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Chaos On Tour

~~True Lies~~
von

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Entscheidung

AnCafe probte ohne weitere Zwischenfälle bis in den Abend hinein. Vielleicht lag es an Kanons ehrlicher Entschuldigung, die er Bou gegenüber geäußert hatte, oder aber an Teruki, der seine drei Bandkollegen unermüdlich zu Höchstleistungen aufforderte und sich somit ihre Gedanken einzig und allein um die Musik drehten. Vor allem Miku konnte durch die anstrengende Probe das anstehende Gespräch mit Kanon verdrängen, doch auch dem Bassisten ging es dabei nicht anders. Nachdem Miku ihm gesagt hatte, dass er gerne mit ihm reden wolle, war er froh, sein Instrument in der Hand halten und sich nur auf die Musik konzentrieren zu können.

Gegen halb acht erklärte Teruki die Probe für beendet und klopfte den dreien auf die Schulter. „Das war doch mal eine ordentliche Probe, Leute“, meinte er und schenkte allen ein warmes Lächeln.

Bou, der gerade seinen Verstärker abschaltete, grinste. „Wow. So ein Lob aus deinem Mund zu hören ist ja schon fast selten.“ Miku und Kanon warfen sich belustigt Blicke zu.

„Wieso?“, fragte Teruki. „Seit wir von der Tournee zurück sind, hatten wir kaum eine Probe ohne Komplikationen. Mal ist einer zu spät gekommen, dann konnte sich jemand nicht konzentrieren oder aber es wurde gestritten. Und abgesehen von Kanons kleinem Ausraster heute Morgen“, er warf dem Bassisten einen vielsagenden Blick zu, der daraufhin grummelnd die Arme verschränkte, „lief alles wunderbar. Es hätte nicht besser sein können. Und ich wünsche mir, dass das so bleibt“, fügte er noch schnell drohend hinzu.

„Aye, aye, Chef!“ Bou salutierte vor Teruki, bevor er sich seine Tasche über die Schulter warf. „Wir werden uns bemühen, deinen hohen Anforderungen gerecht zu werden.“

„Sehr witzig“, lachte Teruki. „Aber ich meine es wirklich ernst. Wir haben demnächst wieder ein Konzert und bis dahin müssen die Songs perfekt sein.“

Bou verdrehte daraufhin nur die Augen und wandte sich Miku zu. „Wir sollten uns beeilen, wenn wir den nächsten Bus noch bekommen wollen.“

Doch Miku schüttelte den Kopf. „Ich habe noch was zu klären. Wir sehen uns dann einfach morgen, ja?“ Er wich Bous enttäuschtem und verwirrten Blick aus.

„Na gut.“ Der Blonde umarmte Miku. Er spürte, wie ihm warm ums Herz wurde und hätte ihn am liebsten nicht mehr losgelassen. „Mach’s gut, bis zur nächsten Folterstunde.“ Er zwinkerte verschmitzt und winkte dann den anderen beiden zum Abschied.

„Na, klar! Bis morgen.“ Miku blickte ihm grinsend hinterher.

Dann griff er nach seinber Jacke und zog sie sich über, auch Teruki und Kanon machten sich zum Gehen bereit.

Mikus Gedanken wanderten zu dem bevorstehenden Gespräch mit Kanon. Er fragte sich, ob er auch tatsächlich den Mut aufbringen konnte, es ihm zu sagen. Doch er wusste ganz genau, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Er hatte sich entschieden und damit mussten Kanon und Bou wohl leben müssen.
 

Während der U-Bahn-Fahrt sprach keiner der beiden ein Wort, sondern starrten geistesabwesend in die jeweilig entgegengesetzte Richtung. Miku kam es vor, als wäre der schwarzhaarige junge Mann neben ihm plötzlich ein Fremder, einer von vielen unbekannten Fahrgästen in der U-Bahn. Dieses Gefühl verwirrte und stimmte ihn zugleich traurig.

Noch gestern hatte er sich in seinen starken Armen wohlgefühlt, als er ihn kurz vor dem Interview in die kleine Kammer gezogen hatte. Wie konnte es dann sein, dass er heute nur eine fremde Kälte verspürte?

Das Gefühl änderte sich auch nicht, als sie kurze Zeit später Kanons Wohnung betrat, in der er sich schon immer wohl gefühlt hatte. Nun wollte er einfach nur nach Hause. Oder lag das alles an der Angst, die er vor Kanons Reaktion hatte?

„Möchtest du etwas trinken?“, unterbrach Kanon die Stille, während er die Jacken an einen Haken neben der Tür hängte. Miku nickte nur und da er sich sichtlich unwohl zu fühlen schien, fügte er noch mit einem aufgezwungenen Lächeln hinzu: „Du kannst dich schon mal setzen. Ich komme gleich.“

Wieder nickte Miku nur und blickte Kanon nach, wie er in die Küche ging. Er setzte sich auf die Couch im Wohnzimmer und versuchte, sich zu entspannen.

Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, bis Kanon mit zwei Gläsern Wasser in der Hand zurückkam. Er stellte eins vor Miku auf den Tisch und setzte sich neben ihn, doch nicht ohne einen gewissen Abstand zu ihm zu wahren.

Miku bedankte sich und trank einen Schluck. Das kühle Wasser tat ihm nach der langen Probe besonders gut. Er holte tief Luft und schaute dann Kanon unverwandt an.

