Zum Inhalt der Seite

Totale Finsternis

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Gott ist tot

Sie würden sterben.
 

Was für eine bittere Ironie. Er war hier, um das Leben seiner Mutter zu retten und dabei würde er sein eigenes lassen. Was hatte ihn auch bewogen mitten in der Nacht in diese Kälte zu gehen? Hatte er vielleicht unbewusst den Tod gesucht? Wollte er diesem deprimierenden Dasein entfliehen, seiner sterbenden Familie?
 

Zitternd schlang Adrien die Arme um seinen Oberkörper und sah zu seiner Begleitung. Dank ihm würde auch sie erfrieren. Ihre Eltern würden vermutlich nie erfahren, wie sie gestorben ist. Ihre leblosen Körper würde man nie finden. Die Wölfe würden sie zuvor zerreißen und nur ein paar Knochen zurück lassen. Am Ende wären sie nur zwei Verschollene, an deren Namen sich in ein paar Monaten niemand mehr erinnerte. Der Professor und der ältere Agreste würden vermutlich einen Vampir dafür verantwortlich machen und bei ihrer Suche endgültig dem Wahnsinn verfallen. Was für ein grausames Schicksal.
 

Das Mädchen hatte Tränen in den Augen und ihre Hände zum Gebet gefaltet. Anscheinend hoffte sie das Gott ihnen helfen würde, doch Adrien hatte schon längst den Glauben verloren. Gäbe es einen Gott, hätte er nie zugelassen, dass seine Mutter erkrankt.

Irgendwann war Marinette auf ihre Knie gesunken. Der Blonde ließ sich neben ihr nieder und versuchte ihr ein wenig Wärme zu schenken, in dem er sie umarmte. Doch das hielt den Frost nicht ab ihrer beider Lippen blau zu färben.
 

„Ich... Ich flehe dich an, Herr“, flüsterte sie zitternd und vergrub ihr Gesicht in Adriens Wintermantel, „Ich... Ich will noch nicht sterben... Ich... Bitte lass uns diese Nacht überstehen. Schicke einen deiner Engel, der uns zurück führt.“
 

„Das hat keinen Sinn“, hauchte der Junge und drückte sie fester an sich, „Es gibt keinen Gott und wenn, dann sind wir ihm gleichgültig.“ In seinen Geist kämpften sich finstere Erinnerungen an tränennasse Stunde, die er mit Gebeten verschwendet hatte. Nächte, die er damit zugebracht hatte um das Leben seiner Mutter zu bitten.
 

Doch seine Begleiterin schüttelte energisch den Kopf. „Herr! Verschone unser Leben - Meines, das von Adrien und-“

Sie zuckte heftig zusammen, als ein Ast lautstark nahenden Besuch ankündigte. Auch Adrien spannte sich an und starrte in die Finsternis. Hatten die Wölfe sie gefunden? Doch was war das? Ein Licht schaukelte unheimlich in der Dunkelheit, als wolle es Motten anziehen und in seinen Flammen verbrennen.
 

Sofort kamen Adrien die seltsamen Dorfbewohner in den Sinn. Sie hatten Angst – schreckliche Angst. Nicht vor einem Vampir, soviel war er sich sicher, doch auch nicht vor Wölfen, wie sie behaupteten. War es das, wovor sie sich fürchteten? Eine Gestalt, die ein Irrlicht mit sich führte und in der Finsternis lauerte?
 

Bald hörte man neben dem Knacken der Äste auch das Knarzen der Schneedecke, die bei näherer Betrachtung durch Hufe aufgerissen wurde. Das Licht, welches sich als harmlose Laterne herausstellte, gab bald einen schwarzen Hengst preis, auf dessen prächtigen Sattel ein mysteriöser Fremder thronte. Er trug einen schweren dunklen Mantel und einen Zylinder, welcher seine Züge verbarg. Seine hellblauen Augen schienen in der Nacht zu glühen, wie die einer Katze.
 

Der Unbekannte wand sich langsam zu beiden Teenagern und sprach mit einer melodischen vom rumänischen Dialekt gezeichneten Stimme: „Guten Abend. Welch eine wunderschöne Nacht für einen Spaziergang, nicht wahr?“
 

Adrien wusste nicht, woran es lag, vermutlich haftete die paranoide Atmosphäre des Dorfes an ihm, aber beim Anblick des Besuchers verspürte er pure Angst. Die Furcht schnürte ihm die Kehle zu und raubte ihn den Atem. Sein Herz schien aus seiner Brust entfliehen zu wollen, so sehr schlug es gegen seine Rippen. Er umklammerte Marinette, als könne gerade sie ihn vor dem Fremden beschützen.

Doch auch das Mädchen war gelähmt vor Angst und konnte lediglich geschockt den Reiter anstarren, als hätte dieser einen Revolver gezückt.
 

Die Gestalt schwang sich elegant vom Sattel und schritt ohne eile zu den Zweien.

„Nur gleicht dieser Teil des Waldes einem Irrgarten. Selbst die Einheimischen meiden diese Gegend. Vor allem wenn der Mond am Himmel steht. Wisst ihr denn nicht, dass die Wölfe zu dieser Jahreszeit besonders nach Fleisch gieren? Die Menschen nehmen ihnen die wenige Nahrung, die in den Wäldern noch geblieben ist, sodass diese armen Kreaturen hungern müssen.

Ganz zu schweigen von diesen unbarmherzigen Temperaturen. Euch muss ja schon das Blut in den Adern gefrieren.“

Sie streckte eine Hand heraus. Adrien und Marinette zuckten bei dieser normalerweise einladenden Geste gleichermaßen zusammen.

„Keine Sorge. Ich bringe euch in wärmere Gefilde, wo weder der Winter noch die Wesen der Nacht euch etwas anhaben können“

Der Fremde überbrückte die letzten Meter. Er zog beide nach oben und geleitete sie zu seinem Pferd, welches geduldig auf seinen Herren wartete. Dann hob er die Teenager in den Sattel. Er selbst nahm die Zügel und führte den Hengst tiefer in den Wald.
 

Bald drang nicht einmal mehr das Mondlicht durch die Baumwipfel. Im Schein der Laterne, die die Gestalt in der Hand hielt, konnte man vereinzelte Stämme erkennen, doch keiner erinnerte Adrien an die, welche er auf ihren Hinweg gesehen hatte. Wohin gingen sie nur? In ihren sicheren Tod? In eine einsame Hütte? Zurück ins Dorf?

War der Reiter ein barmherziger Reisender, der ihnen wirklichen helfen wollte? Oder der Ursprung all der Angst, die in dem Dorf herrschte?

Wie auch immer... Ob sie erfrieren würden oder er ihnen das Leben nehmen würde, machte wohl kaum einen Unterschied.
 

Marinette, die vor ihm im Sattel saß, murmelte leise Gebete, um solch düsteren Gedanken zu vertreiben.

Der Blonde jedoch weigerte sich bei Gott Schutz zu ersuchen. Er blieb wachsam und beobachtete ihren Führer, der schweigend durch den Schnee flanierte.
 

„Was tun SIE dann hier in dieser unmenschlichen Gegend?“, entfuhr es dem Jungen plötzlich, ehe er sich zurückhalten konnte.

Der Angesprochene hielt kurz inne und wand seinen Kopf leicht zur Seite.

„Mich führte eine... geschäftliche Angelegenheit nach Usturoi. Zu eurem Glück, bevorzuge ich es Nachts zu reisen, sonst hättet ihr wohl den Tod gefunden. Nun ich kann es euch wohl kaum verdenken: Unbesonnenheit ist immerhin der Luxus der Jugend. Ihr solltet euch allerdings das nächste Mal nicht zu solch einer dunklen und kalten Stunde aus dem Haus wagen, geschweige denn einem völlig Unbekannten, wie mir, folgen. Räuber gibt es auch an so einem abgelegenen Platz der Erde, wisst ihr?“
 

Adrien verlor sich für einen Moment in den hellblauen Augen der Gestalt. Als er wieder nach vorn blickte stockte ihm der Atem. Vor ihnen zeichnete sich die Silhouette des Gasthauses ab, aus dem sie gekommen waren. Die Laternen waren inzwischen gelöscht und doch konnte man die steinerne Schlachtszene im Mondlicht gut erkennen. Nie hätte er gedacht, dass der Unbekannte sie wirklich wieder zurück geleiten würde.
 

Der schwarze Hengst hielt kurz vor dem Haus und schüttelte sich ein paar Schneeflocken aus der Mähne. Sein Herr half der kostbaren Fracht von seinem Rücken und öffnete ihr die Tür.
 

Als er sich zum Gehen wand, sprach er noch: „Das Glück war euch hold in dieser Nacht, doch es ist unbeständig, wie das Gemüt eines eitlen Frauenzimmers. Man sollte nicht sein Wohl darauf setzten, wenn man sein Leben als kostbar erachtet.“

Der schwere schwarze Mantel bäumte sich auf, als er von einem Windzug erhascht wurde und die Augen des Fremden wirkten noch kälter als vorher.

Dann wünschte er beiden eine geruhsame Nacht und schloss die Tür.
 

Erst als das Holz sie von dem Reiter trennte, ließ die Spannung ihrer Muskeln nach und ihre Herzen begann wieder im Takt zu schlagen. Die Wärme befreite ihre Glieder von dem Frost.
 

Marinette fiel als erstes auf, dass sie ihm noch gar nicht gedankt hatten. Doch als sich ihre Hand um die Klinke schlossen, musste sie feststellen, dass die Tür sich nicht öffnen ließ. Sie sah verwirrt zu Adrien, doch auch als er es versuchte, war sie verschlossen.

Das war doch nicht möglich. Der Fremde hatte sie eingelassen und das Knacken eines Schlüssels war auch nicht zu vernehmen gewesen.
 

Vielleicht konnten sie durch eines der Fenster ihren Dank ausdrücken, wenn auch nur mit Gestik und Mimik. Doch weder der Hengst, noch sein Herr war zu erblicken - Nicht einmal das Licht der Laterne. Es war, als wäre der Fremde nie da gewesen.
 

„Vielleicht“, entkam es Marinette leise, als sie in die Dunkelheit starrte; „Vielleicht war es wirklich ein Engel, der von Gott gesandt wurde, um uns zu retten?“

Der Junge zu ihrer rechten erschauderte. „Wer auch immer das war, ein Engel war er mit Sicherheit nicht...“
 

Leise schlichen die beiden durch die totenstille Wirtsstube und suchten ihre Zimmer. Bevor Marinette sich verabschieden und in das des Professors gehen konnte, fasste Adrien sie am Handgelenk und flüsterte: „Es tut mir leid, dass ich dich in eine solche Gefahr gebracht habe... ich hätte … Ich hätte vorsichtiger sein müssen und... Du wärst fast wegen mir gestorben!“

Sein Gegenüber lächelte schüchtern und ihre Wangen färbten sich rot.

„Sch-Schon gut... Wirklich! Ich wollte ja... also mitkommen, meine ich...“ Sie machte eine kleine Pause. „Es war schön. Also nicht fast zu sterben. Zu Reden. Das war schön. Danke, dass du mir zugehört hast, Adrien.“

Adriens Gesicht würde warm und verlegen kratzte er sich am Hinterkopf.

„Ich fand es auch sehr… erholsam... Danke! … Also dann... Schlaf gut, Marinette!“

„Gute Nacht, Adrien!“
 

Der Blonde blieb noch eine Weile vor der geschlossenen Tür stehen und sann über die gesagten Worte nach, ehe er den Raum betrat, den er sich mit seinen Eltern teilte.

Er hatte sich auf das Schlimmste vorbereitet: Weinflaschen, die wahllos auf den Fußboden verstreut waren, sein Vater, der am Tisch eingeschlafen war, noch immer mit einem Kelch in der Hand und der Gestank nach selbst gebrannten Alkohol.

Umso überraschter war er, als er nichts davon vorfand. Jemand schien sowohl die leeren Flaschen, als auch die Kelche weggeräumt zu haben. Auch der ältere Agreste lag nicht auf der Tischfläche, sondern neben seiner Liebsten, unter der vergilbten Bettdecke. Zwar war er offensichtlich betrunken, doch irgendwie schien er bei Trost genug gewesen zu sein, sein Jackett über die Stuhllehne zu hängen und seine Schuhe akkurat darunter zu stellen.
 

Adrien tat es ihm gleich und schmiegte wenig später seinen durchgefrorenen Körper an den seines Vaters. Dann schloss er die Augen.
 


 

Im Schutz der Nacht ritt die mysteriöse Gestalt durch den Schnee. Ihre Züge waren blau von der Kälte.

„Ein Engel Gottes?“, zischte sie sarkastisch. Die eisigen Augen verengten sich. Das Pferd schnaufte in amüsierter Weise, als wolle es seinem Herren beipflichten.

„Gott ist tot, du dummes Kind!“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück