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Balance Defenders

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Das Zusammentreffen mit Secret und die Tatsache, dass sie nicht wissen, wie sie nun damit umgehen sollen, zieht weitere Kreise und stellt die fünf vor neue Herausforderungen. Komplett anzeigen

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Normal ist, was du draus machst


 

Normal ist, was du draus machst

 

„Wir werden einen Weg finden,

und wenn wir keinen finden, dann bauen wir einen.“

(Werbespruch der Sabadello technologie GmbH)

  

Die fünf befanden sich zusammen mit Ewigkeit in einem Kaufhaus in der Spielwarenabteilung.

Vivien hatte ein Gespräch darüber angefangen, mit was sie in der Kindheit am liebsten gespielt hatten. Nach anfänglichem Zögern, hatten sich Serena und Vitali dazu hinreißen lassen, laute Diskussionen darüber zu führen, während Ewigkeit heiter um sie herumschwirrte. Alles wirkte, als würden sie einfach nur eine gute Zeit miteinander verbringen. Mehr als einmal lachte Vivien.

Ariane konnte nicht lachen.

Dass es sinnvoll war, dass sie nicht zu sich nach Hause gingen, damit ihre Familien nicht in eine etwaige weitere Begegnung mit Secret hineingezogen wurden, war ja noch logisch gewesen. Dass sie Secret nicht auf ihr Hauptquartier aufmerksam machen wollten, auch. Selbst dass es sinnvoll war, nicht die ganze Zeit in der Kälte zu warten, gestand sie ein.

Aber dass die anderen, insbesondere Serena, Vitali und Vivien, sich hier ausgelassen amüsierten, war ihr unbegreiflich.

Missmutig starrte sie auf eines der Regale, auf dem irgendwelche fernsteuerbaren Bagger und Sportwagen standen.

Was, wenn Erik nicht anrief? Was, wenn er nicht mehr zu Erik wurde? Was sollten sie dann tun? Was konnten sie tun?

Die Gedanken machten sie wahnsinnig.

Vivien trat zu ihr und sah sie fragend an, als könne sie nicht verstehen, warum Ariane nicht genauso ausgelassen war wie Serena und Vitali. Dabei sah Justin auch nicht gerade so aus, als würde er vor Freude gleich Luftsprünge machen. Dennoch hatte er sich im Gegensatz zu Ariane nicht von der Gruppe abgesetzt und antwortete stets, wenn er angesprochen wurde.

Ariane seufzte nur als Antwort auf Viviens ungeäußerte Frage und sprach es schließlich laut aus. „Das ist unangebracht.“

„Was?“

„Das wir uns hier vergnügen, während wir überhaupt nicht wissen, was mit Erik ist!“, sagte sie erregt.

„Und was sollen wir stattdessen tun?“

Ariane drehte ihren Kopf zur Seite. Sie fand es nicht gerecht, dass Vivien ihr diese Frage stellte. Ihr war durchaus bewusst, dass sie selbst keine Lösung hatte. Aber das hier erschien ihr einfach falsch und taktlos, als würden sie sich auf Eriks Kosten amüsieren.

Schlussendlich war sie wohl einfach frustriert. Wie hätte sie sich auch erlauben können, unbekümmert zu sein, während Erik leiden musste?

Sie wollte sich vor Vivien nicht rechtfertigen.

Plötzlich erklang das Lied ‚I’m sexy and I know it‘ aus Viviens Richtung.

Prompt hatte Vivien ihr Handy zur Hand und nahm den Anruf entgegen.

„Hallo!“, begrüßte sie den Anrufer fröhlich.

Im gleichen Moment hatten sich die anderen um sie versammelt.

Ariane getraute sich nicht zu fragen, ob es sich bei dem Anrufer um Erik handelte. Von Viviens sorglos heiteren Worten konnte sie jedenfalls nicht darauf schließen und die Ungewissheit brachte sie fast um.

„Kein Problem.“, sagte Vivien. Pause.

„Achja. Warte mal kurz. Ich schalte dich auf Lautsprecher.“

Der Anrufer sagte nichts.

„Also, ich wollte fragen, ob du uns auf den Martinsumzug begleiten willst. Die anderen kommen auch alle mit.“, sagte Vivien.

Bei den nächsten Worten riss Ariane die Hände vor den Mund.

„Martinsumzug?“, fragte Eriks Stimme skeptisch. „Ist das euer Ernst?“

„Das hab ich auch zu ihr gesagt!“, rief Vitali in den Hörer.

„Die anderen sind auch bei dir?“, fragte Eriks Stimme aus dem Lautsprecher.

„Jupp, wir sind zusammen im Kaufhaus. Dich hab ich nicht erreicht.“, antwortete Vivien.

Eriks Stimme klang gedrückt. „Ja.“

„Geht’s dir nicht gut?“

Vom anderen Ende kam kurz kein Laut.

„Erik?“

„Nein, alles okay.“

„Dann ist ja gut. Ich begleite meine Geschwister sowieso auf den Umzug und ich dachte, es wäre lustiger, wenn wir alle zusammen dort wären.“

Wieder kurzes Schweigen.

Vivien redete weiter. „Der Umzug beginnt bei der Grundschule. Wir könnten dich bei dir zu Hause abholen. Ariane kommt auch!“

Ariane wurde von dem Satz kurz aus ihrer Lethargie gerissen. Entnervt verzog sie das Gesicht.

Sie empfand es allgemein als lästig, dass Vivien überall potentielle Pärchen bilden musste und auch sie und Erik zu einem erklärt hatte. Als wären sie unreife Kinder, die nichts mit Personen des anderen Geschlechts unternehmen konnten, ohne dass es gleich Gerüchte über irgendwelche Liebesbeziehungen gab. Angesichts der momentanen Situation war das jedoch nicht mehr nur störend, sondern völlig daneben. Egal wie lustig Vivien das finden mochte. Hier ging es um Erik! Und überhaupt hatte Ariane Verhalten dieser Art schon in der Grundschule verabscheut.

Sie hatte sich damals nicht mal mit einem Jungen unterhalten können, ohne gleich von den anderen Mädchen gefragt zu werden, ob sie in ihn verknallt war! Das Problem hatte spätestens in der Mittelstufe eine andere Richtung genommen. Die Jungs hatten irgendwann angefangen, sie nicht mehr wie ihresgleichen zu behandeln, sondern wie ein ‚Mädchen‘. Als wäre das eine Krankheit, die bedeutete, dass sie zu einem fremdartigen Wesen mutiert war. Eines, über das man sich entweder lustig machte oder dessen Zuneigung es zu erringen galt. Bis heute fand sie das kindisch und unreif! Umso froher war sie, dass sie bei Vitali und Justin keinen Gedanken an diesen Unsinn verschwenden musste.

Zugegeben, ihr Verhältnis zu Erik war nicht ganz so unkompliziert.

Da er ihr Verhalten bei der ersten Begegnung als Anmache fehlgedeutet hatte, hatte sie sich anschließend darum bemüht, ihm nicht erneut Anlass zu solch kindischen Fehlurteilen zu geben.

Vermutlich lag Viviens Irrglaube, Erik habe romantisches Interesse an ihr, an einem völligen Missverständnis seiner boshaften Neigung, sie zu triezen und sich Wortgefechte mit ihr zu liefern. Vivien hielt das wohl für eine Art Annäherungsversuch – ein extrem plumper und wenig geistreicher.

Wie konnte irgendjemand nur glauben, dass das Gegenüber ein solches Verhalten als Ausdruck von Zuneigung verstehen könnte? Man war doch wohl besonders nett zu demjenigen, den man mochte, wenn man nicht völlig falsch gepolt war. Aber Vivien glaubte ja auch felsenfest, dass Serena und Vitali ein hübsches Paar abgeben würden.

Zum Glück wusste sie, dass Eriks Verhalten – wenn es auch nicht auf den umgänglichsten Charakter hindeutete – zumindest nicht dazu gedacht war, ihr zu imponieren und sie zu erobern. Erik behandelte sie immer intellektuell ebenbürtig, nicht als wäre sie Beute. Außerdem war er niemand, der Freundlichkeit und Respekt heuchelte, nicht mal wenn die Höflichkeit es gebot…

Seine Stimme ertönte.

„Um wie viel Uhr?“

 

Vitali hetzte die Treppe zu seinem Zimmer hinauf. Ariane und Serena hatte er angewiesen vor dem Haus zu warten, damit sie ja nicht seiner Mutter über den Weg laufen konnten.

Sie hatten sich im Stadtzentrum von Vivien und Justin getrennt und den Bus zu Vitali nach Hause genommen, weil er seine Powerbank holen musste. Sein Handyakku war mal wieder leer und da keiner von ihnen vorhersagen konnte, wie das Treffen mit Erik verlaufen würde, waren sie auf jedes Mittel, das eine Verbindung zwischen ihnen herstellen konnte, angewiesen.

Als Vitali die Tür zu seinem Zimmer aufriss, wäre er fast in seine Mutter und seinen kleinen Bruder Viktor hineingerannt.

„Vitali!“, tadelte sie. „Warum hast du‘s jetzt schon wieder so eilig?“

Er lief an seiner Mutter vorbei und versuchte, von ihr in keine ellenlange Diskussion verstrickt zu werden. „Ich hol nur die Powerbank.“

„Und wo willst du hin?“

Dieser Antwort wäre er gerne entgangen. „Die anderen wollen auf den Umzug.“, nuschelte er.

„Was? Sprich gefälligst lauter!“

„Wir gehen zum Umzug.“, grummelte er.

„Zum Martinsumzug?“, fragte seine Mutter ungläubig.

Vitali tat so, als hätte er die Frage nicht gehört, hatte seine Powerbank in seiner Tasche verstaut und wollte sich schnellstmöglich wieder aus dem Staub machen, als seine Mutter sich ihm auch schon in den Weg stellte.

„Das ist ja wunderbar! Dann kannst du doch Vicki mitnehmen!“

„Was?“ Er hatte sich wohl verhört!

„Er geht auch auf den Martinsumzug.“, erklärte seine Mutter, während sein Bruder stumm daneben stand.

Das durfte nicht wahr sein.

„Was hat das mit mir zu tun?“, schimpfte Vitali.

Er konnte seiner Mutter ansehen, dass sie gleich explodieren würde, wenn er nicht sofort tat, was sie von ihm verlangte.

„Er ist viel zu alt für so was!“, versuchte er sich rauszuwinden. „In seinem Alter geht man nicht mehr mit ner Laterne rumlaufen!“

„Deshalb trägt er dieses Mal auch eine Fackel.“, blaffte seine Mutter.

„Maaam, das kannst du nicht machen!“

„Du nimmst deinen Bruder mit oder du bleibst hier!“, bellte seine Mutter ihren unumstößlichen Richterspruch.

Vitali gab einen tiefen Laut völliger Entnervtheit und Wut von sich, warf Vicki einen wütenden Blick zu und stapfte dann mit brodelndem Zorn im Bauch aus dem Zimmer.

 

Justin und Vivien waren derweil auf dem Weg, Viviens Geschwister abzuholen. Sie hatten Ewigkeit bereits vorgeschickt, um Kai und Ellen in die Umstände einzuweihen und darüber aufzuklären, wie sie sich verhalten sollten, falls es gefährlich wurde.

Es war jetzt kurz nach sechzehn Uhr und das Tageslicht ging langsam in ein gräuliches Zwielicht über.

Justin hielt den ganzen Plan für viel zu leichtsinnig. Viviens Geschwister in Gefahr zu bringen, obwohl sie nicht wussten, wann Erik sich das nächste Mal verwandelte – falls er wirklich wieder er selbst war und nicht am Telefon nur geschauspielert hatte – war einfach unverantwortlich!

Überhaupt ging es nicht an, dass sie Erik auch noch in die Nähe von zahllosen Kindern brachten, die er allesamt als Druckmittel verwenden konnte. Es wäre angebracht gewesen, sich alleine mit Erik zu treffen. Das hier war ihr Problem und sie durften auf keinen Fall jemand anderen mit hineinziehen.

Das hatte er schon die ganze Zeit gedacht, aber Vivien hatte so überzeugt geklungen, so unumstößlich hatte sie ihren Plan dargestellt, dass er all seine Einwände heruntergeschluckt hatte.

Es reichte.

Justin blieb stehen. Vivien bemerkte es und drehte sich zu ihm um.

„Das ist falsch.“, sagte er mit fester Stimme. „Unnötig andere Menschen in Gefahr zu bringen. Das ist – Das bringt überhaupt nichts. Wozu?“

„Weil es normal sein soll.“, antwortete Vivien fast tonlos. „Wenn viele Menschen um uns herum sind, wird die Atmosphäre nicht so angespannt sein.“ Sie klang nicht so fröhlich wie sonst. Ihre ungewohnte Stimmlage ließ ihre Worte fast belehrend wirken.

„Dafür bringen wir Menschen in Gefahr?“, fragte er errregt. „Das ist keine gute Idee. Es ist als würden wir eine tickende Zeitbombe in die Mitte von Kindern bringen. Es ist falsch.“

Stumm senkte Justin den Kopf und hing weiter seinen Gedanken nach. Er atmete aus, hob kurz den Blick und erschrak.

Im Dämmerlicht konnte er deutlich erkennen, dass etwas mit ihr nicht stimmte.

„Vivien?“

Sie reagierte nicht. Er glaubte, einen erstickten Laut aus ihrer Richtung zu hören.

„Was ist los?“, fragte er besorgt.

Einen weiteren Moment stand sie regungslos da, dann brach ihre Stimme in schrillen Ton aus ihr hervor: „Ich weiß selbst, dass ich alles falsch mache!“

Justin sah sie einen Moment verständnislos an. „Wovon -“

„Ob dies oder jenes, es wird so oder so nichts!“, kreischte sie.

So hatte Justin sie noch nie erlebt. Sie wirkte ganz anders als sonst, klang beängstigend vorwurfsvoll, als wolle sie ihn dafür beschimpfen, dass er ihre Einfälle kritisierte.  

Justin biss die Zähne zusammen.

Die ganze momentane Handlungsweise des Teams war nicht etwa etwas, auf das sie sich alle gemeinsam geeinigt hatten, sondern ging allein auf Viviens Planung zurück, an der sie allesamt nicht beteiligt gewesen waren. Sie führten aus, was Vivien ohne sie entschieden hatte.

Obwohl keiner mit ihrer Idee einverstanden gewesen war, hatten alle geschwiegen und hatten Vivien ihren Willen gelassen.

Er hatte nicht vor, damit fortzufahren.

Auch wenn es Vivien verletzte. Die Verantwortung, die er zu tragen hatte, war bedeutender als die Gefühle eines einzelnen zu schonen.

 

Vivien war fertig mit den Nerven. Sie konnte einfach nicht mehr.

Mit geballten Fäusten wandte sie sich von ihm ab und lief weiter. Sie hörte Justin ihr folgen.

Allein der Laut seiner Schritte machte sie wahnsinnig!

Abrupt blieb sie stehen und wirbelte herum.

„Mach es doch allein!“, kreischte sie in einer unmenschlich klingenden Tonlage.

Vivien kam ihr eigenes Verhalten wie die Aufführung eines Melodrams vor.

Sie wusste, dass ihre Aufgewühltheit nichts mit Justin zu tun hatte, aber sie hatte das letzte Quentchen Selbstbeherrschung längst aufgebraucht. Ihre Nerven waren völlig überreizt.

Justin sah so erschrocken aus, als hätte sie sich vor seinen Augen in ein Monster verwandelt.

Angesichts dessen konnte sie das emotionale Chaos nicht länger unterdrücken.

Alle konnten immer sagen, dass sie davonlaufen wollten, alle, nur sie nicht!!

Sie musste immer lächeln und mutig sein und durfte nicht verzweifeln!

Bei dem Gedanken daran, atmete sie Schluchzer aus.

Alles, was sie bis jetzt zurückgehalten hatte, brach sich mit einem Mal Bahn.

All der Druck, die Verantwortung.

Sie wollte die anderen beschützen, aber –

„Ich kann nicht mehr.“, schluchzte sie.

Justin sah sie an, leidend stand er da, als drohe die Last der Situation ihn zu zerbrechen.

Vivien schniefte und begriff, dass sie beide ihre Überforderung aneinander ausgelassen hatten.

Sie überwand die Distanz zwischen ihnen und warf sich in seine Arme.

 

Viviens warme Berührung, dass sie ihn noch festhielt, sich an ihm festhielt, obwohl er eben noch geglaubt hatte, sie wolle ihn von sich stoßen, brachte die grausame Erkenntnis mit sich, dass er wütend auf sie hatte sein wollen.

Er hatte ihr zig Vorwürfe gemacht, weil – weil sie immer alles so gut wegsteckte, weil sie immer lächelte und total herzlos war. Das hatte er geglaubt…

Vivien schien immer so grausam zu sein, wie jemand, der die Realität der anderen Menschen nicht sehen konnte. Wie sonst konnte sie gute Laune verbreiten, nachdem so etwas geschehen war?

Justin legte seine Arme um sie und schämte sich.

Er hatte sie so sehen wollen, weil das einfacher war als die Realität zu akzeptieren. So hatte er ihr die Schuld geben können.

Vivien war warmherzig und mitfühlend und er hatte das einfach verdrängt, weil … – weil er es gewöhnt war, der einzige zu sein, der an andere dachte. Sein ganzes Leben lang hatte er die Verantwortung alleine getragen, hatte sie alleine tragen müssen. Und gleichzeitig hatte er sich etwas darauf eingebildet.

Tränen traten in Justins Augen, als er es endlich begriff. Auch sie hatte alles mit sich allein ausmachen wollen.

Er schlang seine Arme noch fester um sie.

Sie waren nicht mehr allein.

 

Vitali kam mit einer Grabesmiene aus seiner Haustür und hatte zur Überraschung von Serena und Ariane einen kleinen Jungen von ungefähr elf Jahren im Schlepptau. Dieser hielt eine noch nicht angezündete Fackel in der Rechten.

„Fragt nicht.“, knurrte Vitali und nahm sein Handy mitsamt Powerbank zur Hand. Wen auch immer er anrief – höchstwahrscheinlich Vivien – war kurz darauf am Hörer.

„Hi, hier gibt es ein Problem.“

Serena hörte, wie Vitali seinem Gesprächspartner erklärte, dass er dazu verdonnert worden war, seinen kleinen Bruder mitzunehmen.

Während Vitali weiterredete, blickte Serena zu dem Jungen. Er hatte den Kopf eingezogen, als würde er sich schämen oder extrem verschüchtert sein.

Mit Ausnahme davon glaubte sie eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Brüdern erkennen zu können, auch wenn sie nicht an einem bestimmten Merkmal festzumachen war. Vickis Haare waren dunkler als die Vitalis. Da ihm in seinem jungen Alter noch einige Wachstumsschübe bevorstanden, war er einen ganzen Kopf kleiner als Serena. Sein Gesicht wirkte weich, aber weniger feminin als das von Vitali auf dem Kinderfoto, das Frau Luft ihnen gezeigt hatte. Aber auf diesem war Vitali schließlich auch deutlich jünger gewesen. Dennoch ging sie davon aus, dass Vickis Züge irgendwann weniger androgyn aussehen würden als Vitalis.

In Anbetracht seiner ängstlichen Haltung hielt Serena es für angebracht, Vicki das Gefühl zu geben, dass er keine Belastung war, und wandte sich in Arianes Richtung. So etwas gehörte schließlich zu Arianes Kompetenzen.

Ariane war immer freundlich und verstand sich mit jedem. Daher war es nur logisch, dass sie sich um die Angelegenheit kümmern sollte.

Ariane schien jedoch andere Dinge im Kopf zu haben und würdigte den Jungen keines Blickes.

Na toll.

Serena seufzte in sich hinein. Sie war es schon lange nicht mehr gewöhnt, zu irgendwem freundlich zu sein. Freundlichsein hatte ihr immer nur Ärger bereitet. Wenn man gemein war, gab es wenigstens einen Grund dafür, dass man gehasst wurde. Dennoch riss sie sich jetzt zusammen und richtete das Wort an den Jungen.

„Du bist Vicki, nicht?“, fragte sie zögerlich.

Der Junge sah verängstigt auf.

Serena kam sich komisch vor. „Dein Bruder hat von dir erzählt.“ Eigentlich stimmte das nicht ganz. Allerdings konnte sie sich noch allzu gut an die Situation erinnern, als Vitali den Namen seines Bruders von sich gegeben hatte, als sie versucht hatte, ihn zu wecken. Damals war sie davon ausgegangen, dass es ein Mädchenname war, und war vor Eifersucht komplett ausgetickt. Bei der Erinnerung kam die Scham erneut über sie.

Der Junge machte ein Gesicht, als hätte Serenas Satz ihn noch mehr eingeschüchtert. Sie konnte das nicht wirklich nachvollziehen.

„Ähm, wie alt bist du eigentlich?“ Sie wusste wirklich nicht, was sie mit ihm reden sollte.

„Elf.“

„Dann bist du in welcher Klasse?“

„Sechste.“

„Ah.“ Serena überlegte, ob sie ihn nun nach der Schulart fragen sollte.

„Tut mir leid.“

Verwundert sah sie den Jungen an, der die Schultern noch weiter nach oben gezogen hatte. Sie konnte Vitali im Hintergrund schimpfen hören.

„Das… ist schon okay.“, sagte sie stockend. Der Klang von Vitalis aufgebrachter Stimme verleitete sie zu weiteren Worten. Ihre Stimme nahm ihren üblich entnervten Klang an. „Vitali ist ein Idiot, der regt sich über alles auf.“

Mit einem Mal hob der Junge den Kopf, doch zu Serenas Überraschung schlug ihr nun leiser Trotz und Unzufriedenheit entgegen, als hätte sie etwas Falsches gesagt.

Sie wusste wirklich nicht, was das zu bedeuten hatte.

Vitali stöhnte tief. Offenbar hatte Vivien keine Lust gehabt, sich sein Gemeckere noch weiter anzuhören und hatte das Telefonat beendet. Er steckte das Handy weg und sah dann mit vor der Brust verschränkten Armen in ihre Richtung. Wieder stöhnte er.

„Krieg dich wieder ein.“, sagte Serena ruppig und trat dann von Vicki weg.

Mal wieder hatte sie sich ganz umsonst bemüht, freundlich zu sein.

Ihr Gesicht verzog sich missmutig. Sie mochte den Jungen nicht!

Ihr Blick senkte sich. Sie kam sich reichlich dämlich vor.

„Was heißt hier, ich soll mich einkriegen! Ich bin immer der Idiot von meiner Mutter!“, schimpfte Vitali.

Serena fehlte die Lust, ihn zu beleidigen und sparte es sich. „Viviens Geschwister sind auch dabei.“

„Ja, aber die –“ Vitalis Augen wanderten zu Vicki.

Serena verstand. Viviens Geschwister waren eingeweiht. Sie wussten, dass sie Beschützer waren.

Sie senkte die Stimme. „Dann sag halt, dass er nicht mit kann.“

Vitali antwortete ebenfalls im Flüsterton. „Geht nicht, sonst lässt sie mich auch nicht gehen.“

„Dann teleportier dich raus.“

„Würd ich ja, aber sie ist wie ein Gefängniswärter, sie würde es merken.“

„Ich dachte, sie müsste dann deinen Bruder auf den Umzug begleiten.“, wandte Serena ein. Das hatte sie bei dem Telefonat aufgeschnappt.

Vitali seufzte und sah äußerst unzufrieden aus, fast als wolle er nicht zugeben, dass er … Sie überlegte. Seinen Bruder nicht enttäuschen wollte? Irgendwie hätte das zu ihm gepasst. Vitali war so ein Trottel. Viel gutmütiger als er zeigte…

Wieder sah er zu Vicki und seufzte abermals. Dann wurde er wieder laut und deutete auf seinen Bruder.

„Hey! Du machst genau was ich sage, wenn ich es sage, ist das klar?!“

Der Junge stand mit einem mal stramm da und nickte überzeugt.

Serena konnte nicht fassen, wie schnell dieses Gör sich gewandelt hatte. Sie würde nie wieder versuchen zu irgendwem freundlich zu sein!

„Also, das sind Ariane und Serena.“, stellte Vitali vor. „Das ist Viktor.“

Vicki starrte Serena an, als habe die Nennung ihres Namens ein jähes Erkennen bewirkt, als handle es sich bei ihr um ein Naturphänomen.

Das brachte Serena gewaltig auf die Palme.

Als was zum Henker galt sie im Hause Luft?!

Beleidigt drehte sie sich weg und fühlte sich völlig deplatziert. Die plötzliche Überzeugung, dass ihr Name bei Vitali und seiner Familie als das Pseudonym für die größte Schreckschraube aller Zeiten benutzt wurde, wirkte wie eine Geröllmoräne, die jegliche Selbstsicherheit in ihr unter sich begrub.

„Wir treffen uns noch mit ein paar anderen.“, informierte Vitali seinen Bruder.

Er trat neben sie und wollte loslaufen, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte.

„Was ist jetzt?“, flüsterte er ihr mit deutlichem Widerwillen in der Stimme zu.

„Nichts.“, machte sie.

 

Er hasste es, wenn sie ‚Nichts‘ sagte.

Das war die schlimmste Antwort, die sie im Allgemeinen gab!

Er stieß einen völlig entkräfteten Laut aus.

„Haben wir nicht schon genug Probleme?“

„Ich weiß nicht, wovon du redest.“, gab Serena harsch zurück.

„Es reicht schon, wenn Ariane einen auf apathisch macht. Wenn du wieder irgendein Psychoproblem hast, dann sag’s, bevor du mich wieder paralysierst oder sonst was machst.“

Serenas Mund hatte sich automatisch zu einem trotzigen Schmollmund verzogen.

„Schluck‘s runter oder spuck‘s aus.“, forderte Vitali. „Ich hab echt keinen Nerv für so was.“

„Ich vermisse Erik!“, stieß Serena provokativ hervor.

Prompt wurde Vitalis Gesicht zur Grimasse. „Dann geh doch zu ihm!“

„Tu ich auch!“

Ariane sprach in beängstigendem Tonfall „Wenn es Erik ist.“ und nahm den beiden damit jeglichen Wind für weitere Streitereien aus den Segeln.

Vitali sah Serena an, um Hilfe im Umgang mit Ariane zu suchen, doch leider wusste auch Serena nicht, wie sie ihre Freundin trösten sollten. Stattdessen einigten sie sich stumm darauf, ihre Streitigkeiten bleiben zu lassen, bis es Ariane besser ging.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Vicki soll dabei sein, obwohl er nichts von Vitalis Beschützer-Dasein weiß? Na das kann ja heiter werden...
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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  RukaHimenoshi
2022-03-20T18:57:30+00:00 20.03.2022 19:57
>Plötzlich erklang das Lied ‚I’m sexy and I know it‘ aus Viviens Richtung.
Love it X’D X’D X’D X’D X’D X’D X’D X’D X’D

Haha, ich habe den ganzen Part von Arianes Gedankenmonolog eigentlich kaum wahrgenommen, so sehr war das „Mädchen, du hast ja sowas von keine Ahnung“ im Vordergrund. XD

Naaaaaaaw, oh mein Gott, Justin, Vivien, jetzt kuschelt doch einfach!!! Und das schreibe ich, wo sie sich schon umarmen… XD Aber das reicht nicht! Nicht jetzt, nicht so! Ach ihr zwei~ Es wird alles wieder gut, Hauptsache ihr habt euch lieb und haltet zueinander <3

Und zum Abschluss Serenas Versuch mit Vicki zu reden… Sehr süß XD
Jetzt muss ich aber schnell weiterlesen :9
Antwort von:  Regina_Regenbogen
01.04.2022 23:18
>>Plötzlich erklang das Lied ‚I’m sexy and I know it‘ aus Viviens Richtung.
>Love it X’D X’D X’D X’D X’D X’D X’D X’D X’D
:D

>Haha, ich habe den ganzen Part von Arianes Gedankenmonolog eigentlich kaum wahrgenommen,
>so sehr war das „Mädchen, du hast ja sowas von keine Ahnung“ im Vordergrund. XD
Tja, sie denkt manchmal einfach zu viel und versteht dabei dann weniger als wenn sie einfach mal aufhören würde, alles zu hinterfragen.

>Aber das reicht nicht! Nicht jetzt, nicht so! Ach ihr zwei~ Es wird alles wieder gut, Hauptsache ihr
>habt euch lieb und haltet zueinander <3
Oh, ich wusste, das würde eine schwere Szene werden für das Shipper-Herz. Irgendwie haben die zwei schon eine erste Krise, bevor sie überhaupt ein Pärchen sind. :'D
Aber wahre Liebe halt und so.

>Und zum Abschluss Serenas Versuch mit Vicki zu reden… Sehr süß XD
XD Schön, dass du es süß fandest. Serena steht sich ja irgendwie doch selbst im Weg.

Von:  totalwarANGEL
2022-03-11T20:34:33+00:00 11.03.2022 21:34
> Aber das hier erschien ihr einfach falsch und taktlos, als würden sie sich auf Eriks Kosten amüsieren.
Typisch...
> Wie hätte sie sich auch erlauben können, unbekümmert zu sein, während Erik leiden musste?
Wenn Secret aufwacht, gehen bei Erik die Lichter aus.
In dem Moment leidet er (mutmaßlich) gerade mal nicht.

Wieso hat Vivien so einen Klingelton?
Das würde ich von Erik erwarten.

> Sie empfand es allgemein als lästig, dass Vivien überall potentielle Pärchen bilden musste und auch
> sie und Erik zu einem erklärt hatte.
Pärchenbildung ist ein wichtiges Grundprinzip.
Wasserstoff, Sauerstoff, Chlor... bildet alles Paare.

> ein extrem plumper und wenig geistreicher.
Well, he's a man...
> Erik behandelte sie immer intellektuell ebenbürtig, nicht als wäre sie Beute.
Dann warte es mal ab, wenn er dich an den Haaren in seine Höhle schleift.
> Außerdem war er niemand, der Freundlichkeit und Respekt heuchelte, nicht mal wenn die Höflichkeit es gebot…
Ja, das imponiert mir auch an ihm. :D

> „Deshalb trägt er dieses Mal auch eine Fackel.“
Dann bleibt für Vitali noch die Mistgabel.

> Es ist als würden wir eine tickende Zeitbombe in die Mitte von Kindern bringen.
Und? Machen Terrorristen doch andauernd.

Uh, der Terrorzwerg geht aber ab.
Ach diese ganzen Gefühle.
Wie gut, dass ich davon keine Ahnung habe. :D


> Vicki soll dabei sein, obwohl er nichts von Vitalis Beschützer-Dasein weiß? Na das kann ja heiter werden...
Besser könnte ich das jetzt auch nicht ausdrücken. ;)
Antwort von:  Regina_Regenbogen
12.03.2022 01:04
>Wenn Secret aufwacht, gehen bei Erik
>die Lichter aus.
>In dem Moment leidet er (mutmaßlich)
>gerade mal nicht.
😂😂😂👍

>Wieso hat Vivien so einen Klingelton?
>Das würde ich von Erik erwarten.
Das ist ja auch der Klingelton, den sie Eriks Nummer zugeordnet hat, sodass sie allein an der Musik direkt weiß, wer anruft. Bei Vitali spielt ihr Handy die Superman Melodie.

😂 Genau, interessante Sichtweise auf Pärchenbildung.

Ein Erik Donner muss niemanden in die Höhle schleifen. Die kommen schon von alleine mit. 🤣🤣🤣

>> Außerdem war er niemand, der
>>Freundlichkeit und Respekt heuchelte,
>>nicht mal wenn die Höflichkeit es gebot…
>Ja, das imponiert mir auch an ihm. :D
😂 Verständlich, dafür liebt man ihn doch.

>Dann bleibt für Vitali noch die Mistgabel.
🤣

>Ach diese ganzen Gefühle.
>Wie gut, dass ich davon keine Ahnung habe. :D
Ja, Gefühle werden total überbewertet, bringen nur Probleme.

😄







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