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Morgenstern

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Achtung: Füllerkapitelalarm!
Nach ihrem Amoklauf ist Nebula entsetzt von sich selbst. Clay spricht mit der gefangenen Jasmin und erfährt ihre wahren Beweggründe. Die Gruppe macht sich auf, eine zerrissene Familie wieder zusammenzuführen. Komplett anzeigen

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Der verlorene Bruder


 

🌢
 

Den ganzen Tag hatte Nebula mit niemandem gesprochen. Weder mit den Händlern der Karawane noch mit ihren eigenen Leuten. Sie hätte es verstanden, wenn die Krämer ohne sie weitergezogen wären. Doch von einem einmal begonnenen Geschäft zurückzutreten, galt in Yjasul als schwere Schande. Wurde einmal für eine Leistung oder einen Gegenstand bezahlt, so taten die Partner ihr Möglichstes, den Vertrag zu erfüllen und das Geschäft abzuschließen. Offenbar selbst dann, wenn sie dem Teufel ins Antlitz blicken mussten. Die Männer waren sich außerdem bewusst, dass sie ohne die Hilfe ihrer Gäste keine Chance gegen die Wüstenräuber gehabt hätten. Sie wären um all ihre Waren erleichtert worden. Nun konnten sie stattdessen die Waren aus dem verlassenen Lager der Räuber bergen. Die Kopfgelder für die gefangene Jasmin und ihre Bande wären gewiss ebenfalls üppig.

Geld war wahrlich das einzige, was für dieses Volk zählte!

Die Karawane hatte für die Nacht in den Ruinen einer längst vergessenen Stadt halt gemacht. Die Überreste von Säulen alter Gebäude ragten aus dem Sand in den sternenklaren Himmel. Hier suchte Nebula sich einen einsamen Platz, an dem sie möglichst niemandem begegnete. Die Schande und die Schuld wegen des Kontrollverlustes und das einhergegangene Gemetzel waren nur schwer zu ertragen. In sich gekehrt, saß sie hockend, mit den Armen ihre Beine umfassend, auf einem verwitterten Steinaltar und reflektierte, was während des Kampfes passiert war. Sie schwor sich nie wieder die Kontrolle zu verlieren und dennoch war es geschehen und hatte Opfer eingefordert.

Plötzlich setzte sich jemand neben sie.

Es war Henrik.

“Was willst du hier?”, fragte sie ihn schroff und abweisend, wie immer.

“D-Dir Gesellschaft leisten”, antwortete dieser.

“Ich will allein sein!”

Henrik legte seinen Arm über Nebulas Schulter. “Du musst das n-nicht mit dir allein ausmachen! Wofür sind Freunde da?”

“Wo sind dann die anderen?”, fragte Nebula vorwurfsvoll.

“S-Sie dachten, es ist besser, wenn ich a-allein komme.”

“Bestimmt die Idee von Cerise. Weniger Kollateralschaden, wenn es schief geht.”

“H-Hör bitte damit auf! Ich mag das nicht, wenn d-du dich so darstellst.”

“Aber du hast es doch gesehen. Ich habe diese Männer getötet. Ich hatte richtig Spaß dabei! Und ich hätte gewiss auch die Frau getötet, wenn du mich nicht aufgehalten hättest. Manchmal frage ich mich, warum du nicht einfach abhaust.”

“W-Weil ich ein Idiot bin?”

“Allerdings! Du bist ein verdammter Idiot!” Peinlich berührt senkte Nebula den Kopf. “Das macht mich sehr froh!”, flüsterte sie ihm kaum hörbar zu.

“Was hast du gesagt?”

Plötzlich zuckte sie und ihr Haupt schoss empor. “G-Gar nichts!”

Beide sahen schweigend hinauf in den Himmel.

Die Magie der funkelnden Objekte oben am Himmel wirkte auf sie ein.

Jedes von Ihnen gewiss eine andere Welt mit ihren eigenen Problemen.

“Ich muss einen Weg finden, Caroline zu retten!”

Die Stille war einfach zu still. Sie musste etwas sagen, um sie zu brechen.

“W-Wir werden dir helfen!”, versicherte Henrik.

“Ich muss diesen Alaric finden und ihn noch mal umbringen!”

Einen Moment wagte keiner zu sprechen.

“Henrik?”, eröffnete Nebula nach der Pause.

“Ja?”, antwortete der Braunhaarige.

“Denkst du, dass wir jemals alle Teufelswaffen finden?”

“Bisher war unsere T-Trefferquote sehr gut.”

“Es gibt so unglaublich viele von ihnen. Fast so viele wie Sterne am Himmel. Wie soll man sie alle in einer Lebenszeit finden?”

“W-Wenn jemand das schafft, d-dann du!”

Die Worte des Jungen empfand sie - wie immer - als naiv. Wie konnte er so blind darauf vertrauen, dass sie eine solche Aufgabe meistern würde? Ihr fehlte die Fähigkeit, das gleiche Vertrauen aufzubringen, so viel stand fest. Allerdings war es auch das, was sie an ihm so liebte: Sein unbezwingbarer Optimismus. Das genaue Gegenteil von ihr. Ein Leuchtfeuer der Hoffnung in der Finsternis. Sichtbar, selbst wenn es unendlich weit entfernt war. Bei ihm konnte sie sich fallen lassen, in dem Wissen, dass er sie auffangen würde. So wie jetzt, könnte sie die ganze Nacht an seiner Seite zubringen…

Stiege ihr nicht etwas Unangenehmes in die Nase.

“Henrik?”

“Ja?”

“Geh dich waschen! Du stinkst!”

Erschrocken stellte Henrik fest, dass er seit Tagen schon im eigenen Saft schmorte. Er roch unter seiner Achsel, und für einen kurzen Moment wurde ihm schwindelig.

Sie hatte definitiv nicht übertrieben!
 

Im Schutz ihres Zeltes lagen Clay und Cerise brav beieinander unter ihrer gemeinsamen Decke. Bis jetzt hatte die Rothaarige noch keinerlei Anstalten gemacht, ihren Liebhaber zu verführen. Ein höchst seltsames Verhalten!

Dann rollte sie sich doch noch an den Prachtkörper des Schwarzhaarigen heran und streckte ihren rechten Arm über ihn.

Clay spürte ein angenehmes Schaudern durch seinen ganzen Körper fahren, als er Cerises Brust auf der eigenen fühlen konnte. Schlagartig stellten sich alle Härchen auf seiner Haut auf und es fiel ihm schwer, seine Instinkte im Zaum zu halten. Sie führten diese Beziehung - oder was auch immer das darstellen sollte - nun seit vielen vielen Wochen und waren in dieser Zeit weit herumgekommen, aber noch immer erregte es ihn wie am ersten Tag, sie bei sich zu spüren.

Weil ich einfach unwiderstehlich bin, täte sie bestimmt sagen.

Und damit hätte sie verdammt noch mal Recht!

Wüsste er es nicht besser, täte er fürchten, jeden Moment von ihrem unersättlichen Appetit verschlungen zu werden. Aber seine Werwolfsnase verriet ihm, dass sie ihn heute Nacht wohl nicht anrühren würde.

Cerise konnte Clays euphorische Reaktion auf ihre Annäherung deutlich fühlen. Es spornte sie an, ihn noch weiter zu reizen. “Oh, da unten freut sich etwas ganz besonders”, hauchte sie ihrem Liebhaber ins Ohr.

Ihr verheißungsvolles Flüstern machte es Clay nicht gerade leichter.

Das Raubtier zwischen seinen Schenkeln verlangte immer eindringlicher nach Fütterung.

“Habt Ihr es Euch anders überlegt?”, erkundigte sich Clay, während er versuchte, den sich aufbauenden Druck so gut es ging zu ignorieren. “Ich dachte, heute bleiben wir züchtig.”

“Ist es so ungewöhnlich, wenn ich Euch einfach nur nahe sein will?”, erwiderte Cerise.

“Also... na ja. Schon.”

“Ihr kleines sexbesessenes Wölfchen, Ihr!” Cerise begann ihr übliches Spiel auf seinem Oberkörper zu treiben. “Ihr denkt auch nur an das eine.” Auf einmal wanderte ihre Hand hinab unter die Decke, suchte und fand.

“Wir sollten uns in Eurem Zustand lieber voneinander fernhalten.” Dank seiner feinen Werwolfsnase war er in der Lage, ihre Situation genau zu erfassen.

“Zustand?!” Sie sah ihn unverständig an. “Ich bin doch nicht krank, ich habe nur meine Tage. Wiegt Ihr Euch deshalb etwa in Sicherheit?” Sie sah Clay voll des Verlangens an. Wie um ihre Aussage noch einmal dick zu unterstreichen, verschwand Cerise nun komplett unter der Decke und ließ ihre Magie auf Clays untere Hälfte einwirken.

Wenig später lagen sie wieder nebeneinander.

Clays Gesicht zierte ein zufriedenes Grinsen. “Das war fabelhaft!”, lobte er.

