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Niichan

von

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Kapitel 8

Kapitel 8

 

„Nein, Shredder.“ Krangs Tonfall, Mimik und sogar die Gestik sind eindeutig – die Gestik sogar doppelt, weil er nicht nur seine Tentakel kreuzt, sondern auch sein Androidenkörper seine Arme vor der Brust verschränkt.

Das hält Shredder aber nicht ab, es nicht trotzdem zu versuchen.

„Und wenn wir wieder etwas Energie von der Lebenserhaltung abzwacken?“ schlägt er vor.

Nein, Shredder!“

„Aber es hat vorgestern doch auch geklappt.“

Krangs Miene wird mörderisch. „Und das Ergebnis ist uns allen wohlbekannt.“

Auf seine Worte folgt betretene Stille. Shredder besitzt sogar so viel Anstand, beschämt zu Boden zu blicken. Zumindest ein paar Sekunden lang.

„Und wenn wir...“ beginnt er dann erneut, doch Krangs scharfe Stimme schneidet ihm sofort das Wort ab.

Nein, Shredder!

„Du weißt doch noch gar nicht, was ich sagen wollte!“

„Irrelevant.“

„Ach, Krang, komm schon!" Verzweifelt wirft Shredder die Arme in die Höhe. „Kazuo muß nach Hause!“

„Das hättest du dir früher überlegen müssen, als du ihn ungefragt mitgebracht hast“, kommt es mitleidlos zurückgeschnarrt.

An dieser Stelle bricht Kazuo, der sich bisher höflich im Hintergrund hielt, sein Schweigen und hebt die Hand.

„Ich hab's mit der Rückkehr echt nicht eilig.“

„Da siehst du's, Shredder", Krang grinst triumphierend. „Er will gar nicht nach Hause. Also stehlt mir nicht weiter meine Zeit. Nehmt euch lieber ein Beispiel an Bebop und Rocksteady-“ vielsagend deutet er auf einen Monitor, der ihm Aufnahmen der Überwachungskameras zeigt, wo tatsächlich die beiden Mutanten einmal Eigeninitiative beweisen und einen der vielen Räume des Technodromes aufräumen. Dass es sich dabei um die Waffenkammer handelt und die beiden bestimmt nur irgend etwas abzustauben hoffen, diesen Fakt ignoriert er lieber – er kennt seine Pappenheimer. Und das ist hier auch gar nicht der Punkt.

„Räumt lieber noch etwas auf, meine Kampffestung sieht aus wie ein Schweinestall. Vor allem das Ersatzteillager.“

„Aber...“ versucht es Shredder, doch Krang gibt ein warnenden Zischen von sich und wedelt vielsagend mit seinen Tentakeln.

„Husch, husch. Raus mit euch.“

Shredder funkelt ihn an, weiß jedoch, wann er verloren hat. Und so wirbelt er nur auf dem Absatz herum und zieht seinen Bruder am Ärmel hinter sich her aus der Kommandozentrale.

Kazuo verbeißt sich ein Schmunzeln. Zuerst hatte er ja gewisse Vorbehalte, was diesen Krang betrifft, aber für ein Alien scheint er doch ganz in Ordnung zu sein – wenn man seine Welteroberungsambitionen mal außen vor lässt. Wäre Krang so grausam wie man es Kazuo immer gesagt hat, säße er bestimmt schon in einer engen Kerkerzelle – oder welches Äquivalent dazu es hier im Technodrome geben mag.

„Ich hab's wirklich nicht eilig mit der Rückkehr“, erklärt er, während er seinem Bruder über einen Gang folgt, der auch die eine oder andere Reparatur gebrauchen könnte. „Ich bleibe gerne noch etwas länger“, ergänzt er, während er mit dem Fuß eine herabgefallene Deckenplatte zur Seite schiebt.

Shredder sagt nichts und beäugt nur mißtrauisch ein Loch in der Wand, hinter dem elektrische Leitungen Funken sprühen – je heftiger sie das machen, desto stärker flackert das Licht. Shredder umgeht die Stelle in einem großen Bogen und Kazuo macht es ihm nach und meint dann:

„Und auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: die kommen alle ganz wunderbar ohne mich zurecht.“

„Schon gut“, knurrt Shredder. „Ich hab's kapiert. Und ohne Krangs Einverständnis geht hier sowieso nichts. Aber sag später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

Kazuo nickt nur gehorsam.

 

 

Der Lagerraum ist auf derselben Etage – aber das wundert Kazuo nicht. Es ist nur logisch, wenn man den Zustand des Technodromes bedenkt – und der soll ja laut der Aussage seines Bruders schon monatelang so katastrophal sein. Es ist sicherer, die notwendigen Dinge da aufzubewahren, wo man sie problemlos erreichen kann.

Auf dem Weg nach draußen hat er ja gesehen, wie die Treppen hier aussehen – es gibt sie schlichtweg nicht mehr. Stattdessen behelfen sie sich mit notdürftig an den Wänden befestigten Steigleitern.

Von den Aufzügen funktioniert wohl nur noch ein Lastenaufzug – manchmal zumindest.

