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Schlafenszeit

Beholder 2 Fanfic
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo!

Ich bin ein riesiger Fan von den "Beholder"-Spielen, mein Favorit ist und bleibt hierbei der zweite Teil.
(Falls irgendjemand diese Spiele kennt und mag/liebt... schreib mir! Ich brenne darauf, mich mit
jemanden darüber auszutauschen >O<)

Nun, ich bin dabei die Spiele erneut zu spielen und gerade wieder in Beholder 2 auf Etage 12
angekommen - wo mein "Lieblingspsychopath" wartet und jetzt wollte ich endlich auch mal
etwas darüber schreiben xP

Schreibt mir gerne, was ihr davon haltet! Komplett anzeigen

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Schlafenszeit

Als Evan den Brief von James bekommen hatte, hatte er nicht gedacht, dass er in so eine Lage geraten würde. Für das Ministerium zu arbeiten, war natürlich so etwas wie eine Ehre – doch zeitgleich war ihm nur allzu bewusst, dass es auch eine große Gefahr verbergen könnte. Fehler könnten sofort erkannt werden, es war ohnehin viel zu einfach, jemandem etwas anzuhängen – der Tod war unfassbar nahe.

 

Er hätte es sich zweimal überlegen sollen, aber Evan wollte wissen, welche Geheimnisse sein Vater vor ihm verborgen hatte und wieso seine Anwesenheit hier so wichtig war. Was genau, war hinter seiner Genetik versteckt und was für eine Entscheidung wälzte sein Vater auf ihn ab?

 

Bisher gab es mehr Rätsel und mehr Fragen, als irgendwelche Offenbarungen oder Antworten.

 

Hinzukommend musste er wirklich im Ministerium arbeiten. Während er versuchte all seine Fragen zu lösen, diese Tresore zu sammeln, welche sein Vater versteckt hatte, und sich durchzulesen, was darin stand. Er wünschte sich, sein Vater würde klarere Texte verstecken und nicht so viele Geheimnisse und so viel, was ihm gar nicht weiterhalf. Die Arbeit im Ministerium war nicht schwer, wenn man einmal durchgeblickt hatte.

Er hatte seine erste Beförderung sehr schnell bekommen, nachdem er Emma mit Dong zusammengebracht hatte, hatte sich Marco im Grunde eigenständig ins Aus geschossen.

Auch Genosse Ferguson war nicht schwer aus dem Weg zu schaffen gewesen.

 

Doch Etage 12 war auf eine andere Art und Weise furchterregend, als er es sich in seinen Albträumen hätte vorstellen können.

 

Ein monströser Schredder, den es scheinbar schon immer gegeben hatte, der stets laut ratterte und nie eine Pause zu machen schien. Dann war da dieses Supergame, welches erst nur wie ein kleiner Kampf zwischen den Abteilungen wirkte – doch am Ende bestimmte es über Leben und Tod.

Wenn seine Kollegen und er es nicht schaffen würden, die 500 Punkte zu erreichen, bevor es ihre Gegner taten, dann würden sie alle in den Schredder geworfen worden. Evan hatte einmal mitangesehen, wie das passierte – und es hatte ausgereicht, um zu wissen, dass dies wirklich ernstgemeint war als Bestrafung.

 

Nebenbei musste er immer noch irgendwelche Teilnehmer für irgendein Quiz, welches Genossin Everdeen leitete, auftreiben. Ganz davon zu schweigen, dass Gloria immer seltsamer redete, wenn es um ihren Sohn ging, Hank immer noch neben dem Schredder heulte und sich betrank und er außerdem noch ein Kleid für Fat Tony besorgen.

 

Das alles fing an, Evan zu überfordern!

 

Vor allem da er nicht einmal wusste, ob es am Ende irgendwas gäbe, was ihm half. Irgendeine Antwort auf eine seiner vielen Fragen. Zumindest konnte sich Evan einreden, das Richtige zu tun – immerhin leistete er die Vorarbeit, welche James dazu verhalf, ein paar gefährliche Menschen einzusperren.

Auch wenn das Ministerium dadurch nicht wirklich sicherer werden würde.

 

Das alles half ihm jedoch nicht dabei, seine Arbeit zu erfüllen und Punkte zu sammeln.

 

Gähnend rieb er sich über die Augen, ehe er die Papiere vor sich anstarrte und die neuen Reglungen neben sich. Die Müdigkeit stieg in ihm immer stärker an – er wusste nicht wie spät es war – oder war es vielleicht schon wieder früh? Evan gab alles, um nicht geschreddert zu werden, da seine Kollegen nicht sonderlich vertrauenswürdig waren, was das anbelangte. Doch auch er war nur ein einfacher Mensch und die Müdigkeit übermannte ihn.

 

„Nur … für einen Moment“, murmelte Evan zu sich selbst, als er seine Arme verschränkt auf dem Tisch ablegte und seinen Kopf darauf senkte. Seine Augen fielen im Grunde sofort zu. „Nur … fünf Minuten …“

 

Er hatte die Rechnungen der vergangenen Tage gut bezahlt, selbst wenn er heute neue bekommen sollte oder den vergangenen Tag, sollte er ausreichend Zeit haben, um diese zu begleichen. Evan könnte also hier über Nacht arbeiten, wenn dies nicht schon passiert war.

Sein Körper begann sich trotz dieser völlig unbequemen Haltung zu entspannen. Das Rattern des Schredders rückte immer mehr in den Hintergrund und er spürte eine angenehme Ruhe in sich, obwohl er an einem so tödlichen Ort war. Die Abwehr so fallen zu lassen, könnte seinen sicheren Tod bedeuten.

 

Dann hörte er Schritte.

 

„Redgrave.“

 

Er schreckte sofort wieder auf, streckte den Rücken durch und blinzelte verwirrt, verschlafen und drehte sich dann ruckartig um.

 

„Genosse DeSalvo!“

 

Obwohl der Mann nur wenige Zentimeter größer war, wirkte er gerade wie ein Monster. Es schien, als würde dessen Schatten die ganze Umgebung übernehmen – die Welt in die Finsternis tauchen. Dabei war sie doch bereits unfassbar dunkel, jeder versuchte irgendwie durchzukommen.

Evan versuchte auf dem Weg einfach nur, sich nicht komplett zu verändern, nicht wirklich der Verantwortliche dafür zu sein, dass jemand hier starb.

 

„Du schläfst am Arbeitsplatz?“

 

Evan's Herz blieb für einen Augenblick stehen, obwohl ihm klar war, dass er erwischt wurde. Er war nur aufgewacht, weil sein Vorgesetzter aufgetaucht war. Es war, als hätte man ihm einen Stromstoß verpasst.

 

„Ich … wollte nicht …“

 

„Du solltest nach Hause gehen, wenn du müde bist.“

 

Verglichen mit Genosse Ferguson von Etage 1, war Genosse DeSalvo ruhig, besonnen und fast schon freundlich. Dennoch konnte er Druck ausüben und wusste, wie er sich ausdrücken musste. Auch für seinen jetzigen Vorgesetzten musste Evan bereits eine Aufgabe erfüllen.

 

Alufolie und Klebeband besorgen.

 

Die Aufgabe klang lächerlich und war doch komplett ernst gemeint.

 

„Ich wollte noch etwas Arbeit erledigen“, erklärte sich Evan.

 

Er hatte wirklich keine Ahnung, weshalb es ihm gelang, so ruhig zu klingen, aber schon bei Genosse Ferguson hatte er es geschafft. Evan fühlte sich nicht sicher, er war überfordert und wusste nicht, wo oben und unten war – er gab sich dennoch Mühe. Sein Name – Redgrave – verhalf ihm sicherlich. Auch Albert DeSalvo hatte seinen Vater gekannt, bevor dieser sich aus dem Fenster geschmissen hatte; ob freiwillig oder nicht, er war tot.

 

„Wie strebsam.“

 

Ein kalter Schauder überkam seinen Körper, als sich warme Fingerspitzen in sein Haar gruben. Sanft zogen sich die Finger nach unten, bis sie in seinem Nacken ankamen und über die Haut rieben. Evan streckte den Rücken durch und presste die Lippen für einen Moment überfordert aufeinander, ehe er sich fing.

 

„Ich möchte nur nicht im Schredder landen.“

 

„Im Schredder? Wieso solltest du das?“

 

Natürlich. Sein Vorgesetzter tat immer noch so, als würde er nichts vom Supergame oder der damit zusammenhängenden Strafe wissen. Evan seufzte lediglich leise, immerhin brachte es nichts zu versuchen, seinen Vorgesetzten das Geständnis darüber heraus zu zwingen, dass er etwas wusste.