“Ich weiß”, kommentierte Cerise.

“Ihr wisst, wie man einen Mann glücklich machen kann.”

“Ich kann jeden glücklich machen.”

“Dennoch, eine Sache geht mir nicht aus dem Kopf.”

“Was?”, Cerise schreckte auf und wandte sich ihm zu, um ihn entgeistert anzustarren. “Während ich auf Euer Flöte spielte, wart Ihr noch imstande zu denken?” Sie ließ sich zurückfallen und seufzte dabei übertrieben theatralisch. “Irgendwas habe ich falsch gemacht...”

“Es hat nichts damit zu tun.”

“Wirklich? Na da bin ich aber beruhigt.”

“Es geht um diese Wüstenräuber. Erinnert Ihr Euch noch, was die Frau mit dem fliegenden Teppich sagte, als Nebula-”

“-ein Schlachtfest veranstaltet hat? Nein. Ich bitte um Entschuldigung, aber die Blut besudelten Leichen haben mich etwas abgelenkt.”

“Sie sprach davon, jemanden retten zu wollen. Ich frage mich, wen sie wohl meint.”

“Denkt doch nicht so viel nach!”

“Ich glaube, sie hat ganz andere Motive, als simple Habgier.”

“Das Grübeln muss Euch wirklich Spaß machen.”

Clay schlug die Decke zurück und erhob sich.

Cerise betrachtete seine splitterfasernackte Rückseite. “Wo wollt Ihr hin?”

“Da es sonst niemand tut, werde ich der Sache auf den Grund gehen.” Er war drauf und dran, sich zum Ausgang des Zeltes zu bewegen.

“Aber Ihr wollt Euch vorher schon noch etwas anziehen?”

Verdutzt sah Clay an sich herunter, als sei es ihm spontan entfallen, dass er nackt war.

“Ich habe kein Problem damit, wenn Ihr Euren Prachtkörper zur Schau stellt, doch die Wüstenbewohner könnte das verstören.”

Clay eilte sich, seine Scharm zu verhüllen, während Cerise belustigt kicherte.
 

Jasmin kämpfte immer noch mit der Fassung.

Diese Frau besaß eine Teufelswaffe, war also ebenso wie sie eine Waffenmeisterin. Aber diese Boshaftigkeit. Waren die Worte des alten Mannes am Ende doch keine Lüge gewesen? Große Macht kommt stets in Begleitung einer noch größeren Verantwortung. Während sie gefesselt in einem Zelt saß, hatte die Anführerin der Wüstenräuber viel Zeit zum Nachdenken. Seitdem sie Astarte ihr eigen nannte, entdeckte sie an sich Züge, die ihr nicht gefielen. Es war, als ob eine Finsternis langsam versuchte, sich ihrer zu bemächtigen. Würde sie eines Tages ebenfalls zu einem Dämon werden und sich nicht mehr unter Kontrolle haben? Das musste der Preis sein, von dem der Alte sprach.

Dabei wollte sie nichts weiter als Geld. Genug davon, damit sie Nael endlich wieder in ihre Arme schließen konnte. Doch es sah ganz so aus, als wäre der Wunsch, die eigene Familie zusammenzuführen, zu unverfroren.

Ganz in sich gekehrt, bemerkte Jasmin gar nicht, dass jemand das Zelt betrat.

“Ihr!”, sprach eine kräftige Stimme. “Jasmin!”

Überrascht sah die Frau in der schwarzen Abaya auf.

“Ich will mit Euch reden.”

Der bärtige Mann mit den pechschwarzen Haaren war einer von den Begleitern dieser Hexe. Was er im Schilde führen mochte? Skeptisch beäugte sie ihren Besucher.

“Fürchtet Euch nicht. Ich werde Euch nichts tun.”

Genauso wenig, wie seine Herrin den Wüstenräubern nichts getan hatte? Die verschleierte orientalische Schönheit glaubte ihm kein Wort.

“Ich weiß, dass Ihr Angst habt.”

“Gar nichts wisst Ihr!”, spie Jasmin aus.

“Vielleicht wollt Ihr mich erleuchten?”

“Welchen Unterschied würde das machen?”

“Ihr seid nicht einfach nur eine goldgierige Räuberin, nicht wahr?”

“Wie ich sagte, Ihr wisst gar nichts!” Wenn es ihr möglich wäre, hätte Jasmin längst Astarte herbeigerufen und mit ihm ihre Männer befreit. Doch irgendetwas schien dies zu unterbinden. Sie konnte ihre Waffe noch spüren. Noch akzeptierte sie sie als ihre Herrin. Dennoch verweigerte ihr die Teufelswaffe den Gehorsam. Lag es vielleicht daran, dass ihre Hände mit diesen merkwürdigen Schellen gefesselt waren? “Es geht immer nur ums Geld!”, stellte sie dem Schwarzhaarigen gegenüber klar. “Ich brauche Geld. Viel Geld! Aus diesem Grund überfalle ich Karawanen!”

“Weil Ihr ihn befreien wollt?”

Konsterniert weiteten sich Jasmins Augen.

“Voll ins Schwarze!”

Die Anführerin der Wüstenräuber schwieg.

“Ihr braucht das Geld, um jemanden freizukaufen?”

Dieser Mann verstand augenscheinlich die Gepflogenheiten des Kalifat, auch wenn er nicht so aussah, als ob er aus ihm stammte. “Und wenn dem so wäre?”

“Wer ist es? Ein Freund? Ein Liebhaber?”

“Mein kleiner Bruder. Und wenn schon? Ich habe versagt.”

“Vielleicht fangt Ihr erstmal ganz von vorn an…”
 

“Auf gar keinen Fall!” Nebula strafte ihren Begleiter mit einem vernichtenden Blick ab. “Wegen ihr ist Caroline wieder-” Sie deutete in entschiedenen aggressiven Gesten auf die gefesselte und zusätzlich von zwei Männern in Schach gehaltene Jasmin. “Sie war eben erst wieder aufgewacht!” Sie erhob ihre Stimme vor Hass glühendem Schrei. “Eigentlich sollte ich dieses Weibsstück gleich hier erschlagen!”

“Na los, macht schon!”, bot sich Jasmin an. “Ich habe sowieso nichts zu verlieren!” Sie neigte den Kopf zur Seite und bot ihren Nacken dar.

Nebula zog das Schwert an ihrem Bund und ging auf sie zu.

Die anderen hielten den Atem an.

Währenddessen erwartete Jasmin die Klinge.

Außer ihr, Nebula und Clay waren auch die übrigen Mitglieder der Kerngruppe anwesend. Während Henrik und Annemarie sich das Geschehen nicht antun konnten und wegsahen, schaute Cerise gebannt wie bei einer Theatervorführung zu. Sie fragte sich, ob die Prinzessin die Räuberin doch noch einen Kopf kürzer machen würde.

Nebulas Arm war angehoben und bereit zuzuschlagen.

Das blutige Schauspiel konnte seinen finalen Akt beginnen.

“Ach verdammt!”, brüllte die Blondine unverhofft und stieß ihre Waffe in den sandigen Untergrund. “Na schön. Ich höre zu.” Sie zog die Klinge wieder aus dem Boden und schob sie zurück in die Schwertscheide an ihrem Gürtel.

Erleichtert atmete Henrik auf.

Annemarie wunderte sich über die merkwürdigen Verrenkungen, welche er als nächstes vollführte. Es wirkte auf sie, als wolle Henrik prüfen, dass er sich nicht aus Versehen in die Hosen gemacht hatte. Es verleitete sie zum kichern.

Augenblicklich stellte Henrik seine Bewegungen ein.
 

🌢
 

Fünf Jahre zuvor.

Völlig außer Atem kam Jasmin mit einem Laib Brot in der Hand in ihrem Versteck und dem ihres kleinen Bruders Nael an. Seit Tagen schon hatten sie nichts mehr richtiges gegessen. Der kleine Junge war alles, was von ihrer Familie noch übrig war. Darum ging Jasmin jedes Risiko ein, damit er am Leben blieb. Jemanden in Yjasul zu bestehlen, zog selbst bei kleinsten Schadenssummen exorbitante Bestrafungen nach sich. Einem Brotdieb täte man die Hand abschlagen. Jasmin hatte schon von einer besonders kreativen Bestrafung gehört, wo der Täter in Mehl paniert und anschließend gebacken wurde. Beim Geld verstand man im Kalifat keinen Spaß.

Aber sie würde man nicht erwischen. Sie war immer vorsichtig.

Nael war bereits sehr geschwächt. Als er seine Schwester ihr schmutziges Versteck irgendwo in der Kanalisation von Madiya mit dem gestohlenen Lebensmittel in Händen betreten sah, kehrten seine Lebensgeister zurück und er sprang auf und lief Jasmin entgegen. Eine liebevolle, doch kraftlose Umarmung folgte.

