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Morgenstern: Mit Liebe verpackt

von

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Mit Liebe verpackt


 

Dieses Kapitel spielt außerhalb der Haupthandlung und ist im zweiten Band angesiedelt.
 

🌢
 

Das mannsgroße schwarze Schwert steckte noch immer tief in der Kreatur, die bis vor kurzem noch die Einwohner der Provinz plagte. Aus dem haarigen Leib erhob sich die Klinge kerzengerade dem Blätterdach entgegen. Nebula umschloss den Griff der Teufelswaffe mit der rechten Hand und zog sie mit einem beherzten Ruck entschlossen aus dem Kadaver heraus. Die schwungvolle Bewegung ihres Armes und das Gewicht des monströsen Beidhänders in ihrer Hand ließ ihren Oberkörper ein Stück der Regung folgen. Im nächsten Moment schoss ein Schwall Bestienblut aus der klaffenden Wunde und ergoss sich in einer Fontäne über die furchtlose Prinzessin. Nachdem der Druck in den Venen allmählich absank, versiegte auch die blutige Dusche und Nebula blieb von oben bis unten besudelt zurück. “Ich hasse es, wenn das passiert”, kommentierte sie das unglückliche Ereignis. Im nächsten Moment ließ Nebula Quake in ihren Körper zurückkehren.

Hinter einem Stein ragte ein mit braunen strähnigen Haaren bewachsener Kopf hervor. Vorsichtig traute sich Henrik aus seinem Versteck hervor und nahm die Sauerei in Augenschein. Vor ihm das Mädchen, das er liebte, von oben bis unten in dem grünen Lebenssaft der Kreatur getränkt. Dahinter die erschlagene Bestie. Ein gewaltiger Körper, bestimmt dreimal so groß wie sie, gehüllt in ein tiefdunkles Fell und widerlichen Gestank. Das abscheulich hässliche Ding zwischen seinen Schultern sollte wohl den Kopf darstellen, so mutmaßte der Schmied. Drei Augenpaare, beginnend über dem nasenbeinlosen Riechorgan, setzten sich weit über die hohe Stirn fort. Es hatte deutlichen Unterbiss und rasiermesserscharfe dolchförmige Hauer bogen sich in einer weiten Kurve über den Oberkiefer. Es handelte sich um einen waschechten Troll.

Niemals hätte er geglaubt, einen zu Gesicht zu bekommen…

Ein Glück, dass der jetzt tot war!

Nebula wandte sich von dem Ungetüm ab und Henrik zu. “Jetzt kommst du raus, du Feigling!”, schimpfte sie. “Wo die ganze Arbeit getan ist!”

Bedeckt mit dem Blut der Bestie bot Nebula ein gar schreckliches Bild. Doch aus unerfindlichen Gründen überkam Henrik ein Lachen.

“Das ist nicht witzig!”

“Doch!”, widersprach der Braunhaarige. “T-Tut mir Leid!” Der unerbittliche Lachkrampf wollte ihn fast nicht mehr aus seinem Griff lassen.

“Na warte, das zahle ich dir heim!”

Henriks Augen weiteten sich erwartungsgemäß in Furcht.

“Hey, du musst dir nicht gleich ins Hemd machen!”

“N-N-Nebula!”

“Hä?” Genervt hielt die Blondine den Kopf schräg.

“D-Da… das M-Mo-”

“Jetzt spuck’s schon endlich aus, du Trottel!”

“Hi-Hinter d-dir!”

Dem Troll den Rücken zuzukehren, sollte sich als fataler Fehler erweisen. Im Begriff sich umzudrehen, traf Nebula die mächtige Pranke des erschlagen geglaubten Ungetüms und stieß sie erbarmungslos beiseite. Sie wurde meterweit durch die Luft geworfen und verschwand im tiefen Blattwerk des Waldes. Man darf niemals den Fehler begehen, die Regenerationsfähigkeit eines Trolls zu unterschätzen.

“Nebula!”, rief Henrik seiner Freundin nach.

Aus der Richtung der Büsche folgte jedoch keine Reaktion.

Er sah sich nun einem wütenden schwarzen Troll gegenüber und zog sein Schwert. “F-Fass mich nicht an!”, drohte er dem Monster.

Der Troll schien sich davon wenig beeindrucken zu lassen. Er stellte sich auf seine Hinterläufe und schlug mit seinen mächtigen faustartigen Pranken auf die eigenen Brust ein, wie ein Gorilla im tropischen Regenwald.

Während er dies tat, bemerkte Henrik, dass bei der Wunde der Kreatur allmählich die Heilung einsetzte. “V-Verfluchte Scheiße!”

Der Troll beendete seine Drohgebärde und schlug mit seiner Pranke auf Henrik ein. Sie traf jedoch nur noch den Erdboden, da Henrik im letzten Moment zur Seite gesprungen war. Wutentbrannt schlug der Troll abermals auf die Position des Braunhaarigen ein, verfehlte glücklicherweise erneut. Nicht von seinem Vorhaben abzubringen, den Jungen zu brei zu schlagen, folgte sogleich der dritte Versuch.

Bei seinem Ausweichmanöver verhakte sich eine Wurzel in Henriks Fußsohle und brachte ihn zu Fall. Bei seinem Sturz entglitt ihm die Waffe. Hart schmerzte der Aufprall auf seinen vier Buchstaben. Noch viel mehr Schmerz stellte die auf ihn zuschnellende Pranke des schwarzen Trolls in Aussicht.

In Erwartung gleich ins Jenseits befördert zu werden, erhob Henrik die Arme über den Kopf und zog alle Viere zusammen - als ob das helfe. Er kniff die Augen zu so fest er konnte und betete zum Namenlosen Gott für eine schöne Wolke zum schieben, als völlig unerwartet der wütende Schrei des Trolls einem wehklagenden wich. Irgendetwas schlug auf dem Boden auf. Als er endlich genug Mut angesammelt hatte, öffnete Henrik seine Augen.

Das Ungeheuer riss zwei sauber abgetrennte Armstümpfe in die Höhe.

Blut schoss aus ihnen.

Davor stand eine äußerst wütende Nebula mit dem erneut beschworenen Quake in ihrer Hand. Links und rechts von ihr sah Henrik die abgetrennten Pranken des Trolls. “Nimm deine Pfoten von ihm!”, sprach die Blondine mit gruselig rauchiger Stimme. Anschließend sprang sie dem Monster entgegen und schlug ihm in einer Bewegung den Kopf mit seinen zu ihr starrenden drei Augenpaaren ab. Der Troll fiel nach hinten um und war dieses Mal tatsächlich erschlagen. “Und jetzt bleib gefälligst tot!”, rief Nebula dem Ungetüm entgegen, und ließ Quake danach verschwinden.
 

Bevor sie zu den anderen zurückkehrten, wollten sich Nebula und Henrik die Belohnung für die Beseitigung des Trollproblems abholen. Schließlich mussten sie sich fernab der Heimat finanziell über Wasser halten. In einer unsicheren Welt war die Arbeit eines Söldners sehr lukrativ. Noch immer war die stolze Kriegerin von oben bis unten besudelt mit dem Blut der Bestie. So konnte sie dem Dorfvorsteher nicht unter die Augen treten. Das würde gewiss keinen guten Eindruck machen. Zumal sie mit dieser grüne Masse überall an ihrem Körper mindestens so sehr zum Himmel stank, wie der Troll selbst.

Für die Jagd nach dem Monster hatten sich Nebula und Henrik vorübergehend von den anderen getrennt. Während sie sich der Bestie annahmen, kümmerte sich der Rest um deren Belange. Was das genau war, konnte Nebula nicht weniger interessieren, solange sich alle daran hielten, übermorgen am Treffpunkt zu erscheinen. Sollte jemand die Frechheit besitzen, sie zu versetzen, würde derjenige sie noch kennenlernen! Wahrscheinlich war die größtmögliche Strafe eine Umarmung, während sie diese Kleider trug. Nach Henriks Verhalten vorhin zu urteilen, musste es so sein.

Die Prinzessin und der Schmied teilten sich ein Zelt in der Nähe eines Baches.

Natürlich mit einer Anstandsbarriere aus ihren Habseligkeiten zwischen ihnen!

Vorsorglich hatte Henrik darauf bestanden, Reservegewänder mitzuführen. In diesem Moment war Nebula froh, dass ihr feiger Freund wenigstens einmal mitdachte. Sie konnte es nicht mehr erwarten, aus den stinkenden Kleidern zu schlüpfen und sich am Bach zu waschen. Problem war nur, dass die Gurte ihres Brustharnisch so verdammt glitschig vom Blut des Trolls waren, dass jeder Versuch sie allein zu lösen fehlschlug. Mir bleibt wohl keine andere Wahl, dachte sie. Sie zog ein Messer und setzte es an den Riemen an.

