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Die Küsse, die niemals passiert sind

von

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2014, 24. Dezember

Guren versuchte danach nie wieder, ihn zu küssen. Bis zu diesem Abend.
 

Irgendwann im Dezember beschlossen Sayuri, Shigure und Mito, dass es wieder Zeit für eine Weihnachtsfeier sei. Obwohl die Welt im Prinzip vor zwei Jahren genau an diesem Tag untergegangen war, wollten sie dennoch gemeinsam Weihnachten feiern. Oder vielleicht gerade deswegen?
 

Die Ereignisse von vor zwei Jahren hatten sie einander noch näher gebracht, und Guren war jedes Mal froh, wenn er sah, dass sie noch am Leben waren. Er wollte seine Freunde nicht missen, obwohl sie manchmal echt nervten. Deshalb willigte er ein, es bei ihm zu machen, und ertrug die Vorbereitungen.
 

"Guren-sama Sollen wir ein paar Dekorationen basteln?"

"Guren-sama? Was soll ich kochen?"

"Guren-sama? Was für einen Kuchen möchtest du?"

"Guren-sama? Sollen wir einen Weihnachtsbaum besorgen?"
 

Sie machten ihn verrückt. Aber er ertrug es, denn er wusste, dass sie sich darauf freuten. Shinya und Goshi hingegen freuten sich darauf, eine Ausrede zu haben, um etwas Alkohol aus den Läden außerhalb von Shinjuku mitgehen zu lassen. Sie sammelten nun schon seit drei Wochen Flaschen und Dosen.
 

Am Heiligabend trafen sie sich in Gurens Wohnung. Obwohl es Weihnachten war, war es nicht viel anders als sonst. Sayuri und Shigure hatten das Wohnzimmer mit selbstgebastelten Papiersternen und Lichterketten dekoriert. Alles sah noch ordentlicher aus als sonst.
 

Als Mito hereinkam, war sie so erstaunt, dass ihr Mund offen stand. "Wow! Sayuri, Shigure, das sieht umwerfend aus!"
 

" Nicht wahr, Mito? Wir haben ja jetzt keine Weihnachtsdekoration mehr draußen", sagte Sayuri aufgeregt. "Also dachten wir: Bringen wir sie doch rein!"
 

"Das... Das ist...", fing Mito an, konnte es aber nicht in Worte fassen.
 

"Romantisch?", beendete Goshi ihren Satz. "Ist es das, was du sagen wolltest?"
 

Mito errötete, versuchte aber, es zu verbergen, indem sie weg sah und intensiv auf die Dekorationen starrte.
 

"Danke, Goshi!" sagte Sayuri. "Das war die Stimmung, auf die ich hinauswollte! Guren hat es auch gefallen!" Sie sah zu ihm hinüber, als würde sie eine Bestätigung suchen.
 

"Wirklich?" Shinya lachte und setzte sich neben ihn. "Hat sie dich gezwungen, das zu sagen?"
 

"Nein..." Diese Antwort war für Sayuri Bestätigung genug, um sich wieder Goshi zuzuwenden. Aber auch genug Bestätigung für Shinya,
 

"Sie hat dich gezwungen", lachte Shinya, "Wirst du weich an Weihnachten?
 

"Halt die Klappe! Niemand wird hier weich."
 

Nun setzte sich auch Goshi auf die Couch. "Hey, Shinya. Was ist mit unserer Abmachung?"
 

"Welche Abmachung?"
 

"Dass du mir sagst, worauf du und Guren im Sommer gewettet habt, wenn ich Alkohol zur nächsten Party mitbringe. Und ich sollte genug für fünf Partys mitgebracht haben!"
 

"Oh, diese Abmachung..." Shinya tat so, als würde er einen Moment lang nachdenken.
 

Guren grinste ihn an. Er erinnerte sich daran, dass Shinya ihm gesagt hatte, dass Goshi es wahrscheinlich sowieso vergessen würde. Aber das hatte er nicht. Shinyas Vorhersage hatte sich also gar nicht erfüllt.
 

"Komm rüber" Shinya winkte ihn heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Goshis Augen weiteten sich überrascht, aber dann grinste er.
 

"Wirklich? Mann, Shinya. Und darauf hast du mich fast ein halbes Jahr warten lassen?"
 

Guren wusste nicht, ob Shinya ihm die Wahrheit gesagt hatte. Goshis Reaktion schien viel zu locker, als dass Shinya ihm sagte, sie hätten darauf gewettet hatten, dass er mit Mito rummachen würde. Er musste ihn angelogen haben.
 

"Sollten wir wieder wetten?" fragte Shinya.
 

"Auf was willst du denn wetten?"
 

"Willst du sehen, wer mehr Alkohol verträgt? Wir könnten alle die gleichen Getränke trinken und wer am Ende weniger betrunken ist, gewinnt."
 

Guren sah Shinya mit unbeeindrucktem Gesichtsausdruck an, aber Goshi war von der Idee sehr angetan:

"Oh, das ist eine gute Idee! Ich werde uns Bier besorgen!" Er eilte in die Küche.
 

Während er weg war, grinste Guren Shinya an. "So viel zu: 'Er wird es sowieso vergessen'."
 

"Viiielleicht habe ich seinen Ehrgeiz unterschätzt."
 

"Was hast du ihm stattdessen gesagt?"
 

"Willst du es wissen? Das wird dich was kosten..."
 

" Vergiss es."
 

Shinya lachte. "Ach komm schon, Guren, frag mich, was das kosten wird! Das ist so lustig!"
 

Aber Guren fragte ihn nicht. Er wusste, dass das wieder nur einer von Shinyas schlechten Witzen war.
 

Sie aßen Curry, unterhielten sich und spielten einige Spiele. Guren, Shinya und Goshi waren bereits bei ihrem fünften Getränk, als Sayuri ankündigte, dass sie den Kuchen holt. Sie und Mito kamen mit je zwei Tellern Käsekuchen zurück. Während Sayuri Guren und Shinya ihre gab, reichte Mito ihren zweiten Teller Goshi. Er nahm ihn Mito einfach ab, ohne etwas zu sagen. Das fühlte sich irgendwie falsch an, aber Guren konnte nicht erklären, warum, bis Shinya es erwähnte,
 

"Was ist los, Goshi?" fragte er und begann, ihre Stimmen nachzuahmen. "Wo ist das 'Danke Mito-chan, du bist einfach zu süß! Ich mag es, bedient zu werden! Würdest du dich jetzt ausziehen?" - 'Oh Goshi! Du bist so ein Idiot!' ?"
 

Goshi und Mito starrten ihn beide an.
 

"Irgendwas stimmt in letzter Zeit nicht zwischen euch beiden", fuhr Shinya fort. "Seid ihr zusammen oder was?"
 

Mitos Gesicht wurde fast augenblicklich rot, während Goshi anfing zu lachen,
 

"Ja. Das sind wir." Doch dann wurde er von Mitos flacher Hand auf den Hinterkopf geschlagen. "Autsch, wofür war das denn?!"
 

"Goshi!", schrie sie ihn an.
 

Aber Goshi ignorierte sie und sah Shinya an: "Und was ist mit euch beiden?"
 

Shinya lächelte ihn nur irritiert an. "Wer?"
 

"Du und Guren."
 

Guren, der gerade einen Schluck von seiner Whiskey-Cola nahm, wäre fast daran erstickt. Shinya brach in Gelächter aus.
 

"Das würden wir, wenn Guren nicht schon mit seinen Trainingseinheiten verheiratet wäre!"
 

Sayuri erschrak. "Was?! Ist das wahr, Guren-sama?"
 

"Als ob...", erwiderte Guren mit trockener Stimme. "Halt die Klappe, Shinya! Niemand würde dich daten wollen!"
 

Er war das Leugnen so sehr gewöhnt, dass er überhaupt nicht darüber nachdenken musste. Doch obwohl er äußerlich ruhig blieb, raste innerlich sein Herz. Und der Alkohol half auch nicht dabei, es ruhig zu halten. Warum war er überhaupt nervös?!
 

Shinya lachte immer noch. "Aber warum? Bin ich nicht süß genug?"
 

"Zu schade", grinste Goshi. "Ihr wärt ein süßes Paar."
 

"Goshi!", keifte Mito. "Hör auf, sie in Verlegenheit zu bringen!"
 

"Was?! Ich sage nur die Wahrheit! Warum bist du sauer auf mich?"
 

"Du hast versprochen, nichts zu sagen!"
 

"Es tut mir leid! Aber..." Goshi suchte nach Worten. "... Shinya hat danach gefragt!"
 

"Mito? Goshi?", sagte Sayuri und beide hielten in einem Augenblick inne. "Ich freue mich so für euch! Ist es nicht gut, dieses Geheimnis jetzt los zu sein?"
 

"Nun ... möglicherweise", sagte Mito und presste ihre Lippen zusammen.
 

"Kann ich dich jetzt vor allen Leuten küssen?" fragte Goshi.
 

"Zur Hölle, nein!"
 

"Ok, ok. Ich habe nur gefragt..." Er hielt zur Verteidigung die Hände hoch und setzte sein Getränk wieder an.
 

Gurens Herz raste noch immer. Er atmete ein paar Mal ein und beruhigte sich. Während die anderen weiter plauderten, warf er Shinya neben sich einen Blick zu. Er zeigte keine Reaktion auf das, was er gerade dachte. Wie gewöhnlich saß er einfach nur da und hörte den anderen zu, aber er grinste immer noch.
 

Aber über was machte sich Guren überhaupt Gedanken? Hatten die anderen etwas bemerkt? Hatte Goshi etwas bemerkt? Verhielt er sich seltsam, als er bei Shinya war? Nein, daran hatte sich überhaupt nichts geändert. Es war nichts zwischen ihnen passiert.
 

Als Shinya Guren's Blick bemerkte, drehte er seinen Kopf und lächelte ihn an. Scheiße. Guren fühlte sich ertappt und schaute schnell in die andere Richtung und leerte sein Glas in einem Zug. Goshi hatte nur einen dummen Witz gemacht.
 

Mit jedem Glas wurde er immer entspannter. Auch die anderen schienen sich zu amüsieren. Sayuri zeigte Mito auf ihrem mp3-Player alle ihre Lieblingspopsongs, die die Apokalypse überlebt hatten. Während Shigure und Goshi über Shuriken diskutierten, hatte sich Guren vor ein paar Minuten von ihrem Gespräch zurückgezogen, da ihm langweilig wurde.
 

Er könnte genauso gut etwas frische Luft schnappen. Guren erhob sich von der Couch und ging nach draußen in den Flur. Überrascht sah er, dass Shinya am Geländer stand und in die Ferne blickte. Als Shinya ihn bemerkte, drehte er sich um.
 

"Hey, Guren. Versuchst du auch zu fliehen?"
 

"Wovor?"
 

"Dem ganze Spaß drinnen", kicherte Shinya.
 

Guren ignorierte ihn, trat neben Shinya, lehnte sich an das Geländer und sah auf Shinjuku herab. Es fühlte sich heute ruhig an. Nichts deutete darauf hin, dass die Welt vor zwei Jahren untergegangen war, außer, dass einige Teile der Skyline fehlten.
 

"Morgen werden es zwei Jahre sein...", sagte Shinya leise.
 

Guren bestätigte es nur mit einem Murren. Er hat das Ende der Welt eingeläutet. Denn wenn er es nicht getan hätte, hätte es ein anderer getan. Er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas.
 

"Fühlt sich das nicht seltsam an? Wir waren an diesem Tag so nah am Rande des Todes". Shinya blickte in die Ferne. "Aber wir haben es alle lebend rausgeschafft?"
 

Guren erstarrte. Das war nicht gut. Shinya wusste nicht, dass er ihn an diesem Tag von den Toten wiederbelebt hatte. Alle seine Freunde wussten nicht, dass sie gestorben waren, und wenn sie es wüssten, würden sie wie Vampire zu Staub zerfallen.
 

"Wir hatten Glück", lachte Guren trocken. "Aber die Welt hatte nicht so viel Glück."
 

"Aber wir alle? Ich meine, alle unsere Gegner waren superstark. Mahiru war unglaublich stark geworden."
 

Nein. Das ging in eine Richtung, aus der er nie mehr zurückkehren konnte. Shinya durfte nichts von seinem Tod erfahren. Auf keinen Fall.
 

"Aber wir waren stärker", versuchte er, es herunterzuspielen.
 

" Glaubst du das? Die Welt ist untergegangen und jeder Einzelne von uns hat überlebt... Glaubst du nicht, dass daran irgendwas falsch ist?"
 

"Halt die Klappe! Willst du damit sagen, dass jemand hätte sterben sollen?"
 

"Nein, das ist nicht, was ich damit sagen will!" Aber Shinya wollte nicht aufhören, darüber zu reden. "Ich denke nur, dass -"
 

Er hielt inne und Guren war sich nicht sicher, was er sagen wollte. Das war übel. Das war wirklich übel. Guren geriet in Panik. Aber was konnte er tun, um ihn einfach zum Schweigen zu bringen? Damit er aufhörte, darüber nachzudenken? Denk nach. Und dann wurde es ihm klar.
 

Mit einer Hand packte er Shinyas Kopf und zog ihn in einen Kuss. Shinya hörte sofort auf zu reden. Allmählich schloss Guren seine Augen. Er fühlte Shinyas Lippen auf seinen und es fühlte sich überhaupt nicht unangenehm an. Im Gegenteil. Shinyas Lippen waren weich, aber kalt. Dies fühlte sich seltsam vertraut an. Es war fast so, als hätte Guren diese Berührung gefehlt.
 

Eine Weile standen sie einfach so da, bis Shinya langsam seine Lippen öffnete und seine Zunge vorsichtig zwischen Gurens Lippen schob. Die Berührung ließ Guren erschauern, seine Brust zog sich zusammen. Erst als er Shinyas Zunge an seiner spürte, wurde Guren klar, was er gerade tat. Sofort brach er den Kuss ab und wich zurück.
 

Mit erröteten Wangen starrte Shinya ihn an, und er starrte zurück. Gurens Herz pochte laut in seiner Brust. Was hat er gerade getan? Er hatte sich selbst geschworen, so etwas nie wieder zu tun. Und doch war er hier und küsste seinen besten Freund. Aber wenigstens hatte es seinen Zweck erfüllt.
 

Shinya öffnete seine Lippen, als wollte er etwas sagen, aber Guren unterbrach ihn,
 

"Wir sollten besser reingehen, es ist kalt geworden", sagte er und versuchte, so lässig wie möglich zu klingen.
 

Bevor Shinya irgendetwas erwidern konnte, drehte er sich weg und eilte wieder nach Innen. Sein Herz raste noch immer, sein Körper fühlte sich seltsam taub an. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und versuchte, alle seine Gedanken zu verdrängen. Das war nie passiert. Er konnte so tun, als sei es nie passiert.



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