Unter diesem Umständen ist er mehr als froh, dass sich der Lagerraum da befindet, wo er sich befindet.

Kazuo ist den Anblick von Schäden, die durch ein Beben verursacht wurden, von Zuhause gewohnt, von daher ist er nicht überrascht, als sie die Tür zum Lagerraum zurückschieben und sie ein mittleres Schlachtfeld erwartet.

Aber schon nach der ersten Bestandsaufnahme zeigt sich: es sieht schlimmer aus als es ist. Es ist kein Regal umgefallen, aber dafür hat es viele Regalbretter aus ihren Verankerungen gerissen und alles, was auf ihnen lag, liegt jetzt hier zu ihren Füßen. Zum Glück war das meiste gut verpackt

Schweigend und mit der Routine von Männern, die so etwas öfter machen, gehen sie an die Aufräumarbeit.

In Kazuo weckt diese Situation längst vergessen geglaubte Erinnerungen.

„Erinnerst du dich noch an das Erdbeben?" fragt er unvermittelt, hält mitten in der Bewegung inne und sieht zu seinem Bruder hinüber. Der kniet mit dem Rücken zu ihm nur zwei Meter entfernt am Boden und sortiert Kabel, Platinen und Transistoren.

„Welches? Es gab viele davon."

„Ja, das stimmt", murmelt Kazuo, den Blick noch immer auf seinem Bruder und gedanklich doch Jahre entfernt. Er weiß nicht, wieso ihm das nie bewußt wurde, aber der Schrecken und die Angst, die er als Kind oder Jugendlicher durchlebte, wenn wieder mal die Erde bebte, war nicht halb so groß wie in seiner Zeit als Erwachsener. Bisher dachte er immer, das läge daran, dass er als Erwachsener jetzt ganz genau weiß, wie gefährlich diese Art der Naturkatastrophe sein kann, aber nun wurde ihm klar, dass es an etwas anderem lag. Und dieses etwas, oder eher gesagt, dieser jemand kniet jetzt zwei Meter entfernt und versucht, Elektroschrott zu entwirren.

Kazuo kann sich an kein Erdbeben vor seinem achtzehnten Lebensjahr erinnern, wo sein Bruder nicht bei ihm war und ihn in den Arm nahm - sei es währenddessen oder kurz darauf.

„Ich meine dieses Erdbeben, als ich in der Grundschule war und du schon auf die Mittelschule gingst. Ich erinnere mich noch daran, dass ich mich wie alle anderen unter dem Tisch versteckt habe und das Hauptbeben war gerade vorbei und dann warst du plötzlich da, bist zu mir unter den Tisch gekrochen und hast mich umarmt." Um seine Lippen spielt ein versonnenes Lächeln. „Deine Schule lag auf der anderen Straßenseite und du bist einfach übers Schultor geklettert."

„Und dafür hab ich einen Verweis kassiert", ergänzt Shredder trocken.

„Oder das andere mal", fährt Kazuo gedankenverloren fort, „da war ich noch ganz klein. Ich kann mich kaum an etwas erinnern, ich weiß nur, dass wir in einem Wald oder Park waren, als es anfing. Du musst selbst noch klein gewesen sein, aber ich fühlte mich sicher bei dir."

Shredder hält mitten in der Bewegung inne und wirft ihm einen langen Blick zu.

„Worauf willst du hinaus?"

„Keine Ahnung", erwidert Kazuo ausweichend und zuckt betont gelangweilt mit den Schultern. „Fiel mir nur gerade wieder ein."

„Ich bin der ältere", gibt Shredder schroffer als notwendig zurück, „ich war für dich verantwortlich. Da ist es doch selbstverständlich, dass ich in einer solchen Notsituation für dich da bin."

Kazuo starrt ihn für einen Moment nur an, nickt und wendet sich dann wieder dem Regal neben sich zu, wo er damit fortfährt, die Regalbretter wieder richtig einzuhängen.

„Du warst vier“, meint Shredder völlig unvermittelt ohne dabei in seiner Beschäftigung innezuhalten oder gar den Kopf zu heben. „Es war das erste Mal, daß ich mit dir bei einem Erdbeben allein unterwegs war. Und es war das Stadtwäldchen. Ich hatte dich gerade vom Kindergarten abgeholt. Wir waren auf dem Weg nach Hause und du wolltest unbedingt noch ein Eis...“ Er hält kurz inne und fährt dann nach einer kleinen Pause fort: „Dein Eis ist dir runtergefallen, als es anfing, und du hast furchtbar geweint und ich wusste gar nicht, was ich tun soll...“

Er hebt den Kopf und wirft Kazuo über seine Schulter hinweg ein schiefes Lächeln zu.

„Ich staune, dass du dich überhaupt noch daran erinnerst. Du warst noch so klein...“

Er zwinkert ihm kurz zu und widmet sich dann wieder dem Durcheinander vor seinen Füßen.

Kazuo starrt ihn nur an. Wie könnte er nicht? Es ist das erste Erdbeben, an das er sich bewusst erinnert und Saki hat ihn beschützt. Dabei war er selbst noch ein kleines Kind.