Henrik kam gerade noch rechtzeitig, um sie daran zu hindern, ihre Rüstung zu beschädigen. “N-Nebula! Stopp!”, sagte er.

“Ich bekomme den Verschluss nicht auf”, rechtfertigte sich die Blondine. “Aber ich muss hier raus und mich waschen! Und das schnell!!”

Henrik nahm ihr das Messer ab. “Warum fragst du nicht einfach?” Unmittelbar nach seiner Frage machte er sich an den Gurten zu schaffen. Es war nicht einfach bei all dem schleimigen Blut, doch wesentlich einfacher als wenn der Träger versuchte, den sich an der Seite befindenden Verschluss in verdrehter Körperhaltung zu öffnen. Das wäre normalerweise kein Problem gewesen, aber unter diesen unglücklichen Umständen…

Der Gurt öffnete sich und allmählich fiel eine Last von Nebulas Brust ab. Unter dem Harnisch trug sie ein Oberteil aus gefüttertem Stoff. Selbst dahin war der Mist gesickert. Widerlich! Als der Harnisch fiel, eröffnete sich ein neuer Raum für Expansion. Die zuvor unter dem Stahl zusammengepresste Brust wollte wieder Atmen und vor Henriks verwunderten Augen hob Nebulas Busen den Stoff an. Ein erleichterter Seufzer verließ die Lippen der schönen Blonden. Sie schloss ihre Augen, saugte die Luft in ihre Lungen ein. Ihre Rüstung war ihr nach all der Zeit zu klein geworden.

Die unangenehme Stille um sie herum stieß ihr negativ auf.

Wieso war Henrik so schweigsam geworden?

Sie schlug ihre Augen wieder auf.

Was sie nun erblickte, gefiel ihr genauso wenig.

Henriks Sehorgane hatten sich auf ihre opulente Oberweite eingeschossen.

Eine pulsierende Zornesader erschien auf Nebulas Stirn. Mehr als ein wütendes Brummen entwich ihr im ersten Moment nicht. Er erdreistete sich, ihre Brüste anzustarren, wie Filets auf dem Fleischbasar. Sie fühlte so ein Zucken in ihrer Hand und konnte dem Impuls nicht mehr widerstehen. Ehe Henrik wusste, wie ihm geschah, hatte er eine sitzen. “Perversling!”, schimpfte sie ihn.
 

Zwei Tage später.

Wie vereinbart hatte sich die Gruppe am Treffpunkt wieder zusammengefunden. Es wurde bereits dunkel, weshalb sie beschlossen, das Lager aufzuschlagen. Die Finsternis war inzwischen allgegenwärtig und Nebula, Henrik, Annemarie, Clay, Cerise, Aki und Toshiro saßen allesamt versammelt um die einzige Lichtquelle, dem Lagerfeuer.

Erpicht darauf, den Abend heiter zu gestalten, erzählte jeder von den Dingen, die er oder sie während der Trennung getan hatte.

Als Annemarie an der Reihe war, musste sie unbedingt von der Geschichte erzählen, welche sie gelesen hatte. Ein Märchen von einem Ort, weit, weit entfernt. Eine Fabel über Zuneigung und Zuneigungsbekundungen. “Ich habe dieses Märchen gelesen”, eröffnete Annemarie aufgeregt. “Da haben sich alle beschenkt und waren glücklich.”

“Wieso?”, fragte Cerise. “Haben die zu viel Geld?”

Für diese Aussage erntete sie einen scharfen Blick von Clay.

“Was denn?”

“Das ist eine schöne Geste”, meinte Nebula.

“W-Was haben sie verschenkt?”, erkundigte sich Henrik.

“Es ging bestimmt nicht nur um das Schenken”, mutmaßte Toshiro.

“Genau”, unterbrach Cerise. “Die Krämer wollten Umsatz machen.”

Sofort spürte die Rothaarige den Ellenbogen ihres Liebhabers in ihrer Seite.

“Ist doch wahr!”

“Sie mussten lernen, den anderen zu verstehen”, erklärte das Mädchen aufgeweckt. “Dann haben sie sich Gedanken gemacht und wussten, worüber sich der andere freut.”

“Und das ist anderswo ein Brauch?”, wollte Nebula wissen.

“Ja! Familien kommen zusammen, essen und trinken und haben sich lieb. Alle Zimmer sind geschmückt. Und dann überreichen sie einander unter einer Tanne die Geschenke!”

“Und d-du willst jetzt Geschenke haben?”, hakte Henrik nach.

“Ja!”, antwortete Annemarie begeistert.

“Es wäre durchaus klug, seine Verbündeten zu unterstützen”, sagte Aki verhalten. “Außerdem steigern Geschenke den Zusammenhalt und die Moral.”

Verdutzt schauten sie alle anderen an.

“Du hast doch sonst deine Zunge verschluckt”, wunderte sich Cerise. “Warum heute so redselig?”

“A-Aber sie hat Recht”, pflichtete Henrik bei.

“Immerhin kann man durch die Analyse von Ausrüstung die Schwächen und Stärken des anderen erkennen…”, grübelte die rothaarige Attentäterin.

Ein sanftes zustimmendes Lächeln erschien auf dem Gesicht der Kunoichi.

Henrik sprang aus dem Schneidersitz auf und ballte die Hand zur Faust. “D-Dann ist es jetzt besch-schlossen!”, verkündete er. “Wir werden uns heute in einer Woche ge-gegenseitig beschenken!”

“Juhu!” Annemarie riss freudig beide Arme in die Luft.

“Wieso darf der das beschließen?”, motzte Cerise. Sie sah dabei auffordernd zu Nebula, als ob diese dem jetzt Einhalt gebieten sollte.

Aber die Blondine tat den Teufel.
 

🌢
 

Ja, war das denn zu fassen?

Er war der große Fürsprecher für diese Sache. Und nun kam ihm keine Idee, womit er Nebula beschenken könnte. Der Geistesblitz verwehrte ihm den Gehorsam. So lag Henrik mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf einer Wiese und beobachtete den Himmel. Die Schäfchenwolken zogen nur langsam über das Deckengewölbe der Welt. Ein Gewitter schien nicht in Sicht.

Was sollte er nun machen?

Schon drei Tage hatte er mit Grübeln vertrödelt.

Wie stünde er da, wenn er ausgerechnet am Stichtag nichts vorzuweisen hätte?

“Sie wi-wird mir den Kopf abreißen!”, stammelte er vor sich hin.

Auf einmal zogen zwei kreisrunde Wolken durch sein Sichtfeld.

Sie waren gigantisch groß.

Unvermittelt erinnerten sie ihn an das Aufschaukeln von Nebulas Brüsten unter dem gefütterten Wams, als sie sich des Brustpanzers entledigte.

Er setzte sich auf und schlug die rechte Faust in die linke Handfläche. “Das ist es!”, rief er freudig aus. “Ich schenke ihr einen größeren Brustpanzer!”

Das war die Idee, die er sich die letzten drei Tage sehnlichst gewünscht hatte.

Jetzt benötigte er nur noch das Material und würde sich danach in der Stadt, in der sie gerade halt machten, nach einer Schmiede umsehen, in der er sich einmieten und sein Handwerk ausüben könnte.

Plötzlich traf ihn jedoch die Ernüchterung wie ein Schlag in die Magengrube und er ließ sich mit ausgestreckten Armen zurück ins Gras fallen.

“Ich weiß doch gar nicht, wie groß sie sind…”, wurde ihm bewusst. “Und einfach fragen kann ich sie auch nicht.”

Vor seinem geistigen Auge spielte sich ein weiteres Szenario ab.

In ihm trat er der Blondine mit gestrafften Strick entgegen, um mit seiner Hilfe den Umfang ihrer Melonen zu bestimmen. Kaum das er ihr sein Vorhaben näher gebracht hatte, nahm sie ihm den Strick ab und würgte ihn damit, bis er blau anlief.

Henrik schüttelte diese Fantasie aus seiner Denkstube.

Nachdenklich schob er die Unterlippe über die Oberlippe. Ein entweichender Luftstrom ließ seine Haare kurz tanzen. Schwermütig schmiedete er an einem Plan, die benötigten fehlenden Daten zu erheben.
 