„Kanon, ich habe eine Entscheidung getroffen“, sagte er bestimmt, während sein Herz schmerzhaft in der Brust schlug. Kanon wich seinem Blick aus. „Ich mag dich sehr und ich glaube, ich liebe dich noch immer. Aber bei Bou ist dieses Gefühl einfach stärker. Ich fühle mich mehr zu ihm hingezogen. Es tut mir Leid, wenn ich dich enttäuscht habe. Ich hatte dir ja lange die Hoffnung gegeben, ich würde mich für dich entscheiden.“

Kanon schüttelte unmerklich mit dem Kopf. „Du hast mich nicht enttäuscht“, meinte er leise und blickte starr auf das Glas vor ihm. Miku war es, als würde sich sein Magen zu einem winzigen Klumpen zusammenziehen. Noch nie hatte er Kanon so verbissen gesehen.

„Ich bin ja selber schuld. Schon nach unserer Trennung wusste ich, dass du dich für ihn entscheiden würdest.“ Die letzten Worte betonte er besonders abfällig. „Aber die Hoffnung habe ich nicht aufgegeben und werde es auch nie.“

Obwohl Miku gewusst hatte, dass Kanon ihn immer noch liebte, kamen plötzlich die ihm wohlbekannten warmen Gefühle ihm gegenüber und ihre gemeinsamen Momente wieder hoch, doch so schnell sie aufgekommen waren, verschwanden sie auch wieder. „Du weißt, warum ich mich von dir getrennt habe.“

Der Schwarzhaarige nickte und blickte Miku seit dem Gespräch das erste Mal an. Miku versuchte, den Blickkontakt zu halten, denn aus seinem Blick sprach eine Mischung aus Traurigkeit, Wut und Enttäuschung. „Weil ich schnell ausraste, wenn es um dich geht.“

„Kannst du denn dann nicht verstehen, dass ich - “

„Natürlich kann ich das, Miku“, unterbrach Kanon ihn mit barscher Stimme. Miku schrak ein wenig zurück. „Ich weiß, dass das nicht richtig ist und es tut mir auch unglaublich leid. Ich habe schon jedes Mal versucht, mich zurückzuhalten, weil ich bei meinem letzten Freunden auch schon so reagiert habe. Bei dir wollte ich es eigentlich richtig machen, aber…“ Statt weiterzusprechen schüttelte er nur den Kopf und trank einen Schluck aus dem Glas.

Miku kämpfte mit seinen Tränen. „Dass es das letzte Mal schon so war, wusste ich nicht“, sagte er leise, mehr zu sich selbst als zu Kanon. Er versuchte nachzuvollziehen, warum Kanon so handelte. Doch so sehr er sich auch anstrengte, er konnte sich keinen Reim auf sein Verhalten machen.

„Ich hatte mal eine kleine Schwester“, sagte Kanon plötzlich.

Miku runzelte verwundert die Stirn. Ihm wurde plötzlich bewusst, dass er fast gar nichts über Kanons Vergangenheit wusste. „Das wusste ich nicht.“

„Weil es so gut wie niemand weiß und so soll es auch bleiben.“ Er warf Miku einen vielsagenden Blick zu.

„Ich werde schweigen“, meinte Miku mit einem leichten Lächeln.

Kanon zögerte einen Moment. Es schien, als ob er es sich anders überlegt hätte; doch dann begann er zu erzählen. Es war keine lange Geschichte, die er auf dem Herzen hatte, doch es reichte aus, um Mikus Ratlosigkeit gegenüber Kanon gewalttätigem Verhalten zu erklären. Er nahm ihn in die Arme und drückte ihn fest an sich.

Kanon‘ Schwester war im Alter von 5 Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als sie und Kanon an einem Nachmittag im Spätsommer am Straßenrand herumgealbert hatten. Ein Ausrutscher auf die Straße und schon war es passiert. Miku konnte nachvollziehen, dass Kanon sich die Schuld an dem tödlichen Unfall gab. Schließlich war er damals mit 10 Jahren der große Bruder gewesen und hatte somit die Verantwortung über die kleine Schwester gehabt. Doch Miku wusste auch, dass Kanon den Unfall nicht hätte verhindern können, und auch sonst niemand. Kanon erzählte auch, dass seine Eltern ihm niemals einen Vorwurf gemacht hatten, dass er besser hätte aufpassen müssen.

„Warum hast du mir nie davon erzählt?“, wagte Miku nach einer Weile des Schweigens zu fragen. Er strich sich eine Strähne von Kanons dunklem Haar aus dem Gesicht, die sich dorthin verirrt hatte.

„Ich rede einfach nicht gerne darüber“, meinte Kanon nur, der es mittlerweile auch schon bereute, Miku diese doch sehr private Geschichte erzählt zu haben. Zum einen kam zu dem unangenehmen Gefühl, das Miku mit seinen Worten bei ihm ausgelöst hatte, auch eins, das er stets erfolgreich hatte verdrängen können. Eins, das seinen Magen krampfen ließ und ihn kaum noch schlucken ließ.

Zum anderen, weil er sich nun nackt fühlte. Das Wissen, seinen Freunden – und vor allem Miku – einen wichtigen Teil seiner Vergangenheit vorenthalten zu haben, hatte ihm einen gewissen Schutz geboten. Schutz vor unangenehmen Fragen, prüfenden oder gar – was er tatsächlich gefürchtet hatte – ablehnenden Blicken. Zudem hatte er einfach keinen Sinn darin gesehen.

Nur jetzt hatte er es Miku erzählen müssen.

„Ich weiß, es ist keine Entschuldigung für mein Verhalten. Aber ich hoffe, du kannst jetzt nachvollziehen, warum ich dir gegenüber einen so großen Beschützerinstinkt habe. Aber es ist auch nicht so, dass ich bewusst so reagiere. Ich kann einfach nicht anders, als dich mit allen Mitteln beschützen zu wollen, damit ich durch meine eigene Schuld nicht noch einen Menschen verliere, den ich über alles liebe.“
 

Am nächsten Tag musste Miku bei der Bandprobe traurig feststellen, dass Kanon kaum ein Wort mit ihm sprach und auch seinem Blick ständig auszuweichen schien. Auch gegenüber den anderen beiden äußerte er kaum seine Meinung über den Song, an dem sie zurzeit probten. Miku hatte vermutet, dass Kanon nach der Entscheidung nun wieder Bou ärgern würde, doch der Gitarrist schien ihn nicht zu stören.

Obwohl Kanon sehr stark und einigermaßen normal wirkte, wusste Miku, dass er seine wahren Gefühle nur versteckte. Schließlich hatte er ihm ihre Entscheidung mitgeteilt, die ihn – trotz, dass er es schon geahnt hatte – sehr verletzt haben muss. Und Kanon hatte ihm von seiner verunglückten Schwester erzählt, um sein Verhalten zu erklären. Dabei mussten zwangsläufig Gefühle hochgekommen sein, die er seit acht Jahren versuchte zu verdrängen.

Miku konnte nicht anders, als Kanon für seine Stärke zu bewundern. Er konnte sich nicht im Entferntesten vorstellen, wie es ihm ergangen wäre, hätte er unter den gleichen Umständen jemanden verloren. Und doch hat er mir viel Glück mit Bou gewünscht…

Als sie gegen Abend die Probe beendeten, stellte Kanon schnell sein Instrument weg, schnappte sich seine Jacke und murmelte nur: „Sehen uns dann morgen“, bevor er verschwand.

Teruki, Miku und Bou blickten ihm irritiert hinterher.

„Seit wann sagt er uns nicht mehr richtig Tschüss?“, fragte Teruki stirnrunzelnd.

„Ist doch egal.“ Bou zuckte nichtsahnend mit den Schultern und packte seine Sachen zusammen. Miku besorgte sich eine Wasserflasche und trank einen großen Schluck. Dann atmete er einmal tief durch und trat neben Bou, der sich gerade mit der Gitarre im Schoß auf den Boden gesetzt hatte, um sie zu pflegen. Bou blickte fragend zu ihm auf.

„Uhm…“ Miku zögerte. Er fragte sich, warum er jetzt schon so nervös war. „Hast du vielleicht Lust, mit mir gleich etwas essen zu gehen? Du bist natürlich eingeladen“, fügte er noch schnell hinzu. Es schien wie eine Ewigkeit, dass der Gitarrist ausdruckslos zu ihm aufschaute. Miku schluckte unbehagen. Er erwartete jeden Augenblick eine Absage, doch zu seiner Erleichterung lächelte Bou ihn plötzlich warm an. „Sehr gern. Aber nur, wenn ich dich einladen darf.“

Widerwillig musste Miku zustimmen, auch wenn es ihm unangenehm war. Schließlich hatte er ihn gefragt und nicht anders herum. Aber er hatte Angst, dass er sonst doch noch nein sagen könnte.

„Dann gib mir bitte noch ein paar Minuten, ja?“

Miku nickte. Wie versteinert stand er nun neben Bou und schaute ihm zu, wie er mit einem Tuch seine Gitarre polierte. Er musste lächeln, als sie sich an sein glückliches Gesicht erinnerte, als er das Instrument zum ersten Mal in den Händen gehalten hatte.
 

Es regnete, als Miku und Bou auf die Straße traten. Murrend zog der Sänger sich die Kapuze auf und Bou stellte den Kragen seines dunklen Mantels auf, um wenigstens den Nacken vor dem kalten Regen zu schützen.

„Hast du einen besonderen Wunsch, wo du gerne essen möchtest?“, fragte Bou.

„Nein. Aber wir können uns ja in die Pizzeria da vorne an der Ecke setzen. Dann müssen wir nicht so weit durch den Regen laufen.“

Bou stimmte nur zu gern zu und lief mit Miku eilig zum Italiener. Es war ein kleines, aber sehr beschauliches Restaurant, in welchem Miku schon des Öfteren mit Bou oder auch Teruki war.

Sie suchten sich einen Tisch in der hintersten Ecke aus, ungestört von den anderen wenigen hungrigen Gästen. Miku öffnete ihre Jacke und wollte diese gerade schon ausziehen, als Bou ihm diese Aufgabe abnahm. „Danke“, sagte Miku und schaute ihm verwundert zu, wie er die Jacke über die Stuhllehne hängte, bevor er sich seinen Mantel auszog.

Bou setzte sich grinsend Miku gegenüber und reichte ihm die Karte. „Tu mir nur bitte einen Gefallen.“

Irritiert blickte der Sänger von der Karte auf, die er gerade aufgeschlagen hatte. „Welchen denn?“

„Dass du dir nicht so viel bestellst. Ich bin nämlich gerade knapp bei Kasse.“

Miku musste lachen. „Das ist doch nichts neues bei dir.“

„Hey! Das ist gemein.“ Bou verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust, konnte sich aber ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. „Hast du schon entschieden, was du nimmst?“

„Klar, das habe ich. Eine große Hawaii, zwei kleine Salami-Pizzen und einen Salat.“

„Ist nicht dein Ernst, oder?“

Miku schüttelte grinsend den Kopf und reichte ihm die Karte. „Nur das erste. Ich will dich ja nicht bettelarm machen.“

Bou lachte und Miku freute sich, ihn seit langem wieder so ausgelassen fröhlich zu sehen. Ist ja auch kein Wunder. Erst unsere Trennung, meine Beziehung mit Kanon und dann noch die ständigen Hänseleien von Kanon… Miku war nun sicher, dass er es heute schaffte, auch Bou seine Entscheidung mitzuteilen. Er wollte ihn nicht noch länger leiden lassen.

„Darf ich dich etwas fragen, Miku?“, fragte Bou, nachdem sie bei einer Kellnerin Hawaii und Tonno bestellt hatten, und auf Mikus, wenn doch auch irritiertes, Nicken hin fuhr er fort: „Hat es einen bestimmten Grund, dass du mich zum Essen eingeladen hast?“

„Uhm..“ Diese Frage hatte Miku am Allerwenigsten erwartet. Er überlegte, wie er es Bou am besten erklären könnte. „Ich wollte dir nur etwas sagen, aber…“ Verunsichert brach Miku ab und wich Bous fragendem Blick aus. Er wollte mit Bou nun doch nicht in aller Öffentlichkeit darüber reden.

„Warum zögerst du? Sag es doch einfach.“ Bou schaute ihn nachdenklich an.

„Können wir erst essen und dann reden?“, fragte Miku zaghaft.

Der Blonde lächelte beruhigend. „Ich hätte fast keine andere Antwort von dir erwartet.“

„Wieso?“

„Na, weil du immer erst ans Essen denkst und dann an anderes.“ Bou grinste verschmitzt.

„Wenn das so wäre, hätte ich viel mehr bestellt.“ Lächelnd strich Miku sich eine Strähne aus dem Gesicht und sah sich nach einer Bedienung mit ihren Pizzen in den Händen um, doch zu seiner Enttäuschung war noch niemand in Sicht. Sie mussten geschlagene fünfzehn Minuten auf ihre Pizzen warten.

Miku lief das Wasser im Mund zusammen, als er schon von weitem den leckeren Duft roch, und hätte der Bedienung die Teller beinahe aus der Hang gerissen, hätte Bou nicht vorher schon seine Hände – in weiser Voraussicht - festgehalten. Über Mikus Essverhalten konnte er einfach nur schmunzelnd den Kopf schütteln.
 

Als sie die Pizzeria verließen, nieselte es noch und so eilten Miku und Bou über die Straße, um sich dort unter die Arkaden zu stellen. Der voranschreitende Abend und das schlechte Wetter sorgten dafür, dass nicht mehr allzu viele Menschen unterwegs war. Die wenigen eilten zielstrebig an ihnen vorbei, um schnell ins Warme und Trockene zu kommen. Einer von ihnen rempelte Bou an.

„Idiot“, zischte er wütend hinter ihm her und rieb sich den leicht schmerzenden Arm. „Man könnte meinen, hier wäre kein Platz für drei Leute. Aber egal.“ Er wandte sich lächelnd Miku zu. „Du wolltest mir noch etwas sagen?“

Miku nickte. „Ja…“ Er überlegte, wie er es am besten sagen sollte. Ihm war, als würde sein Herz jeden Augenblick aussetzen. „Ich habe Kanon gestern mitgeteilt, dass ich mich für dich entschieden habe.“

Bou schaute ihn erstaunt an. Er hatte alles erwartet, nur nicht, dass Miku sich für einen von ihnen entschieden hatte. „Deswegen war er heute also so abweisend“, schloss er aus Kanons Verhalten während der Probe.

Da Miku erwartete, dass Bou noch etwas bezüglich seiner Entscheidung sagte, schwieg er. Doch nichts dergleichen kam. Kein Lächeln, keine glitzernd funkelnden Augen, keine offenen Arme. Stattdessen stand Bou bewegungslos vor ihm und starrte ausdruckslos an ihm vorbei.

„Was ist los?“, fragte er schließlich irritiert, als er es nicht mehr länger aushielt. „Ich habe dir doch gerade gesagt, dass ich mich für dich entschieden habe. Verstehst du das nicht, Bou?“

„Natürlich verstehe ich das“, erwiderte Bou mit barscher Stimme.

Miku sank das Herz in die Hose. Er verstand einfach nicht, wieso Bou ihn zurückwies. „Liebst du mich nicht mehr?“, wagte er verzweifelt zu fragen.

Bou rollte stöhnend mit den Augen. „Natürlich liebe ich dich noch, Akiharu. Aber darum geht es auch nicht.“

„Und warum dann?“ Nun wurde auch Miku ein wenig lauter. „Warum willst du nicht mit mir zusammen sein?“

„Kannst du mich denn nicht verstehen? Du kommst plötzlich zu mir und sagst, dass du dich für mich entschieden hast. Und verlangst sofort, dass ich wieder eine Beziehung mit dir eingehe, aber das kann ich nicht!“

„Warum denn?“

„Woher soll ich wissen, dass du dich auch wirklich für mich entschieden hast und bei der nächsten Zweisamkeit mit Kanon wieder schwach wirst? Ich will das Gleiche einfach nicht nochmal durchmachen!“ Und ehe Miku noch etwas erwidern konnte, machte Bou kehrt und ließ ihn alleine stehen. Miku schaute ihm mit halb offenem Mund hinterher; er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Als er Bou nicht mehr sehen konnte, stiegen Tränen in seinen Augen auf.

Er war sich so sicher gewesen, dass er seine Entscheidung akzeptieren, ihn sogar freudig empfangen würde, dass er nun umso mehr enttäuscht war. Jetzt habe ich beide verloren…Bou und Kanon…was soll ich denn machen? Dass er Bou in den letzten Monaten sehr verletzt hatte, wusste er . Aber Miku hatte sich doch schon entschuldigt - was konnte er sonst noch machen, damit Bou ihm Glauben schenkte?
 

Die Nacht verbrachte Miku auf der Couch im Proberaum. Er hatte nicht nach Hause gehen wollen, aus Angst, Bou unterwegs in der U-Bahn oder dem Bus zu treffen. Während er im Dunkeln auf der doch etwas unbequemen Schlafstätte lag, konnte er nicht aufhören, über Bous zornige Worte nachzudenken. Hatte Teruki ihm gestern nicht noch gesagt, dass Bou ihn liebte und nur auf seine Entscheidung wartete? Dass Bou wollte, dass alles wieder wie früher war? Damit war laut Mikus Verständnis seine und Bous Beziehung gemeint, oder etwa nicht? Oder stimmte Terukis Einschätzung über Bou nicht? Miku wusste es nicht.

Er wusste nur, dass Bou ihn nicht wollte, weil er ihn zu sehr verletzt hatte.

Wie konnte er ihm da nur noch unter die Augen treten?

Miku wusste es beim besten Willen nicht.
 

Als er am nächsten Morgen aufwachte, schien trübes Licht durch das kleine Fenster herein. Obwohl Miku nicht einmal ansatzweise ausgeschlafen hatte, setzte er sich auf und streckte sich. Von der unbequemen Couch taten ihm alle Knochen im Leib weh. Er musste auch wieder an Bou denken und fragte sich, wie er sich ihm gegenüber nur verhalten sollte. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, in der er einfach nur dasaß und seinen Gedanken freien Lauf ließ. Er hatte es aufgegeben, sie zu kontrollieren, sie von Bou wegzulenken.

Plötzlich hörte der Sänger, wie nebenan jemand den Proberaum betrat. Miku hatte jedoch Angst, es könnte sich dabei um Bou handeln, und blieb sitzen. Er hatte keine große Lust, ihm alleine begegnen zu müssen. Doch dann öffnete sich auf einmal die Tür und zu Mikus Erleichterung war es nicht Bou, der seinen Kopf neugierig durch den Türspalt steckte.

„Miku? Was machst du hier?“, fragte Kanon und trat näher. Er hatte sich noch nicht seine Jacke ausgezogen. „Hast du etwa hier geschlafen?“, fügte er noch irritiert hinzu, als er die Decke auf Mikus Schoß entdeckt hatte.

„Warum platzt du eigentlich hier einfach rein?“, murrte Miku, schob die Decke beiseite und stand auf. Er schaute an sich herunter und stellte zu seinem Ärgernis fest, dass seine Kleidung völlig zerknittert war. Er versuchte, wenigstens die Ärmel der Jacke glatt zu streichen, doch er gab schnell auf.

Kanon zuckte mit den Schultern. „Ich habe mich nur gewundert, dass deine Sachen schon nebenan liegen und dachte, du wartest hier auf uns. Woher konnte ich denn ahnen, dass du hier gepennt hast, und das noch auf unserer Luxus-Couch?“

Miku stellte sich dicht vor den Fernseher und versuchte, mithilfe des doch eher schlechten Spiegelbildes seine Haare zu ordnen, die vom Schlafen völlig verknotet und verwirrt waren. „Ist das nicht meine Sache?“

Kanon runzelte skeptisch die Stirn, während er sich die Jacke auszog und sie über die Lehne der Couch hängte. „Eigentlich schon. Aber - “

„Dann lass mich bitte auch in Ruhe“, murmelte Miku, der den Kampf mit seinen widerspenstigen langen Haaren längst aufgegeben hatte. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, rauschte Miku an Kanon vorbei und besorgte sich eine Wasserflasche.

Er wusste, dass er den Frust über Bou nicht an Kanon auslassen durfte und schalt sich innerlich. Er kann nichts dafür, dass Bou mich nicht mehr möchte. Obwohl…hätte er mich in Paris nicht einfach so geküsst, wäre das alles erst gar nicht geschehen… Doch Miku wusste auch, dass we selbst, bevor sie überhaupt in Paris waren, Kanon unentwegt angestarrt hatte ohne es zu merken. Er konnte also gar nicht so genau sagen, dass ohne den Kuss auf dem Eiffelturm nichts passiert wäre. Ich darf Kanon nicht die Schuld geben…

Die Tür öffnete sich erneut und Teruki trat ein. Er staunte nicht schlecht, als er Miku entdeckte, der ja normalerweise als Letzter mit Verspätung aufkreuzte. „Hey, Miku. Freut mich, dass du meinen Rat befolgt und einen Bus früher genommen hast“, meinte Teruki vergnügt und legte seine Sachen ab. „Dann können wir ja heute ausnahmsweise mal pünktlich anfangen.“

„Miku hat aber keinen Bus eher genommen.“ Kanon kam hinzu und umarmte Teruki zur Begrüßung freundlich. „Sie hat hier gepennt.“

Teruki schaute den Sänger erstaunt und verwirrt zugleich an. „Wieso denn das?“

Miku stöhnte entnervt. Wieso konnte Kanon nicht einmal etwas für sich behalten? „Was interessiert euch das? Dir kann es ja egal sein, ich bin überpünktlich zur Probe da.“

„Hey!“ Teruki hob abwehrend die Hände und trat einen Schritt zurück. „Ich weiß zwar nicht, warum du so schlecht gelaunt bist, aber du brauchst es nicht an mir auszulassen.“

„Ich musste auch schon herhalten“, raunte Kanon dem Drummer leise zu. Die beiden tauschten vielsagende Blicke.

Miku ließ die beiden stehen und setzte sich auf den Verstärker in der Ecke, die halb leere Wasserflasche in der Hand. Er schloss die Augen, lehnte sich an die kühle Wand des Proberaumes und versuchte sich auf das leise Geräusch der entweichenden Kohlensäure zu konzentrieren. Es war ihm egal, was Kanon und Teruki von ihm dachten. Hauptsache, sie ließen ihn endlich in Ruhe. Die Wahrheit wollte er Teruki nicht sagen, und Kanon schon gar nicht. Teruki würde nur sagen: „Habe ich es nicht gleich gesagt? Du hast zu lange mit einer Entscheidung gewartet. Jetzt siehst du, was du davon hast.“

Und Kanon: „Bou hat dich eh nicht verdient. Ich hätte keine Sekunde gezögert, hättest du dich nur mal für mich entschieden.“

Miku schluckte und kämpfte mit den Tränen. Er musste wieder an Bou denken und fragte sich, ob sie es wenigstens schafften, Freunde zu bleiben.

Wie aus weiter Ferne hörte er die Tür aufgehen, doch Bous weiche Stimme holte ihn in die Realität zurück. Er öffnete die Augen und sah, wie Bou Teruki und Kanon zur Begrüßung kurz umarmte, einige wenige Worte murmelte und dann nach seiner Gitarre griff, um sie anzuschließen. Als er sich zum Verstärker herunterbeugte, der nur einen knappen Meter von dem Mikus entfernt stand, trafen sich ihre Blicke. Bous Gesicht war ausdruckslos, wohingegen in seinem Blick eine gewisse Schärfe lag.

Miku schaute schnell weg und sein Herz raste.

Noch nie war sie von Bou so gleichgültig angesehen worden. Es versetzte ihn einen Stich in die Brust. Ist das jetzt die Rache dafür, dass ich ihn so sehr verletzt habe?

Bou begann ein paar Takte zu spielen und langsam nahmen auch Kanon und Teruki ihre Positionen hinter den Instrumenten ein, die Bou und Miku skeptisch beobachtet hatten.

Auch Miku griff nach dem Mikro und stand auf. Eigentlich hatte er keine Lust zu singen, doch er wusste, dass Teruki und Kanon ihn wieder mit Fragen löchern würden, würde er die Probe verweigern.

Die Probe verlief mehr schlecht als recht.

Es lag einzig und allein an Miku. Ständig mussten sie die Song wieder von vorne anfangen, da Teruki jedes Mal unterbrach, wenn Miku einen Ton nicht traf oder ihm die richtige Stimmung im Gesang fehlte.

„Lasst uns eine Pause machen“, meinte Teruki völlig entnervt, als Miku seinen Einsatz dreimal in Folge verpasst hatte. Bou und Kanon ließen erleichtert die Instrumente sinken. Ihnen machten keine Proben Spaß, in denen sie die Songs alle zwei Minuten neu anfangen mussten. Auch Miku legte aufatmend das Mikrofon weg. Es war ihm unangenehm, dass wegen ihm ständig von vorn angefangen werden musste. Er erinnerte sich noch nur zu genau daran, dass Bou und Kanon vor kurzem noch der Grund für pausenlose Unterbrechungen gewesen waren und konnte jetzt nachvollziehen, wie es den beiden dabei wohl ergangen war.

„Dann lasst uns jetzt auch etwas zu Essen besorgen“, bemerkte Kanon mit einem kurzen Blick auf die Uhr. „Ich bekomme so langsam Hunger.“

„Ich auch“, stimmte Teruki ihm zu. „Ich bin dafür, dass Miku losgeht und etwas holt.“

Miku, der sich schon gerade auf den Verstärker in der Ecke setzen und einfach nur seine Ruhe haben wollte, stöhnte auf. „Wieso ich? Kann nicht Kanon gehen, wenn er schon so großen Hunger hat?“

„Weil dir frische Luft ganz gut tun könnte“, bemerkte Teruki. „Ich weiß zwar nicht, was mit dir heute los ist, dass du nur falsche Töne triffst. Aber vielleicht kommst du beim Essen besorgen auf andere Gedanken und singst gleich besser. Und wenn du nicht alleine gehen möchtest, kannst du ja Bou fragen, ob er mitkommt.“

„Ich kann schon alleine Essen kaufen. Ich brauche keinen Idioten, der auf mich aufpasst“, warf Miku patzig ein, griff nach seiner Jacke und steckte sich das Portmonee in die Tasche.

„Ach, dann bin ich für dich also ein Idiot?“ Bou stellte die Gitarre weg und trat ein paar Schritte auf Miku zu. Verletzt funkelte er ihn an. „Nur weil du schlecht gelaunt bist, brauchst du es nicht an uns auslassen.“

„Wer sagt denn, dass ich schlecht drauf bin?“, meinte Miku mit lauterer Stimme, als er beabsichtigt hatte. „Nur weil ich nicht so gut gesungen habe?“

„Nicht so gut gesungen?“, wiederholte Bou fassungslos. „Du hast noch nie so mies gesungen wie heute.“

„Danke! Und was war mit deinen Patzern in den letzten Proben? Da hat sich hinterher niemand beschwert, aber bei mir schon! Das ist unfair!“

„Wie soll ich denn sonst beschreiben, wie dein Gesang war?“, rief der Blonde. „Außerdem ist es gemein von dir, mich als Vergleich hinzuzuziehen.“

„Ich bin doch eh nur die Gemeine.“ Miku konnte seine Gefühle nicht länger zurückhalten. Er spürte, wie die salzigen Tränen sich langsam einen Weg über die Wangen bahnten. „Wieso nur kannst du mir nicht verzeihen? Ich weiß, dass ich dich sehr verletzt habe. Aber hast du nicht selber gesagt, dass du dir mein Glück wünschst? Auch, wenn ich mich für Kanon entscheiden würde? Das habe ich aber nicht. Ich möchte einzig und allein mit dir glücklich sein! Ich weiß nicht, wie ich es dir beweisen soll, aber bitte, glaube mir. Ich könnte dir nicht noch einmal das Gleiche antun – und wenn doch, dann würde ich es mir nie verzeihen und lieber sterben als ohne dich zu leben!“

Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte Miku sich um und rannte nach draußen.

