Zum Inhalt der Seite

Mehr Licht

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Weihnachten

Vier von sieben. Sie hatten bereits vier Strata erobert und von ihren wahnsinnig gewordenen Meistern befreit. Sorami kam es immer noch wie ein seltsamer Traum vor, dass sie hier in Pandora lebte, gemeinsam mit Engeln, Dämonen, Menschen – und Setsuna Tendou.

Gut, technisch gesehen war dieser auch ein Mensch, aber ein ganz besonderer. Ein Superman, wenn man sie fragte, komplett mit der Fähigkeit zu fliegen und Zeug zu zermalmen. Ihm fehlte im Endeffekt nur die entsprechende Kleidung.

Er war die letzte Hoffnung aller in Pandora Versammelten, um den Himmel zu erreichen, die verschlossenen Tore zu öffnen und Gott darum zu bitten, sich das mit der laufenden Vernichtung noch einmal zu überlegen.

Okay, okay, Adam war auch eine Option, aber Sorami würde ihr Geld – das sie nicht besaß – doch eher auf Setsuna setzen.

Wenn ich so darüber nachdenke: Wie soll einem das nicht wie ein Traum vorkommen?

Von Pandora aus waren sie eine Pilgerreise angetreten, durchquerten die Strata, um die Jakobsleiter zu finden, die direkt in den Himmel führen sollte. Abgesehen von der Aussage eines einzigen Engels gab es zwar keinen Beweis dafür, dass sie überhaupt existierte, aber es war besser als gar nichts. Viel besser als auf den Tod zu warten auf jeden Fall. Bis Gott den Menschen verziehen hatte, würden alle Welten weiter sterben, bis es auch Pandora erwischte und dann …

Aber darüber wollte Sorami nicht nachdenken, denn es zog sie nur unnötig herunter. Viel lieber freute sie sich, dass sie die ersten vier Strata erobert hatten, auch wenn der Kampf gegen Uriel Setsuna sehr zugesetzt hatte. Er war bereits davor kein sonderlich sozialer Mensch gewesen, aber nun verbrachte er die meiste Zeit im Schrank des Nachtdienst-Raumes, den er sich mit ihr, Lilith und Raziel teilte, und in dem er auch schlief, um sich zu erholen. Auch wenn Sorami sich fragte, wie jemand sich angemessen in einem Schrank erholen könnte.

Intensiv und gleichzeitig gedankenverloren starrte sie den Schrank an, während sie am Tisch saß, zwei Hände um ihre Tasse mit dem längst kalt gewordenen Tee geklammert. Neben sich hörte sie die Diskussionen zwischen Lilith und Raziel, die beide vor dem Fernseher saßen und schwer beschäftigt schienen.

„Ah! Raziel, hab doch Gnade!“

„Tut mir leid~.“ Raziels Tonfall war spottend. „Aber ich fürchte, das war es für dich.“

„Nein!“

Anhand der Soundeffekte, die aus den Lautsprechern erklangen, konnte Sorami sagen, dass es Raziel wieder einmal gelungen war, die Truppen von Lilith samt und sonders zu besiegen und damit die Weltherrschaft zu erlangen.

Liliths übertrieben lautes Schluchzen bestätigte das auch noch einmal. „Ich hätte nur noch Australien erobern müssen, dann hätten mir alle Möglichkeiten offen gestanden!“

„In deiner Offensive hast du deine Defensive vernachlässigt“, tadelte Raziel sie. „Lass dir das eine Lehre sein.“

Sorami wusste, dass Lilith sofort nach einer Revanche verlangen würde, aber es gab eine kleine Pause, die sie nutzen könnte. Rasch ließ sie ihre Tasse los und wandte sich ihren beiden Mitbewohnerinnen zu. „Hey, ich hab' eine Frage an euch.“

Beide wandten sich ihr zu. Raziel mit dem sanftmütigen Lächeln, das ihre großen hellblauen Augen geradewegs glitzern ließ, Lilith, die sich frustriert durch ihr langes schwarzes Haar fuhr, dagegen nur seufzend. Aber schon eine Sekunde später wandelte sich ihr Gesichtsausdruck zu einem unbekümmerten Lächeln.