Er musste an anderer Stelle nachforschen, um etwas zu erfahren.

Dass dessen Finger immer noch über seinen Nacken strichen, machte Evan jedoch ganz schön nervös.

 

„Gehen Sie jetzt nach Hause, Genosse DeSalvo?“

 

Selbst nervös konnte Evan immer noch Fragen stellen; vielleicht half es ihm auch dabei, damit zurechtzukommen.

 

„Nein, ich wollte nur einen kleinen Gang durch die Abteilung machen, mir die Beine vertreten.“

 

Dafür müsste der Mann sein Büro nicht verlassen. Evan war im Büro gewesen; dieses war gigantisch und voll mit einer Sammlung von Waffen und anderen Gegenständen, welche bei Evan für eine Gänsehaut sorgten. Genauso wie die Finger in seinem Nacken, die immer noch dort ausharrten.

Langsam griff er sich in den Nacken und berührte ganz direkt die kräftigen Finger des Mannes, um diese wegzudrücken. Es gab kaum einen Widerstand.

 

„Vielleicht möchtest du mich begleiten. Damit du nicht wieder einschläfst, Redgrave.“

 

Das war ganz eindeutig eine Aufforderung, welcher er nachkommen sollte. Dabei war das mindestens genauso gefährlich. Diese ganze Abteilung schrie geradezu nach Gefahr. Bisher hatte er keine Erfahrungen darüber, dass DeSalvo eine Gefahr war – aber der Vorgesetzte einer Abteilung wie dieser konnte nicht harmlos sein.

Leider genügten seine Kenntnisse nicht, um sich in den Computer von DeSalvo zu hacken; er bräuchte sicherlich noch ein paar Tage, um dies tun zu können. Solange musste er auf seine Menschenkenntnis vertrauen.

 

Oder darauf, schnell genug reagieren zu können, um nicht zu sterben.

 

„Gerne, Genosse DeSalvo“, antwortete Evan nun also schnell, während er sich von seinem Stuhl erhob und dabei viel zu nahe an die Seite seines Vorgesetzten geriet.

 

Nahe genug, damit der Mann wieder nach ihm griff. Finger legten sich um sein Kinn und hielten sein Gesicht in Position. Es war nicht schmerzhaft fest, aber hinauswinden könnte er sich so leicht auch nicht. Seine Augen trafen auf die seines Vorgesetzten, welche wie zwei schwarze Löcher wirkten.

 

„Du siehst deinem Vater nicht sonderlich ähnlich, Redgrave.“

 

„Ist das so?“

 

„Ja. Das ist jedoch positiv in meinen Augen.“

 

Die Finger wurden lockerer, bis sie ihn komplett losließen und sich der kräftige Körper aus seiner kleinen Kabine bewegte, damit sie ihren Spaziergang durch die Abteilung starten konnten.

Evan folgte seinem Vorgesetzten sofort, bekam einen perfekten Blick auf seine Rückansicht – der Anzug saß perfekt, vermutlich maßgeschneidert. So etwas könnte er sich wohl niemals leisten, was auch nicht unbedingt Evan's Ziel war. Er war schon froh darüber, wenn er genug Geld verdienen konnte, um seine Rechnungen zu bezahlen, davon zu essen und Geld an seine Familie zu schicken, die noch nicht bei ihm leben konnte.

Mal ganz davon zu schweigen, dass er hier und da auch nochmal extra Geld ausgeben musste, um seinen Kollegen zu helfen oder Sachen für seinen Vorgesetzten zu besorgen. Es war ein Wunder, dass er bisher zurechtkam mit seinen Finanzen.

 

Obwohl es zu Evan's Aufgaben gehörte, sich in einer Abteilung stets umzuhören und alles zu wissen, hielt er sich hauptsächlich dort auf, wo auch seine Kabine vorzufinden war – fast genau neben dem alles zerfressenden Schredder. Deshalb war es so, als würde er komplett unbekannten Boden ergründen, als er DeSalvo folgte.

Während der Blick seines Vorgesetzten akribisch, effizient und schnell seine komplette Umgebung scannte, hatte Evan damit zu tun, ihn zu beobachten. Nicht sicher, ob er hier überhaupt etwas beobachten könnte, was ihm weiterhalf.