Obwohl es inzwischen fünf Tage her war, das sie unfreiwillig im Blut des Trolls gebadet hatte, fühlte sie sich noch immer dreckig. Waschen im Fluss und das Wechseln der Kleidung war einfach nicht genug, um dieses widerliche Gefühl abzuschütteln. Sie fühlte den dringenden Zwang, professionelle Hilfe bei der Reinigung in Anspruch zu nehmen.

In der Stadt gab es mehrere Badehäuser.

Nebula hätte die freie Auswahl.

Doch dies musste warten.

Noch immer musste sie ein Geschenk besorgen. Natürlich wollte sie Henrik zeigen, wie viel er ihr bedeutete. Sie benötigte einen Gegenstand, der ihre Gefühle für ihn widerspiegelte. Wenn sie an ihn dachte, kam ihr sein Handwerk in den Sinn. Als sie zum letzten Mal seinen Schmiedehandschuh sah, begann er bereits, sich in seine Bestandteile zu zersetzen. Sein Zustand konnte sich mitnichten gebessert haben.

Nebula beschloss nach einem neuen Ausschau zu halten.

Mehr aus Gewohnheit als aus tatsächlichen praktischen Nutzen warf sich die Blondine ihre Kutte über und Zog die Kapuze tief ins Gesicht. Nicht das sie fürchten musste, erkannt zu werden. So absurd und unpassend es in Relation zu ihrem Charakter stand, hatte sie ein Problem mit großen Menschenmassen. Sie fühlte sich unwohl, wenn sie in die Ströme der Plebejer eintauchte und dicht an dicht zwischen Fremden versank. Nicht das eigene Gesicht zeigen zu müssen, half ihr damit klarzukommen.

Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass ihr jemand folgte.

Sie sah sich um.

Unmöglich, in dem dicht gepackten Gedränge einen Verfolger ausfindig zu machen.

Nebula beschleunigte ihren Schritt und versuchte so, den mutmaßlichen Verfolgern zu entkommen. Doch Hirngespinste konnte sie nicht abschütteln.

Genau!

Das war alles in ihrem Kopf.
 

Vorsichtig schlich Henrik der Prinzessin nach. Heimlich wie ein Strauchdieb und doch flink wie ein Hermelin schlüpfte er zwischen den Passanten hindurch. Cerise wäre von seiner Performance sicher angetan.

Immer mehr Menschen strömten ihm entgegen.

Andere drängten von hinten.

Wo kamen die bloß alle her?

Sie schoben sich zwischen ihm und sein Objekt der Begierde.

Wie sollte man so jemanden folgen?

Am liebsten hätte er in seiner Frustration geschrien.

Doch das Meer aus Tumult und Tamtam, welches von den unzähligen Individuen verursacht wurde, schluckte sowieso jeden Laut. Egal ob Schritte, Sprache oder Schreie. Alles versank in der Geräuschkulisse, die ebenfalls aus Schritten, Sprache und Schreien bestand, bis es Teil des monotonen Hintergrundrauschens wurde.

Über das unerbittliche Gedränge verlor Henrik sein Ziel aus den Augen.

Schubsend und Schiebend quälte er sich langsam voran.

Endlich konnte er die Gestalt unter der Kapuze erneut ausmachen.

Mit etwas mehr schieben und schubsen gelang es ihm, aus der homogenen Masse auszubrechen und aus dem Strom der Plebejer zu entkommen.

Gerade noch konnte er erspähen, wie Nebula um die Ecke bog.

Er ließ nicht nach, sie zu verfolgen.

Zwischen seinen Bewegungen suchte er Schutz hinter Hauswänden, geparkten Pferdekarren, Heuhaufen und sogar in Regentonnen.

Seitdem er sie das letzte Mal verfolgte, hatte er merklich dazugelernt!

Sein Ziel schlenderte über verschiedenste Märkte und seine Verfolgungsaktion führte ihn durch die halbe Stadt. Bleibt sie denn niemals stehen?, begann er schon zu zweifeln. Nebula schien besonders interessiert an Eisenwaren zu sein. In Anbetracht ihrer kriegerischen Natur, keine große Überraschung. Das sie jedoch die großen Schwerter und die schweren Schilde verschmähte und lieber Dolchen und Messern ihre Aufmerksamkeit schenkte, wirkte auf Henrik schon etwas seltsam. Sie wird ihre Gründe haben, tat er es ab. Nur wollte sie nicht eigentlich in ein Badehaus gehen?

Die Glocke eines nahen Kirchturms begann zu schlagen und den Bewohnern der Stadt die Uhrzeit kundzutun.

Beinahe erschrocken fuhr Nebula auf, als sei ihr just in jenem Moment eingefallen, dass sie etwas Wichtiges vergessen hatte. Sie stoppte die Begutachtung der Metallwaren und setzte sich wieder in Bewegung.

Henrik folgte ihr unnachgiebig.

Zwei Straßenkreuzungen später erreichte die Prinzessin ein Badehaus.

Henrik sah sie von seinem Versteck hinter einem Stapel Kisten in das Etablissement eintreten. Endlich war seine Chance gekommen.

Vorsichtig schlich er um das Gebäude herum und suchte nach einer Möglichkeit einzudringen oder wenigstens hineinzusehen. Sein Plan war es, Nebula bei ihrem Bad zu beobachten. Zwangsläufig würde er so ihren blanken Busen zu Gesicht bekommen. Auf diese Weise wäre er in der Lage, die Größe des neuen Brustpanzers abzuschätzen - ganz professionell und ohne Hintergedanken.

Dennoch wäre es sehr ungesund, wenn er erwischt würde.

Beim Gedanken an das letzte Mal, als er in ein Badehaus eindrang, tat ihm spontan der Kopf an der Stelle weh, an der ihn damals die Flasche Badeöl traf.

Er benötigte einen Moment, dieses Erlebnis aus seinem Kopf zu verbannen.

Auf der anderen Seite des Hauses entdeckte Henrik eine Hintertür. Er erwartete nicht viel, als er sich an ihr zu schaffen machte und dies auch zu Recht: Sie war fest verschlossen. Aber das sollte ihn nicht aufhalten. Schon gar nicht hier in der schmalen Gasse, in der niemand war und sein tun hätte sehen können.

Henrik streckte den Arm zum Türschloss auf und besann sich seiner magischen Fähigkeiten im Umgang mit Metallen. Die Zylinder des Schlosses hatten ihm nichts entgegenzusetzen und ehe er sich versah, tat sich die Pforte vor ihm auf.

Operation Obstkorb konnte beginnen.
 

Ein Kochidor, noch schmaler als die Gasse auf der anderen Seite der Tür, erwartete den jungen Schmied. Er quälte sich zwischen Kisten und Regalen hindurch, immer mit der Angst ein Geräusch zu verursachen und sich so zu verraten.

Und damit sein Todesurteil zu unterzeichnen!

Ihr beim Baden zuzuschauen, würde er kein weiteres Mal überleben.

Letztlich gelang es ihm, geräuschlos über das gelagerte Allerlei zu steigen.

Verstohlen versicherte er sich, dass außer Nebula niemand in dem kleinen Badehaus anwesend war. Momentan waren er und das Objekt seiner Begierde allein. Das Personal musste sich in das Obergeschoss zurückgezogen haben. Von seiner Position aus sah er nur ihren Rücken. Um den Kopf war ein Handtuch gewickelt, damit die frisch gewaschenen Haare trocknen konnten und nicht wieder zurück ins Wasser fielen. Er entschied sich mit Bedacht um den Badezuber herumzuschleichen. Nebula war sowieso eingeschlafen. Zumindest sah es danach aus, da sie sich nur für langsame gleichmäßige Atemstöße überhaupt noch bewegte. Auf Zehenspitzen begann er sein Vorhaben in die Tat umzusetzen und drang in das Innere des Raumes ein.

Neben dem Zuber, in dem Nebula in der wohltuenden Wärme des heißen Wassers in das Land der Träume abgedriftet schien, befand sich nur noch ein weiterer. Dieser war vollkommen leer. Kein Tropfen Wasser befand sich in ihm.

Ein hastiger Schritt zu viel verleitete eine der Dielen dazu zu quietschen.

Henrik rutschte das Herz in die Hose.

Die Frau im Badezuber erwachte und schoss empor. Durch die rasche Bewegung löste sich das Handtuch, welches ihren Kopf bedeckte, und offenbarte kirschrote Haare. Sie wandte sich dem Schmied zu und Henrik musste feststellen, dass es sich die ganze Zeit nicht um Nebula, sondern um Cerise handelte. Der Seifenschaum liebkoste ihre Kurven, während er langsam aber sicher von ihrem Körper abrutschte und nach und nach alles offenbarte. “Hallo”, grüßte sie ihm mit spielerischen Unterton. “Wen haben wir denn da?”

Henrik konnte es nicht fassen. Er war der falschen Kuttenträgerin gefolgt.

“Und ich habe mich noch gefragt, wieso mein Verfolger nicht meilenweit gegen den Wind nach nassem Hund stinkt.” Cerise hob ein Bein an und schritt mit ihm aus dem Zuber heraus. “Ich bestach die Baderin, damit ich mit meinem Verfolger ein wenig Spaß haben kann…” Das zweite Bein folgte umgehend auf das erste. “... und dann bist das bloß du.”

Henrik wurde es auf einmal ganz heiß.

“Was für eine herbe Enttäuschung!” Der Schaum war inzwischen komplett von Cerises Körper heruntergerutscht. Doch die rothaarige Attentäterin schämte sich kein Stück ihrer Nachktheit gegenüber dem Jungen. Stattdessen bewegte sie sich mit verführerischen Hüftschwung auf ihr hilfloses Gegenüber zu. “Dafür verlange ich Wiedergutmachung!”

Da es ihm bereits in die Hose gerutscht war, glitt Henriks Herz nun sein Hosenbein entlang und landete neben ihm auf dem Boden. Zumindest beschrieb das den Level an Stress, den der arme Junge soeben durchlitt.

Cerise streckte eine Hand nach ihm aus.

Verunsichert zog sich Henrik zurück.

Doch die Halbelfe dachte nicht im Traum daran, von Henrik abzulassen. In ihrer vollkommenen nackten Pracht, nutzte sie ihre Vorzüge und drängte den Braunhaarigen gegen die Wand. Als der Jüngling nicht mehr weiter rückwärts ausweichen konnte, machte er auf sie den Eindruck, als wolle er mit der Wand eins werden. “Du sagst mir jetzt, warum du hier bist!”, forderte sie ihn auf. Sie stützte ihre Hände links und Rechts von Henriks Kopf an der Wand ab und verringerte den Abstand zwischen ihrer beider Gesichter zunehmends.

“Nun… I-I-Ich…”, versuchte er der Aufforderung nachzukommen.

Eine von Cerises Händen wanderte urplötzlich an Henriks Oberkörper herab direkt in seine Hose. Der Schmied wusste nicht, wie ihm geschah, als die nackte Rothaarige ihn berührte. Die fremde Hand in seiner Intimzone provozierte reflexartige Reaktionen. Der Druck um seine Kronjuwelen festigte und Cerises Augen weiteten sich. “Herrje!”, rief die Rothaarige aus. “Prinzesschen lässt sich da echt was entgehen!” Im nächsten Moment kehrte der Ernst in ihr Gesicht zurück. “Du sagst mir jetzt endlich, warum du mir nachgelaufen bist!”, forderte sie, während ihr Griff immer unbarmherziger wurde. “Oder Prinzesschen wird es niemals erfahren!”
 

Irgendwie war es Henrik gelungen, der prekären Lage zu entfliehen, ohne dass Cerise ihm einen Strich durch jegliche zukünftige Familienplanung machte. Inzwischen wieder bekleidet, saß sie nun neben ihm auf einer Bank. Er war dabei, sein Versprechen einzulösen und Cerise zu offenbaren, warum er ihr gefolgt war.

“Raus mit der Sprache!”, forderte ihn die Attentäterin auf.

“J-Ja ich m-m-mache ja schon”, versuchte sich der Schmied Luft zu verschaffen.

Cerise beugte sich nah an Henrik heran und hauchte ihm in den Nacken. “Ich warte!”

Ein ausweichender Blick nach unten offenbarte Henrik, dass die gefährliche Schönheit neben ihm einen Dolch gezogen hatte und mit diesen nun auf seine nur durch dünne Schichten Stoff geschützte Weichteile richtete.

“Und ich kann sehr ungeduldig sein”, flüsterte sie unheilschwanger.

Nervös zwang Henrik überschüssigen Speichel seine Kehle hinunter. “I-Ich dachte, du bist Nebula”, presste er anschließend hervor.

Cerises Dolch näherte sich weiter Henriks Kronjuwelen.

Er verstand dies als Aufforderung, weiter zu sprechen. “I-Ich brauche ihre M-M-Maße!”

Endlich entfernte Cerise den scharfen Gegenstand aus der Gefahrenzone. “Ihre Maße?”, fragte sie interessiert. “Reicht deine Fantasie nicht mehr aus?”

“N-Nein.”

“Ich lege mich nie gern fest. Wenn sie dich also nicht ran lässt…” Die Rothaarige bewegte ihren Kopf an Henriks Ohr. “Ich könnte dir lehren, deine Ausstattung optimal einzusetzen. Er ist doch noch wie neu!” Cerise biss zärtlich in Henriks Ohrläppchen. “Völlig unbenutzt…”

Angesichts der vorbei strömenden Passanten, die Gott weiß was über sie beide und diese Darbietung dachten, wurde es Henrik unangenehm in der eigenen Haut. Beherzt stieß er die aufdringliche Frau von sich. “Lass das!”

Cerise musste einsehen, dass sie zu weit gegangen war. Zwar bereitete es ihr Vergnügen, den Jüngling zu ärgern, doch so würde sie nicht viel aus ihm herausbekommen. Sie brachte eine angemessene Distanz zwischen ihm und ihr. “Du sagtest, du brauchst ihre Maße?”

Froh, offenbar zu einer normalen Konversation gefunden zu haben, antwortete Henrik: “Ich will i-ihr einen neuen Brustharnisch schenken.” Beschämt bei dem Gedanken an Nebulas Brüste sah er zu boden. “Der alte i-ist zu e-eng geworden.”

Cerise musste schmunzeln.

“Sie ist u-unter dem alten so beengt…”

Nun brach die Rothaarige in Gelächter aus.

“W-Was ist daran so lustig?!”

Cerise gelang es, das Lachen zu unterdrücken. “Nichts.” Es war allerdings noch da und könnte jeden Moment wieder ausbrechen. “Ich habe mich schon immer gefragt, wozu Prinzesschen Waffen braucht. Sie könnte den Feind mit ihren Brüsten erschlagen.”

Erneut übermannte Henrik die Verlegenheit.

“Deshalb bist du mir gefolgt?”

“Ich dachte, du w-wärst sie. Sie neigt d-dazu in einem heißen Bad einzuschlafen. I-Ich wollte die G-Gelegenheit nutzen und-”

“-Sie befummeln?”

“Nein! H-Herausfinden, wie groß-”

“-ihre Möpse sind? Gigantisch! Was ihr an Körpergröße fehlt…”

“Ich möchte sie bestmöglich unterstützen. Und Schmieden ist leider das einzige, das ich wirklich kann. Ein Rüstungsteil muss angepasst werden. Wenn es zu groß ist, sitzt es nicht richtig. Wenn es zu klein ist, beengt es den Träger. Darum m-muss ich wissen, wie-”

“-groß ihre Melonen sind.”

“G-Genau.”

Das Lachen schlug noch einmal zu, doch Cerise konnte es endgültig besiegen. “Du bist niedlich, weißt du das?”, fragte anschließend. “Darum werde ich dir helfen.”

“Wirklich?”, wunderte sich Henrik.

“Ich bringe dir die Maße. Aber du musst auch etwas für mich tun!”
 

🌢
 

Auf der Suche nach einem geeigneten Geschenk für Henrik, stellte Nebula die halbe Stadt auf den Kopf. Es war schwer, etwas zu finden, das ihren Ansprüchen genügte. Es durfte nicht das übliche billige Zeug aus Lederriemen und Stoff sein, welches von den Schmieden benutzt wurde, um die eigene Hand zu schützen. Sie ließ sich von den verschiedensten Händlern beraten und kaufte einen gefütterten Handschuh aus hochwertigem Stoff. Kein billiger Spaß, doch Henrik war es ihr wert.

Letztlich verging die Zeit im Fluge und so kam sie nicht mehr zum Baden.

Nebula verschob es auf den folgenden Tag.

Die Nacht verbrachte sie damit zu grübeln, welches Geschenk Henrik für sie plante. Er war so auffällig still und sprach die letzten Tage fast nicht mit ihr. Könnte es sein, dass ihm kein Geschenk für sie einfiel? Und anstatt ein Mann zu sein und dazu zu stehen, ging er ihr einfach aus dem Weg? “Das ist so typisch für ihn!”, ärgerte sie sich lautstark. Dann versuchte sie zu schlafen. Für eine unverheiratete Lady ziemte es sich sowieso nicht, mitten in der Nacht ihre Gedanken an einen Mann zu verschwenden.

Am nächsten Morgen machte sie sich ausgehfertig. Die Geschäfte öffneten um neun Uhr, weshalb sie sich Zeit ließ. Unten im Vorraum der Herberge wurde sie jedoch plötzlich von Cerise angesprochen. “Your Highness!”, sagte diese. Dabei vollführte sie eine Verbeugung, obwohl die Etiquette am Hofe Damen einen Knicks vorschrieb.

Wahrscheinlich nur, um sie zu ärgern!

“Was wollt Ihr von mir?”, fragte die Blondine genervt.

“Nichts von Belangen”, antwortete Cerise.

“Dann könnt Ihr auch die Güte zeigen, mich von Eurer Präsenz zu erlösen.”

“Na wir sind heute aber wieder zickig.”

“Ich bin nicht zickig!”

Cerise hob theatralisch den Handrücken über ihre Stirn. “Womit habe ich diese Feindseligkeit nur verdient? Was habe ich Euch getan, Your Highness.”

Nebula zischte abfällig. “Da fragt Ihr noch…”

“Ich wollte nur fragen, wo es Euch hinverschlägt.”

“Ich wüsste nicht, was Euch das angeht!”

“Glaubt es oder nicht, doch ich hatte eine hervorragende Idee.”

“Wenn diese Idee etwas mit dem Austausch von Körperflüssigkeiten zu tun hat, dann bitte ich Euch inständig, mich zu verschonen.”

“Ach, wo denkt Ihr hin? Dafür habe ich Clay!” Die Halbelfe traktierte die Prinzessin mit einem Blick, welche diese nicht einordnen konnte.

“Dann lasst schon hören, Eure Idee”, gab sich Nebula geschlagen.
 

Unlängst erlangte ein Ort nicht weit von der Stadt spürbar an Beliebtheit. In der Gegend gab es geologische Aktivität, welche viele besondere Effekte in der Natur auslöste. Unter anderem auch einen Geyser, nach dem man seine Taschenuhr stellen könnte, wäre diese bereits erfunden worden. Doch seine stündliche Eruption aus heißem Wasser, auch wenn schön anzusehen, war nicht der Grund, warum Cerise die anderen weiblichen Gruppenmitglieder überredet hatte, diesen Ort aufzusuchen.

Ihre Kleider lagen ordentlich zusammengelegt am Rand des Tümpels, welcher geformt war wie ein natürliches Badebassin. Die Rothaarige hatte es geschafft, Nebula, Annemarie und sogar Aki davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee war, in dem weniger heißen Gewässer südlich des Geysers ein wohltuendes Bad zu genießen. Durch ihre Talente als ruchlose Mörderin, welche auch die Spionage mit einschlossen, war es der Attentäterin gelungen, den perfekten Moment auszuwählen. Sie konnten davon ausgehen, die nächsten Stunden ohne Störung an diesem Ort zu verbringen, bevor die ersten anderen Badewilligen auftauchen würden.

Von Annemarie ragte nicht mehr als Kopf und Nacken aus dem gemütlich warmen Gänsewein heraus. Während Nebula bemüht war, so viel von ihrem Oberkörper wie möglich unter Wasser zu verbergen, schielte Aki in einer Mischung aus Neid und Verwunderung auf die Brust der Blondine. Cerise, welche bekanntlich nicht die geringsten Probleme mit Nacktheit hatte, schaute sich diese Szene amüsiert an. “Wahrlich eine Hausnummer, nicht wahr?”, kommentierte sie.

Aki errötete und wandte schnell den Blick ab.

Währenddessen kam sich Nebula wie eine Zirkusattraktion vor. Es war unangenehm, im Evakostüm beäugt zu werden, selbst wenn diese Augen Frauen gehörten.

“Ihr braucht Euch nicht zu schämen, einen Blick zu riskieren”, ermutigte Cerise die Kunoichi doch wieder hinzusehen. “Warum soll man als Frau nicht auch andere Frauen bewundern? Dem der sich festlegt, entgeht die Hälfte.”

Annemarie konnte sich nur wundern, worüber die Erwachsenen da sprachen.

“Schämt Ihr Euch nicht, solche Sauereien von Euch zu geben, wenn Kinderohren zuhören?!”, tadelte die Prinzessin.

“Nö, wieso?” Cerise zuckte mit den Schultern. “Irgendwer muss ihr doch mal die Sache mit den Blümchen und den Bienchen erklären…”

“Aber doch noch nicht jetzt. Und auf keinen Fall hier!”

“Ihr seid so festgefahren, wie ein Fuhrwerk auf einer schlammigen Straße!”

Mit beiden Armen schlug Nebula auf die Wasseroberfläche ein, sodass es heftig spritzte. Sofort darauf sprang sie auf und schrie: “Unverschämtheit!”

Da war sie: Fast am Ziel! Cerise dachte die entblößten Brüste der Prinzessin zu Gesicht zu bekommen und so ihre Größe abzuschätzen, doch aus unerfindlichen Gründen schien sich der Dampf aus der heißen Quelle ausgerechnet an ihrem Oberkörper zu verdichten, während das Wasser alles unter den Hüften verdeckte. Es half alles nichts! Die Attentäterin musste in die Offensive gehen.

Als Nebula bewusst wurde, dass sie aus dem Wasser aufgestanden war, versenkte sie sich selbst auf schnellstem Weg.

Cerise erhob sich nun ihrerseits und watete durch das natürliche Badebassin direkt zu Nebula und hockte sich hin.

“Was soll das werden?”, fragte die Prinzessin misstrauisch.

“Die Umstände lassen mir keine andere Wahl!”, entgegnete Cerise.

Die Rothaarige erhob beide Arme. Ihre Hände machten schon in der Luft wiederholt eine zupackende Geste. Sie führte sie an Nebulas Oberkörper heran und begann die Vorzüge der kleinen blonden Frau unter deren lautstarken Protest genauestens zu inspizieren.

Annemarie und Aki wussten abermals nicht, wie sie jemals verarbeiten sollten, was sie in diesem Moment zu Gesicht bekamen, als hinter ihnen der Geyer ausbrach.
 

Die Glocke im Kirchturm schlug gerade zur zehnten Stunde.

Beschienen von der Sonne eines neuen Tages, fluteten die Massen den Marktplatz. Unter Stoffzelten und Bretterdächern waren die Bauern und Handwerker zusammen gekommen, um ihre Waren an das Volk zu veräußern. Seltene Stoffe und Seide aus fernen Ländern, aber auch tägliches Allerlei, wurden feilgeboten. Es war hier, das Henrik eine Episode aus seiner Vergangenheit übermannte, als er an einem Eisenwarenstand vorbei kam. Ein Junge, der ihm nicht unbedingt unähnlich sah, bot Werkzeuge und andere Metallerzeugnisse an. Vielleicht hatte Henrik aber nur ein Allerweltsgesicht.

Er entschloss sich, diesen Stand als erstes aufzusuchen.

“Guten Tag, der Herr”, grüßte ihn der Junge. “Ich bin Zedric. Kann ich Euch bei der Auswahl behilflich sein?”

Henrik schmunzelte, als ‘Herr’ bezeichnet zu werden. “Du bist bestimmt kaum jünger als ich”, stellte er fest. “D-Du musst nicht so förmlich sein.”

“Wie du wünschst.” Zedric legte eine Sprechpause ein, um sich sammeln zu können. “Wie heißt du denn?”

“Ich bin Henrik.”

“Schön dich kennen zu lernen.”

Beide reichten sich die Hand.

“Kann ich dir behilflich sein, Henrik?”, erkundigte sich Zedric.

“M-Mit Sicherheit. Ich suche ein Messer zum häuten von Tieren.” Zwar besaß Henrik selbst das nötige Wissen um Jagdwerkzeuge, aber wenn jemand anderes für ihn die Auswahl treffen konnte, warum sollte er sich dann bemühen. “E-Es darf gern etwas teuer sein. Hauptsache, e-es fällt nicht gleich wieder a-auseinander.” Und dabei soll man doch nicht von sich auf andere schließen…

Zedric tat es mit einem Lächeln ab.

Danach begab er sich zielstrebig zum hinteren Teil seines Standes und kam mit einem Messer wieder. Er legte es auf den Tisch, auf das Henrik es sich ansehen solle. “Hier. Das ist das teuerste das wir haben.”

Der Braunhaarige nahm das Utensil ansich und beäugte es. Die Sonne reflektierte sich auf der glatt polierten, makellosen Oberfläche des Stahls.

“Ist es zu deiner Zufriedenheit, Henrik?”

“Das ist es. Ich kaufe es.”

Ein fröhliches Lächeln blitzte über das Gesicht von Henriks Gegenüber.

Alsbald wechselten Gold und Ware die Besitzer.

Henrik verstaute das Messer in dem im Preis enthaltenen Lederhalfter und machte diesen an seinem Gürtel fest. Er wollte gerade gehen, als ihm der Gedanke kam, Zedric nach dessen Meister zu fragen. “Du bist doch s-sicher ein Lehrling, Zedric?”, eröffnete er. “Ich würde mich g-gern mit deinem M-Meister unterhalten.”

“Du willst meinen Vater sprechen? Was willst du von ihm?”

“Ich h-hätte da ein Anliegen, das ich mit ihm di-diskutieren muss. Doch zuerst m-mu-muss das Messer zu seinem neuen Besitzer.”

“Mein Vater hat mich den ganzen Tag für den Marktplatz eingeteilt. Mein großer Bruder darf derweil seinen Spaß in der Schmiede haben. Du findest sie gleich da die Straße runter. Gehe einfach den Hammerschlägen nach.”

“A-Alles klar. Danke, Zedric.”

Henrik wandte sich ab und verließ den Marktplatz.

Seine Verabredung wartete.
 

Cerise verbarg sich in einer dunklen Gasse. In einer großen Stadt waren diese stets zahlreich. Schmutzige Geschäfte und abscheuliche Verbrechen spielten sich für gewöhnlich an diesen Orten ab. Ihr schwebte jedoch nichts dergleichen vor. Stattdessen wartete sie auf Henrik, um ihm eine wichtige Information zu übergeben, gemäß dem Fall er hat seinen Teil ihres kleinen Handels erfüllt.

Zaghaft drang der schüchterne Jüngling in die Finsternis ein.

Henrik sah Cerise und begab sich umgehend zu ihr.

Die Rothaarige lehnte bequem an der Ziegelmauer mit lässig gesenktem Kopf und verschränkten Armen. Ihr Blick traf ihn scharf wie das Messer, das er eben erstanden hatte. Henrik realisierte nicht, dass seine Beine sich bewegten, bis er neben ihr stand.

“Hast du die Ware?”, fragte Cerise in einem Ton, als wären sie drauf und dran, ein verbotenes Geschäft abzuschließen.

“N-Natürlich!”, antwortete der Schmied. “Hier!” Er ergriff seinen Gürtel und löste das Messer samt Halterung. Danach übergab er es an Cerise.

Sie nahm den Gegenstand in Augenschein. Zuerst beäugte sie die Hülle aus Leder, anschließend zog sie das Messer heraus und sah es sich an.

Nervös fummelte Henrik an seinem Kragen herum. “M-Mussten wir uns u-unbedingt hier treffen?”, entfleuchte es ihm.

Cerise schob das Messer zurück in die lederne Hülle und brachte diese nun ihrerseits an ihrem eigenen Gürtel an. Zwar sollte es ein Geschenk für Clay werden, doch zwischen all den anderen spitzen Gegenständen fiel es überhaupt nicht auf. “Machst du dir deshalb in die Hose?” Sie drängte ihn an die gegenüberliegende Wand. “Das wäre ein Jammer, bedenke man, was da schönes drin ist!” Unaufgefordert umarmte sie den zutiefst verstört guckenden Henrik und ließ ihre Hände seinen Rücken hinab wandern, bis sie das Gesäß erreichten.

Henrik spürte neugierige Finger Druck auf sein Sitzfleisch ausüben.

Cerise schob seine untere Hälfte an die ihre.

Er spürte, dass nicht nur die Situation außer Kontrolle geriet.

Es verleitete die Rothaarige lüstern zu kichern. “Wenn man vom Teufel spricht!” Langsam fanden ihre Hände den Weg zurück auf Henriks Rücken. “Männliche Jungfrauen sind so niedlich.” Cerise streckte sich, um Henrik etwas ins Ohr zu hauchen. “Ich könnte dir so viele schöne Dinge beibringen…” Dann ließ sie unverhofft von ihm ab. “Doch dann würde ich den Zorn des Teufelsweib auf mich ziehen.”

Henrik nutzte die Gelegenheit, etwas Abstand zwischen sich und Cerise zu bringen.

Noch immer war er verstört.

Cerise kramte ein Stück Papier aus einer Tasche hervor und reichte es ihm.

“W-Was ist das?”, fragte Henrik verwirrt. Er war in diesem Moment nicht zum Denken imstande, denn das Blut wurde andernorts gebraucht.

Cerise schüttelte lächelnd den Kopf. “Das ist die delikate Information, um die du mich gebeten hast.” Als Henrik noch immer nicht nach dem Schriftstück griff, wurde Cerise ungeduldig. “Brüste! Möpse! Euter! Melonen! Glocken! Muss ich noch mehr sagen?”

Endlich reagierte der Braunhaarige und nahm den Zettel an sich. “D-Darf ich fragen, wie du das gemacht hast?”

“Das willst du nicht wissen…” Cerise seufzte. “Immerhin wurde niemand verletzt. Bis auf das Urvertrauen einer gewissen Blondine.” Mit diesen Worten wandte sich die Rothaarige ab und verließ die düstere Gasse.

Endlich hielt Henrik das letzte Puzzlestück in seinen Händen.

Er stattete direkt darauf dem Vater von Zedric einen Besuch ab und bat, dessen Schmiede zu benutzen. Noch mehr Gold wechselte den Besitzer. Jetzt war er mal wieder pleite. Verdammte Sauerei! Die Arbeiten an Nebulas neuem Brustpanzer nahmen den Rest des Tages in Anspruch. Aber es hatte sich gelohnt! Mit diesem neuen Rüstungsteil wäre die Prinzessin wahrlich mit Liebe verpackt.
 

🌢
 

Die Zeit verging wie im Fluge.

Inzwischen hatte der Wettergott die Welt mit einem weißen Kleid versehen.

Ehe sie sich versahen, kam der Tag, an dem sie sich gegenseitig beschenken wollten. Annemarie war ganz besonders außer sich vor Freude. Während die anderen sich mühten, ein ganz besonderes Geschenk für einen ganz besonderen Menschen - oder Elf - zu finden, schmiedete das Mädchen einen Plan, wie sie alle auf einmal beschenken konnte. Sie hatte sich die letzten Tage rar gemacht, um ihre Überraschung in aller Ruhe vorzubereiten. Nun war endlich die Zeit gekommen, sie zu enthüllen.

Annemarie suchte einen nach dem Anderen auf, um sie zum geheimen Ort zu führen.

Als erstes ging sie zu Toshiro.

Dieser war gerade damit beschäftigt, sich von Aki eine Abreibung zu holen.

Auf einem improvisierten Übungsplatz standen sich der Oji des Donnerclans und seine ihm treu ergebene Leibwächterin gegenüber. Beide umklammerten ein hölzernes Übungsschwert und nahmen eine Kampfpose ein, wie sie hierzulande unüblich, auf den Östlichen Inseln allerdings gängig war.

Annemarie entschloss sich, dem Treiben ein wenig zuzuschauen.

“Heute werde ich dir zeigen, dass ich der größte Krieger des Donnerclan bin!”, verkündete Toshiro stolz seine Absichten. “Hurrrrrrarh!” Er sammelte seine Kräfte. Das Kanji seines Clans erschien auf seiner Stirn, während er die Energie des Donnerdrachens in das Holzschwert lenkte. Das Übungsgerät emittierte ein seltsames Leuchten.

“Seid Ihr Euch sicher, dass dies eine kluge Idee ist, Oji-sama?”, fragte Aki besorgt.

“Natürlich! Wieso auch nicht?”

“Ihr solltet Eure magische Kraft nicht sinnlos in einem Übungskampf verschwenden.”

“Ach, was weißt du schon! Lass uns kämpfen!”

“Wie Ihr wollt, Oji-sama!”

Annemarie durfte einem äußerst kurzen Kampf beiwohnen.

Siegessicher stürmte Toshiro mit seinem geladenen Holzschwert auf Aki zu. In dem Moment als sich die Übungsgeräte berührten, zerbarst das von Toshiro und er kassierte von Aki zwei Schläge in die Seite und einen Schlag auf den Kopf. Zum Glück für ihn, bremste Aki die Angriffe im letzten Moment ab, sodass sie die anvisierten Stellen nur sanft berührte. Völlig verwundert und noch immer den Holzstummel in seiner Hand anstarrend, verharrte er. Das Kanji verschwand von seiner Stirn.

“Ihr seid Tod, Oji-sama.”

Entgeistert ließ sich Toshiro nach hinten in den Schnee fallen. “Ich habe verloren?!”

“Ich sagte doch, es ist keine gute Idee.”

Von Toshiro war nicht mehr als ein klägliches Jammern zu vernehmen.

Annemarie entschied sich, von ihrer Zuschauerposition zurückzutreten und auf die gerade eben noch Kämpfenden zuzugehen. Sie hob den Stoff ihres Kleides an und rannte die Stufen der Treppe hinunter, welche zum improvisierten Trainingsplatz führten. “Hallo!”, rief sie freudestrahlend. “Hallo! Bitte kommt mit!”
 

Nach und nach graste das Mädchen alle ihre Freunde ab und sagte ihnen, sie sollten vor dem Südtor der Stadt aufeinander warten und auf gar keinen Fall ihre Geschenke vergessen. Clay und Cerise waren die letzten, die am Treffpunkt erschienen. Mit Mühe und Not verhinderte der Schwarzhaarige zuvor, dass die arme Annemarie jene Dinge sah, welche Erwachsene miteinander machten, wenn das Licht aus war.

Die Stadt nahm es mit der nächtlichen Ausgangssperre etwas leichter als andere ihrer Art. Zwar war es schon dunkel, doch die Tore wurden erst zur Stunde Null verschlossen. Bis dahin hatten sie noch jede Menge Zeit.

“Wieso versammelt uns die Kleine vor den Toren der Stadt?”, fragte Cerise in einem Tonfall, der darauf schließen ließ, wie wenig Lust sie auf die ganze Sache hatte. “Und wo ist der Gartenzwerg eigentlich?”

“I-Ich habe keine Ahnung”, sagte Henrik.

“Du hast von so vielen Dingen keine Ahnung.”

“Es wird sich bestimmt alles aufklären”, versicherte Clay.

“Und, hat jeder an die Geschenke gedacht?”, stichelte Toshiro.

Fast jeder trug einen auffällig verpackten Gegenstand.

Toshiro schloss daraus, dass es wohl keiner vergessen hatte.

“Sie könnte jetzt wirklich mal hier auftauchen!”, forderte Nebula.

“Stattdessen stehen wir vor den Toren, wie bestellt und nicht abgeholt”, zischte Cerise. “Und das bei den Temperaturen.”

“Ihr könntet Euch etwas mehr anziehen.”

“Was? Dieses perfekte Gottesgeschenk verhüllen? Kommt ja gar nicht in Frage!” Sie schielte kurz zu Henrik, “Nicht das mich schon wieder jemand verwechselt!”

Clay hob sein Riechorgan in die frostige Luft. “Ich kann sie wittern!”, meinte er daraufhin. “Dieser unverwechselbare Geruch nach altem Pergament. Er kommt von dort hinten aus dem Wald!” Er deutete auf den Forst zur Linken der Straße, in den nur ein schmaler Pfad führte.

“S-Sie ist ganz allein im Wald?”, machte sich Henrik sorgen.

“So wie sie stinkt, nehmen alle Raubtiere reißaus.”

“A-Aber was ist mit den menschlichen Raubtieren?”

“Er hat Recht!”, mischte sich Nebula ein. “Ein kleines Mädchen allein im Wald. Das ist doch ein gefundenes Fressen für skrupellose Menschenschieber und jene Dreckschweine mit widernatürlichen Begehr.”

“D-Du musst nicht gleich den Teufel a-an die Wand malen!”

“Sie ist doch schon das Teufelsweib”, kommentierte Cerise.

Die Blondine funkelte die Rothaarige böse an.

“Nur die Ruhe”, kühlte Clay die hitzige Diskussion ab. “Ich rieche niemand anderen im Wald. Würde sich außer ihr jemand dort herumtreiben, meine Nase würde es wissen.”

“Wie die Nase eines Mannes, so auch sein Johannes!”, scherzte Cerise und sah dabei Henrik direkt in sein Gesicht.

“Was ich aber riechen kann, ist Wachs und Ruß.”

“Worauf warten wir dann noch?”, fragte Nebula. “Lasst uns nachsehen!”
 

Der schmale Pfad wurde von beiden Seiten von nichts als verschneiten Ästen und Baumstämmen gesäumt. Eines war klar: Er sah weder Fuß noch Huf besonders oft. Die Gruppe folgte ihm dennoch in die Tiefen des Forst. In der Ferne erspähten sie ein schwaches Leuchten. Sie gingen darauf zu und fanden so zu einer kleinen Lichtung, in dessen Mitte ein kleiner Tannenbaum stand. Er war mit seltsamen Dingen behangen und Kerzenteller waren auf seinen Zweigen befestigt. Der schwache Schimmer ging von den Kerzen aus. Die Gegenstände, welche von den Ästen der Tanne herunterhangen, waren aus Stroh und Strick gefertigt und sollten wohl Schneeflocken oder Sterne darstellen. Eine Kette aus bemalten Eicheln war zudem um das Gewächs gewickelt. An den Rändern der Lichtung befanden sich Sitzgelegenheiten und eine Feuerstelle mit einem Kessel. Wie hatte die Kleine das alles ohne Hilfe nur hierher gebracht?

Die anderen fragten sich noch, was das alles bedeuten sollte, als plötzlich Annemarie hinter dem geschmückten Tannenbaum hervor sprang. “Überraschung!”, rief sie und riss dabei ihre Arme in die Luft.

“Hast du die Güte zu erklären, was das soll?”, fragte Toshiro.

“Wir feiern das Fest der Liebe!”, verkündete der energiegeladene Rotschopf.

“Also ich und Clay machen das jede Nacht!”, kommentierte Cerise. Dabei schmiegte sie sich an seinen muskulösen Oberkörper. “Und manchmal sogar noch am Tag,”

“Wie kannst du die nur aushalten?”, erkundigte sich Nebula bei Clay nach einem vorangestellten genervten Stöhnen. “Ich an deiner Stelle hätte sie schon lange erschlagen!”

Der Jägersmann blieb cool und tat es mit einem Lächeln ab.

“A-Also…”, begann Henrik. “W-Wie wird das h-hier jetzt ablaufen?”

“Ihr beschenkt jetzt alle den, den ihr am meisten Lieb habt!”, antwortete Annemarie.

Die anderen sahen sich ratlos an.

“Bescherung!”, jubelte das Kind.

Gesagt, getan.

Clay wollte mit gutem Beispiel vorangehen und überreichte sein Geschenk der Person, die ihm am Meisten bedeutete. Aus seinem Mantel holte er etwas in Tüchern eingewickeltes hervor und trat Cerise gegenüber. “Das ist mein Geschenk für Euch.” Mit diesen Worten befreite er den Gegenstand von den Tüchern und überreichte ihn.

Cerise nahm ihn an sich. Es handelte sich um eine kleine Flasche mit einem klischeehaften Totenkopf auf dem Etikett. “Oh, Ihr schenkt mir Gift”, stellte sie gerührt fest. “Wie aufmerksam!”

“Das ist das Gift der Menschenfresserspinne”, erklärte Clay. “Ihr sagtet, dies sei Euer Lieblingsgift.” Dann zwinkerte er ihr zu. “Ich weiß doch, dass Ihr eine Frau seid, die nichts mit Parfüm anzufangen weiß.”

“Danke!” Cerise verstaute das Fläschchen bei den anderen in einer Seitentasche. “Das ist wirklich lieb von Euch.” In ihrer Professionalität unterdrückte sie ihre Ergriffenheit. Allerdings konnte sie sich sicher sein, dass Clay ihren Herzschlag hören konnte. “Ich habe auch etwas für Euch.” Sie griff an ihren Gürtel und löste das Messer samt Hülle, welches sie Henrik im Austausch für seine angeforderten Informationen erstehen ließ. Ihre Vermutung war richtig. Bei den ganzen Waffen nahm zuvor niemand Notiz von dem Gegenstand.

Clay empfing das Messer und beäugte es. “Ein Häutungsmesser?”, stellte er als rhetorische Frage. “Es ist wirklich schön. Sagt, wie kann ich Euch das vergelten?”

Cerise kicherte. “Lasst mich heute Nacht die Beute Eures Fleischprügels sein.”