Jasmin legte den Laib Brot neben sich auf dem Boden ab und erwiderte Naels Zuneigungsbekundung.

Diese Existenz musste eine Strafe des Schicksals sein!

Früher lebten sie in einem prachtvollen Anwesen. Jasmin und Nael hatten liebevolle und wohlhabende Eltern. Der Vater erwirtschaftete horrende Gewinne mit seinen Geschäften und die Mutter war so liebevoll, wie es sich nur wenige vorstellen konnten. Leben war der reinste Luxus. Sie schlemmten wie die Maden im Speck und kleideten sich in den feinsten Gewändern. Bald prachtvoller als die des Kalifen selbst. Doch eines Tages endete das glückliche Leben abrupt, als der Vater von einem noch reicheren Mann aus dem Geschäft gedrängt wurde und alles verlor. Nie kam er über diesen schweren Schlag hinweg und starb nur wenige Monate nach der feindlichen Übernahme. Die Mutter versuchte anschließend, einen neuen Mann zu finden. Als das nicht funktionierte, war sie für ihre Kinder bereit, sich selbst und den verbleibenden Rest ihres Stolzes zu verkaufen. Dies brachte ihr kaum einen Denar ein. Stattdessen erkrankte sie an einer Geschlechtskrankheit, die sie langsam aber sicher dahin raffte.

Seitdem war es an Jasmin, ihren Bruder durchzubringen.

Niemals würde sie den Weg einschlagen, den ihre Mutter gegangen war.

Da riskierte sie lieber Gliedmaßen beim Essensdiebstahl!

Solange sie es hierher zurück schaffte, in die muffigen, stinkenden und rattenversäuchten Abwasserkanäle der Stadt, war sie sicher. In diesen Katakomben würde sie niemals jemand finden. Zu ihrem Glück stimmte es tatsächlich, dass sich die menschliche Nase mit der Zeit an jeden noch so abscheulichen Geruch gewöhnte.

Später überließ Jasmin ihrem kleinen Bruder das gesamte Brot. Er wollte mit ihr teilen, doch sie behauptete, schon gegessen zu haben. Natürlich war das die Unwahrheit und der Hunger brachte sie bald um, doch Nael hatte das Brot nötiger als sie. Es war ihr Verzicht, der ihrem Bruder das Leben rettete.
 

Einige Zeit zog ins Land.

Besorgt erwachte Nael aus einem bösen Traum.

Schnell überzeugte er sich davon, dass es nur ein Streich seines Unterbewusstseins war.

Jasmin lag noch immer auf der alten, verranzten Matte.

Ihr ging es den Umständen entsprechend gut.

Schon seit Tagen konnte seine Schwester nicht mehr aufstehen. Das Leben im Dreck forderte letztendlich seinen Preis, als eine Infektion begann das Mädchen von Innen heraus aufzufressen. Sie schwitzte unaufhörlich, sodass er gar nicht mehr hinterher kam, Wasser für den Verzehr abzukochen. Das Fieber wollte einfach nicht mehr runter gehen. Bald schon würde sie sterben. Nael wollte das nicht geschehen lassen. Immerhin war sie seine Schwester. Ohne sie wäre er schon längst nicht mehr am Leben.

Für den Anfang musste es jedoch genügen, an ihrer statt das Essen anderer zu stehlen.

Er begab sich auf den Markt.

Ein kleiner Junge zwischen unzähligen Erwachsenen.

Er war wie verloren.

Von allen Seiten schrien Männer und buhlten um Aufmerksamkeit für ihre Waren.

Da wusste man gar nicht, was man zuerst klauen sollte…

Um nicht endgültig in der Emersion dieser Kultstätte des ungehemmten Konsums unterzugehen, entschloss er sich, den Obstverkäufer am Rand zu bestehlen. Der Stand war relativ ungeschützt und die nahe Straße erlaubte Nael schnell zu entkommen und die Beute zurück ins Versteck zu bringen.

Während er sich seinem Ziel annäherte, überhörte er das Verkaufsgespräch eines Heilkundigen, welcher eine Tinktur anzupreisen versuchte, die jede Krankheit zu heilen vermochte. Wie hypnotisiert verwarf er sein Vorhaben und ging stattdessen zum Stand des Quacksalbers. Bei der Auflistung der Inhaltsstoffe würde sich einem Schulmediziner der Magen umdrehen und gleich im Anschluss außer Landes flüchten. Doch verzweifelte Menschen klammern sich an Illusionen, die ihnen Hoffnung versprechen. Selbst wenn es sich um den bis zur Nichtnachweisbarkeit verdünnten Urin eines Barbaren handelte, welcher es vermögen sollte, die Stärke in ausgelaugte Körper zurückzubringen.

“Gewiss vermag es meine Tinktur nicht, die Toten ins Leben zurück zu holen”, verkündete der Heiler mit stolzgeschwellter Brust. “Doch wer dem Tode nahe ist, wird neue Kraft schöpfen und dem Fährmann vom Boote springen!”

Eine korpulente, mittelalte Frau mit blauem Kopftuch ging in jenem Moment am Stand vorbei. “Alles Blödsinn”, murmelte sie in sich hinein.

Nael hingegen war angetan von der Idee, seiner Schwester auch endlich einmal helfen zu können. Auf der großen Abstellfläche des Standes befanden sich weitere Flaschen. Der Junge war groß genug diese zu erreichen, also überlegte er nicht weiter, schnappte sich eine der Flaschen und rannte davon, so schnell ihn seine Beine trugen.
 

Die grässlichen Halluzinationen ihres Fiebers quälten Jasmin. Unruhig wälzte sie sich auf dem Boden umher. Der Schmerz wollte einfach nicht nachlassen und ihr Körper glühte. Mit all dieser Hitze könnte man Eisen schmelzen.

Als Nael wiederkehrte, war sich die Kranke unschlüssig, ob sie wachte oder träumte.

Der Junge hockte sich neben ihr hin.

Er hielt eine Flasche in der Hand.

Jasmin wusste nicht, wie ihr geschah, als Nael begann, ihr den geschmacklosen Inhalt des Gefäßes einzuflößen.

“Du musst das trinken”, sagte ihr Bruder. “Dann wird es dir bald besser gehen!”

Sie hatte sowieso nicht die Kraft, sich ihm zu erwehren. Also ließ sie es über sich ergehen.

Die geleerte Flasche veranlasste Nael zu strahlen, in der Hoffnung endlich auch mal etwas für seine Schwester getan zu haben, welche andauernd Kopf und Kragen für sein Wohlergehen riskierte.

Trotz ihrer Schmerzen zwang sich das Mädchen zu lächeln.

Ein Moment der Stille folgte, indem beide ihre Sorgen kurz vergessen konnten.

Plötzlich vernahmen sie ein Poltern.

Einige Männer hatten die alte morsche Tür zu dem Abwassersystem aufgebrochen und stürmten nun in das Innere der Anlage. Es dauerte nicht lange, bis sie Jasmin und Nael ausfindig machten. Ihnen voran ging ausgerechnet der Quacksalber, den Nael vorhin bestohlen hatte. Sein Blick fiel auf die leere Flasche neben Jasmin. “Da ist der Rotzlöffel!” fluchte der Mann. Die anderen umzingelten Nael und nahmen ihm jede Möglichkeit zur Flucht. “Ergreift ihn!”

Als die Männer den Jungen packten, versuchte Jasmin aufzustehen und ihm zu helfen, aber in ihrem geschwächten Zustand wurde sie von einem der Männer brutal gegen eine Wand gestoßen und ging zu Boden. Sie konnte nur noch hilflos mit ansehen, wie ihr kleiner Bruder von den Leuten einfach so entführt wurde.

“Was machen wir mit ihr?”, fragte einer der Handlanger.

“Lasst sie liegen!”, befahl der bestohlene Heiler. “Die macht es sowieso nicht mehr lange!”

Daraufhin verließen sie die Kanalisation.
 

Bisher hatten ihr die Häuserwände als nötige Stützen gedient, während sie sich fiebrig durch die pralle Sonne quälte. Doch hier endeten die Außenbezirke von Mediya und gingen in ein schier endloses Meer aus Sand über. Bis hierher war Jasmin den Männern unter Einsatz all ihrer Kräfte gefolgt. Doch nun wusste sie nicht mehr weiter. Sie hatten aufgesessen auf ihren Kamelen und waren längst hinter den Dünen verschwunden. Einzig die Spuren im Sand wiesen noch den Weg zu ihnen.

Jasmin wusste, dass in der Richtung eine Oase lag.

Dort würden sie gewiss halt machen, bevor sie weiterreisten.

Sie musste es irgendwie vorher schaffen.

Ein kleiner Junge brachte auf dem Sklavenmarkt viel Geld ein. Vermutlich wollte der Quacksalber den Jungen in der nächsten Stadt verkaufen, in der er halt machen würde.

Das musste sie unbedingt verhindern.

Schritt um Schritt quälte sie sich voran.

Der heiße Feuerball am Himmel ließ ihr nicht die geringste Gnade zuteilwerden.

Krank, geschwächt und dehydriert, hatte sie dem nichts entgegenzusetzen.

Kaum zweihundert Meter von der Stadt entfernt, verließen sie endgültig ihre Kräfte und sie stürzte in den heißen Sand. Die Geier zogen schon ihre Kreise, als sich ein großer Schatten über Jasmins ausgelaugten Körper legte.
 

🌢
 

Zurück in der Gegenwart.

Die Gruppe lauschte aufmerksam den Ausführungen von Jasmin. Sie erzählte ihnen alles über ihre Vergangenheit und ließ dabei kein trauriges Detail aus. Henrik und Annemarie schauten merklich betroffen. “Das ist furchtbar”, meinte die kleine Rothaarige.

“Und derjenige, der Euch fand, war der alte Mann, von dem Ihr mir zuvor berichtet habt”, schlussfolgerte Clay.

“Ja”, antwortete die Wüstenräuberin. “Sein Name war Uthmann. Er fand mich fiebrig und halbtot in der Wüste und pflegte mich gesund. Als es mir besser ging, hat er mich ausgefragt und ich erzählte ihm alles. Daraufhin gab er mir Astarte.”

“Einfach so?”, zweifelte Nebula. “Er hat keine Gegenleistung verlangt?”

“Er war ein alter Mann”, meinte Clay. “An so etwas hat er gewiss nicht mehr gedacht.”

“D-Das habe ich nicht ge-gemeint!” Die Richtung, in die die Unterhaltung abdriftete, war der Prinzessin sichtlich unangenehm.

“Hat wohl keinen mehr hochbekommen”, befeuerte Cerise die Unterhaltung mit einem ihrer typisch unpassend sexualisierten Kommentare.

“V-Vielleicht sollten wir sie a-ausreden lassen”, schlug Henrik vor.

“Eine hervorragende Idee”, sagte Clay und sah Cerise belehrend an.

“Er sagte, der Teppich würde mir große Macht verleihen”, fuhr Jasmin fort. “Aber er würde einen Preis dafür verlangen. Inzwischen ist mir auch klar, was dieser Preis ist.” Sie schenkte Nebula einen verachtenden Blick.

Diese spürte eine Welle von Schuldgefühlen in sich aufsteigen.

“Ich bitte Euch, mir zu helfen.” Jasmin kniete vor der Gruppe nieder. “Bitte helft mir, meinen Bruder zu retten.”

“Zu blöd, dass das unser Blondchen entscheidet”, entgegnete Cerise. “Und die scheint Euch nicht besonders zu mögen.”

“Schweigt still, zynische Elfe!”, forderte Nebula. Sie konnte sich gut in Jasmin hineinversetzen. Auch sie würde alles tun, wenn sie damit ihrer Freundin helfen könnte. Vermutlich hätte sie an Jasmins Stelle genauso gehandelt. Wenn sie auf diese Weise wenigstens ein wenig Wiedergutmachung für ihren Amoklauf leisten könne, wollte sie diese Chance nicht verstreichen lassen. “Los, steht auf!”, forderte sie Jasmin auf. “Wir werden Euch helfen.” Sie sah zu ihren Leuten. "Irgendwelche Einwände?”

Augenscheinlich hatte niemand etwas dagegen.

“Wir helfen Euch, Nael zu finden.”

Die Räuberin in der schwarzen Abaya erhob sich. Skeptisch sah sie Nebula an. Sollte sie das Schicksal ihres kleinen Bruders in die Hände dieser Hexe legen?

Eine echte Wahl hatte sie nicht…
 

Der nächste Tag brach heran.

Nebula sah es als ihre Pflicht an, den Anführer der Karawane von ihrem Vorhaben in Kenntnis zu setzen. Schließlich hatte sie beschlossen, dass sie Jasmin helfen würden. Sie besuchte ihn in seinem Zelt und berichtete ihm in Kürze, was Jasmin ihnen gesagt hatte. Während er der Nacherzählung der Lebensgeschichte der Räuberin lauschte, geschah etwas in seinem Gesicht. Der alte Geldsack wurde doch nicht etwa sentimental?

“Ihr wollt also dieser kleinen Räuberin bei der Familienzusammenführung helfen?”, fragte der Anführer mit leichter Verärgerung in der Stimme.

Dass dieser Achmet das nicht erbaulich finden würde, war beinahe schon klar. Immerhin haben die Wüstenräuber seit Jahren Karawanen geplündert. Doch seine gekünzelte Wut konnte niemanden täuschen.

“Wir sind alle Opfer der Umstände”, entgegnete Nebula eloquent.

“Nun, Ihr seid unsere zahlenden Gäste”, erörterte der Turbanträger. “Ihr und Euer Gefolge könnt tun und lassen, was Ihr wollt. Aber wir müssen unseren Termin einhalten. Wir können nicht auf Euch warten.”

“Das ist mir klar.”

“Ich werde Euch das Schreiben Tariks wieder aushändigen. Er ist ein Mann mit großem Einfluss. Seine Befehle sollten Euch problemlos in einer anderen Karawane unterbringen.”

“Ich danke Euch.”

“Wofür?”

“Dafür, dass Ihr auf die Kopfgelder verzichten wollt.”

Achmet lachte und hielt sich dabei den Bauch. “Wisst Ihr, welche Schätze wir im Versteck der Räuber fanden? Da brauche ich nicht auch noch das Kopfgeld.”

Als ob!

Wenn Nebula etwas begriffen hatte, dann dass die Händler aus Yjasul für noch mehr Gold sogar ihre Mutter an den meistbietenden Sklavenhändler verkaufen würden. Es war viel wahrscheinlicher, dass Achmet Mitleid mit Jasmin und Nael hatte. Manchmal besiegte selbst hier die Menschlichkeit den Mammon.

“Wenn Ihr das so seht, mein Herr”, ging sie auf ihn ein.

“Und nehmt diesen Blonden mit Euch!”, forderte der Karawanenführer. “Er belästigt andauernd die Tänzerinnen und setzt ihnen Flausen in den Kopf. Das sieht unser Kunde gar nicht gern. Er hat brave Mädchen bestellt!”

Dass die Karawane selbst Sklaven mit sich führte, gefiel Nebula nicht. Allerdings musste man seine Schlachten weise wählen. Es stand nicht in ihrer Macht, eine gesellschaftliche Revolution anzuzetteln. Nebula wusste nicht, was sie Achmet versprechen konnte. Schließlich unterstand Toshiro ihr nicht. Andererseits auch keiner von ihren übrigen Begleitern. Sie gingen nur zufällig gemeinsamen Zielen nach. “Seine… Freundin muss ihre Verletzungen auskurieren. Er wird in der Oase bleiben müssen, wenn Ihr aufbrecht.”

“Bei Yasaars goldenem Obstteller! Welch eine Erleichterung!” Die Freude veranlasste Achmet, ein Stoßgebet zum legendären ersten Kalifen auszurufen. Toshiro musste ihm wahrlich eine Plage sein. Daraufhin ging er an eine seiner Taschen und übergab Nebula das Schreiben von Tarik. “Hier.”

Nebula nahm das Dokument an sich.

“Geht nun, und nehmt diesen Strauchdieb mit Euch! Wir werden im Laufe des Tages nach Argentoile aufbrechen. Die nächste Karawane sollte in ein paar Wochen hier eintreffen.” Daraufhin wandte sich der Turbanträger ab und signalisierte Nebula, dass sie gehen solle.

Die Blondine kam der stillen Aufforderung nach.

“Viel Glück bei der Suche”, wünschte Achmet, als Nebula gerade das Zelt verließ.

Sie nahm es lächelnd zur Kenntnis.
 

Wenig später hatte sich die Gruppe vor dem Zelt von Toshiro und Aki versammelt. Nebula war gerade dabei, ihrem Gefolge die Abmachung mit dem Karawanenführer zu erläutern, als der blonde Fremdling aus der provisorischen Behausung heraus trat. Zuvor salbte er die Wunden seiner Leibwächterin. Immerhin schien es zu helfen. Akis Zustand verbesserte sich von Tag zu Tag immer mehr. Sicher könnten sie bald ihre Suche nach Verbündeten für den Krieg gegen den Hojo-Clan fortsetzen. Auch Jasmin und die überlebenden Räuber waren anwesend. Man hatte sie, wie versprochen, freigelassen. Allerdings waren die Männer allesamt unbewaffnet.

“Die Karawane wird ohne uns weiterreisen", endete Nebula.

“U-Und wir gehen dann n-nach M-Ma-Madiya?”, fragte Henrik.

Nebula übergab das Wort an Jasmin.

“Mein Bruder wurde an Emir Jamal verkauft”, erklärte die Räuberin. “Wo Nael ist, fand ich schnell heraus. Aber ich konnte nicht einfach in die Stadt einmarschieren, alles kurz und klein schlagen und ihn mitnehmen.”