Es ging nur darum, mehr von diesem Mann zu wissen. Wie könnte er denken? Was könnte er planen? Wer war er?

 

Einfach nur ein Mann in einer hohen Position, der ein seltsames Interesse an Waffen und Foltermethoden zu haben schien?

 

„Evan.“

 

Er riss die Augen auf, als sein Vorname benutzt wurde; im Büro war das keine Seltenheit – viel ungewöhnlicher war es wohl, mit seinem Nachnamen angesprochen zu werden.

 

„Genosse DeSalvo?“

 

„Du hast eine Familie, richtig?“

 

Ein wenig Panik überkam ihn, zeitgleich wie seine erste Unterhaltung mit Fat Tony wieder hochkam. Familie zu haben war eine Schwäche, die leicht ausgenutzt werden konnte – doch jemand wie sein Vorgesetzter bräuchte nicht viel Mühe, um an die Wahrheit zu kommen. Es brachte also nichts zu lügen.

 

„Warum fragen Sie?“

 

Er sah die Mundwinkel hoch zucken – vermutlich war Genosse DeSalvo die einzige Person hier, die lächeln konnte, ohne dabei zu weich zu wirken. Es war, als bliebe er weiterhin erhaben.

 

„Du wirkst auf mich wie ein Familienmensch. Dennoch hat dein Vater dich nur einmal erwähnt.“

 

„Mein Vater und ich hatten keinen Kontakt mehr, seitdem ich alt genug war, um alleine zu leben“, antwortete Evan. „Haben Sie eine Familie, Genosse DeSalvo?“

 

„Nein, da gibt es niemanden.“

 

Er wirkte auch nicht wie ein Familienmensch, doch das würde Evan sicherlich nicht aussprechen. Solange DeSalvo ihm positiv gegenüber eingestellt ist, kam ihm das nur gelegen.

 

„Wann … hat mich mein Vater denn erwähnt?“

 

DeSalvo grinste ein wenig, fast als hätte er genau diese Frage erwartet; dabei hatte Evan sie ganz instinktiv gestellt.

 

„Bei einem Glas Wein, an einem sehr langen Abend, als sich viele Vorgesetzte getroffen haben“, erzählte er abwinkend. „Er hat mir sogar ein Foto von dir gezeigt, als du noch ziemlich klein warst. Kein Vergleich mehr zu dem, wie du jetzt aussiehst.“

 

Evan kannte die meisten Bilder, die es aus seiner Kindheit gab – viele waren es ja auch nicht. Es war wohl normal, dass man als Kind sehr anders aussah, als später dann, wenn man ausgewachsen war. Er wollte lieber nicht wissen, welches der Bilder von ihm gezeigt worden war.

 

„Er hat davon erzählt, dass du immer in solchen Camps warst, um den Patriotismus zu stärken. Es war interessant, ihm zuzuhören – normalerweise sprach dein Vater nicht über mehr als die Arbeit. Nicht, dass das Privatleben sonderlich interessant ist. Die meisten Personen sind langweilig, vor allem, wenn sie für das Ministerium arbeiten.“

 

Wie sollte man auch, wenn man einfach nur arbeiten musste, um Rechnungen begleichen zu können? Da hatte man für ein Privatleben nun wirklich keine Zeit.

 

„Es ist schwer neben der Arbeit, für etwas anderes Zeit zu haben und dadurch irgendwie spannend zu werden. Meinen Sie nicht auch, Genosse DeSalvo?“

 

Kaum ausgesprochen, spürte er, wie sich eine Hand schwer auf seine Schulter legte, dafür schlang sich der komplette Arm um seine Schultern und sorgte dafür, dass Evan unglaublich dicht an DeSalvo laufen musste. Er hielt für einen Moment die Luft an, während der Geruch eines herben Parfüms seine Nase hochkroch. Vielleicht der Anführer, zumindest erinnerte ihn der Duft daran.

 

„Wenn man will, schafft man alles, Evan“, lachte ihm DeSalvo fast schon dunkel ins Ohr. Der warme Atem streifte seine Ohrmuschel und der Arm hielt ihn eisern an seiner Seite.

 

Evan versuchte tief durchzuatmen, ohne es sich selbst ansehen zu lassen: „Was tun Sie in Ihrer Freizeit?“

 

„Ich beschäftige mich gerne mit der menschlichen Anatomie und der Geschichte“, antwortete DeSalvo ihm entspannt, während die Hand auf Evan's Schulter nun nach unten über den Arm wanderte. „Es ist wirklich interessant, welche Grausamkeiten sich Menschen in der Vergangenheit ausgedacht haben, oder? Absolut kein Vergleich zu dem, was es heutzutage noch gibt, das ist fast lächerlich.“

 

Er dachte an all die Gewalt, mit welcher er täglich konfrontiert war. An Menschen, die wegen jedes noch so kleinen Fehlers plötzlich denunziert werden könnten, wenn sie von jemand anderem dabei gesehen wurden. Er hatte gesehen, wie Sicherheitspersonal auf Personen einschlug und -trat. Wie sie gefühllos die Verlierer vom Supergame in den Schredder stießen.

Evan dachte an die Familien eben jener Personen – und dann dachte er an seine eigene.

 

„Denken Sie nicht, das, was es heutzutage gibt, ist ausreichend?“, hinterfragte er.

 

„Ausreichend, aber langweilig“, war die Antwort und dann spürte er die kühlen Finger auf seiner warmen Haut.

 

DeSalvo hatte seinen Arm bis zu seinen Ellbogen herunter gestrichen und fuhr über die Haut, welche durch hochgekrempelte Ärmel freigelegt wurde. Evan bekam eine Gänsehaut und krampfte sich sein Bauch etwa zusammen?

 

„Interessierst du dich für solche Sachen, Evan?“

 

„Oh … nein“, antwortete er ehrlich, ohne seine Antwort irgendwie verbergen zu wollen.

 

„Hm“, machte DeSalvo und klang dabei ein wenig unzufrieden; vielleicht versuchte er die komplette Unzufriedenheit zu verbergen. „Wie schade, ich denke, du hättest Potenzial.“

 

„Potenzial?“

 

Sein Vorgesetzter drehte den Kopf in seine Richtung und trug dabei ein Lächeln auf den Lippen, welches nicht zu dem Thema passte: „Vergessen wir das einfach.“

 

Vergessen, das wäre vermutlich klug. Evan vermerkte es sich innerlich, um in einem späteren Moment darüber nachzudenken. Gerade verlangte es schon genug Aufmerksamkeit von ihm ab, geradeaus zu laufen, so fest an dem Körper des Mannes gedrückt, der vermutlich irgendwelche Leichen im Keller hatte.

 

Vielleicht sogar wortwörtlich.

 

„Komm mit in mein Büro.“

 

Alle Alarmglocken gingen bei ihm an. Das war keine Frage und auch keine Bitte, hinzukommend befanden sie sich im Grunde direkt vor dem Büro, neben ihm ratterte der Schredder laut und es war niemand da – nun, niemand außer Werner und der hatte nur Augen für den Schredder, aber kein Erbarmen mit den Personen, die darin landeten.

Fat Tony müsste noch irgendwo sein, aber vermutlich würde dieser auch keine große Hilfe sein. Niemand wäre eine Hilfe gegen ihren Vorgesetzten.

 

„Gibt es ein Problem?“, fragte Evan nach, vielleicht um etwas mehr Zeit hinauszuzögern. Vielleicht um einen Plan zu entwickeln, um hier wegzukommen.

 

„Nein“, antwortete DeSalvo sehr direkt, was vielleicht beruhigend sein sollte. War es aber nicht. „Ich habe ein Sofa dort stehen. Du könntest etwas schlafen.“

 

Der Arm, welcher fest um ihn lag, wurde lockerer, als DeSalvo ihn scheinbar nahe genug zur Tür geschoben hatte, um ihn beruhigt loslassen zu wollen. Evan's Blick wanderte an die Stelle, wo Nikolai normalerweise stehen würde – der Kurier, dessen ganze Familie für das Ministerium als Kurier arbeitete. Der rund um die Uhr anzutreffen war, nur jetzt natürlich nicht.

 

„Ich fühle mich sehr wach, Genosse DeSalvo. Ich würde lieber wieder an die Arbeit gehen“, wagte sich Evan zu sagen.

Konnte man sagen, er widersprach seinem Vorgesetzten? Vielleicht würde ihm das mehr Ärger geben als irgendwas anderes?

 

DeSalvo drehte sich wieder zu ihm, wodurch ein schnelles Wegrennen ausfiel, was vielleicht die beste Möglichkeit gewesen wäre, um zu fliehen. Andererseits musste er ohnehin wiederkommen, schließlich arbeitete er hier.

Und vor dem Ministerium floh man nicht so einfach.

 

„Evan.“

 

Er riss die Augen auf, als sein Vorgesetzter scheinbar plötzlich wieder direkt vor ihm stand – wieder viel zu nahe. Es gab keine Bedrohlichkeit darin, wie nahe DeSalvo ihm war oder wie er seinen Namen aussprach. Vermutlich sollte sich Evan entspannen, doch seine Alarmglocken waren nach wie vor aktiviert.

Evan stolperte rückwärts, als DeSalvo ihn dazu drängte, bis er von dem hohen Bücherregal erschüttert wurde. Zumindest ein kleiner Schutz vor dem Schredder, direkt dahinter. Dennoch fühlte er sich eingesperrt.

Hinter ihm ein Bücherregal, mit welchem er nicht verschmelzen konnte, vor ihm DeSalvo und sowohl links als auch rechts neben ihm dessen Arme.

 

„Du solltest dir mehr Ruhe gönnen, Evan oder zumindest eine Pause. Ein paar Stunden Schlaf würden dir sicherlich guttun.“

 

Die Stimme seines Vorgesetzten war beinahe einlullend, ruhig und leise. Natürlich war Evan immer noch müde, auch wenn der Spaziergang und der allgemeine Schreck ihn wach gemacht hatten. Sich ein paar Stunden Ruhe zu gönnen, einfach zu schlafen, hörte sich natürlich großartig an.

Aber im Büro seines Vorgesetzten? Welcher sicherlich kein Unschuldiger war, wenn er dieses Supergame erlaubte?

 

„Mir geht es gu-“

 

„Du hast ganz dicke Augenringe“, unterbrach DeSalvo ihm, der Daumes seiner rechten Hand fuhr über die Stelle unter seinem Auge.

 

Dort wo sich definitiv Augenringe befanden, denn kein normaler Mensch konnte so viel arbeiten und so wenig schlafen, ohne welche zu bekommen. Evan machte sich über so etwas auch gar keine Gedanken, seine Prioritäten lagen definitiv woanders.

 

„Und das, obwohl du ein so hübsches Gesicht hast.“

 

Evan starrte ganz direkt zu seinem Vorgesetzten hoch, welcher ihn beinahe zu inspizieren schien, immer noch mit dem Daumen unter sein Auge entlang strich und weiter herunter über seine Wange.

 

„Du solltest schlafen, Evan.“

 

Er versuchte wirklich alles, um mit dem Bücherregal in seinem Rücken zu verschmelzen. Gleichzeitig fiel es ihm schwer, sich nicht an die Hand zu lehnen, die sein Gesicht mit kühlen Fingerkuppen berührte.

 

„In meinem Büro.“

 

Als der Daumen seine Lippen traf, war es so, als würde ein Stromstoß durch seinen Körper gehen. Es gab ein Zucken in seinen Armen, der Wille seinen Vorgesetzten wegzustoßen, den er glücklicherweise gut unter Kontrolle hatte. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn er es wirklich wagen würde, so etwas zu tun.

 

„Und das ist wirklich in Ordnung für Sie, Genosse DeSalvo?“

 

„Aber natürlich ist es das, Evan.“ Der Mann löste sich wieder von ihm, mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen. „Jetzt komm schon.“

 

Evan war sich nicht sicher, ob er gerade in seinen eigenen Tod ging oder ob sein Vorgesetzter vielleicht eher vorhatte, diese seltsame Anziehung loszuwerden. Er wusste auch nicht, was davon besser für ihn oder seinen Geist wäre. In seinem Hinterkopf gab es immer noch den Plan, einfach wegzurennen, James anzurufen und unterzutauchen – doch sein Blick blieb an seinem Vorgesetzten hängen, welcher die Tür zum Büro erwartungsvoll aufhielt.

 

Und seine Entscheidung fiel darauf, dieses Risiko einzugehen und zu hoffen, dass ganz egal wie diese Sache auch ausgehen würde – seine Familie dafür sicher wäre.



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