Zum Inhalt der Seite

Der Wächter

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Ruhe vor dem Sturm

Jake

Während sie so dalagen, verlor Jake jegliches Zeitgefühl. Er genoss die unbeschwerte Nähe zu seinem Liebsten in vollen Zügen. Eine Weile lang hatte Isaak noch die Ruhe benötigt um sich von den Strapazen zu erholen, dann war er einfach eingeschlafen. Jake gönnte ihm diese kleine Pause.

Die Sonne ging langsam unter und Isaak seufzte laut.

„Wir müssen los, oder?“, fragte Jake, der wusste, dass sein Freund auch im Schlaf nicht vollkommen abschaltete. Isaaks Verstand arbeitete einfach anders.

„Ja“, brummte das Bündel in seinen Armen. „Ich würde gerne noch etwas liegen bleiben, aber es wäre sehr unhöflich den Rat zusammenzutrommeln und dann nicht zu erscheinen.“

„Da hast du recht.“ Liebevoll schmuste Jake mit den Lippen über den Nacken seines Liebsten.

„Hm …“, brummte Isaak und räkelte sich in seinen Armen. „Ich hätte nichts gegen eine zweite Runde, aber nicht jetzt. Ich mag es nicht, zu spät zu kommen.“

Nach diesen Worten drehte Jake den Kopf des anderen zu sich und stahl sich einen langen gefühlvollen Kuss. Erst dann war er bereit Isaak gehen zu lassen. Eilig standen sie auf und richteten ihre Kleidung. Zum Glück hatte niemand sie gesehen. Sie hatten bestimmt ein sehr seltsames Bild abgegeben: Zwei halbnackte Kerle, die innig kuschelten, mit in den Kniekehlen hängenden Hosen.

Jake nahm die schwarze Tüte vom Boden und sah Isaak fragend an.

Dieser verdrehte die Augen. „Du willst den Beutel zuvor loswerden, nicht wahr? Na gut. Wenn ich mich beeile, schaffe ich das.“

Noch ehe Jake reagieren konnte, hatte Isaak ihm die Tüte abgenommen und war davon gerannt. Einen Augenblick sah er ihm nach. Dann zuckte Jake mit den Schultern. Zufrieden summend machte er sich auf den Weg zur Versammlung. Ein wenig Rennen würde ihm sicher gut tun. Verwandeln wollte er sich jedoch gerade nicht. Vor allem hätte er dann seine Kleidung im Maul mitnehmen müssen, das war ihm im Moment zu umständlich. Er war sich sicher, dass sein Freund ihn in wenigen Minuten einholen würde.

Dem war dann auch so. Wie aus dem nichts tauchte Isaak neben ihm auf. Jake grinste ihn an und bemerkte dessen nachdenkliche Miene. „Was ist?“

„Hm …“, brummte Isaak. „Weißt du, wie schnell du bist?“

Irritiert runzelte Jake die Stirn und sah nach vorn. Jetzt da ihn sein Freund darauf aufmerksam gemacht hatte, bemerkte er, dass die Bäume nur so an ihm vorbeiflogen. Die herunterhängenden Äste hätten ihn bei der Schnelligkeit hart treffen müssen, jedoch spürte er nur ein sanftes Streicheln auf der nackten Haut. Verblüfft lachte Jake auf. Er bewegte sich quasi in Lichtgeschwindigkeit und es war ihm nicht einmal aufgefallen.

Als Wolf war das normal für ihn, daher hatte er nicht einen Gedanken daran verschwende. Aber er war kein Wolf. Er rannte als Mensch. Müsste er nicht verschwommen sehen bei dieser Geschwindigkeit? Entgegen seiner Gedanken sah er alles scharf und klar. Ob das am wahren Blick lag?

Abrupt bremste er ab und stolperte. Augenblicklich war Isaak stützend an seiner Seite, bevor Jakes Gesicht noch Bekanntschaft mit dem erdigen Waldboden machen konnte.

„Das Anhalten musst du noch üben.“

Jake grinste schief. „Wie schnell war ich denn?“

„In etwa so schnell wie ein Vampir. Außer bei Edward dürftest du mit allen mithalten können“, meinte Isaak und stupste ihm mit einem Finger an die Brust.

Jake verdrehte die Augen, hielt aber brav still. Natürlich musste sein Geliebter seinen Körper augenblicklich untersuchen. Er hingegen fand das klasse. Bald schon würde er Isaak in keinster Weise mehr nachstehen. Ob das ein Nebeneffet von ihrem Sex war? Anscheinend hatten sie einen weiteren Meilenstein hinter sich gebracht.

„Die Geschwindigkeit deiner Nervenimpulse haben stark zugenommen. Das erklärt dein Tempo, sowie den Umstand, dass du trotz der enormen Beschleunigung klar sehen kannst. Ich denke, deine Vermutung ist korrekt. Diese Anpassung wird mit unserem Beischlaf zusammenhängen.“

Beischlaf? Jake schnaubte. Manchmal vergaß er, wie alt sein Freund doch war. Auch wenn dieser versuchte sich an die aktuelle Sprechweise anzupassen, rutschten ihm immer mal wieder solche altbackenen Wörter heraus. In einigen Jahren oder Jahrzehnten würde es ihm wohl ähnlich gehen. Dann wäre er derjenige, der Ausdrücke längst vergangener Zeit verwenden würde.

Er beugte sich vor und gab Isaak einen Kuss. „Können wir weiter? Wir kommen sonst zu spät.“

„Du hast recht. Natürlich.“ Die Hand seines Freundes strich ihm liebkosend über die Brust, dann zog sich Isaak zurück. Mit einer angedeuteten Verbeugung sagte er: „Nach dir, Wölfchen.“

„Aber gerne doch, Füchslein“, konterte Jake und rannte los. Nun da er wusste, wie schnell er war, achtete er darauf und testete seine Geschwindigkeit. Fast wäre er mit einen großen Findling kollidiert, weil er bei einem kleinen Sprung über fünfzig Meter den Abstand falsch eingeschätzt hatte. Isaak rettete ihn und änderte geschickt seine Flugbahn ein wenig ab. Ohne seinen Schweif hatte er Mühe die Richtung zu ändern. Erst jetzt wusste er diesen Teil seines Wolfskörpers so richtig zu schätzen. Bisher war er halt da gewesen und hatte sich, zu seiner Bestürzung, gerne mal seiner Kontrolle entzogen.

„Du musst noch lernen mit der Massenträgheit umzugehen. Je schneller ein Objekt ist, desto schwieriger ist es die Richtung zu ändern.“

Jake blinzelte. Auch wenn sein Freund versuchte einfache Worte zu verwenden, verstand er nicht wirklich, was er sagen wollte.

„Nehmen wir ein Auto als Beispiel. Je schneller du bist, desto weniger darfst du das Lenkrad bewegen. Beim Einparken kurbelst du wild umher. Machst du das auf der Autobahn, verlierst du die Kontrolle über den Wagen.“

„Achso“, brummte Jake. „Warum erklärst du es mir nicht gleich so, dass ich es verstehe.“ Ein wenig wehleidig war ihm schon zumute. In Wolfsform hatte er seine Klauen und Instinkte. Als Mensch musste er erst lernen damit umzugehen.

Leise seufzte er. Auch wenn er es niemals zugeben würde, hatte er es genossen von Isaak Huckepack genommen zu werden. Dabei konnte er seinen Freund immer so schön ärgern, indem er ihm am Hals knabberte. Diese Zeiten würden wohl bald der Vergangenheit angehören. Oder nicht?

„Mir soll es recht sein. Ich habe nichts dagegen dich zu tragen. Aber wir wollen doch nicht, dass das dein Image als großer böser Wolf schädigt, oder?“

Jake zog einen Schmollmund. Da war ja was: Sein Stolz als Krieger. Er biss sich auf die Unterlippe und brummte: „Solange mich dabei keiner sehen kann, geht das in Ordnung. Aber jetzt haben wir keine Zeit dafür, wir sind eh gleich da.“

Isaak lachte und sprang vor ihn. Fasziniert sah Jake seinem Freund dabei zu, wie er mühelos rückwärts vor ihm tänzelte, bei gefühlten zweihundert Meilen die Stunde. „Angeber.“

*

Kurz vor dem Treffpunkt bremsten sie ab. Diesmal schaffte es Jake ohne Hilfe. Anschließend schritten sie in normalem Tempo aus dem Wald. Sie wurden bereits erwartet. Der Rat saß wie immer erhaben auf den Baumstümpfen, während Sam hinter dem letzten leeren Platz stand.

Etwas seltsam fühlte sich Jake schon als er sich auf dem ihm zugewiesenen Stumpf setzte. Er hatte sich dieses Recht schwer erkämpft und so versuchte er es sich nicht anmerken zu lassen. Dass Isaak allerdings in der Mitte des Halbkreises stehen geblieben war, störte ihn. Zu gern hätte er ihn auf den Schoß genommen. Das war aber in dieser Gesellschaft keine gute Idee.

