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Die Mauern von Satunsat

von

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Ausgerechnet ein Engel

 

"Nichts zu sehen." Der Doctor beendete seinen Rundgang um die TARDIS und gesellte sich wieder zu Martha, die den Vorderteil der blauen Kiste inspiziert hatte. "Wir hatten mehr Glück als Verstand, oder wie man das bei euch nennt."

"Bei Ihrer Fahrweise ist das eher ein Wunder, würde ich meinen." Martha hob den Blick und sah sich um. Auf drei Seiten war die TARDIS von hohen Mauern umgeben, die über und über mit einem dichten Pelz aus Moos bedeckt waren. Bis auf die Stellen, wo die TARDIS bei ihren Wendemanövern dagegen geprallt sein musste. An diesen Stellen zogen sich tiefe Kratzer durch den grünen Wandbelag. An einer Ecke war der Riss im Moos sogar so tief, dass man darunter die Steinmauer hindurchsehen konnte, die ebenfalls eine frische, tiefe Kerbe aufwies.

"Hoffentlich ist das hier kein kulturelles Erbe, das Sie beschädigt haben, sonst gibt es Ärger." Als sie sich zum Doctor umwandte, merkte Martha, dass sie, wer weiß wie lange schon, mit sich selbst gesprochen hatte. Dieser Mann brauchte so etwas wie GPS...

 

"Hey, Martha, das müssen Sie sich unbedingt ansehen!", tönte es von irgendwo hinter der Mauer zu ihr hinüber.

"Natürlich muss ich", murmelte die junge Frau vor sich hin, während sie zur einzigen freien Seite dieses Gebildes ging. Sie kam an eine Gabelung und sah sich in alle möglichen Richtungen nach dem Doctor um, doch statt eines freien Platzes, stand sie nun in einem weiteren Gang, der in einigen Metern wieder eine Biegung machte.

"Perfekt..." Martha seufzte. Von allen Orten, an denen sie hätten landen können, musste es ausgerechnet ein Labyrinth sein? "Doctor?" Ihre vorsichtige Frage blieb ohne Antwort. Martha legte den Kopf in den Nacken. Alles, was sie sehen konnte, war das Stück blauen Himmels, der sich über ihr befand. Schade, dass die Mauern so hoch waren, sonst hätte sich daran hochziehen können. Wenigstens war das Wetter gut. Und zwar so gut, dass sie ihren dicken Mantel ausziehen konnte, was sie dann auch tat. Martha sah sich um, entdeckte einen etwas hervorstehenden Stein in der Wand, der scheinbar dazu gedient hatte, eine Fackel zu halten, und hängte ihren Mantel kurzerhand dort auf. Zum ersten Mal nahm sie auch die Geräusche um sich herum wahr. Hier schien irgendwo ein Wald zu sein. Auf jeden Fall hörte sie Vögel rufen. Etwas größere Vögel vermutlich. Papageien? Martha kniff die Augen zusammen und lauschte konzentriert. Und je mehr sie sich auf das, was sie nicht sehen konnte, einließ, umso mehr filterte sie heraus. Da war noch mehrstimmiges helles Zirpen zu hören, kehliges schnarren und etwas, das nach einem Schrei klang.

"DOCTOR?" Martha bekam es nun doch mit der Angst zu tun. Sie beschleunigte ihre Schritte und schickte ein Stoßgebet nach dem anderen zum Himmel. Das aufwallende Gefühl, ihren Begleiter hier endgültig aus den Augen verloren zu haben, schnürte ihr den Hals zu.

 

"Da sind Sie ja endlich!", wurde Martha fröhlich begrüßt, als sie um die nächste Biegung kam und dort beinahe mit dem Timelord zusammenstieß, der sich gerade seinen Schallschrauber ans Ohr hielt.

"Ich habe nach Ihnen gerufen." Ihr Satz war gleichzeitig Vorwurf und Erleichterung, auch wenn sie letzteres niemals zugeben würde.

Der Doctor sah sie entschuldigend an. "Ich habe Sie gar nicht gehört." Es klang so aufrichtig, dass Martha ihre erste Wut darüber, dass er sie einfach hatte stehenlassen, vergaß. "Mein Schallschrauber scheint defekt zu sein", setzte er hinzu und schüttelte das kleine Gerät wie ein Thermometer, ehe er es sich wieder an sein Ohr hielt. "Sehen Sie?" Er hielt Martha den blinkenden Apparat vor die Nase, als ginge er davon aus, dass sie des Rätsels Lösung fand.

