Zum Inhalt der Seite

Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Badetag

Der Tag verging und wie es der Lauf der Zeit will, folgte ein Tag auf den Nächsten. Der Winter verging und Frankreich strebte dem Frühling entgegen. Die Vögel kehrten mit den länger werdenden Tagen aus dem Süden zurück, die unterschiedlichsten Grüntöne sprossen dort empor, wo vorher alles noch im tristen braun-grau war. Die Strahlen der Sonne gewannen an Kraft und den Menschen ging ihr Tagewerk etwas leichter von der Hand. Nach ihrem, für ihre Verhältnisse sehr untypischen Verhalten, besann sich Aramis wieder. Wenn auch die Sorgen und die dunklen Vorahnungen nicht verschwanden, so zeigte sie ihre Ängste nicht mehr. Niemand hörte ihre stummen Fragen und das Wunder, auf das sie hoffte, blieb aus.

Nur die Menschen, die von ihrer bevorstehenden Reise, unter dem Deckmantel der Diplomatie wussten, konnten die versteckten Anzeichen der Anspannung sehen, die wie Gift in ihr wüteten.

Alles vollzog sich nach gleichbleibenden Ritualen. Man traf sich bei den Schichten und bei den abendlichen Treffen in den Spelunken Paris, beim Pferderennen, beim Training, beim Ballsport. Die Gemeinschaft war laut, lustig, ab und zu zottig und immer war die gewünschte Ablenkung da. Der Witz, der Spott, die Anspielungen blieben mit einem gutmütigen Lächeln, einem Augenzwinkern und einem freundschaftlichen Schlag auf die Schulter. Ein tröstendes Wort hier, ein aufmunterndes Lächeln dort.

Dann aber kamen die Nächte. Wenn die Stadt in den Schlaf sank, sich die Dunkelheit über das Land senkte und alle Geräusche ringsum erstarben, dann war sie allein und wälzte sich ruhelos im Bett herum. Sorgen, Zweifel und Ängste krochen mit den Dämonen der Nacht durch das Zimmer und harrten dort aus, bis der nächste Morgen anbrach.
 

Kapitän de Treville stützte die Hände ins Kreuz und reckte sich. Wenig später verzog er schmerzhaft das Gesicht und wünschte sich, es nicht getan zu haben. Vor seinem Fenster breitete sich die Welt im düsteren Grau aus. Dicke Regenwolken hingen am Himmel und entleerten sich nun schon geraume Zeit auf der Erde. Der Regen prasselte an das Glas, der Wind rüttelte an den Fensterläden, die Kälte kroch in seine Glieder. Kapitän de Treville beschloss kurzer Hand, den Musketierdienst seinen fähigsten Mitarbeitern zu überlassen und seine Zeit mit einem schönen Moorbad zu nutzen. Erst neulich hatte ihm der Apotheker la Ferralè, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, versichert, besten Naturschlamm für ihn zu haben. Kurzerhand beorderte de Treville seine Wirtschafterin zu sich und gab Anweisungen für das Bad. Die große Holzwanne für die monatliche Wäsche wurde hervorgerollt und das Wasser in riesigen Mengen erhitzt. Hiltrud Schättiger war eine Frau im mittleren Alter und schon seit mehreren Jahrzehnten de Treville's Wirtschafterin. Sie stammte aus Konstanz und war die einzige Person seines Haushalts, bei der de Treville ein loses Mundwerk duldete. Nicht, dass ihn Hiltrud nicht den Respekt zollte, der ihm gebührte, aber wenn nötig, wurde die Autorität des Kapitäns auf die eines Schuljungen herunterdegradiert. De Treville wollte sich gerade seiner Kleider entledigen, als ein Bote vorbei kam und ihm zum König beorderte. Seufzend kleidete er sich wieder an, hängte sich den Degen um und verließ die stirnrunzelnde Hiltrud und den heilsamen Bottich.

Wenig später fand Kapitän de Treville sich im Vorzimmer des Königs wieder. Seine häufigen Unterredungen mit dem König hatten ihn schon oft in diesem Zimmer warten lassen. Mittlerweile kannte er das Stuckmuster am oberen Deckenrand auswendig und er bildete sich langsam ein, die gemalten Augen der Cherubinen verfolgten ihn. Wenn der Tag besonders lang und anstrengend war und die Wartezeit sich in unerträgliche Länge zog, dann kam es vor, dass er glaubte, leises Kinderlachen zu hören.

"Kapitän de Treville, Ihr könnt jetzt zu seiner Majestät, dem König!" Der Page trat zurück und ließ ihm den Vortritt.

"Ah, Kapitän de Treville", begrüßte ihn der König. Seine königliche Majestät stand hinter seinem Schreibtisch und ließ sich von einem Pagen Wein eingießen. Der Kardinal hielt sich dezent im Hintergrund. "Wie geht es unserem Musketier? Ist er bald bereit nach England zu reisen und auf unseren Diplomaten auf Abwegen zu treffen?"

De Treville nickte unverbindlich. Seit dem denkwürdigen Tag, da Aramis Schicksal beschlossen war, trat er als Mittler zwischen seinem Schützling und Frankreichs Fürsten auf.

"Schön, schön", fuhr der König fort. "Sagt ihm, er soll seine Anstrengungen verdoppeln. Die letzten Vorbereitungen werden gerade getroffen." Er setzte sich und beobachtete zufrieden, wie sich das Licht im Kristall seines Weinglases brach.

"Um genau zu sein, wird er Frankreich in einem Monat verlassen", mischte sich der Kardinal ein. Die langen Finger spielten mit dem goldenen Kreuz auf seiner Brust. "England ist informiert. Wir werden eine Bezugsperson am Königshof für ihn finden. Genaue Instruktionen bekommt er vor Reiseantritt, bis dahin wird an seinen Kleidern geschneidert. Allerdings ...", Richelieu ließ eine bedeutsame Pause, "sollte in England herauskommen, dass er in Wirklichkeit ein Mann ist, dann wird Frankreich von ihm Abstand nehmen. Wir werden England gegenüber versichern, nichts von diesem Betrug zu wissen." Seine Habichtsaugen fixierten de Treville's Gesichtszüge. Der Kapitän hielt seine Gefühle hinter der Maske der Unbeteiligtheit verborgen.

"Ich habe verstanden." De Treville verbeugte sich und verließ das Intrigenspiel.
 

Erneut befanden sich Topf für Topf auf dem Herd, mit brodelndem Wasser, welches langsam den riesigen Bottich füllen sollte. De Treville rieb sich den verspannten Nacken und betrachtete das Leben außerhalb seines Fensters, während er auf sein Bad wartete. Es pochte und ein junger Musketier mit zittrigem Oberlippenbart betrat zögernd das Zimmer. Erbost drehte sich de Treville um und musterte den jungen Mann finster.

"Hatte ich nicht darum gebeten, dass mich niemand stört?" wetterte er. Sein Besucher schluckte den Kloß der in seinem Hals steckte hinunter. "Verzeiht, Kapitän, aber wir ..." Der Kapitän unterbrach ihn ungeduldig.

"Ihr habt doch eure genauen Anweisungen, weshalb werde ich gestört?"

"Nun, wir haben drei Krankheitsfälle und der König hat seinen Plan zum Ausritt umgestellt und nun ..."

Er stockte, als er de Treville's Zeigefinger sah, der ihn näher winkte. "Bin ich denn nur von Narren umgeben?" donnerte der Kapitän knapp vor seinem Gesicht. "Wenn Musketiere krank werden, dann springen andere für sie ein und wenn der König seinen Ausritt absagt, dann brauchen auch keine zusätzlichen Männer eingesetzt werden, verstanden!?" Der junge Mann nickte hastig und machte, dass er fort kam. Seufzend begann der Kapitän seine Kleidung abzulegen. Er stand schon halbnackt im zugigen Zimmer, als es erneut pochte und Frau Hiltrud das Zimmer betrat. Sie beachtete nicht die Schamröte, die de Treville's Gesicht durchzog, weil er ihren Blicken in Unterhose ausgesetzt war, sondern zeigte mit dem Daumen über die Schulter.

"Da ist eine Dame für Euch." Ihr vor Empörung bebender Busen zeigte genau, was sie von dieser Dame hielt.

"Eine Dame?" fragte de Treville verdattert.

"Eine Dame", bestätigte Hiltrud, mit ihrem harten deutschen Akzent. "Sie sagt, sie sei Nana Bernard, die Schauspielerin und sie würde nicht eher gehen, bis sie Euch gesprochen hat." De Treville nickte und griff nach seinen Sachen.

"Und was ist nun mit dem Bad?" Er hörte sie nicht mehr, als er sich in den Empfangsraum begab. Frau Hiltrud zuckte die mächtigen Schultern und seufzte resigniert.

"Ah, Kapitän de Treville, mein Name ist Nana Bernard. Wir kennen uns nicht, aber Ihr habt sicher schon von mir gehört." Eigentlich hatte Kapitän de Treville das nicht. Viel mehr wusste er alles über die neusten Techniken beim Fechten, als über die Theaterwelt, dennoch nickte er. "Was kann ich für Sie tun?"

"Es geht um Aramis."

"Um Aramis?" De Treville hob erstaunt eine Augenbraue.

"Ja", bestätigte Nana und begann im Zimmer umherzuwandern. "Wir beide wissen, dass es sich bei Aramis um eine Frau handelt." Sie ließ eine Pause und wartete auf de Treville's Reaktion. Als diese nicht erfolgte fuhr sie fort. "Ihr müsst wissen, wir sind beide miteinander verwandt. Es fiel mir nicht schwer, sie hier zu erkennen, da wir unsere Kindheit zusammen verbracht haben." Sie lachte gekünstelt. "Nun, zusammen verbracht ist falsch ausgedrückt. Wir sind durch Stände getrennt aufgewachsen. Ich in der Küche, sie im Salon." Ihre Stimme wurde schärfer. "Ich habe dies noch niemandem erzählt und ich erzähle Euch die Wahrheit nur deshalb, weil ich Eure Hilfe benötige."

"Meine Hilfe?"

"Ja! Reneè und ich sind darin übereingekommen, dass sie mir ihren Namen übergibt."

"Ich verstehe nicht ganz, Mademoiselle."

"Ganz einfach, so fern mich jemand nach meiner Herkunft fragt, heiße ich Reneé de Herblay. Reneé hatte in ihrer Jugend nur wenig Kontakt mit anderen Menschen, niemand wird wissen, dass ich es nicht bin. Von Euch brauche ich eine Bestätigung, dass ich die gesagte Person bin. Ich weiß, dass Ihr mit den Herblay's verwandt seid und ihren Vater gut kanntet."

"Wie kommen Sie darauf, dass ich sie Ihnen gebe?"

"Ich weiß von Reneè's kleinem Irrspiel und von ihrem bevorstehenden Auftrag in England. Nennt es Erpressung, aber wenn ich nicht meinen Mund halte, wird nicht nur Reneé's Kopf fallen, sondern auch Eurer, da ihr von dem Betrug all die Jahre etwas wusstet und ihr sogar geholfen habt. Leugnet es nicht, ich weiß alles!"

"Verstehe ich richtig? Ich bestätige, dass Sie Reneé de Herblay sind und Sie bewahren Stillschweigen?"

Nana nickte. "Meine Lippen sind versiegelt."

"Ich lasse mich äußerst ungern erpressen."

"Ich fürchte, Euch bleibt keine andere Wahl."

Die blieb ihm tatsächlich nicht und wenig später überreichte ihr ein finster dreinblickender Kapitän ein Dokument. Nana Bernard schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln.

"Ich danke Euch und wie gesagt, meine Lippen sind versiegelt. Wir kennen uns nicht."

"Das tun wir auch nicht, Mademoiselle", brummte er finster und eskortierte sie zur Tür. Als er sich wieder umdrehte, stand Hiltrud hinter ihm.

"Was ist mit meinem Bad?" Seine Wirtschafterin stemmte die Arme in die Hüfte. "Monsieur war ja beschäftigt und bevor ich das Wasser wieder erkalten lasse, weiche ich die Wäsche darin ein."

"Was höre ich da, Wäsche in meiner Badewanne?" spie de Treville aus. "Räume sie sofort leer!"

Hiltrud hob hochmütig eine Augenbraue. "Das wäre dann das dritte Mal, dass ich heute Wasser ansetze, aber bitte ... ich habe ja nichts besseres zu tun. Wisst Ihr eigentlich welche Mühe es bereitet, den Schlamm von den Wänden zu kratzen?"