Angefressen knurrte Jake ein wenig vor sich hin. Warum nur musste er sich verstecken? Das wollte er nicht mehr. Seine Beziehung mit Isaak war vollkommen normal. Sie fühlte sich so natürlich an, wie atmen. Dann konnte das doch nicht schlecht sein.

Mental hörte er die Stimme seines Freundes: „Sam hat Emily auch nie auf dem Schoß gehabt bei einer Ratsversammlung. Und das, obwohl derer Beziehung anerkannt wird von diesem Gremium. Ich finde, es ist eine Frage des Anstandes. In einer solchen Situation wäre so etwas unangemessen, egal ob Hetero oder nicht.“

Kurz schloss Jake die Augen, dann nickte er kaum merklich. Sein Liebster hatte wie immer recht. Er würde es überleben, mal einen Moment nicht an ihm zu kleben. Dennoch sehnte er sich nach dessen Nähe. Wie schnell man sich an solche Dinge gewöhnen konnte. Vor einigen Monaten hätte er sich das nicht einmal im Traum vorstellen können, derart süchtig nach der Nähe zu einem anderen Mann zu sein. Aber Isaak war ja auch nicht irgendein Mann. Isaak war Isaak, basta. Und Jake war nicht schwul, er liebte nur eine Person, die zufällig männlich war. Ja, genau so war es und nicht anders.

Am Rande bekam er mit, dass sein Freund zu diesem Gedanken so einiges zu sagen hatte, daher kam er ihm zuvor und erhob die Stimme: „Guten Abend zusammen. Machen wir es kurz, wir haben alle Besseres zu tun als hier rumzusitzen.“ Er sah auf und gab Isaak ein Zeichen, dass er dran war.

Freundlich wie eh und je verbeugte sich sein Liebster. „Guten Abend. Der Grund für dieses Treffen ist recht schnell erklärt. Wir wollten den Ältestenrat lediglich über unser weiteres Vorgehen gegenüber Morgan le Fay informieren.“

Isaak legte ein kleine Künstlerpause ein und redete dann weiter: „Morgen Nachmittag, gegen halb fünf, kann ich in die Zitadelle der Wächter eindringen. Sobald ich die Kontrolle über die Systeme zurückerlangt habe, werde ich einen gezielten Vernichtungsschlag gegen die Magiern einleiten. Sollte alles nach Plan verlaufen, wird ihr Leben noch vor Sonnenuntergang enden. Damit wären wir diese Bedrohung los und ich kann endlich wieder meiner Bestimmung entsprechend agieren.“

Was und wie er es tun würde, ließ er offen, doch Jake wusste es auch so. Isaak plante eine dimensionale Verschiebung, eine Art Portal zu öffnen und anschließend alle Auswirkungen von Morganas eingreifen zu revidieren. Soweit es ihm jedenfalls möglich war.

„Was?“, erklang die Stimme seines Vaters. Jake hob den Blick und sah dessen irritierte Miene. „Das war es dann? Keine Endschlacht oder einen Kampf auf Leben und Tod? Einfach einen Knopf drücken und die Magiern stirbt? Das klingt zu einfach, um wahr zu sein.“

Insgeheim musste Jake ihm da Recht geben. Allerdings wusste er auch an dieser Stelle mehr als Isaak sagen durfte. Auf ihnen beiden lag noch immer der Blutschwur. Selbst wenn sie wollten, konnten sie dieses Wissen nicht preisgeben.

Eines wusste er aber: Ganz so einfach war die Angelegenheit dann doch nicht. Mithilfe von Morganas Blutprobe würde Isaak eine Biowaffe erstellen. Einen mutierten Virus, der exakt auf ihre DNA abgestimmt war. Dieses Wissen überstieg das Menschenmögliche bei Weitem, jedenfalls jetzt noch. In einigen Jahrzehnten wäre die Wissenschaft vielleicht so weit, zu verstehen, was sein Freund da zusammenbraute.

Fakt aber war, sobald dieser tödliche Erreger auf die Zielperson treffen würde, war es das. Es gab keine Möglichkeit sich dagegen zu verteidigen, nicht ohne das Wissen und die Technologie der Wächter.

„Ja“, sagte sein Freund schlichthin. „So in etwa können Sie sich das vorstellen. Mehr kann und werde ich nicht offenbaren. Normalerweise sollte kein Sterblicher etwas über mich, meine Magie oder Technologie wissen. Daher hülle ich mich in Schweigen.“

Mit Mühe verkniff sich Jake, mit den Augen zu rollen. Wieder so eine altbackene Formulierung. Aber das war eben sein Freund. Immer für eine Überraschung gut.

Er ließ den Blick schweifen und sah die entrückten Gesichter der Ältesten. Sie alle schienen fassungslos darüber zu sein, dass es so einfach war.

„Nächster Punkt“, sagte Jake und lenkte die Aufmerksamkeit auf sich. „Ich habe mich heute ausführlich mit dem Häuptling unterhalten. Gemeinsam haben wir einige Dinge geplant, die ich dem Rat nun vorstellen werde.“

Anschließend fasste er das lange Gespräch mit John im Haus seines Vater zusammen. Am Ende starrten ihn Quil Ateara III, sowie Sue ungläubig an. Beiden war der Mund aufgeklappt und sie staunten eindrucksvoll wie Fische auf dem Trockenen. Jake amüsierte sich köstlich über ihre Gesichter, während er sich ein freches Grinsen nicht verkneifen konnte.

Sue schaffte es als erste ihre Fassung zurückzuerlangen. „Wie willst du das alles bezahlen?“

„Seht es als Geschenk von meinem Freund.“ Langsam erhob sich Jake und ging auf eben diesen zu. „Soweit ich weiß, war es das. Oder gab es noch mehr zu berichten?“

„Nicht, dass ich wüsste“, murmelte Isaak.

Jake wandte sich noch einmal an die Ältesten. „Noch irgendwelche Fragen? Nein? Gut, dann danke ich euch für euer Kommen. Das wäre dann alles. Man sieht sich.“

Er grinste breit in die Runde, bevor er einfach losrannte. Durch Isaaks Augen sah er die entrückten Gesichter der anderen. Sein vampirgleicher Abgang hatte ihnen wohl den Rest gegeben. In Zukunft sollte er wohl etwas aufpassen. Nicht, dass der alte Quil noch einen Herzinfarkt bekam. Das würde ihm sein Kumpel und dessen Enkel nicht verzeihen.

*

Wie aus dem Nichts tauchte Isaak neben ihm auf. „Gibt es einen bestimmten Grund für deine Eile?“

„Ja“, grinste er seinen Freund an, der mühelos neben ihm herging. „Ich wollte noch etwas Zeit mit dir allein verbringen. Morgen wird bestimmt wieder ein stressiger Tag.“ Er ließ seine Gedanken wandern. „Ganz so einfach, wie du es dargestellt hast, wird es nicht werden. Kann ich dir helfen die Abwehr der Zitadelle zu umgehen?“

„Nein“, meinte Isaak. „Die Abwehrsysteme sind zu stark. Das muss ich allein bewältigen.“

Damit hatte Jake schon gerechnet. Er zuckte mit den Schultern. Bestimmt gab es unzählige Fallen. Magische, wie auch technologische. Da wäre er eh nur ein Klotz am Bein. Allerdings würde er ihn im Geiste begleiten. Nur für den Fall, falls etwas schiefgehen würde und sie erneut auf die Energie ihrer Seelenverbindung zurückgreifen mussten.

„Danke, das wäre sehr nett von dir“, erwiderte sein Freund auf seine Gedanken.

Nach nur wenigen Minuten hatten sie die Teleportplattform erreicht und begaben sich gemeinsam zum Unterwasserposten. Kaum in ihrem Zimmer angekommen warf sich Jake auf das Bett, das gefährliche Quietschlaute von sich gab. Aber das scherte ihn nicht wirklich. Nur einen Augenblick später war Isaak an seiner Seite. Das war das einzige was zählte.

Er schlang die Arme um seinen Freund und zog ihn mit sich auf die Matratze. Isaak lag mit dem Rücken zu ihm. Genau so wie es sein sollte. Er brummte zufrieden und schloss die Augen. Einen kurzen Moment fragte er sich, wo die schwarze Tüte abgeblieben war, dann musste er gähnen. Eine schwere Müdigkeit erfasste ihn. Bevor er wusste, wie ihm geschah, schlief er auch schon ein, eng an seinen Freund gekuschelt.
 

Embry

Als er erwachte, lag er noch immer in Kamdens Armen. Auch wenn alle im Stamm so etwas als falsch ansahen, es fühlte sich gut und richtig an. Diese Nähe, Wärme und Geborgenheit, die Kamden ihm schenkte, gefiel ihm sehr. Aber durfte er so fühlen?

Er dachte an Jake und Isaak. Anfangs hatte Jake sich mit Händen und Füßen gewehrt, auch nur einen Schritt auf Isaak zuzugehen. Und jetzt, da zog er ihn einfach auf seinen Schoß. Jake machte ja nicht einmal davor halt Isaak in der Öffentlichkeit zu küssen oder mit ihm zu schmusen.

Embry seufzte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann mochte er Kamden, sehr sogar. Ob das allerdings an der Prägung lag, konnte er nicht sagen. Jedoch war es im Endeffekt auch egal, weil es auf dasselbe Ergebnis hinauslaufen würde. Er wäre mit seinem Liebsten zusammen.

Zum Glück musste er nicht den gleichen Spießrutenlauf hinter sich bringen, wie Jake. Dennoch konnte er nicht einfach alles vergessen, was er bisher gelernt hatte. In ihrem Stamm war Homosexualität eben ein Tabuthema.

„Wenn ich dir zu sehr auf die Pelle rücke, dann musst du es nur sagen“, gähnte Kamden und ließ ihn los.

„Das habe ich aber nicht gesagt“, seufzte Embry traurig.

„Aber gedacht“, hielt Kamden dagegen. „Um ehrlich zu sein, kann ich diese homophobe Art der Quileute nicht nachvollziehen. Die meisten kommen heutzutage damit klar. Natürlich habe ich auch schon den einen oder anderen Hornochsen getroffen, der anderer Meinung war. Die meisten lagen mir wenig später zu Füßen. Ich habe ihnen gezeigt, wie die Faust eines Bisexuellen schmeckt.“

Embry fühlte Kamdens Genugtuung darüber einem solchen ignoranten Individuum gezeigt zu haben, wo der Hammer hängt. Aber er spürte auch dessen schlechtes Gewissen. Mit solchen Aktionen hatte er es seiner Mutter nicht leicht gemacht. Die eine oder andere Schule hatte ebenfalls kein Verständnis für solche Dinge. All das erfuhr Embry aus den unausgesprochen Gedanken seines Freundes.

„Gib mir bitte mehr Zeit.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Nimm dir so viel, wie du brauchst“, erwiderte Kamden.

Unruhig rutschte Embry ein wenig umher. Es gefiel ihm nicht, dass Kamden die Umarmung gelöst hatte. Nach dem Kampf mit den Werwölfen hatte er ihn vor allen anderen geküsst und nun machte Embry einen Rückzieher. In Zukunft sollte er sich weniger Gedanken machen und den Augenblick genießen. Er sammelte seinen ganzen Mut zusammen und sagte: „Komm bitte wieder zu mir.“

„Zu Befehl, mein kleiner Prinz.“ Mit diesen Worten schmuste sich Kamden erneut an ihn.

Seinen Kosenamen zu hören, ließ Embry das Blut in die Wangen schließen. Er beschloss das zu übergehen und entspannte sich. Kamdens Nähe hatte einen sehr beruhigenden Effekt auf ihn. Träge schloss er die Augen und ließ sich fallen. Wenn Jake das hinbekam, dann er doch wohl auch.

Über zehn Minuten lagen sie noch kuschelnd da, bis der Ruf der Natur Embry aus dem Bett jagte. Noch während er überlegte, ob er sich abermals zu Kamden legen sollte, traf er auf seine Mutter. Mitten im Flur stehend hatte sie ihn abgepasst.

„Bleibt ihr zum Abendessen?“

„Ich denke schon.“ Er druckste ein wenig herum. Über den weiteren Tagesablauf hatten weder er noch Kamden sich bisher Gedanken gemacht. Zurzeit stand, zur Abwechslung mal, keine Katastrophe an.

In diesem Augenblick kam Kamden zu ihnen in den Gang. „Danke für die Einladung. Von meiner Seite spricht nichts dagegen. Das Mittagessen war megalecker. So gute Hausmannskost habe ich schon lange nicht mehr gehabt.“

Während seine Mutter sich grinsend zu Kamden drehte, rollte Embry mit den Augen. Kamden meinte es zwar durchaus ernst, jedoch wollte er sich primär einschmeicheln. Mit Erfolg, wie Embry feststellte.

„Danke für dieses Kompliment. Ich bin dann mal in der Küche und bereite das Abendessen vor“, erwiderte seine Mutter mit leicht geröteten Wangen.

„Kann ich dir bei irgendwas helfen? Sachen kleinschneiden kann ich sehr gut. Auch wenn das, das einzige ist, was ich hinbekomme.“

Embry sah genau wie sich seine Mutter beschämt abwandte. „Nein, nein. Das geht doch nicht. Du bist bei uns zu Gast.“

„In der Küche kann ich zwar nicht viel beisteuern, aber ich könnte den Rasen mähen oder so was.“ Kamden ließ nicht locker. Aus dessen Gedanken entnahm Embry, dass er es als seine Pflicht ansah, sich mit der Familie seines Freundes gut zu stellen. Und das mit allen Mitteln.

Embry rollte abermals mit den Augen und schnaubte: „Die Dachrinnen müssten mal wieder sauber gemacht werden.“

Es war als Scherz gemeint doch Kamden nickte begeistert. „Das ist kein Problem. Sowas kann ich. Wird sofort erledigt.“ Bevor Embry ihn aufhalten konnte, stürmte sein Freund auch schon davon.

„Warte mal“, rief er ihm hinterher, aber Kamden war schon zur Haustür raus.

„Das meint er doch nicht ernst oder?“, fragte seine Mutter in die entstandene Stille hinein.

„Ich fürchte schon“, antwortete Embry und seufzte schwer. Einen Augenblick dachte er über die Situation nach. Die Dachrinne musste wirklich mal wieder gesäubert werden. Er zuckte mit den Schultern. Warum nicht jetzt. Damit konnten sie seiner Mutter einen Gefallen erweisen. „Ich geh ihm helfen“, sagte Embry schnell, bevor er ebenfalls aus dem Haus eilte. Er musst nicht hinsehen, um zu wissen, dass seine Mutter ihm mit offenem Mund hinterherstarrte. Normalerweise wehrte er sich mit Händen und Füßen, wenn es um solche Hausarbeiten ging.

*

Die Aufgabe war schnell erledigt. Nachdem sie sich sicher waren ungesehen zu sein, kletterten sie einfach an der Hauswand hoch. Für was brauchte man eine Leiter, wenn man Wolfskräfte hatte? Seine Mutter sah das offenbar anders. Er konnte ihren spitzen Aufschrei deutlich hören als sie vom Dach sprangen und vor dem Küchenfenster landeten.

Das nächste Mal sollte er darauf achten, wo sich seine Mutter befand. Nicht, dass sie noch einen Herzkasper bekam. Für sie war die ganze Gestaltwandler-Nummer noch Neuland. Nachdem er seine Mutter wieder beruhigt hatte, er musste ihr versprechen so etwas nie wieder zu tun, erledigten sie eine liegengebliebene Arbeit nach der nächsten.

Kamden mähte den Rasen, während Embry sich um den Gemüsegarten kümmerte. Die losen Bretter ihres kleines Schuppens neben dem Haus wurden festgenagelt und der Zaun um das Grundstück neu verdrahtet. Eine in Embrys Augen sinnlose Tätichkeit. Seit er sich verwandelte, hatte sich kein Reh oder Hase mehr in das Beet gewagt. Sein Eau de Wolf hielt solche Störenfriede fern. Er half nur mit, weil Kamden damit angefangen hatte.

Bevor sein Freund aber noch auf die Idee kam das Haus zu streichen, entschied er, dass sie für einen Tag genug getan hatten. Nacheinander gingen sie duschen, wobei sich Kamden notgedrungen wieder bei Embrys Klamotten bediente. Dann stand auch schon das Essen auf dem Tisch.

„Nach der ganzen Arbeit seid ihr sicher sehr hungrig, also haut kräftig rein.“

Das ließen sich Embry und Kamden nicht zweimal sagen. Wölfe hatten immer Hunger. Auch wenn das bisschen Arbeit nicht der Rede wert war.

Nach dem Essen unterhielten sie sich noch eine Weile mit seiner Mutter. Während Kamden immer mal wieder Komplimente einstreute, erklärte Embry ihr, was sie alles nicht mitbekommen hatte seit seiner Verwandlung.

Es wurde ein sehr angenehmer und gemütlicher Abend. Langsam schien sich seine Mutter an die neuen Umstände anzupassen. Auch mit Kamden kam sie sehr gut klar, was Embry sehr freute.

Als es langsam spät wurde, machte sich Embry Gedanken darüber, wo sie die Nacht verbringen würden. Es stand außer Frage, dass es sie nur im Doppelpack gab. Aufgrund der Prägung konnten sie gar nicht anders. Mehr als ein paar Kilometer konnten sie sich nicht voneinander entfernen, ohne dass sie entsetzliche Schmerzen erleiden würden.

Der arme Sam hatte das zur Genüge getestet und sein Wissen mit dem Rudel geteilt. Anfangs schaffte er wenige Meilen, nun konnte er bis zu 140 Kilometer zwischen sich und Emily vertragen. Aus den alten Legenden ging hervor, dass die bisher größte Distanz 200 Kilometer betrug.

Doch war das nicht der einzige Grund. Wenn Embry ehrlich zu sich selbst war, dann wollte er Kamden bei sich haben. Allein die Vorstellung von ihm getrennt zu sein, jagte ihm einen Schauder über den Rücken.

Bevor er das Thema ansprechen konnte, stand seine Mutter bewaffnet mit einem Kopfkissen und einer alten Decke in der Wohnzimmertür. Ihre Lippen waren geschürzt, doch gab sie sich sichtbar Mühe gelassen auszusehen.

„Ich möchte, dass ihr die Nacht hier verbringt. Das ist für dich Kamden.“ Unsicher hob sie die Arme.

„Danke“, stammelte sein Freund, sprang auf und nahm beides entgegen.

Embry sah, wie verunsichert seine Mutter war. Gleichsam zu erfahren, dass der Sohn schwul war, sowie ein Wolfswandler, war wohl etwas viel für sie. Insgeheim fragte er sich aber, welcher dieser beiden Punkte ihr mehr zu schaffen machte.

„Ich habe auch noch eine dickere Decke, falls dir diese zu dünn ist.“ Verlegen räuspert sich seine Mutter und versuchte Kamden in die Augen zu sehen, mit mäßigem Erfolg. Sie sah eher an ihm vorbei. Dennoch rechnete Embry es ihr hoch an. Wenn er da an Billy dachte, so war das hier ein Kinderspiel.

„Die hier reicht vollkommen. Danke, für die Gastfreundschaft, Tiffany.“ Kamden schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Anhand dessen Gefühlen wusste Embry, wie ernst sein Freund es meinte. Dieser sah das wohl als den ersten Schritt in der Familie Call willkommen zu sein.

In diesem Punkt musste Embry ihm zustimmen. Nicht auszudenken, wenn seine Mutter so verbohrt wäre, wie Billy. Das würde er nicht verkraften. Kamden gehörte in sein Leben, daran konnte niemand mehr etwas ändern.

Eine peinliche Stille breitete sich aus. Um seine Mutter zu erlösen, mischte sich Embry rasch ein: „Danke, Mom. Wir gehen dann jetzt schlafen. Komm, Esel. Oder willst du im Wohnzimmer übernachten?“

„Embry“, schnaubte seine Mutter und hob tadelnd einen Finger. „Das ist nicht sehr nett.“

„Mein Freund weiß, wie es gemeint war. Vergiss nicht, er kann spüren was ich fühle, sowie andersrum. Zudem ist das seine Strafe, weil er mich den ganzen Nachmittag zur Hausarbeit gezwungen hat.“ Er drehte sich zu Kamden um und hob auffordernd eine Augenbraue. „Kommst du jetzt oder nicht?“

Sofort sprang sein Freund auf ihn zu. Ein wenig unterwürfig sagte er: „Bin schon da.“

Dieses Verhalten gefiel Embry. Somit fühlte er sich nicht mehr ganz so devot.

*

Lautes Brummen weckte Embry am nächsten Morgen. Die Sonne war gerade erst aufgegangen. Es war somit eindeutig noch nicht die Zeit aufzustehen. Doch ließ das Brummen nicht nach. Das ganze Haus schien zu vibrieren.

„Was ist das?“, knurrte er schläfrig. Im Halbschlaf blinzelte er gegen das Sonnenlicht an.

„Ist bestimmt nur ein LKW. So hört es sich jedenfalls an“, nuschelte Kamden hinter ihm.

Sein Freund hatte sich mal wieder an ihn gekuschelt. Aber das störte Embry nicht. Er gestattete es sich, diese Vertrautheit zu genießen. So wollte er jeden Morgen aufwachen. Wenn nur dieses Brummen nicht wäre.

„Was hat ein LKW im Reservat zu suchen?“ Langsam wurde er wach. Die eigentliche Frage war aber, wie hatte ein LKW es bis ins Dorf geschafft? Dafür war die Zugangsstraße, eher ein breiter Trampelpfad, gar nicht ausgelegt. Mit einem normalen Auto hatte man schon Schwierigkeiten ins Dorf zu gelangen.

Verstimmt mahlte Embry mit den Zähnen. Er wollte nicht aufstehen, aber dieses Rätsel würde ihm keine Ruhe mehr lassen. Zu dem Brummen gesellte sich ein heller Piepton. Vor sich hin murrend schälte er sich aus Kamdens Armen und aus dem Bett. Zwei kurze Schritte später spähte er aus seinem Fenster. In der Ferne konnte er den Dorfplatz sehen. Dort rangierte tatsächlich ein kleiner LKW hin und her.

„Das muss ich mir ansehen.“ In einem so kleinen Dorf konnte man so etwas als Highlight des Monats verbuchen.

„Ist doch nur ein doofer LKW“, brummte Kamden. „Komm wieder ins Bett.“

Ein Blick über die Schulter offenbarte Embry, dass sein Freund sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, die Augen zu öffnen. Einladend hielt Kamden die Decke hoch und wartete auf ihn.

„Wenn du willst, kannst du noch liegen bleiben. Ich gehe mal nachsehen, was los ist. Bestimmt hat er sich verfahren und braucht Hilfe.“

Während Embry sich bereits anzog, hörte er seinen Freund hinter sich murren: „Warte, ich komme mit.“

„Dann beeil dich“, trieb Embry ihn an. Ein LKW in La Push. Darüber würde der Stamm noch Tage reden.

*

Keine fünf Minuten später stürmte Embry auf den Dorfplatz, Kamden im Schlepptau. Neben dem kleinen LKW, der mittlerweile geparkt hatte, stand ein Luxussportwagen. Embrys Wissen über Autos erstreckte sich ein wenig mehr über die einfache Formulierung: Es hat vier Räder und kann fahren. Aber selbst er erkannte, dieses Auto suchte seinesgleichen. Er wollte gar nicht wissen, wie teuer das Ding war. So etwas würde er sich im Leben nicht leisten können.

„Wow … Ein Aston Martin“, sagte sein Freund ehrfürchtig.

„Ist das die Marke?“, fragte Embry leichthin.

„Ja“, hauchte Kamden und trat mit glänzenden Augen näher. „James Bond fährt solche Autos.“

„Wer?“ Irritiert runzelte Embry die Stirn.

Ungläubig schüttelte sein Freund den Kopf. „Wir müssen dringend einige Filme zusammen anschauen. Du hast da echt was verpasst, Kleiner.“

Eine freundliche Stimme belehrte sie: „In „Casino Royal“, der am 16. November diesen Jahres in die Kinos kommt, fährt James Bond einen Aston Martin DBS. Das hier ist ein Aston Martin DBS Coupé.“

Zwei Männer schritten auf sie zu. Nur ein Blick genügte. Die beiden waren steinreich. Ihre Designer-Anzüge saßen ebenso perfekt wie die schwarzen Lackschuhe.

Der braunhaarige Mann, der gesprochen hatte, runzelte die Stirn, während er Kamden musterte. „Verzeihen Sie. Sie kennen nicht zufälligerweise Mr. Jacob Black? Sie sehen ihm sehr ähnlich muss ich sagen.“

Zögerlich fügte der zweite Unbekannte hinzu: „Außer die Haare. Jakes sind schwarz wie die Nacht, nicht braun.“

„Jake ist mein Halbbruder“, stammelte Kamden völlig neben sich stehend. „Und wer sind Sie?“

„Sehr erfreut“, grinste der erste und hielt ihnen die Hand hin. „Ich bin John Turner, Geschäftsführer von Turner Industries.“

Embry blinzelte. Der Name kam ihm vage bekannt vor …



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Tomasu
2022-01-02T12:36:40+00:00 02.01.2022 13:36
oh ja so kleine Veränderungen machen doch auf dauer schon etwas aus. man lernt eben nie aus. so kann veränderung auch gutes bringen und ein bisschen veränderung

Kann mir gut vorstellen wie John sich in La Push umsieht und es in senem Kopf rattert. "was kann man verbessern und was darf nicht angefasst werden"

Freu mich
TK
Antwort von:  Drachenlords
09.01.2022 13:38
Bald sind Jake und Isaak gleich auf, was den körperlichen Aspekt anbelangt.
Zu Kamden und Embry sagst du nichts? Dabei gibt Kamden sich doch alle Mühe Tiffany zu beindrucken und gut dazustehen. Ach ja, das zweite Paar mausert sich auch so langsam.

Was genau John da treibt erfährst du im nächsten Kapitel.

MFG
Drachenlords


Zurück