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Die Mauern von Satunsat

von

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Der blaue Elefant in Raum und Zeit

"Guten Morgen, Doctor", murmelte die junge Frau, während sie sich mit einem erschöpften Seufzen auf der Sitzbank gegenüber des Mannes niederließ, der sie bereits seit ihrem Eintreffen in dem Café aufmerksam beobachtete, ohne die Begrüßung sofort zu erwidern.

Ihr Anblick gefiel ihm nicht. Martha war todmüde, so jedenfalls sein Eindruck. Der Kragen des Wollmantels, den sie trug, war auf der linken Seite achtlos nach innen geschlagen und der Riemen ihrer Handtasche hatte sich mehrmals um die eigene Achse verdreht. Kleine Dinge, die aber nicht in das Gesamtbild der organisierten Medizinstudentin passten. Die letzten Schneeflocken, die sie von draußen mit hinein gebracht hatte, schmolzen in der Wärme und hinterließen kleine glänzende Wassertröpfchen auf ihrem zum Pferdeschwanz gebundenen Haar. Einige Strähnen hatten sich daraus gelöst und hingen ihr in die Augen, um die ungewohnte tiefe Schatten lagen.

"Guten Morgen, Martha Jones, Sie heute ausnahmsweise mal nicht ganz so hell strahlende Sonne Londons. Was ist los? Was hat Sie wachgehalten?"

"Nachtschicht." Diese zwei Silben schienen Martha schon Mühe zu kosten. Ihr Kopf, den sie auf eine Hand gestützt hatte, neigte sich immer weiter zur Seite. "War das gerade eine Beleidigung?" Sie war heute nicht die schnellste, musste sie zugeben, und ihre belebte Umgebung tat ihr übriges dazu. Die Geräusche des Cafés dröhnten in ihrem Schädel. Klirrendes Geschirr schnitt in ihren Gehörgang. Und selbst das Umrühren mit dem Löffel in der Tasse erzeugte mit jeder Umdrehung, die der Löffel tat und dabei über das Porzellan kratzte, eine sich endlos dahinziehende Qual.

"Beleidigung?" Der Doctor setzte sich etwas auf. Er verschränkte die Hände vor sich auf der Tischplatte und versuchte vergeblich, das Schmunzeln zu unterdrücken, das in seinen Mundwinkeln zu zucken begann. "Sie meinen das mit der Sonne?" Sein Schmunzeln verschwand mit ihrem Nicken. "Das war keine Beleidigung, das war Besorgnis."

"Auch egal." Martha nahm ihre Tasche, die sie achtlos neben sich auf die Sitzbank hatte fallen lassen, und kramte eine Weile stumm darin herum, bis sie schließlich ein Päckchen von der Größe eines Buchs daraus hervorzog. "Alles Gute zum Geburtstag." Sie legte das in buntes Papier eingeschlagene Geschenk auf den Tisch und versuchte heimlich ein Gähnen zu unterdrücken.

"Vielen Dank!" Der Doctor, der die Geste der jungen Frau sehr wohl bemerkt hatte, griff nach dem Päckchen und begann eifrig damit, das Papier aufzureißen. Menschen...

Martha sah sich nach der Bedienung um. "Warum haben Sie die Einladung im Krankenhaus abgegeben, statt sie an meine Adresse zu schicken?"

"Ich war gerade in der Nähe." Das Päckchen war wirklich gut eingepackt. Diese ganzen Schnüre und Klebestreifen... "Außerdem war es ein spontaner Einfall und die Post hätte zu lange gedauert."

"Seit wann sind Geburtstage denn spontan?" Martha legte die Speisekarte beiseite und wandte sich dem Kellner zu, der gerade neben ihr stehengeblieben war und sie nun mit gezücktem Stift und Schreibblock in den Händen abwartend ansah.

"Oh, bitte bestellen Sie nichts", unterbrach der Doctor Martha in dem Augenblick, in dem sie den Mund öffnete, um dem Kellner ihren Wunsch mitzuteilen. "Ich habe bereits eine Kleinigkeit für uns beide vorbestellt."

"Schön, es ist ja schließlich Ihr Geburtstag." Martha zuckte bedauernd mit den Schultern und der Kellner rauschte davon. Das folgende Gähnen konnte sie nicht mehr unterdrücken. "Ihr wievielter Geburtstag ist es denn?"