"Hol Wasser aus dem Brunnen", brüllte de Treville einen seiner Knechte an, der gerade zufällig vorbei kam. "Was hältst du noch Maulaffen feil? Mach das du an die Arbeit kommst!" schrie er dem verschreckten Jungen hinterher. Hiltrud schüttelte missbilligend den Kopf. "Schreit nicht den armen Jungen an! Er kann nichts dafür, wenn ihr zweifelhafte Damen einladet und nicht zum Baden kommt."

"Ich habe mir diese Zacktippe nicht eingeladen, ich habe sie rausgeschmissen", brummte er, "und rede gefälligst nicht deutsch, wenn du über mich schimpfst. Spreche in einer Sprache, die ich verstehe!" Wütend stapfte er davon.
 

Lange bevor Nana Bernard bei Kapitän de Treville eintraf, kamen Aramis und Athos von einer Nachtschicht nach Hause. Es war schon längst Mittag, doch bevor jeder schlafen ging, kamen sie überein, gemeinsam zu Mittag zu essen. Das Licht fiel spärlich durch das Fenster des tiefergelegten Küchenraums. Aramis rieb sich müde die Augen und ging in die Hocke, um Brot, Käse und alles, was sie an nahrhaften Vorräten fand hervorzuholen.

Athos saß währenddessen am Küchentisch und beobachtete seinen Freund. Aramis schien sich wieder gefangen zu haben und gab sich nach außen hin so wie immer. Der junge Musketier gehörte nicht zu den Menschen, die ihre Sorgen und Launen auf ihre Mitmenschen übertrugen. Mit einem Ungetüm von Messer machte sich Aramis daran, einen Laib Brot zu schneiden. Die Kraft, mit der sein Freund durch das Brot fuhr, als sei es der Feind, zeigte, wie es in Aramis wirklich aussah.

Laut polterten die Holzbretter auf den Tisch, als Aramis die geschnittenen Scheiben und den Käse wuchtig abstellte. Becher und Wein folgten mit dem gleichen Schwung.

"Ist alles in Ordnung?"

Aramis nickte. "Ja, natürlich!" Die Schüssel mit den Äpfeln landet derart hart auf dem Holztisch, dass einer heraushüpfte und davon rollte.

"Das scheint mir nicht so. Willst du nicht mit mir reden?"

"Ich rede doch mit dir. Hier stehen wir beide gemeinsam in meiner Küche und reden miteinander."

Athos seufzte. "Mach es mir doch nicht so schwer, Aramis!" Aramis schüttelte unwillig den Kopf.

"England bereitet dir mehr als nur bloßes Kopfzerbrechen?" mutmaßte er. Sein Gegenüber machte eine abwehrende Bewegung und beugte sich tiefer in den Schrank, um eine angemessene Weinflasche zu finden.

Eigentlich genoss sie den Umgang mit Athos, wenn sie beide allein waren, er war vertrauter, als wenn die Anderen dabei wären. Wenn sie Athos doch nur alles erzählen könnte. Keine Lügen mehr, keine Geheimnisse, kein Verstecken, -aber sie konnte nicht, die Schatten waren zu groß.

"Nun gut", sagte er, "du kannst jederzeit zu mir kommen, das weißt du?" Aramis nickte. In seiner Stimme schwang ein sanfter Unterton mit, der wie Seide über ihre Haut fuhr.

"Ich bin sicher, dass du deinen Auftrag in England zur Zufriedenheit des Königs erfüllst. Wir mussten uns schon öfters verkleiden und du ..." Athos ließ den Rest des Satzes im Raum stehen, aber sie wussten beide, was er nicht aussprach, aber meinte. Seit Athos von Aramis Mission gehört hatte, befasste er sich viel öfters mit seinem Freund. Bislang hatte er nie genauer über Aramis Aussehen nachgedacht, nur Mitleid mit den sanften und zarten Zügen empfunden, die es seinem Freund so schwer machten, auf Anhieb Autorität auszustrahlen. Aramis' Gesicht und Gesten waren Athos zu vertraut, um auf ihn anders oder gar merkwürdig zu wirken. Seltsamerweise bereitete es ihm keine Probleme, sich Aramis in der Rolle einer Frau vorzustellen. Es schien noch nicht einmal befremdend zu sein, eher natürlich.

Aramis stieß sich vor Schreck den Kopf an der Oberkante des Schrankes und tauchte unter stummem Wehklagen wieder auf.

"Warum starrst du mich so an?"