"Was davon sollte er denn nicht tun?" Er sah aus wie immer, fand Martha. Sie zuckte mit den Schultern. "Ich sehe keinen Unterschied zu sonst."

"Dann schauen Sie mal bitte dorthin."

Marthas Blicke folgten dem ausgestreckten Zeigefinger des Doctors zu einer Ecke des Gangs hinüber, wo der Weg vor einer Steinmauer endete.

"Ähm, Doctor, dort ist nichts", wies Martha ihren scheinbar übergeschnappten Begleiter auf seine vermeintliche Entdeckung hin.

"Ja eben!" Der Doctor zielte mit dem Schallschrauber in die Ecke und drückte einen Knopf. Ein Lichtstrahl begleitet von einem hellen Summen erklang. Der Lichtkreis fiel auf die Mauer und beschien dort das Moos. "Normalerweise wäre dort jetzt ein Loch", erläuterte der Doctor und wartete einen Moment, bis diese Erkenntnis in Marthas Verstand ankam.

"Dann sollten Sie vielleicht mal die Batterien an Ihrem Zauberstab wechseln", war die lakonische Entgegnung.

"Sie scheinen den Ernst unserer Lage nicht zu erkennen", tadelte der Doctor die junge Frau, die ihn belustigt ansah.

"Das einzige, was ich erkenne, ist, dass ich langsam wieder Hunger bekomme."

"Wir sind eben erst aus dem Café gekommen." Der Doctor sah Martha von oben bis unten an.

"Und warum knurrt dann mein Magen?"

Jetzt hörte er es auch. Ein leises Rumpeln.

"Ich wette, wir waren länger unterwegs, als Sie denken. Ich werde mir jedenfalls jetzt etwas zu Essen besorgen." Martha ließ den Doctor stehen und machte sich auf den Weg zurück zur TARDIS. "Ich hoffe, Sie haben einen Kühlschrank an Bord. Und ich hoffe, er ist gut gefüllt."

"Habe ich tatsächlich. Und ja, ist er. Aber lassen Sie bitte das obere Fach geschlossen", rief er der jungen Frau nach, ehe er sich ebenfalls in Bewegung setzte. "Ich werde dann in der Zwischenzeit den Schallschrauber untersuchen." Er konnte gerade noch abbremsen, ehe er mit Martha zusammenstieß, die mitten im Weg stehengeblieben war. "Haben Sie es sich anders überlegt, Martha?"

"Eigentlich nicht." Ihre ungläubigen Blicke glitten über die massive Steinmauer vor sich, wo zuvor noch ein offener Gang gewesen war.

 

"Wir müssen wohl falsch abgebogen sein." Der Doctor sah sich um. "Und das ist der Grund, weshalb ich Labyrinthe absolut nicht leiden kann."

Martha schüttelte langsam den Kopf. Sie starrte noch immer die Wand an. "Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass wir nicht falsch abgebogen sind."

"Und weshalb sind Sie sich da so sicher?"

"Da." Martha deutete zur Mauer hin. Ein Stück Stoff klemmte in der Ecke, wo zuvor noch keine Wand gewesen war. "Das ist mein Mantel, den ich an an einen Mauervorsprung gehangen habe, bevor ich mich auf die Suche nach Ihnen machte."

Der Doctor zupfte an dem Ärmel, der zwischen den beiden Wänden feststeckte und von dem nur das untere Drittel auf ihrer Seite zu sehen war. "Und der Rest des Mantels ist dann auf der anderen Seite dieser Mauer?" Er schob sich an Martha vorbei, die noch immer starr dastand und die Wand nicht aus den Augen ließ. Das Licht des Schallschraubers glitt mit leisem Brummen über die Mauer, doch wieder ohne Ergebnis. "Vielleicht kann man sie schieben", fiel es ihm ein. "Oder es gibt einen versteckten Mechanismus, den man bedienen muss." Der Doctor drückte nacheinander auf jeden einzelnen Stein, an den er drankam. "Helfen Sie doch mal ein bisschen mit, Martha, sonst sind wir in zwei Wochen noch hier", forderte er die junge Frau auf, die noch immer zu erfassen versuchte, was der Sinn dieses Labyrinths war. "Außerdem brauchen Sie Ihren Mantel wieder. Und ich meine TARDIS."

"Es ist eine Falle."

Beinahe hätte der Doctor Marthas Worte überhört, so sehr war er damit beschäftigt, einen geheimen Mechanismus zum Bewegen der Wände zu finden, doch der Tonfall, mit dem sie ihre Vermutung äußerte, ließ ihn in seinem Tun innehalten und aufhorchen.

 

"Es ist eine Falle", wiederholte Martha noch einmal in diesem abgeklärten Tonfall, der einem eine Gänsehaut über die Arme laufen ließ. "Das hier ist kein Labyrinth."

Der Doctor lachte ungläubig auf. "Das ist doch absurd. Die TARDIS würde uns nicht absichtlich in Gefahr bringen. Sie hat sogar einen Alarm und der blieb still. Ich werde sie einfach auf unsere Seite der Mauer teleportieren lassen. Sehen Sie?!" Er hob den Schallschrauber in die Höhe und aktivierte ihn. Die Luft vor ihnen begann zu flirren und die ersten Konturen materialisierten sich. "Hatte wohl doch nur einen Wackelkontakt", freute sich der Doctor, der den Schallschrauber in seiner Hand mit dem gleichen Stolz ansah, mit dem Eltern die erste Schulaufführung ihrer Kinder verfolgten.

"Doctor, bitte gehen Sie ein paar Schritte zurück." Martha zupfte ihn am Trenchcoat und zog ihn in ihre Richtung. "Sind Sie sicher, dass Sie die TARDIS teleportiert haben?"

"Das ist das, was ich hoffe", lachte er über seinen eigenen Scherz.

"Es ist viel zu klein", flüsterte Martha mit stockendem Atem. "Und sieht aus wie ein Mensch."

Der Doctor wandte sich von Martha ab und dem sich materialisierenden Wesen zu. Dann könnten wir ja nach dem Weg fragen, hatte er sagen wollen, wenn ihm die Erscheinung nicht die Sprache verschlagen hätte. Der einzige Punkt, mit dem Martha Recht gehabt hatte, war, dass es wie ein Mensch aussah, aber alles andere als menschlich war.

"Martha, hören Sie mir zu." Seine Stimme klang ruhig, aber beschwörend. Er tastete nach ihrer Hand, die noch immer seinen Trenchcoat umklammert hielt, und nahm sie in seine. Ohne die Frau anzusehen machte er einen Schritt zurück und schob Martha somit in die Richtung, aus der sie eben erst gekommen waren. "Wir gehen wieder dorthin, wo wir uns getroffen haben und bitte, Martha, seien Sie ehrlich, haben Sie unseren neuen Freund angesehen?"

"Ja, habe ich." Ihre Stimme zitterte.

"Dann lassen Sie ihn ab jetzt nicht mehr aus den Augen, nicht einmal eine Sekunde, bis ich Ihnen sage, dass Sie es dürfen, in Ordnung?" Der Schemen vor ihnen war nun vollkommen materialisiert. "Warum ausgerechnet ein Engel?"

 

 

"Warum gehen Sie nicht weiter, Martha?"

"Weil ich nicht kann."

"Vor Angst?"

"Vor Mauer."

"Bitte?"

"Hier ist jetzt auch eine Mauer."

"Bitte nicht..."

Fieberhaft versuchte der Doctor seine Gedanken zu sammeln, die beim Anblick des Weinenden Engels allesamt aus seinem Kopf gefallen zu sein schienen. Er fand nichts brauchbares. Der Schallschrauber in seiner Hand klickte leise, ohne dass er ihnen eine Hilfe war. Vielleicht doch leere Batterien? Schlimmer konnte es kaum noch kommen. Hoffentlich. Aber was war schon schlimmer, als mit einem Engel in einem Labyrinth eingesperrt zu sein, dessen Wände sich einfach so mal verschoben, mit einem nutzlosen Schallschrauber, der scheinbar nicht mal mehr Luft zerteilen konnte, vor sich der Engel und im Rücken eine Mauer. Und dazwischen irgendwo ein zitterndes Menschenwesen, dem noch gar nicht bewusst war, wie gefährlich diese Kombination war.

"Martha, ich muss kurz etwas an meinem Schallschrauber überprüfen. Versprechen Sie mir, dass Sie den Engel nicht aus den Augen lassen, bis ich Ihnen das Okay gebe?"