Da die Aufmerksamkeit der beiden nun auf ihr lag, fuhr Sorami fort: „Gibt es eigentlich die Möglichkeit, dass wir irgendetwas für Setsuna tun können?“

Ihre Gesprächspartner blinzelten beide irritiert.

Sorami machte sich keine Sorgen, dass Setsuna etwas von diesem Gespräch mitbekommen könnte, denn sie wusste, dass er bei seinem Erholungs-Schlaf auch seine Fähigkeit, zu hören deaktivierte. Ansonsten könnte er wohl auch kaum schlafen, wenn Lilith und Raziel hier Videospiele miteinander spielten und diese auch lautstark kommentierten.

„Was möchtest du denn für ihn tun?“, fragte Raziel, die als erste ihre Überraschung überwand.

Lilith schmunzelte amüsiert. „Also mir würden viele Dinge einfallen, die man für einen jungen Mann tun könnte~.“

Raziel warf ihr einen kurzen Blick zu. „Bist du nicht noch Jungfrau?“

In einer abwehrenden Geste warf Lilith einen Arm vor ihr rot gewordenes Gesicht, aber Sorami ließ ihr keine Zeit, wieder in einen panischen Anfall zu verfallen: „Er hat so hart gekämpft, war aber bei keiner der bisherigen Feiern dabei.“

Vermutlich, so schätzte sie, weil er nicht sonderlich viel Wert auf Alkohol oder Menschen legte. Eigentlich gab es noch so viele Dinge an ihm, die sie nicht verstand, aber gern wüsste. Wenn er nur nicht so schweigsam wäre, sobald es um ihn selbst ging …

„Also dachte ich mir, wir sollten mit ihm zusammen Weihnachten feiern.“

Selbst ohne Erinnerungen wusste sie doch, dass es das Fest der Liebe und der Familie war. Also war es mit Sicherheit wesentlich besser für ihn geeignet als jegliches anderes Fest.

Doch was sie für eine gute Idee hielt, löste bei ihren Gesprächspartnern eher nachdenkliche Reaktionen aus. Und das verunsicherte sie doch ein wenig. „W-was ist denn?“

Raziel legte eine Hand auf ihr Herz. „Weihnachten ist im Grunde die Geburt von Jesus.“

Nun, da sie es erwähnte, erinnerte Sorami sich auch wieder daran. Sie war sich nicht sicher, ob sie jemals die Bibel gelesen hatte, aber es gab doch einige Dinge, die sich in ihrer Erinnerung befanden, wenngleich diese auch sehr löchrig war. „Ist das ein Problem?“

Raziel war ein Engel, Lilith eine Dämonin. Natürlich könnte es da Probleme geben, aber bislang verstanden sich doch auch alle gut.

„Stellst du dir da nicht eine wichtige Frage?“, kam es von Lilith.

Es dauerte einen Moment, bis Sorami wusste, worauf sie damit hinauswollte: „Oh! Wo ist dieser Jesus eigentlich?“

Die Tore des Himmels waren verschlossen, wie auch Uriel bestätigt hatte, aber über den Verbleib aller namhaften Engel war alles bekannt. War es da nicht seltsam, nicht zu wissen, wo Jesus, laut der Bibel immerhin Sohn Gottes, sich aufhielt?

„Wir wissen es nicht“, sagte Raziel schließlich. „Aber es ist durchaus möglich, dass er schon während der Göttlichen Katastrophe gestorben ist.“

„Glaubst du, er hat sich an den Kämpfen zwischen den Engeln beteiligt?“, fragte Lilith.