Athos schreckte auf und blickte wieder in das gewohnte Gesicht seines Freundes, in Augen, die in letzter Zeit ungewohnt traurig und entrückt aussahen.
 

Leise in ihrer Muttersprache murrend, nahm Hiltrud erneut den Topf vom Herd und goss diesen in den großen Holzbottich. Dampfend füllte sich die Wanne mit Wasser. Hiltrud rann der Schweiß über das Gesicht. Schweißnasse Streifen zeichneten sich auf ihrem Kleid ab, wann immer ihr fülliger Körper Falten schlug. Unter ihrem strengen Blick schob der Knecht wiederholt Holzscheite in die Ofenklappe. Kapitän de Treville warf einen zufriedenen Blick in den brütend heißen Raum. Seine Stimmung begann sich zu steigern. Während Hiltrud den heilenden Schlamm in das kochendheiße Wasser einrührte, entledigte sich de Treville in seinem Schlafzimmer seiner Stiefel, des Wamses und der Beinkleider. Vergnügt vor sich hin pfeifend, stieg er die Treppe zum Erdgeschoss hinab, in Richtung Badehaus.

Am Fuße der Treppe stellte sich das Badetaghindernis Nummer 4 in den Weg.

"Ich muss mit Euch sprechen, Kapitän!" sagte Athos.

"Geht das nicht morgen, Athos?" entgegnete de Treville's, nackt wie Gott ihn schuf, nur mit Handtuch und Holzpantinen bekleidet. Sein Blick ging provokant an sich herab, Athos überging ihn souverän. Er folgte den behaarten Männerwaden in Richtung Badehaus. "Ihr müsst etwas unternehmen, dass der König Aramis von seinem Auftrag entbindet!"

Er drehte sich abrupt um. "Dann hat Aramis es euch also gesagt? Jetzt hör mir mal zu, Athos! Ich verstehe ja, dass du deinem Freund helfen willst, aber ich habe alles für Aramis getan, was in meiner Macht stand."

"Aramis macht die Sache wirklich zu schaffen", wandte Athos ein.

"Nun gut, ich werde morgen noch einmal mit ihm sprechen."

"Aber ..."

"Nichts aber, Athos. Morgen!" De Treville hob bedeutsam die Braue. "Du wirst sicher deinem Kapitän die Diskretion eines Bades gewähren!"

"Natürlich, Kapitän." Athos trat schuldbewusst zurück und verabschiedete sich.

De Treville schob alle Gedanken an Aramis beiseite und stieg in den dunkelgrün wabernden Inhalt des riesigen Holzbottichs. Er schloss genießerisch die Augen und lehnte sich zurück. Die Wärme vertrieb den Schmerz aus seinen Knochen. Er öffnete die Augen erst wieder, als er Schritte hörte, die vor seinem Bottich zum Stehen kamen.

"Das darf doch wohl nicht wahr sein." Grimmig gruben sich Falten der Empörung in de Treville's Antlitz. "Wirst du wohl das Badezimmer eines Mannes verlassen! Das schickt sich nicht, junge Dame!"

Aramis sah mit zusammengekniffenen Augen vorsichtig auf ihren nackten Vorgesetzten nieder. Sie öffnete erst beide Augen, als sie sicher war, dass die dunkelgrüne Masse alles wesentliche verbarg.

"Habt ihr euch heute gegen mich verschworen?" rief der Kapitän erbost.

"Redet noch einmal mit dem König, Kapitän. Redet ihm aus, mich nach England zu schicken, bitte!" Sie sah ihn flehend an.

"Mädchen", sagte de Treville, der sichtlich mit seiner Geduld rang, "ich würde jeden zum niedrigsten, der niedersten Dienste beordern, wenn er mich so ansehen würde, wie du jetzt. Spar dir deinen Hundeblick! Du fährst nach England, dass bist du mir schuldig! Ich habe eine Menge riskiert, als ich dich bei den Musketieren aufnahm, obwohl du eine Frau bist." Er beugte sich mit hochrotem Gesicht vor, was einerseits an seiner Wut, andererseits an seinem sinkenden Blutdruck liegen konnte, angesichts des heißen Bades. "Gott weiß, dass ich eigentlich nicht in diesem Ton mit meinen Männern rede, aber den gesamten Tag über, hält mich jedermann von meinem Bad ab, also SCHIEB DEINEN KLEINEN HINTERN NACH ENGLAND!"

