kammern berechtigt, um nach einer Lösung zu finden und das Land aus der finanziellen Krise zu retten.

 

„Das Volk hat schon lange darauf gewartet!“ Oscar lehnte sich erneut an ihren Geliebten. „Endlich wird etwas getan!“ Sie hörte wieder seinem gleichmäßigen Herzschlag zu, der sie melancholischer stimmte und eine Sehnsucht nach ihm am ganzen Körper verbreiten ließ. Seit sie aus der Normandie im August zurückgekehrt waren, hatten sie kaum Zärtlichkeiten miteinander getauscht. „Und wenn das alles vorbei ist, dann heiraten wir!“, murmelte sie in sein Hemd.

 

„Oscar!“ Hatte er das gerade richtig gehört? Überrascht schob er sie etwas von sich und suchte nach Bestätigung in ihren fröhlich glänzenden Augen. Oscar schmunzelte unwillkürlich. Sie konnte seine Verwunderung nachvollziehen, denn von ihr so etwas wie Heirat gehört zu bekommen, war für ihn völlig unerwartet und auch sie war über sich selbst leicht überrascht. Aber vielleicht lag es an ihrer Liebe zu ihm, die ihr die Kraft gab, über ihren eigenen Schatten zu springen und ihm all das zu geben, was sie schon längst hätte geben sollen. „Ja, André, egal wie die Sache ausgeht und was dabei rauskommt, wir werden trotzdem heiraten!“

 

„Das ist doch wunderbar!“ Ja, wunderbar und gleichzeitig bescherte es ihm ein mulmiges Gefühl. „Aber willst du denn so jemanden wie mich, einen Habenichts, zum Mann nehmen? Ich meine...“

 

„Das macht mir nichts aus... Und du hast mehr, als du es wahrnimmst...“ Oscar legte ihm sachte die Hand auf den Brustkorb. „Hier, dein Herz, das so viel Liebe und Kraft besitzt... Und ich liebe den Mann in dir... Ich brauche nichts, ich bin glücklich mit dem was ich habe... Ich bin glücklich mit dir... Nur mit dir – du bist mein Ein und Alles.“

 

„Das kann ich nur zurückgeben...“ André wollte sie küssen, sie liebkosen und mit ihr in Leidenschaft versinken, aber stattdessen verharrte er reglos. „Willst du das wirklich?“, fragte er vorsichtig und erklärte sogleich ganz leise: „Ich meine, nicht das wir ertappt werden...“

 

„André, wir haben ein Uhr nachts und alle schlafen schon längst...“, erinnerte Oscar ihn zweideutig und André fühlte sich schon etwas leichter. „Da hast du recht.“ Er hob sie schwungvoll auf seine Arme und trug sie auf das Bett. Gepackt von dem Verlangen und der Sehnsucht nach ihr, zog er ihr beinahe hastig das Hemd aus, streichelte lustvoll ihre Brust, ihr flachen Bauch, öffnete ihren Hosenbund und zog ihr die Hose aus. Oscar half ihm derweilen aus seinen Sachen raus zukommen und dann war er schon über ihr. Sie liebten sich ausgiebig mit all den Zärtlichkeit und kosteten ihre Leidenschaft immer aus.

 

 

 

 

 

 

„So können wir weiter machen“, gestand Oscar atemlos, als André nach dem gemeinsamen Liebesspiel sich neben sie legte und ihren Hals noch etwas mit seinen Lippen liebkoste. „Ich will deine Liebe nicht missen.“

 

„Mir ergeht es ebenso mit dir, meine geliebte Oscar...“, hauchte er ihr verführerisch ins Ohr und seine Geliebte drehte sich dann plötzlich zu ihm. „Dann lass uns jede Nacht ausnutzen, die uns zur Verfügung steht.“, schlug sie ihm schelmisch vor und kaum das André seine Zustimmung abgeben konnte, stieg sie auf ihn schon rittlings auf. Ein sehr reizvoller Vorschlag ihrerseits, dem er nicht widerstehen konnte. So machten sie das und verbrachten den Winter in verborgener Liebe, Lust und Leidenschaft.

Unverhofft

Frühling...

 

Der harte Winter war endlich vorüber, vom Schnee war auch nichts mehr übriggeblieben und die Natur erwachte aus dem langen Schlaf: Das sanfte Grün sprießte aus der Erde, die ersten Blätter auf den Bäumen entfalteten sich in ihrer Pracht, die Zugvögel kehrten zurück, die Tage wurden länger und die Sonne schenkte immer mehr Wärme. Die hellen Strahlen brachen schon am frühen Morgen, als die Nacht gerade im Rückzug war, in die Fenster der Häuser ein, verjagten die restliche Dämmerung und kitzelten diejenigen in die Nase, die noch in ihren Betten lagen.

 

Oscar regte sich schlaftrunken in Andrés Armen - sie wollte nicht aufstehen und erst recht nicht ihn wecken, aber es würde bald das Leben auf dem Anwesen erwachen und es wäre besser, wenn er noch vor den ersten Bediensteten, besonders vor seiner Großmutter, auf seinem Zimmer war. Dieses heimliche Spiel der verborgenen Liebe wurde beinahe zum Ritual. Aber nicht mehr lange... Schon bald würde das nicht mehr gehen können...

 

Oscar seufzte schwer und saß vorsichtig auf – sie war gleich nach der Liebesnacht an der Brust ihres Geliebten eingeschlafen. Sein Arm rutschte an ihrem nackten Körper nach unten und wieder stieg eine leichte Übelkeit in ihr hoch. Oscar ließ gleich ihre Beine vom Bett herab, schlang ihre Arme um die Mitte und beugte sich vor. Nicht schon wieder! Wann würde das endlich nachlassen?

 

Mit tiefen Atemzügen ebbte die Übelkeit ab und kurz darauf spürte sie ihren Geliebten dicht hinter sich – schon alleine sein warmer Körper gab ihr den Trost und beruhigte sie. Er legte um sie seine Arme, zog sie zwischen seine Beine enger an sich und schenkte ihr seine Geborgenheit. „Guten Morgen.“, murmelte er in ihr Haar umsorgt. „Geht es wieder?“

 

„Guten Morgen. Ja, mir geht es besser.“, flüsterte sie zurück und genoss für kurzen Moment diese Innigkeit. „Es ist bald soweit...“

 

„Ja, in einer Woche wird die Dreiständekammer beginnen.“ André schob ihr das Haar zur Seite und küsste sie zärtlich auf die Schulter.

 

Oscar genoss es ihrerseits sehr, aber das brachte sie auch nicht von dem Thema ab. „Das heißt, dass wir nicht mehr so oft auf das Anwesen kommen können und werden mehr Zeit in der Kaserne verbringen.“

 

„Das ist wohl wahr...“ Andrés Finger fuhren sachte von ihrer Oberweite nach unten, erreichten die kleine Bauchwölbung und blieben mit der ganzen Handfläche dort ruhen. „Es wird immer größer...“

 

„Ich kann es aber noch unter meiner Uniform gut verbergen.“, versuchte Oscar ihn und sich selbst zu beruhigen. „Es wird alles gut werden, André, vertrau mir.“

 

„Ich vertraue dir voll und ganz...“ Das tat André wirklich, nur die Sorge wuchs in ihm stetig, so ähnlich wie ihr Bauch. „Ich will dich nur nicht verlieren... Ich will euch nicht verlieren...“ Er strich ihr liebevoll an der Wölbung und Oscar gewährte ihn. Sie wandte sich in seinen Armen halbwegs um, er ließ sie rücklings in die Kissen sachte fallen und verteilte kleine Küsse um dem Bauchnabel herum. „Wann wird es kommen?“

 

Oscar strich ihm dabei gedankenverloren durch sein dichtes, schulterlanges Haar. „Ich schätze im Herbst...“ Ja, sie konnte selbst noch nicht richtig daran glauben, aber sie war guter Hoffnung und trug eine Verantwortung mehr. Es musste in einer der Nächte entstanden sein, die sie im Winter zwischen Januar und Februar mit ihrem André hier auf dem Anwesen verbracht hatte. Sie hatten es sich nicht nehmen lassen, diese Nächte auszunutzen und ihre Liebe zu genießen. Dass Oscar dabei schwanger werden könnte, hatte keiner von ihnen bedacht – sie beide waren ja bereits Anfang dreißig und hatten bisher immer Glück gehabt. Nun hatten sie den Preis für ihre heimliche Liebe bekommen... Der Preis, der in diesen unruhigen Zeiten nicht gerade angebracht oder passend war, aber bestätigte dennoch ihre Liebe und war demzufolge irgendwo willkommen und machte sie auf eine andere Art auch glücklich. Wenn doch nur die Umstände bloß etwas anders wären...

 

Im März war Oscar zum ersten Mal übel geworden, als sie genauso wie heute neben ihrem Geliebten aufwachte und er mit ansehen musste, wie sie ihr Abendessen in dem Nachttopf erbrach - jetzt konnte sie wenigstens die Übelkeit gewissermaßen kontrollieren. Zuerst hatte sie sich nichts dabei gedacht, dann wiederholte es sich und es war ausgerechnet André, der seine Sorge geäußert hatte und sie in das Licht mit seiner Vermutung geführt hatte. Oscar wollte es nicht glauben, obwohl ihr Gefühl ihr das Gegenteil vermittelte und ihr Bauch im letzten Monat zu Wachsen begann. Erst da fing sie langsam an ihren Umstand zu akzeptieren und André, der sowieso das schon längst geahnt hatte, liebte sie noch mehr.

 

Oscar war ihm dankbar für alles und schwor sich insgeheim, für ihn und für das Kind alles zu tun, was in ihrer Macht stand und sie zu beschützen. „Ich muss los...“, hörte sie ihn sagen und kehrte in die Wirklichkeit zurück. „Ich werde dann gleich auch aufstehen“, erwiderte sie und saß auf.

 

André schloss sie ein letztes Mal in die Arme, schenkte ihr einen innigen Kuss und stieg dann aus ihrem Bett. Auf dem Boden, gleich neben dem Bett, fand er seine Sachen, zog sich an und setzte sich zu Oscar, die ihn die ganze Zeit beobachtet hatte, ohne an ihre Blöße zu denken. Vor ihrem Geliebten brauchte sie sich nicht zu verstecken, er kannte jede Stelle an ihrem Körper und sie an dem seinen. Dennoch nahm er eine Decke und legte sie um die Schultern. „Sonst wird es kalt.“

 

„Wir haben Ende April.“

 

„Trotzdem.“ André strich ihr zärtlich an der Wange, küsste ihre Lippen und verließ dann ihre Gemächer.

 

Oscar hüllte sich noch etwas in die Decke ein, wartete bis der Morgengrauen sich gänzlich im Zimmer ausbreitete und erst dann verließ sie ihr Bett, machte die Morgenwäsche, zog sich an und ging in ihren Salon, um bis zum Frühstück an ihrem Klavier zu spielen.

 

 

 

- - -

 

 

 

Die letzten Tage in diesem Monat regnete es unablässig. In der Kaserne herrschte Ruhe. Die Söldner spielten meistens Karten in ihrem Quartier, als die Tür aufging und einer ihrer Kameraden den Raum betrat. Wasser triefte ihm vom Regenumhang und Mütze. Die Söldner starrten ihn überrascht an, sie fanden sich schon langsam damit ab, dass er nie mehr kommen würde. „Hey, bist du das, Alain? Lange nicht gesehen!“, rief einer von ihnen.

 

„Lange nicht gesehen, aber trotzdem erkannt.“ Alain zog seine Mütze und seinen Umhang ab und hängte das an einen Hacken an der Wand. „Wie geht es euch, Jungs?“

 

„Das mit deiner Schwester tut uns sehr leid.“, brachte jemand ein aufrichtiges Beileid für alle und Alain fand sich im nächsten Augenblick im Kreis seiner Kameraden. „Armes Mädchen. Und deine Mutter ist auch gestorben, unser Beileid. Wir dachten, wir sehen dich bei der Truppe nie wieder.“

 

„Ich hatte gar nicht vor, hierher zurückzukehren.“ Alain kam auf den Tisch zu und ließ sich auf einen der Stühle nieder. „Ich dachte, meine Zeit bei der Armee ist endgültig vorbei. Aber bin nun doch wieder da.“ Er verschränkte seine Finger ineinander und stützte darauf sein Kinn. „Meine Schwester und meine Mutter sind an einer Stelle begraben, wovon aus man direkt auf das Meer blicken kann. Ich war oft dort. Wenn ich an ihren Gräbern saß, wünschte ich mir, ich wäre tot wie sie.“ Seine Gesichtszüge änderten sich von einem Moment auf den anderen. „Aber nun bin darüber hinweg. Wir lassen jetzt den Kopf nicht hängen, sind jetzt doch so große Zeiten.“

 

André verließ das Quartier und ging in das Offizierszimmer, um seiner Oscar über Alains Rückkehr zu melden. „Das ist gut.“, meinte Oscar und ging ans Fenster, wo draußen noch immer der Regen wie aus Eimern schüttete. André folgte ihr. „Oscar, ich habe gehört, dass Graf von Fersen nach Schweden zurückgekehrt ist. Ihm blieb keine Zeit mehr, sich von dir zu verabschieden.“

 

Oscar sah weiterhin aus dem Fenster. Warum erzählte er ihr das? Sie war doch mit ihm zusammen und trug bereits ein Kind von ihm unter ihrem Herzen. Sie seufzte und legte hauchfein ihre Handfläche auf die kleine Bauchwölbung, die unter der kompakten, blauen Uniform noch vor allen Augen unsichtbar blieb. Noch. Oscar lenkte gleich das Thema in eine andere Richtung. „Wir werden eine spezielle Übung zum Schutz der Dreiständekammer abhalten, sag allen Bescheid.“

 

„Gut mache ich.“

Ein Rückfall?

Nach zwei Tagen wurde die Dreiständekammer eröffnet und ab da an begann sich alles zu ändern: Im Parlament stritten die Vertreter des Adels und der Kirche mit Volksvertretern und kamen zur keiner Einigung – einen ganzen Monat lang nicht. Nun herrschte schon Anfang Juni und es war noch immer keine Besserung in Sicht...

 

„Seit das Parlament eröffnet wurde, gab es noch keine Pause.“, meinte André auf seinem Posten an dem Parlamentsgebäude – die gesamte Söldnertruppe wurde unter dem Kommando von Oscar hierher beordert, um für Ordnung zu sorgen. „Es scheint heiß her zu gehen.“ Und André meinte nicht nur das sonnige Wetter und die Hitze. Er machte sich Gedanken um seine Geliebte und um ein gewisses etwas, dessen Erzeuger er war. Hoffentlich würden die Abgeordneten und die Parlamentarier schon bald zu einer Einigung kommen, so dass Oscar sich etwas erholen konnte – sie sah nämlich ein wenig erschöpft aus und das gefiel André ganz und gar nicht...

 

„Ja.“, stimmte Alain, der neben André auf dem Posten vor dem Parlamentsgebäude stramm ausharrte, ihm auf seine Aussage zu. „Es wird erzählt, dass unsere Volksvertreter den Nichtstuern aus dem Adel und der Kirche ganz schön kräftig zusetzen. Ich könnte was tun, wenn ich dort mal Mäuschen spielen dürfte...“ Gleichmäßige Schritte entstanden hinter ihrem Rücken und Alain sah über die Schulter. „Oh, da kommt unser Kommandant Oscar.“ Er wartete, bis sie die Treppe runter kam und sie beide passierte. „Na, was tut sich da drüben? Gibt es was Neues im Parlament?“

 

„Sie liefern sich bittere Mordgefechte. Wenn die Konferenz vorbei ist, brauchen wir Urlaub. Aber bis dahin müssen wir hart arbeiten.“ Oscar blieb stehen, um einen tiefen Atemzug zu holen. Dem kleinen Wesen unter ihrem Herzen schien es nicht sonderlich zu passen, dass sie ununterbrochen auf den Beinen war und sich keine Ruhe gönnte. Es machte sich mit kleinen Bewegungen in ihrem Bauch bemerkbar und Oscar verdrängte krampfhaft den Drang, ihren Arm um ihre Leibesmitte zu legen. Auch André versuchte sie schweren Herzens nicht anzusehen und ihr auch keine Beachtung zu schenken. Sie waren hier im Dienst und ihre Pflicht hatte größere Priorität. Zudem noch dürfte niemand etwas über ihren Umstand und auch, dass sie Andrés Geliebte war, merken. Aber bald würde ihr keine andere Wahl bleiben, das alles preiszugeben... Jedoch nicht jetzt... Nur noch etwas Geduld... Oscar senkte ihren Blick und dabei fiel ihr etwas ins Auge: eine leere Flasche lag vor ihren Füßen und sie hob sie auf. „Das geht aber nicht!“ Wenigstens half ihr dieses Fundstück ihren kühlen Ton wieder zu finden. „Was macht es für einen Eindruck!“ Sie drehte sich zu der Soldatenreihe um. „Ich habe euch schon mal gesagt, dass die Straße keine Müllkippe ist!“

 

„Entschuldigung. Wir haben das Ding gar nicht bemerkt.“, murmelte André und plötzlich verschleierte sich seine Sicht. Nein, er hatte das doch schon überwunden und er war geheilt! Oder war das ein Rückfall? Und warum ausgerechnet jetzt? André blinzelte, um klarer sehen zu können, aber das half nicht viel – er sah noch immer leicht verschwommen... Nicht schon wieder... Er bemühte sich, nicht mit seinem Arm über die Augen zu reiben, um Oscar nicht zu beunruhigen. Diese merkte in der Tat nichts von seinem Kampf mit sich selbst und richtete ihre nächsten Worte direkt an ihn: „Hier, wirf sie weg!“, ordnete sie an und warf die Flasche ihm zu.

 

„Ja, mache ich.“ André breitete seine Arme aus, behielt die fliegende Flasche im Visier , obwohl seine Sehkraft noch etwas verschleiert war und machte ein paar Schritte nach vorn, um besser fangen zu können. Aber dabei hatte er die Rechnung ohne seine Sehkraft gemacht... Die Sicht verschwamm stärker und er verfehlte sein Fang knapp – die Flasche zerbrach auf den Pflastersteinen fast vor seinen Füßen.

 

„André!“ Oscar riss erschrocken die Augen auf und bekam prompt eine schlechte Vorahnung.

 

Alain eilte gleich herbei, schob André zur Seite und sammelte die Scherben ein. „Fangen ist wohl nicht deine Stärke...“ Er wusste ja über seine schwindende Sehkraft schon von Anbeginn an, als André vor einem Jahr der Söldnertruppe beigetreten war. Ebenso wusste er über seine verborgene Liebesqual zu Kommandant Oscar, was er nicht sonderlich verstand. Nun gut, sie war ein guter Anführer und hervorragender Fechter, aber solche Frauen zu lieben brachte doch nur Schwierigkeiten mit sich... „Lass das nur, ich mach das weg.“, fügte er hinzu und vernahm sogleich Oscars Stimme mit einer weichen Note in ihrem sonst so kühlen Ton: „Hat es etwas mit deinem Auge zu tun?“, vermutete Oscar besorgt und André richtete sich sogleich in ganzer Größe auf. „Nein!“, beteuerte er und lachte gar auf.

 

Alain zog stutzig seine buschigen Augenbrauen zusammen. Etwas stimmte mit den beiden nicht! Zwischen ihnen lag keine altbekannte Distanz, sondern es sah danach aus, als hätten sie etwas zu verheimlichen... Alain sammelte die restlichen Glasscherben auf, er würde das schon in Erfahrung bringen. „Wenn wir hier den ganzen Tag stehen, wird uns etwas schummrig in den Stübchen.“, meinte er verschwörerisch, um seine Vorahnung nicht anmerken zu lassen und André schnappte sich sofort den Köder: „Richtig, genauso ist es! Ich bin ein bisschen erschöpft. Vielleicht sollte ich mich für einen Moment hinsetzen.“

 

„Ja, natürlich, ruh dich aus, André.“ Oscar ließ das mulmige Gefühl nicht los, dass er nicht ganz bei der Wahrheit war. Jedoch war das jetzt gerade nicht der richtige Zeitpunkt, ihn zur Rede zu stellen: Das Rollen einer Kutsche erregte ihre Aufmerksamkeit und kaum dass sie hinsah, passierte diese schon die Tore. „Das ist die Kutsche von Marie Antoinette...“, stellte sie wunderlich fest und ein Verdacht, dass etwas nicht in Ordnung war, breitete sich in ihr aus.

 

Nach der Königin folgte auch der König. Die Unterbrechung des Parlaments konnte nur eines bedeuten: Dem Thronfolger, Prinz Louis Joseph, ging es sehr schlecht. Er war krank – todkrank um genauer zu sein und das auch nicht erst seit Kurzem. Die Versammlung des Parlaments wurde daher aufgelöst, die Söldnertruppe nach Hause geschickt und am Abend wurde die Hitze des Tages durch einen Regen abgelöst. Wenigstens befanden sich Oscar und André dieses eine Mal bereits auf dem Anwesen und standen nicht mehr in den Strömen des Regens am Parlamentsgebäude. Merkwürdigerweise fiel der Regen dieses Jahr viel zu oft und verhieß nichts Gutes für die Ernte, wenn es so weiter gehen würde...

 

„Ein furchtbares Wetter...“, bemerkte dabei André schwer seufzend. „Dem Kleinen Prinzen Joseph soll es sehr schlecht gehen.“ Er stand am Fenster in Oscars Salon, schaute in die verregnete Dunkelheit des späten Abends nach draußen, während seine Geliebte hinter ihm am Tisch saß und einen Tee trank. „Hoffentlich ist es nicht so schlimm...“, erwiderte Oscar bedrückt und legte zart ihre Hand auf die kleine Bauchwölbung, die unter ihrem Hemd und Weste noch genauso gut verborgen war wie unter ihrer kompakten Uniform. „Der Prinz ist noch so jung und er war immer so fröhlich...“ Oscar schmerzte es selbst bei dem Gedanken, welche Qualen der kleine Junge gerade durch seine Krankheit ausfochten musste und versuchte sich gleichzeitig Mut zusprechen. „Aber er ist ein Kämpfer, er wird sich bestimmt wieder erholen.“

 

„Hoffentlich.“ André tat der kleine Prinz auch leid und er vermochte sich nicht vorzustellen, welche Schmerzen er gerade durchleiden musste... Aber gleichzeitig schwebte er nebenbei auch in anderen Gedanken: Der heutige Vorfall mit seiner Sehkraft ließ ihn nicht in Ruhe. Er sah zwar wieder besser und hatte erneut angefangen Medizin einzunehmen, aber wer wusste schon, ob das nicht noch einmal kommen würde? Oder war das heute wirklich so wie Alain es gesagt hatte? Wurde sein rechtes Auge nur überanstrengt und ihm nur wegen der Hitze und weil er ungewohnt so lange unter der segnenden Sonne gestanden hatte, schummrig?

 

„Übrigens...“, hörte er Oscar das Thema wechseln. „Ich habe noch etwas anderes auf dem Herzen. Darf ich mit dir darüber sprechen?“

 

„Natürlich.“ Was war das für eine Frage?! Sie konnte jederzeit mit ihm sprechen! André drehte sich nichts ahnend um und war äußerst überrascht, plötzlich eine Dolchspitze vor seinem Gesicht zu bekommen. „Was soll das?!“, fragte er leicht erschrocken. „Ist das jetzt eine Untersuchung?“ Oder hatte er sich heute beim Fangen der Flasche irgendwie verraten, dass Oscar ihm auf diese Weise auf die Schliche kam?

 

„Wie viele Zinken hat diese Gabel?“ Ihre Frage kam ihr trocken von den Lippen, aber die Sache war ihr wirklich ernst und sie wollte nichts anderes als die Wahrheit.

 

„Mit Verlaub, Oscar, aber das ist ein Dolch und keine Gabel!“ André umschloss ihre Hand mit dem Dolch und zog seine Geliebte schwungvoll an sich. Sie sollte sich nicht um ihn sorgen, sie hatte schon genug mit sich zu tun... Er strich mit seinen Fingern an ihrer Bauchwölbung und Oscar verstand, was er damit andeuten wollte. Dennoch zweifelte sie. Er war ihr schließlich auch wichtig! Neben dem Kind sogar der wichtigster Mensch auf der Welt! Wie konnte er dann von ihr erwarten, dass sie sich um ihn keine Sorgen machte?! „Du meinst, du hast keinen Rückfall?“

 

„Nein, ich schwöre es.“, versicherte er ihr aufrichtig und zog seine Mundwinkel leicht nach oben. „Und wenn, dann würde ich es dir schon sagen, versprochen.“

 

Oscar konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. „Gut.“ Sie hob eine Hand und strich ihm zärtlich an der rechten Wange. „Ich glaube dir.“

 

André umschloss sie etwas fester in seinen Armen, spürte wie ihre Bauchwölbung sich gegen ihn drängte und stellte sich das kleine Wesen darin vor. Das Gefühl, dass ihn dabei überflutete, war mit keinen Worten zu beschreiben. Vielleicht beschwingt, glückselig und berauscht von dem einzigen, innigen Moment, der zwischen ihnen gerade lautlos und wohltuend knisterte... Er wollte sie küssen, sie waren ja ganz alleine unter sich in dem Salon und es würde bestimmt keiner mehr reinkommen... Auch Oscar hatte den gleichen Gedanken und näherte ihr Gesicht langsam zu dem seinen. Dann aber hielt sie hellhörig inne. Im nächsten Augenblick entriss sie sich schon abrupt von ihm und war mit wenigen Schritten am Fenster.

 

„Was hast du, Oscar?“ André folgte ihr unverzüglich nach und obwohl das Rauschen des Regens da draußen alles zu übertönen schien, hörte er trotzdem ganz schwach wie die Glocken von Notre Dame läuteten... Totenglocken... Das hieß nichts Gutes... Und dann trat das ein, was alle schon längst befürchtet hatten: Der kleine Prinz und Thronfolger verlor den Kampf um Leben und Tod. Louis Joseph war nicht einmal acht Jahre alt geworden...

Regen

Regen...

 

So viel Regen wie in diesem Jahr hatten die Menschen schon lange nicht mehr erlebt – wenn überhaupt. Die Ernten werden zweifelsohne zerstört sein und die schon genug hungernden und verzweifelnden Bürger aus dem dritten Stand würden noch mehr als bisher in Not und Elend versinken. Im Parlament stritt man sich dagegen weiter. Die Vertreter des Volkes forderten neue Gesetze, die alle Menschen gleich stellten und der Adel wollte aber das monarchische System beibehalten. Heute wird Robespierre eine richtige Rede halten, sauste es in Oscars Kopf, während sie bei diesem unerträglichen Wetter die Reihen ihrer Soldaten vor dem Parlament nachging. Wer weiß, vielleicht hat er eine Lösung für diese verfahrene Situation. Ja, vielleicht...

 

Oscar ging weiter, passierte den letzten Soldaten und bog um das Parlamentsgebäude. Leichte Übelkeit stieg in ihr wieder hoch und es wäre nicht klug, wenn jemand ihren Umstand bemerkte, falls sie sich erbrechen musste. Zur Übelkeit gesellte sich ein unwohles Brennen und Rasseln in ihren Lungen und erschwerte ihr das Atmen. Das hatte sie seit das Parlament fortgesetzt wurde und seit es unablässig regnete. Eine Erkältung hatte ihr gerade noch gefehlt! Oscar lehnte sich an eine Säule, schlang einen Arm um ihre Mitte und musste husten. Gut dass im Rauschen des strömenden Regens sie dabei niemand aus der Nähe hören konnte... Der Husten war diesmal so stark, dass er sie in die Knie zwang und Oscar war einigermaßen erleichtert, dass sie sich wenigstens an der Wand des Gebäudes lehnen konnte. Sie beugte sich vornüber, hustete und keuchte, als hätte sie nicht genug Luft zum Atmen, aber es kam nichts von dem kargen Frühstück von heute früh. Das war das erste Mal und das verwunderte sie leicht. „Halte durch, du schaffst es.“, redete Oscar sich zuversichtlich ein, strich mit einer Hand über ihre Bauchwölbung, die noch immer unter ihrer Uniform gut verborgen war, und mit der anderen Hand fuhr sie über ihren Mund. Aber was war das?

 

Ihre Augen weiteten sich erschrocken vor Entsetzen und ihr Inneres beschlich die Angst – Angst davor, was der Husten hinterlassen hatte und was das Rasseln und Brennen in ihren Lungen zu bedeuten hatte: Auf dem weißen, vom Regen feuchten Handschuh hefteten sich kleine Blutstropfen. Nein! Oscar wollte am liebsten aufschreien, denn wenn man Blut hustete, dann... Sie vermochte die schreckliche Vorstellung, was ihr bevorstand, wenn der Bluthusten zunehmen würde, nicht einmal zu Ende ausmalen. Bitte nicht! Ihre Hand auf dem Bauch umschloss fester den Stoff ihrer Uniform und sie versuchte tiefer durchzuatmen. Es würde gleich vergehen! Das hatte nichts zu bedeuten! Es waren nur die Anstrengungen der letzten Wochen! Zumindest versuchte Oscar sich das einzureden. Das Parlament hatte ein neues, ein besseres Frankreich geboren und es oblag ihrer Verantwortung, dass es im Parlament unter den Abgeordneten nicht zu Streitereien kam! Da konnte sie nicht ausgerechnet jetzt krank werden! Und nicht jetzt, wo sie so viele Pläne für die Zukunft mit ihrem André und dem ungeborenen Wesen bereits ausgearbeitet hatte...

 

„Oscar?“

 

Oscar fuhr erschrocken hoch und schloss gerade noch rechtzeitig die verräterischen roten Flecken auf dem Handschuh in ihrer Faust. André beugte sich schon umsorgt zu ihr vor. „Mir geht es gut“, versicherte sie ihm, bevor er noch nachfragen konnte und ließ es willens zu, dass er ihr beim Aufstehen half. „Die Übelkeit ist vorbei...“

 

„Du siehst blass aus...“ André beschaute sorgenvoll ihr Antlitz. Ihre Blässe war nämlich nicht nur ihm sondern auch Alain aufgefallen und deshalb war er ihr jetzt gerade gefolgt. „Du brauchst unbedingt eine Pause...“, meinte er etwas mit Nachdruck – auch wenn ihm bewusst war, dass sie auf ihn nicht sonderlich hören würde. In dieser Hinsicht war ihr Starrsinn unüberwindbar, leider...

 

„Es geht schon.“ Oscar entfernte sich von ihm. Sie wollte unbedingt vermeiden, dass er ihr mit dem Bluthusten auf die Schliche kam – der durchdringende Blick seines sanft grünen Auges schien sie bis in ihr tiefstes Inneres hindurchzusehen und sie fühlte sich dabei ertappt. Das konnte sie nicht länger ertragen – ihre Krankheit, was auch immer das war und zu bedeuten hatte, würde sie vorerst mit sich selbst ausmachen! Erst wenn es schlimmer werden und es nicht anders gehen würde, dann würde sie ihn einweihen! Oscar zog ein ernstes Gesicht und nahm wieder einen kühlen Ton an. „Was ist passiert? Wieso bist du nicht auf deinem Posten?“

 

„Das Parlament ist für heute beendet, die Abgeordneten verlassen das Gebäude und die Soldaten warten auf deine weiteren Befehle.“

 

„Danke.“ Oscar eilte unverzüglich zurück und sobald der letzte Mann das Gebäude verlassen hatte, gab sie ihren Soldaten für heute frei.

 

Das Parlament wurde genauer gesagt auf den 17. Juni verlegt, aber auch an dem Tag kamen die Abgeordneten zur keiner Einigung. Wenigstens regnete es nicht mehr und Oscar fühlte sich etwas besser. Die ein paar Tage auf dem Anwesen hatten ihr gut getan – der Husten und Rasseln in ihren Lungen ließen nach, bis auf die Morgenübelkeit, die ihr allerdings viel erträglicher vorkam.

 

 

 

- - -

 

 

 

„Ihr gibt mir den Befehl, sämtliche Gänge zu versperren?“ Oscar glaubte sich verhört zu haben. Sie hatte sich schon am Parlamentsgebäude gewundert, warum der oberste General sie so plötzlich und dringend nach Versailles bestellen ließ. Nun hatte sie die Antwort und ein ungutes Gefühl stieg in ihr wieder einmal hoch.

 

General de Bouie saß gefällig in seinem gepolsterten Stuhl wie eine dicke Spinne im Netz und sah sie musternd an. Vernahm er gerade ein Protest aus ihrer Stimme? „Ja, Ihr habt richtig gehört, versperrt sofort die Eingänge!“, wiederholte er in etwas verschärftem Ton. „Das ist ein Befehl seiner Majestät, des Königs!“

 

Oscar konnte es noch weniger fassen. „Aber das wird bedeuten, dass die Volksvertreter nicht mehr rein kommen.“

 

„Ihr sagt es.“ Also doch! Er hatte sich nicht getäuscht – der ehemalige Kommandant der königlichen Garde wagte zu protestieren! Das durfte er ihr nicht erlauben! „Die Nationalversammlung muss endlich ein Ende haben!“, fügte er betonend hinzu.

 

„Das ist völlig unmöglich!“ Oscar platzte langsam der Kragen. Nur um das Wohl des kleinen Wesens unter ihrem Herzen, mühte sie sich um Beherrschung. „Eine Parlamentssitzung kann nur durch das Parlament selbst einberufen und abgesetzt werden, egal was seine Majestät befiehlt!“

 

De Bouie hob und senkte sein Amtsschwert vor sich, um sein Missfallen zu bekunden. „Was heißt hier einberufen oder absetzen?“ Wenn sie nicht sofort dem Befehl Folge leisten würde, dann würde er sie als Befehlshaber und Bewacher des Parlaments absetzen und jemand anderes an ihrer Stelle einsetzen! „Die gesamte Nationalversammlung wird geschlossen!“

 

„Ich widerspreche Euch ungern, General, aber die Abgeordneten der Nationalversammlung wurden ordnungsgemäß vom Volk gewählt!“ Oscar konnte ihr Missfallen nicht mehr länger unterdrücken, in ihr brodelte es schon genug wie in einem heißen Kessel. „Euer Befehl ignoriert auf schändlichste Weise den Willen des französischen Volkes!“

 

„Pöbel bleibt Pöbel, und Adlige bleibt Adlige! Und so soll es auch bleiben!“ General de Bouie beschlich langsam den Verdacht, als würde Kommandant Oscar Francois de Jarjayes auf der falsche Seite stehen. „Oder sieht Ihr das anders, Oberst de Jarjayes?“ Er schaute schon etwas zufriedener aus, als sie am Ende doch noch sein Offizierszimmer verließ, um den Befehl auszuführen. Aber er würde sie trotzdem im Auge behalten lassen müssen, denn ihr merkwürdiges Verhalten stellte die Loyalität der gesamten Familie der de Jarjayes gegenüber dem Königshaus in Frage.

 

 

 

 

 

- - -

 

 

 

 

 

Regen - dieser verdammte, graue und nichts Gutes bringende Regen... Erneut schüttete er über die Landschaften wie aus Eimern und überflutete die Straßen. Oscar vermochte nicht daran zu denken, was in den letzten Stunden vorgefallen war, während sie mit ihrem André an der Seite dem gesamten königlichen Garderegiment gegenüber stand: Sie hatte den Befehl des obersten Generals gezwungenermaßen erfüllt, hatte durch ihre Söldnertruppe sämtliche Eingänge versperren lassen und erstaunt festgestellt, dass dieses schändliche Vergehen, wie sie das beim obersten General genannt hatte, die Gemütsverfassung der Volksvertreter trotzdem nicht trübte. Unter der Führung von Robespierre, versammelten sie sich alle im Ballhaus und diskutierten dort weiter - Ballhausschwur nannte man das danach...

 

 

 

Oscar saß gerade im Sattel, Regentropfen trieften ihr in Strömen von den Haaren, dem Gesicht und der blauen Uniform. Sie verdeckte die Parlamentarier mit ihrem Rücken und schaute ihrem ehemaligen Untergebenen, Graf de Girodel entschlossen ins Gesicht. Unwillkürlich musste sie daran denken, was passiert war: Nach dem Ballhausschwur wollte man die Parlamentarier erneut hintergehen und sie vor dem Gebäude im Regen, der zur abendlichen Stunde wieder eingesetzt hatte, stehen lassen. Oscar hatte solch einen Verrat an dem Volk nicht mehr ertragen können und hatte ihren Männern befohlen, die Eingänge zu öffnen und alle Vertreter ins Gebäude hereinzulassen, was ihre Soldaten mit Freude auch sofort erfüllten...

 

 

 

In ihren Lungen rasselte es, in ihrem Bauch spürte sie einen kleinen Tritt des ungeborenen Wesens und trotzdem ließ sie sich nichts anmerken. Das hatte ihr gerade noch gefehlt, wenn sie ausgerechnet jetzt klein beigeben würde! Wenigstens blieb sie aber von der Übelkeit verschont! Und wieder kamen ihr vor dem innerem Auge die Bilder des Geschehens: Für ihre Befehlsverweigerung wurde sie sofort zum obersten General befohlen und unter Hausarrest gestellt. Ihre Männer sollten zum Parlament zurückkehren und die Volksvertreter mit Waffengewalt aus dem Gebäude fortjagen. Alain und elf weitere seiner Kameraden verweigerten das und wurden verhaftet – ihnen drohte die Exekution. Das hatte Oscar alles aus dem Fenster des Offizierszimmer des Generals de Bouie beobachtet und kaum hatte man ihre Männer abgeführt, nahm sie Reißaus. Zum Glück war ihr André in der Nähe und half ihr aus der Bewachung zu entkommen... Das königliche Garderegiment sollte diesen Befehl, den sie und ihre Männer verweigert hatten, durchführen. Sie musste dem königlichen Garderegiment einfach zuvorkommen!

 

Nun hatte sie das geschafft, breitete ihre Arme vor dem königlichen Garderegiment aus, als wollte sie damit alle Parlamentarier in ihrem Rücken schützen und rief energisch dem Kommandanten Victor de Girodel zu: „Was ist Graf? Habt Ihr den Mut, Euch gegen mich zu stellen? Und ihr Soldaten? Würdet ihr es wagen mir eine Kugel in die Brust zu schießen?“ Keiner Antwortete ihr – sie sah nur Fassungslosigkeit und Unglaube in allen bekannten Gesichtern aus ihrem ehemaligen Garderegiment, was sie zur weiteren Rede anspornte und motivierte: „Bevor ihr eure Gewehre gegen unbewaffnete Parlamentarier einsetzt, müsst ihr erst einmal mich umbringen!“ Sie war so entschlossen, dass sie für einen kurzen Augenblick über ihren Umstand nicht nachdachte.

 

Dafür aber André. „Oscar, nicht...“ Er wollte einschreiten, griff schon die Zügel seines Braunen fester und wollte ihn gerade antreiben, als Girodel dann plötzlich seinen Blick senkte und mit seiner Rede ihn dazu erst gar nicht kommen ließ. „Bitte verzeiht mir Oscar, ich wusste nicht, dass Ihr hier anwesend seid.“ Victor sprach ruhig, aber auch deutlich und klar: „Ich kann doch nicht mein Schwert gegen den ehemaligen Kommandanten des königlichen Garderegiments erheben. Ihr habt recht, gegen Unbewaffnete vorzugehen wäre äußerst Feige. Aber wir werden warten, bis sie zu den Waffen greifen und dann zuschlagen. Eins solltet Ihr Wissen: Euch zu Liebe würde es mir sogar nichts ausmachen, die Seiten zu wechseln.“ Girodel hob seinen Blick und lächelte Oscar an. Diese verstand, dass er noch immer tiefe Gefühle für sie hegte, aber konnte darauf ihm nichts erwidern. Victor zog mit seinen Soldaten ab und Oscar, so wie auch ihr André, atmete erleichtert auf. Das eine war getan und nun stand es bevor, Alain und seine Kameraden aus dem Gefängnis zu befreien.

Liebesgeheimnis

Leise knisterte das Feuer im Kamin in dem Gemeinschaftssalon auf dem Anwesen de Jarjayes und spendete den etwas unterkühlten Fingern die Wärme und trocknete auch die Uniform, die fast durchnässt war und feucht an den unteren Kleidern des Körpers klebte. Oscar saß in dem gepolsterten Stuhl und schaute in die Flamen hinein, als ersuche sie dort eine Lösung. Vielleicht stimmte das ja auch. Sie überlegte, wie sie ihre zwölf Soldaten retten könnte. André lehnte sich im Stehen an dem Kaminsims und beobachtete Oscar sorgenvoll. Er hätte ihr die Entscheidung gerne abgenommen, aber er wusste genau, dass sie vorerst mit ihren Gedanken alleine sein wollte. Sie würde ihm schon sagen, wenn sie keinen Ausweg wusste. Und er hätte sich gewünscht, dass sie sich in trockene Kleider umgezogen hätte. Aber Oscar hatte es gleich bei Ankunft auf dem Anwesen abgelehnt und sich ermattet am Kamin in den gepolsterten Stuhl niedergelassen. Sein Blick ruhte auf ihren Bauch, der in letzter Zeit schon mehr gewachsen war und im Sitzen mehr von sich preisgab als im Stehen. André seufzte schwer. Er machte sich um Alain und seinen Kameraden auch Sorgen, aber noch mehr Sorgen machte er sich um seine Geliebte und ihrem Umstand, der schon bald nicht mehr zu verbergen sein würde... Raschelnde Schritte erregten seine Aufmerksamkeit und auch Oscar schaute aufmerksam in die Richtung. Sophie kam auf sie zu. „Lady Oscar, Euer Vater möchte Euch sprechen...“

 

Oscar hatte es geahnt, dass ihr Vater sie schon bald zu sich bestellen würde – immerhin hatte sie gegen einen Befehl verstoßen und das hatte sich ganz bestimmt in ganz Versailles und Umgebung bereits verbreitet. Beinahe schwerfällig erhob sie sich und ging in das Arbeitszimmer ihres Vaters. „Ihr wolltet mich sprechen?“, fragte sie auf alles gefasst, kaum dass sie über die Türschwelle trat.

 

„Setz dich dorthin und hör mir zu!“, befahl Reynier und zeigte auf einen Stuhl in der Mitte des Raumes. Er wartete, bis Oscar sich hinsetzte und fuhr fort: „Bist du bereit, deinen Dienst zu quittieren?“

 

Oscar ließ sich nichts anmerken, wie unwohl sie sich gerade fühlte und wie mulmig ihr im Herzen war. „Wie habe ich das zu verstehen, Vater?“, konterte sie beherrscht, während sie seiner Aufforderung nachkam und Platz auf den Stuhl nahm.

 

„Du wirst sämtliche Auszeichnungen und deinen Dienstrang zurückgeben!“, schnaubte Reynier außer sich. „Hast du mich verstanden?“

 

„Was wollt Ihr damit erreichen?“ Oscar sah nur stur geradeaus auf die angelehnte Tür. Das kleine Wesen trat wieder in ihrem Bauch und sie war fast nahe daran, die Hände um ihren Leib zu legen und es mit Streicheln zu beruhigen. Aber das konnte sie nicht! Nicht hier und nicht vor ihrem Vater! „Ist das wirklich Euer Wunsch, dass ich das tue?“, fügte sie deshalb mit Nachdruck hinzu.

 

„Willst du dich deinem Vater widersetzen?“ Reynier umrundete den Stuhl und zog langsam sein Amtsschwert aus der Schaft. „Unglaublich! Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann tu es! Auch wenn du eine Verräterin bist – du bist immer noch meine Tochter.“ Er sah sie dabei nur auf ihren Scheitel herab.

 

Oscar rührte sich nicht. Obwohl sie das Klirren der Klinge gehört hatte und sich schon denken konnte, was das bedeutete oder was ihr Vater damit vorhatte, trotzdem rührte sie sich nicht vom Fleck. Stattdessen nutzte sie ihre Chance und setzte damit ihren Umstand aufs Spiel – so ähnlich wie vor wenigen Stunden bei dem königlichen Garderegiment. „Im Gefängnis von Abbaye werden zwölf meiner Soldaten gefangen gehalten, sie sollen schon bald exekutiert werden. Wenn ich sicher wäre, dass mein Tod das Leben dieser Männer retten könnte, würde ich Euch gerne mein Leben zu Verfügung stellen. Doch solange ich mein Rang behalte, habe ich vielleicht eine Möglichkeit das Leben meiner Männer zu retten!“

 

„Die Entscheidung liegt bei dir...“ Reynier konnte es kaum glauben, dass sie das Leben von ein paar Abtrünnigen ihrem eigenen bevorzugte. Dieses törichte Kind... Wie dem auch sei, er hatte seine Entscheidung bereits getroffen und es gab keinen Ausweg – weder für sie, noch für ihn... „Aber eine Familie, die schon seit Generationen treu seiner Majestät, dem König, dient, kann sich nicht leisten, einen Rebellen unter sich zu haben!“

 

 

 

 

 

- - -

 

 

 

 

 

André sah seiner Oscar besorgt nach, als diese die Treppen in das obere Stockwerk erklommen hatte und in der Düsternis des langen Ganges verschwunden war und während er von seiner Großmutter mit Fragen überschüttet wurde. Darauf achtete er nicht. Er bekam das beklommene Gefühl, dass seine Geliebte in Schwierigkeiten steckte. Er musste nachsehen! „Nichts ist passiert“, sagte er knapp und ging ebenfalls zu dem Arbeitszimmer des Generals. Vorsichtig machte er die nicht verschlossene Tür einen Spaltbreit auf und ihm gefror das Blut vor Entsetzen. Der General wollte Oscar für ihre Befehlsverweigerung eigenhändig bestrafen! Er beabsichtigte sie hinzurichten und dann ihr selbst zu folgen! Und Oscar ließ das zu?

 

Sie sah ihn ausdruckslos an, nickte ihm kaum merklich zu und André verstand, dass sie nur auf einen günstigen Moment wartete. Nein, sie würde niemals zulassen, dass man sie tötete, wenn sie eine große Verantwortung trug! Sie würde das kostbare Leben unter ihrem Herzen beschützen, koste es was es wolle – sie zog es nur in die Länge, bis es fast zu spät sein würde...

 

Reynier hob schon sein Schwert über Oscars Kopf, als André nicht mehr aushielt und hereinstürmte. Oscars Zögern kam ihm zu riskant vor und er fürchtete, sie würde nicht rechtzeitig dem tödlichen Hieb ausweichen können! „Nein!“, schrie er dabei und stürzte auf den General. Er umklammerte seinen Arm, mit der er das Schwert gehoben hielt und schob ihn nach hinten - fort von Oscar!

 

„Es ist meine Pflicht, dies zu tun! Du sollst mich loslassen!“, schnaufte Reynier, aber André hielt das nicht auf. Er schob ihn mit aller Kraft bis ans Fenster zurück. „Ich werde nicht aus diesem Raum gehen, bevor Ihr Euer Schwert fallen lasst und versprecht Oscar am Leben zu lassen!“ Unerwartet ließ er von ihm doch noch ab und ging einen kleinen Schritt zurück. Bevor Reynier sich versah, richtete André schon seine Pistole auf ihn. „Wenn Ihr nur einen Schritt näher kommt, drücke ich ab! Ich verlasse mit Oscar sofort diesen Raum!“

 

„Was?“ Reynier verharrte für einen kleinen Moment wie versteinert auf der Stelle. Aber nicht die gerichtete Feuerwaffe gegen ihn entsetzte ihn so sehr. Sondern die Tatsache, dass der halbblinde Leibgardist seiner Tochter wagte sich einzumischen und sich gegen ihn zu stellen! „Du willst mit Oscar fliehen?“

 

„Ja!“ André war so entschlossen wie niemals zuvor.

 

Reynier war geneigt seinen Arm mit dem Schwert herabzusenken. Ihm ging dabei ein Licht auf – zu lange hatte er bereits an der Seite seiner Tochter gedient... „So viel empfindest du also für sie?“

 

„Ja.“ Auch hier kam es entschlossen und fest von seinen Lippen.

 

„Du bist ein Dummkopf!“ Reynier konnte es nicht fassen, was er da hörte! „Glaubst du, dass euer Standesunterschied dadurch aufgehoben wird?“

 

„Ich verstehe Euch nicht ganz!“ Oh, doch, André verstand ihn sehr wohl, aber er war nur zu umsorgt um seine Liebste, um ausgerechnet jetzt klein beizugeben und verriet sich daher immer mehr: „Was für ein Standesunterschied? Ich denke, alle Menschen auf der Erde sind gleich!“

 

Das glaubte er doch wohl selber nicht, oder?! Reyniers Zorn wuchs ins Unermessliche auf diesen Habenichts, der sich zu viel erlaubte, als es ihm zustand! „Weiß du denn nicht, dass Adlige, wenn sie heiraten, den König um Erlaubnis bitten müssen?!“

 

„Doch, das weiß ich...“ André vernahm eine Bewegung hinter seinem Rücken und Oscars kaum hörbare Stimme: „André...“, brachte sie halblaut von sich, aber ihn hielt das nicht auf. Im Gegenteil spornte ihn das in seinem Mut und seiner Entschlossenheit mehr an: „Aber das ist ungerecht! Oder muss der König irgendjemanden um Erlaubnis bitten, wenn er jemanden liebt?“

 

Das war zu viel für den General! Niemand beleidigte den König und erst recht nicht ein einäugiger Abkömmling aus einfacher Herkunft! „Untersteh dich!“ Ungeachtet dem Lauf der Pistole, die ihm noch immer gegen das Zwerchfell gedrückt wurde, verpasste er André einen heftigen Faustschlag ins Gesicht und brachte ihn zu Boden. Dabei entdeckte er seine Tochter, die die ganze Zeit hinter André gestanden zu haben schien. Er sah die blanke Fassungslosigkeit und den Schrecken im Gesicht stehen und die Unfähigkeit, sich einzumischen. „Ich kann euch unmöglich vergeben!“, schnaubte Reynier und seine Nasenflügel bebten.

 

Oscar rührte sich noch immer nicht, als wäre sie zu einer Säule verwandelt worden und ihr Blick war nur auf André gerichtet. Dieser legte seine Pistole neben sich. „Wenn Ihr uns unbedingt töten müsst, dann fangt mit mir an! Sonst müsste ich mit ansehen, wie Ihr einen Menschen umbringt, den ich von Herzen liebe! Und das könnte ich niemals ertragen!“

 

„Nun denn, ich werde tun, worum du mich bittest.“ Reynier hob erneut sein Schwert, aber diesmal über Andrés Kopf. Nein! Oscars Gefühle überschlugen sich. Wie konnte ihr Geliebter so selbstlos sein?! Sie wollte einschreiten, sich zwischen ihnen werfen, aber konnte es nicht... Das Kind in ihrem Bauch bewegte sich erneut und kündigte sich mit kleinen Tritten an... Warum ausgerechnet jetzt?

 

Sekunden zogen sich in die Länge und Reynier wollte schon die Strafe vollziehen, als eine laute Stimme von draußen und ein Poltern an der Tür des Anwesens erscholl: „Öffnet die Tür, schnell! General de Jarjayes, ich bin ein Bote des Königs aus Versailles und habe eine wichtige Nachricht für Euch!“ Der General verharrte augenblicklich und spitzte seine Ohren. Das könnte wichtig sein! „Ich kümmere mich um euch später!“, knurrte er und verließ mit langen Schritten das Zimmer, ungeachtet auf Sophie, die mit verweinten Augen hinter der Tür stand und ihm dann auch folgte.

 

„Puh... Das war jetzt knapp...“ André rappelte sich auf die Beine hoch und drehte sich um. Blaue Augen, in denen sich so viel Angst und gleichzeitig Beherrschung spiegelten, sahen ihm direkt ins Gesicht und er konnte nicht anders, als seine Geliebte in seine Arme zu ziehen. „Geht es wieder?“

 

„Ja...“ Aber nur für einen kurzen Augenblick und so lange sie sich an ihn schmiegen konnte... Durch die Geborgenheit und Wärme, die er ihr in seinen Armen schenkte, fühlte sie sich wohler, aber es gab noch einiges zu tun um dies länger genießen zu können... „André, lass uns nachsehen, was der königliche Bote mitzuteilen hat...“

 

 

 

 

 

Zum Glück war der Königsbote aus Versailles herbeigeeilt und hatte vielleicht die grausame Tat des Generals unbewusst mit seiner Ankunft vereitelt... „Auf Geheiß Ihrer Majestät der Königin, wird weder gegen den Kommandanten Oscar Francois de Jarjayes, noch gegen ihrer Familie eine Anklage erhoben! Dennoch wird künftig von der Familie de Jarjayes mehr Loyalität gegenüber der Königlichen Familie erwartet!“, zitierte der Bote das Dokument in seinen Händen zu Ende, rollte dann das Papier zusammen und verließ gleich nach dem Vorlesen das Anwesen de Jarjayes.

 

„Unsere Königin also...“, murmelte der General und drehte sich um. André und seine Tochter standen direkt oben an der Treppe. „Hast du gehört Oscar? Bedank dich bei Ihrer Majestät der Königin!“ Seine Gesichtszüge schienen ungewöhnlich weicher zu werden, wobei sein Blick scharfsinnig und eisenhart auf sie gerichtet blieb. „Du bist soeben dem sicheren Tode entkommen! Ich bin ja so dankbar...“

 

Oscar und André atmeten gleichermaßen erleichtert auf. Nun galt es Alain und die anderen zu befreien. Allerdings unterschwellig und dass es keiner von Ihresgleichen merkte, dass sie damit etwas zu tun haben würde. Auch der General fühlte sich erleichtert, dass er niemanden hinrichten musste - das las man an seinem Gesicht ab. Er blickte noch immer zu seiner Tochter herauf, die an der Brüstung der Treppe ausdruckslos, zusammen mit André, stand. Wie war das noch mal? André liebte sie? Und was war mit Oscar? Die Gesichtszüge des Generals änderten sich schlagartig. „In meinen Salon! Wir waren noch nicht fertig!“

 

„Was soll das heißen?“ Oscars Haltung versteifte sich, in ihren Lungen begann es zu brennen und in ihrem Leib entstanden leichte Schmerzen. Aber sie versuchte das alles krampfhaft zu ignorieren. „Die Familie de Jarjayes ist doch freigesprochen!“, erhöhte sie ihren Ton und atmete mehrmals tief ein und aus.

 

„Das schon, aber ich werde nicht vergessen, was André gesagt hat und das muss geklärt werden!“

 

„In Ordnung, Vater...“ Oscar fühlte sich noch schlechter, ihr wurde mit einem Mal schwindelig und obwohl sie standhaft auf den Beinen auszuharren versuchte, knickten schon nach wenigen Schritten die Knie ein. André fing sie erschrocken auf und der General befahl ihm, selbst von ihrem plötzlichen Zusammenbruch überrascht, sie auf ihr Zimmer zu bringen. Er selbst schickte sogleich nach dem Arzt und als dieser eintraf, war Oscar wieder bei Bewusstsein. Entgegen ihren Protesten wurde sie von Doktor Lasonne untersucht und was er feststellte, erschütterte das ganze Haus: Oscar war schwanger! Und das auch noch im vierten oder fünften Monat! Ihre leichte Bauchwölbung gab kaum etwas davon Preis und dennoch bestätigte es ihren Umstand.

Verstoßen

Schwanger? Wenn das seine Frau wäre, dann hätte ihn das nicht so arg fürchterlich und entgleist getroffen... Seine Frau... Wenigstens weilte Emilie jetzt in Versailles als Hofdame der Königin, aber wohl oder übel würde er sie über Oscars Umstand unterrichten müssen. Denn ganz sicher wusste sie nichts davon. Wenn überhaupt jemand davon wusste! Wie gerne hätte er die Zeit vor rund dreißig Jahren zurückgedreht und sich die Erzeugung von Oscar erspart... Oder sie erst gar nicht wie einen Knaben erziehen sollen... Dann wäre sie wie all ihre anderen fünf Schwestern schon längst verheiratet und wäre eine brave Ehefrau gewesen... Da hätte er ihre Schwangerschaft gut geheißen... Oder er hätte sie vor einem Jahr doch zwingen sollen, Girodel zu heiraten...

 

„Seid Ihr sicher, Herr Doktor?“ Und das fragte er noch? Die Tatsache lag doch auf der Hand! Aber vielleicht hoffte er doch noch im tiefsten Winkel seines Unterbewusstseins etwas anderes zu hören...

 

„Es besteht kein Zweifel, Monsieur.“

 

Natürlich nicht – Reynier hatte ihre kleine Bauchwölbung doch auch gesehen! „Ich danke Euch, dass Ihr da wart, Doktor Lasonne!“ Und danke auch dafür, dass er Licht ins Dunkel gebracht hatte! Der Arzt warf noch einen letzten, mitleidigen Blick auf Lady Oscar und der Empfangsdiener geleitete ihn aus dem Haus. Reynier hatte ihn schon vergessen, sein unbegreiflicher Blick war stumm und entsetzt auf seiner Tochter gerichtet, die gerade in Ruhe und ohne ihn anzusehen, ihre Uniformjacke zurecht richtete. Was für eine Schande – sie hatte mit ihrem Umstand die ganze Familie de Jarjayes bloßgestellt! Seine Muskeln spannten sich an, seine Augen verschleierten sich mit der rötlichen Farbe des Zorns und es kostete ihn eine immense Überwindung, nicht auf Oscar loszugehen und sie umzubringen, wie er es vor wenigen Augenblicken noch vorgehabt hatte! Aber da hatte er noch nicht über ihren beschämenden Umstand gewusst! Und mit wem hatte sie sich denn überhaupt vereint?

 

Erst jetzt bemerkte Reynier, wie dicht André bei Oscar stand und ihr etwas zuflüsterte, was er nicht verstand. Also hatte seine Tochter seine Liebe erwidert – das Ergebnis davon entwickelte sich vorangeschritten in ihrem Leib! „Packt eure Sachen und verschwindet aus meinem Haus!“, knurrte er zähneknirschend und erntete sofort die Aufmerksamkeit der beiden. Wieso schauten sie ihn denn so überrascht an? André wollte doch mit ihr fliehen, also würde er ihm den Wunsch gewähren – zusammen mit seiner Tochter! Wenn er es noch überhaupt ertragen konnte, sie als seine Tochter zu bezeichnen...

 

„Aber Monsieur...“, wisperte jemand und Reynier bemerkte die schreckensbleiche Sophie erst jetzt. Sie stand nicht weit hinter dem Paar und hatte sich vor lauter Bange die Hand vor dem Mund geschlagen. Auf einmal wurde die alte Haushälterin dem General auch unerträglich – schon alleine weil sie Andrés Großmutter war. „Du auch!“, befahl er verächtlich „Du bist ab nun aus deinen Diensten entlassen! Ihr alle drei habt Zeit bis zum Morgengrauen zu verschwinden!“

 

Weder Oscar noch André erwiderten etwas darauf – nur ein stummes Nicken der beiden besagte ihm, dass sie einverstanden waren. Wenigstens dieses eine Mal befolgte sie seine Anordnung, ohne etwas entgegenzusetzen! Höchstwahrscheinlich war ihr dies gar willkommen? Ja, das wäre nicht auszuschließen...

 

„Monsieur...“, Sophie, obwohl sie am ganzen Körper zitterte und butterweiche Knie hatte, wagte sie doch noch einen Versuch, den General umzustimmen – nicht für sich, sondern für ihren Schützling: „Habt bitte ein Einsehen. Ihr könnt doch nicht Eure Tochter...“

 

„Sie ist nicht mehr meine Tochter!“, schnitt Reynier ihr aufbrausend das Wort ab und schnaubte außer sich vor Wut. Auch dazu sage Oscar kein Wort. Dennoch merkte er, wie sie zusammenzuckte und sah, wie André gleich darauf beruhigend einen Arm um ihre Schultern legte. Was erlaubte er sich! Kannten die beiden keinen Anstand mehr?! Das brachte ihn noch mehr in Rage, seine Hände ballten sich zu Fäusten, sein Blut kochte und er konnte sich kaum noch zügeln. Fuchsteufelswild verstoß er sie aus seinem Haus. Niemand durfte von der Schande erfahren, die Oscar über seine ehrbare Familie de Jarjayes gebracht hatte! Sie sollte selbst sehen, wie sie durchkam! Er gab ihr nur eine Nacht, bis sie ihre Sachen einpackte und auch Sophie entließ er aus seinen Diensten. Das tat ihm zwar leid, so eine gute und treue Haushälterin zu verlieren, aber die Tatsache, dass sie Andrés Großmutter war, würde ihn immer daran erinnern, was ihr einäugiger Enkel und Oscar angerichtet hatten. Jedoch konnte er nicht verhindern, dass Oscar weiterhin als Befehlshaber in der Söldnertruppe blieb. Nur Ihre oder Seine Majestät konnte sie des Postens entbinden und deswegen brach er, noch während Sachen gepackt wurden, nach Versailles auf.

 

 

 

 

 

- - -

 

 

 

 

 

Rosalie war überrascht, Lady Oscar zur frühen Stunde vor der Tür ihrer und Bernards Wohnung stehen zu sehen – ebenso André und Sophie. Oscar war es zuwider, ihr die Wahrheit zu erzählen, aber sie hatte keine andere Wahl, wenn sie hier bleiben wollte. Rosalie wäre so oder so einverstanden, Lady Oscar bei sich aufzunehmen. Während sie mit Sophie für das Mittagsessen sorgte, zogen sich Oscar und die beiden Männer für ein Gespräch zurück. „...solange ich noch nicht von meinem Titel und Rang enthoben bin, will ich das ausnutzen und meine Männer aus dem Gefängnis befreien. Sie sind alle bürgerlicher Herkunft.“, beendete sie an Bernard gewandt.

 

Dieser nickte ihr einvernehmlich zu. „Verstehe. Ich schulde Euch doch einen Gefallen.“ Bernard meinte damit seine Freilassung, die er ihr zu verdanken hatte. Damals, als sie ihn als schwarzen Ritter entlarvt in die Schulter angeschossen und gefangengenommen hatte, hätte sie ihn dem Richter übergeben können. Stattdessen aber hatte sie ihn zur Pflege zu Rosalie gebracht, wofür er ihr noch mehr dankbar war. Rosalie kannte er noch von früheren Zeiten und so kam es dazu, dass nach seiner Genesung sie seine Frau wurde. Bernard schob diese angenehme Erinnerung erst einmal beiseite und stellte hilfsbereit Oscar die Frage: „Was kann ich für Euch tun?“

 

Oscar atmete auf. „Die Soldaten sitzen im Gefängnis von Abaye.“

 

„Das Gefängnis von Abaye ist eine wahre Festung“, bemerkte Bernard.

 

„Ich weiß. Ihr braucht sicher ein paar Leute dafür. Nein.“ korrigierte sich Oscar sogleich. „Nicht ein paar, wahrscheinlich eintausend oder gar dreitausend.“

 

„Na ja, ich halte das zwar nicht für unmöglich, aber glaubt Ihr wirklich, dass wir so Euren Männern helfen können?“ Daran zweifelte Bernard nun doch noch etwas.

 

Oscar lächelte matt und fand auf alles eine Antwort. „Als Befehlshaber der Wache bin ich für die Ruhe in der Stadt verantwortlich. Ich könnte den König davon überzeugen, da eine aufgebrachte Bevölkerung durchaus anders sein kann, die Männer zu begnadigen.“ Solange dieser König noch nicht von ihrem Umstand in Kenntnis gesetzt wurde...

 

„Ich verstehe.“ Bernard zog seine Mundwinkel nach oben. „Das ist gar nicht so dumm. Solche Leute wie Euch können wir gut auf unsere Seite gebrauchen.“

 

War das jetzt etwa ein Wink mit dem Zaunpfahl, weil ihr Vater sie verstoßen hatte und sie nicht mehr länger ein Kommandant sein würde? „Werdet Ihr es schaffen Bernard?“

 

„Es gibt da ein Problem.“ Bernard seinerseits bedachte auch alles. „Was passiert, wenn die Sache eskaliert und es zu einem Aufruhr kommt?“

 

„Ich verspreche Euch, dass es in diesem Fall unter Euren Leuten und der Bevölkerung von Paris keine Verletzten oder gar Tote geben wird. Falls ich dieses Versprechen nicht halten kann, dann bin ich bereit mit meinem Wissen zu dienen.“ Oscar war in ihrem Vorhaben so entschlossen und aufrichtig, dass Bernard ihr nur zu gerne geholfen hätte. „Nun, ich werde sehen, wie viele Menschen ich zusammen kriegen kann. Ich denke, da wird sich einiges machen lassen.“

 

„Ich bin Euch wirklich dankbar.“ Oscar schaute zu ihrem André, der bisher noch kein Wort geäußert hatte. Sie wusste genau, dass er ihr die Entscheidung überließ und wollte keineswegs über sie bestimmen. Er würde sich schon einmischen oder einen Einwand von sich geben, wenn er Gefahr wittern und die Sache nicht gerade für klug halten würde. Dafür war ihm Oscar sehr dankbar und schenkte für einen Wimpernschlag ihm ein liebevolles Lächeln. „Lass uns in die Kaserne aufbrechen, solange meine Soldaten mir noch unterstehen.“

 

 

 

 

 

- - -

 

 

 

 

 

„Soldaten! Ab nun müssen wir jetzt wachsam sein! Der letzten Informationen zur Folge, sollte das Volk sich vor dem königlichen Palast versammeln. Unsere Aufgabe wird es sein, diese Leute zu umzingeln und die Situation im Auge zu behalten. Ihr habt lediglich die Sicherheit zu gewährleisten!“, sprach Oscar nun mit etwas Nachdruck vor ihrer Kompanie im Sattel sitzend. „Egal was passiert, es wird auf die Menschen nicht geschossen, die sich dort befinden! Auch wenn ihr provoziert werdet! Habt ihr verstanden? Ich erwarte von euch eine absolute Disziplin! Vorwärts, Marsch!“

 

Die Soldaten folgten ihr selbstverständlich. Aber wie lange hatte sie noch das Kommando über ihnen? Sie musste das ausnutzen, solange es ihr noch vergönnt war. Denn ihr Vater könnte jeden Moment mit seiner Majestät sprechen und dann würde sie ein gewöhnlicher Mensch sein...

 

Sie erreichten den Versammlungsort, wo Bernard schon seine Rede hielt und die Zuhörer wurden immer mehr. „Wir haben uns hier vor dem königlichen Palast versammelt, um etwas klar zu stellen! Männer und Frauen von Paris! Die Soldaten, die durch unsere Stadt patrouillieren und die ihr als unsere Feinde anseht, sind zum größten Teil eure Kinder! Es sind Kinder von euch und wie ihr es seid und nun sollen zwölf von ihnen ohne Gerichtsurteil einfach erschossen werden!“

 

„Die Menschen haben sich hier versammelt, um Alain und unseren Kameraden zu retten!“, leuchtete es einem der Söldner begeistert ein und der andere stimmte ihm zu.

 

„Bürger von Paris!“, erscholl wieder Bernards Stimme. „Ich weiß, dass diese zwölf Soldaten der Armee dem alten Regime gedient haben. Aber sie wurden als schlecht bezahlte Schutzschilde der Adligen benutzt! Es sind unsere Brüder! Lasst uns nun gemeinsam zum Gefängnis von Abbaye gehen und die Freilassung unserer zwölf Brüder fordern!“

 

„Genau!“, rief jemand euphorisch aus dem Volk. „Er hat recht, wir sollen sofort aufbrechen!“ Andere stimmten zu, schlossen sich ihm an und viele Menschen marschierten dann los. Über fünftausend Männer und Frauen zogen zum Gefängnis und forderten lautstark die Freilassung von zwölf Soldaten. Und es wurden immer mehr – bis zu dreißigtausend zählte man sie zur Mitte des Tages.

 

„Dein Plan scheint aufzugehen“, meinte André, während er selbstverständlich an Oscars Seite einher ritt.

 

Auch wenn Oscar zufrieden war, konnte man eine leichte Anspannung ihr doch noch anmerken. „Wie es aussieht haben wir es fast geschafft. Jetzt müssen wir nur die Entscheidung des Königs abwarten.“

 

 

 

Die Entscheidung des Königs ließ aber auf sich warten. Er musste sich vorerst mit seinen Generälen beraten und gleichzeitig eine Entscheidung treffen, was Oscar Francois de Jarjayes betraf... „Wovon fürchtet Ihr denn Euch, mein Gemahl?“, mischte sich die Königin ein. „Ich weiß gar nicht, was ihr habt! Die Sache ist doch eindeutig! Lasst sofort die zwölf Soldaten frei! Oder wollt Ihr etwa riskieren, dass unser schönes Paris wegen zwölf Männer in Schutt und Asche gelegt wird?!“

 

„Ja, Ihr habt sicherlich recht, meine Liebe“, stimmte der König zu und stellte die Freilassung über die zwölf Männer. „Ich muss mit Euch noch dringend sprechen“, meinte Ludwig zu seiner Frau nach dem Unterzeichnen des Dokuments über die Freilassung und schaute flüchtig zu dem General de Jarjayes. „Es geht um den ehemaligen Kommandanten des königlichen Garderegiments.“

 

„Oscar?“ Marie Antoinette schaute verwundert drein und Ludwig begann sogleich zu erklären: „Ich bedaure Euch das mitteilen zu müssen, aber Lady Oscar hat ein schwerwiegendes Vergehen begangen und um die Ehre der Familie de Jarjayes unangetastet zu lassen, befürchte ich, müssen wir Lady Oscar von ihrem Rang, Titel und Posten als Befehlshaber der Söldnertruppe entbinden und sie als Verräterin brandmarkten.“

 

„Wie bitte?“ Marie Antoinettes Augen weiteten sich erschrocken. „Wessen wird sie beschuldigt?!“, verlangte sie sofort zu wissen und bekam ein mulmiges Gefühl, als ihr Gemahl der König ganz bedauernd hinzufügte: „Nun, meine liebe Gemahlin, Ihr würdet es verstehen, wenn Ihr General de Jarjayes anhört...“

Gebrandtmarkt

„Diesen Erfolgt habt ihr nicht dem Einfluss Bernards, sondern meinem Einfluss zu verdanken. Es war die Macht des Volkes.“ Oscar zog ihre Mundwinkel sogar leicht nach oben, als die zwölf Soldaten vor ihr Halt machten. Man hat sie zu den abendlichen Stunden freigelassen und all die Menschen, die hinter Oscar sich versammelt hatten, bejubelten sie vor Freude.

 

„Wisst Ihr was, Kommandant? Allmählich fange ich an zu verstehen, worauf es im Leben wirklich ankommt.“ Alain reichte Oscar die Hand und diese ergriff sie unweigerlich. Hoch im Sattel schaute sie auf ihn herab und dachte beklommen daran, wie lange wohl diese Freude andauern würde...

 

Die orangene Sonne verschwand immer mehr hinter dem Horizont, der blaue Himmel ging in nahtloses Violett über und die Menschen zerstreuten sich friedlich - sie hatten ja ihr Ziel erreicht und die zwölf Soldaten waren frei.

 

„Kommandant!“ Ein Pferd galoppierte wie aus dem Nichts auf die freigelassenen Männer zu und hielt direkt vor Oscar an. Diese bekam ein mulmiges Gefühl. „Was ist, Oberst Dagous?“

 

„Kommandant.“ Oberst Dagous schnaufte pausenlos, so ähnlich wie das Tier unter ihm – die Kunde war also von äußerster Bedeutung. „Ich habe gerade einen Befehl Ihrer Majestät erhalten.“

 

„Der Königin?“ Also war der Moment gekommen, den sie befürchtet hatte. Oscar zeigte nicht, ob sie davon überrascht war. An André dagegen konnte man die wachsende Besorgnis vom Gesicht ablesen. Er dirigierte seinen Braunen dicht an Oscars Schimmel, ohne ihre Aufmerksamkeit auf sich zu richten.

 

„Ja.“, hörte er Oberst Dagous sagen und bemerkte, wie sich Oscars Finger fester um die Zügel schlossen, bis die Knöchel weiß hervortraten – sie selbst jedoch blieb ausdruckslos. „Was wünschen Ihre Majestät?“, wollte sie wissen und bekam vom Oberst Dagous die Antwort, die sie eigentlich schon geahnt hatte: „Ihr sollt Euch unverzüglich ins Schloss von Versailles begeben.“

 

„Was hat das zu bedeuten?“, mischte sich Alain grimmig ein. Er hatte diese Szene genau beobachtet und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Hatte man etwa die Freilassung widerrufen?

 

„Das hat nichts mit euch zu tun.“, versicherte ihm Oscar, als hätte sie seine missmutigen Gedanken gelesen. „Ihr seid nun frei und solltet eure Freilassung feiern. Um alles andere kümmere ich mich selbst.“ Sie stieß ihrem Schimmel in die Flanken und ohne ihn anzusehen ritt sie mit André im Schlepptau davon. Oscar trieb ihren vierbeinigen Gefährten nicht allzu schnell, um ihren Bauch zu entlasten und dem Ungeborenen nicht zu schaden. Erst am Vorhof von Versailles zügelte sie ihr Pferd und nahm tiefe Atemzüge um sich auf das Kommende vorzubereiten. „Du bleibst hier und wartest auf mich“, sagte sie zu ihrem Geliebten unvermittelt, während sie aus dem Sattel stieg und bevor sie in das Schlossgewölbe hineinging.

 

„Tut mir leid, Oscar, aber ich komme mit.“ Wie konnte sie nur in Erwägung ziehen, dort allein hinzugehen?! Nein! Er würde sie nie mehr alleine lassen! Er würde ihr überall hin folgen!

 

„Mir wird schon nichts passieren.“ Oscar sah in seinem besorgten Blick auch diese Entschlossenheit, die sie gestern bei ihm zum ersten Mal entdeckt hatte, als ihr Vater sie eigenhändig bestrafen wollte. Dennoch brauchte sie ihn hier mehr als an ihrer Seite im Audienzsaal. „Und wenn, dann halte die Pferde zum Ausritt bereit.“ Besser gesagt, zur Flucht bereit und das verstand André sehr wohl. In ihm stieg bei der Sache ein ungutes Gefühl, aber trotzdem ließ er Oscar alleine gehen und hielt Wache. Jedoch nicht lange. Er hörte feste Schritte hinter seinem Rücken und sah sich um: Graf de Girodel kam mit ein paar Soldaten auf ihn zu und zog seine Klinge blank. „Verteidige dich!“, forderte er ihn heraus.

 

„Aber wieso?“ André verstand das nicht. Was hatte das zu bedeuten?! Oder hieß das etwa, dass Girodel von etwas Wind bekam, von was er lieber nichts wissen sollte?