Raziel schüttelte entschieden mit dem Kopf. „Wie ich ihn einschätze, hat er eher versucht, die Kämpfe aufzuhalten.“

Sorami fragte sich immer noch, wie genau es dazu gekommen sein mochte, aber im Moment war es unwichtig. „Ob er jetzt noch lebt oder nicht, bedeutet das, wir dürfen kein Weihnachten feiern?“

„Ich werde Camael fragen“, sagte Raziel nach kurzem Nachdenken. „Vielleicht würde das wirklich unser aller Moral heben.“

Sorami fragte sich, ob das überhaupt noch nötig war, nachdem sie nun schon die Hälfte aller Strata erobert hatten. Mit Plan Y noch dazu. Im äußersten Notfall blieb immer noch Adam als Plan Z, also gab es aktuell keinen Grund zu verzweifeln. Aber die meisten waren schon wesentlich länger hier als sie, vermutlich gab es daher für diese auch mehr als genug Gründe, um den Mut zu verlieren. Besonders, wenn Setsuna zwischen den einzelnen Strata immer mehrere Tage Ruhe benötigte.

„Dann würdest du ihn wirklich fragen, Raziel?“

Der Engel nickte lächelnd, sie war der Idee doch mehr zugetan als es am Anfang ausgesehen hatte. Sorami atmete erleichtert auf. „Dann wird es bestimmt funktionieren. Sag mir dann bitte sofort, wie er sich entschieden hat, ja?“
 

Raziel nahm das sofort wörtlich, denn schon am nächsten Morgen weckte sie Sorami in aller Frühe, noch vor dem Sonnenaufgang. Jenseits des Fensters war gerade mal ein silberner Streifen am Horizont zu sehen. Zuerst glaubte Sorami, sie müssten wieder zur Pilgerreise antreten oder dass etwas Schlimmes geschehen sei, aber Raziel war vollkommen ruhig und lächelte sogar, während Sorami sich verschlafen aufsetzte. Sie blinzelte mehrmals, wobei sie jedes Mal wieder das Gefühl bekam, einfach einzuschlafen. Lilith neben ihr befand sich noch im Tiefschlaf, wofür sie die Dämonin gerade sehr beneidete.

Es erforderte einige leichte Schläge von Sorami selbst gegen ihre Wangen, bis sie nicht mehr dauernd drohte, einzuschlafen und auch wach genug war, um Raziels Botschaft zu hören.

„Camael hat zugestimmt.“

„Huh? Wozu?“

„Er ist einverstanden, Weihnachten zu feiern“, erklärte Raziel geduldig.

Es dauerte einen Moment, bis diese Worte in Soramis Gehirn ankamen, aber dann warf sie jubelnd die Arme nach oben. „Das ist großartig!“

Lilith gab ein empörtes Murmeln von sich, aber daran störte Sorami sich nicht im Mindesten. Endlich könnte sie etwas für Setsuna tun und ihm zeigen, wie sehr sein Einsatz geschätzt wurde.

„Camael wünscht nur, dass du die Vorbereitungen allein übernimmst“, fuhr Raziel fort. „Er sagt, die anderen Engel seien zu beschäftigt. Aber ich werde dir helfen – und Lilith bestimmt auch.“

Auch wenn das gerade nicht danach aussah, da die Dämonin im Schlaf irgendetwas mit den Armen abzuwehren schien.

Sorami hätte sich möglicherweise von dieser Aufgabe überfordert fühlen müssen, aber stattdessen glühte sie geradezu vor Leidenschaft, um sie zu aller Zufriedenheit zu erfüllen. Außerdem hatte sie die Unterstützung von Raziel und Lilith, wie sollte sie da noch versagen?

Es blieb nur noch eine Frage: „Wo fangen wir an?“
 

Anfangs hatte Setsuna in der Sporthalle trainiert, aber inzwischen war das nicht mehr notwendig. Niemand hier in Pandora konnte ihm noch etwas beibringen, deswegen war die Halle meistens leer. Besonders weil auch niemand hier Sportunterricht im Inneren machte, die Schüler befanden sich bei sportlicher Betätigung stets auf den äußeren Anlagen.

