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Balance Defenders

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Vivien ist am Ende ihrer Kräfte und droht sich und ihre Identität zu verlieren. Die anderen trifft ihr Zustand unvorbereitet. Nur Erik begreift, dass sie die ganze Zeit versucht, eine übermenschliche Rolle zu spielen. Wird es ihr gelingen, wieder zu sich zu finden, und wie geht Justin mit der Situation um? Komplett anzeigen

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Am Ende des Selbst – Begehren und Leid


 

Am Ende des Selbst – Begehren und Leid

 

„Aus Angst verletzt zu werden,

glaubst du schon an das Ende,

bevor es angefangen hat.“

(Unbekannt)

 

Die anderen hatten tatsächlich keine Widerworte von sich gegeben, als Erik mit Vivien zurückgekommen war und Vitali ohne weitere Erklärung beauftragt hatte, sie nach Hause zu bringen.

Obwohl die anderen drei ihn mit fragenden Blicken musterten, wagte keiner ihm eine Frage zu stellen, bevor Vitali schließlich zurück war.

Erik atmete geräuschvoll aus. „Sie ist nicht besessen.“

„Und woher weißt du das?“, forderte Serena zu erfahren. Sie wirkte fast schon wütend darüber, dass Erik Vivien einfach alleine hatte gehen lassen.  

„Wenn sie es ist, dann sollte ihr ihr trotzdem erst mal Ruhe gönnen.“, gab Erik zurück.

Der Argwohn wich nicht von Serenas Zügen.

Ariane schaute besorgt. „Was ist denn mit ihr?“

Justin zog automatisch den Kopf ein, als wisse er bereits, dass alles seine Schuld war.

Erik wandte sich an ihn. „Nein, es ist nicht deine Schuld.“, sagte er streng. „Das war nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“

Justin sah ihn bestürzt an.

Erik seufzte. „Sie ist am Ende ihrer Kräfte.“

„Wie meinst du das?“, fragte Ariane.

„Vivien ist immer fröhlich, egal, was ist, richtig?“ Eriks Ton wurde vorwurfsvoll. „Glaubt ihr, dass irgendein Mensch wirklich so sein kann?“

Vitali kommentierte leichthin: „Sie ist halt kein normaler Mensch.“

Erik ließ ihm einen strafenden Blick zukommen. „Sie denkt offenbar, dass ihr das von ihr erwartet.“

„Das tun wir nicht.“, dementierte Ariane.

„Doch tun wir!“ Die anderen starrten Serena an. Ihr Gesichtsausdruck war hart. Mit geballten Fäusten starrte sie zu Boden.  „Das haben wir doch letztens schon gemerkt.“ Leid zeichnete ihr Gesicht. „Sie kann langsam nicht mehr, aber sie hat sich nicht getraut, es uns zu zeigen.“

„Aber wieso nicht?“, fragte Ariane verständnislos.

Serena rang nach Atem. „Damals im Schatthenreich…“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich dachte, Vivien wäre komplett gaga und würde nicht verstehen, dass wir in Lebensgefahr sind! Sie war so durchgeknallt und nervig.“ Ihr Gesicht verzog sich schuldbewusst. „Aber in Wirklichkeit ... Ich hab es erst verstanden, als ich sie mit ihren Geschwistern erlebt habe. Sie hat sich einfach so verhalten, wie sie es vor ihnen tun würde. Um sie abzulenken. Sie hat gedacht, sie müsste unsere große Schwester sein. Die ganze Zeit über.“ Jäh wurde sie laut. „Als könnten wir nicht auf uns selbst aufpassen!“ Aufgewühlt blickte sie auf, schien den Tränen nah. „Sie weiß gar nicht mehr, was in ihr selbst vorgeht!“

Ariane und Vitali starrten Serena an.

Justin dagegen blickte schuldbewusst zu Boden. Es herrschte kurzes Schweigen.  „Gestern…“, ergriff Justin zaghaft das Wort. „Sie hat angedeutet, dass sie anders ist als ich denke.“

Erik stöhnte. „Sogar ich denke, dass du sie idealisierst.“

Serena nickte zustimmend.

Justin schaute getroffen.

Erik sprach weiter. „Vivien ist nicht naiv und unschuldig oder dauerfröhlich und unbekümmert. Ich dachte auch, dass sie wirklich glaubt, was sie sonst redet, dass alles positiv ist und … Vielleicht sagt sie das auch nur, um sich selbst zu überzeugen.“

Serena weihte Erik in das ein, was er noch nicht über Vivien wusste: „Sie hat Angst, alleine zu sein.“

Gequält eröffnete Justin: „Das hat sie auch gestern gesagt.“

Erik holte tief Luft. „Alleinsein wird jetzt trotzdem das Beste für sie sein. Es ist nicht gut, dass sie die ganze Zeit auf euch fixiert ist.“

Ariane klang unsicher: „Wir sollen sie also alleine lassen?“

„Ja.“, antwortete Erik überzeugt. „Sie ist viel zu sehr darauf bedacht, euch keinen Kummer zu bereiten, und achtet überhaupt nicht auf sich. Und wenn sie es tut, dann erwartet sie, dass ihr sie trösten könnt, aber das könnt ihr nicht. Nicht mal Justin. Das frustriert sie nur umso mehr und dann denkt sie erst recht, dass sie falsch ist.“

„Woher weißt du das?“, fragte Ariane ungläubig.

„Ich weiß es einfach.“, sagte Erik überzeugt, ohne sich auf Diskussionen einzulassen. Er wandte sich an Justin. „Mit dir will ich kurz alleine sprechen. Ihr anderen könnt schon gehen.“

„Wir sollen uns also nicht bei ihr melden?“, hakte Serena nochmals nach. Es war offensichtlich, dass sie glaubte, Vivien dadurch im Stich zu lassen.

„Wenn ihr euch nach ihr erkundigt, wird sie sich nur unter Druck fühlen, wieder ‚normal‘ zu sein, damit ihr sie nicht mit euren Sorgen belästigt.“, sagte Erik und wandte sich dann ab, um Justin in den Trainingsbereich zu führen wie Vivien zuvor.

 

Justin fühlte sich schlecht. Er war so ein Versager. Dass er nicht mal gemerkt hatte, wie schlecht es Vivien eigentlich ging! Und wegen ihm ging es ihr jetzt noch schlechter…

„Es ist nicht deine Schuld.“, wiederholte Erik nachdrücklich.

Justin war anderer Meinung.

Eriks Stimme klang wütend. „Justin, du bestimmst nicht, wie es Vivien geht! Und wenn du dir weiter einredest, dass du das könntest, belastest du sie damit.“

Entsetzt sah Justin zu ihm.

Eriks Blick war streng. „Was Vivien jetzt von dir braucht, ist Vertrauen. Sie ist gerade verunsichert und zweifelt daran, dass du sie so akzeptieren kannst, wie sie sich dir noch nie gezeigt hat. Denkst du nicht, dass du ihr genau das demonstrierst, wenn du wie ein Häufchen Elend schaust?“

Schuldbewusst starrte Justin zu Boden.

Erik stöhnte. „Es hilft nichts, wenn du dich noch schlechter fühlst! Du tust doch alles, damit es ihr gut geht, oder?“

Justins Gesicht verzog sich.

Eriks Stimme wurde mit einem Mal leise und vorsichtig. „Sie hat angedeutet, worum es gestern ging.“

Schock trat in Justins Gesicht.

„Justin, ich glaube nicht, dass sie irgendetwas wollte, für das ihr beide nicht bereit seid. Sie wollte einfach nur gesehen und akzeptiert werden.“

Justin biss die Zähne zusammen. Wieso war er wieder der Fehler? Wieso konnte er nicht einfach normal sein? Dann wäre…

„Noch mal, es hat nichts mit dir zu tun, dass sie so denkt! Dass sie glaubt, sie dürfe nicht traurig sein oder ihren Schmerz zeigen, ist viel älter als das mit euch. Bezieh es nicht auf dich. So wie ich das sehe, hat deine Reaktion ja auch nichts mit ihr zu tun. Jeder von euch hat sein Päckchen zu tragen. Mach ihres nicht zu deinem.“

„Aber wie soll ich ihr …“

„Indem du selbst stabil bleibst, anstatt sie wie ein begossener Pudel anzuschauen. Du sollst ihr vertrauen und ihr das Gefühl geben, dass du an sie glaubst, auch wenn sie es gerade nicht tut. Verstehst du?“

Justin war sich unsicher, ob er wirklich dazu in der Lage war.

„Justin! Hör zu. Du …“ Erik unterbrach sich und stöhnte.

Justin hatte das Gefühl, dass selbst Erik langsam zu dem Schluss kam, dass bei ihm Hopfen und Malz verloren war. Er zog den Kopf ein.

„Wenn du nicht an dich glaubst, zweifelt sie an sich.“

Justin horchte auf.

„Ich weiß nicht wieso, aber jedes Mal, wenn du unsicher wirst, verunsichert das sie.“

Durch Eriks Worte erinnerte sich Justin daran, wie Vivien ihm eröffnet hatte, dass sie sein Vertrauen brauchte, seinen Glauben an sie, weil sie sonst nicht länger an sich glaubte. Er hatte es vergessen. Aber…

Er musste den Kloß in seinem Hals hinunterschlucken.

Jäh spürte er Eriks Hand auf seiner Schulter. Er versuchte die aufkommenden Tränen wegzublinzeln und verkrampfte sich noch mehr.

„Du musst aufhören, dich selbst fertigzumachen.“

Sein Gesicht verzog sich automatisch, er konnte nichts dagegen tun. Ihm war nach Heulen zumute.

„Wie soll ich denn…“, presste er hervor und musste erneut schlucken. „Ich will ihr doch vertrauen, wirklich, ich…“

„Du vertraust dir selbst nicht, schon klar.“, sagte Erik, als wäre das mehr als offensichtlich, und zog die Hand zurück.

Justin konnte nicht verstehen, wie er diesen Zusammenhang so schnell hatte erkennen können.

„Justin, genau deshalb hat dir Vivien monatelang nicht gesagt, dass sie in dich verliebt ist. Sie dachte, du würdest sie abweisen. Ist dir das klar?“, fragte Erik. „Sie dachte, du würdest sie abweisen.“, wiederholte er bedeutungsvoll.

Justin konnte dem nicht folgen. „Aber…“

„Sie hat die ganze Zeit übertrieben offensichtliche Annäherungsversuche gemacht, um zu testen, wie du darauf reagierst. Sie hat sich nicht getraut, es dir einfach zu sagen, weil sie Angst hatte.“

Die Eröffnung traf ihn. Vivien hatte Angst gehabt? Wie konnte… Vivien hatte doch keine …, nicht wie er! Sie war doch immer mutig!

„Allein wenn ich es mitbekommen habe, bist du ihren Annäherungsversuchen dauernd ausgewichen oder hast sie als Scherz abgetan. Du hast reagiert, als wollte sie sich nur über dich lustig machen. Was glaubst du, wie schmerzhaft es ist, von der Person, die man liebt, dauernd abgewiesen zu werden? Und auch noch unterstellt zu bekommen, man sei boshaft! Sie hat nur deshalb nicht aufgegeben, weil sie an dich geglaubt hat. Egal, wie oft du mit deinem Verhalten das Gegenteil ausgedrückt hast, sie hat an das geglaubt, was sie in dir gesehen hat. Kannst du dir vorstellen, wie hart das für sie war? Wie viel Mut und Vertrauen das erfordert hat?“

Das schlechte Gewissen peinigte ihn.

„Wenn sie so lange an dich geglaubt hat, dann könntest du ihr das langsam mal zurückgeben und nicht in Selbstmitleid versinken.“

Justin war unfähig, darauf zu antworten. Er hatte den Eindruck, viel zu schwach dafür zu sein. Zu schwach und unfähig, diesem Anspruch zu genügen.

„Warum gibst du immer dir die Schuld und redest dir ein, du wärst nicht gut genug?“

Er verstand die Frage nicht.

Die Härte wich aus Eriks Gesicht. „Ich weiß nicht, was in deinem Leben passiert ist, aber Vivien sieht etwas anderes in dir.“

Justin ballte die Hände zu Fäusten und versuchte sich zusammenzureißen. Genau das war doch das Problem! Sie sah etwas in ihm, das er nicht war! Er konnte ihr nicht gerecht werden!

Erik stöhnte. „Justin, du kannst dir weiterhin einreden, dass du klein und ungenügend und was weiß ich was bist. Aber das macht es nicht wahr. Du bist ein besonderer Mensch mit einem großen Herzen und viel mehr Stärke als du dir eingestehst. Und irgendwo in dir weißt du das. Du kannst dir einreden, dass Vivien nicht dich will, aber in Wahrheit sieht sie bloß viel deutlicher, wer du wirklich bist. Das hat sie von Anfang an getan. Während du dich vehement dagegen wehrst! Was hält dich davon ab, diese Selbstzweifel einfach loszulassen?“

Die Frage brachte ihn aus dem Konzept. Er wusste es nicht.

Was hielt ihn davon ab, seine Selbstzweifel loszulassen? Vivien hatte ihm gesagt, dass sie ihn liebte. Die Person, von der er sich das am meisten gewünscht hatte! Und doch redete er sich ein, dass sie nicht ihn meinen konnte, dass sie einer Wunschvorstellung hinterher jagte, obwohl er doch wissen musste, dass sie ihn besser kannte als sonst jemand! Sie hatte ihn in seinen schlimmsten Momenten erlebt, als er sich selbst nicht mehr zu helfen gewusst hatte. Er war ihr gegenüber ungerecht geworden, hatte ihr schlimme Vorwürfe gemacht, sie zum Weinen gebracht. Und trotzdem… Trotzdem hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn liebte, so wie er war, und dass er jetzt schon die Person war, die sie wollte!

Warum zweifelte er noch daran?

„Es ist…“, begann er zögerlich. „…zu gut, um wahr zu sein.“

Unsicher sah er in Eriks Gesicht, um zu erkennen, ob Erik das verstehen konnte.

Mitgefühl wurde auf Eriks Zügen sichtbar. „Weil du das nicht kennst.“

Justin nickte. „Irgendwie… Ich warte immer noch darauf, aufzuwachen und zu merken, dass es nur ein Traum war.“ Er musste weitere Tränen runterschlucken.

Eriks Stimme war sanft. „Ich weiß, das ist neu. Und alles Neue macht einem Angst. Aber … Es wird besser werden. Das verspreche ich dir.“

Eriks Mimik schien sich kurz zu ändern, als er weitere Worte sprach: „Du bist nicht mehr der kleine Junge von damals.“

Justin konnte nicht sagen, was es war, aber die Worte fühlten sich von Erik gesprochen nach etwas Gewaltigem an. Etwas, das einen Moment der Ehrfurcht gebot.

Justin holte tief Luft. „Danke.“ Ein Wort, in dem so viel lag.

Erik nickte ihm zu. „Es wird alles gut.“

„Danke.“, wiederholte Justin. Er wusste nicht, wie er anders ausdrücken sollte, was er gerade empfand. Worte schienen dem nicht gerecht werden zu können.

Erik lächelte schwach und gab ihm einen kumpelhaften Klopfer gegen die Schulter.

Nach einem weiteren Blick in sein Gesicht stieß Erik die Luft aus, als fühle er sich zu etwas genötigt, das ihm widerstrebte. „Komm her.“, sagte er griesgrämig.

Justin verstand nicht.

Im gleichen Atemzug umarmte Erik ihn.

Justin war zu überrascht über die Geste, um sich zurückzuhalten. Für einen Moment hielt er sich an Erik fest, ohne darüber nachzudenken. Erik ließ es geschehen und trat erst einen Schritt zurück, als Justin ihn losließ.

Keiner sagte ein Wort.

Justin wusste, wie Erik damals am ersten Schultag auf Arianes Umarmung reagiert hatte. Er hatte sie ihnen gegenüber als Belästigung beschrieben. Für Erik war diese Art von Nähe keine Kleinigkeit.

„Wir sollten Ewigkeit rufen, damit sie Vitali holt.“, meinte Erik.

Justin nickte. Sein Herz war erfüllt von Dankbarkeit, die für einen Moment durchbrochen wurde von Reue, als er sich daran erinnerte, dass er wenige Tage zuvor in Erwägung gezogen hatte, Secret in der Nebendimension zurückzulassen.

 

Vivien lag zu Hause auf ihrem Bett. Nachdem Vitali sie herteleportiert hatte, hatte sie sich vor lauter Erschöpfung direkt hingelegt und eine Runde geschlafen.

Sie hatte ihren Kopf extra an das Fußende des Bettes gelegt, damit sie nicht zum Fenster und in Justins Zimmer sehen musste. Ihre Geschwister hatten ihr sogar das ganze Kinderzimmer überlassen. Doch jetzt wo sie wieder wach war, wusste sie nichts mit sich anzufangen. Ein Seufzer folgte dem nächsten.

Am liebsten wäre sie vor ihrem eigenen Kopf davongelaufen. Oder vor den Empfindungen, die sie nicht abstellen konnte. Ihr war nicht mal danach, sich abzulenken. Es kam ihr so sinnlos vor.

Sie griff nach ihrem Handy und schrieb eine Nachricht an Erik. Einfach weil ihr das das Gefühl gab, mit ihren Gedanken nicht komplett alleine zu sein.

Ich weiß nicht, wie man sich um sich kümmert.

Sie seufzte lang. Es war so viel einfacher, sich um jemand anderen zu kümmern. Das hätte sie wirklich bevorzugt.  

Ihr Handy vibrierte.

Tu etwas, das dir Spaß macht.

Ihr Mund verzog sich. Das Problem war, dass ihr gerade nichts Spaß machte. Sie war einfach zu frustriert und konnte das nicht loslassen. Sie fühlte sich schlicht mies.

Ich weiß nicht was., antwortete sie. Mit Erik zu schreiben kam ihr oberflächlich genug vor, um sie nicht wieder einem emotionalen Ausbruch nahezubringen, und ablenkend genug, um nicht zu verzweifeln.

Warte.

Vivien verstand nicht, was er damit sagen wollte. Vielleicht war er gerade noch mit etwas anderem beschäftigt.

Sie starrte auf das Handydisplay, darauf wartend, dass er ihr gleich wieder schrieb. Aber es kam keine weitere Nachricht. Resignierend legte sie das Handy weg.

Minutenlang lag sie ausgestreckt auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Sie seufzte.

Und seufzte nochmals.

Eigentlich war es auch ein Zeitvertreib, die Decke anzustarren und zu seufzen. Sie atmete durch ihren Mund aus und lauschte dem Geräusch, das dadurch erzeugt wurde.

Weitere Minuten verstrichen.

Das Klingeln der Haustür drang zu ihr.

Sie gab ein unglückliches Geräusch von sich.

Ihre Mutter war noch arbeiten und Kai und Ellen fragten zwar üblicherweise, wer an der Tür war, riefen dann aber sie, weil ihnen gesagt worden war, dass sie Fremden nicht die Tür öffnen durften. Das hieß, sie musste aufstehen.

Schwerfällig erhob sie sich.

Sie hatte keine Lust, der Weg kam ihr so lang vor.

Auf der Bettkante blieb sie nochmals sitzen und wartete darauf, dass Kai und Ellen nach ihr riefen. Waren sie etwa nicht zur Tür gegangen?

Sie seufzte nochmals und erhob sich. Draußen hörte sie Schritte. Die schnellen, lebhaften Schritte konnte sie zuordnen, das waren ihre Geschwister. Aber da waren auch noch deutlich schwerere. Was?

Eilig ging sie zur Zimmertür und riss sie auf.

Im Gang stand in Begleitung ihrer Geschwister -

„Justin will dich sehen.“, rief Ellen.

Da ihre Geschwister ihn kannten, hatten sie ihn wohl einfach hereingelassen.

Vivien sah ihn an. Zu ihrer Verwunderung senkte er nicht beschämt und verängstigt den Blick, stattdessen wandte er sich ungewohnt überzeugt an Kai und Ellen.

„Würdet ihr uns kurz alleine lassen?“

„Okaaaay.“, maulte Kai und lief zurück zur Treppe. Ellen rannte ihm hinterher.

Vivien trat zurück, um den Durchgang nicht länger zu versperren.

Ihr wurde klar, dass es in diesem Zimmer auch nur die Betten und einen kleinen Tisch mit Stuhl gab.

Bei dem Gedanken ließ sie den Kopf hängen. Sie wartete nur darauf, dass Justin fragte, ob sie sich woanders unterhalten könnten.

Einen weiteren Moment lang schwieg er und sie sah ihn nicht an.

„Darf ich mich auf dein Bett setzen?“

Als sie ihn ansah, wirkte er etwas verlegen, aber nicht so verstört wie sie es vermutet hatte.

„Wenn du willst.“, antwortete sie tonlos.

Justin trat ein und schloss die Tür hinter sich. Er nahm nahe der oberen Bettkante Platz.

Vivien wusste nicht, ob sie sich jetzt auch setzen durfte.

„Soll ich wieder gehen?“, fragte er, nicht verängstigt, sondern als würde er ihre Meinung einholen.

Dennoch machte sie die Frage wütend.

Sie biss die Zähne zusammen und antwortete nicht. Doch auch er sagte nichts weiter, sodass sie schließlich hervorpresste: „Erik meinte, ich soll mich um mich kümmern.“

Sie klang selbst in ihren eigenen Ohren extrem abweisend und bissig.

Justin wirkte äußerst überrascht. Er sah kurz zu Boden, dann wieder zu ihr auf. „Erik hat mich angerufen und gesagt, ich soll zu dir kommen.“

Vivien konnte es nicht fassen. Was hatte Erik sich dabei gedacht? Das war doch das Gegenteil von dem, was er ihr zuvor gesagt hatte!

Justins Stimme wurde leise. „Wir brauchen nicht... Ich wollte nur…“ Er unterbrach sich. Anschließend klang seine Stimme wieder fester. „Ich wollte in deiner Nähe sein, egal ob du traurig oder wütend bist oder irgendetwas anderes, das ich bisher nicht an dir kenne. Ich… Ich wollte nur da sein. Damit du das weißt.“

Vivien starrte ihn an, er wirkte überzeugt. Dann wandte sie den Blick ab.

Sie ging nicht davon aus, dass er diesem Vorsatz treu bleiben würde. Sie durfte sich ja nicht mal neben ihn auf das Bett setzen.

„Willst du dich nicht setzen?“

Sie reagierte nicht.

„Wenn es dir unangenehm ist, -“

„Nein!“, fuhr sie ihn an. „DIR ist es unangenehm! Nicht mir!“

Justin sah sie getroffen an. Sie wich seinem Blick aus.

Wieder hörte sie ihn die Luft ausstoßen. Er griff nach ihrer Hand, sie wehrte sich nicht.

„Setz dich.“, bat er sachte.

Noch immer regte sie sich nicht. Seine Hand ließ los.

Sie hörte, wie er aufstand, offenbar um zu gehen. Bei dem Geräusch hätte sie am liebsten losgeheult.

Plötzlich stand er vor ihr und legte seine Hände auf ihre Oberarme. Sie durchbohrte ihn mit ihren Blicken, doch er ließ sich nicht davon abbringen, sie sanft, aber bestimmt zu ihrem Bett zu führen und sie mit behutsamem Druck dazu zu bringen, sich zu setzen.

Noch immer stierte sie ihn argwöhnisch an.

Er setzte sich neben sie. Ihr war das unangenehm.

„Tut mir leid, was ich gestern gesagt habe.“, sagte Justin.

„Du wolltest doch nicht reden.“, unterbrach sie ihn.

Oh Gott, sie klang wirklich giftig.

Sie hörte Justins tiefe Atemzüge, als müsse er sich zur Ruhe mahnen.

„Es ist mir egal, wenn du wütend bist.“, sagte Justin langsam, dann kam plötzliche Hektik in seine Stimme. „Ich meine, es ist mir nicht egal! Ich… Es ist mir nicht wichtig! Also - Es ist okay!“

„Ich bin nicht wütend.“, zischte sie beleidigt.

Justin holte Luft. „Ich wollte damit sagen: Ich erwarte nicht, dass du immer fröhlich bist. Ich bleibe auch so bei dir.“

Seine Hand legte sich auf ihre.

Ruckartig riss sie sich von ihm los und starrte ihn an, als wolle er ihr ein Leid antun.

Seinem Gesichtsausdruck war anzusehen, dass er das nicht deuten konnte.

Sie wollte ihm sagen, dass sie ihn gar nicht dahaben wollte. Aber…

Sie konnte nicht.

Wieder hörte sie Justin seufzen. Das Geräusch schmerzte sie.

Wieso ging er nicht einfach? So wie immer, wenn ihre Gefühle ihn überforderten! Warum musste er ihre falschen Hoffnungen auch noch nähren?!

„Ich kann mich auch einfach in eine Ecke setzen und was anderes machen, wenn dir das lieber ist.“, bot er an.

Sie gaffte ihn an. Er schien das wirklich ernst zu meinen.

Ihre Augen wanderten zu ihren Händen, die sie zu Fäusten geballt auf ihren Beinen liegen hatte. Sie wusste nicht, was sie wollte. Sie hatte viel zu große Angst, irgendetwas von Justin zu wollen, das doch nur wieder enttäuscht wurde.

Ihre Atmung wurde hektisch.

„Vivien?“

„Ich weiß nicht.“, stieß sie aus wie ein beleidigtes Kind.

„Okay.“, sagte Justin langsam. „Ist es in Ordnung, wenn ich hier sitzen bleibe?“

„Ist mir doch egal!“

Himmel, sie klang immer mehr wie ein trotziges Kind!

Sie rang nach Atem.

Justin sagte nichts.

Ihre Atemgeräusche bekamen etwas Weinerliches. Aber Justin berührte sie nicht. Das wollte sie auch gar nicht! Er sollte sie in Ruhe lassen! So wie immer...

Bei dem Gedanken steigerte sie sich noch mehr in ihr stummes Jammern hinein.

Sie wollte Justin von sich stoßen. Sie wollte –

Sie wusste nicht, was sie wollte!

Sonst war sie immer über ihren Schatten gesprungen, hatte ihren Stolz hinter sich gelassen und hatte sich in seine Arme geworfen. Aber …

Sie konnte nicht.

Sie hatte solche Angst davor, wieder abgelehnt zu werden. Wieder und wieder. Sie wollte nicht zulassen, dass er ihr wieder wehtun konnte.

Was wollte sie eigentlich?

Schluchzend sog sie die Luft ein. Sie wollte Justin!

Aber … das ging nicht.

„Vivien, ich bin da.“, sagte er.

Sie schüttelte den Kopf. Sie durfte das nicht zulassen. Er würde ihr wieder wehtun. Sie durfte sich keine Hoffnungen machen. Sie…

Sie hatte nicht mehr die Kraft für all diese Gedanken.

Stumm starrte sie auf das Doppelbett ihrer Geschwister.

Alles war egal. Alles sollte egal sein.

Sie schloss die Augen.

Sie hörte nur noch ihren eigenen und Justins Atem. Warum war er noch hier?

Es war egal. Sie musste atmen.

Sie fühlte sich so schwach. So hilflos und ausgeliefert.

Ohne darüber nachzudenken, ließ sie sich zur Seite kippen und lehnte sich gegen Justin, immer noch schwer atmend. Wenn es eh wehtat, war das hier doch auch egal.

Auf ihre Nähe hin nahm Justin ihre Hand und drückte sie.

Ihre Aufmerksamkeit galt allein ihrer Atmung.

„Du musst richtig atmen.“, sagte er.

Entfernt erinnerte sie sich daran, dass sie das zu ihm gesagt hatte.

Sie hatte keine Lust, zu hyperventilieren und bemühte sich, die Atemintervalle zu verlängern. Aber sie war so schwach, so erschöpft.

„Justin…“ Sie konnte sich nicht mehr so halten und ließ sich hinter ihm aufs Bett fallen.

Sie spürte, wie seine Hand ihre Wange berührte. „Vivien?“

Ihre Beine wurden aufs Bett gehievt.

Dann versuchte Justin offenbar ihr ein Kissen unter den Kopf zu schieben, das er von der anderen Bettseite geholt hatte.

Noch immer mit Atmen beschäftigt, öffnete sie die Augen und sah Justin an.

„Justin…“, flüsterte sie hilflos, immer noch im Kampf mit sich selbst.

Er kniete besorgt vor dem Bett.

Atemlos hauchte sie: „Ich liebe dich.“ Ihr Gesicht verzog sich angesichts der widerstreitenden Gefühle in ihrem Inneren, dem Anspruch, ohne ihn leben zu müssen, und der verzehrenden Verzweiflung, ihn zu verlieren.

Er legte seine große warme Hand auf die Seite ihres Gesichts und sie schloss die Augen.

„Geh nicht weg…“, winselte sie.

„Ich gehe nicht weg.“, sagte er mit sanfter Stimme.

 

Langsam fragte sich Justin, ob das Ganze nicht doch etwas mit einer Plage zu tun hatte. Vivien schien es wirklich schlecht zu gehen. Sollte er die anderen rufen? Er hatte Angst, etwas falsch zu machen.

Was, wenn er zu spät handelte?

Er konzentrierte sich wieder auf Vivien und bemerkte, dass sich ihre Atmung angesichts seiner Berührung langsam beruhigte.

Mit geschlossenen Augen lag sie da, als wäre sie einfach nur todmüde und kurz davor, einzuschlafen. Wie sie so da lag, sah sie aus wie ein Engel.

Ein schwacher, entkräfteter Engel, der nicht mehr konnte.  

Kurz überlegte er, sich zu ihr zu legen. Aber… Das ging doch nicht!

Er schluckte.

Es war besser, wenn er einfach nur so bei ihr blieb, auch wenn es unbequem war, auf dem Boden zu knien.

Ihre Atmung wurde wieder schwerer.

„Vivien?“

Sie öffnete schwerfällig die Augen.

„Kann…“ Er musste die Augen niederschlagen. „Kann ich mich zu dir legen?“ Das war so peinlich...

Sie antwortete nicht.

Zu seiner Verwunderung hörte er dann, wie sie sich bewegte und sah, dass sie ihm Platz im Bett machte.

Übergroße Scham überkam ihn.

Wenn ihre Geschwister reinkommen würden, was würden sie denken?

Vivien sah ihn an. Sie wirkte so zerbrechlich.

Da er sich schon am Hauseingang seiner Schuhe entledigt hatte, konnte er sich einfach zu ihr legen.

So wie er sich dabei fühlte, war er vermutlich wieder ziemlich rot im Gesicht. Aber daran durfte er jetzt nicht denken.

Das Bett war nicht superbreit, sie konnten nur beide darin Platz finden, wenn sie jeweils auf der Seite lagen.

Vivien sah ihn aus ihren amethystfarbenen Augen an.

Justin hob den Arm, um ihn um sie zu legen, und hatte das Gefühl, als stünde er kurz davor zu zittern.

Noch immer sah sie ihn so verletzlich an, als wolle sie ihm etwas sagen.

Er nahm allen ihm verbliebenen Mut zusammen und rückte näher zu ihr. Als hätte er damit einen Bann gebrochen, kam sie daraufhin etwas näher, hielt sich mit ihrer Linken an seinem Oberteil fest und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust.

Er legte den Arm schützend um sie. Keiner von ihnen sagte ein Wort.

Einige Momente blieben sie so liegen, während Justins Herz massenweise Blut durch seinen Körper pumpte.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.

Justin hatte den Impuls aufzuspringen, doch bevor er das tun konnte, fragte Ellens Stimme bereits:

„Was tut ihr da?“

Die Situation war ihm so peinlich, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Er war nur dazu gekommen, sich auf seinen Ellenbogen zu stützen und sich halb zu Ellen zu drehen.

„Vivien geht es nicht gut.“, japste er.

Ellen kam heran und besah sich die Situation genauer.

Justin glaubte, vor Scham im Erdboden versinken zu müssen.

Wie die Kleine so fachmännisch begutachtete, wie er mit Vivien im Bett lag, war einfach ein Albtraum!

„Sie –“

Ellen unterbrach ihn mit strengem Blick und legte den Zeigefinger auf die Lippen. „Ssch!“

Verdutzt sah er die Kleine an. Sie deutete mit ihrer Hand auf Vivien und formte dann mit beiden Händen ein Kissen, das sie sich an ihr Gesicht hielt, um ihm gestisch verständlich zu machen, dass Vivien schlief. Dann nickte sie ihm zu und ging wieder aus dem Zimmer.

War das gerade wirklich passiert?

Verschämt legte er sich wieder und versuchte nicht länger über die Situation nachzudenken, was ihm natürlich nicht gelang!

Plötzlich schlang Vivien ihren Arm um seinen Brustkorb.

Von wegen sie schlief!

Sie gab ein Kichern von sich.

Das war echt gemein! Schließlich hätte sie Ellen erklären können, was vorging!

Dennoch stahl sich ein Lächeln auf Justins Lippen. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, seit er Viviens Lachen zuletzt gehört hatte. Er legte seinen Arm wieder um sie und spürte, wie sie sich an ihn kuschelte.

„Soll ich dich zudecken?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf, an seine Brust gelehnt.

„Kann ich sonstwas für dich tun?“

Wieder kicherte sie.

Irgendwie ließ ihm das warm ums Herz werden.

Ja, er mochte es, wenn sie fröhlich war. Er wollte einfach, dass sie glücklich war. Aber er wollte auch für sie da sein, wenn sie es nicht war.

„Willst du etwas schlafen?“

„Ja.“, sagte sie sanft.

„Dann sollte ich dich doch zudecken.“, meinte er und löste sich von ihr. Die Decke hatte sie zusammengerollt gegen die Wandseite des Bettes gelegt.

Er breitete sie über Vivien aus. Dann legte auch er sich darunter und nahm die Position von zuvor ein.

„Danke.“, flüsterte Vivien in niedlichem Ton.

„Ich pass auf dich auf.“

Was redete er denn da? Das klang bestimmt lächerlich in ihren Ohren. Aber Vivien sagte nichts, sie lachte auch nicht. Justin schloss ebenfalls die Augen.

 

Justin kam zu sich und stellte bestürzt fest, dass er eingenickt war.

Als er die Augen öffnete, sah er sich Vivien gegenüber, die ihren Platz an seinem Brustkorb verlassen und sich auf die Höhe seines Gesichts gelegt hatte. Sie lächelte und machte den Eindruck, als habe sie ihn schon länger beobachtet.

Normalerweise wäre er errötet, aber er war noch zu verschlafen dafür.

Er stützte sich auf seinen Ellenbogen und setzte sich auf.

„Wie geht es dir?“, fragte er.

Vivien stützte sich ebenfalls auf den Unterarm und lächelte ihn als Antwort lieblich an. Im Zimmer war es relativ dunkel. Der Blick aus dem Fenster verriet, dass es bereits dämmerte.

„Danke.“, sagte Vivien.

Er wandte sich wieder ihr zu. „Ich habe nichts gemacht.“

Vivien lächelte zärtlich. „Doch hast du.“ Sie beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Etwas verlegen stand Justin auf und setzte sich auf die Bettkante. Er wollte nicht auch noch von Viviens Mutter mit ihr im Bett überrascht werden.

Plötzlich wurde er von hinten von Vivien umarmt, sie kicherte vergnügt, und lehnte ihr Gesicht gegen seines.

Irgendwie gefiel ihm das sehr.

„Ich hab dich lieb.“, lachte sie fröhlich.

„Ich dich auch.“, erwiderte er.

Wieder gab sie ihm einen Kuss auf die Wange und ließ ihn dann los.

„Danke, dass du gekommen bist.“

Sie hatte wohl begriffen, dass er gehen wollte.

Er stand auf und lächelte sie an. „Ich würde dann…“ Er deutete mit dem Daumen an, dass er sich auf den Heimweg machen wollte.

„Justin.“

Er hielt noch mal inne.

Vivien kam aus dem Bett geklettert und stellte sich mit erwartungsvoll funkelnden Augen vor ihn.

Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, mit klopfendem Herzen beugte er sich zu ihr und gab ihr einen vorsichtigen Kuss auf den Mund.

Sie strahlte daraufhin glückselig.

„Bis morgen.“, sagte er.

Sie nickte fröhlich und er konnte nicht in Worte fassen, wie glücklich es ihn machte, dass ihr wunderschönes Lächeln zurückgekehrt war.

Er wollte sich umwenden, als er nochmals innehielt. „Vivien. Ich… Wenn irgendwas ist… Egal was ist…“ Er wusste nicht, wie er das am besten ausdrückte. Er rang nach Worten.

„Du brauchst nichts sagen.“, unterbrach sie ihn. „Tut mir leid, dass ich…“ Ihr Gesicht verzog sich einen Moment. „… an dir gezweifelt habe.“

Justin schnaubte belustigt. „Nicht so oft wie ich.“

Sie ergriff mit beiden Händen seine Linke. „Ich will nicht an dir zweifeln.“

„Das ist okay. Hauptsache, du zweifelst nicht an dir.“ Er sah sie mit festem Blick an. „Du bist wundervoll.“

Aus irgendeinem Grund entzog sie ihre Augen den seinen. Geradezu als wären seine Worte zu viel für sie, als könne sie damit nicht umgehen.

War Vivien so unsicher? Er hatte geglaubt, sie wüsste, wie großartig und wertvoll sie war. Hatte er die ganze Zeit übersehen, wie es wirklich um sie stand? Er besann sich des Ratschlags, den Erik ihm gegeben hatte.

„Ich werde…“ Er holte nochmals Luft. „Ich versuche an mich zu glauben, auch wenn das neu ist und ich nicht weiß, wie gut mir das gelingt, aber … Ich gebe mir Mühe.“

Vivien sah zu ihm auf. Er konnte ihren Blick nicht deuten.

Er rang sich zu weiteren Worten durch. „Glaub… bitte auch an dich. Ich tue es.“

Irgendwie schien sie das zu Tränen zu rühren. Hatte er etwas Falsches gesagt? Vielleicht war das dumm gewesen oder peinlich. Vielleicht…

Sie ließ seine Hand los und schlang ihre Arme um seine Taille.

„Danke.“, sagte sie.

Er erwiderte die Umarmung, auch wenn er nicht wusste, wofür sie sich bedankte. Er spürte, dass sie leicht bebte, als würde sie Schluchzer unterdrücken.

Hatte er sie wieder traurig gemacht?

Wäre er nur still geblieben! Eben war es ihr doch so gut gegangen! Sie stieß die Schluchzer nun hörbar aus.

Er hielt sie fest, doch ihre Schluchzer wurden nur lauter.

„Vivien.“ Er schob sie sacht von sich, um ihr Gesicht zu sehen.

„Danke.“, schluchzte sie.

Er konnte das nicht nachvollziehen. Wovon redete sie?

Sie verdeckte ihr Gesicht mit ihren Händen, als wolle sie ihn ihre Tränen nicht sehen lassen.

Behutsam umfasste er ihre Handgelenke und gab ihr mit einer sachten Bewegung zu verstehen, dass sie sich nicht verstecken brauchte.

Mit Tränen in den Augen sah sie ihn an.

„Was hast du?“, fragte er.

„Ich bin so froh.“, schluchzte sie. Er verstand nicht. „Dass du an dich glauben willst.“, antwortete sie, ohne dass er die Frage laut ausgesprochen hatte.

Er war von ihren Worten einen Moment überfordert.

„Das macht mich glücklich.“, weinte sie und wischte sich Tränen aus den Augen. „Glaubst du mir?“

Er wusste nicht, worauf sie hinauswollte.

„Dass du der wundervollste Mann auf der ganzen Welt bist?“

Er errötete. Das war für den Anfang doch etwas viel verlangt.

„Dass du für mich der wundervollste Mann bist?“, verbesserte Vivien.

Er reagierte nicht sofort. Zum einen fühlte er sich immer noch mehr wie ein kleiner Junge als wie ein Mann, zum anderen klang das immer noch so abwegig, aber… wenn sie das sagte, musste er ihr doch glauben.

Zögerlich nickte er. „Wenn du mir glaubst, dass du… für mich…“ Er schämte sich, es in Worte zu fassen. Klang das nicht alles zu kitschig?

Vivien gab ein ersticktes Lachen von sich und nickte. „Ich würde dich küssen, aber dann kriege ich keine Luft mehr.“

Nun musste auch Justin lachen und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Du bist so wundervoll.“, wimmerte Vivien.

Er hörte nicht auf seinen Kopf, der ihm das Gegenteil weismachen wollte, und lächelte sie an. Obwohl sie ihm gesagt hatte, dass sie keine Luft bekommen würde, beugte er sich zu ihr und gab ihr einen langen Kuss.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Vivien hat es geschafft, nicht länger gegen sich, ihre Sehnsüchte und Ängste anzukämpfen, und Justin will versuchen, an sich zu glauben. Doch es braucht mehr als einen guten Vorsatz, um aus eingefahrenen Mustern auszubrechen, aber wozu hat man Freunde?
Nächstes Mal: "Geduld und Selbstannahme". Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  totalwarANGEL
2022-12-25T00:21:28+00:00 25.12.2022 01:21
> Vivien ist am Ende ihrer Kräfte und droht sich und ihre Identität zu verlieren.
Ist das jetzt nicht ein wenig übertrieben...
Well that girl is over the top anyway...
🤷‍♂️😁

> Wird es ihr gelingen, wieder zu sich zu finden [...]
Wäre es nicht an der Zeit, aufzuhören dieser Persona zu verkörpern?
Schon klar, sie versteckt sich hinter ihrer Maske, weil sie viel viel verletzlicher
ist als sie tut. Das wäre genauso zu viel verlangt, wie zu erwarten, das Justin
sich ohne Widerworte begrabschen lässt.
Jemand - Erik scheint bisher auf einem guten Weg zu sein - muss ihr endlich
verklickern, dass es nicht gut ist für sie.

(Mein Gott, jetzt diskutiere ich schon über das Vorwort herum...)



Genug ernst. Jetzt kommen wieder die üblichen dummen Sprüche.

> Justin zog automatisch den Kopf ein, als wisse er bereits, dass alles seine
Schuld war.
Ich sag ja, Husband Material.
Schuldbewusst und demütig. 😂

> Serena rang nach Atem. „Damals im Schatthenreich…“ Sie schüttelte den Kopf.
> „Ich dachte, Vivien wäre komplett gaga und würde nicht verstehen, dass wir in
> Lebensgefahr sind! Sie war so durchgeknallt und nervig.“
Das denke ich heute noch. 😋
(Ne, nur Spaß)
> Sie hat gedacht, sie müsste unsere große Schwester sein.
Schon ein wenig größenwahnsinnig, die Kleine.

> Vielleicht sagt sie das auch nur, um sich selbst zu überzeugen.
Die beste Lüge ist die, die man selber glaubt...

Erik macht das klug.
Anstatt direkt auf Vivien einzureden, versucht er erst ihr Umfeld zu ändern. Wenn
Das klappt, dann wird die eigentliche "Mission" einfacher.

Justin ist ein offenes Buch für Erik...

Erics Donner Relationship Advice... 💖💗💖

> „Wenn sie so lange an dich geglaubt hat, dann könntest du ihr das langsam mal
> zurückgeben und nicht in Selbstmitleid versinken.“
Aber mehr kann er nicht...

Erik ist der coolste Hengst im Stall!

Kann Erik jetzt die Gestalt wandeln, oder was?
Das ist doch nicht Justin. XD

> Noch immer mit Atmen beschäftigt [...]
Das ist aber auch lästig, dieses Atmen...

> Wie sie so da lag, sah sie aus wie ein Engel.
So ein kleiner Dicker bei einem Springbrunnen? 😁

> Wenn ihre Geschwister reinkommen würden, was würden sie denken?
Junge, das sind kleine Kinder...
> Das Bett war nicht superbreit, sie konnten nur beide darin Platz finden, wenn sie
> jeweils auf der Seite lagen.
Es gäbe immer noch die Option, sich aufeinander zu legen...
Stapeln... wie Bierkästen. 🍻



Okay, ich hab nicht so die Ahnung von Gefühlen.
(Merkt man vielleicht bei meinen Stories)
Das ist fast schon Bildungsfernsehn für mich.
Danke. 😅
Antwort von:  Regina_Regenbogen
26.12.2022 20:57
> (Mein Gott, jetzt diskutiere ich schon über
>das Vorwort herum...)
Ich finde das sehr interessant. 😄

>Ich sag ja, Husband Material.
>Schuldbewusst und demütig. 😂
😂 Ich glaube, das ist das, was es Vivien oft schwer macht.

>Schon ein wenig größenwahnsinnig, die Kleine.
Oh ja. 😂

>Justin ist ein offenes Buch für Erik...
Wer ist das nicht? 😂 Erik und Justin haben gewisse Ähnlichkeiten und Justin ist nicht so schwer zu durchschauen.

>Kann Erik jetzt die Gestalt wandeln, oder was?
>Das ist doch nicht Justin. XD
😂 wenn es um eine Beschützersache geht, kann Justin ja auch sehr willensstark sein.

😂Deine blöden Sprüche.

>Junge, das sind kleine Kinder...
Die Kinder heutzutage sind früh aufgeklärt. 🤣

>Stapeln... wie Bierkästen. 🍻
😂😂😂

>Okay, ich hab nicht so die Ahnung von Gefühlen.
>(Merkt man vielleicht bei meinen Stories)
Quatsch, in deinen Geschichten kommt immer viel Gefühl vor. 😊 Du hast nur eine sehr viel subtilere Art, sie rüberzubringen, es ist mehr zwischen den Zeilen. Ich breite das halt lang und breit aus. 😄

>Das ist fast schon Bildungsfernsehn für
>mich. Danke. 😅
😂 Solange es unterhaltsames Bildungsfernsehen ist.


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