"Selbstverständlich." Marthas zuerst starre Blicke, die konzentriert auf die Statue vor ihnen gerichtet waren, wurden sanfter.

Was auch immer der Doctor hatte, dieser Engel, der sein Gesicht mit den Händen bedeckte, machte ganz und gar nicht den Eindruck, gefährlich zu sein, dachte Martha fasziniert. Er sah aus wie die Statuen auf alten Friedhöfen, die dort standen oder auf Grabplatten liegend um die Toten trauerten. Im Grunde war er sogar richtig schön. Wer auch immer ihn erschaffen hatte, hatte an jedes Detail gedacht. Jede einzelne Falte in dem langen, wallenden Gewand war zu erkennen, jede Locke, die sich auf seinem Kopf ringelte, jede, wirklich jede Feder seiner riesigen Schwingen war bis ins Kleinste ausgearbeitet. Es hätte sie nicht gewundert, wenn unter den Händen, die das Gesicht des Engels verbargen, Tränen hervorgekommen wären. Aus welchem Material er wohl war? Sicher Marmor.

"Martha-"

Sie sah den Doctor an.

 

"Schauen Sie den Engel an, um Himmels Willen!", schrie der Doctor sie an.

"Dann sprechen Sie mich doch nicht an!"

"Das war ein Test!"

Martha schnappte nach Luft. "Doctor, der Engel..."

"Ich weiß."

"Aber wie ist das möglich?"

"Reicht es, wenn ich es Ihnen später ausführlich erkläre und Ihnen jetzt einfach nur sage, dass er sich nur bewegt, wenn Sie ihn nicht mehr ansehen?"

"Reicht, ja."

"Dann halten Sie sich bitte noch eine Weile daran, Martha, ich verspreche Ihnen auch, dass alles wieder in Ordnung kommt."

Was blieb ihr schon anderes übrig, als ihm zu vertrauen? Den Beweis, dass mit diesem Engel irgendetwas doch nicht stimmte, hatte sie nun praktisch vor sich. Unter den Händen, die sich ein Stück weit von dem Gesicht gelöst hatten, offenbarte sich ein Gesicht, das ganz und gar nichts engelsgleiches mehr an sich hatte. Es war eine hässliche Fratze, die sie so wütend ansah und dabei das schrecklichste Raubtiergebiss entblößte, das sie jemals gesehen hatte.

"Alles Okay, Martha, ich bin fertig."

"Ich glaube Ihnen nicht, Doctor. Das ist doch wieder nur ein Test."

"Und Sie haben Ihn bestanden, Miss Jones. Glückwunsch!"

"Ich freue mich später darüber."

Dieser Schallschrauber war zum Verzweifeln. Es funktionierte gar nichts an ihm, wie es das sollte. Momentan war er froh, dass Martha nicht sehen konnte, was dieses dämliche Ding da produzierte. Sie würde nur in Panik verfallen. So wie er kurz davor war. Ratlos sah der Doctor auf die blauen klebrigen Fäden, die statt des üblichen Lichts aus der Spitze des Schallschraubers geschossen waren und nun den Boden zu ihren Füßen bedeckten. Was sollte das sein? Eine Art Partymodus? Er drehte das Gehäuse des Schrauber etwas und drückte dann wieder auf einen Knopf. Pink?

"Doctor, mir ist nicht ganz wohl dabei..."

Ihm lag ein Mir auch nicht auf der Zunge, doch aus Jahrhundertelanger Erfahrung mit Menschen wusste der Doctor, dass es besser war, eine schlimme Situation nicht noch zu verschlimmern, so lange man keine Lösung dafür hatte.

"Doctor, meine Augen."

"Nein, Martha, mit Ihren Augen ist alles Okay, verstanden?"

"Ich muss kurz-"

"Müssen Sie nicht."

"Doctor, sagten Sie nicht, dass er sich nur bewegt, wenn ich ihn nicht ansehe?"

"Was haben Sie getan, Martha?"

"Nichts. Ich sehe ihn an, aber er bewegt sich trotzdem."


Nachwort zu diesem Kapitel:
Normalerweise wäre das hier das vorletzte Kapitel, aber ein Plotbunny meinte "Nö!", und wer wagt es schon, einem Plotbunny zu widersprechen? Ich jedenfalls nicht. Komplett anzeigen

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