Diesen Umstand nutzte Sorami, um die Halle zu schmücken. Sie hatte sich bei Aqua Vitae jede Menge Lichterketten in den unterschiedlichsten Farben geholt – und sogar einen Weihnachtsbaum, sowie die passende Dekoration. Allerdings war ihr, nachdem sie mit dem Baum und all den Kisten dagestanden hatte, klar geworden, dass sie es unmöglich schaffen könnte, all das bis in die Sporthalle zu tragen. Glücklicherweise gab es aber noch genug hilfreiche Dämonen in Pandora, die sie darum bitten konnte und die ihr auch herzlich gerne unter die Arme griffen.

Mit viel Mühe und schwerem Keuchen schleppte Belial den Tannenbaum herein. Dabei murmelte er lautlose Verwünschungen, die Sorami sich vermutlich nicht einmal vorstellen konnte. Glücklicherweise interessierte sie das aber auch nicht weiter.

„Danke, Mr. Belial~“, sagte sie enthusiastisch, als er den Baum direkt vor ihr ablegte. „Sie sind wirklich total stark~.“

Was sie von jemandem, der aussah wie ein einfacher Büroangestellter – inklusive weißem Hemd und Krawatte – nicht erwartet hätte.

Belial stellte sich aufrecht hin und griff sich an den Nacken. „Ich bin ein Intellektueller unter Intellektuellen. Warum muss ich so etwas tun?“

„Weil jeder seinen Beitrag leisten muss.“ Der männliche Dantalion, der eine der Kartons mit dem Weihnachtsbaumschmuck abstellte, klang wie eh und je: absolut desinteressiert.

Sorami fragte sich oft, ob diese Dämonen überhaupt zu irgendeiner Gefühlsregung in der Lage waren. Aber das könnte sie noch ein andermal ergründen. Für heute gab sie dieser Aussage einfach nur einen Daumen nach oben. „Ganz genau. Und Mr. Belial ...“ Sie wandte sich wieder ihm zu, und setzte ein möglichst unschuldiges, bittendes Gesicht auf. „Sie können ein armes schwaches Menschenmädchen wie mich doch nicht allein diese schwere Arbeit machen lassen.“

Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein rosa Schimmer über sein Gesicht, dann schnaubte er bereits. „Hey! Versuch nicht mich auszutricksen! Das ist hinterhältig!“

„Sagte der Dämon.“ Lilith tauchte neben ihm auf und stellte seufzend ebenfalls einen Karton ab. „Ich bin auch nicht sonderlich begeistert, dass Raziel uns dazu verdonnert hat.“

Sorami ließ sich davon nicht entmutigen. „Ihr solltet froh sein, dass ihr helfen dürft, statt zu meckern.“

„Ich habe Jesus mal verklagt“, erwiderte Belial, der auch als Jurist der Hölle bekannt war. „Warum sollte ich dann helfen, jetzt für ihn so etwas herzurichten?“

Er blickte immer noch auf seine Glanzzeiten zurück, wie so ziemlich jeder andere Dämon und Engel hier. Manchmal stimmte es Sorami ein wenig betrübt – aber meistens blieb sie so energiegeladen wie auch in diesem Moment. „Gerade deswegen solltest du dir lieber ein wenig Mühe geben. Jesus würde sich bestimmt freuen.“

Und Setsuna auch, aber den erwähnte sie lieber nicht. Schon beim Gedanken daran, dass sie derart viel für ihn gerade antrieb, glaubte sie, ihr Gesicht müsste verglühen – und das wollte sie doch lieber vermeiden.