“Es war einfacher, das bei den Karawanen zu tun”, kommentierte Toshiro.

Jasmin ärgerte seine Aussage. Weil er Recht hatte. Aber es war notwendig, um Gold anzuhäufen. Da biss die Maus keinen Faden ab!

“Auf nach Madiya!”, jubelte Annemarie und riss die geballte Faust gen Himmel.

Clay nahm alles mit der üblichen stoischen Ruhe zur Kenntnis.

“Wir werden Gold brauchen, wenn wir es mit dem Emir zu tun haben”, stellte Cerise fest. “Diese Verwalter unterstehen nur dem Kalifen. Das sind zumeist die reichsten Geldsäcke in den Städten, die sie beherrschen.”

“Leider haben die Händler nun all mein Diebesgut”, meinte Jasmin. “Damit wollte ich Nael freikaufen.”

“Wir brauchen einen Weg, schnell Gold zu machen”, schlussfolgerte Nebula.

“Wir könnten das nervige Gör verschachern”, witzelte Cerise.

“Du bist gemein!”, beschwerte sich Annemarie.

“Madiya ist eine Gladiatorenstadt”, erklärte Jasmin. “Am schnellsten verdient man, indem man auf Schaukämpfe setzt.”

“Bringen die sich da g-gegenseitig um?”, fragte Henrik.

“Quatsch”, meinte Cerise. “Das wäre nicht kosteneffizient. Einen Gladiator auszubilden kostet haufenweise Geld. Und das ist denen heilig.”

Der Braunhaarige atmete auf.

“Außer dem Publikum war langweilig. Dann geht der Daumen runter. Wenn sie was nicht leiden können, dann für eine Dienstleistung zu zahlen, die nicht hält, was sie verspricht.”

Und da war sie hin, die Erleichterung.

“Man müsste wissen, wer gewinnt”, ermahnte Jasmin.

Nebula ließ die Fingerknöchel knacken. “Kein Problem.”

Nichts gefiele Toshiro mehr, als selbst in diese Stadt zu reisen. Er könnte sich im Kampf mit starken Kriegern messen und vielleicht noch mehr Verbündete finden. Und eine großartige Show abzuziehen, sodass kein Auge trocken blieb, gehörte zu seinen Spezialitäten. Aber er konnte Aki hier nicht zurücklassen!

“Als freier Gladiator braucht Ihr eine Lizenz”, dämpfte Jasmin den Eifer der Prinzessin. “Das heißt: jahrelange Ausbildung in einer Gladiatorenschule. Habt Ihr so viel Geduld? Es wird einfacher sein, einen Gladiator anzuheuern.”

“Willst du, dass etwas richtig gemacht wird, musst du es selber machen”, gab Nebula von sich selbst überzeugt Contra. “Das wird sich schon beschleunigen lassen.”

“Sobald es Aki besser geht, werde ich Euch unterstützen”, versicherte Toshiro.

“Nett gemeint, aber unnötig”, schlug Nebula sein Angebot aus. Sie wollte kein Risiko eingehen. Und dieser Junge mit seinen seltsamen Zauberkräften stank förmlich danach.
 

Der Weg in die Stadt der Gladiatoren führte die Gruppe durch die heiße Wüste. Tagsüber brannte die Sonne so unerbittlich vom Himmel, dass man hätte glauben können, sich inmitten des Elendsschlunds, dem großen Vulkan im Herzen Aschfeuers, zu befinden. Die aufsteigende Warmluft flimmerte und schuf Illusionen, während sie sich gen Himmel erhob. Wer hier noch glaubte, seinen Augen trauen zu können, den würde der Tod eines Besseren belehren. Fata Morganas von mutmaßlichen Oasen waren an der Tagesordnung.

Einzig durch die Führung von Jasmin gelang es Nebula und ihren Mitstreitern, den direkten Weg durch das glühende Sandmeer zu meistern.

Nach dem zweiten Tage ihrer Reise ließ sich Nebula endlich darauf ein, ein Kopftuch als Schutz gegen die Sonne zu tragen. Und am vierten Tag erschienen die Silhouetten von Madiya am Horizont. Und es handelte sich dieses Mal definitiv nicht um eine Illusion.
 

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Als Erstes sahen sie sich nach einer Bleibe um, als sie Madiya erreichten. Yasmins Männer waren nicht mit in die Stadt gekommen, da die Befürchtung bestand, als zu große Gruppe zu viel Aufmerksamkeit anzuziehen. Die Unterkunft, in der das Sechsergespann letztlich abstieg, war das Beste, was man in dieser reichen Stadt für kleines Geld bekommen konnte. Eine einfache Lehmhütte, an deren Seiten typisch für die gängige Architektur des Kalifat Holzbalken aus dem Mauerwerk herausragten. Die Ziegel, aus denen das Gebäude bestand, waren nicht gebrannt, sondern nur in der Sonne getrocknet. Bei den Temperaturen hielten solche Konstrukte dennoch für Millennien, wie die Ruinen in der Oase zuvor schon eindrucksvoll bewiesen hatten, und boten eine bessere Kühlwirkung.

Alsbald machte sich Nebula auf die Suche nach einer Schaukampfschule, um möglichst schnell ihren Gladiatorenschein zu machen.

“Ich habe bereits einen Gladiatorenschein”, hatte Cerise gesagt.

Aber Nebula wollte das nicht in ihre Hände abgeben. Zum einen, weil sie zutiefst Reuhe für den Mord an einigen von Jasmins Männern empfand und selbst etwas tun wollte, um es wenigstens ein wenig wieder gut zu machen, indem sie Nael freikaufte. Und zum anderen, weil die Schmach damals beim Training gegen Cerise verloren zu haben immer noch tief saß. Sie wollte sich selbst beweisen, dass sie besser geworden war, indem sie die Arena von Madiya ohne ihre Waffen gewann.

Wie zum Teufel hat sie den Schein bekommen, fragte sich Nebula zornig, als sie eine Schule nach der anderen ablehnte, weil sie eine Frau war. Das hatten sie zwar nicht gesagt, aber ganz bestimmt gedacht. Diese patriarchalischen Kapitalistenschweine!

Bei der letzten Schule, bei der sie es versuchte, hatte sie dann endlich Erfolg. Sie traute ihren Augen bald nicht, als sich eine annähernd zwei Meter große Frau mit dunkelblonden Haaren, gigantischen Muskelbergen und einem Holzbein vor ihr aufbaute. Nebula hätte sie bald für einen Mann gehalten, hätte sie keine Brüste gehabt, so stattlich war sie. Das Eisvolk aus dem Norden war das einzige, das solche riesigen Frauen hervorbringen konnte. Was machte eine Barbarin aus Frys in der Wüste?

Die Frau stellte sich als Lykke vor.

Nebula schilderte ihr Anliegen und wieso sie unbedingt ihren Schein machen musste.

“Du Mädchen willst also Gladiatorin werden?”, hakte Lykke skeptisch nach.

“Traut Ihr mir das nicht zu?”, zischte die kleine Blondine der großen aggressiv entgegen.

“Ich verstehe dich, Mädchen. Nur weil ich größer bin als jeder Mann hier, hatte ich es trotzdem nie leicht. Hier ist es nicht so wie bei den Clans. Das hier ist eine Männergesellschaft, in der du nicht ernst genommen wirst, wenn du eine Frau bist. Außer du hast Geld. Geld ist der einzige Gleichmacher, den es gibt.” Die Barbarin atmete durch. “Dennoch musst du eine Aufnahmeprüfung ablegen.”

“Dann prüft mich!”, forderte Nebula.

“Hast du das Ding hier übersehen?”, fragte Lykke und deutete auf ihre Prothese. “Ich bilde nur noch aus. Ich kämpfe nicht mehr, seitdem ich mein Bein an eine Entzündung verlor. Du wirst stattdessen gegen eine alte Schülerin von mir antreten. Wie es der Zufall will, ist sie auch gerade in der Stadt.”

“Die soll nur kommen!”
 

Eine halbe Stunde später fand der Kampf bereits statt. Nebula stand einer vollständig verschleierten Frau gegenüber. Einzig ihre Augen schauten noch unter der weißen Abaya und den Tüchern hervor. Sie wurde aus ihrer Erscheinung nicht schlau. Irgend etwas kam ihr an dem Weibsbild bekannt vor.

“Ihr kämpft mit Übungswaffen”, erklärte Lykke, während sie zwischen den Kontrahenten stand. “Ziel des Kampfes ist es, den Gegner aus dem Kreis zu drängen. Solange niemand den anderen verstümmelt oder umbringt, ist alles erlaubt.” Sie reichte beiden jeweils einen Speer mit stumpfer Spitze. “Ihr benutzt Speere, da Amira damit noch nie gut umgehen konnte.” Lykke klopfte der Vermummten auf die Schulter. Scheinbar konnte sie es nicht lassen, ihren Schülern etwas beibringen zu wollen, selbst wenn sie ausgelernt hatten.

Nebula führte ihre Waffe, wie sie es damals vom Kommandanten der Armee von Morgenstern gelehrt bekam. Den Speer fest in beide Händen und die Arme soweit auseinander, dass ein gutes Stück Stange zwischen den Händen lag. Ihre Knie hielt sie locker und ihr Gewicht verlagerte sie auf das zurückgestellte rechte Bein. Die Grundstellung, welche sowohl Angriff als auch Verteidigung ermöglichte.

Amira war sichtlich unwohl mit ihrer Waffe und sie versuchte, den Kampf so schnell wie möglich zu entscheiden.

Nebula ließ sich jedoch nicht einfach aus dem Ring drängen und erwiderte den Angriff.

Amira konterte, indem sie wie wild um die Blondine herum wirbelte und mit der Speerstange auf ihren Rücken schlug.

Fast hätte sie das Gleichgewicht verloren und wäre über die Linie gestolpert. Aber Nebula gelang es, dieses Schicksal abzuwenden.

Im darauf folgenden Gerangel schienen sich die Kontrahentinnen immer weiter zu verknoten und ihre Speere ineinander zu verhaken. Jedem Zuschauer war sofort klar, dass es sich auch bei der Neuen um eine erfahrene Kämpferin handelte, die keines Wegs eine Ausbildung brauchte.

Mit einer wuchtigen Bewegung brachte Amira Nebula zu Fall. Allerdings befand sie sich noch immer im Ring und der Kampf war noch nicht vorbei!

Nebula griff zu den unfairen Mitteln aus ihrer Trickkiste und nahm schnell eine Hand voll Sand und warf sie ihrer Gegnerin ins Gesicht. Nicht die feine englische Art, aber nach Aussage von Lykke nicht verboten.

Kurzzeitig der Sicht beraubt, gelang es Amira nicht, den folgenden Angriff abzuwehren. Nebula schlug ihr den Speer aus der Hand und setzte ihren Körper ein, um ihre Kontrahentin zu besiegen. Aber Amira stieß Nebula zurück, sodass sie abermals auf dem Gesäß aufkam.

“Stop!”, befahl Lykke. “Der Kampf ist vorbei!” Sie trat in den Kreis hinein, während Amira sich noch den Sand aus den Augen pulte. “Die Neue hat gewonnen.”

Schockiert blickte Amira auf ihre Füße und bemerkte, dass sich der Linke hinter der Linie befand und sie tatsächlich verloren hatte. Sie trug es mit Fassung und verneigte sich vor Nebula. Danach verließ die den Kampfplatz und verschwand in einer Tür des Schaukampfschulgebäudes.

Unterdessen war Nebula wieder aufgestanden.

“Glückwunsch, du hast bestanden”, verkündete Lykke.
 

Nachdem Nebula jeden anderen Schüler, der es wagte, auch noch besiegt hatte, waren sich alle einig, dass man ihr nichts mehr beibringen konnte. Würde es nur nach Lykke gehen, hätte sie Nebula den Gladiatorenschein sofort ausgestellt, aber sie wollte Vorwürfe vermeiden, sie würde sie bevorzugen, weil sie beide Frauen waren. Darum mussten zuerst alle möglichen Zweifler zum Schweigen gebracht werden. Nichtsdestotrotz freute es die Barbarin, endlich wieder einer Frau in die Arena und zu Ruhm und Gold zu verhelfen. Natürlich plante sie, den großen Kämpfen von Nebula beizuwohnen.
 

Jeder neue Gladiator musste allerdings klein anfangen. Man konnte nicht einfach seinen Schein vorzeigen und wurde in die große Arena von Madiya hereingelassen. Das musste auch Nebula erfahren. Auch für sie begann ihre “Karriere” in kleineren Hinterhofringen, wo man sein Teil des Preisgeld zuerst einzahlen musste, bevor man es nach einem Sieg zusammen mit dem Preis des Gegners wiederbekam. Glücklicherweise war gegen die Blondine kein Kraut gewachsen. Innerhalb einer Woche sprach sich das Gerücht einer neuen starken Gladiatorin herum und Nebula bekam Zutritt zu den größeren Arenen, die man gewinnen musste, um sich das Privileg zu verdienen, in der Al Muluk zu kämpfen. Mit der Zeit begriff Nebula, dass es dem Publikum dabei egal war, wie ernsthaft die Auseinandersetzungen waren, wenn sie nur genug unterhielten. Teilweise spielte sie mit ihren Gegnern wie eine Raubkatze mit ihrer Beute.

Beim Publikum kam das besonders gut an.

Eine weitere Woche später hatte Nebula einen ansehnlichen Schatz an Preisgeldern angesammelt. Genug Gold, damit Jasmin ihren Bruder Nael zurückkaufen könne. Es wurde beschlossen, dem Emir Jamal beim nächsten großen Arenakampf ein Angebot zu machen, welches er niemals ablehnen könnte.

Die Gerüchte um die ausländische Frau, welche alle Männer in den Schatten stellte, hatten schlussendlich auch das Ohr des Emirs erreicht. Voller Neugier saß er auf einem vergoldeten Thron in seiner Loge, dessen Pracht bestimmt den Kalifen höchst persönlich mit Neid erfüllen würde. Ja, er war reich! Verdammt reich! Und Jamal sparte nicht damit, anderen seinen Reichtum unter die Nase zu reiben. Er glaubte, dass er dank seines Geldes alles haben konnte, was er begehrte. Und nichts begehrte er mehr, als exotische Schönheiten für seinen Harem zu rekrutieren.

Nachdem das Publikum mit einem Gruppenkampf angeheizt wurde, welcher nach Punkten entschieden wurde, war es an der Zeit für das Hauptereignis des Tages. Die Sonne errötete vor Vorfreude und erzeugte lange Schatten im abendlichen Licht. Es setzte die Szenerie für Nebula, den aktuellen Champion von Al Muluk, der Arena der Könige, herauszufordern. Ein Mann namens Hassan, der bisher ungeschlagen war.

Es war an der Zeit, dies zu ändern!

Der imposante Krieger stand ihr nun gegenüber.

Er war bekannt dafür, niemanden an sich heranzulassen. Die Waffe seiner Wahl war der Dreizack. Auch wenn in keiner offiziellen Arena bis zum Tod gekämpft wurde, waren die Waffen hier keine Spielzeuge. Trotz der Potenz ihrer Selbstheilungskräfte wollte Nebula keine Verletzungen riskieren und wählte einen Rundschild und einen Kolben als Ausrüstung. Auch dieser Kampf würde nach Punkten entschieden und sich über fünf Runden erstrecken. Derjenige, welcher zuerst drei von ihnen für sich entschied, würde der Sieger sein. Nebula war bereit, sich ihrem Gegner zu stellen.

Bald zeigte sich, Hassan machte seinem Ruf alle Ehre. Er war wahrhaft meisterlich darin, seine Gegner auf Abstand zu halten, bis sie mit ihrer Ausdauer am Ende waren.

So war die Situation wenig verwunderlich, in der sich Nebula bald befand. Zwei Runden konnte sie für sich entscheiden. Aber Zwei gingen an Hassan. So sollte sich alles in der fünften und letzten Runde entscheiden.

“S-Sie wird es doch h-hoffentlich schaffen”, sorgte sich Henrik.

“Alles andere würde keine gute Geschichte abgeben”, kommentierte Cerise.

“Es ist mein Bruder, um den es hier geht!”, erinnerte Jasmin.

Gerade als der Kampf nach einer kurzen Pause fortgesetzt werden sollte, erhob sich der Emir von seinem Thron. “Haltet ein!”, befahl er. Lang genug hatte er Nebula zugesehen. Sie war in der Tat so bemerkenswert, wie die Gerüchte versprachen. Er wollte diese exotische Schönheit in seinem Harem wissen, koste es was es wolle.

Perplex sahen beide Kämpfer zu ihm auf.

“Kriegerin aus dem Westen, Ihr müsst nicht länger in der Arena nach Gold suchen”, verkündete Jamal. “Ihr habt bereits meine volle Aufmerksamkeit erlangt! Ich biete Euch alles Gold der Welt, wenn Ihr meine Hauptfrau werdet.”

Nebula traute ihren Ohren nicht. Zwar hatte sie die ganze Zeit seine Blicke gespürt, doch das war jetzt echt die Höhe! Wutentbrannt schleuderte sie ihren Schild wie einen Diskus, sodass er sich über dem Kopf des Emirs in die Wand bohrte und Lehmstaub auf sein Haupt rieseln ließ. Der Statthalter zuckte zusammen. “Was fällt Euch ein?!”, schäumte sie. “Denkt Ihr, ich sei eine Ware, über die Ihr verfügen könnt, weil Ihr im Gold schwimmt?”

Auch Hassan war nicht besonders begeistert vom Lauf der Dinge und stieß seinen Dreizack in den Sand.

Das Publikum schwieg angesichts des präzisen Wurfs der Gladiatorin.

Hastig kehrte ein Diener den Schmutz vom Kopf seines Herren. Dieser wollte die Vorstellung, die schöne Frau aus dem Westen sein Eigen zu nennen, noch nicht aufgeben. “Ihr wollt kämpfen, Ihr sollt kämpfen”, sprach der Emir. “Machen wir die Sache mit einer Wette interessanter. Solltet Ihr gewinnen, dürft Ihr Euch alles von mir wünschen. Aber wenn Ihr verliert, dann sollt Ihr meine Hauptfrau werden.”

“Darauf gehe ich nicht ein!”, verweigerte sich Nebula.

“Ich bin der Statthalter! Mein Wort ist Gesetz! Gehorcht, oder verrottet im Kerker!”

“Gebt Acht, dass Ihr nicht Euren Arsch verwettet!”

Eine schrie von den Zuschauerrängen herab. “Ich gehe die Wette für sie ein!” Jasmin erhob sich aus der Menge. Ihre schwarze Abaya wehte im Wind. Mit einem Handgriff entfernte sie Schleier und Kopfbedeckung und enthüllte zum ersten Mal ihr bisher verborgenes Äußeres. Sie hatte langes schwarzes, seidiges Haar und makellose Haut. “Und ich bin keinesfalls der Trostpreis!”, tönte sie stolz aus voller Kehle.

“So weit dürft Ihr nicht gehen”, versuchte Nebula, sie zur Räson zu bringen. “Dieser Preis ist zu hoch!”

“Haltet die Klappe und tut einfach, was Ihr am Besten könnt: Kämpfen.”

“Fein, ich bin einverstanden!”, akzeptierte der Emir. “Wenn die Kriegerin aus dem Westen verliert, sollt ihr meine Hauptfrau werden. Andernfalls habt ihr ein Wunsch frei.” Sein Blick fiel auf den verbeulten Ausrüstungsgegenstand, der noch immer über ihm in der Wand steckte. “Bringt der Blonden besser einen neuen Schild!”
 

Endlich läutete die Glocke zur letzten Runde.

Begleitet von einem dumpfen metallischen Schwingen, blockte Nebula den Stoß mit dem Dreizack ab. Die Schaukämpfe waren bisher nichts weiter gewesen als eben dies. Ein Unterhaltungsprogramm für dekadente Geldsäcke. Auch wenn ihre letzten Gegner keine unbedarften Tölpel waren, forderte sie erst der Kampf gegen Hassan wirklich heraus. Er besaß den Titel des Champion von Al Muluk zu Recht. Sie fürchtete, früher oder später in einem Moment der Unachtsamkeit ihre volle Stärke gegen ihn einzusetzen.

Weitere Stöße trafen den Schild, bis er nicht mehr an seine einst runde Form erinnerte.

Nebula entledigte sich ihm, da er sie nur behinderte.

Ohne den Schild konnte sie den Angriffen Hassans besser ausweichen.

Beinahe tänzelnd entging sie den Stößen des Dreizacks und das Publikum jubelte ihr zu. Das Spiel mit der Beute kannten sie bereits. Als sie genug vom Ausweichen hatte, packte sie Hassans Waffe und ließ sie nicht mehr los, egal wie sehr er sich anstrengte. Mit einem gezielten Faustschlag zerbrach die Blondine den Stiel.

Schockiert sah Hassan Nebula an.

Sie durfte ihn nicht kaputt machen. Von seiner Waffe war aber nie die Rede gewesen.

Hassan warf den nutzlos gewordenen Rest des Dreizack weg und ballte die Fäuste.

Nebula entledigte sich ihrerseits ihrer Waffe und spiegelte seine Pose.

Unter dem bebenden Jubel der Zuschauer stürzten sich die Kontrahenten aufeinander und trugen den Rest ihres Kampfes im unbewaffneten Zweikampf aus.

Hassan blockte Nebulas Schläge. Dieses Mädchen aus dem Westen besaß eine Kraft, die er noch bei keinem Gegner erlebt hatte. Und dazu war sie eine zierliche kleine Frau. Jeder Treffer fühlte sich an, als ob ihre Angriffe seine Arme in Schwingung versetzen würden. Die nächsten Wochen werden sie von Hämatomen übersät sein, wenn sie ihm nicht gar abfallen.

Zwischen ihren Angriffen ließ Nebula Hassan ungewollt ein Fenster für einen Konter, welcher prompt traf und ihr eine blutige Nase bescherte.

Hassan starrte irritiert auf die schwarze Flüssigkeit, die aus dem Riechorgan seiner Gegnerin austrat.

Nebula befühlte ihre Nase und sah das Blut an ihren Fingern. Sie fühlte einen Impuls von Wut in ihr aufsteigen und vergolt es Hassan, indem sie ebenfalls sein Gesicht malträtierte. Ihr Schlag hatte beinahe die Wucht einer Kanonenkugel und schickte den großen, kräftigen Kämpfer umgehend auf die metaphorischen Bretter.

Als Hassan nicht mehr aufstand, begann das Publikum zu jubeln.

Nebula spürte Befriedigung beim Anblick seiner gebrochenen Nase.

Derweil verkroch sich der Emir in seinem Thron, als hoffte er, nicht gesehen zu werden. Er wusste genau, was Nebulas Sieg für ihn bedeutete.

Ein triumphierendes Grinsen zierte Jasmins Visage.
 

Am darauffolgenden Tag.

Unter dem kühlen Luftstrom eines Palmenwedels lag die reichste Person der Stadt und empfing ihre Gäste.

“Wer hätte gedacht, d-das es so ausgeht?”, fragte Henrik in die Runde.

“Mein Sieg stand außer Frage”, stellte Nebula klar.

“Das könnte wohl jeder behaupten, der Normalsterbliche mit Teufelskräften aus den Latschen hauen kann”, stichelte Cerise.

“Das war… ein Unfall”, versicherte die Blondine.

“Ausreden!”

“Wie wäre es, wenn wir uns alle beruhigen?”, schlug Clay vor.

In jenem Moment stürmten zwei Kinder durch einen der Zugänge in den großen Empfangsraum hinein. Es handelte sich um einen schwarzhaarigen Jungen, etwa um die zehn Jahre alt. Begleitet wurde er von einem energiegeladenen Rotschopf. Von Annemarie. Sie hatte den Jungen sofort ins Herz geschlossen.

Der Junge rannte zu der Frau auf der exorbitanten Sitzgelegenheit in der Mitte des Raumes und ließ sich von ihr umarmen. Bei ihr handelte es sich um keine andere als Jasmin und der Junge war ihr verloren geglaubter Bruder Nael.

“Ich mag diese Fügung auch kaum glauben”, pflichtete Jasmin Henrik bei. “Oder was meint Ihr, mein treuer Sklave.” Sie richtete den Blick auf den Mann, welcher unermüdlich den Palmenwedel schwang.

Jamal unterdrückte ein wütendes Knurren. Vom Emir von Madiya zum persönlichen Diener dieses Weibsstück abzustürzen, war eine soziale Talfahrt, die er so schnell nicht verdauen würde. Eines Tages… Ja, eines Tages würde er sich zurückholen, was sein war!

Nach Nebulas Sieg forderte Jasmin ihren Preis ein und wünschte sich von Emir Jamal all seine Besitztümer zu übernehmen. Dies hatte nicht nur zur Folge, dass sie ihren Bruder befreite, sondern bedeutete für Jamal ebenso den Verlust all seiner Würden. Von einem Moment auf den anderen wurde er mittellos. Und dies nur, weil er das Denken dem Ding in seiner Hose überlassen hatte. Als Teil seiner Besitztümer gehörte Jasmin nun auch Nael, dem sie als erste Amtshandlung seine Freiheit zurückgab.

“Wird sie mit ihrer neuen Position klar kommen?”, fragte Clay. “Ich meine als Handlangerin des Kalifen.”

“Keine Frage!”, meinte Cerise. “Sie ist eine eiskalte Geschäftsfrau!”

Derweil trat Nebula an Jasmin heran.

“Ich weiß, dass ich dies hier auch Euch verdanke”, eröffnete die frisch gebackene Herrscherin über die Stadt der Gladiatoren. “Darum möchte ich Euch etwas überreichen.” Sie erhob die linke Hand. “Erhebe dich in die sieben Winde, Astarte!” Schwarze Luftverwirbelungen verdichteten sich zu einem Teppich, welcher vertikal schwebend zwischen ihr und Nebula in der Luft verharrte.

“Ist das Euer ernst?”, staunte Nebula. “Ihr wollt mir Astarte überlassen?”

“Ich brauche es nicht mehr”, erklärte Jasmin. “Bevor ich so werde wie Ihr, gebe ich es lieber an Euch weiter.” In ihrer Stimme klang der Groll über die Männer nach, die Nebula in einem Anfall von Zorn erschlug. “Ich verachte Euch mindestens so sehr, wie ich Euch dankbar bin.”

Nebula kommentierte es nicht und streckte die Hand nach Astarte aus.
 

Eine Frau mit schneeweißem Haar, gehüllt in ein scharlachrotes Kleid, wandelte barfuß über den kalten weißen Sand unter einer pechschwarzen Sonne. Der Hunger trieb sie voran. Sie spürte ihre Beute in jeder Faser ihres Körpers.

Irgendwo hier befand sie sich und beobachtete.

Der schrille Schrei eines Vogels durchdrang die Stille.

Die Frau sah in den Himmel und entdeckte, dass ein monströses geflügeltes Ungeheuer über ihr seine Bahnen zog. “Da bist du ja, Nummer 17”, flüsterte sie. Sie streckte die rechte Hand gen Himmel. Die Nägel ihrer Finger schossen wie Pfeile in die Luft und bohrten sich in den schwarzen Vogel. Getroffen stürzte er zu Boden und schlug mit einem lauten, dumpfen Knall auf dem Sand auf.

Zufrieden mit sich selbst grinste die Frau und trat an die zuckende, stark blutende Kreatur heran. “Wenn du dich wehrst, wird es nur noch schlimmer!”
 

Es dauerte nicht lange, bis Nebula die Teufelswaffe mit ihrer besonderen Fähigkeit ihrer Waffenkammer hinzugefügt hatte. Astarte bereitete ihr seltsamerweise weniger Probleme als alle bisherigen Teufelswaffen. Zwar wunderte sie es ein wenig, aber sie schloss, dass mit der Zeit eine gewisse Gewöhnung stattfand.

“Und jetzt wünsche ich, dass Ihr mir aus den Augen tretet”, setzte Jasmin fort.

Nebula kam der Aufforderung nach.

Annemarie rannte noch einmal zu Nael. Sie wollte sich von ihm verabschieden.

Der schwarzhaarige Junge umarmte das Mädchen.

Annemarie beantwortete es, indem sie Nael einen Kuss auf die Wange gab.

Die Geste ließ ihn erröten.

“A-Ach wie niedlich”, schwärmte Henrik.

Aber niemand ging darauf ein.

Ohne weitere Zeit zu vergeuden, packten Nebula und die anderen ihre sieben Sachen und machten sich auf den Weg zurück zur Oase.
 

Die Rückreise nahm erneut vier Tage in Anspruch.

Wenige Stunden nach ihrer Ankunft erreichte die nächste Karawane den Haltepunkt.

Sie hatten es gerade rechtzeitig zurück geschafft.

Nebula überreichte dem Anführer das von Tarik unterzeichnete Dokument. Er akzeptierte es ohne weitere Umschweife und die Gruppe hatte ihre Mitreisegelegenheit gesichert. Achmet wurde nicht Lügen gestraft.

Während Nebula und die anderen ihre Abenteuer in Madiya erlebten, kümmerte sich Toshiro weiter um Aki. Ihre Verletzungen waren weitestgehend verheilt und ein die Karawane begleitender Heiler bescheinigte ihr Reisetauglichkeit. Damit war es ihnen möglich, die Kerngruppe weiter zu begleiten.

Die Vorbereitungen für die Abreise liefen.

Nebula nutzte ihre übermenschliche Stärke und wuchtete Carolines Sarg auf den Wagen. Zuvor hatten sie sie bei Toshiro gelassen. Zwar war die Prinzessin skeptisch gewesen, aber Henrik überzeugte sie, dass der Fremde aus dem Osten gut auf sie aufpassen würde, da er sich auch so liebevoll um diese Aki kümmerte. Wahrscheinlich will der eine Perverse für den anderen einstehen, dachte sie, als sie den Sarg festzurrte. Das Toshiro sie beim Baden beobachtete, hatte sie noch nicht verwunden.

Derweil striegelte Clay seinen Schimmel - das musste auch mal wieder sein.

Cerise sah ihm dabei aufmerksam zu.

“Kein feuchtfröhlicher Kommentar von Euch?”, fragte Clay, während er den gröbsten Dreck mit der Bürste aus dem Fell seines Pferdes entfernte.

“Soll ich Euch fragen, wann Ihr gedenkt, mich ordentlich zu bürsten?”, kicherte Cerise. “Ich wusste es doch! Kleines, perverses Wölfchen.”

“Ich frage mich, wie lange Ihr Euren Teil in dem Abenteuer in Madiya noch geheim halten wollt”, enthüllte der Werwolf seine Gedankengänge.

“Ich sehe nicht ein, wieso ich deshalb einen meiner Decknamen offenlegen sollte”, meinte die Rothaarige daraufhin.

“Und ich dachte, Ihr brennt darauf, der Prinzessin unter die Nase zu reiben, dass ‘Amira’ sie nur gewinnen ließ.” Clay grinste verschmitzt, während er weiter die Bürste über das Fell bewegte. ”Außer Ihr habt sie gar nicht gewinnen lassen…”

Cerise näherte sich ihrem Liebhaber mit einladendem Hüftschwung, den er gewiss aus dem Augenwinkel sah, und schmiegte sich an ihn. “Das werden wir leider niemals erfahren”, hauchte sie ihm ins Ohr.

Nachdem alle ihre Vorbereitungen getroffen hatten, setzte sich die Karawane in Bewegung und die Reise nach Argentoile wurde aufgenommen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Familienzusammenführung war erfolgreich und Jasmin nun die neue Herrin von Madiya.
Ist ja fast wie im Märchen…
Natürlich hat niemand die Mission vergessen, wieso sie überhaupt auf dem Kontinent sind. Nächstes Mal wird die Geschichte aber dennoch an einem ganz anderen Ort spielen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Regina_Regenbogen
2022-12-23T21:47:10+00:00 23.12.2022 22:47
Ich mag deine Beschreibungen, ich kann mir das immer wunderbar vorstellen.

>“Ich will allein sein!”
>Henrik legte seinen Arm über Nebulas Schulter.
😍 Henrik! Ich bin so stolz auf dich!

>Manchmal frage ich mich, warum du nicht einfach abhaust.”
>“W-Weil ich ein Idiot bin?”
>“Allerdings! Du bist ein verdammter Idiot!” Peinlich berührt senkte Nebula den Kopf. “Das macht mich sehr froh!”,
>flüsterte sie ihm kaum hörbar zu.
Oooooooohhhh..... 🥰🥰🥰

>“Es gibt so unglaublich viele von ihnen. Fast so viele wie Sterne am Himmel. Wie soll man sie alle in einer Lebenszeit finden?”
>“W-Wenn jemand das schafft, d-dann du!”
Oh mein Gott, Henrik! Du bist so wunderbar!

Oooooh, Nebulas Gedanken. So süß. Sie hat so Recht! Henrik ist einfach ein solcher Schatz. 🥰
🤣 Haha, das Ende der Szene.

😂 Herrlich, dass Clay riecht, wann Cerise ihre Tage hat. Ergibt ja auch voll Sinn. Und es ist ein Gerücht, dass alle Frauen dann nicht intim werden wollen. Es ist sogar bei manchen Frauen das Gegenteil.

🤣 Ich liebe es, wie du von einem ernsten Thema zu Klamauk wechselst! Wie Clay einfach mal nicht checkt, dass er nackt ist.

>Wie es der Zufall will, ist sie auch gerade in der Stadt.”
Mir schwant Böses. 😂

>Die Sonne errötete vor Vorfreude
Geile Beschreibung. :D

Jasmin ist undankbar, auch wenn sie dankbar ist.

Oha, diese Weißhaarige klingt nach Ärger.

Das war wieder sehr spannend! Da konnte ich gar nicht kommentieren, weil ich mit Lesen beschäftigt war. Und sehr cooler Wunsch von Jasmin. Haha, und dass noch mal darauf hingewiesen wurde, dass Toshiro ein Spanner ist. Diese Männer. 😂
Danke für das schöne Kapitel. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. 😊



Antwort von:  totalwarANGEL
24.12.2022 02:21
> Oooooooohhhh.....
Ich weiß doch, was du lesen willst. 😅

> Oh mein Gott, Henrik! Du bist so wunderbar
Er ist doch der klassische Flachzangenprotagonist...
(Auch wenn ich darauf hinarbeite, dass alle Charaktere Protagonisten sind.)

> Herrlich, dass Clay riecht, wann Cerise ihre Tage hat. Ergibt ja auch voll Sinn.
Zumal er das schon mal bei Nebula gerochen hat. 😏
Ich bleibe nur meiner Lore treu...

> Jasmin ist undankbar, auch wenn sie dankbar ist.
Aber doch schon nachvollziehbar, oder?

> Oha, diese Weißhaarige klingt nach Ärger.
Wenn ich alles so umsetze, wie es mir momentan vorschwebt, dann ja. 😈

> Das war wieder sehr spannend! Da konnte ich gar nicht kommentieren, weil ich mit Lesen beschäftigt war.
Und dabei war es (fast) nur Füller. :D


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