“Gewiss!”

“Urgh!” Angewidert wandte sich Nebula ab.

“Oh, Ihr habt etwas für mich, Oji-sama?”

Akis verwunderter Ausruf erweckte die Aufmerksamkeit der Blondine.

“Damit habe ich nicht gerechnet”, ergänzte die Schwarzhaarige.

Der Prinz aus Fernost überreichte ihr eine Apparatur. “Hiermit kannst du verschiedene Kugeln für deine Pistolen herstellen”, erklärte er sich. “Deine alte musstest du schließlich auf unserer Flucht zurück lassen.”

Sofort warf sich Aki vor Toshiro auf die Knie und senkte in demütigster Hochachtung den Kopf, soweit es ihr physisch möglich war. “Ich danke Euch für dieses Geschenk! Aber eine solche Gabe bin ich doch gar nicht wert!”

“Doch! So kannst du deine Aufgabe besser erfüllen.”

Daraufhin erhob sie sich und nahm die Gießvorrichtung an sich. “Ich werde es in Ehren halten, Oji-sama.”

“Na das will ich auch hoffen! War schwer genug, einen Büchsenmacher davon zu überzeugen, eine Spezialanfertigung für eine ‘Spielzeugkanone’ herzustellen.”

Aki stellte den Gegenstand ab und fiel erneut auf die Knie. “Ich bitte inständigst um Vergebung, mein Prinz. Ich habe leider nichts anzubieten, das jemanden Eures Standes würdig ist.”

“Schau mal nach oben!”, mischte sich Annemarie ein.

“Nach oben?” Aki und Toshiro taten dem Kind den Gefallen und entdeckten einen geschmücktes Gestrüpp über sich im Geäst hängen. “Was ist das?”

“Das ist ein Mistelzweig”, erklärte Annemarie. “In dem Märchen hieß es auch, das jeder unter einem Mistelzweig den anderen küssen muss!”

“D-Das kann ich nicht tun!”, verweigerte sich Aki.

Annemarie bekam Tränen in die Augen und zog einen Flunsch.

“Ach so schlimm wird es schon nicht werden”, versicherte Toshiro und umfasste das Gesicht seiner Leibwächterin mit beiden Händen. Er presste seine Lippen auf die ihren und veranlasste Aki, nervös mit den Armen zu rudern.

Schon war Annemarie wieder heiterer Sonnenschein.

Die Kunoichi wusste sich nicht anders zu helfen, als ihm dafür eine Ohrfeige zu geben. Sie riss sich los, besann sich jedoch ihrer Tat, kniete ein drittes Mal nieder und bot ihm einen Dolch dar. “Vergebt mir, Oji-sama! Bitte bestraft mich!”

“Steck das Ding weg!”, befahl Toshiro.

Aki gehorchte und dankte den Göttern, dass er über ihre Verfehlung hinweg sah.

Nachdem sich alle anderen gegenseitig mit Geschenken eingedeckt hatten, war Nebula nun an der Reihe. Henrik schleppte schon die ganze Zeit dieses in Tüchern gewickelte etwas herum und würde es ihr sicher jeden Moment offenbaren. Aus welchem Grund auch immer, hielt sich Henrik bisher zurück, sein Geschenk für Nebula fest umklammert. “Jetzt komm’ schon her!”, befahl die Blondine. “Wir sind die letzten.”

Henrik traute sich nicht. Was war, wenn es ihr nicht gefiel?

Plötzlich spürte er etwas von hinten an ihm schieben.

“Mach schon!”, sprach die angestrengte Stimme Annemaries, welche unter Einsatz all ihrer Kräfte versuchte, Henrik zu Nebula zu bewegen.

“Wenn du mir nicht bald mein Geschenk gibst”, drohte Nebula, “dann werde ich dir stattdessen einen qualvollen Tod schenken!”

“N-Nagut!” Die lieblichen Worte seiner Freundin überzeugten den jungen Schmied nun doch, zur Tat zu schreiten. Immerhin durften seine Abenteuer der vergangenen Tage nicht umsonst gewesen sein. Bedächtig ging er auf sie zu und überreichte ihr seine Mitbringe.

Die Prinzessin nahm sie entgegen und überlegte, was es wohl sein mochte, bevor sie es aus dem Stoffgewand befreite. Der Gegenstand war offensichtlich hart und aus Metall. Er wies eine gewölbte Form auf. Es musste sich um ein Rüstungsteil handeln. Das, oder Henrik hatte ihr eine Bettpfanne geschenkt. Sie sah sich außerstande, ihre Neugier weiter zurückzuhalten und wickelte den umhüllenden Stoff ab. Ein stählerner Brustpanzer kam zum vorschein. Ein Glück, dachte sie. Keine Bettpfanne!

“Ü-Überraschung, Nebula!”, sagte Henrik.

“Du hast mir ein Rüstungsteil geschenkt?”, erkundigte sie sich.

“A-Als wir auf Trolljagd waren, h-habe ich gesehen, das d-dein alter Brustpanzer dich b-b-bengt. Das ist nicht gut!”

Während der Braunhaarige seine Motive erklärte, bemerkte Nebula, dass ihr ganz warm ums Herz wurde. Er tat, was er konnte, um sie zu unterstützen.

“So eine Rüstung soll ihren Träger b-beschützen und nicht einengen. D-Darum habe ich einen neuen gemacht, dessen Wölbung groß genug ist, d-damit deine-”

“Danke, Henrik!”, unterbrach Nebula seinen Redefluss. Als dies immer noch nicht genügte, den Braunhaarigen zum schweigen zu bringen, legte sie den Brustharnisch auf dem Boden ab, umschlang Henrik in einer Umarmung und schenkte ihm einen leidenschaftlichen Kuss als Bonus oben drauf.

Es wirkte.

Endlich, dachte sie. Endlich hält er die Klappe!

“Oh, wie schön!”, entfleuchte es Annemarie. “Und sie sind nicht mal unter einem der Mistelzweige.”

“A-Also gefällt er dir?”, ergründete Henrik, als Nebula ihm nach minutenlangem Austausch von Körperflüssigkeiten endlich das Atmen gestattete.

“Natürlich!” Nebula brachte etwas Abstand zwischen sich und ihrem Gegenüber. “Er gefällt mir so gut, dass ich dich morgen extra hart rannehme!”

Henrik erahnte jetzt schon seine zukünftigen Blessuren. Es konnte sich nur um eine weitere Einheit Kampftraining handeln. Er versuchte es mit einem gespielten Lächeln abzutun, das seine innere Furcht allerdings kaum kaschierte.

“Ich habe auch etwas für dich!”, entriss ihn Nebula seiner Angst. Sie enthüllte nun auch ihr Geschenk für ihn. Es war der hochwertige Schmiedehandschuh. “Nachdem du deine Perversität sinnvoll eingesetzt hast, muss ich dir auch was schenken!” Henrik strahlte mehr als einhundert Atomkraftwerke, als er ihre Mitbringe erblickte. Nebula freute sich über seine Reaktion. Mit dem Handschuh hatte sie alles richtig gemacht.

Nachdem die Geschenke verteilt waren, kamen alle Anwesenden an der geschmückten Tanne zusammen. Sie stellten sich in einem mehr oder weniger perfekten Kreis um das Gewächs auf und unterhielten sich, während sie einen seltsamen gewürzten alkoholischen Trank aus dem Kessel in sich hineinschütteten.

“Wen willst du eigentlich beschenken?”, fragte Clay die kleine Annemarie, welche als einzige nichts von dem Getränk genommen hatte. Sie hatte bisher niemandem einen Gegenstand übergeben. Das fand er seltsam.

“Wieso einen beschenken, wenn ich euch alle beschenken kann?”, entgegnete der Rotschopf. “Schaut!” Sie breitete freudestrahlend die Arme aus. “Das ist mein Geschenk an euch alle! Denn ich habe euch alle lieb!”

Diese Zusammenkunft mit dem Punsch und den Geschenken und dem Schmuck schuf eine einzigartig Atmosphäre. Alle waren sich einig, dass dies das beste Geschenk von allen war und feierten, bis sie zurück in die Stadt mussten.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ursprünglich hatte ich diese Geschichte 2021 für Regina_Regenbogen als Weihnachtsgeschenk geschrieben.
Sie fand es aber schade, dass es außer ihr niemand zu lesen bekommt.

Darum habe ich beschlossen, es diese Weihnachten zu veröffentlichen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Regina_Regenbogen
2022-12-23T20:07:39+00:00 23.12.2022 21:07
😍😍😍😍😍


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