Ein weiterer Dantalion, der bereits versuchte, die Lichterketten zu entwirren, lenkte Soramis Aufmerksamkeit mit einer Frage auf sich: „Wozu brauchen wir derart viel Licht?“

„Mehr Licht ist immer gut.“ Sorami breitete die Arme aus. „Zu Weihnachten muss alles hell erleuchtet sein, überall müssen Lichter glänzen, als Zeichen der Hoffnung~.“

Schon allein die Vorstellung ließ sie strahlen – aber als sie bemerkte, dass keiner der anderen darauf reagierte, senkte sie errötend die Arme wieder und zuckte dann entschuldigend mit den Schultern.

Glücklicherweise ging keiner von ihnen näher darauf ein, aber Lilith grinste. „Dann sollten wir einen gewissen Lucifuge nicht bitten, zu helfen. Er ist sooo düster~.“

Sie sagte das in einem Ton, der verriet, wie gern sie ihn ärgerte – und wie wenig sie ihn wirklich mochte. Manchmal fiel es Sorami schwer, diese beiden Gefühle bei dem Tonfall wirklich zu vereinbaren.

„Ich glaube, du machst ihn wirklich traurig, Lilith.“ Eine weitere Dämonin stellte einen der Kartons ab und sah die kleine Gruppe dann an. „Lucifuge ist nicht so schlimm.“

Lilith warf ihr schwarzes Haar zurück. „Weißt du, Septima, mir ist ziemlich egal, wie es Lucifuge damit geht.“

Sorami war der Meinung, dass Septima eine ungewöhnliche Dämonin war. Sie hatte kein schwarzes, sondern braunes Haar und trotz ihrer leicht exzentrischen Kleidung, die an den Orientalismus erinnerte, wirkte sie doch ehe wie eine Japanerin. Dann waren da noch die blauen Augen, in denen kein Gefühl zu existieren schien … sie war einfach merkwürdig. Aber solange sie Sorami nicht feindlich gesinnt war, wollte sie auch keine schlechte Stimmung aufkommen lassen.

„Wir laden ihn dennoch dazu ein“, versprach Sorami. „Zumindest feiern könnte er ja mit uns.“

Septima nickte dazu nur, dann ging sie wieder davon und überließ es einem weiteren Dantalion, auch diesen Karton auszuräumen.

„Ich glaube, ich werde nicht jünger“, bemerkte Belial seufzend. „Also stelle ich den Baum halt auch noch auf.“

Sorami bedankte sich strahlend, dann wandte sie sich von ihm ab, um sich den anderen Dingen zu widmen, die noch anstanden. Bald könnte sie Setsuna eine Freude machen und dann – so hoffte sie – würde er auch endlich einmal lächeln.
 

Einen Tag später war alles fertig. Die Turnhalle war in gleißendes Licht getaucht, sie strahlte und glänzte selbst von außen, weswegen sich schon zahlreiche Engel und Dämonen versammelt hatten, um zu feiern. Es half wirklich, um die Moral zu heben, wie Raziel gehofft hatte.

Die Engel waren sogar so nett gewesen, es schneien zu lassen. Damit stand einer Weihnachtsfeier nichts mehr im Weg.

Sicher, es gab keine Geschenke, aber so etwas erwartete hier auch niemand, am wenigsten Setsuna. Für ihn war es sicher schon Geschenk genug, dass sie ihm all diesen Aufwand bereitet hatte.

Als es dunkel genug war, dass die Lichter besonders gut zur Geltung kamen, öffnete Sorami den Schrank. Setsuna war noch immer in eine Decke gehüllt, genau wie an dem Tag, an dem er sich dort hineingesetzt hatte. Sicher waren seine Wunden nun aber genug verheilt, dass er nicht mehr schlafen musste und dafür etwas essen sollte.

Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und schüttelte ihn vorsichtig. Er öffnete seine Augen schlagartig. „Was ist los?“

„Es wird Zeit, wieder aufzuwachen“, teilte Sorami ihm lächelnd mit. „Es ist Weihnachten~.“

„Warum sollten wir Weihnachten feiern?“, fragte Setsuna monoton.

Sie ignorierte diese Frage und zog ihn vorsichtig aus dem Schrank heraus. „Du hast dir eine Feier mal verdient. Komm schon, komm schon, es wird dir gefallen~.“

Selbst wenn er sich hätte wehren wollen, wäre ihm das nicht gelungen, dafür kannte sie ihn bereits zu gut. Er konnte sich nicht einfach gegen sie wären, weil er befürchtete, sie zu verletzen – und im Moment nutzte sie das nur zu gern aus.

Sie führte ihn durch die Schule, die in diesem Moment ungewöhnlich leer war, was auch Setsuna bemerkte: „Wo sind denn alle?“

„Na auf der Feier.“

„Warum soll ich dann auf eine Weihnachtsfeier?“, fragte er.

Sorami wusste nicht viel über Setsuna, außer dass er eben eine Art Superman war. Woher er kam, was er bis dahin erlebt hatte, das wusste sie alles nicht. Vielleicht wäre ihr Erklärung mit dem Wissen darüber anders ausgefallen, aber so kam sie kurzangebunden: „Ich brauchte einfach einen Grund für eine besonders schöne Feier. Und es gibt, finde ich, nichts Schöneres als Weihnachten.“

„Daran erinnerst du dich?“

„Daran erinnere ich mich.“

Bevor er noch weiter nachhaken oder wieder etwas sagen konnte, traten sie beide aus dem Schulgebäude hinaus und standen direkt vor der hell erleuchteten Sporthalle. Ein kurzer Seitenblick zu Setsuna, verriet Sorami nur, dass er irritiert war. Kein Lächeln.

Seine Aufmerksamkeit galt aber auch eher dem fallenden Schnee, der bereits eine dünne Decke auf dem Boden gebildet hatte.

„Weiße Weihnacht“, murmelte er.

„Das war ja aber noch nicht das Beste~.“

Mit einem leichten Stoß in den Rücken trieb sie ihn weiter voran, bis zur Eingangstür er Turnhalle. Außen hatten sie lediglich eine farblose Lichterkette angebracht, mehr nicht. Sie war hübsch anzusehen, aber der eigentliche Zauber entfaltete sich erst in der Halle, zu der sie auch sofort die doppelflügige Tür aufstieß.

Zahlreiche Engel und Dämonen waren bereits hier versammelt, unterhielten sich lachend, aßen und tranken, als hätte es niemals eine Rivalität zwischen ihnen allen gegeben. Unzählige Lichter tauchten die Halle in eine sanfte warme Helligkeit in einer Mischung von Blau, Gelb und Orange, anstelle der üblichen kalten Halogen-Deckenleuchten; jedes einzelne kleine Lämpchen war Teil einer der von ihr herbeigeschafften Lichterketten, die sie an den Wänden befestigt hatten und wie Wasserfälle herabstürzten

Aber der größte Blickfang stand mitten in der Halle. Bei ihm handelte es sich natürlich um den Baum, den Belial tatsächlich aufgestellt hatte, und um den er nun stolz seine Runden drehte, um jedem zu zeigen, dass er dafür verantwortlich gewesen war.

Das Schmücken hatte Sorami dann aber wieder mit Unterstützung von Raziel unternommen – da sie selber nicht fliegen konnte – so dass nun hauptsächlich rote und goldene Kugeln ihn zierten, gethront von einem Stern, der fast von selbst zu leuchten schien.

Sorami sah wieder zu Setsuna hinüber, der das alles erst einmal in sich aufnehmen, es verarbeiten musste. Sein Gesicht hatte sich kaum merklich gewandelt, zu einem Ausdruck des ungläubigen Erstaunens, der ihr Herz vergnügt in ihrer Brust tanzen ließ.

Schließlich blickte er sie an. „Warum …?“

Sie lächelte. „Du warst noch bei keiner Feier dabei. Aber du hast es verdient, dich auch einmal zu entspannen und zu feiern, genau wie wir es immer tun. Denn ohne dich wäre das auch gar nicht möglich gewesen.“

Die Worte schienen in seinem Kopf umherzugehen, sie glaubte, er wolle widersprechen, wie er es so gern tat, wenn man etwas Gutes über ihn sagte. An diesem Tag wollte sie das aber nicht zulassen!

Sie öffnete bereits den Mund, um ihm das Wort abzuschneiden, aber er kam ihr zuvor: „Sorami … danke.“

Sie erstarrte regelrecht in ihren Bewegungen. „Huh?“

Seine Züge wurden plötzlich ungewöhnlich weich. „Danke, dass ihr so sehr an mich glaubt.“

Das Lächeln, das darauf sein Gesicht zierte, ließ ihr Herz schneller schlagen als je zuvor, ihr Gesicht fühlte sich heißer an als es sollte. „U-uhm, nichts zu danken.“

In diesem Moment, in dem ihr Herz förmlich überlief, wollte sie ihm noch mehr sagen, wollte ihm jegliches Gefühl mitteilen, das gerade in ihrem Inneren tobte – aber da hörte sie schon die sich nähernden Stimmen von Raziel und Lilith, die sicher auch noch etwas von Setsunas Zeit haben wollten. Also müsste sie einfach einen anderen, besseren Zeitpunkt für all diese Geständnisse suchen. Für heute wollte sie Setsuna nur die Früchte seiner Arbeit genießen lassen, solange es noch möglich war.
 

Drei andere Personen beobachteten das Fest – oder eher die Halle an sich – von einem Fenster im Schulgebäude aus. Es war das Direktorat, in dem sich Septima mit Astaroth und dessen Diener Lucifuge aufhielt. Letzterer hatte die Brauen zusammengezogen, so dass seine Stirn noch faltiger erschien.

„Sie feiern also Weihnachten?“ Astaroth, der stets in schwarz und weiß gekleidet war, und den ein Hauch von Androgynität umgab, neigte den Kopf. „Nun, sollen sie ruhig.“

Er war nicht danach gefragt worden, Camael musste es entschieden haben, aber es schien ihn nicht zu stören.

„Lucifuge“, sagte er, „möchtest du dich der Feierlichkeit nicht anschließen?“

„Ich glaube nicht, dass-“, begann der als Butler Gekleidete, aber Septima unterbrach ihn: „Sorami Kugutsu war der Meinung, dass Ihr ruhig kommen solltet, Kanzler Lucifuge. Bitte, schließt Euch den Feiernden an.“

Er sah sie erst ungläubig an, aber als sie nickte, glättete sich seine Stirn. Er bedankte sich mit einer raschen Verbeugung und verschwand dann in die Dunkelheit.

Astaroth wandte sich Septima zu, in seinen Brillengläsern konnte sie immer noch Lichter glitzern sehen. „Möchtest du dich der Feier nicht anschließen?“

Sie schüttelte mit dem Kopf. „Ich diene Euch, Lord Astaroth. Wenn Ihr nicht feiern möchtet, dann möchte auch ich das nicht.“

Er lächelte, hinterhältig, tiefgründig. „So so, ich verstehe. Ich habe dich wirklich gut geformt, Septima.“

Sie neigte nur den Kopf. Damit ließ seine Aufmerksamkeit ihr gegenüber schon wieder nach. Er setzte sich auf seinen Platz am Schreibtisch und legte die Beine auf die Tischplatte. „Es gibt nichts zu tun. Aber wenn du bleiben willst, bitte.“

Sie gab kein Zeichen von sich, dass sie es verstanden hatte, aber das benötigte sie auch nicht. Er wusste es bereits. So konnte sie sich wortlos auf ihren Platz in den Schatten setzen und dort darauf warten, dass Astaroth sie wieder benötigte, während sie aus den Augenwinkeln weiter die Lichter von der Turnhalle wahrnehmen konnte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück