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Balance Defenders

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel ist vergleichsweise lang und ich habe es auf den letzten Drücker noch mal ziemlich umgeschrieben, weshalb ich mir nicht sicher bin, ob es auf Dauer so bleiben wird wie es jetzt gerade ist. Aber da Freitag ist und ich mich an meinen Upload-Plan halten will, stelle ich es jetzt einfach mal so rein. ;) Komplett anzeigen

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Über Fallen

Über Fallen


 

„Die Schwierigkeiten wachsen,

je näher man dem Ziele kommt.“

(Johann Wolfgang von Goethe, dt. Dichter und Denker)
 

Ehe Secret sich der Situation überhaupt bewusst werden konnte, spürte er nur wenige Zentimeter neben sich einen brennend heißen Luftzug und erkannte, mehr unwillkürlich das riesige Einschlagloch mit dem noch qualmenden Geschoss in dem Boden neben ihm.

Die sechs rannten los.

Blindlings jagten sie durch den Meteoritenschauer, verschwendeten keinen Gedanken daran, dass sie dadurch noch mehr Fallen auslösten, und wurden von einer erneuten Salve flammender Gesteinsbrocken bombardiert. In ihren Ohren dröhnte das alles übertönende Pfeifen, das üblicherweise den Abwurf von Bomben untermalt. Die Luft war verpestet von Schwefelgestank.

Sie hasteten, stolperten, rannten weiter.

Vor Justins Füßen tat sich eine Falltür auf, durch die er in ein Dutzend metallener Spieße gestürzt wäre, hätte er nicht im letzten Moment einen Sprung nach links gemacht. Genau in diesem Moment schwenkte das Labyrinth nach rechts.

Justin schaffte es nicht, das Gleichgewicht zu halten. Sein Oberkörper schwebte über dem Loch, dann verlor er endgültig den Halt. Für eine Millisekunde bohrte sich der Anblick der tödlichen Stacheln in sein Gedächtnis, schließlich wurde er mit einem schmerzhaften Ruck endgültig zurück in die Senkrechte gebracht und stand neben Vitali.

„Justin am Spieß steht nicht auf der Speisekarte.“, wollte Vitali sagen, aber für coole Sprüche war keine Zeit, genauso wenig wie für lange Dankesbezeugungen. Sie hetzten weiter.

Secret richtete seinen Blick kurz auf den Boden, um zu sehen, wie viele Fallen erneut ausgelöst wurden, dabei fielen ihm die großen, runden Schatten auf. Im letzten Moment konnte er dem brennenden Gestein ausweichen, das direkt auf ihn zugerast war. So laut er konnte schrie er den anderen seine Erkenntnis zu, dass der Aufschlagpunkt an den Schatten abgelesen werden konnte. Daraufhin schien eine regelrechte Massenpanik auszubrechen.

Brutal stießen die sechs einander aus dem Weg, schupsten, zogen und zerrten diejenigen, die sich knapp vor oder neben ihnen befanden. Was nach panischer Rücksichtslosigkeit und Selbstsucht aussah, war in Wirklichkeit das Bemühen der sechs, einander aus der Schussbahn zu befördern.

Seitenstechen rammte Serena imaginäre Dolche in den Leib, oder war es die Panik? Sie verspürte den drängenden Wunsch, einfach stehen zu bleiben. Immer langsamer wurde sie und konnte nicht mehr zu den anderen aufschließen. Ihre Lungen schmerzten und die Verzweiflung, in diesem Labyrinth zu sterben, nahm ihre Gedanken ein.

Jäh spie die Wand rechts von ihr eine beißend stinkende Flüssigkeit aus, die beim Kontakt mit dem Boden gefährlich zischte und ihn wegätzte. Reflexartig bedeckte Serena ihren Mund mit beiden Händen, um ihre Atemwege vor den säureartigen Dämpfen zu schützen, und rannte in großem Bogen an dem immer größer werdenden Loch vorbei. Doch in diesem Moment spuckte die Wand erneut und etwas traf Serena am rechten Oberarm. Geschockt schrie sie auf. Sie glaubte zu spüren, wie ihr Arm langsam zerfressen wurde. Plötzlich wurde sie an ihrem anderen Arm gepackt und weitergezerrt. In ihrem Schock war sie stehen geblieben, ohne es überhaupt zu bemerken. Noch während des Rennens starrte Serena auf ihren Arm, und machte sich auf den schlimmsten Anblick ihres Lebens gefasst. Dieser Anblick blieb aus. Ihr Arm war noch da. Unversehrt. Sie hatte keine Zeit über diesen Umstand nachzudenken und darüber, welche Rolle ihre seltsame Kleidung dabei spielte. Erst jetzt erkannte sie, dass Ariane sie mit sich zog.

Arianes Augen waren fest nach vorne gerichtet. Bloß nicht anhalten! Doch die vordersten von ihnen hatten genau das getan. Direkt vor der Biegung nach rechts hatten sie gestoppt. Ein schrecklicher Verdacht machte sich in Ariane breit. Was, wenn sie sich in einer Sackgasse befanden?

Eine unerwartete Druckwelle warf Serena und Ariane im nächsten Atemzug vornüber. Hinter ihnen erstreckte sich mit einem Mal ein riesiger Krater. In dessen Mitte steckte ein Felsbrocken, der die gesamte Breite des Gangs eingenommen hatte. Der Weg zurück war nun endgültig versperrt.

Ariane sprang wieder auf und zerrte Serena auf die Beine, weiter zu den anderen. Tatsächlich fanden sie dort eine Art Mauer vor, aber diese war eindeutig auf eine der Fallen zurückzuführen und nicht auf eine Sackgasse.

Die Mauer war aus mehr als zwei Dutzend aufeinander gestapelten Quadern aufgebaut. Die anderen stemmten sich bereits mit voller Wucht dagegen, um das Hindernis zum Einsturz zu bringen. Ohne lange nachzudenken, tat Ariane es ihnen gleich. Mit vereinten Kräften und von Panik getriebener Gewalt gelang es ihnen.

Polternd stürzte die Konstruktion in sich zusammen und die sechs sprangen zurück, um nicht darunter begraben zu werden.

Eilig kletterten sie über die Trümmer hinweg. Es herrschte jähe Stille. Das pfeifende Geräusch der herabschießenden Feuerkugeln, der schwefelartige, verbrannte Geruch und das Prasseln der Feuersbrunst waren verschwunden. Auch Erschütterungen durch weitere Einschläge blieben aus.

Gierig füllten die sechs ihre Lungen mit Luft und blieben für einen Moment stehen. Der Meteoritenhagel war offenbar auf einen bestimmten Teil des Labyrinths beschränkt gewesen, der hier sein Ende fand. Was vor ihnen lag, hatte auch nicht mehr viel Ähnlichkeit mit dem Bereich des Labyrinths, den sie erkundet hatten. Sie sahen sich einer Art Wald aus unzähligen aus den Wänden sprießenden tiefgrünen, dicken Ranken gegenüber.

„Nette Einrichtung.“, wollte Vivien kommentieren, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war, unterließ es dann aber.

„Dort.“, presste Justin hervor und deutete auf den Boden unter den Schlingpflanzen. An diesen Stellen schienen die Platten deaktiviert worden zu sein. Sie hatten eine merkwürdig fahle Farbe angenommen, als sei ihnen der Saft ausgegangen. „Vielleicht lösen wir so nicht noch mehr Fallen aus.“

„Ob es gut ist, diesen Dingern so nah zu kommen?“, wandte Ariane ein.

„Besser als mehr Fallen auslösen.“, meinte Vitali.

Secret sah nach hinten zu dem Bereich, aus dem sie gekommen waren „Es sind noch genug aktiv.“

Unversehens hörten sie nun ein Donnern, dessen Ursprung sie nicht sofort ausmachen konnten. Ängstlich horchten sie.

Das unheilvolle Grollen kam aus einem hinteren Teil des Labyrinths.

„Eine Felskugel.“, sagte Secret. „Sie rollt auf uns zu.“

Vitali beäugte ihn kleingläubig. „Woher willst du das denn wissen?“

Secret sah ihn nicht an und antwortete nicht.

Serena hatte noch nicht den Atem dazu, dies entsprechend zu kommentieren. Auf einmal war ihr, als sacke der Boden unter ihrem linken Fuß ab. Sie konnte ihn gerade noch wegziehen, ehe die Kachel auf der sie gestanden hatte, wie ein Würfel in die sich aufgetane Tiefe fiel.

„Bricht der Boden schon wieder ein?“, fragte Ariane.

„Denen fällt auch nichts Neues ein.“, beschwerte sich Vitali.

Demonstrativ trat Vivien erst kräftig auf die eine, dann auf die andere Kachel, auf der sie stand. „Nicht alle Platten sind unsicher.“, verkündete sie. Keine, auf der sie stand, hatte sich bewegt.

Im nächsten Moment musste auch Justin seinen Standplatz ändern, um nicht in die Tiefe gerissen zu werden. „Die Flächen mit den Fallen scheinen in diesem Stück einfach ins abzustürzen, wenn man sie betritt.“, schlussfolgerte er.

Vivien sah das positiv. „Dann lösen wir nicht noch mehr Fallen aus!“

„Aber die Zahlen sind auch verschwunden. Wir müssen gut aufpassen.“, erwiderte Justin.

„Vor allen Dingen müssen wir uns beeilen.“, fügte Secret hinzu. „Bevor die Kugel uns erreicht.“

Vitali warf ihm einen vielsagenden Blick zu.

Vorsichtig setzten sie ihren Weg fort. Erneut stürzten Teile des Bodens ab. Bald hatten sie kaum noch Platz um den Löchern auszuweichen.

„Der Weg löst sich noch vollständig auf!“, schimpfte Serena.

„Schneller.“, drängte Secret.

Sein Pseudo-Anführergehabe reizte Vitali zusehends.

„Ich renne voraus! Dann seht ihr den sicheren Weg!“, verkündete Vitali, dabei darum bemüht, besonders heldenhaft zu klingen, und rannte auch schon los, ehe die anderen noch Zeit hatten zu protestieren.

„Warte!“, schrie Justin und hetzte Vitali hinterher.

Derweil sahen die anderen mit Entsetzen zu, wie immer größere Flächen hinter Vitali ins Nichts stürzten.

Vitali schnaufte. Er rannte so schnell er konnte, aber es schien ihm, als bräche der Boden in einer zunehmenden Geschwindigkeit unter ihm weg. Wieder spürte er das Absinken einer der Platten unter seinen Füßen. Im letzten Moment hüpfte er auf die nächste Fläche – und brach endgültig ein. Gerade noch bekam er die Flächen vor sich zu fassen und klammerte sich an diese.

„Halt dich fest!“, rief Justin Vitali zu und versuchte sich schnellstmöglich einen halbwegs sicheren Weg zu ihm zu bahnen.

„Und ich dachte schon, ich soll loslassen!“, dachte Vitali, war aber zu sehr damit beschäftigt, sich festzuhalten, um es laut auszusprechen. Er spürte wie seine Arme von der Last zu schmerzen begannen und er weiter nach unten rutschte.

„Beeil dich!“, brüllte er. Endlich kniete Justin vor ihm und packte ihn.

Justin musste alle Kraft aufwenden, um Vitali auf die sichere Fläche zu ziehen. Glücklicherweise stellte das ständige Kistenhieven im Laden seiner Eltern ein kostenloses Muskeltraining dar. Mit einem letzten Ruck, gelang es ihm, seinen Kumpan aus der größten Gefahrenzone zu schaffen. Erschöpft setzte Justin sich zurück auf seine Unterschenkel. Vitali, der keuchend neben ihm lag, gab ein erschöpftes „Danke, Mann.“ von sich.

„Kannst du aufhören, immer vorauszurennen?“, bat Justin.

Vitali lächelte bloß schwach. Justin wandte sich wieder den anderen zu:

„Geht nicht so weit nach außen!“, befahl er.

Das war leichter gesagt als getan. Der Weg war mittlerweile löchriger als ein Schweizerkäse. Um den Löchern auszuweichen, war es geradezu unumgänglich, sich dem Rand zu nähern. Dazu kamen noch die unvorhersehbaren Bewegungen des Labyrinths. Als es nach rechts schwenkte, konnte Ariane nicht verhindern, den Ranken gefährlich nahe zu kommen. Und dieser eine Moment genügte.

Die angeblichen Ranken erwachten zum Leben. Wild peitschten sie hin und her und ergriffen jeden, der sich in ihrer Reichweite befand.

Ariane wurde zur Wand gezerrt. Unbarmherzig umfassten die Auswüchse ihr Opfer und ketteten sie an die Wand. Panisch versuchte Ariane sich aus dem Griff der Ranken zu winden, doch davon schienen die Tentakel nur noch brutaler zu werden. Immer mehr davon kamen und schlossen sich um ihren Körper, ihre Beine, Taille und Arme, weitere schlängelten sich über ihr Gesicht. Ariane unternahm einen weiteren Versuch, sich der Übermacht zu entziehen. Mit letzter Kraft entriss sie die Linke dem Würgegriff und streckte sie verzweifelt und zitternd nach etwas oder jemandem aus, der sie erretten möge.

„Hilfeeee!“, schrie Serena aus voller Kehle und bekam gerade noch Arianes Handgelenk zu fassen. Aber wie lange konnte sie sie halten? Die Gegenkräfte waren gewaltig und mit der einen Hand musste Serena sich auch noch gegen die Übergriffe der übrigen Fangarme wehren. Zumindest stand sie auf festem Boden.

Vivien und Secret spurteten zurück zu den beiden Mädchen, Justin und Vitali ihnen hinterher. So einfach war das allerdings nicht. Ein unbesonnener Schritt und sie stürzten in die Tiefe oder fielen den Angreifern ebenfalls zum Opfer. Von weitem erkannte Vitali, wie von oben eine der Ranken auf Serena zu schnellte.

„Serena!“

Sie riss den Kopf zu ihm herum. Im gleichen Moment stand Secret direkt neben ihr. Er hatte den Schlag abgefangen, von dem Serena nicht einmal etwas ahnte. Mit beiden Händen hielt er den Riesententakel fest und drückte hernach mit voller Kraft zu. Einen Moment wehrte sich die Kreatur noch, dann krümmte sie sich unter Schmerzen und zog sich endlich zurück. Gleichzeitig half Vivien Serena dabei, Ariane von ihren lebendigen Fesseln zu befreien, derweil Justin, der sie nun auch erreicht hatte, samt Secret weitere Angriffe der Tentakel abwehrte.

„Achte du auf die Kugel!“, schrie Justin Vitali zu, der sich gerade auch ins Getümmel stürzen wollte.

Darüber, dass es nicht zu seinen besten Einfällen zählte, ausgerechnet dem ungeduldigen Vitali diese Aufgabe zu übertragen, konnte Justin jetzt wirklich nicht nachsinnen.

„Welche verdammte Kugel!“, fluchte Vitali. Den anderen keinen Beistand zu leisten und zusehen zu müssen, wie sie sich allein gegen die Ungetüme zur Wehr setzten, wollte ihm nicht einleuchten. Egal, ob er Justin nun etwas schuldig war oder nicht. Schlagartig wurde das Donnern von zuvor noch lauter. Geschockt drehte Vitali sich um.

Mit einem Höllenlärm rollte um die etwa dreißig Meter entfernte Ecke eine riesige Felskugel. Als sie gegen die Wand schmetterte, erbebte die gesamte Umgebung, sodass die sechs fast von den Füßen gerissen wurden.

Für einen Sekundenbruchteil glaubte Vitali, die Kugel bliebe nun in der Wand stecken, doch selbst wenn es so gewesen wäre, die Schwenkbewegungen des Labyrinths machten diese Hoffnung zunichte. Das Labyrinth beugte sich und brachte die Kugel erneut in Fahrt. In bedrohlichem Tempo donnerte sie den sechsen entgegen.

Die Bahn des Geschosses war nicht abzuschätzen, da sie ständig durch das lautstarke Schrammen an den Wänden abgeändert wurde. Vitali musste mit Schrecken erkennen, dass der Muskelprotz wirklich Recht gehabt hatte.

Ariane war von oben bis unten von unzähligen Tentakeln umschlungen, auch ihr Gesicht verschwand hinter dem wuchernden Giftgrün. Konnte sie überhaupt noch atmen? Zumindest schien sie noch immer Gegenwehr zu leisten, auch wenn die Tentakel sie nahezu bewegungsunfähig gemacht hatten.

Mit aller Kraft zerrten Vivien und Serena an den Ranken. Aber diese bewegten sich einfach nicht! Automatisch schrie Vivien Justins Namen. Sofort stürmte der Junge ihr zur Seite und überließ solange Secret die Abwehr.

Justin packte einen dicken Tentakel um Arianes Taille. Im ersten Moment schien es, als würde dieser angesichts des stärkeren Griffs tatsächlich nachgeben. Daraufhin biss Justin die Zähne zusammen und zog noch einmal so fest er konnte.

Urplötzlich riss das Ungetüm ihn jedoch mit einer unheimlichen Stärke brutal zur Wand hin.

Justin, darauf nicht vorbereitet, verlor den Halt und war nunmehr nichts weiter als ein Spielball. Mit voller Wucht wurde er nach hinten geschleudert. Kurz segelte er durch die Luft und schlug dann mit einem stechenden Schmerz auf dem Boden auf. Augenblicklich brachen die Platten unter ihm weg.

Justin versuchte, noch rechtzeitig hochzufahren, doch auf halbem Weg nach oben musste er einsehen, dass die Gewichtskraft und der durch den Sturz hervorgerufene Schwindel stärker waren als seine Bemühungen. Er kippte zurück nach hinten. Gerade als er glaubte, in das Schwarz zu fallen, umklammerte ihn jemand.

Vivien hatte sich zu ihm geworfen und seinen Brustkorb umschlungen. Mit ihrem gesamten Gewicht stemmte sie sich nach hinten und landete auf dem Rücken, Justin genau über ihr. Er stützte sich auf seine Unterarme und sah Vivien an.

„Keine Zeit!“, rief Vivien.

Mit hochrotem Kopf rappelte Justin sich schnellstmöglich auf.

Das Labyrinth war währenddessen in die andere Richtung gewippt und hatte die Fahrt der Kugel kurzzeitig umgekehrt. Das schenkte den sechsen kostbare Augenblicke.

Secret schlug sich tapfer gegen die Übermacht an Tentakeln, die von allen Seiten auf ihre Opfer niedersausten.

Wieder wand sich eines der Dinger um seinen rechten Arm. Secret griff mit der Linken danach, um es von sich zu lösen, als bereits ein weiterer Angreifer auf ihn zu sauste. Seine Linke wurde erfasst.

Mit seinem ganzen Gewicht stemmte Secret sich gegen den Griff. Weitere Fangarme, die sich der neuen Beute sicher waren, kamen heran. Einer davon schoss wie ein Speer auf Secrets linken Oberarm zu, als ob die Geschöpfe seine Schwachstelle kannten – oder diese sie rief.

Er versuchte auszuweichen, doch die Ranken um seine Arme schränkten seine Bewegungsfreiheit gehörig ein und machten ein Entkommen unmöglich. Seine Wunde wurde getroffen.

Schmerz überflutete Secrets Sinne. Seinen gepeinigten Aufschrei nahm er gar nicht mehr wahr. Ihm wurde schwarz vor Augen, er brach in sich zusammen. Jemand oder etwas packte ihn und riss ihn nach hinten.

So dünn Vitali auch war, schwach war er nicht. Er hatte Secret gerade noch aus den Fängen der Tentakel befreien können.

„Wir müssen hier weg!“, brüllte er aus voller Kehle. Die Kugel donnerte weiter auf sie zu.

Mit aller Kraft biss Ariane in den Tentakel vor ihrem Gesicht, doch er war der einzige, der von ihr abließ.

„Arianeee!“, kreischte Serena schrill.

Eine unbändige Auflehnung dagegen, so behandelt zu werden, raste durch Arianes Adern, Auflehnung gegen diese gottverdammten Ranken! Ihr innerer Widerstand entlud sich.

Schneller als ihm die Augen folgen konnten, entsprang Arianes Körper eine unsichtbare Barriere, die sich um den Bereich, an dem die sechs standen, legte.

Zeitgleich prallte die Felskugel mit voller Wucht auf das plötzlich entstandene Hindernis, so dass gelb-orangene Lichtblitze über die Oberfläche des Schutzschildes flackerten. Mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierte die Kugel in tausend Einzelteile, derweil die Schlingpflanzen sich unter schrillen Schreckenslauten zurückzogen.

Ariane stürzte in Serenas Arme, die sich in Panik an sie gedrückt hatte. Im gleichen Atemzug war der Schutzschild verschwunden.

Serena sank mit Ariane zu Boden.

Secret lag rücklings halb auf dem Boden und halb auf Vitalis Schoß. Er atmete schwer. Der Schmerz in seinem Arm ließ nur langsam nach.

Vitali schaute sich um. Alle unsicheren Platten waren von dem Druck abgestürzt. Unzählige Bruchstücke der Felskugel lagen herum.

„Was ist passiert?“, fragte er.

„Sie hat einen Schutzschild ausgelöst.“, sagte Secret atemlos.

Vitali blickte ihn argwöhnisch an.

„Ist alles ok?“, erkundigte sich Justin nach dem Befinden der anderen.

Ariane schnappte nach Luft, sie befand sich immer noch in Serenas Armen und realisierte erst nach und nach, dass sie tatsächlich noch lebte. Es war zu unglaublich, als das es echt sein konnte. Aber sie fühlte ihren Körper, fühlte Serenas wild klopfendes Herz. Und gleichzeitig erinnerte sie sich an das Gefühl von eben. Als ob ein dünner Film um ihren Körper sich schlagartig ausgeweitet hätte. Als ob ihr Überlebenswille aus ihr ausgebrochen war.

Wie gelähmt saßen die sechs da. Sie fühlten eine gespenstische Ruhe, als wäre das alles gar nicht wirklich passiert. Sekunden lang übertönte ihr lebenshungriges Japsen und Keuchen und das Pochen des Blutes in ihren Ohren jedes andere Geräusch.

Schließlich presste Vivien erste Worte hervor. „Es ... ist nicht normal, dass Wände näher kommen, wenn man sich nicht bewegt... Stimmt’s?“

Serena funkelte sie grimmig an. „Wenn das wieder einer deiner blöden Scherze sein soll.“

Vivien schüttelte langsam ihren Kopf und starrte auf den Boden. Kleine Risse waren in den Platten aufgetaucht, die direkt an die Wände stießen. Unter leisem Knacken vermehrten sich die Sprünge. Der Druck, der von den Wänden her auf sie einwirkte, wurde immer stärker.

Sie betrachteten weggetreten die gegenüberliegende Wand. Das gleiche Bild.

Die Wände bewegten sich aufeinander zu.

Eine gespenstische Ruhe füllte das Innere der sechs aus. Für einen Moment waren sie sich sicher, dass das alles nur ein Aprilscherz war.

Ein Aprilscherz Ende August.

Und wenn sie einfach stehenblieben, dann würde jemand im letzten Moment die Wände anhalten und ihnen zurufen: „Haha, reingefallen!“ Und dann wäre alles gut und sie könnten wieder nach Hause gehen, in ihre Betten liegen und weiterschlafen, als wäre nie etwas gewesen.

Genau so würde es sein.

Doch Secrets Stimme zerfetzte diese Wunschvorstellung.

„Weg hier!“

Noch eine Millisekunde brauchte es, um sich von der ihre Sinne betäubenden Trägheit loszureißen, von dem Gedanken, einfach aufzugeben.

Noch immer weigerte sich ihr Verstand, diese eindeutige Überreizung des Spannungsbogens hinzunehmen. Vielleicht hatten die zahlreichen Filme, die auf ein großes Finale und ein anschließendes Happy End hinausliefen, ihre Weltvorstellungen verzerrt. Vielleicht war aber auch nur der Intendant dieses grausamen Schauspiels ein unfähiger Stümper, der nichts vom dramatischen Aufbau verstand und stattdessen bloß eine sinnlose Todesaktion die nächste jagen ließ.

Justin sah zu Serena und Ariane.

„Ich kümmere mich hierum.“, sagte Vivien zu ihm. „Schau du nach den Fallen.“

Er nickte und joggte voraus. Vitali wollte mitziehen, wurde aber von Justin aufgehalten: „Hilf ihm!“

Vitali begriff, dass Secret nicht von alleine aufgestanden war.

Vivien half derweil Ariane auf die Beine. Serena unterstützte auf der anderen Seite.

„Es geht schon.“, versicherte Ariane. Sie wandte sich an Serena. „Geh du vor. Ich hol dich wieder ein.“

Vivien pflichtete ihr bei. „Wir sollten Justin nicht ganz allein lassen.“

Serena nickte und machte sich auf den Weg – was angesichts der umherliegenden Bruchstücke der Felskugel und dem durchlöcherten Weg schon schwer genug war.

„Du solltest sie begleiten.“, sagte Ariane. „Nur für den Fall.“ Die Schwenkbewegungen des Labyrinths waren aufgrund der Löcher nun gefährlicher denn je.

„Und du?“

„Ich hefte mich an Vitali und Secret.“

Vivien sah zu den beiden Jungs.

„Schneller!“, forderte Secret.

„Alter, du kannst doch nicht richtig laufen!“, schimpfte Vitali.

Vivien nahm Arianes Hand und rannte mit ihr zu den Jungs vor. Anschließend löste sie sich von der Gruppe und überholte, um Serena Beistand zu leisten.
 

Hinter der nächsten Ecke, um die auch die Felskugel gekommen war, fand Justin endlich wieder festen Boden vor. Aber wenn er gehofft hatte, dass die Wände sich hier nicht bewegten, dann wurde er jetzt eines Besseren belehrt.

Ehe sie die nächste Abzweigung erreichen würden, hätten die Wände sie schon längst zermalmt.

Justin starrte auf den Boden. In seiner Aufregung war das das einzige, das ihm noch einfiel: Den sicheren Weg finden.
 

Laut knallend zersprangen die ersten Platten, die den Wänden im Weg gewesen waren.

„Ich kann übernehmen.“, bot Ariane Vitali an, der noch immer Secret stützte.

„Der ist zu schwer für dich.“, sagte Vitali.

„Ich kann alleine laufen.“, verkündete Secret, aber er sah dabei sehr blass aus.

„Wenn er alleine laufen kann, wird er ja nicht so schwer sein.“, behauptete Ariane.

Vitali stieß ein entnervtes Geräusch aus und ließ von Secret ab. „Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

Ariane nickte, während Vitali nun an Geschwindigkeit zulegte.

Sie legte Secrets rechten Arm um ihre Schulter. Im gleichen Moment erschauderte sie. Das ekelhafte Gefühl, das die Ranken in ihr ausgelöst hatten, überkam sie.

Secret entzog ihr seinen Arm. „Lauf.“ Ihm war nicht entgangen, wie sie auf den Körperkontakt mit ihm reagiert hatte.

Ariane holte Luft. „Du läufst vor. Und zwar schnell.“

Er nickte und joggte los.
 

Da Vivien sich Serenas Tempo angepasst hatte, kam Vitali noch vor ihnen bei Justin an.

„Was machst du da!“, rief er. „Die Wände!“

Justin war grade mal ein paar Schritte weitergekommen. „Wir können nicht noch mehr Fallen auslösen.“, sagte er.

„Wir werden zerquetscht!“, beharrte Vitali. Dennoch blieb er dieses Mal bei Justin stehen, statt vor zu preschen.

Schweißperlen standen auf Justins Stirn, er versuchte, sich zu beeilen.

Ein dumpfes Geräusch erklang und zehn Zentimeter dicke Stangen kamen aus den Wänden geschossen.

Der Durchweg war versperrt.

Vitali stieß das derbste Schimpfwort aus, das ihm einfiel, während Justin entsetzt und wortlos auf sein Werk starrte. Er hatte sie alle zum Tode verurteilt.

Jemand packte ihn entschieden am Arm und Justin erwartete, dass ihn nun jemand ohrfeigen oder ihm eine reinschlagen würde. Stattdessen sah er sich Vivien gegenüber, die ihn anstrahlte.

„Super!“

Justin war schlecht und er wusste nicht, ob es an ihm lag, aber die Ironie war aus Viviens Stimme ganz und gar nicht herauszuhören.

„Jetzt können wir hochklettern und auf den Wänden weitergehen, ohne noch weitere Fallen auszulösen!“, hörte er sie glückselig sagen.

„Was?“ Erst im nächsten Atemzug hatte er ihre Worte verarbeitet.

Unterdessen waren auch Serena, Secret und Ariane eingetroffen. Sie hatten Viviens Einfall gehört.

Vivien warf einen Blick auf die anderen. Von Secrets Haltung her konnte sie erahnen, dass es seinem linken Arm nicht gut ging und Serenas Gesichtsausdruck machte überdeutlich, dass die Vorstellung, dort hoch zu klettern, für sie einen Albtraum darstellte.

„Justin, kannst du mit Secret klettern? Und Vitali, du mit Ariane? Ich gehe mit Serena vor.“

Auf die Worte hin wurde Serenas Mimik leicht panisch. Sie schüttelte den Kopf.

„Wir anderen können vorgehen.“, schlug Justin vor.

Vivien nickte. Das schien Serena etwas zu beruhigen.

Justin wollte Secret fragen, ob es mit dem Arm ging, aber Secret war schon an ihm vorbeigelaufen und begann mit dem Klettern. Er tat es ihm gleich.

Vitali und Ariane folgten.

Serena beobachtete, wie tapfer die anderen, ohne zu murren, den Aufstieg begannen, als wäre es selbstverständlich. Sie kam sich schäbig vor. Wieso konnte sie nicht so sein? Unwillkürlich schossen ihr die Worte des Schatthens durch den Kopf: „Die Schwächste!

Vivien wandte sich an sie. „Bereit?“

Serena trat zaghaft an die Stangen heran, während Vivien sich bereits hinaufschwang.

„Du musst mit dem Fuß auf die erste Stange treten und dich dann an einer höheren hochziehen auf die nächste. Wie bei einer Leiter.“, erklärte Vivien.

„Ich weiß.“, zischte Serena, obwohl sie es nicht wusste. Umständlich stieg sie auf das Klettergerüst und folgte Vivien mit unbeholfenen Bewegungen.

Anfangs konnten die sechs noch zu zweit nebeneinander klettern, doch nach kurzer Zeit grenzten die Wände sie so weit ein, dass dies nicht länger möglich war. Die Wände waren nur noch etwas mehr als einen Meter voneinander entfernt. Noch einmal nahmen sie alle Kraft zusammen, um schneller voranzukommen.

Justin erreichte als erster den Abschluss der Mauern, zog sich hinauf und reichte Secret die Hand. Ariane und Vitali waren die nächsten.

Mit Besorgnis erkannte Justin, dass Serena und Vivien weit zurückgefallen waren.

Der Platz zwischen den zwei Wänden war zusammengeschrumpft. Und das Labyrinth neigte sich kurz nach hinten. Panische Angst, sie könne abstürzen, machte sich in Serena breit. Sie klammerte sich an die Stangen. Zudem war sie etwas weit nach links geraten. Die eine Wand hatte sie dadurch schon fast erreicht.

Ihre Muskeln taten weh. Sie würde das niemals schaffen! Und die Wände kamen immer näher und näher. Vor Verzweiflung wollte sie schreien.

Viviens Stimme erklang neben ihr. „Es ist nur noch ein Stück.“

Serena wusste, dass das nicht stimmte. In dieser Geschwindigkeit konnte sie das niemals schaffen.

„Entspann dich ein wenig. Du machst das toll!“

Ihre Atmung wurde immer flacher. Sie konnte das nicht.

Plötzlich schrie Vitalis Stimme von oben. „Geh vor!“

Serena getraute sich nicht, nach oben zu sehen.

Plötzlich wurde sie unsanft am Arm gepackt. Sie schrie auf. Die Angst, nach hinten zu kippen war übermächtig.

„Ich falle!“, kreischte sie hysterisch. Ihre Gelenke waren nun vollkommen steif geworden. „Ich kann nicht mehr!“, jammerte sie den Tränen nahe.

„Du musst aber!“, brüllte Vitali aufgebracht und zerrte an ihr.

Sie hatte keine Ahnung, wo er auf einmal herkam.

„Halt dich an mir fest und versuch mit den Füßen Halt zu bekommen, klar?!“

Sie sah ihn ängstlich an. Ihr ganzer Körper war verkrampft.

„Mach schon!“

Sie konnte sich nicht rühren.

„Verdammt!“ Er stieg eine weitere Stange zu ihr hinunter. „Halt dich an mir fest!“, forderte er sie nochmals auf.

Dieses Mal griff sie nach seinem Arm und suchte mit ihren Füßen Halt, um näher zu ihm zu kommen. Schließlich schlang sie ihre entkräfteten Arme um seine Taille.

„Gut!“, rief Vitali und begann zu klettern.

Vivien war derweil oben angekommen und wurde von Justin nach oben gezogen. Sie sah zurück auf Serena und Vitali.

„Ihr schafft es!“, schrie sie ihnen entgegen und begann die beiden wie bei einem Wettbewerb anzufeuern, nicht so, als ob es um ihr Leben ginge. Etwas Besseres fiel ihr nicht ein. Zumindest schien es auf Vitali eine deutlich positivere Wirkung zu haben als auf Serena.

Durch Serenas krampfhaften Griff war Vitali zwar behindert und sie kamen deutlich langsamer voran, als er es sich erhofft hatte, die Wände kamen auch immer näher, aber Viviens Stimme, die begonnen hatte, seinen Namen zu skandieren „Vi.Ta.Li!“, ließ ihn sich auf das Wichtige konzentrieren: Weiterklettern!

Er spürte bald den Druck der Wände auf seinen Ellenbogen. Nur noch ein Stück! Hilfesuchend streckte er Justin, Ariane und Secret, die schon bereit standen, die Hand entgegen. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, die beiden hochzuziehen.
 

Nebeneinander kauerten Serena und Vitali auf der gleichen Wand wie Vivien und Justin. Von der körperlichen und psychischen Anstrengung gezeichnet, schnappten sie nach Luft, während die Wände ungerührt weiter aufeinander zu gingen.

„Toll gemacht!“, lobte Vivien die beiden, als hätten sie gerade bei einem Kindergeburtstagsspiel gewonnen.

Mit einem Mal kamen alle Gefühle in Serena hoch. Es gelang ihr nicht, sich länger zurückzuhalten. Bitterliches Weinen und Schluchzen quoll aus ihrer Kehle. „Es tut mir leid... Es tut mir so leid.“

Wieso musste sie nur so ungeschickt sein? Wieso brachte sie andere in Gefahr? Wieso konnte sie nicht einfach mal etwas richtig machen? Nett sein, nützlich sein? Sie war so ein Nichtsnutz! Kein Wunder, dass sie keiner leiden konnte.

Bevor die anderen reagieren konnten, hatte Vitali das Wort ergriffen. „Was tut dir leid?“, schnauzte er sie in grobem Tonfall an.

Serena brachte kein Wort mehr hervor, nur noch Schluchzen.

Daraufhin schrie Vitali. „Was tut dir leid?!“ Er selbst war kaum noch mehr als ein nervliches Wrack.

„Dass ich so dumm bin…“, wimmerte Serena.

„Aber… du bist doch nicht dumm.“, versuchte Ariane sie von der anderen Wand aus zu beruhigen. Ohne Erfolg.

Vivien kniete sich zu ihr. „Hey, es ist alles gut. Wir sind doch Freunde.“

Statt Serena zu beruhigen, bewirkten die Worte einen weiteren Ausbruch an Schluchzern. Vivien nahm Serena in den Arm, aber sie spürte, dass sich Serena daraufhin nur noch mehr zusammenkauerte, und ließ sie schweren Herzens wieder los.

Serena schluckte die restlichen Tränen hinunter. Sie schämte sich schrecklich. „Ist schon gut. Schon gut.“, gab sie halb erstickt von sich.

„Was ist gut?“, schrie Vitali. „Wieso bist du dumm?“ Seine Stimme bebte. „Sind wir alle dumm, weil uns das passiert?“ Er starrte Serena an. In seinen Augen glitzerten Tränen. „Ist es deine Schuld, dass wir hier gefangen sind? Ist es deine Schuld, dass wir hier drauf gehen könnten?“ Seine Worte bewirkten, dass auch die anderen einen Kloß im Hals spürten.

„Wir werden nicht sterben!“, kreischte Vivien.

In diesem Moment schlugen die beiden Wände aufeinander. Kurz wurden die sechs durchgeschüttelt, dann waren sie alle wieder auf einer Fläche vereint.

„Wir sind ein Team!“, plädierte Vivien und ergriff die Hände von Serena und Ariane.

„Das heißt, ihr sollt euch an den Händen nehmen!“, forderte Vivien lautstark.

Ariane und Justin ergriffen Secrets Hände. Gleichzeitig fasste Justin nach Vitali. Dabei bemerkte er, dass Vitali zitterte und sich vermutlich deshalb zur Seite gedreht hatte, damit die anderen seine Tränen nicht sehen konnten. Aus diesem Grund wollte er ihn nicht dazu auffordern, die Kette fortzusetzen.

„Wir schaffen das! Wir alle zusammen! Wir werden gemeinsam hier rauskommen!“, rief Vivien. „Ist das klar?“

Die anderen schwiegen.

„Ist das klar?“, wiederholte Vivien noch lauter.

Ariane und Justin antworteten mit Ja.

„Keiner wird zurückgelassen!“, verkündete sie. Sie drückte Serenas Hand. „Wir schaffen das, alle zusammen.“

Serena schluchzte erneut. „Es wäre doch besser, wenn ihr mich zurücklassen würdet.“

Vitali brüllte: „Hast du sie noch alle!“

„Ich bin doch bloß ein Klotz am Bein.“, winselte Serena.

Vitali packte Serena an der Schulter. „Alter, wenn du das noch mal sagst, hau ich dir eine rein!“

Ariane versuchte, den aggressiven Ton von Vitali abzumildern. „Ich glaube, was er sagen will, ist, dass du keine Schuldgefühle haben brauchst.“

„Nein, ich will, dass sie Danke sagt.“, meinte Vitali.

„Danke, Vitali!“, rief Vivien an Serenas Stelle. „Das hast du toll gemacht!“

„Wir alle haben das toll gemacht.“, sagte Justin und ließ seinen Blick über die anderen schweifen. „Jeder von uns. Auch du, Serena.“

Serena schniefte.

„Und jetzt hör auf zu heulen.“, forderte Vitali und klang dabei selbst wieder den Tränen nahe.

„Ich will jetzt aber auch weinen.“, sagte Vivien. „Ich hab ein Recht drauf.“

Vitali starrte sie an.

„Das ist alles so verdammt schwer!“ In Viviens Augen bildeten sich tatsächlich Tränen. „Das könnte doch etwas einfacher sein.“

Ariane wollte sie gerade trösten, als Vivien erneut das Wort ergriff. „Ich finde, jeder sollte jetzt heulen dürfen, wenn er will!“

Vitali schnaubte. „Du bist voll bescheuert.“, sagte er in einer Mischung aus Belustigung und Empörung.

„Du auch.“, gab Vivien zurück.

Die beiden lachten auf einmal.

Selbst Serena konnte nicht umhin, daraufhin ein halb ersticktes belustigtes Geräusch auszustoßen.

„Hast du gerade gelacht?“, fragte Vitali Serena.

„Nein.“, presste sie hervor.

„Gut, dass ist nämlich gar nicht zum Lachen, dass wir bescheuert sind.“, antwortete er in gespieltem Ernst.

Wieder brachen er und Vivien in Gelächter aus.

Die anderen konnten dem Verhalten der beiden zwar nicht folgen, aber irgendwie tat es gut, ihr Lachen zu hören.

„Ihr seid doch … bescheuert.“, flüsterte Serena und konnte nicht umhin zu lächeln.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Serena hat in diesem Kapitel große Schuldgefühle gegenüber den anderen, weil sie körperlich nicht mit ihnen mithalten kann. Sie macht sich Selbstvorwürfe und macht dadurch alles nur noch schlimmer und anstrengender für die anderen.
Vielleicht kennt ihr das auch, dass ihr den Eindruck habt, in der Schuld von jemandem zu stehen und ihr euch dadurch schlecht fühlt und selbst blockiert?
Vitali bringt es hier auf den Punkt, wenn er sagt, dass er ein Danke hören will. In den meisten Fällen will die andere Person nämlich nicht, dass ihr euch niedermacht. Sie hilft ja freiwillig und möchte einfach nur etwas Wertschätzung dafür bekommen und das Gefühl haben, dass sie dadurch für euch einen positiven Unterschied gemacht hat.
Das heißt, wenn ihr euch das nächste Mal schlecht fühlen solltet, weil ihr etwas nicht so gut könnt wie jemand anderes und ihr deshalb Hilfe braucht, dann sagt einfach von Herzen Danke und freut euch darüber, dass ihr jemanden habt, der euch zur Seite steht.
Wenn man sich auf das konzentriert, was man nicht hat, wird man sich automatisch schlecht fühlen. Konzentriert man sich dagegen auf das, was man hat, z.B. Menschen, die einem helfen, dann begreift man, was für ein großes Glück das ist.
Dankbarkeit ist daher ein Gewinn für alle und das beste Mittel gegen negative Gedanken. :)

In diesem Sinne: Ein großes Danke an meine Leser! :D

PS: Der Tipp funktioniert auch gut, wenn ihr dazu neigt, euch für alles Mögliche und Unmögliche zu entschuldigen. Einfach statt "Tut mir leid" "Danke" sagen. ;) Ich muss mich aber selbst immer wieder daran erinnern. :D Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  CMH
2022-06-18T21:03:45+00:00 18.06.2022 23:03
Ein bisschen Lara Croft, Indiana Jones und etwas Squid Game. Super spannend. Da entsteht ein großartiger Bund. 💚
Antwort von:  Regina_Regenbogen
18.06.2022 23:12
😄 Ja, Grauen-Eminenz hat zwar alle Kosten, aber keine Mühen gescheut, um das Ganze für ihn unterhaltsam zu gestalten. 😂
Von:  RukaHimenoshi
2020-08-03T19:12:06+00:00 03.08.2020 21:12
Wow, das Kapitel hat aber ganz schön in Atem gehalten! °o° Ich muss selbst erstmal wieder zu Luft kommen. :'D
Vivien und Justin sind einfach jetzt schon so ein süßes Gespann, ich hoffe, da kommt noch viiiiel mehr davon. <3
Und cool, dass Serena sich nun auch gezwungenermaßen von ihrer verletzlicheren Seite zeigt. An sich ist sie ein sehr spannender Charakter. Die ganze Zeit am Meckern und Motzen, aber irgendwie ist sie sich auch dessen bewusst und leidet selbst darunter, dass sie so einen "anstrengenden" Charakter hat. Ich wünschte, sie hätte es einfach zugelassen, dass man sie mal feste drückt. <3 Aber okay, Vitali kann sie auch anschreien. X'D (Meinen Respekt an die körperliche Fitness vom Rest!)

Und WOW zum Nachwort! Machst du dir dauernd so tiefgründige Gedanken, wenn du schreibst? /(°o°)\ (Habe mich selbst ein bisschen zuuuuu sehr angesprochen gefühlt, besonders, was das ständige entschuldigen betrifft... ^^")
Aber wenn wir schon dabei sind: Danke für diese bisher mega spannende Geschichte! ^^
Antwort von:  Regina_Regenbogen
05.08.2020 16:09
Von Vivien und Justin wird es definitiv noch mehr geben. ;D Die zwei sind einfach süß zusammen.
Serena macht sich das Leben oft selbst schwer, schwerer als es sein müsste. Aber man ist ja auf der Welt, um zu lernen und nicht, um alles schon zu können. :)
Ich glaube, die anderen quälen sich einfach weiter, weil sie müssen, während Serena dazu neigt, aufgeben zu wollen. Vitali ist nicht wirklich sportlich, aber er spielt einfach gerne den Helden und denkt nicht vorher drüber nach. XD

Ich muss gestehen, ich merke manchmal während dem Schreiben der Geschichte nicht direkt, welche Themen ich reinbringe oder begreife erst im Nachhinein, welche Bedeutung diese Themen für mich selbst haben. Beim Lesen entdecke ich die dann und denke: Oh ja, das ist eines meiner Lebensthemen. ;D (Dadurch lerne ich durch das Schreiben oft sehr viel über mich selbst. *lach*)
Beim Überarbeiten dieses Kapitels ist mir das wieder klar geworden und ich habe dann in der Szene das Problem noch etwas klarer herausgearbeitet.
Und da mir das Thema am Herzen liegt, wollte ich meine Gedanken dazu im Nachwort teilen, weil ich mir dachte: wenn es mir so geht, geht es vielleicht auch anderen so. :) Es freut mich auf jeden Fall, wenn es dich berührt hat. :)
Ich danke dir für deinen superlieben Kommentar und fürs Lesen! Das bedeutet mir wirklich viel und macht mich glücklich! <3
Von:  totalwarANGEL
2020-06-19T23:23:56+00:00 20.06.2020 01:23
Hoffentlich war's das jetzt mit "Die Balance Defenders und der Tempel des Todes". ;)
Antwort von:  Regina_Regenbogen
20.06.2020 10:03
😆 Ja, keine Sorge, nach dem Kapitel hatte ich auch keinen Bock mehr auf noch mehr Fallen. 😂 Das Labyrinth hat seine Schuldigkeit getan. .
Antwort von:  Regina_Regenbogen
20.06.2020 10:27
Ich hab jetzt übrigens auch noch ein Nachwort hinzugefügt, das mir heute Morgen noch eingefallen ist. 😋


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