"Aber ..."

"Kein aber ..." De Treville wollte sich aufrichten. Die schwieligen Hände umfassten den Wannenrand, um sich hochzustemmen.

"NICHT!"

Er stoppte und ließ sich zurückgleiten. "Verstehst du denn nicht? Der Kardinal wiegt sich in Sicherheit. Er wird dich in angeblicher Verkleidung nach England schicken, um Graf de Meyé auszuspionieren, - er nennt es beobachten, aber wir wissen beide, dass Spionage gemeint ist. Sollte herauskommen, dass du keine Frau, sondern ein Mann bist ..." De Treville ließ eine bedeutsame Pause, "dann wird er England versichern, dass Frankreich von deiner Falschidentität nichts wusste und dich an den Prager stellen. Wärst du wirklich ein Mann, würde dir Auspeitschung, Deportierung oder ähnliches drohen, aber du bist kein Mann. Der Kardinal könnte nicht zwei Irrtümer zugeben, dann müsste er gestehen, dich unter falschen Vorsätzen nach England geschickt zu haben, um Karl I. zu täuschen. Das könnte er nicht und die Engländer würden dir ihren Schutz gewähren."

Er suchte in den Augen seines Schützlings nach einem Zeichen des Verstehens. Noch war der beängstigend resignierte Ausdruck aus den blauen Augen nicht verschwunden. "Das ist das beste, was dir passieren konnte", fuhr er fort. "Wir beide wissen, dass du nicht auf ewig einen Mann spielen kannst. Ich hätte nie gedacht, dass du volle 7 Jahre durchhältst. Diese Mission ist vielleicht der Weg zurück!"

Aramis verschränkte die Arme trotzig vor ihrer Brust. "Ich will gar nicht mehr zurück. Mir gefällt mein Leben, so wie es ist."

"Gut, wenn dem so ist, dann sei jetzt ein braver Musketier und lass deinen Kapitän in Ruhe baden", erwiderte er. "Ach, Aramis, stimmt es, dass du mit dieser aufdringlich geschmückten Blondine, die sich Schauspielerin schimpft, verwandt bist und ihr deinen Namen abgetreten hast?"

"Nana Bernard? Ja, sie ist die uneheliche Tochter meines Onkels und ja, ich habe es ihr zugesichert. Aber es ist nicht so, dass ich eine Wahl gehabt hätte. War sie denn hier?"

"Ja! Dann ist also Reneé de Herblady für dich gestorben?"

"Das ist sie schon vor langer Zeit, als ihr Verlobter starb und sie an den Meistbietenden verschachert wurde, Kapitän."

De Treville nickt. "Salut Aramis!"

"Salut Kapitän!" Aramis wandte sich zum Gehen und bemerkte nicht den Schatten, der hinter der Tür verborgen stand und ihr nachdenklich folgte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Tach
2004-04-19T19:42:06+00:00 19.04.2004 21:42
Sö, jetz komm ich auch endlich mal dazu nen Kommentar zu schreiben. Zuerst die doofe Frage: Warum 2 kapitel in einem? naja, wird wohl nen Grund haben ^^.
Ansonsten wie immer....wann gehts weiter XD
Von:  Kajuschka
2004-04-15T17:49:00+00:00 15.04.2004 19:49
So.... Wenn mich nicht alles täuscht, hast du doch dieses Kapitel mit einem neuem erweitert oder? A
uch wenn ich mich wiederhole, finde ich, dass es wie immer sehr schön und mit einer passenden Prise Humor geschrieben ist. Weiter so ^.^
Von:  Kajuschka
2004-04-13T14:59:24+00:00 13.04.2004 16:59
Ein schönes weiters Kapitel. Mir gehen schon die Worte aus, die Ausdrücken, dass es mir gefällt. Also sage ich nur... bitte schnell weiter schreiben. Ich freue mich schon :-)
Von: abgemeldet
2004-04-13T10:10:12+00:00 13.04.2004 12:10
Hallo liebe Anne,
wieder einmal ein sehr schönes humorvolles Kapitel... Armer de Tréville, er kommt auf seine älteren Tage nicht mal dazu in Ruhe zu baden... Und diese Hiltrut macht mir wirklich Angst ;o)
Ich freue mich sehr auf deine nächsten niedergeschriebenen Worte :o)
LG Krisi


Zurück