Er wollte einfach nur weg. Weg von Bou.

Wieso zum Henker habe ich das gerade gesagt? Miku eilte, ohne wirklich zu schauen, über die Straße. Im Nachhinein waren ihm die Worte unangenehm, wenn sogar peinlich – obwohl sie der Wahrheit entsprachen. Er mochte es nicht, anderen gegenüber seine Gefühle zu äußern. Und schon gar nicht, wenn er von der Person erst kürzlich zurückgewiesen worden war. Miku setzte sich vor einem Geschäft auf eine freie Bank und schaute gedankenverloren den vorbeigehenden Menschen zu. Und dann haben auch noch Kanon und Teruki zugehört. Jetzt weiß Teruki, dass ich endlich eine Entscheidung getroffen habe, und Kanon, dass ich bei Bou keine Chance mehr habe…bestimmt ärgert er Bou jetzt damit…und ich bin schuld, dass die beiden sich wieder streiten…

Auf einmal vibrierte sein Handy. Miku zog es aus der Hosentasche und stöhnte leise, als erTerukis Namen auf dem Display las. Er überlegte, ob er den Anruf ignorieren sollte, entschied sich aber dagegen. Zwar verspürte er keine allzu große Lust, mit Teruki zu reden, doch Miku kannte den Drummer nur zu genau, um zu wissen, dass er besser drangehen sollte.

Miku hob ab und ehe er auch nur ein Wort sagen konnte, hörte er schon Terukis energische Stimme.

„Du kommst unverzüglich zurück, es gibt nämlich etwas zu klären. Und wenn du nicht kommst, gibt es Tote.“ Dann legte er wieder auf.

„Typisch, Teruki“, murmelte Miku leise, steckte das Handy wieder weg und bewegte sich langsam Richtung Proberaum. Er fragte sich, was es zu klären gab. Wahrscheinlich will sie mir wieder eine Standpauke halten, dass ich nicht richtig mit Bou umgehe…
 

Miku stieg die Treppe hoch und wunderte sich, als er Kanon mit verschränkten Armen lässig an der Wand gelehnt sah. „Wieso bist du nicht drinnen?“, fragte er neugierig.

Kanon schaute ihn vielsagend an. „Du kennst doch Teruki. Er hat mich rausgeschmissen, damit auch ja keiner von euch abhaut.“

Miku verstand kein Wort. Er kam jedoch erst gar nicht dazu nachzufragen, was Kanon damit meinte, als er sanft, aber bestimmt, in den Proberaum von ihm geschoben wurde. „Hey, was - “ Doch Kanon hatte die Tür bereits wieder hinter ihm verschlossen und Miku nahm stark an, dass er noch immer vor der Tür stand.

Bou saß an dem kleinen Tisch, auf dem ihre Notizen lagen, und starrte missmutig durch die Gegend. Miku schloss an seiner ablehnenden Körperhaltung, dass er wohl nicht freiwillig dort auf dem Stuhl saß. Was hat Teruki bloß vor… Teruki, der bereits ungeduldig auf Miku gewartet hatte, schob ihn auf den Tisch zu. „Setz dich“, sagte er mit befehlendem Ton und zeigte dabei auf den Stuhl Bou gegenüber. Grummelnd setzte Miku sich. Er versuchte, nicht zu Bou zu schauen, doch aus den Augenwinkeln her entging ihm nicht seine abweisende Haltung.

Auch Teruki setzte sich, zwischen die beiden ans Kopfende. Er legte die verschränkten Arme auf den Tisch und schaute fordernd vom einen zum anderen. „Kanon und Bou haben mir vorhin schon haargenau erzählen müssen, was denn jetzt schon wieder zwischen euch los ist“, sagte er zu Miku gewandt. Miku wich seinem Blick aus. „Mit Kanon hast du ja anscheinend vernünftig reden können, aber bei Bou scheinst du offensichtlich einen Fehler gemacht zu haben. Verdammt, ihr liebt euch doch!“ Miku und Bous Blicke trafen sich kurz. „Warum macht ihr es euch jetzt so schwer? Ihr ward doch schon einmal zusammen. Und ja, ich weiß, dass in den letzten Wochen sehr viel passiert ist, was dich verletzt hat, Bou. Aber man muss auch mal verzeihen können.“ Er erhob sich und schaute die beiden warnend an. „Und ihr werdet hier nicht rauskommen, ohne dass ihr euch ausgesprochen habt!“

Dann drehte er sich um und verließ den Raum.

Stille kehrte ein. Miku und Bou saßen beide schweigend auf ihren Stühlen und starrten Löcher in die Luft. Keiner von ihnen traute sich, als erster das Wort zu ergreifen. Nur das leise Ticken des Sekundenzeigers von der Uhr über der Tür war zu hören. Bou seufzte leise und Miku wurde das Ganze langsam unangenehm. Seit er Bou kannte, hatte er sich nie in seiner Gegenwart so unwohl gefühlt wie jetzt. Am liebsten wäre er gegangen, doch er wusste nur zu genau, dass Teruki und Kanon vor der Tür Wache standen und somit jeglichen Fluchtgedanken zunichte machten.

Nur um etwas zu tun zu haben, stand Miku auf und ging zu der Wasserkiste neben der Tür. Mit einer Flasche in der Hand wollte er gerade wieder zu seinem Stuhl zurückkehren, als er noch einmal inne hielt. „Uhm…möchtest du auch was trinken?“, fragte er zaghaft und schaute Bou direkt an.

Bou schaute auf und nickte leicht. Miku bückte sich nach einer weiteren Flasche und reichte sie dem Blonden. Dabei berührten sich ihre Hände für einen kurzen Moment. Beide sahen sich an und es war, als würde Miku sich in den dunklen Rehaugen verlieren, mit welchen er hingebungsvoll angeschaut wurde. Sein Herz schlug schneller, als Bou ihn leicht anlächelte.

„Teruki hat Recht“, sagte er und stellte die Flasche auf den Tisch, ohne Miku aus den Augen zu lassen. „Wir stellen uns nicht gerade besonders heldenhaft an, oder?“

Miku schüttelte leicht den Kopf. „Nein, aber es ist ja auch nicht einfach. Ich meine, du hast allen Grund mir gegenüber skeptisch zu sein. Ich habe dir sehr wehgetan und du möchtest das kein weiteres Mal durchmachen, und das kann ich auch verstehen.“

Bou senkte ein wenig den Blick. Miku spürte die warmen Finger, die sanft über seine Hand strichen. „Hast du es eben eigentlich ernst gemeint?“

„Was?“ Doch Miku wusste genau, dass Bou auf seinen kleinen Gefühlsausbruch vorhin hinauswollte.

„Dass du lieber sterben möchtest, als ohne mich zu leben.“

Miku war es, als würden sich seine dunklen Rehaugen tief in ihn hineinbohren. Er seufzte leise. „Natürlich nicht wörtlich. Aber ich weiß, dass ich ohne dich einfach nur unglücklich wäre und das Leben keinen Spaß mehr machen würde. Wir kennen uns jetzt schon so lange, da kann ich mir meine Zukunft nicht mehr ohne dich vorstellen – schon gar nicht, seit wir uns lieben.“

„Ich auch nicht“, sagte Bou leise. Er hatte aufgehört, über seine Hand zu streichen und hielt sie einfach nur fest. „Teruki hat mir eben auch geraten, dass ich nicht so nachtragend sein und dir eine zweite Chance geben soll. Und ich glaube, wäre ich nicht so verdammt verliebt in dich, würde ich es nicht tun.“

Miku traute seinen Ohren nicht, während sein Herz einen Salto zu machen schien. „Meinst du damit, dass du jetzt doch mit mir zusammen sein möchtest?“

Der Blonde zögerte kurz, bevor er sagte: „Ich habe nur Angst, dass Kanon - “

„Bou, ich möchte nichts mehr von Kanon“, unterbrach Miku ihn schnell. „Du weißt doch, weshalb ich nie mit Kanon zusammen sein könnte. Er hat mir sein Verhalten zwar erklärt, aber das ändert nichts. Für mich werden wir nur Freunde sein.“

Bou runzelte nachdenklich die Stirn. „Er konnte dir eine plausible Erklärung für sein gewalttätiges Verhalten geben? Das wundert mich aber.“

„Wieso?“, fragte Miku irritiert. „Für mich klang es sehr plausibel. Aber ich weiß, dass es keine Entschuldigung ist. Er wollte sich einfach nur erklären.“

„Und was ist, wenn er sein Verhalten dir gegenüber eines Tages ändert?“

Miku schüttelte den Kopf. „Er versucht schon seit Jahren seit Verhalten zu ändern, aber ohne Erfolg. Ich denke nicht, dass er sich jemals ändern wird. Außerdem möchte ich dich – und nicht Kanon.“

Dies schien Bou ein wenig zu beruhigen. Er zog Miku zu sich auf den Schoß, einen Arm um seine schmale Hüfte legend. „Na, da bin ich aber erleichtert“, sagte er lächelnd.

Miku erwiderte das Lächeln nur zu gern. Er genoss es, seit langem dem Blonden so nahe zu sein wie jetzt. Bous dunkle Rehaugen strahlten.. Plötzlich wurde Miku von all den Gefühlen übermannt und seine Augen fingen an zu tränen.

„Was ist denn los?“, fragte Bou besorgt und strich über Mikus Wangen, um die Tränen zu trocknen.

Miku konnte es einfach nicht fassen, dass Bou ihm eine zweite Chance gab nach allem, was geschehen war. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, auf dem Schoß eines jungen Mannes zu sitzen, der ihn über alles liebte und für den er selbst alles tun würde. Von ihm so angesehen zu werden, wie er es jetzt tat. Mit einem Blick, der seine abgrundtiefe Liebe ihm gegenüber offenbarte.

„Du bist los, das ist los“, murmelte Miku, mehr zu sich selbst als zu Bou. Er wartete nicht länger, sondern beugte sich zu Bou vor und küsste ihn. Sein Herz raste so schnell, dass es schon fast zu explodieren drohte. Bou erwiderte den Kuss nur zu gern und legte nun auch den anderen Arm um Miku, um ihn fest an sich zu drücken. Er wollte ihn nie wieder verlieren.



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