„Oh, ich erinnere mich auch daran, daß du mir danach ein neues Eis gekauft hast.“

„Weil du geweint hast.“

„Ich habe nicht wegen des Eises geweint.“

„Ich weiß.“ Shredder zögert einen Moment und zuckt dann mit den Schultern. „Ist doch normal. Du hattest eben Angst. Du warst noch so klein und ich wusste nicht, wie ich dich anders beruhigen könnte. Also habe ich dir ein neues Eis gekauft. Zum Glück war es nur ein kleines Beben und der Supermarkt hatte noch geöffnet. Trotzdem hat der Verkäufer nicht schlecht gestaunt... er... hm“, er setzt sich auf die Fersen und reibt sich gedankenverloren übers glatte Kinn, „ich glaube mich zu erinnern, dass wir das Eis sogar geschenkt bekamen.“

„Das mit dem Eis wurde zu einer schönen Tradition.“ Lächelnd geht Kazuo zu ihm hinüber und läßt sich neben ihn sinken, tut so, als wolle er ihm helfen und dabei will er ihm doch nur nahe sein und ihm ins Gesicht sehen. „Nach jedem Erdbeben haben wir ein Eis gegessen. Sogar im Winter.“ In Gedanken daran lacht er einmal kurz auf. „Na ja, das war auch immer irgendwie das Einzige, das heilgeblieben ist.“

Und später haben sie sich dann gemeinsam daran gemacht, Eier, Sushi und Suppenreste aus dem Kühlschrank zu kratzen. Und obwohl es niemals lustig war, denkt Kazuo an diese Zeit jetzt mit einem warmen Gefühl zurück.

Shredder mustert ihn stirnrunzelnd.

„Ich verstehe … du willst ein Eis, nicht wahr? Nun, tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber das war eine Phasenverschiebung, kein Erdbeben.“

„Kontinentalplatten- oder Phasenverschiebung – das Ergebnis ist dasselbe. Sieh dich doch nur um.“ Grinsend deutet Kazuo auf das Tohuwabohu um sie herum.

Shredder versucht sich zuerst in einem strengen Blick, doch dann schmunzelt er und stellt bedauernd fest:

„Wir haben kein Eis, Kaz-chan.“

„Oh, ich bin flexibel. Außerdem sind wir erwachsen, wir geben uns doch nicht mehr nur mit Eis zufrieden. Wie sieht's aus mit Sake? Bier? Oder ein guter Burgunder?“

„Du trinkst? Ich bin entsetzt.“ Und das scheint er wirklich zu sein, seinem Tonfall und der Mimik nach zu urteilen.

Kazuo tut es fast leid, das gute Bild von sich zerstören zu müssen, das sein Niichan anscheinend von ihm hat. Aber nur fast.

„Nominication“, erwidert er daher mit einem feinen Lächeln. „Wenn ich nicht regelmäßig mit den Kollegen und Vorgesetzten in einer Karaokebar die Sau rauslasse, bin ich untendurch.“

Dass er tatsächlich einmal so betrunken war, dass er sich dann am nächsten Morgen nicht mehr daran erinnern konnte, seiner Freundin einen Heiratsantrag gemacht zu haben, verschweigt er lieber.

Shredder verdreht die Augen und wirft ihm dann einen mitleidigen Blick zu.

„Stimmt ja, da war ja was...“

„Trinkst du denn gar nicht mit deinen Freunden?“ erkundigt sich Kazuo erstaunt.

„Selten. Das letzte Mal, als ich mit einem ausgewachsenen Kater aufgewacht bin, das liegt jetzt anderthalb Jahre zurück.“ Über seine Miene huscht kurz ein Ausdruck des Schmerzes, als er sich daran erinnert, was genau für diesen Absturz verantwortlich war, doch er hat sich schnell wieder im Griff und flüchtet sich in ein schelmisches Lächeln. Zum Glück scheint Kazuo noch nicht die richtigen Schlüsse gezogen haben.

„Ich hänge an meinen Gehirnzellen, weißt du? Aber ich schätze, dir als Bullen macht es nichts, wenn die eine oder andere fehlt. Selbst so sind die Verbrecher eh alle dümmer als du.“

Kazuo legt den Kopf schief, mustert ihn lange und eindringlich und fragt dann gedehnt:

„War das eben ein Kompliment?“

Betont gleichmütig zuckt Shredder mit den Schultern.

„Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.“ Zwischen ihnen entsteht ein merkwürdiges Schweigen, und da Shredder befürchtet, seinen cleverer Bruder könnte doch noch ein Geistesblitz ereilen, räuspert er sich schnell und schlägt vor:

„Ich habe zwar keinen Burgunder da, kann dir aber einen guten Merlot anbieten. Wie wär's? Bringen wir das hier erst in Ordnung und dann ein Glas Wein? Oder zwei? Oder drei?“ ergänzt er grinsend. „Ich habe meinen kleinen Bruder schließlich noch nie betrunken erlebt...“

Kazuo lacht nur gutmütig. Da kann sein Niichan lange warten – der Tag, an dem er von Wein betrunken wird, muss erst noch erfunden werden.

 

 

 



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