 

Victor de Girodel sah André so wütend und hasserfüllt an, wie dieser ihn noch nie erlebt hatte. „Du hast die Ehre von Lady Oscar beschmutzt und dafür sollst du sterben! Aber da ich ein Ehrenmann bin, fordere ich dich hiermit zu einem Duell heraus!“

 

 

 

 

 

 

Oscar, nichts von der misslichen Lage ihres Geliebten ahnend, betrat kerzengerade den Audienzsaal. „Eure Majestäten.“ Huldvoll beugte sie das Knie vor dem Königspaar. „Ihr habt nach mir rufen lassen?“

 

„Erhebt Euch.“, befahl der König, was Oscar dankend befolgte. Wegen ihres heranwachsenden Bauches war ihr die Kniebeugen unangenehm. Flüchtig warf sie einen Blick in die Runde und außer ihren Vater entdeckte sie ein paar hochrangige Generäle und ihre Mutter nicht weit vom Thron des Königspaares. Was ging hier vor? Diese fragenden und beinahe fassungslosen Gesichtsausdrücke der Anwesenden verursachten in ihr ein Unbehagen.

 

„Euren Umstand sieht man Euch kaum an.“, hörte sie Marie Antoinette flüstern und sie schaute ruckartig zu ihr. Deshalb also war sie hierher bestellt! Sie hatte es ja geahnt, dass es nicht lange geheim bleiben würde – nicht nach dem gestrigen Zwischenfall mit ihrem Vater! „Ich verstehe nicht...“ Oscar verstand sie sehr wohl, sie wollte nur die Situation in die Länge ziehen, um die richtige Wortwahl zu finden und sich darauf vorzubereiten, was nun auf sie zukommen mochte.

 

„Ich fasse es nicht!“, knurrte Reynier, der direkt am Thron seiner Majestät stand. „Du versuchst ihr auch noch die Stirn zu bieten?“

 

Ludwig hob seine Hand. „Überlasst das uns, General.“, und wandte sich wieder Oscar zu. „Bekennt Ihr Euren Umstand, Lady Oscar?“

 

„Ja, Eure Majestät.“ Was hatte sie schon zu verlieren? Gut dass André draußen geblieben war und bei den Pferden auf sie wartete...

 

Marie Antoinette schlug sich entsetzt die Hand vor dem Mund. „Wie konntet Ihr nur? Wisst Ihr denn nicht, welche Konsequenzen das für Euch haben wird?“

 

Oscar legte langsam eine Hand sich auf den Bauch. „Das ist mir durchaus bewusst, Majestät, aber ich habe das aus Liebe zu einem Mann getan und ich bereue nichts.“

 

Marie Antoinette weitete die Augen, bei den anderen Anwesenden zogen sich die Augenbrauen missfällig zusammen. „Ihr liebt einen Bürgerlichen?“ Das war unbegreiflich! Wozu hatte man sie dann wie einen Mann erzogen, wenn sie sich von den schwachen und unsinnigen Frauengefühlen leiten ließ?! „Was für eine Schande...“, murmelte dabei jemand von den Generälen und wurde sofort in die Schranken gewiesen. „Gebt Ruhe!“, befahl der König und wartete, bis die Stille im Saal einkehrte. „Lady Oscar...“, begann er wieder an den ehemaligen Kommandanten des königlichen Garderegiments zu sprechen. „Da Ihr immer treu uns gedient habt und meiner Gemahlin, der Königin, mehr als ein Mal in schweren Situationen geholfen und sie unterstützt habt, bin ich geneigt, Euch den Titel, den Rang und den Posten als Befehlshaber zu lassen. Dafür aber solltet Ihr bekennen, dass Ihr unfreiwillig Eures Umstandes habhaft geworden seid und werdet dann von der Schuld freigesprochen.“

 

„Wie bitte?“ Oscar glaubte sich verhört zu haben. Ihr wurde speiübel – nicht von ihrer Schwangerschaft, sondern von der Abscheulichkeit, die man hier über ihren Kopf hinweg beschlossen hatte. „Und was wird aus dem Mann?“, brachte sie durch zusammengebissene Zähne hervor, um ihre aufsteigende Wut noch zu zügeln. „Und aus dem Kind?“

 

„Da André Grandier bürgerlicher Herkunft ist und sich an Euch vergangen hat, wird er exkommuniziert. Ihr werdet Graf de Girodel heiraten und wenn das Kind da ist, wird es in ein Kloster gebracht und für tot erklärt. Somit werdet Ihr und Euer Ruf unbeschadet bleiben.“, erläuterte der König und da hielt es Oscar nicht mehr aus. „Nein! Das lasse ich nicht zu!“, rief sie aufgebracht und ihre Stimme hallte in dem glanzvollen Audienzsaal. „Ich liebe ihn und werde mich niemals zu einer solch abscheulichen Lüge bekennen!“

 

„Oscar...“ Emilie hatte es schon damals, nach dem Kutschenüberfall, geahnt, dass ihre Tochter dabei war, ihren Herz an André zu verlieren... Anscheinend hatten die beiden doch zu einander gefunden und ihr Liebesglück verlebt – die leicht sichtbare Bauchwölbung von Oscar war ein eindeutiger Beweis dafür. Emilie blutete das Herz, wie alle Anwesenden auf ihr Kind erbarmungslos einstürzten, sie zu manipulieren und über sie zu bestimmen versuchten. Und trotz alle dem war sie gleichzeitig stolz auf ihre Tochter, weil diese für ihre Rechte kämpfte und nicht aufgab. Im Stillen gab sie ihr, André und dem noch ungeborenen Kind ihren Segen und vertraute auf Oscar, dass sie den richtigen Weg finden würde...

 

„Willst du etwa, dass wegen diesem halbblinden Nichtsnutz dein Ruf ruiniert wird?“, platzte es aus dem General und brachte mit seinem barschen Ton Emilie aus ihren Gedanken in die Gegenwart zurück. Auch er konnte nicht mehr an sich halten! Dieses törichte, unverschämte Kind! „Wir bemühen uns hier, deinen guten Namen zu retten und das willst du nicht?“

 

Was für ein Verrat! Es war ein Fehler hierher zu kommen! Jedoch war sie hier und würde ihren Mann stehen! Sie würde nicht klein beigeben, sie würde das verteidigen, was ihr lieb und teuer war! „Nein, Vater, ich stehe zu meinen Taten und werde lieber gebrandmarkt, als mich von André zu trennen, jemand anderes zu heiraten und mein Kind ins Kloster zu geben!“

 

„Überlegt es Euch gut, Lady Oscar...“, meinte Marie Antoinette schreckensbleich. „Ihr könnt alles verlieren!“

 

„Das ist mir egal...“, knurrte Oscar eisig und gab allen mit ihrem Auftritt zu verstehen, dass sie auf diese entwürdigenden Forderungen niemals eingehen würde! „...ich habe mir alles gut überlegt.“

 

Ein Soldat stürmte unaufgefordert in Audienzsaal. „Euer Majestät! Der Kommandant des königlichen Garderegiments hat den halbblinden Gardisten von Lady Oscar herausgefordert und duelliert sich mit ihm direkt vor den Toren!“

 

„André?“ Was würde noch kommen?! Das konnte doch alles nicht wahr sein! Oscar stürmte sofort aus dem Saal und dann nach draußen. Girodel setzte André heftig zu und obwohl André sich wacker hielt, würde es nicht lange dauern, bis er verlieren würde. Und dann geschah es: Girodel schlug ihm den Degen aus der Hand und setzte seine Klinge ihm an den Hals. „Und jetzt stirb!“, fauchte er verächtlich und statt zuzustoßen, hielt er überrascht inne. „Nur über meine Leiche!“ Jemand hielt ihm den Lauf der Pistole an den Kopf. Girodel kannte diese Stimme nur zu gut. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ließ er seine Waffe fallen und drehte sich langsam um. „Aber Lady Oscar...“

 

Diese behielt ihn scharf im Auge, aber sprach zu ihrem Geliebten. „Ist alles in Ordnung mit dir, André?“

 

„Mir fehlt nichts...“

 

„Gut. Dann nimm die Pferde und steig schon in den Sattel. Wenn dich jemand aufhält, dann drücke ich ab, ich schwöre es!“ Oscar wartete, bis André aufsaß und ihren Schimmel zu ihr führte. Ohne die Waffe loszulassen stieg sie in den Sattel. „Ich habe Euch schon mal gesagt, dass es zwischen uns keine Verbindung geben wird und ich stehe zu meinem Wort! Also lebt wohl, Graf.“ Oscar warf noch einen kurzen Blick auf die großen Fenster des Audienzsaales, von wo sie gerade geflohen war und ritt dann schleunigst fort. Sie schaute nicht mehr zurück, sie hatte ihre Eltern und die anderen am Fenster gesehen und hatte damit von ihnen allen Abschied für immer genommen. Sie war nun eine einfache Frau und es lag eine ungewisse Zukunft vor ihr. Aber das würde sie schon schaffen, zusammen mit ihrem André...

Scheideweg

12. Juli 1789. Oscar und ich sind seit etwa mehr als einer Woche bereits untergetaucht und leben bei Rosalie und Bernard. Vor drei Tagen haben wir uns das Jawort gegeben – natürlich heimlich und in einer kleinen Kirche. Alles musste schnell vonstattengehen. Rosalie und Bernard waren unsere einzigen Trauzeugen. Das wir den Ehebund schließen konnten, verdanken wir Bernard, er hat für uns alles organisiert. Meine Großmutter gab uns auch den Segen, nachdem sie zuvor mir die Leviten gelesen und bedauert hatte, dass sie kein Hochzeitskleid für Oscar nähen konnte. Sie hat sich mittlerweile bei Rosalie und Bernard gut eingelebt und sich mit der Situation abgefunden, so wie meine Oscar und ich. Aber das ist halb so wichtig. Es herrschen unruhige Zeiten und wer weiß, was schon morgen passieren wird. Gestern wurde der Finanzminister seines Amtes enthoben. Seine Absetzung war das Signal für den Aufstand der Bevölkerung. Paris gleicht einem Pulverfass. Tag und Nacht ziehen bewaffnete Menschen durch die Straßen und das Volk ist nicht mehr länger bereit, sich mit den Machtverhältnissen abzufinden. Über hunderttausend Soldaten, die zum Schutz des Königshauses nach Paris beordert worden sind, drangsalieren und bespitzeln die Bevölkerung. Die Lage ist verworren. Sie ist gekennzeichnet von Orientierungslosigkeit, Misstrauen und Brutalität. Soll es denn der Beginn des neuen Zeitalters sein? Ich weiß es nicht... Wie viele Opfer würde es noch geben, bis das große Ziel erreicht ist?“

 

„Was machst du da, André?“

 

„Wie?“ André fuhr leicht erschrocken seinen Kopf hoch – er hatte gar nicht mitbekommen, dass jemand von seiner blinden Seite sich ihm angenähert hatte und ihn beobachtete. „Ach, nichts, Großmutter!“ Er tat unbekümmert und versuchte peinlich berührt sein Schreiben mit einem Arm zu verdecken, ohne dass die frische Tinte dabei verschmiert wurde.

 

Sophie beäugte ihn misstrauisch. Seit sie über das Liebesgeheimnis ihres Enkels und ihres Schützlings wusste, achtete sie sorgsam auf alle beide und dass sie bloß nicht vor ihr etwas verheimlichten! „Gib es mir!“, verlangte sie gleich von ihm, stemmte eine Hand dabei in die Seite und die andere zog sie schon besitzergreifend vor. „Ich will wissen, was du da schreibst!“ Es könnte ja sein, dass dort etwas stand, was Oscar in Aufregen bringen könnte und das wäre nicht gut für ihren Umstand. André verdeckte noch mehr das kleine, aufgeschlagene Büchlein während seine Großmutter beinahe bedrohlich immer näher kam. Warum war sie nur so neugierig und wissbegierig? Er hoffte inständig, sie möge nachgeben und als wurde er erhört, kam schon die Erlösung.

 

„Lass ihm doch sein Geheimnis, Sophie.“ Oscar trat unbemerkt an die beiden heran und lugte flüchtig über Andrés Schulter. „Seit wann schreibst du ein Tagebuch?“ Das kleine Büchlein, mit einem dicken und stabilen Einband, hatten Rosalie und Bernard ihnen zu Hochzeit geschenkt. Oscar wusste nichts damit anzufangen, aber André offensichtlich schon und das machte sie auf eine Weise neugierig.

 

„Ähm... ich...“ Ihr Gemahl suchte nach passenden Worten und lächelte sie verlegen an. Wie sollte er ihr das erklären? Sie würde das bestimmt albern finden und als kindisch betrachten. Oscar nutzte seine Ablenkung aus und schnappte ihm das Buch vor der Nase weg. „Hey, lass das!“, rief er, aber Oscar lief schon in die Kammer, die sie mit André bewohnte und überflog am Fenster die Zeilen.

 

„Das ist nicht gerade schicklich von dir.“ André folgte ihr auf dem Fuße und umfasste sie von hinten um ihre Mitte.

 

„Wir sind verheiratet und es gibt keine Geheimnisse zwischen uns.“, gab sie ihm keck zurück und schien im nächsten Augenblick voll und ganz in die niedergeschriebenen Zeilen eingetaucht zu sein.

 

Andrés Arme glitten ihr an den Seiten entlang und hielten an ihrem Bauch. Sein Kinn legte er auf ihre Schulter ab und seine Finger streichelten ganz zärtlich an der harten Wölbung. „Das schon, aber eben hast du gesagt...“

 

„Das hast du gut geschrieben.“ Oscar klappte das Buch zu und wandte sich in seinen Armen zu ihm um – seine Hände ruhten nun an ihrer Hüfte und ihr Bauch drängte sich gegen ihn. Die Zeit, die sie hier mit ihm in einer gewissen Harmonie, wenn man das übertriebene Gezeter von Sophie ausschloss, verbracht hatte, hatte ihren Zustand gebessert: Es trat kein Brennen und Rasseln in ihren Lungen mehr auf. Und Bluthusten kam zur Folge nicht mehr vor, was Oscar einerseits fröhlicher stimmte. Sie schmunzelte, als sie das Tagebuch zu machte und es an Andrés Brustkorb legte, als wollte sie es ihm auf diese Weise zurückgeben. „Es ist unwichtig, was ich gerade gesagt habe, wichtig ist, dass wir uns in allen Sachen vertrauen.“

 

André konnte ihrem hinreißenden Blick nicht widerstehen und lächelte ihr liebevoll zurück. „Da hast du voll recht... und ich vertraue dir voll und ganz.“

 

„Genau wie ich dir...“

 

„Ich würde dich jetzt so gerne küssen...“

 

„Worauf wartest du dann?“ Oscar reckte schon selbst ihren Hals, legte ihre Arme mitsamt dem Tagebuch ihm um den Nacken und zog sich auf ihren Zehenspitzen zu ihm. „Ich bin deine Frau und du hast Anrecht darauf.“

 

„Aber wenn du nicht willst...“

 

„Ich will...“, hauchte Oscar und presste ihm schon selbst ihre Lippen auf den Mund.

 

„Lady Oscar? André?“ Keine Ruhe für die beiden, verdammt...

 

„Was ist, Rosalie?“ Ungewollt trennte sich Oscar von ihrem Mann und gab ihm beiläufig sein Tagebuch zurück.

 

„Bernard schickt mich, um Euch in sein Versteck zu bitten.“ Im Keller dieses Wohnhauses veranstaltete Bernard des Öfteren seine Untergrundbewegungen und das war das erste Mal, dass er Oscar und André darum bat, daran teilzunehmen. Ein ungutes Gefühl stieg in allen beiden hoch. „Ist etwas passiert?“, fragten sie fast gleichzeitig.

 

Rosalie schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Aber einer dieser zwölf freigelassenen Soldaten hat ihn aufgesucht und möchtet euch beide sprechen.“

 

„Wir kommen!“ Oscar marschierte schon los, André steckte noch sein Tagebuch in die Innentasche seiner Ausgehjacke und folgte ihr. Im Keller des Hauses, als sie dort ankamen, war nichts von einer Bewegung und Anhängern von Bernard zu sehen, stellten sie leicht überrascht fest. Dafür wartete aber ein altbekanntes Gesicht auf sie. „Alain, was machst du hier? Warum bist du nicht im Dienst?“ Wenn Alain sie hier aufsuchte, dann war etwas Schreckliches vorgefallen – Oscar war in Alarmbereitschaft und André stellte sich auch auf alles ein.

 

Alain salutierte, bevor er sein Gesuch erklärte: „Wir haben heute alle dienstfrei bekommen, Oberst.“

 

„Ich bin kein Oberst mehr, falls du es vergessen hast.“, erinnerte ihn Oscar, aber Alain beeindruckte es nicht. „Ich gebe zu, Ihr habt für einen schönen Wirbel gesorgt, als es hieß Kommandant Oscar Francois der Jarjayes sei schwanger und ist deshalb mit einem einfachen Stallburschen durchgebrannt. Aber nicht für uns. Eure Männer sind Euch noch immer treu verpflichtet.“ Alain grinste unverhohlen, als sein Blick auf Oscars Leibesmitte glitt. Es beglückte ihn, dass es sein Freund doch noch geschafft hat ihr Herz zu gewinnen. Das war auf einer Weise ein seltsamer Anblick, den kühlen und unnahbaren Oberst de Jarjayes in Umständen zu sehen. Jedoch änderte es nichts an ihrem starken Charakter und unbeugsamen Willen – das wusste Alain, er kannte sie mittlerweile gut genug und deshalb war er hierhergekommen. „Ihr seid mir nichts schuldig.“, hörte er sie sagen und sah ihr wieder ins Gesicht. „Aber lass hören, weshalb du hier bist.“

 

„Die Lage in Paris hat sich weiterhin verschärft.“, berichtete er sogleich wie auf Befehl: „Die Unruhen nehmen zu. Es kam zu ersten Zusammenstößen mit der Armee.“

 

„Das haben wir schon in Erfahrung gebracht, Alain“, meinte André, dem das ungute Gefühl immer mehr bestieg.

 

„Und weiter?“, verlangte Oscar, in der die gleiche, dumpfe Vorahnung wuchs wie in ihrem Gemahl.

 

„Ich erlaube mir zu melden, dass heute Früh die Abteilung A unter Waffen nach Paris ausgerückt ist. Es wird berichtet, dass Ausnahmezustand herrscht. Selbst Frauen und Kinder haben sich bewaffnet. Die Zustände sind chaotisch.“

 

Also doch! Alain bezweckte etwas damit und weckte in Oscar den Drang, für Gerechtigkeit sich einzusetzen und das verriet sie, indem sie angespannt die Frage stellte: „Und hat es bereits Opfer gegeben?“

 

„Nein, bisher noch nicht.“ Alain spürte den mahnenden Blick von André auf sich, dass er nichts erzählen sollte, was Oscar zu einem tollkühnen Entschluss führen würde und bemühte sich daher oberflächlich zu bleiben. „Schließlich sollen über hunderttausende Soldaten für Ruhe und Ordnung sorgen. Die wenigen Waffen, die die Aufständischen haben, sind meistens alt. Damit sind sie ohne Chance gegen uns. Deshalb hatten sie noch keinen Angriff gewagt. Abteilung A ist lediglich für den Notfall ausgerückt.“

 

„Wenn die Lage sich weiterhin zuspitzt, wird es dann sein, dass auch eure Abteilung nach Paris geschickt wird?“ Oscar merkte selbst nicht, wie sie immer mehr und tiefer in ihr altes Wesen des überlegten Offiziers zurückkehrte.

 

Das merkte auch Alain. „Das ist sehr wahrscheinlich. Und deshalb hat das Hauptquartier auch angeordnet, die regelmäßige Patrouille der Abteilung B ab heute einzustellen.“

 

„Ich verstehe. Das heißt Alarmbereitschaft.“, schlussfolgerte Oscar und Alain bestätigte das mit einem knappen „So sieht es aus.“

 

„Vielen Dank.“ Oscar legte eine Hand auf ihre Bauchwölbung – sie musste über einiges nachdenken und eine wichtige Entscheidung treffen. Dicht hinter sich spürte sie Andrés Anwesenheit und hörte seine Worte, die er allerdings an Alain richtete: „Woher hast du eigentlich diese Informationen?“, wollte er von ihm wissen. Die Nachdenklichkeit von Oscar behagte ihm ganz und gar nicht – er würde mit ihr unter vier Augen noch einmal darüber sprechen und ihr bei der Entscheidung helfen. Aber egal wie und wofür sie sich entscheiden würde, er würde nicht von ihrer Seite weichen und ihr beistehen, was auch passieren mag...

 

„Von Oberst Dagous, von wem denn sonst. Er ist ja jetzt unser Kommandant“, meinte Alain und sah wieder Oscar an. „Was gedenkt Ihr zu tun?“

 

„Ich muss darüber nachdenken...“ Oscar deutete ihm damit an, dass das Gespräch zu Ende war und bestätigte das mit den nächsten Worten: „Komm in ein paar Stunden wieder.“

 

„Jawohl, Oberst.“ Alain verstand und verabschiedete sich. Abends kam er jedoch wieder - mit der gesamten Söldnertruppe. „Es ist soweit!“, meldete er gleich, kaum das Oscar und André zu ihnen in den Untergrund von Bernard kamen. „Wir haben Order vom Hauptquartier des Regiments bekommen. Morgen früh um acht Uhr, Abmarsch der Abteilung B, der französischen Garde unter den Waffen zu den Tuilerien. Der Befehl lautet, die Aufständischen niederzuschlagen!“

 

„Aber ohne uns!“, rief ein Söldner, Lassalle, für den Oscar sich letztes Jahr beim obersten General eingesetzt hatte und der dann von der Militärpolizei freigelassen wurde. Oscar schob diese Erinnerung beiseite, zurzeit gab es Wichtigeres zu klären. Auch wenn sie ahnte, was jetzt folgen könnte, wollte sie es dennoch wissen: „Was habt Ihr vor?“

 

„Wir haben uns entschieden.“, erklärte Alain – ganz der Gruppenführer und Fürsprecher seiner Kameraden. „Wir sind uns einig. Wenn es zum Kampf kommt, werden wir unser Regiment verlassen und uns auf die Seite der Aufständischen schlagen!“

 

„Ja, so ist es!“, bekräftigte die raue Truppe von Söldnern entschlossen und fast im Chor.

 

„Eine kluge Entscheidung.“, fügte Bernard anerkennend hinzu. Die Freilassung der zwölf Soldaten hatte sich also doch gelohnt und gerade jetzt brauchten sie eine Militärische Unterstützung am meisten.

 

„Und wer führt euch?“ Oscar blieb sachlich, obwohl sie mehr und mehr ein Kribbeln unter ihrer Haut bekam. „Ich glaube nicht, dass Oberst Dagous damit einverstanden sein wird.“

 

„Der ist ja auch nicht eingeweiht, Oberst.“ Alain grinste und Oscar verstand mit einem Mal, was er damit meinte... André verstand das mit Entsetzen auch. „Du willst doch nicht etwa sagen, dass Oscar euch führt? Seid ihr deshalb hier?“

 

„Ganz richtig, André. Wir sind doch alle gleich.“, sagte Alain und schaute zu Oscar. „Also, wenn Ihr ebenso fühlt, dann führt uns. Befehlt uns, auf der Seite des Volkes zu kämpfen, und wir setzen unser Leben ein. Dann seid Ihr auf der richtigen Seite. Das ist besser, als sich herauszuhalten.“

 

Oscar war hin und her gerissen – zwischen dem Drang, ihre Soldaten zu führen und der Verantwortung, die sie unter ihrem Herzen trug. Nach Alains Besuch von heute früh hatte sie ein langes, vertrauliches Gespräch mit ihrem Mann geführt, alle Möglichkeiten erwogen und nach einer Lösung gesucht, die weder ihnen noch dem Ungeborenen würde schaden können... „Ich will ganz offen zu euch sein.“, begann sie klar und deutlich am Tisch zu sprechen, „Ich befinde mich an einem Scheideweg. So wie es bisher gewesen ist, kann es nicht weitergehen. Aus diesem Grund bin bereit, euch wieder zu führen. Ich kann es nicht mit meinen Gewissen verantworten, wenn auf unschuldige Menschen geschossen wird. Nicht mit meinen Gewissen und nicht vor dem Mann, den ich liebe und dem ich vertraue. Wenn er es für richtig hält, auf der Seite des Volkes zu kämpfen, dann werde ich das auch tun. Es gibt keinen anderen Weg für mich, ich werde an seiner Seite das Leben einer Frau führen – ich wollte, dass ihr alle wisst, woran ihr alle bei mir seid.“ Sie schaute zu ihrem Mann, nahm seine Hand und lächelte ihn matt an. „André, du bist mein Mann, zeig mir den richtigen Weg und ich werde dir folgen.“

 

„Oscar...“ André war für einen kurzen Moment baff, seine Finger erwiderten den Druck ihrer Hände und er überlegte schnell nach einer passenden Antwort. „Wenn es nach mir ginge, dann würde ich dich bitten, nicht zu kämpfen – schon alleine deines Umstandes wegen.“, entschied auch er sich, „Aber ich weiß, wie es um dein Herz bestellt ist und dass du keine Ruhe mehr finden würdest. Deshalb werde ich an deiner Seite kämpfen und dich beschützen.“

 

„Ja, führt uns!“, johlten die Soldaten in einem Chor im Hintergrund und die Entscheidung war somit endgültig gefallen. Alain reichte Oscar unvermittelt und über Tisch hinweg seine Hand. „Wir stehen immer zu Euren Diensten, Oberst.“ Und während er Oscars Hand schüttelte, zwinkerte er ihr mit einem Lächeln zu. „Und wenn das geklärt ist, wünsche ich euch beiden viel Glück.“

 

„Danke.“ Oscar und André waren gleichermaßen zu tiefst berührt. Dann wurde Oscar wieder ernst. „Wir treffen uns morgen früh um acht hier und brechen auf! Wir müssen der königlichen Armeen zuvorkommen und sie von der Toulirien fernhalten!“ Sie schaute zu Bernard. „Während wir sie in Kämpfe verwickeln, werdet ihr auf den Straßen zu den Tuilerien Barrikaden errichten.“

 

Dieser verstand es nicht so recht. „Barrikaden?“

 

„Ja, richtig.“, betonte Oscar ganz der alter Offizier vorausschauend und militärisch vorangehend. „Nur dann sind wir in der Lage, es mit der Armee aufzunehmen. Sonst wird unser Kampf aussichtslos sein.“

 

„Ihr habt recht!“, leuchtete es Bernard ein und war schon selbst Feuer und Flamme. „Ich werde noch heute Nacht meinen Männern Bescheid geben und damit beginnen.“

 

„Gut.“ Oscar wandte sich zum letzten Mal für heute an ihre Soldaten: „Jetzt geht alle nach Hause und bereitet euch vor.“ Dann verließ sie zusammen mit André den Keller und in ihrer gemeinsamen Schlafkammer suchte sie ihre gut verstaute Uniform, die sie noch nicht abgegeben hatte.

Kopflos

Kopflos? Verantwortungslos? Oder einfach, weil sie dazu geboren war und nichts anderes als Kämpfen und Führen kannte?

 

Das Leben eines Mannes, eines Offiziers war ihr von Geburt an durch ihren Vater bestimmt – es war fest und tief in ihrem Blut verankert... Das konnte man nicht wie ein Kleidungsstück ablegen und vergessen... Nicht einmal ihr Umstand und dass sie eine Frau war, konnte den Kampfesswille und den Drang nach Gerechtigkeit in ihr auslöschen... Aber war das überhaupt ein richtiger Weg, eine richtige Entscheidung?

 

Oscar begutachtete sich in dem Spiegel und ebenso André, der hinter ihr stand und um sie seine Arme legte. Sie hatten bereits die Uniformen angezogen, sich dafür vorbereitet, was auf sie zukommen würde und gegenseitig geschworen, aufeinander achtzugeben. Jetzt, in der tiefen Umarmung und Innigkeit sprachen sie nicht mehr. Sie genossen die letzten Minuten des früheren Morgens, bis Alain mit der Söldnertruppe eintreffen würde...

 

„Lady Oscar, Ihr seid schon wach?“ Sophie betrat noch leicht verschlafen deren Kammer und wurde sofort hellwach, als sie alle beide in Uniformen sah! „Was habt Ihr vor?“ Die Frage hätte sie sich eigentlich ersparen können, es lag doch auf der Hand, dass ihr Schützling wieder zu kämpfen beabsichtigte... Ihr wurde bang ums Herz, ihr Inneres begann zu zittern und noch bevor Oscar zu einer Erklärung ansetzte, ging sie auf ihren Enkel mit blanken Fäusten los. „Wie kannst du das zulassen! Und das nennst du Liebe?“ Sie schlug ihn mit einer Faust gegen die Brust, mit der anderen Hand zog sie ihm am Ohr und verpasste ihm eine Kopfnuss.

 

„Es ist ihr Wille, Großmutter! Und ich werde sie mit meinem Leben beschützen, ich schwöre es!“, verteidigte sich André und versuchte aus ihrem Griff zu entkommen. Das besänftigte die alte Frau jedoch nicht. „Damit kommst du mir nicht durch!“, wütete sie schnaufend und rot vor Zorn. Noch einmal donnerte ihre Faust gegen den Brustkorb ihres Enkels, das dieser etwas zurücktaumelte und ihre Faust schmerzte dabei, als hätte sie gegen etwas Hartes geschlagen.

 

„Es reicht, Sophie!“ Oscar schritt ein und baute sich vor ihrem einstigen Kindermädchen auf. Eine Auseinandersetzung hatte ihr gerade noch gefehlt! „Du kannst André nicht für etwas verantwortlich machen, wofür er keine Schuld trägt! Es ist ganz alleine meine Entscheidung und dass musst du auch akzeptieren!“

 

„Lady Oscar...“, ertönte eine Stimme im Hintergrund. Rosalie stand erschrocken und mit glasigen Augen an der Öffnung zu der Kammer. Im Gegensatz zu Sophie wusste sie, warum Lady Oscar und André in Uniformen da standen – Bernard, ihr Mann, hatte sie heute Nacht bereits über alles eingeweiht. „Lady Oscar...“, wiederholte sie und bewegte ihre Füße. Wie schon in der Zeit, als sie auf dem Anwesen de Jarjayes gelebt hatte, drückte sie sich herzzerreißend an ihre Schutzpatronin und wie damals legte Oscar tröstend um sie ihre Arme. „Es wird alles gut, Rosalie, ich verspreche es dir.“

 

Rosalie vermochte keine Antwort zu geben und erst recht nicht, Lady Oscar von ihrem Tun abzuhalten. Aber wenigstens konnte sie noch einmal von ihr umarmt werden und darauf vertrauen, dass wirklich alles gut werden würde... Oscar streichelte sachte Rosalies Kopf und teilte währenddessen Sophie ihr Vorhaben mit.

 

Sophie protestierte erneut heftig und verständnislos, um ihren Schützling aufzuhalten. „Denkt an das Kind!“, versuchte sie sie auf diese Art zur Besinnung zu bringen.

 

„Das tun wir.“, Oscar ließ sich von nichts mehr abbringen – die Entscheidung war gefallen und es gab keinen Weg zurück. „Und deswegen kämpfen wir – für ihn und für unsere Zukunft! Du bleibst mit Rosalie hier. Keine Sorge, wir kommen zurück.“ Sie schob die junge Frau etwas von sich und sah sie an. „Rosalie, zum Abend wird es bestimmt viele Verletzte geben. Sorge mit Sophie für Bandagen und Verpflegung. Das werden wir nach den Kämpfen gut brauchen.“

 

„Versprecht mir, dass Ihr heil zurückkommt.“, wisperte Sophie nachgiebig und enttäuscht zu gleich.

 

„Ich verspreche es dir.“ Oscar lächelte matt und strich an ihrem Bauch. „Immerhin habe ich einen guten Grund dazu. Und wenn der Krieg eines Tages vorbei ist, werden wir feiern. Wir ziehen nach Arras und werden alle glücklich sein. Nicht wahr, André?“ Ihr Blick richtete sich liebevoll auf ihren Mann hin. „Weißt du, als wir einmal auf den Weg dorthin waren, haben wir Sonnenaufgang beobachtet. Das können wir öfters machen. Und dann kannst du mir sagen, wie sehr du mich liebst und dass du mein Mann bist.“

 

„Ja, das werde ich.“ André zog sie von Rosalie, umarmte sie und legte ihr eine Hand auf den Bauch. „Das und viel mehr.“ Das währte allerdings nicht lange. Oscar kam nicht einmal zur Antwort, als Bernard in die Wohnung zurückkam. „Eure Männer sind eingetroffen und erwarten Eure Befehle.“

 

Es war soweit, der Moment war gekommen und stieß Oscar endgültig in die Rolle eines Offiziers. „Und die Barrikaden?“

 

„Sind so gut wie errichtet.“

 

„Gut.“ Oscar ging mit ihm und André in den Keller. Sie hatte sich von Rosalie und Sophie bereits verabschiedet und mehr bedurfte es nicht, sonst würde die alte Frau sie noch mehr nicht gehen lassen wollen, auf sie einreden und das vermied Oscar, in dem sie Bernard sogleich folgte. Ihre Söldnertruppe empfing sie erwartungsvoll und Oscar hob gleich ihre Stimme: „Also Männer, wir brechen auf! Wir kämpfen für die Freiheit!“

 

„Jawohl, für die Freiheit!“, johlten die Männer und marschierten zu ihren Pferden.

 

„Wir schaffen das, André.“ Nur für einen kurzen Augenblick, bevor sie selbst auf die Pferde stiegen, lehnte sie sich an ihren Mann. „Solange du bei mir bist, habe ich vor nichts Angst.“

 

„Ich werde nicht von deiner Seite weichen.“ André drückte seine Frau sachte an sich und vergrub sein Gesicht in ihren weichen Locken. „Wir sind für einander bestimmt. Ich liebe dich über den Tod hinaus.“

 

„Sag doch so etwas nicht!“ Oscar erschrak beinahe. „Wir werden überleben!“

 

„Ja, Oscar, meine Geliebte, das werden wir.“

 

„Das hört sich schon besser an.“ Oscar schmunzelte unwillkürlich. Es war so tröstend in seinen Armen und es gab ihr Kraft, dass es alles gut enden würde. Eigenartig nur, dass sie seinen Herzschlag durch seine Söldneruniform nicht hören konnte. War er etwa nicht aufgeregt? Er zählte eigentlich schon immer zu den ruhigen und geduldigen Menschen. Vielleicht lag es daran, weshalb sie seinen Herzschlag nicht hörte. „André... Ich liebe dich aus tiefsten Herzen und nur mit dir, für dich werde ich fortan mein Leben führen...“

 

„Jetzt redest du, als wäre das ein Abschied für immer.“, murmelte er in ihr Haar und Oscar schob sich etwas von ihm. „Entschuldige.“

 

„Schon gut.“ André strich ihr an der Wange und zog leicht seine Mundwinkel nach oben. „Nur noch ein Kuss, bevor wir aufbrechen...“

 

„Ja, eine gute Idee, zur Stärkung...“ Oscar ließ sich von dem Kuss berauschen, als wäre es ihr letzter und dann brach sie mit ihm und ihren Soldaten der königlichen Armee entgegen auf, um sie von den Tuilerien fern zu halten. Das schien zu funktionieren und sie verwickelten immer mehr die feindlichen Linien in die Kämpfe. Die königlichen Soldaten fixierten sich schlussendlich nur auf die Abtrünnigen und jagten sie durch die Stadt.

 

Die Kompanie von Oscar wurde immer kleiner und zum Nachmittag schrumpfte sie auf weniger als die Hälfte. Oscar rief sie zum Rückzug an, mit der Hoffnung, dass Bernard und seine Aufständischen schon die Barrikaden vollends errichtet hatten. Die königlichen Soldaten waren überall und es kostete Oscar noch mehr Kameraden, darunter auch Lassalle. Sie mussten unbedingt einen Unterschlupf finden! Dann entdeckte sie eine unbewachte Unterführung über einen Kanal und dirigierte ihr Pferd dorthin. Ihre Männer folgten ihr. Gerade rechtzeitig versteckten sie sich, als feindliche Soldaten schon vorbei preschten, auf der Suche nach ihnen.

 

Erschöpft, aber noch lebendig, kauerten sie in der Unterführung. „Wir müssen versuchen, die Tuilerien zu erreichen. Unsere einzige Hoffnung besteht darin, uns Bernard und seinen Aufständischen anzuschließen.“, sagte Oscar im halblauten Ton.

 

„Unmöglich“, ermahnte Alain. „Wie sollen wir es schaffen, dorthin zu kommen? Auf den Straßen wimmelt es nur so von den Soldaten!“ Oscar musste ihm zustimmen. Sie hatten schon genug Verluste zu beklagen und so war sie überrascht, als Alain entschlossen einsetzte: „Wir müssen einen überraschenden Ausfall wagen! Auch wenn es Opfer kostet. Ich meine, wir müssen es riskieren. Wir sitzen in der Falle.“ Er legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. „Was denkst du, André?“

 

Was sollte er schon denken? Es gab ja praktisch keinen anderen Weg und solange Oscar wie mit einem Schutzschild von ihrer Kompanie umgeben war, würden sie es noch lebend schaffen können. „Ja, natürlich, du hast recht!“, stimmte er Alain deshalb zu.

 

„So sei es.“ Oscar stand auf und ging ihren Männern aus der Unterführung voraus. Zu spät bemerkte sie einen patrouillierten Soldaten auf der Treppe und zog schussbereit ihre Pistole. Dieser bemerkte sie auch und richtete auf sie sein Gewehr. Er schoss, sie wich der Kugel aus und feuerte ihre Pistole ab. Ihre Kugel traf den feindlichen Soldaten todsicher und er fiel auf der Stelle um.

 

„Oberst!“, hörte sie Alain hinter sich rufen. „Er hat André erwischt!“

 

Oscar drehte sich um. Bei der Unterführung standen ihre Männer – vorneweg André, und Oscar durchfuhr einen eiskalten Schauer am gesamten Körper! Mit einem Mal vergaß sie alles um sich herum, wo sie sich befand und welches Vorhaben sie eigentlich hatte. Ihr Herz schmerzte höllisch, als wäre es mit einer Gewehrkugel getroffen worden und verblutete qualvoll. Aber sie lebte und stand wie gelähmt an der Treppe – ihre Augen weit aufgerissen und ihr fassungsloser Blick auf ihren Mann gerichtet. Dabei durchfuhr sie die schlimmste Angst, die sie je gespürt hatte und machte sie unfähig bei klarem Verstand zu bleiben – sie sah und dachte nur an André. Dieser hielt sich an die linke Brust, verzog schmerzlich sein Gesicht und glitt langsam zu Boden. „Nein, bitte nicht!“ Oscar eilte schreckensbleich zu ihm, fing ihn auf und sackte mit ihm zusammen...

Ohne dich...

Stille...

 

Unheimliche, entsetzliche und todbringende Stille herrschte an den Treppen zur Unterführung eines Kanals... Das Rauschen des dreckigen und muffigen Wassers nebenan existierte in ihren Ohren nicht... Wie auch ihre Soldaten, ihre Kompanie, die sie in einem Kreis und mit entgleisten Gesichtsausdrücken umstellten, existierten in ihrer Wahrnehmung nicht... Leere, Schmerz, Trauer und Bitterkeit vermischten sich zu einem erdrückenden Knäuel in ihrem Inneren und raubte ihr den Atem... Warum auch nicht gleich ihr Leben?

 

Denn was bedeutete schon ihr Leben, wenn sie den Mann verlor, den sie über alles liebte und für den sie selbst in den Tod gehen würde... Die Zeit blieb stehen, die glücklichen Momente aus ihrer gemeinsamen Kindheit kamen ihr in einem Durchlauf vor dem inneren Auge vor und sie klammerte sich so fest daran, wie an den schweren Körper in ihren Armen...

 

Er war noch beim Bewusstsein.... Sein Gewicht versuchte er abzustützen, sie damit nicht zu erdrücken. Denn auch wenn sie beide kniend da saßen, belastete es sicherlich ihren Bauch und demzufolge dem ungeborenen Kind darin. Aber Oscar wollte ihn nicht aus ihren Armen loslassen, sie war am Boden zerstört und nicht einmal das ungeborene Wesen unter ihrem Herzen half ihr die Beherrschung beizubehalten. „André, nein!“, beschwor sie erstickt und mit belegter Stimme. Das war schrecklich! Wie sollte es nun ohne ihn weitergehen?! Alles schien nun sinnlos und bedeutungslos zu sein. „Lass mich bitte nicht allein!“, hauchte sie mit Nachdruck und ihr Herz starb in dem Moment mit ihm zusammen...

 

„Das habe ich gar nicht vor...“, keuchte dieser an ihrer Schulter und schob sich mit gesammelten Kräften aus ihren Armen. Seine Stimme durchfuhr sie bis ins Mark und erweckte ihre Lebensgeister – das klang ganz und gar nicht nach einem Sterbenden! „Was?“ Hoffnung auf ein Wunder glomm in Oscar und sie entfernte sich vorsichtig von ihm. André lächelte matt und knöpfte seine Uniformjacke bis zur Mitte. Er griff in die Innentasche und holte sein Tagebuch ans Tageslicht. Mitten drin, und fast auf der letzten Seite, steckte die verhängnisvolle Kugel. „Und du wolltest nicht, dass ich es mitnehme.“

 

Oscar starte vorerst perplex auf das kleine Büchlein mit dem dicken Einband in seiner Hand, erinnerte sich an den kleinen Wortaustausch von heute früh zwischen ihnen und versuchte zu verarbeiten, welch ein Wunder gerade geschehen war! Ihr Herz füllte sich mit einem Glücksgefühl auf und so war kaum jemand überrascht, als sie sich André um den Hals warf. „Ich bin unsagbar froh, dass du nicht auf mich gehört hast!“ Nun sammelten sich Freudentränen in ihren Augen, die sie vor Erleichterung kaum noch vor ihrer überlebenden Kompanie verbergen konnte.

 

„Du bist ein Glückspilz!“, sagte jemand hinter André und schon spürte er beherzigtes Klopfen von Kameraden auf seinen Schultern.

 

Oscar entriss sich von ihm, belächelte ihn kurz und dann erhob sie sich auf die Beine. Trotz der Glückseligkeit und dem Wunder mussten sie sich an den Plan halten und vorangehen! „Alle mal her hören, Männer!“, verlautete Oscar wieder sachlich und stellte sich auf einer der höheren Stufen der Treppe. „Wir brechen in der Mitte durch, wie wir es beschlossen haben! Also los, auf die Pferde!“

 

Gesagt, getan. Die feindliche Linie lichtete sich schon bald, nicht weit entfernt von dem Unterschlupf, in dem sie vor Kurzem Zuflucht gesucht hatten und wo André beinahe ums Leben gekommen wäre... Oscar schauderte es bei dem Gedanken, was sie jetzt ohne ihn getan hätte... Womöglich nichts! Womöglich wäre sie genauso gestorben wie er – wenn nicht mit ihrem Körper, dann mit ihrer Seele ganz bestimmt! Ihr Herz wäre mit ihm gestorben, das hatte sie ganz deutlich an ihrem eigenen Leib erfahren, als sie ihn nach der feindlichen Kugel in ihren Armen gehalten hatte... Oscar schüttelte sich – noch einmal würde sie seinen Tod nicht ertragen können! Und es gab noch etwas: Ihre Soldaten! Es dürften nicht noch mehr von ihnen sterben! Aber wie sollte sie das Leben der Männer retten, wenn diese selbst todesmutig in den Kampf zogen?!

 

Die Pferde wurden immer schneller angetrieben, die feindlichen Soldaten legten ihre Gewehre an und warteten, bis die abtrünnigen Söldner in die Schussweite kamen, um auf sie das Feuer zu eröffnen. Es würde wieder Opfer kosten, aber vielleicht gab es eine Möglichkeit dem zu entkommen. Oscar ging dabei ein anderer Plan durch den Kopf. „Alain!“, rief sie zu ihrer rechte Seite: „Du übernimmst mit einer Hälfte die rechte Flanke! André, du mit der anderen Hälfte die linke!“

 

„Und du?“, warf André besorgt zurück. Was hatte sie denn schon wieder vor?! Er hatte nicht die Absicht, sich von ihrer Seite zu entfernen!

 

„Sie werden es nicht wagen auf mich zu schießen! Dafür aber auf euch und ich kann es mir nicht mehr leisten, noch mehr von euch zu verlieren! Tut, was ich euch sage und vertraut mir!“ Oscar gab ihrem Pferd noch heftiger die Sporen, preschte noch schneller ihren Männern voraus und sah sich flüchtig über die Schulter. Zufrieden stellte sie fest, dass Alain und André ihren Befehl Folge leisteten und sich in zwei Gruppen aufteilten. Die feindliche Linie kam immer näher, aber keiner wagte zu schießen – so wie sie es vorausgesagt hatte. Sie brach in die Mitte durch und hörte schon den Ausruf eines Adjutanten: „Das ist das Mannsweib, das gesucht wird! Fangt sie auf! Wir brauchen sie lebendig!“

 

Oscar grinste hämisch. Deswegen ritt sie ja alleine hier durch, um das Leben ihrer Männer nicht mehr aufs Spiel zu setzen und die alleinige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen! Die feindliche Armee jagte ihr nach. „Wir müssen sie von dem Pferd holen!“, hörte sie einen Hauptmann rufen und dann hörte sie schon einen Schuss. Ihr Pferd stieg auf die Hinterbeine und wieherte im Todeskampf - es war direkt in den Hals getroffen. Oscar sprang aus dem Sattel, während ihr Schimmel zu Boden ging, und sie somit direkt in die Hände der Feinde geriet. Die Männer packten sie von allen Seiten und gaben ihr keinen Raum für Gegenwehr. „Fesselt sie und bringt sie nach Versailles!“

 

 

 

 

 

- - -

 

 

 

 

 

Bernard wartete mit seinen Aufständischen gespannt an der Barrikade auf Oscar und ihre Truppe. Der Tag neigte sich dem Ende zu, sie hatten von beiden Seiten viele Tote zu beklagen und die Kämpfe wurden bereits eingestellt. Aber morgen würde der Kampf um die Freiheit weitergehen. „Da kommt jemand!“, rief jemand zu seiner rechten Seite. „Und da auch!“, verlautete jemand gleich von links.

 

Von beiden Seiten galoppierte Oscars Truppe und stieß zu ihnen. Aber von Oscar selbst fehlte jede Spur. Alain und André grüßten sich gegenseitig mit einem Nicken und sprangen gleichzeitig aus dem Sattel. „Ist Oscar noch nicht eingetroffen?“, wollte André als erstens wissen.

 

„Nein.“ Bernard schüttelte mit dem Kopf. „Was ist passiert? Wieso habt ihr euch getrennt?“

 

„Ich muss nach ihr suchen!“, beschloss André anstelle auf die Fragen zu antworten und als er zurück auf sein Pferd steigen wollte, spürte er einen eisernen Griff um seinen Arm. „Du bleibst hier! Sie wird schon kommen! Du kennst sie doch“, hielt ihn Alain auf.

 

André wollte seine Hand abschütteln, ihm widersprechen und nach seiner Frau suchen! Aber... vielleicht würde Alain doch recht behalten und Oscar würde jeden Moment zu ihnen stoßen?

 

André überlegte kurz, versuchte Alain zu glauben und begab sich schlussendlich doch nicht auf die Suche nach seiner Frau. Denn die königlichen Armeen würden einen ehemaligen Kommandanten des königlichen Garderegiments nicht einfach so wie einen dahergelaufenen Verbrecher töten, sondern eher gefangen nehmen und nach Versailles bringen. Obwohl aus ihrer Familie verstoßen und als Verräterin gebrandmarkt, war sie dennoch eine wichtige Person. Besonders für die Königin.

 

 

 

André half etwas später seinen Kameraden die gefallenen Bürger und Soldaten aus Oscars Kompanie in die Kirche zu bringen und sie zur letzten Ruhe zu betten, nach dem er sich erst große Vorwürfe von seiner Großmutter anhören musste. Die Vorwürfe machte er sich selbst auch, warum er gerade nicht bei Oscar war und dass er sie alleine reiten ließ. Das war aber ihr Befehl und er vertraute ihr. Rosalie und Sophie, als sie mit den Schimpftiraden und Klagen auf ihren Enkel zu Ende war, versorgten die Verwundeten, und sprachen den Überlebenden den Mut zu. Wobei Sophie sich nicht nehmen ließ, André noch immer zu schelten, weil er Oscar alleine davon reiten ließ. Dann blieb sie in der Kirche, betete um Oscars Leben und André ließ ihr das gewähren. Ihr Enkel marschierte derweilen ruhelos an den Barrikaden wie ein Tier im Käfig, was die alte Frau eigentlich gar nicht mehr mitbekam.

 

„André, das musst du dir ansehen.“, flüsterte Alain seinem Freund von der Seite zu und zeigte auf ein Punkt, nicht weit von ihnen entfernt. „Die Menschen haben die Pferdekadaver auf den Straßen geräumt und sind dabei auf einen Schimmel gestoßen.“

 

André stürmte zu dem Haufen von leblosen Leibern der Tiere los und erkannte Oscars Pferd sofort. „Dann ist sie noch am Leben...“, schöpfte er entsetzt und mit mulmigen Gefühl gleichzeitig Hoffnung.

 

„Ja, wir müssen nur herausfinden, wo sie gefangen gehalten wird.“ Auch Alain hegte dieselbe Hoffnung und hörte schon Andrés Vermutung: „Bestimmt in Versailles.“

 

„Wäre möglich.“ Alain widersprach ihm nicht, denn André kannte sich mit dem Hof und wie der Adel tickte besser aus. „Ich habe ein paar unserer Männer trotzdem auf einen Erkundungsritt geschickt.“ Sicher war sicher und André war ihm dafür gerade sehr dankbar.

 

„Alain! André!“ Einer von ihren Kameraden kam angerannt. „Bernard schickt mich nach euch. Er veranstaltet eine Besprechung mit seinen Männern und möchte, dass ihr als Vertreter der Armee auch daran teilnehmt! Er meint, ohne die Unterstützung der Soldaten kommen sie nicht weiter.“

 

„Wir sind gleich bei ihm!“ Alain nahm André bei den Schultern. „Ich würde sagen, wir hören uns erst Bernard an und je nach dem was er vorhat, entscheiden wir, wie wir deine Frau und unseren Oberst finden. Vielleicht sind unsere Kameraden bis dahin schon zurück und haben einiges herausfinden können.“

 

„Da könntest du recht haben...“

 

 

 

 

 

- - -

 

 

 

 

 

„Was, ihr wollt die Bastille stürmen?“, fragte Alain baff.

 

„Uns wurde heute Nacht eine wichtige Nachricht zugespielt.“, betonte Bernard ernst und zu allem entschlossen: „Jemand hat beobachtet, wie Schießpulver und Kanonen streng in das Gefängnis transportiert wurden. Vermutlich bereiten sie den entscheidenden Schlag gegen uns vor.“

 

„Die wollen also uns angreifen?“, empörte sich jemand von den Männern aus dem einfachen Volk, die bei dieser Beratung ebenfalls dabei waren wie André und Alain.

 

„Höchstwahrscheinlich“, vermutete Bernard. „Sie haben alle Kanonen auf Paris gerichtet. Das heißt, dass sie vorhaben, auf uns, die Bürger von Paris zu schießen.“

 

„Das ist ja schrecklich!“, meinte jemand anderes von den Versammelten entsetzt. „Dann töten sie unsere Frauen und Kinder!“

 

„Für mich steht damit jedenfalls eines fest!“ Bernards Tonlage wurde immer grimmiger und auffordernder: „Der König hat beschlossen, uns den Krieg zu erklären! Wir müssen uns so schnell wie möglich mit allen, die auf unserer Seite stehen, zusammenschließen! Uns bleibt nur noch ein Weg, aus dieser Sache raus zukommen! Wir müssen die Bastille stürmen!“

 

„Meine Kameraden und ich würden euch gerne bei der Sache unterstützen, aber unser Oberst ist noch nicht da“, wand Alain bedenklich ein und wurde von Bernard sogleich unterbrochen: „Ich denke, Lady Oscar wäre damit einverstanden. Und du kannst vorläufig die Befehlsgewalt über deine Männer für sie übernehmen.“

 

„Ja, das kann ich.“

 

„Und was ist mit Oscar? Ich will wissen, wo sie ist und wie es ihr geht?!“, mischte sich André erbost ein und in dem Moment flog in der Unterkunft die Tür auf. Einer der Söldner, der von Alain auf den Erkundungsritt geschickt wurde, betrat den Raum. „Alain, André, wir haben unseren Oberst gefunden!“

 

„Wo ist sie?!“ André stürmte sofort ihm entgegen – die Bastille konnte noch ein wenig warten!

 

„Im Gefängnis.“, erstattete der Soldat Bericht. „Wir sind bis nach Versailles vorgedrungen und trafen mitten auf dem Weg auf die königliche Garde. Sie führten unseren Oberst in ein Gefängnis ab. Tut uns leid, André, aber wir konnten sie nicht befreien – es waren zwei Dutzend von Soldaten. Aber wir konnten sie unbemerkt verfolgen und wissen, in welchem Gefängnis sie gefangen gehalten wird.“

 

„Raus mit der Sprache!“ André wurde ungeduldiger, er wollte auf der Stelle aufbrechen und sie daraus befreien!

 

„Sie wurde in die Bastille gebracht...“

 

„Wie bitte?“

 

„Das ist doch noch ein guter Grund, weshalb wir die Bastille stürmen sollen. Meinst du nicht auch, André?“, sagte Bernard im Hintergrund und André traf seine Entscheidung.

Hoffnung

Ihre Lunge brannte, das Ungeborene trat im Mutterleib und Oscar hatte Mühe das alles zu verbergen, während sie, umringt von der königlichen Garde, die Zugbrücke der Bastille passierte. Es gab kein Entrinnen, auch wenn sie der ehemalige Kommandant dieser Soldaten war! Sie würden es nicht wagen sie zu töten, aber auch nicht freilassen – das war Oscar bewusst. Denn die Männer befolgten nur den ausdrücklichen Befehl des Königs. Befehl des Königs... Oscar dachte kurz daran, was in den letzten Stunden vorgefallen war: Wie geahnt, hatte man sie nach Versailles gebracht und sofort in den Audienzsaal vor dem König und der Königin geführt.

 

Wie konntet Ihr Euch nur den Aufständischen anschließen? Ihr gehört doch dem Adel an und habt uns als Kommandant des königlichen Garderegiments zwanzig Jahre lang treu gedient!“, erinnerte sich Oscar an verständnisloses und anschuldigendes Wispern von Marie Antoinette, die vielleicht die einzige von den Anwesenden noch immer im tiefsten Winkel ihres Herzens so etwas wie Mitgefühl zu Oscar brachte. Nicht wegen dem Handel und der Situation, in der ihre langjährige Freundin sich befand, sondern ihres Umstandes wegen und weil sie nun kaum was hatte, um durchkommen zu können. Die Königin hätte ihr gerne geholfen, aber sie wusste, dass Oscar es ablehnen würde. Und auch so wäre ihre Hilfsbereitschaft nicht angemessen – nicht nach dem was Oscar in den letzten Stunden angerichtet hatte... Auch wenn Oscar ihren mitleidigen Blick nicht sah, hatte sie es deutlich auf sich gespürt – sie kannte doch Marie Antoinette schon seit fast zwanzig Jahren und das machte es ihrem Herzen noch schwerer. Wie oft hatte sie in der Vergangenheit Ihre Majestät die Augen zu öffnen versucht und sie darauf angesprochen, dass das Volk hungerte und im Elend lebte?! Nichts hatte genützt... Sie ließ sich lieber von den falschen Beratern ausnutzen und kannte kein anderes Leben außerhalb von Versailles. Auch jetzt hatte sie keine Vorstellung, wie schlecht es dem Volk ging, dass die Aufstände wegen Armut und hohen Steuern entflammten und Oscar deshalb die Seiten gewechselt hatte, weil sie das nicht mehr ertragen konnte. Besser gesagt, sie konnte das Leid nicht mehr länger mit ansehen und erst recht nicht, dass mit Waffengewalt gegen die einfachen Bürger vorangegangen wurde und das hatte Ihre Majestät nicht verstanden. Diese Tatsache hatte Oscar wehmütig gestimmt, erinnerte sie sich bitter und ebenso an das verächtliche Grollen ihres Vaters, der gleich nach der Königin seine Stimme erhoben hatte: „Du elende Verräterin! Ich hätte dich doch köpfen sollen, als ich noch die Gelegenheit dazu hatte!“

 

Oscar hatte weder die Königin noch ihren Vater angeschaut. Mit gesenktem Haupt und gebeugtem Knie hatte sie die harte Worte über sich ergehen lassen und die Zähne zusammengebissen, um ihre Wut und Zorn zu verbergen, weil niemand sie hier verstehen wollte und ihr Vergehen nachvollziehen konnte. Es hätte nichts gebracht, wenn sie sich ihnen widersetzt hätte – sie wäre ganz bestimmt auf taube Ohren gestoßen, wie schon einige Male zuvor... Und auch so wäre sie erst recht nicht zum Wort gekommen, denn nach ihrem Vater hatte der König sogleich sein Urteil gefällt: „Lady Oscar, Ihr habt Eure Loyalität gegenüber uns zum wiederholten Mal in Frage gestellt und wir sind sehr enttäuscht von Euch. Für Euren Verrat müssen wir Euch dem Kriegsgericht übergeben und bis dahin werdet Ihr deshalb vorübergehend in die Bastille gebracht, bis man über Euch entschieden hat. Es tut uns leid, aber wir sehen in diesen unruhigen Zeiten keinen Ausweg mehr.“

 

Oscar hatte keinen Widerstand geleistet, als die königlichen Soldaten sie abführten und unter dem Kommando von Graf de Girodel zur Bastille brachten. Zugegeben, Oscar hatte schon erwogen, auf dem Hinweg auszureißen und zu fliehen. Jedoch wäre sie in ihrem Umstand und ohne ihre Waffen nicht weit gekommen. Obwohl es draußen bereits die Dunkelheit des späten Abends herrschte, aber sie musste an ihr Kind denken, das mit kleinen Tritten in ihrem Leib sich erneut bemerkbar machte... Ihr und Andrés Kind! Was ihr Mann und ihre Soldaten jetzt wohl machten? Hatten sie es alle zu den Barrikaden unverletzt und unversehrt geschafft?

 

Oscar hoffte darauf sehr und mitten auf dem Weg zu dem Gefängnis beschlich sie plötzlich der Verdacht, dass sie verfolgt wurden. Es wäre schön, wenn dem so wäre. Ihre Wächter würden dann bestimmt aus dem Hinterhalt angegriffen werden und ihr somit zur Flucht verhelfen. Wer diese Verfolger sein würden, interessierte Oscar in dem Augenblick nicht. Denn im Sturm des Gefechts würde man sie nicht beachten oder die Angreifer würden ihre Männer aus der Söldnertruppe sein, die nach ihrem Oberst suchten... So malte sich Oscar unterwegs die Möglichkeiten ihrer Flucht aus, aber es geschah nichts... Oder hatte sie sich getäuscht und es gab keine Verfolger? War das etwa nur ihre Einbildung, ein Hirngespinst?

 

Nun führte man sie bereits in die Festung, die schon seit Jahrzehnten für politische Gefangene als Staatsgefängnis diente - sehr passend für sie, und sie gab endgültig die Hoffnung auf eine Flucht auf. Man führte sie bis den innere Kern und ließ sie in eine muffige Zelle herein. „Ihr solltet froh sein, dass der König Euch die Gnade gewährt und Euer Leben verschont“, meinte de Girodel und nahm ihr die Fesseln ab. Das war das erste Mal, dass er seit Versailles und bis hierher mit ihr gesprochen hatte. Es war ihm bestimmt noch immer unbegreiflich, was sie getan hatte.

 

„Vorübergehend.“ Oscar blieb kühl und ruhig. „Ihr wart doch dabei, als er sein Urteil fällte.“

 

Victor seufzte schwer. Er hatte schon mehrere Male versucht seine Liebe aus seinem Herzen zu verbannen, aber seine tiefen Gefühle konnten einfach nicht von dieser Frau loslassen. „Ihr müsst verstehen, Lady Oscar, es gibt doch so viel zu tun.“

 

„Das eigene Volk niedermetzeln zu lassen?“, höhnte sie.

 

Girodel verstand die Abscheu nicht, die aus ihrer Stimme zu hören war und die sich auch in ihrem eisigen Blick widerspiegelte. Das schmerzte mehr als die Ablehnung seines Heiratsantrages vor wenigen Monaten! Dennoch appellierte er auf die alte Kameradschaft zu ihr mit dem letzten Hoffnungsschimmer und versuchte sie daher etwas mit Nachdruck aufzuklären: „Das sind Verräter, Lady Oscar und es wäre doch auch Eure Pflicht, die Aufständischen zu bekämpfen. Aber stattdessen habt Ihr die Seiten gewechselt.“

 

War er etwa auch so verblendet, wie die meisten Adligen von dem monarchistischen Regime und merkte nicht, was er da sagte? Oscar holte tief Luft, in ihren Lungen rasselte es wieder und es würde nicht lange dauern, bis der Husten kommt... Das wäre aber nicht gerade passend. Langsam atmete sie aus, zog ihre Augenbrauen noch strenger zusammen und konterte betonend und energisch zurück: „Ich kämpfe nicht gegen meine Mitbürger und richte meine Waffen auch nicht gegen unschuldige Menschen - das habe ich Euch schon mal gesagt!“

 

Das saß und zerrte an Girodels Ehrgefühl – wenn sie ein Wortgefecht dieser Art haben wollte, dann sollte sie es auch bekommen! „Und ich habe Euch gesagt, wir warten, bis sie zu den Waffen greifen und dann werden wir gegen sie kämpfen! Nun scheint es einzutreten. Aber wir werden schon siegen! Ob mit Euch oder ohne Euch, das braucht Euch nicht mehr zu kümmern!“

 

Zu der Abscheulichkeit und Verachtung gegenüber ihrem ehemaligen Untergebenen und seinen Worten gesellte sich auch Argwohn in Oscar. „Was macht denn Euch so sicher?“

 

„Die Kanonen auf der Bastille sind bereits auf die Stadt gerichtet und bei Sonnenaufgang wird das Feuer eröffnet.“ Victors Mundwinkel zuckten leicht, als Oscars Augen sich weiteten und ihre Lippen ungläubig die Frage formten: „Wie bitte?“

 

Das war wie eine Genugtuung für ihn, wie ihre Gesichtszüge immer mehr entgleisten. „So lautet der Befehl, Lady Oscar.“, betonte er trocken und da platzte Oscar der Kragen. „Das ist unmenschlich!“, warf sie ihm erbost vor und bewegte sich mit geballten Fäusten auf ihn los. Sofort spürte sie den eisernen Griff von beiden Seiten an ihren Oberarmen der Soldaten und musste gezwungenermaßen sich selbst Einhalt gebieten. Sie durfte hier kein Gefecht riskieren und ihr blieb nichts anderes übrig, als Girodel nur böse anfunkeln. „Und habt Ihr nicht gesagt, Ihr würdet aus Liebe zu mir auch die Seiten wechseln?“

 

Ach, stimmt, das hatte er wirklich gesagt. Nun... Sein Blick glitt von ihrem feinen Antlitz auf ihre leicht gerundete Leibesmitte. „Das hätte ich selbstverständlich getan, wenn Ihr Euch nicht mit einem Mann vereint hättet! Ihr habt Euer Wort gebrochen, dass Ihr niemals das Leben einer Frau führen würdet und das ist für mich das schlimmste Vergehen! Deshalb kann auch ich nicht zu meinem Wort stehen.“ Girodel wandte sich ab. „Ihr entschuldigt mich, ich muss an meinen Posten als Kommandant der königlichen Garde zurück.“ Er gab seinen Männern einen Wink und diese schoben die versteifte Oscar in die Zelle herein, machten schnell die Tür zu und folgten ihrem Kommandanten.

 

Wie grässlich! Sie hätte doch auf dem Weg hierher Reißaus nehmen und fliehen sollen! Aber was hatte sie denn von Girodel erwartet? Dass er sie gehen lassen würde? Hatte sie so sehr auf seine Gefühle zu ihr appelliert, dass sie sein wahres Wesen nicht erkannte?

 

Oscar schlug wütend gegen die eiserne Tür mit ihren Fäusten. Übelkeit überkam sie aufs Neue und ihre Lunge brannte noch mehr. Der Bluthusten war zurückgekehrt und nahm ihr den Atem weg. Mit jedem Keuchen und Würgen wurde sie schwächer, ihre Beine gaben nach, ihre Arme schlangen schützend um den Bauch, sie selbst glitt langsam zu Boden und blieb bis zum Morgengrauen bewusstlos liegen.

 

Als Oscar zu sich kam, erzitterte der Boden und die Wände in ihrer Zelle. Draußen, durch das vergitterte Fenster, erscholl der Kanonendonner und laute Stimmen der Menschen – einfachen Menschen. „Sie stürmen die Bastille...“, murmelte Oscar und wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte oder nicht.

 

 

 

- - -

 

 

 

„Nachladen und Feuer, Männer!“, brüllte Alain den Befehl an seine Kameraden und schob schon die nächste Kugel zu der abgefeuerten Kanone.

 

„Aber wehe, wenn ihr mir Oscar trifft!“, rief ihm André besorgt zu und bekam sogleich von ihm die Antwort: „Die Gefängniszellen befinden sich im inneren Teil der Festung!“

 

„Oscar, halte durch, du bist gleich frei“, wiederholte André die Worte wie eine Losung bei jeder abgefeuerten Kugel, die die hohe Mauern der Bastille traf und sie zum Bröckeln brachte. Bis zum Nachmittag hörten die Kanonendonner nicht auf und dann wurde die weiße Flagge gehiesst. Die Bastille war gefallen, die Menschen stürmen herein, befreiten die Gefangenen und nahmen sich die Besatzung vor. André fand seine Oscar bei einer der Zellen und schloss sie in seine Armen. Keine Worte zwischen ihnen waren nötig, um die Freude auszudrücken, die sie dabei gerade empfanden.

 

„Wir müssen hier weg.“, drängte Alain. „Die Menschen drehen durch.“

 

Etwas entgegen zu setzen hatten sie nichts. Draußen sahen sie das Ausmaß des Sieges: Die ganze Besatzung der Bastille wurde hingerichtet und ihre Köpfe auf Picken aufgespießt und durch die Stadt getragen. In ihrem Siegesrausch und Euphorie, merkten sie nichts von Oscar und ihren beiden Begleitern. Zu dritt erreichten sie Bernards Wohnung und Sophie fiel schluchzend in die Arme ihres Schützlings. „Gott sei Dank, Ihr lebt!“

 

„Ich sagte doch, dass ich zurückkommen werde“, versuchte Oscar sie zu beruhigen.

 

„Wie geht es nun weiter?“, meinte nun Rosalie.

 

„Wir verlassen die Stadt und ziehen nach Arras“, entschied Oscar und auch André nickte zustimmend. Wobei er doch noch ein kleines Bedenken hatte – in Arras würde bestimmt auch der Aufstand herrschen. „Aber ist das nicht zu gefährlich?“, fragte er deshalb zwiegespalten und bekam von seiner Frau gleich die Antwort: „Nicht gefährlicher als hier, in Paris.“ Dann stand es also fest!

 

„Ich werde Euch begleiten, wenn Ihr gestattet“, schloss sich Alain mit an. Und nicht nur er. Während sie ihre Sachen packten und sich zum Aufbruch vorbereiteten, kamen noch andere Söldner, die überlebt hatten mit dazu.

Zwischen Leben und Tod

Der Sommer ging vorüber, aber die Revolution dagegen nicht. Viele Bauern marschierten in die große Stadt und hofften auf Mithilfe ihrer Mitmenschen, denn durch das schlechte Wetter war die Ernte verdorben.

 

Unsanft und kühl streifte der Wind im Oktober über die kahle Erde in Arras und ließ die Menschen darauf hinweisen, wie grausam und gnadenlos der kommende Winter sein würde. Durch mangelnde Nahrungsvorräte, Hungersnot und eisige Kälte würde es noch mehr Todesopfer geben. So, als wäre die zurzeit herrschende Revolution nicht schon schlimm und entsetzlich genug...

 

Oscar seufzte in den Armen ihres Mannes schwer und André drückte sie sachte an sich. Sie beide standen auf einem Hügel nicht weit von Oscars Haus, das so ähnlich wie in der Normandie zu ihrem Besitz gehörte, und beobachteten den Sonnenaufgang. Es war einerseits erleichternd, die übertriebene Fürsorge von Sophie entkommen zu sein, aber andererseits vertrieb es nicht die eigentliche Sorge: Sorge um die Zukunft von ihnen allen.

 

„Lady Oscar?“

 

„Was ist, Gilbert?“ Oscar schob sich etwas aus den Armen ihres Mannes und sofort wurde es um ihre Schultern etwas kühler. Sie hüllte sich in den Wollmantel ein, bedeckte ihren fassrunden Bauch damit und sah den jungen Bauer an. Vor etwa zwanzig Jahren, als er noch ein kleiner Junge war, hatte sie ihm das Leben gerettet und vielleicht war genau diese Tat von damals den Bauern so sehr in Erinnerung geblieben, dass Oscar und ihre kleine Familie deshalb hier in Arras ohne Hass und Verachtung empfangen wurden. Oder vielleicht weil sie André geheiratet hatte, seinen Namen trug und seit dem Sturm auf die Bastille endgültig dem Adel abgeschworen hatte.

Es war auch bewundernswert, dass aus Paris und Versailles keine Abordnung kam, um sie zu verhaften und sie dem Militärgericht zu übergeben. Oder dachte man etwa, dass sie bei dem Sturm auf Bastille ums Leben gekommen war und sie deshalb dort in Vergessenheit geriet? Vorstellbar wäre es. Denn sie hatte ja mit eigenen Augen gesehen, was die wütenden Bürger in ihrer Siegeseuphorie mit der Besatzung der Festung angestellt hatten...

 

„Ihr habt Besuch.“, entriss Gilbert sie aus der grausigen Erinnerung und ging ihnen schon voraus. Er und seine Familie waren Lady Oscar wirklich von Herzen dankbar, denn sie hatte wirklich ein gutes Herz und behandelte jeden Menschen gleich. Schon damals hatte sie das bewiesen, als sie sich für den todkranken Bauernjungen eingesetzt und ihm das Leben gerettet hatte. Wenn alle Adligen wie sie wären, vor allem die Königin und der König, dann wäre die Welt in Ordnung und es gäbe keine Revolution.

 

Seit sie im Juli nach Arras gekommen war, besserte sich zwar nicht die wirtschaftliche Lage, dafür half sie aber den Bauern wie und wo sie konnte. Und mit jedem Tag bereitete sich Oscar auf den Tag ihrer Niederkunft vor. Sophies übertriebene Fürsorge versuchte sie tagtäglich zu entkommen, indem sie sich um das Wirtschaftliche kümmerte und einen festen, geschäftlichen Kontakt zu dem Wirtshaus „Zum alten Allas“ pflegte. Der Wirt kannte sie ja seit klein auf und erklärte sich freundschaftlich bereit mitzuhelfen. André und Alain gehörten selbstverständlich auch mit dazu.

 

 

 

 

 

 

„Rosalie!“ Was für eine Überraschung! Beherzt drückte Oscar die junge Frau an sich und sogleich keimte ein ungutes Gefühl in ihr. Das war das erste Mal, dass sie Besuch von Rosalie und Bernard bekamen. Aber musste das unbedingt etwas Schlechtes bedeuten? Oscar versuchte ihre dunkle Vorahnung zu verdrängen, schob Rosalie sachte von sich und reichte Bernard die Hand zum Gruß, der bereits von André begrüßt wurde. „Seid bei uns willkommen.“

 

„Es uns eine Freude, Euch wohlauf zu sehen.“ Bernard warf einen kurzen Blick auf Oscars Bauch und schmunzelte anerkennend. Lady Oscar in einem Umstandskleid zu sehen, war zwar ungewöhnlich, aber vergrub auch damit ihre wahre Existenz und die Vergangenheit eines Offiziers. „Wo ist eigentlich Alain?“, fragte er und um nicht die ganze Zeit Oscar anzusehen, schaute er sich in dem Empfangssalon des Hauses um, als suche er wirklich nach Alain.

 

„Er ist geschäftlich unterwegs.“ Besser gesagt, er war in dem Wirtshaus „Zum alten Allas“ in ihrem Auftrag und sollte ein paar wichtige Geschäftsideen für den nahendes Winter besprechen. Das war aber in dieser Runde nicht wichtig und Oscar gingen sowieso andere Gedanken im Kopf einher. „Lasst uns lieber an den Tisch setzen.“, lud sie das Ehepaar ein und Sophie machte sich schon auf den Weg in die Küche, um den Tee vorzubereiten.

 

„Was tut sich in Paris?“, wollte Oscar wissen, nachdem alle vier den Platz an dem kleinen Tisch im Salon einnahmen und merkte sofort, wie die Blicke der Gäste sich verdüsterten. Das hieß nichts Gutes! „Erzählt mir alles!“, verlangte Oscar in etwas erhöhtem Ton.

 

Rosalie kaute nervös auf der Lippe und warf ihren Mann einen unsicheren Blick zu. Bernard dagegen war keine Emotion oder Gefühlsregung anzusehen. Seiner Meinung nach hatten Lady Oscar und André schon das Recht die aktuelle Lage in Paris zu erfahren. „Tausende Frauen sind nach Versailles marschiert und auf dem Weg dorthin hatten sich ihnen noch mehr Bürger angeschlossen, darunter auch Männer. Sie alle forderten den Kopf der Königin.“

 

„Wie bitte?“ Auch wenn Oscar ihre Verbannung dem König und der Königin zu verdanken hatte, traf sie das hart.

 

„Lady Oscar...“ Rosalie ergriff sogleich das Wort und versuchte damit ihre Schutzpatronin zu beruhigen. Auch wenn sie selbst noch etwas nervös war und das Erlebte von gestern ihr noch graute, durfte sich Lady Oscar in ihrem Zustand nicht aufregen. „Ihre Majestät hat sich auf den Balkon gezeigt und das Volk besänftigt.“

 

„Wie hat sie das geschafft?“, fragte André und schielte zu seiner Frau. Es war ihr nichts anzusehen, was sie dabei empfand und wie sie sich fühlte, aber er kannte sie schon zu gut und wusste über den nahenden Ausbruch. Ihre vorgetäuschte Gelassenheit war meistens die Ruhe vor dem Sturm und er legte ihr deshalb sachte seine Hand auf den Unterarm. Oscar spürte das, erkannte die Bedeutung seiner Berührung darin, aber reagierte nicht darauf. Ihr fordernder Blick fixierte sich nur auf die Gäste und verlangte auf jede noch so kleine Frage eine Antwort!

 

„Sie hat sich verbeugt.“, murmelte Rosalie mit gesenkter Haltung, als wollte sie damit die Königin nachahmen und Bernard fügte gleich ausdruckslos hinzu: „Man verbannte danach die königliche Familie in den Tuilerienpalais.“

 

„Aber das Schloss wurde schon seit hundertfünfzig Jahren nicht bewohnt!“, empörte sich Oscar und stand aufgebracht auf. Es ging ihr nicht um das Schloss, sondern zu was die wütenden Menschen fähig waren – das hatte sie ja letztes Jahr am eigenen Leibe erfahren dürfen und stellte sich schon die aller schlimmsten Bilder vor. „Ich muss sofort hin und ihnen beistehen!“

 

„In Eurem Zustand?“, protestierte Sophie im Hintergrund. Der Tee war zwar nicht fertig, aber es war anscheinend der passende Gedanke, hierher zu kommen und nach ihrem Schützling zu sehen, bis das Wasser für den Tee aufkochte.

 

„Das ist mir egal!“, knurrte Oscar und setzte ihre Füße in Bewegung. Plötzlich durchfuhr ein heftiger Schmerz ihren Unterleib, ihre Hände fassten mechanisch an den Bauch und sie krümmte sich. André war sofort bei ihr und gab ihr den nötigen Halt. „Was ist denn das?!“, brachte Oscar zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und hörte schon Sophies Ausruf aus der Nähe: „Die Wehen!“ Die alte Dame eilte sofort zu ihrem Schützling, stützte sie von der anderen Seite und führte sich sogleich auf, als wäre sie jetzt die Herrin im Hause. „Ihr müsst jetzt auf Euer Zimmer! André, du hilfst mir sie dorthin zu bringen!“ Flüchtig warf sie auch auf die Gäste einen Blick hin: „Rosalie, schau nach dem Wasser und Tücher in der Küche! Monsieur Bernard, Ihr...“ Wo sollte er denn hin? Es gab keine Zeit zum Überlegen! Ihr Schützling war jetzt wichtiger! Sie überließ daher Bernard sich selbst und half mit ihrem Enkel Lady Oscar auf ihr Schlafzimmer.

 

„Willst du nicht lieber eine Hebamme holen?“ Oscar mühte sich auf dem Weg dorthin um einen sarkastischen Tonfall. Zugegeben, ihr war Sophie nicht geheuer, dass diese bei der Niederkunft dabei sein würde. Besonders, wenn man bedachte wie alt sie schon war.

 

„Papperlapapp!“ Sophie ließ sich natürlich nicht davon abbringen. „Ich habe Euch und Eure Schwestern auf die Welt kommen sehen!“

 

Oscar wusste nicht, was sie davon halten sollte und versuchte nicht daran zu denken. Sie konzentrierte sich lieber, was ihr bevorstand und versuchte ihre Ängste im Keim zu ersticken. Ja, sie hatte Angst davor und dass sie dabei vielleicht etwas falsch machen könnte... Denn Geburten waren nicht ungefährlich – so wie für die Mutter, so auch für das Kind... Und wenn man noch dazu eine Krankheit hatte, bei der man nicht wusste, wie lange ihr das Leben noch vergönnt war, machte das es nur noch schlimmer... Obwohl sie der Bluthusten in letzter Zeit verschont hatte und seit sie in Arras war, zurückgegangen und kaum noch vertretbar war, hieß das trotzdem noch lange nicht, dass es nicht zurückkommen könnte... Oscar bekam ein dumpfes Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war, dass etwas Schreckliches passieren würde und in ihrer Lunge begann es zu rasseln...

 

„Vorsichtig, Liebste.“, versuchte André Oscar und sich selbst zu beruhigen, während er seine Frau auf das Bett absetzte. Er wusste natürlich nichts über Geburten, aber er hatte schon genug darüber gehört, dass es nicht ungefährlich war und die Frauen dabei meistens eine Tortur mit sich machten. Dieses Wissen machten ihm deshalb umso mehr Sorgen um seine Frau. Oscar legte sich rücklings in die Kissen, stellte ihre Beine gebeugt auf und hielt dabei fest die Hand ihres Mannes. „Bleibe bei mir...“, flüsterte sie und verkrampfte sich für einen kurzen Augenblick. „Nur wenn du da bist... werde ich das durchstehen können...“, meinte sie, nachdem die Schmerzen etwas nachließen und versuchte sich gar an einem Lächeln.

 

André lächelte matt zurück. „Wo sollte ich denn sonst hin? Ich habe mir geschworen, immer bei dir zu sein und das werde ich auch tun.“ Nur für eine kurze Zeit ließ er ihre Hand los, um einen Stuhl zu holen und sich an das Kopfende des Bettes zu setzen. Obwohl er Sorgen und Angst um Oscar hatte, war er dennoch über ihre Bitte erleichtert. Zwar würde er ihr nicht helfen können, aber ihr beistehen und das war gewissermaßen beruhigender, als sich irgendwo anders weit entfernt von ihr die bestimmt quälende und unerträgliche Wartezeit zu vertreiben.

 

Rosalie kam mit Tüchern und Wasser ins Zimmer und Sophie scheuchte ihren Enkel sogleich hinaus. „Du darfst nicht hier sein!“

 

„Nein, André, verlass mich nicht...“ Oscar befürchtete, er würde dem Befehl seiner Großmutter Folge leisten und hielt mit noch mehr Druck seine Hand – sie wusste ja, wie die alte Dame war und was für einen großen Respekt André vor ihr hatte.

 

André erwiderte ihr den Druck und hauchte ihr gar einen Kuss auf den Handrücken. „Ich werde dich nie in meinem Leben verlassen, egal was kommen mag. Wir stehen das gemeinsam durch, Liebste.“

 

„Das schickt sich nicht!“, protestierte Sophie und machte Anstalten, ihren Enkel vom Stuhl zu schieben und ihn auf diese Weise aus dem Zimmer ihres gebärenden Schützlings zu verbannen. „Die Männer dürfen nicht bei der Niederkunft dabei sein!“

 

„Das ist mir egal... Wenn er geht, dann werde ich sterben...“, sagte Oscar mitten in den qualvollen Schmerzen der heftig auftretenden Wehen und Sophie musste sich widerwillig dem Willen ihres einstigen Schützlings beugen.

 

 

 

In den nächsten Stunden litt André zusammen mit seiner Frau. Trotzdem und auch wenn er ihr die Schmerzen nicht lindern konnte, so tröstete er sie wenigstens mit sanften Worten und erzählte über glückliche Momente ihres gemeinsamen Lebens. Das gab Oscar die Kraft, die Tortur überstehen zu können. Dennoch gab es Komplikationen, von denen er beinahe in eine Schreckensstarre versetzt wurde! Aber das durfte er nicht! Seine Oscar durfte nichts davon mitbekommen, was seine Großmutter und Rosalie miteinander sprachen! Sophie erwähnte etwas von einem engen Gang und dass das Kind zu groß ist, um durchkommen zu können... Rosalie hatte auch ihre Vermutung erschrocken hinzugefügt, dass das Kind oder die Mutter womöglich... Weiter hatte sie sich nicht geäußert, aber André hatte sie verstanden und ihm wurde bang ums Herz. Er wollte keinen von beiden verlieren!

 

Oscar hörte seiner belegten Stimme zu und presste. André setzte ein falsches Lächeln auf, aber auch das merkte sie – nur sagte sie nichts dazu. Sie wusste ja, dass etwas nicht stimmte und dass heute eine Seele in das Reich des Himmels steigen würde... Es dürfte aber nicht die Seele ihres Kindes sein! „Ich liebe dich, André... mein Geliebter...“, flüsterte sie in einer Verschnaufpause zwischen den Wehen und musste dann gleich mit schmerzlichen Aufstöhnen wieder pressen.

 

Ihre Worte waren nicht mehr wie der Hauch eines Windes, aber André hatte sie verstanden. „Meine Oscar...“, hauchte er mit einem dicken Kloß im Hals und mit glasigen Augen beugte er sich zu ihrem Ohr vor. „Ich liebe dich über den Tod hinaus... für immer und ewig... meine Geliebte...“ Tod... Nein! Er hätte am liebsten aufgeschrien, aber das konnte er nicht! Er konnte nicht über Tod und Leben entscheiden... Niemand konnte das!

 

Oscar spürte die Nässe auf ihren Wangen, die nicht ihre war... Das waren Andrés Tränen, die nun ihre Haut benetzten, als er sich aufrichtete und weiter über glückliche Erlebnisse ihrer gemeinsamen Kindheit und Jugend erzählte. Das war so entsetzlich, wenn er sich verstellte, aber in diesem Moment war Oscar froh darüber. Er wollte sie nicht gehen lassen, dass wusste sie, aber es gab keinen anderen Ausweg. Das war der letzte Kampf und das war ihnen beiden bewusst... Aber welches Leben war wichtiger, bedeutender und stand an ersten Stelle, um gerettet zu werden: Das Leben des Kindes oder das der Mutter?

Wie der Hauch eines Windes

Sie stand vor dem erschreckendsten Gerät, das man je gebaut hatte – die Guillotine! Man hatte bereits im Januar dieses Jahres den König damit hingerichtet und nun, an einem düsteren und grauen Oktobertag war die Königin dran... Oscar konnte es nicht mehr länger mit ansehen. „Aufhören!“, schrie ihre Seele und sie selbst bahnte sich schon den Weg durch die eng aneinander stehenden Menschenmassen auf dem Place de la Révolution. Marie Antoinette hatte sie gesehen. Eigentlich war das in der Menge von tausenden Menschen unmöglich, aber Oscar war sich sicher, dass dieser noch immer unbeugsame, würdevolle Blick ihr gegolten hatte! Das hatte sie zu tiefst getroffen und nur mit einem Ziel, die entmachtete Königin zu erreichen, zwängte sie sich durch die Leiber der Zuschauer und versuchte immer schneller voranzukommen, bevor... Obwohl ihr bewusst war, dass sie die Hinrichtung nicht verhindern würde können, aber trotzdem – die langjährigen Dienste in dem königlichen Garderegiment und die Freundschaft, die sie früher Marie Antoinette entgegengebracht hatte, trieben sie dazu... Warum machten die Menschen so etwas Grausames?!

 

„Oscar, nein!“ André wollte nach ihr greifen, aber sie entschwand ihm und steuerte den Kurs direkt auf die Guillotine zu. Warum machte sie das?! Was wollte sie damit erreichen?! Als würde sie etwas ändern können! Sie sollte froh sein, dass man sie nicht entdeckt hatte, aber das war eben Oscar – unaufhaltsam und stur. In Arras mochten die Menschen sie schätzen und ehren, aber bestimmt nicht hier in Paris! In der großen Stadt rollten nämlich nur so die Köpfe... Von allen, die früher dem monarchistischen Regime gedient, auf Kosten des einfachen Volkes gelebt hatten und auch von denen, die gegen die Revolution waren...

 

André versuchte seine Frau einzuholen, bevor die hasserfüllten Menschen sie entdeckten. Aber auch das war zu spät! Das Schicksal schien sich gegen sie gewandt zu haben. Nur beiläufig nahm André wahr, wie die große Klinge niedersauste und das Leben der entmachteten Königin beendete. Eine augenblickliche Stille breitete sich aus und gleich darauf folgte ein markerschütternder Schrei: „Nein!!!“

 

Ein scheinbar junger Mann fiel auf die Knie und schrie sich die Seele aus dem Leib. Die Menschen um ihn herum traten zur Seite und umstellten ihn fassungslos. Er war bürgerlich gekleidet und sie verstanden nicht, warum er wegen der verschwendungssüchtigen Österreicherin so ein Theater machte. Bis der Wind kam und ihm den Strohhut vom Kopf riss. Goldblondes Haar wehte in aller Pracht nach hinten und jemand aus dem Volk schrie gleich entsetzt: „Das ist doch das verfluchte Mannsweib der Königin!“

 

„Ja, ich erkenne sie auch!“, bestätigte jemand anderes und der dritte spornte gleich darauf an: „Schnappt sie euch!“

 

Oscar wurde von allen Seiten grob gepackt, auf die Beine hochgerissen und mit heftigen Stößen vorangetrieben. Sie protestierte nicht einmal, sie war wie benommen. Es war zu viel geschehen, in den letzten vier Jahren: der Sturz der Monarchie, die Terrorherrschaft, die Hinrichtungen all diejenigen von Adel, die früher eine wichtige Position in Versailles hatten und nun auch noch das...

 

Unter grollendem Gejohle, Schlägen und Beschimpfungen schleppte man sie zu Guillotine. Der Rumpf der hingerichteten Königin wurde weggeschafft, um für sie Platz zu machen. Oscar versuchte nicht auf die Menge des Blutes zu sehen, die sich dort gebildet hatte – und nicht in den Korb, wo noch der starre Kopf lag. Was machte sie denn hier?

 

„Jetzt wirst du deiner Österreicherin folgen!“, höhnte der Henker hinter ihr und dessen Gehilfen drückten sie gewaltsam auf Knien zu Boden. Man verdrehte ihr die Arme am Rücken, packte ihr Haar zu einem Zopf und säbelte ihr es mit einem scharfen Messer ab. Es wurde kühl und frisch in ihrem Nacken... Oscar hob den Blick und schweifte über alle Köpfe der Bürger, die nichts außer Hass, Verachtung und Mordlust ihr entgegen brachten – wie damals vor etwa fünf Jahren bei dem Kutschenüberfall...

 

Plötzlich, ganz hinten am Rande des Place de Révolution, entdeckte sie einen vermummten Reiter und erstarrte. Wie ein kalter und eiserner Griff umhüllte dessen Anblick ihr Herz – sie hatte den Mann erkannt und er sie ganz bestimmt auch... Er war also auch hier... Oscar war nicht fähig, sich zu regen und verharrte reglos, als wäre sie in einen Stein verwandelt worden...

 

Wie eine Trophäe hielt der Henker währenddessen ihre goldene Pracht vor allen Menschen und dann warf er es wie Abfall durch die Luft. Oscar war immer noch wie benommen und nahm kaum wahr, was man mit ihr machte. Dennoch war es ihr bewusst, dass sie an der Schwelle des Todes stand. Und das war ihr eigenartigerweise nicht einmal von Bedeutung... Der Reiter, auf dem ihr ausdrucksloser Blick die ganze Zeit ruhte, wendete sein Pferd und ritt fort... Oscar schluckte hart und in dem Moment nahm sie eine tiefe Stimme wahr, die sie hellhörig werden ließ und ihre Lebensgeister wieder erweckte. „Nein! Lasst sie los! Lasst mich durch!“, schrie jemand immer lauter und dann sah sie ihn sich durch die Menge den Weg zu ihr bahnen.

 

„Nein, André, tu es nicht!“, wollte Oscar ihm entgegen schreien, aber dann überkam sie ein heftiger Husten. Nicht schon wieder! Zwar trat der Bluthusten nur selten auf und sie hatte ihn größten Teils unter Kontrolle, aber es kam auch meistens in den unpassendsten Momenten. Sie wurde vor Schreck abrupt losgelassen, als sie Blut hustete. Der Anfall dauerte zum Glück nicht lange und war nicht so gravierend, aber dennoch schaffte er gewissen Zeit, dass André zu ihr schneller gelangen konnte. Zu überrascht und perplex waren die Herumstehenden für einen Moment, um ihn daran zu hindern.

 

„Oscar!“ André erreichte sie, warf sich vor ihr auf die Knie und gebot ihr mehr Halt. Er wusste über ihre Krankheit Bescheid, als sie vor vier Jahren kurz nach Niederkunft einen ähnlichen Anfall bekam und ihm die Wahrheit offenbart hatte – an der Schwelle des Todes und nachdem ihr gemeinsames Kind zur Welt gekommen war...

 

Der Husten ebbte ab. Oscar wischte die Reste des Blutes um ihre Mundwinkel mit dem Zipfel ihres Umhanges ab. „Es geht schon.“, flüsterte sie rau. „Du hättest nicht kommen sollen...“

 

„Aber, Oscar...“ André schmerzte ihre starrsinnige Wortwahl, aber sie einfach so gehen lassen würde er nicht. Nicht noch einmal! „Wenn du gehst, dann gehe ich auch...“ Er erhob sich und zog sie in die Höhe. Sofort wurden sie von allen Seiten gepackt und voneinander getrennt. „Wer bist du?!“, verlangte der Henker von André zu wissen. Erinnerten sie sich denn gar nicht mehr, wem sie eigentlich den Sturm auf die Bastille vor vier Jahren verdankten? Waren die Bürger etwa durch den Hass auf den Adel und die Monarchie so verblendet, dass sie deshalb zwischen Feind und Freund nicht mehr unterscheiden konnten?

 

André sah nur Oscar an, soweit es ihm möglich war. „Mein Name ist André Grandier! Ich gehöre zu euch, ich bin nicht vom Adel! Ich bin nur im Hause de Jarjayes aufgewachsen und habe dort vor vielen Jahren als Stallbursche gearbeitet!“

 

„Und warum mischst du dich ein, wenn du zu uns gehörst?!“, spie der Henker und spuckte abfällig zur Seite.

 

„Ich biete mein Leben für diese Frau!“, sagte André klar und deutlich.

 

„Nein!“ Oscar wollte sich aus dem Griff der Männer entreißen und zu ihrem Mann losrennen, aber wurde noch fester gehalten.

 

„Und warum?“, befragte Henker ihn ungerührt weiter: „Was hast du mit der zu schaffen?!“

 

„Ich liebe sie!“ Andrés Stimme trug diese drei Worte wie eine Botschaft über viele Köpfe der Herumstehenden und ließ sie für einen kurzen Moment still werden.

 

„Ein Verräter!“, schrie jemand doch noch aus dem Volk und warf ein Stein nach ihm. „Nieder mit ihm!“

 

Der Stein traf André auf die Schläfe und dessen Sicht verdunkelte sich. Er stöhnte auf und wurde eigenartigerweise nicht mehr festgehalten. Oscar schaffte es sich loszureißen und eilte zu ihm. „Bitte nicht!“ Gerade rechtzeitig fing sie ihn auf und André schloss sie sogleich in seine Arme. Seine Sicht klärte sich etwas auf und der Blick in ihre himmelblauen Augen erzeugten eine beruhigende Wirkung auf ihn.

 

Die Menschen beobachteten dieses Szenarium, ohne richtig zu wissen, was sie davon halten sollten. André holte tief Luft und hob erneut seine Stimme: „Ist es etwa Verrat, jemanden zu lieben, der für dich durch das Feuer und durch die Hölle gehen wird, um nur dich glücklich zu machen? Der sogar über sein eigenes Leiden hinwegsieht und bereit ist, sein eigenes Leben zu opfern, aus Liebe zu dir? Oscar hat das gemacht! Sie hatte nie etwas für sich beansprucht! Sie ist der gleiche Mensch, wie wir alle und sie hat schon immer für die Gerechtigkeit gekämpft! Sie ist die wunderbarste Frau, die ich je gesehen habe! Deswegen tötet auch mich, wenn ihr so darauf versessen seid! Denn sie ist mein Leben und ich liebe sie über den Tod hinaus...“

 

„André...“ Oscar schluchzte ungewollt. „Ich liebe dich aus tiefstem Herzen...“ Sie zog sein Gesicht langsam zu ihr. „Nur einmal... Nur noch einmal möchte ich deine Lippen spüren dürfen... Das ist mein letzter Wunsch, bevor wir im Tod vereint sein werden...“

 

André berührte ihre Lippen zärtlich mit den seinen und verschmolz mit ihr in einem innigen Kuss. Niemand störte sie. Niemand wagte es sie zu trennen. Dieser Kuss der beiden, ungeachtet davon wer sie waren, verewigte sich in allen Köpfe der Zuschauer. Vielleicht war das ihre reine und bedingungslose Liebe, die alle Menschen die Luft anhalten ließ - für einen Augenblick, der ewig dauerte. Die Welt schien für Bruchteile weniger Minuten aufgehört haben sich zu drehen. Denn die Liebe überdauerte Leid und Tod. Sie lässt alles um sich vergessen und hüllt die Herzen mit der Wärme der Geborgenheit ein.

 

Die Totenstille breitete sich auf dem Place de la Révolution aus und nur den Wind hörte man pfeifen. Er wehte an den Menschen vorbei, wirbelte die zerstreute goldblonde Haarsträhne von Oscar auf und trug sie fort. Fort von dem Platz, wo zwei liebende Menschen in einer tiefen Umarmung vor tausenden Augenpaaren ihre Liebe bekundeten. So klar und beschwingt, wie der Hauch eines Windes.

Ein einsamer Reiter

Ein einsamer Reiter durchquerte die Straßen von Paris. Er war von langen Kämpfen gekennzeichnet, hager und verhärmt. Achtsam schielte er in alle Richtungen, aber kein Mensch beachtete ihn. Jeder von ihnen ging seiner Tätigkeit nach.

 

Langsam erreichte er einen großen Marktplatz und zügelte am Rande sein Pferd. Keineswegs wollte er auffallen, obwohl die Lage in Frankreich momentan eher friedlich war. Dennoch prägten grauenvolle Bilder sein Unterbewusstsein, als wäre es gestern geschehen. Im geistigen Auge ließ er sie alle noch einmal aufleben:

 

Die Bastille wurde vom wütenden Volk eingenommen und drei Monate später auch Versailles gestürmt. Weder sie, noch ihr Geliebter waren dabei. Ob sie schon bei dem Sturm auf die Bastille umgekommen war?

 

Nein, unmöglich. Der Reiter schüttelte im Sattel den Kopf. Dieses bürgerliche Mädchen Namens Rosalie hatte später seiner Frau über den Sturm auf die Bastille erzählt und ihr aus dem stürmenden Versailles noch rechtzeitig geholfen. Rosalie hatte seiner Frau beigestanden und nach Anwesen gebracht, nachdem die wütenden Bürger die Königsfamilie aus Versailles in den Tuilerienpalais verbannt hatten. Seine Frau befand sich in einem sehr labilen, geschwächten Zustand und Rosalie kümmerte sich um sie, denn alle Bediensteten des Hauses hatten schon längst das Anwesen verlassen.

 

Rosalie hatte noch viel mehr über sie seiner Frau erzählt und ihr versichert, dass es ihnen gut ging. Und Rosalie hatte noch anschließend hinzugefügt, dass sie verheiratet sei und seine Frau gab ihr durch Rosalie ihr Segen. Aber nicht er! Seine Frau mochte das getröstet haben, aber nicht ihn! Das hatte ihn noch zorniger, verbitterter gemacht. Er hatte sich endgültig von ihr losgesagt und verlor keinen Gedanken mehr an sie, denn es gab Wichtigeres zu tun:

 

Er und die letzten Getreuen seiner Majestät, darunter auch Graf von Fersen und Graf de Girodel, planten eine Flucht für die Königsfamilie aus dem Tuilerienpalais, Paris und dann ganz aus Frankreich. Ein halbes Jahr später, im Juni 1791, war es ihnen gelungen und dabei begegnete er ihr. Graf von Fersen hatte sie und ihren Mann in Arras aufgesucht und darum gebeten, bei der Flucht mitzuhelfen. Sie sagte, sie erfüllte die letzte Pflicht, aber er hatte ihr nicht zugehört und sie nicht einmal eines Blickes gewürdigt.

 

Die Flucht der Königsfamilie lief wie geplant – am Anfang. An ihrem ersten Zielort, wo die Kutschpferde ausgetauscht wurden, entließ der König den Grafen von Fersen – auch sie und ihren Mann. Er wusste nicht, ob er froh sein sollte, dass sie fort war. Die Flucht danach scheiterte, man brachte die Königsfamilie zurück nach Paris und urteilte über sie. Die nächsten Fluchtversuche schlugen auch fehl und dann rollten die Köpfe, die Monarchie war gestürzt und der Adel entmachtet. Nach der Hinrichtung des Königs und später der Königin hielt ihn nichts mehr in Frankreich auf – er hatte sie ja an der Guillotine gesehen und wie sie es zuließ, dass man sie hinrichten wollte. Wie töricht... Und sie hatte Blut gespuckt... Deshalb also war ihr Leben ihr nicht mehr von Bedeutung... Was war aber aus ihrem Mann und ihrem Kind geworden? Wo waren sie? Oder hieß es etwa...

 

Dann hatte man ihr das Haar abgeschnitten – ihr goldblondes, schönes Haar... und plötzlich hatte sie den Blick gehoben und in seine Richtung geschaut – mit dem klaren, stechenden Blick ihrer unergründlichen, blauen Augen! Hatte sie ihn etwa entdeckt? Es hatte zumindest danach ausgesehen...

 

Er konnte das nicht mehr länger ertragen, hatte sein Pferd gewendet und war fortgeritten. Auch wenn ihn ein schlechtes Gewissen geplagt hatte und es ihm im tiefsten Winkel seiner Hartherzigkeit leid tat, er konnte ihr nicht mehr helfen – sie wäre so oder so gestorben... Wenn nicht durch die Guillotine, dann an ihrer Krankheit...

 

Er nahm sein letztes Hab und Gut und floh zusammen mit seiner Frau ins Ausland. Gerade rechtzeitig, denn dann richtete man auch die Offiziere und Soldaten, die dem Königspaar gedient hatten - darunter auch Graf de Girodel.

 

Nun, fast elf Jahre später nach dem Sturm auf die Bastille, war er wieder hier in Frankreich – nach dem letzten Wunsch seiner Frau, die im Exil im Ausland vor Kurzem verstorben war...

 

Der einsame Reiter trieb sein Pferd im leichten Gang an – er wollte in dieser Stadt nicht länger bleiben und sich aufhalten! Auf der Suche nach ihr verließ er Paris. Es gab nur wenige Orte, wo sie sein könnte: Sein Anwesen zählte nicht mehr dazu, denn es war wie viele andere dem Boden gleichgemacht und in Paris, bei dieser Rosalie oder sonst wo in der Stadt, glaubte er sie auch nicht vorzufinden. Also blieb noch das Gut in Arras und das Haus in der Normandie übrig, wenn es überhaupt noch heil vor Plünderungen und Brandschatzung geblieben war. Arras lag näher und er versuchte dort sein Glück. Wenn sie überhaupt noch lebte! Das mütterliche Herz seiner Frau hatte bis zu ihrem Tod daran geglaubt, wo er dagegen seine Zweifeln hatte... Aber gut, er wollte den letzten Wunsch seiner Frau erfüllen – schon alleine, weil es sein Ehrgefühl das von ihm verlangte und deshalb war er wieder hier in Frankreich...

 

 

 

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Spätabends saß er im Gasthof „Zum alten Allas“ an einem abgeschiedenen Tisch – einsam und ungestört, und widmete sich seinem Mahl zu. Die Gaststube war nicht allzu sehr mit Menschen gefüllt. Sie bildeten vereinzelte Grüppchen und unterhielten sich leutselig beim guten Bier über neue Zeiten. Die Hälfte von ihnen bestand aus jungen Burschen, aber allesamt waren sie Bauern – ansehnliche Bauern. Sie ernährten sich schon lange nicht mehr von Kartoffelschalen, sondern betrieben selbst ihre Geschäfte.

 

Unvermittelt hörte er plötzlich ihren Namen und spitzte seine Ohren, wobei er ungerührt dabei weiter aß. Es bestand also doch die Hoffnung, dass sie noch lebte?! Sie hatte hier eine beträchtliche Summe investiert, den Menschen auf die Beine geholfen und belieferte dieses Wirtshaus monatlich mit essbaren Produkten und Wein oder Bier. Woher sie dafür das Geld hatte, wollte er nicht wissen und das interessierte ihn nicht einmal. Aus ihr wurde also eine Geschäftsfrau und alle schätzten sie hier sehr, obwohl sie adliger Herkunft war. Durch ihren Mann gehörte sie aber schon längst nicht dem Adel an und die Geschäfte liefen sowieso auf seinen Namen, wie er aus den Gesprächen der jungen Burschen mitbekommen hatte. So lebte sie also – als Wohltäterin und Gönnerin des einfachen Volkes! Er hatte genug gehört, bezahlte seine Zeche und ging auf sein Zimmer, das er für heute Nacht gemietet hatte.

 

 

 

 

 

- - -

 

 

 

 

 

In der Normandie fand er ihr Haus auf Anhieb. Sie hatte es ausbauen lassen! Hinter ihm erstreckte sich ein großes Feld - in zwei Flächen aufgeteilt: Auf einer Hälfte wuchsen grüppchenweise Obstbäume und auf der anderen, in Reihen angelegt, Gemüse. Menschen arbeiteten dort – bestimmt freiwillige Einwohner, die sie gut bezahlte. Denn keiner von ihnen sah missgelaunt, abgerackert oder erzwungen aus.

 

Und dann sah er sie! Also hatten die Gefühle seiner Frau nicht gelogen und sie war tatsächlich am Leben! Sie ging mit einer jungen Frau und einem etwa zehnjährigen Knaben aus dem Haus. Sie trug Hose und Ausgehjacke wie ein Mann, aber er erkannte sie schon aus der Ferne. Ihr blondes, lockiges Haar war in den Jahren anscheinend wieder bis zu den Schulterblättern nachgewachsen und leuchtete nur so in dem Sonnenlicht - wie auch das des Jungen. Er brauchte nicht lange zu überlegen, dass dieser Junge ihr Sohn war. Auch in ihrer aufrechten Haltung und stolzen Erscheinung, hatte sie sich kaum geändert. Sie stieg mit dem Jungen und dem Mädchen in eine Pritsche und fuhr los.

 

Er verfolgte sie mit großem Abstand, bis zu einem Friedhof. Die Kutsche hielt dort an, sie stieg mit den beiden aus und besuchte mit ihnen ein bestimmtes Grab. Er runzelte die Stirn. Wer war da gestorben? Doch nicht etwa ihr Mann? Er hatte ihn weder auf dem Feld, noch an dem Haus gesehen. Und soweit er sich erinnerte, war sie seit klein auf nur mit ihm zusammen...

 

Er wartete, bis sie mit den beiden den Friedhof verließ, in die Droschke einstieg und wegfuhr. Dann trieb er sein Pferd an, stieg aus dem Sattel und besuchte selbst das Grab. Nicht ihr Mann lag dort begraben, sondern dessen Großmutter. Ein einfaches Begräbnis, mit dem Namen der alten Haushälterin auf dem Grabstein und frische, auf die Erde gelegte Blumen. Er hielt eine kurze Schweigeminute, kehrte dann zu seinem Pferd zurück und ritt fort, zu ihrem Haus zurück.

 

Die Droschke war nirgends mehr zu sehen, dafür aber die junge Frau mit dem Knaben auf dem Hof. Er stieg aus dem Sattel, führte sein Pferd hinter sich an den Zügeln und kam auf die zwei zu.

 

„Guten Tag, Monsieur.“, begrüßte die junge Frau ihn freundlich. „Wie kann ich Euch helfen?“

 

Er räusperte sich in die Faust, bevor er im rauen Ton sagte: „Ich will Oscar sprechen.“

 

„Ich heiße auch Oscar!“, hörte er den Jungen an ihrer Seite sagen und sah ihn genauer an. Grünblaue Augen betrachteten ihn neugierig und standhaft.

 

„Monsieur meint sicherlich nicht dich, sondern deine Mutter.“, sagte die junge Frau sanft und schenkte ihre Aufmerksamkeit dann gleich wieder ihm. „Verzeiht, aber Madame Oscar ist noch unterwegs und kommt später nach. Soll ich ihr etwas ausrichten? Oder möchtet Ihr lieber im Haus auf sie warten?“

 

„Ich warte!“, beschied er knapp. „Ich habe nicht den langen Weg auf mich genommen, um gleich zu gehen, ohne sie gesprochen zu haben!“

 

„Und wer seid Ihr?“, fragte der Junge unerschrocken, bevor die junge Frau den Gast in das Haus einlud.

 

Dieser sah auf ihn herab – streng und mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Ich war früher ein General. Mein Name ist Reynier de Jarjayes und ich bin Vater deiner Mutter.“

 

Die Augen der jungen Frau weiteten sich vor Unglaube, die des Jungen leuchteten dagegen freudig. „Ihr seid also mein Großvater! Maman hat über Euch vieles erzählt!“

 

„Ach ja?“ Reynier war von dem Verhalten des Jungen überrascht und war zugegebener maßen auch bewegt. Dieser nickte eifrig und stellte sich aufrecht. „Möchtet Ihr in den Pavillon unseres Gartens?“

 

„Liebend gern, mein Junge.“ Etwas in dem sonnigen, unbeschwerten Gemüt seines Enkels bewog den strenggesonnenen General zu lächeln. Die junge Frau geleitete ihn in den Pavillon des Blumengartens, der hinter dem Haus lag und ließ ihn dort mit ihrem Schützling alleine, während sie Tee für den Gast zubereite. Keiner der beiden wusste, dass sie dabei aus der Entfernung beobachtet wurden.

Versöhnt

Sie hatte es ja geahnt! Sie hatte ihn sofort erkannt! Noch am Friedhof hatte sie den einsamen Reiter in der Ferne bemerkt, ohne überhaupt hingeschaut zu haben. Sie bekam dabei ein merkwürdiges Kribbeln im Nacken und dann tauchte er hier, in ihrem Haus, urplötzlich und fast nach einem Jahrzehnt auf! In diesen Jahren war vieles passiert und es hatte sich einiges geändert:

 

Nach dem Sturm auf die Bastille war sie mit André nach Arras gezogen und der alte Wirt im Gasthof „Zum alten Allas“ hatte ihnen geholfen womit er konnte. Das alles passierte, bevor sie ihr erstes und einziges Kind zur Welt brachte und das wütende Volk Versailles erstürmt und die königliche Familie in den Toulirienpalais verbannt hatte.

 

Rosalie war zufälligerweise auch dabei, hatte Oscar bei Rosalies und Bernards Besuch erfahren und das hatte bei ihr an jenem Tag die Wehen ausgelöst... Oscar schüttelte sich, daran wollte sie nicht erinnert werden. Denn nach der Geburt ihres Sohnes war sie so geschwächt, dass jeder in ihrer Umgebung die Hoffnung auf ihr Überleben verloren hatte...

 

Oscar ging es nicht gut, dem Kind dagegen schon. Und dann erfuhren sie alle noch zusätzlich, dass Oscar Tuberkulose hatte. Das war schrecklich! Dennoch blieb sie am Leben und schaffte es die Krankheit zu besiegen, indem sie das Soldatenleben endgültig aufgab, sich mehr Ruhe gönnte und sich um ihre Lieben kümmerte – auch wenn keine ruhigen Zeiten geherrscht hatten.

 

Oscar war überrascht, Graf Axel von Fersen zwei Jahre später vor der Tür stehen zu sehen. Es ging um die Flucht der königlichen Familie und Oscar war nach langem Überlegen einverstanden. Ihr Vater war bei der Flucht auch beteiligt, aber hatte kein einziges Mal sie eines Blickes gewürdigt. So, als wäre sie für ihn wirklich gestorben und sie wäre nicht mehr seine Tochter... Oscar schmerzte das zu tiefst, aber sie lief nicht fort, denn sie erfüllte die letzte Pflicht gegenüber Ihrer Majestät... Dennoch lief alles schief und Oscar wurde mit Grafen von Fersen von dem König entlassen. Was mit ihnen später geschah, daran erinnerte sich Oscar auch nicht gerne.

 

Als wäre schon die gescheiterte Flucht nicht genug, wurden im Jahr 1793 der König und dann die Königin enthauptet. Und beinahe hatte man auch sie und ihren Mann hingerichtet... Während die Menschen wie erstarrt deren innige und womöglich letzte Zweisamkeit beobachtet hatten, hatten sich Alain und Bernard durch die Volksmassen gebahnt, sich neben ihnen an der Guillotine gestellt und die Menschen an den Tag des Sturmes auf die Bastille erinnert... Vielleicht war das ihre Rettung, Oscar wusste das nicht... Auf jeden Fall hatte man sie wie durch ein Wunder gehen lassen...

 

Ihr Sohn war zu dem Zeitpunkt unter Aufsicht bei Rosalie und als Oscar ihn in die Arme geschlossen hatte, wurde ihr der eigener Fehler bewusst... Sie hätte das nicht mehr erleben können... Und da war noch ihr Vater, den sie zuvor hatte fortreiten sehen... Das war entsetzlich und schmerzlich... und ein Abschied für immer... Was wollte er dann jetzt hier?

 

Sie zählte doch schon lange nicht mehr zum Adel und erst recht nicht mehr zu der Familie de Jarjayes. Durch die Ehe mit André wurde sie seines Standes angesehen. Obwohl danach es keinen Standesunterschied mehr gab. Alle Menschen waren gleich, wie es sein sollte. Dennoch bedauerte Oscar die Terrorherrschaft, die danach herrschte.

 

Kurz nach der Hinrichtung des Königspaares verließ Oscar mit den ihren Arras und zog in die Normandie, wo ihr Haus im Gegensatz zu ihrem elterlichen Anwesen noch verschont geblieben war. Die Einwohner hießen sie willkommen, trotz der schweren Lage. Sie kannten und mochten sie. Deswegen wurde das Haus nicht geplündert und nicht ausgeraubt.

 

Nach der Hinrichtung des Königspaares wurde auch Robespierre hingerichtet und erst als ein neuer Herrscher die Macht über Frankreich an sich riss, kehrten etwas ruhigere Zeiten ein. Mit den Jahren besserte sich ein wenig die wirtschaftliche Lage und sie konnten sich etwas entfalten und ihr Leben bessern.

 

Parallel entstand dann auch eine geschäftliche Beziehung zum Gasthof von Arras. Oscar kümmerte sich im Namen ihres Mannes um die Menschen, Finanzen und um das Geschäftliche. André selbst stand ihr überall zur Seite und auch Alain, zusammen mit seinen überlebenden Kameraden, half wo und wie er konnte.

 

Alain heiratete, was von ihm nie möglich gehalten wurde - ein junges bürgerliches Mädchen aus der Nachbarschaft, das dann bei ihnen einzog und Kindermädchen des kleinen Oscar wurde.

 

Seither lebten sie wie eine kleine Familie und wie reiche, aber gütige Bürger. Nun tauchte unverhofft ihr Vater auf und Oscar wusste nicht zu sagen, ob zum Schlechten oder Gutem...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Oscar entriss sich aus ihrem Versteck. Es nützte nichts, hier weiter auszuharren. Das Kindermädchen ihres Sohnes kam auf sie zu. „Madame Oscar, gut dass Ihr schon zurück seid. Wir haben Besuch von...“

 

„Ja. Ich weiß, ich habe meinen Vater bereits gesehen.“, ließ Oscar die junge Frau nicht weitersprechen und lächelte kaum merklich. „Bring bitte für uns beide den Tee und für meinen Sohn die heiße Schokolade.“

 

„Jawohl, Madame Oscar.“ Die junge Frau rauschte leichtfüßig davon und Oscar begab sich mit gestraften Schultern zum Pavillon in den Garten. Ihr Sohn bemerkte sie als erster und winkte ihr zu. Ihr Vater sah sie unverwandt an. Er beobachtete und betrachtete jede ihrer Schritte genau.

 

„Welch eine Überraschung, Euch hier zu sehen, Vater“, grüßte sie ihn steif und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.

 

„Wir haben über dich gesprochen, Maman“, erläuterte ihr Sohn in seiner kindlichen, seligen Art. Er saß am anderen Ende des Tisches, zwischen ihr und ihrem Vater und spielte mit dem Zinnsoldaten, der einstmals André gehört hatte und dann viele Jahre später mitsamt der Schatzkiste aus der Erde unter der alten Eiche des elterlichen Anwesens von Oscar ausgegraben wurde. „Großvater hat erzählt, wie er dich reiten und fechten gelehrt hatte. Und das er auf dich immer stolz war.“

 

„Ach ja?“ Oscar zog ihre Augenbrauen nach oben und schaute ihren Vater direkt an. Keine Emotionen, keine Empfindungen konnte man ihr dabei ablesen. Wie auch an ihm. In dieser Hinsicht war sie voll und ganz die Tochter ihres Vaters.

 

„Ich bin hier, um dir etwas mitzuteilen.“, sagte er ausdruckslos, wobei ihm innerlich schwer ums Herz wurde. „Vor drei Monaten ist deine Mutter verstorben.“

 

Das traf Oscar hart, aber auch sie zeigte es nicht nach außen. „Das wusste ich nicht. Ich bedauere ihren Verlust sehr.“

 

„Es war ihr letzter Wunsch, dass ich dich aufsuche“, redete Reynier ungerührt weiter: „Nun bin ich da und stelle fest, dass du dich gut gemacht hast, meine Tochter.“

 

„Wie bitte?“ Oscar dachte, sich verhört zu haben. Obwohl ihr Vater ernst und beherrscht da saß, schwang so etwas wie Lob in seiner Stimme. Er würde das nie zugeben, aber sie hatte das deutlich vernommen. Sie wusste nicht, ob sie davon gerührt sollte oder ihm misstrauen sollte. Warum war er damals dann fortgeritten, als man sie bei der Guillotine hinrichten wollte? Das würde sie wohl nie erfahren...

 

Feste Schritte hinter ihrem Rücken drangen an ihr Gehör und sie drehte sich halbwegs um. André und Alain kamen auf den Pavillon zu. Der letztere sagte etwas, klopfte André beherzt auf die Schulter und machte in das Haus kehrt. André grüßte überrascht, aber höflich den General und nahm den Platz neben seiner Frau ein, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Oscar erklärte kurz angebunden, weshalb ihr Vater hier war und André bekundete sein Beileid. Danach wusste er weiter nichts zu sagen.

 

Der General musterte ihn ausgiebig, bis er aufatmete und an ihn sein Wort richtete. „Ich bin hierhergekommen, um auch dir etwas zu sagen. Du bist der rechte Mann für meine Tochter und wie ich sehe, machst du sie glücklich. Du bist zwar nicht von Adel, aber das hat jetzt ohnehin keine Bedeutung mehr. Deswegen habt ihr beide meinen Segen.“

 

„Ich danke Euch, General.“ Andrés Gesicht erhellte sich etwas, aber Oscar blieb dabei ein wenig skeptisch. „War das auch der Wunsch meiner Mutter oder sagt Ihr das von Euch aus, Vater?“

 

Reynier sah sie eindringlich an. „Eigentlich müsstest du mich kennen, Tochter.“

 

„Deshalb frage ich ja auch, Vater.“

 

„Ich bin hier, nicht um mit dir zu streiten, sondern um Frieden zu finden. Ob du mir das glaubst oder nicht, ist deine Sache.“

 

„Ich glaube es Euch!“, ertönte der kleine Oscar und der General warf seinen Blick auf ihn. Seine harten Gesichtszüge wirkten auf einmal weicher. „Das ist nett von dir, mein Junge.“

 

Oscar und André beobachteten das ein wenig erstaunt. Das Kindermädchen von ihrem gemeinsamen Sohn brachte den Tee für die drei Erwachsene und eine Tasse heiße Schokolade für den Jungen. Nachdem sie das Gebrachte vor jedem abgestellt hatte, ging sie wieder fort. „Ich glaube es Euch auch, Vater“, sage Oscar dann doch noch und rührte mit dem kleinen Löffel in ihrem Tee. „Und ich bin Euch dankbar – für alles, was Ihr für mich getan habt.“

 

Ihre Worte waren aufrichtig und der General richtete seinen Blick wieder auf sie. Diesmal verhärmten sich seine Gesichtszüge nicht. „Ich war schon immer stolz auf dich, mein Kind, das sollst du noch wissen.“

 

„Danke, Vater.“ Oscar rührte das Ganze irgendwo in ihrem Herzen und ihre Haltung wurde entspannter. „Was gedenkt Ihr zu tun?“

 

„Ich habe keine sonderlichen Pläne.“, meinte Reynier und der kleine Oscar fügte gleich hoffnungsvoll hinzu: „Bleibt Ihr dann bei uns, Großvater?“

 

„Wenn deine Eltern nichts einzuwenden haben, dann gerne“, sagte der General und schaute von Oscar auf André und zurück. Diese tauschten miteinander einen Blick und nickten zustimmend. „Wir würden uns freuen, wenn Ihr bleibt“, sprach André für sich und seine Frau.

 

„Ich danke dir, mein Sohn.“ Reynier zog seine Mundwinkel nach oben. „Und dir auch, meine Tochter.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich bedanke mich herzlich bei allen, die diese FF mitverfolgt, gelesen und mit Figuren mitgefiebert haben. Und genauso bedanke ich mich herzlich bei zerocool für das betalesen dieser Fanfiction. Vielen lieben Dank noch einmal an euch alle, seit ganz lieb gedrückt und bis zum nächsten Mal oder auch bis zur nächsten Fanfiction. ;-) :-) :-*

Liebe Grüße,
Saph_ira Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (62)
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Von:  dana140
2019-08-07T03:32:05+00:00 07.08.2019 05:32
muchas gracias un fic magnifico de comienzo a fin
Antwort von:  Saph_ira
15.08.2019 11:02
Thank you very much for your lovely comments, I really appreciate that. It is an honor for me that you liked the fanfiction so much and I am very happy about it.
Von:  dana140
2019-08-07T02:15:43+00:00 07.08.2019 04:15
cuanta crueldad hay en tu alma ... me haces sufrir y llorara eso pesara en tu consciencia
Antwort von:  Saph_ira
15.08.2019 10:59
I'm sorry, but in a drama, it's not without suffering. Thank you very much for your comment
Von:  dana140
2019-08-07T00:38:01+00:00 07.08.2019 02:38
NOOOOOOO por dios pensé que le darías otro giro a la situación
Antwort von:  Saph_ira
15.08.2019 10:56
I'm sorry, but there may be hope in the next chapter
Von:  dana140
2019-08-05T23:27:03+00:00 06.08.2019 01:27
hola
realmente me encanta tu fic
seras tan amable de regalarme al capitulo para adultos ya envié mi identificación pero no me jeda pasar como adulto
gracias

Antwort von:  Saph_ira
15.08.2019 10:50
Hello dear dana. Thank you very much for your compliment, I really appreciate that and like to send you the adult chapter in a message.
Von:  chrizzly
2016-08-20T18:37:55+00:00 20.08.2016 20:37
So nun ist es also voll bracht. Sehr sehr gut. Ist ein wirklich schönes ende geworden. Das du Alain verheiratet hast finde ich sehr klasse. Diese harte schwerenöter zum liebestollen ehemann. Prima. Eins hat mir persönlich noch gefehlt und zwar das Oscar und auch ihr Vater mal etwas weicher werden und sich wenigstens einmal im leben in den arm nehmen. Aber trotzdem ein wunderschöner abschluss. Freue mich schon auf deine nächste ff. Kussi meine liebe 😍😍😍😘😘😘😘😘
Antwort von:  Saph_ira
26.08.2016 23:00
Vielen lieben Dank und entschuldige, dass ich erst jetzt antworte. ^^ Ja, Alain und verheiratet ist schwer vorzustellen, aber unmöglich wäre es auch nicht, denke ich. XD Ich glaube, Oscar und ihr Vater werden nie zueinander weich und sich in den Arm nehmen, da war ziemlich viel geschehen, aber wenigstens freundlicher zueinander können sie schon werden. :-) Dankeschön dir noch einmal herzlich und ich freue mich dich bei der nächsten FF wieder begrüßen zu dürfen. Lieben Gruß, Kuss und bis zum nächsten Mal. :-) ;-) :-*
Von:  chrizzly
2016-08-19T19:17:56+00:00 19.08.2016 21:17
Wunderbar. Also echt. Das war jetzt echt ein Kapitel. Erste Sahne 😍😍😍 mehr kann ich nicht sage. Einfach nur toll.
Antwort von:  Saph_ira
19.08.2016 21:19
Danke, danke, dankeschön! :D ;D
Von:  chrizzly
2016-08-19T19:03:25+00:00 19.08.2016 21:03
Nicht böse ins Auge, ehr köpfchen ab und aus die maus. Tut mir leid ich habe einen furchtbaren humor. 😌😌😌 Naja saphira eine Theorie wäre es war ihr Vater oder vielleicht von Fersen aber ich erfahre es gleich wenn ich jetzt gleich weiter lese 😍😍😍
Antwort von:  Saph_ira
19.08.2016 21:06
Alles in Ordnung, dir ist es verziehen. ;-) Vielen lieben Dank für deinen Komentar. :-*
Von:  YngvartheViking86
2016-08-19T17:56:59+00:00 19.08.2016 19:56
Das nenne ich mal ein Happyend :D
Hat mir sehr gut gefallen und war ein perfekter Abschluss für die FF.
Vieles vondem was der General sagte, erinnert mich an den Schluss von "Ein zweites Leben".
Auch Oscar als Geschäftsfrau gefällt mir.
Hehe, Alain hat geheiratet :D
LG Chris
Antwort von:  Saph_ira
19.08.2016 20:06
Ich gebe es zu, ich hatte das Ende bzw. das Wiedersehen zwischen dem General und seiner Tochter am Ende etwas aus meiner ersten FF "Ein zweites Leben" entnommen, aber mir fiel derzeit kein anderes Ende für die beiden ein. ^^ Oscar als Geschäftsfrau nach der Revo vorzustellen fand ich am besten, weil für sie meiner Meinung kein anderer passender Beruf zu finden war. :-) Und ja, Alain als einen verheirateten Mann vorzustellen ist zwar schwierig, aber ich wollte ihn nicht immer als einen Junggesellen darstellen. XD
Einen herzlichen und lieben Dank für alles! :D
Liebe Grüße und bis zum nächsten Mal bzw. nächsten Fanfiction. ;D
Von:  YngvartheViking86
2016-08-16T17:48:26+00:00 16.08.2016 19:48
Ein sehr schönes Kapitel.
Nun weiß man was über die Jahre passiert ist, aber dennoch mache ich mir etwas Gedanken um Andre.
Ich kann den Abschluss kaum erwarten :)
LG Chris
Antwort von:  Saph_ira
16.08.2016 20:04
Dankeschön. :D
Aber wieso machst du dir um André Gedanken? Im Grab war ja seine Großmutter.
Liebe Grüße,
Ira
Von:  fahnm
2016-08-14T22:41:08+00:00 15.08.2016 00:41
Oscar dieser Sturschädel.
Das hätte jetzt böse ins auge gehen können.
Jetzt bin ich gespannt wie es weiter gehen wird.
Antwort von:  Saph_ira
15.08.2016 19:14
Ja, Oscar und ihr Dickschädel... Da hast du wohl recht. ;-)
Dankeschön herzlich für deinen Kommentar. :-)


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