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Ein Gott zieht aus

von

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Des Wartens überdrüssig

Er bewohnte noch immer die alte Hütte, in der er aufgewachsen war. Gemeinsam mit seiner Mutter, aber auch mit seinem Vater, hatte er dort die schönsten Stunden verbracht. Seine Erlebnisse reichten aus um Geschichtsbände zu füllen. Er hatte sich einmal im Schreiben versucht, es dann aber wieder bald sein gelassen. Auch wenn er Sprachen liebte, genauso wie das Lesen, so hatten ihn die letzten Jahre mit seinem Vater zu einem Krieger geformt.
 

Atreus war hoch gewachsen und breitschultrig. Sein braunes Haar trug er kurz. Den angedeuteten Bart um Kinn und Wangen herum ließ er stehen. So prächtig wie der von Kratos würde er wohl nie werden, aber das musste er auch nicht. Er verdeckte ein wenig die Narbe, die er seit seiner Kindheit mit sich herumtrug. Wirklich auffällig an ihm war nur das Mal auf seiner Stirn.

Es war weiß und fremder als jegliche Rune, die er jemals gelesen hatte. Sein Vater hatte ihm erklärt, es handle sich dabei um ein Wort in dessen eigenen Sprache: Omega - das Ende. War er das Ende?
 

„Du bist fast schon genauso in dich gekehrt wie dein alter Herr“, riss ihn eine Stimme aus seinen düsteren Gedanken. Sie gehörte zu einem rumpflosen Kopf, der auf dem Nachttisch neben dem einfachen Holzbett ruhte.

„Ich vermisse ihn, Mimir“, entgegnete Atreus ertappt und lächelte dabei ein wenig. Ein seltenes Lächeln, das dafür aber umso schöner war, wenn es denn einmal seine Lippen zierte.

„Ich auch, Junge, ich auch“, seufzte der Kopf schwermütig.
 

Kratos war vor einiger Zeit gegangen. Er hatte die Axt seiner Frau, genauso wie die Chaosklingen, mit sich genommen. Atreus war sich sicher, dass der alte Mann noch lebte. So schnell konnte seinen Vater nichts töten. Er war ihm auch nicht böse oder trauerte ob der Entscheidung, wieder ein Einsiedlerleben führen zu wollen; er vermisste ihn einfach nur.
 

„Wenn du lächelst, bist du ihm sehr ähnlich“, versuchte der bärtige Kopf mit den Hörnern das Gespräch in eine fröhlichere Richtung zu lenken.

„Vater hat selten gelächelt“, schmunzelte Atreus und setzte sich auf die Bettkante. Er trug eine einfache Kleidung aus weißem Hirschfell, welches seine Schultern bedeckte. Die Brust war von einem roten Gambeson umgeben, gleiches galt für die Arme. Seine Hose war schwarz und aus Leinen, während hohe, weiß-braune Schnürstiefel die Füße schützten.

„Aber manchmal doch.“ Mimir selbst lächelte nun und betrachtete seinen Freund. Atreus und er waren zusammengewachsen, sofern das bei einem Schädel und einem Gott überhaupt möglich war. Sie verstanden sich dennoch gut.
 

„Ich mache mir Sorgen ob der Vision“, setzte der junge Mann an, wurde sogleich aber unterbrochen.

„Das hatten wir doch alles schon einmal. Es war vielleicht nur ein Alptraum“, beschwichtigte ihn der beinahe allwissende Schädel.

„Ein Alptraum. Mimir, du hättest nicht so viele Pilze essen sollen, als du Odin dazu gebracht hast, sich das Auge herauszureißen“, stellte der junge Gott nüchtern fest.

„Das ist eine ganz andere Geschichte, Kleiner. Außerdem habe ich dafür ordentlich gebüßt, oder glaubst du, es ist angenehm, ein loser Kopf zu sein?“

„Nein, aber…“

„Nichts aber. In deinem Traum warst du noch ein Kind, jetzt bist du erwachsen. Außerdem wird Thor sein blaues Wunder erleben, wenn er wirklich hier auftaucht.“
 

Da war in der Tat etwas dran. Atreus war ein guter Kämpfer geworden, natürlich unter der weisen Anleitung seines Vaters. Außerdem besaß er Zugang zu einigen exklusiven Werken von den besten Schmieden: Brook und Sindri. Letzterer hatte für Odin selbst geschmiedet. Dementsprechend kannte er auch die Schwachstellen in den Anfertigungen für den Allvater.
 

Am Bettpfosten baumelte eine Schwertscheide aus Wildschweinleder. Sie beherbergte ein Schwert so scharf, dass es selbst Stein zerschneiden konnte ohne dabei schartig zu werden. Atreus konnte es werfen und zurückholen, wie es sein Vater dereinst mit der Leviathanaxt getan hatte. Die Zwerge hatten die Klinge Lagnadseggen getauft, was so viel wie „Schicksalsschneide“ bedeutete.

Daneben ruhte ein ein Rundschild aus pechschwarzem Metall. Er konnte sich falten, genauso wie der von Kratos.
 

Auch Pfeil und Bogen fehlten natürlich nicht. Diese hatten sich am wenigsten verändert. Natürlich war der Bogen an Atreus´ aktuelle Größe angepasst worden, aber sonst. Sogar den Köcher mit Mistelzweig, als Andenken an den Sieg über Baldur, gab es noch.
 

„Wäre gespannt, was passiert, wenn Lagnadseggen auf Thors Hammer trifft“, murmelte Mimir. „Er wird noch immer nicht gut auf dich zu sprechen sein.“

„Wäre ich auch nicht“, gestand Atreus leise ein. Er und sein Vater hatten beide Söhne des Donnergotts auf dem Gewissen: Magni war durch die Leviathanaxt gefallen, während Modi von Atreus mit einem Messerstich getötet worden war.

„Er und Odin lassen sich sehr viel Zeit“, sagte der junge Mann nach einer Weile des Schweigens.

„Wäre es dir lieber, wenn beide auftauchen würden?“

„Ehrlich gesagt, ja.“
 

Atreus hatte das Warten satt. Wenn er ehrlich war, hatten sein Vater und er den Fimbulwinter längst eingeleitet. Mit dem Tod Baldurs war die Welt unter Eis und Schnee begraben. Die Menschen hungerten und litten, während ihre Gebete an Thor, Odin, Freya und wie sie alle hießen, auf taube Ohren stießen. Der Winter hatte zwar begonnen, aber es war nicht viel mehr passiert. Kein Surtr war auf dem Naglfar ausgezogen, um die Welt in Brand zu stecken. Die Midgardschlange hatte sich nicht mit Thor gemessen, gleiches galt für den Fenriswolf und Odin. Es passierte nichts. Keine Einherjar rückten aus, um Walhalla zu verteidigen, keine Invasion, nichts, rein gar nichts tat sich in den Welten.
 

„Das würde aber nicht gut ausgehen“, meinte Mimir und erlangte wieder die Aufmerksamkeit seines Gesprächspartners.

„Für die Beiden, ja.“

„Du bist dir deiner Sache sehr sicher“, stellte der Kopf fest.

„Du dir auch, sonst wärst du nicht bei mir geblieben.“

„Mooooment, Kleiner. Ich bin aus Neugierde hier, nicht, weil ich auf der Seite der Sieger stehen möchte“, berichtigte ihn der Gehörnte.

„Als ob, Mimir. Insgeheim freust du dich darauf, dabei zu sein, wenn Odin stirbt.“

„Nun, nachdem was mir der kranke Bastard angetan hat, ist das normal, oder?“
 

Auch, wenn Atreus die Gespräche mit Mimir mochte, so war er darüber frustriert, dass selbst dieser nicht wusste, warum sich nichts tat. Der Kopf wusste doch sonst alles. Er hatte schon überlegt, auszuziehen, um Thor und Odin zu fordern, doch irgendetwas hielt ihn davon ab. Es war so, als würde er noch auf etwas warten. Die Zeit schien nicht reif zu sein.
 

„Ob Freya uns wohl verziehen hat?“, fragte Atreus ins Zimmer hinein.

„Nun, bisher hat sie dich nicht versucht umzubringen…“

„Das meine ich nicht. Wir haben damals das Richtige getan, und dennoch fühlte es sich falsch an.“

„Es gab dabei kein richtig oder falsch Kleiner, das weißt du doch.“

„Ich weiß, trotzdem“, seufzte der junge Mann und ließ sich aufs Bett fallen. Irgendetwas musste geschehen. Er war zwar nur ein Stück weit ein Gott, doch als solcher hatte er eine Verantwortung. Ihm huldigte man nicht, ihn betete man nicht an, aber er war es, der dieses Leid über die Menschheit gebracht hatte.
 

„Tyr hätte sicher etwas unternommen“, geisterte es durch seinen Kopf. Der große Tyr, den sogar die Midgardschlange respektierte. Er war das Sinnbild eines Helden, eines Gottes, in den Augen von Atreus. Ein Teil von ihm wollte so sein wie er.
 

Entschlossen sprang er aus dem Bett und schnappte sich Schwert, Schild, sowie Bogen und Köcher.

„Woah, du hast es ja eilig. Wohin geht die Reise, Kleiner?“, wollte Mimir neugierig wissen.

„Zu Freya“, antwortete Atreus knapp und schnappte sich den Kopf, den er an seinen Gürtel band.

„Hältst du das für eine gute Idee?“

„Besser als hier herumzusitzen auf jeden Fall.“
 

Mit schnellem Schritt eilte Atreus aus der einfachen Holzhütte hinaus, in das Schneetreiben, welches nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit andauerte. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel atmete er tief durch. Es war an der Zeit den Kreislauf zu durchbrechen, wie sein Vater zu ihm gesagt hatte.

„Wir müssen besser sein.“
 

Ein letzter Blick auf das traute Heim, das er nun ein zweites Mal zurückließ, bevor er sich zum Boot aufmachte. Er würde Ragnarok verhindern, oder es einleiten. Er würde die Prophezeiung erfüllen, die seine Mutter für ihn angedacht hatte. Was er aber nicht tun würde war, seinen Vater zu töten, wie es in dem Schrein an die Wand gemalt worden war.

„Ich bin besser“, murmelte Loki und tauchte das Ruder ins Wasser. Freyas Wald lag nicht weit von seinem Zuhause entfernt. Er hoffte inständig, dass sie noch dort war, und bereit, mit ihm zu sprechen. Wenn nicht, dann musste er sich anderweitig Hilfe holen. Es gab noch immer jemanden da draußen, auf den er bedingungslos zählen konnte. Jemanden, der ihn behütet und beschützt hatte, wenn auch auf seine eigene Art.
 

Der Geist Spartas lebte noch. Er wartete, genauso wie sein Sohn, doch er wollte sich nicht einmischen. Kratos hatte bereits einmal eine Welt an den Rand des Abgrunds getrieben. Unter seinen Klingen waren Menschen wie Götter gefallen. Nicht einmal Zeus selbst hatte ihm widerstehen können. Er hoffte einfach nur, dass Atreus schlauer war als er, gütiger und vor allem seinem Namenspatron gleichend: Ein ehrbarer aber fröhlicher Mann.
 

Es war einer der wenigen Momente. Ein Lächeln zierte blasse Lippen, ein kaltes Gesicht, das von einem buschigen Bart umgeben war. Es glich dem von Atreus so sehr. Nicht einmal Schnee und Eis, auch nicht beißende Kälte, die durch Mark und Bein ging, genauso wie der schneidende Wind, der das Land plagte, konnten es von seinen Lippen tilgen. Er war stolz auf seinen Sohn, und würde es auch immer sein. Der Kreislauf konnte durchbrochen werden, und Atreus war auf einem guten Weg dies zu tun. Loki würde die Geschichte umschreiben, die Welt verändern.



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