Wenn Martha gehofft hatte, dass er ihren Zustand vergessen hatte, dann hatte sie sich getäuscht. Aber so was von getäuscht.

"Genaugenommen ist es nur mein Zwischengeburtstag."

"Ihr was?" Marthas Müdigkeit war kurzzeitig weg und ihre gewohnte Neugierde flackerte durch.

"Mein Zwischengeburtstag", murmelte der Doctor abgelenkt, während er das Geschenkband, das zusammen mit dem Klebestreifen und dem Papierknäuel eine heimtückische Allianz eingegangen war, von einem seiner Jackenknöpfe zu entfernen versuchte. Kleine verfluchte Erdendinge. Immer mussten sie sich an einen dran heften...

"Was, bitteschön, ist denn ein Zwischengeburtstag", hakte Martha mit Nachdruck nach.

Der Klebestreifen war endlich weg. "Ist es nicht schrecklich langweilig immer nur einmal im Jahr Geburtstag zu feiern? Erst recht, wenn man so wenige zur Verfügung hat, wie ihr Menschen?"

"Na Sie verstehen es ja, einen aufzumuntern..." Martha verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Den Satz hätte sich der Doctor sparen können. Er hatte ja gut reden mit seinen waswusstesie wie vielen Geburtstagen, die er noch feiern konnte. Ohne sie. Und ohne alle, die sie kannte. Das Grinsen konnte sie sich trotzdem nicht lange verkneifen.

"Denken Sie mal darüber nach", empfahl der Doctor der Frau gegenüber großzügig, die sich endlich erbarmte und ihm dabei half, das verhedderte Geschenkband zu lösen. "Und vergesst bitte nicht, auch Karten dafür zu drucken. Sie versäumen sonst ein richtig lukratives Geschäft."

 

 

"Wie viele Zwischengeburtstage feiern Sie denn so im Jahr?" Ihr Magen meldete sich. Sie hatte seit zehn Stunden nichts mehr gegessen. Die einzige Pause, die sie sich gegönnt hatte, war kurz nachdem sie endlich in der Kantine Platz genommen hatte, auch schon wieder von einem Notfall unterbrochen worden.

"Ich feiere immer dann, wenn mir gerade danach ist", war die schlichte Antwort auf ihre Frage. So einfach war das in der Welt des Doctors... "Manchmal mehrmals pro Jahr, manchmal nur einen." Auch wenn Martha davon ausging, der Doctor hatte nicht aufgehört, sein Gegenüber zu analysieren. Mit jeder Minute, die verstrich, war die junge Frau wacher geworden. Da passte es gut, dass gerade ihr Essen im Anmarsch war. "Ich hoffe, Sie haben großen Appetit."

Staunend sah Martha zu, wie zwei Kellner das Essen servierten, das der Doctor für sie bestellt hatte. Die Masse war schier unglaublich. Ihr Tisch brach unter der Last des ganzen Essens fast zusammen, und von der Tischplatte selbst war kaum noch ein freies Stückchen zu sehen.

"Full English Breakfast", lobte der Doctor seine Auswahl und es klang wie ein Heiratsantrag an diese Monstrosität aus Kohlenhydraten und schlechten Fetten. Der Bacon knisterte leise kleine Fettbläschen vor sich hin.

"Ich bleibe dann lieber bei schlichtem Toast und Marmelade", lachte Martha, während der Doctor sich bereits den Teller voll lud.

"Was ihr Menschen euch immer einfallen lässt! Hier sind alle Grundnahrungsmittel vertreten, ist das nicht toll?", pries der Doctor sein mehr als gehaltvolles Frühstück an. Nacheinander tippte er mit der Gabel die fetttriefenden Würstchen, die glänzenden Bohnen und das – wirklich gut aussehende – Spiegelei an. "Das hier ist mein absolutes Lieblingsessen", sprach's und schob sich eine viertel Tomate in den Mund.

 

 

"Ich bin vollkommen satt!" Tatsächlich hatte er nur eine halbe Tomate gegessen...

Es hatte wieder zu schneien begonnen, doch auf den belebten Straßen hatte das Weiß nicht die geringste Chance, länger als bis zum nächsten Reifenpaar durchzuhalten, das es sogleich wieder in eine matschige braune Pfütze verwandelte, die einem Tsunami gleich gegen den Rinnstein schwappte.

Martha spürte, wie sich das gespannte Kribbeln in ihrem Bauch auszubreiten begann, als sie die blaue Polizeibox sah, die sich unauffällig in die Umgebung einfügte. Sie trug eine niedrige weiße Kappe aus Schnee und an den Rändern des Daches hingen aufgereihte Eiszapfen. Der blaue Elefant in Raum und Zeit.

Die Erschöpfung, die Marthas Kopf mit tiefhängenden Nebelschwaden umgeben hatte, löste sich auf und sie beschleunigte ihre Schritte, die seltsam heiter und leicht wurden, mit jedem Meter, den sie sich der TARDIS näherten. Sie fühlte sich wieder wie ein Kind, das von der Schule heimkommt, die Schultasche in die Ecke feuert und sich dann dem wirklich wichtigen widmete, womit man seine viel zu begrenzte Kindheit verbrachte: dem Entdecken. Und die TARDIS war wie eine überdimensionale Spielzeugkiste. Voller Wunder und Geheimnisse, die sich hinter allen ihren unzähligen Funktionsweisen versteckten, die Martha nicht im geringsten zu verstehen im Stande war. Öffne eine Tür und etwas fantastisches ist dahinter. Öffne sie wieder und etwas anderes fantastisches offenbart sich dir.

An Bord war sie tatsächlich wieder das Kind, das alleine durch seine eigene Fantasie Welten erschuf, ohne ihren Zweck zu hinterfragen. Alles ergab sowieso irgendwann seinen ganz eigenen Sinn in jeder noch so komplexen Verflechtung. Mit nur einem Unterschied: niemand rief einen bei Anbruch der Dunkelheit ins Haus, damit man sich die Hände wusch und brav am Abendbrottisch Platz nahm. Die Dunkelheit gehörte zum Entdecken mit der TARDIS dazu, inklusive aller Konsequenzen, die sich dabei auftaten. Und das war die erwachsene Seite an diesen Kindheitsabenteuern.

 

 

"Haben Sie einen Wunsch, wo Sie gerne hin möchten?" Er hatte seine Hände in den Taschen seines Trenchcoats vergraben und wippte gespannt auf seinen Füßen auf und ab.

"Es ist doch Ihr Geburtstag", warf Martha verblüfft ein.

"Zwischengeburtstag, um genau zu sein." Er zog seinen Schlüssel aus der Tasche, warf ihn in die Luft und fing ihn wieder auf. "Na?" Der Schlüssel glänzte verheißungsvoll in der Hand seines Besitzers und weckte den Forscherdrang in der gerade wieder acht Jahre alt gewordenen jungen Frau. Komm, öffne die nächste Tür! Wer weiß, was dieses Mal dahinter ist?

Martha blickte den Doctor nachdenklich an. Dann fiel ihr etwas ein und ihre Mundwinkel bogen sich zu einem zufriedenen Lächeln. "Gibt es einen Planeten, auf dem man für, sagen wir mal, 72 Stunden einfach seine Ruhe hat?"

Der Schlüssel fand seinen Weg ins Schloss. Der metallene Riegel immer Inneren schnappte auf.

"Und ob es den gibt!" Der Doctor hielt Martha die Tür auf. "Und ich kann Ihnen sagen, dass es dort wirklich ruhig ist. Vielleicht ein bisschen zu ruhig. Aber wenn man sich erst Mal daran gewöhnt hat, geht es. Sie sollten sich nur von manchen Stellen dort fernhalten – erst recht, wenn sie sagen, Sie sollen näher kommen." Er hatte sich in Fahrt geredet und bemerkte dabei nicht einmal den entsetzten Gesichtsausdruck seiner hoffentlich bald–Begleiterin. "Meinen letzten Besuch dort habe ich nur knapp überlebt. Lustigerweise war das auch an einem meiner Zwischengeburtstage. Was für ein Zufall, oder?" Der Doctor lachte kurz auf. "Noch ein Grund mehr, zu feiern, finden Sie nicht?"

Martha stand zögernd im Türrahmen. Ihre Hand umklammerte haltsuchend den Schulterriemen ihrer Handtasche und sie wirkte, als wolle sie gleich davonlaufen. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich mitkommen möchte."

"Gute Entscheidung! Ich möchte, ehrlich gesagt, auch nicht mehr dorthin. Also-" Der Doctor machte eine einladende Kopfbewegung ins Innere der TARDIS, "reisen wir einfach irgendwo anders hin, was meinen Sie?"

Martha atmete innerlich auf. "Einverstanden", verkündete sie und betrat die TARDIS.



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