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Chaos On Tour

~~True Lies~~
von

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Auswirkungen des Alkohols

„Warum…warum zum Teufel habe ich mich darauf nur eingelassen?“, murmelte der kleine Vocal leise und schaute müde auf das große Glas in seiner Hand, dessen dunkler Inhalt ihn verführerisch anblickte. Wie aus weiter Ferne vernahm er die Stimmen seiner drei Bandkollegen neben ihm am Tisch, ganz weit hinten in der Ecke der Bar. Allerdings war seine Konzentration schon so weit im Keller, dass er nicht sagen konnte, über was da eigentlich gerade geredet wurde.

Er wusste doch, dass er keinen Alkohol vertrug.

Wieso zum Teufel hatte er sich dann auf Terukis Vorschlag eingelassen, ihren Frust über das nun längst ausgestrahlt wordene Interview auf ein oder zwei Bierchen zu betrinken?

Vielleicht hatte es ja daran gelegen, dass Bou und Kanon sofort zugestimmt und ihn dabei ganz eindeutig bettelnd angesehen hatten, sodass er nicht hatte nein sagen können.

Vielleicht aber auch daran, dass er sonst den Abend ganz alleine in seiner Wohnung verbracht hätte, wo er die Wahl hatte, sich entweder zu langweilen oder sich zu langweilen. Oder aber auch sich zu langweilen.

„Hast du irgendwas gesagt, Miku?“, hörte er eine lallende Stimme sagen.

Miku blickte in Terukis Gesicht und fragte sich, wie viel der Drummer schon intus hatte.

//Er wirkt immer so erwachsen…aber in Sachen Alkohol ist er ein bisschen zurückgeblieben…//

Er schüttelte den Kopf, bereute es aber sofort, als er einen stechenden Schmerz in seiner Schläfe spürte und ihm leicht schwindelig wurde.

Der Vocal fragte sich, wie viel er selbst schon getrunken hatte, war sich aber sicher, dass es weit aus weniger sein musste als beim Drummer.

„Ich habe mich nur gefragt, wie du nur so viel trinken kannst“, sagte Miku und blickte verstohlen zu Kanon und Bou, die ihre kleine Feindschaft wohl vergessen hatten und nun Schnick-Schnack-Schnuck spielten.

Teruki zuckte mit den Schultern. „Ist doch unwichtig. Viel interessanter ist doch die Frage, warum du so wenig verträgst.“ Er grinste breit.

„Woher soll ich das denn wissen?“, entgegnete Miku ein wenig ungehalten. Erneut übermannte ihn der Schwindel und er schloss kurz die Augen.

Er nahm sich fest vor, nie wieder so viel zu trinken, denn er hasste dieses Gefühl, nicht mehr ganz er selbst zu sein. //Komisch…nehme ich mir das nicht immer wieder aufs Neue vor?//

Miku keuchte vor Schmerz auf, als ein spitzer Ellbogen ihm in die Seite gerammt wurde, und blickte zu dem Blondschopf. Dieser zappelte gerade jauchzend auf seinem Platz herum, offenbar hatte er gegen Kanon gewonnen.

Miku schüttelte verständnislos den Kopf.

Bou hatte bisher von ihnen allen am meisten getrunken und von daher sah man ihm nicht mehr an, dass er vor ein paar Stunden noch sehr traurig und niedergeschlagen war. Seine drei Bandkollegen hatten es trotz ihrer vereinten Fürsorge nicht schaffen können, ihn wieder aufzuheitern. Selbst Miku, der mit seiner Stimme Donald Duck nachgemacht hatte und wie eine Ente durchs Zimmer gewatschelt war, hatte nicht helfen können.

„Sag mal, Teruki“, begann Miku langsam, trank einen Schluck von seinem kühlen Bier. „Jetzt, wo du gerade ein wenig angetrunken bist, wie läuft es denn mit Sonoko?“

„Was hat das denn jetzt damit zu tun?“ Der Drummer schenkte ihm einen leicht beleidigten Blick, doch er wartete erst gar nicht auf eine Antwort. „Aber wenn du schon fragst, mit Sonoko läuft es gut. Sogar sehr gut. Besser könnte es gar nicht werden.“ Er grinste breit.

„Ey, Teruki“, meldete sich der Schwarzhaarige, während er mit einer Hand weiter Schnick-Schnack-Schnuck gegen den Blonden spielte. „Wie hat ihr denn das super-teure Handy gefall’n?“

„Welches Handy?“ Teruki sah ihn irritiert an.

„Na, das, was du ihr zu Weihnachten schenk’n wolltest.“

Nach einer kurzen Pause, in der er ohne Zweifel über Kanons Frage nachgedacht hatte, sagte Teruki: „Ach, das meinst du. Klar, es hat ihr gefallen und sie fand es auch nicht weiter schlimm, dass es so teuer war, wie du damals fälschlicherweise geglaubt hast“, erinnerte er den Schwarzhaarigen.

Dieser zuckte mit den Achseln und konzentrierte sich auf das Spiel gegen Bou, der immer öfter zu gewinnen schien, denn er strahlte bis über beide Ohren. „Ach, die sin’ doch alle gleich. Wart’s nur ab. Irgendwann ist ’se wech.“

„Shinya“, stöhnte Teruki entnervt und er sah so aus, als ob er am Liebsten mit einer der leeren Flaschen auf dem Tisch auf den Schwarzhaarigen einhauen würde. „Du bist betrunken und ich denke, dass es wohl das Beste ist, wenn du nichts mehr bekommst.“

Daraufhin blickte Kanon ihn entgeistert an, als hätte der Ältere den Weltuntergang hervorgesagt. „Aber - “

„Kein aber! Wenn du nicht mehr weißt, was du da von dir gibst, dann hast du genug getrunken!“

Teruki funkelte ihn wütend an. „Außerdem haben wir morgen früh die nächste Probe und bis wir auf Tour gehen müssen wir noch richtig arbeiten. Und da verlange ich von dir – und von dir auch, Bou!“, Teruki warf ihm einen drohenden Blick zu, der den Blonden sofort verschüchtern ließ, „- dass ihr topfit seid. Diese Tour ist sehr wichtig, denn es ist die letzte in dieser Formation. Habt ihr verstanden?“

„Ja, hab’n wir“, murmelte Kanon mit den Augen rollend und deutete dann auf Miku, der während Terukis kleiner Standpauke das Bier in seinem Glas beobachtet und sich gewundert hatte, dass der Drummer trotz Alkoholeinfluss über alle wichtigen Dinge reden konnte, die mit ihrer Band zu tun hatten. „Aber warum haste ihn nicht ermahnt? Er hat mindestens genau so viel wie ich intus.“

„Weil du mich mittendrin unterbrochen hast“, meinte Teruki darauf nur. „Außerdem hat Miku noch nicht mal die Hälfe von dem erreicht, was du dir bestellt hast. Wenn, dann hätten wir gleich einen neuen Frontman engagieren können. Das weißt du doch, oder erinnerst du dich nicht mehr an Silvester?“

„Doch“, knurrte Kanon und gab es auf, gegen Teruki zu argumentieren. Wozu auch?

„Und nun zu dir.“ Miku schluckte unheilvoll, als sich der Drummer nun ihm zuwandte. „Wir haben noch viel zu tun, bis wir das erste Konzert spielen. Von dir verlange ich, dass du morgen ausnahmsweise mal pünktlich bist.“

„Das musst du nicht mir sagen, sondern dem Bus“, entgegnete Miku schnell. „Immer, wenn ich rausgehe, dann fährt mir der Bus fast vor der Nase weg.“

„Dann steh eher auf.“

„Aber dann kann ich noch weniger schlafen!“, rief Miku erschrocken auf. Er fragte sich entgeistert, wie Teruki von ihm nur verlangen konnte, auf seinen Schönheitsschlaf zu verzichten?

„Miku. Wenn du morgen nicht pünktlich bist, dann hetze ich dir die beiden hier auf den Hals“, er deutete auf Kanon und Bou, „und dann bekommst du bestimmt keine einzige Sekunde deinen Schlaf.“

„Stimmt“, pflichtete Kanon ihm grinsend herbei und sah Miku verträumt an, welcher erst gar nicht wissen wollte, was der Schwarzhaarige nun jetzt schon wieder dachte. Bou klammerte sich an seinen Arm und lehnte den Kopf an dessen Schulter.

„Aber nun zu etwas Ernsterem. Du hast es in den letzten Proben im Gegensatz zu Kanon und Bou geschafft, kaum einen Einsatz zu verpassen oder einen falschen Ton von dir zu geben.“

„Das…ist doch gut. Oder?“ Miku sah ihn unbehagen an, doch Teruki schüttelte den Kopf.

„Nein, du hast zu emotionslos gesungen“, erklärte er. „Und von dir erwarte ich, dass du das wieder in Griff bekommst.“

Miku seufzte leise. „Das werde ich wohl noch hinkriegen. Ich – uargh!“, gab der Vocal erschrocken von sich, als er plötzlich von seinem Stuhl gezogen wurde und nun dem Blondschopf hinterher stolpern musste, der ihn am Handgelenk festhielt.

„Bou, wohin willst du?“, rief er, während er wegen eines erneuten Schwindelanfalls kurz die Augen schließen musste.

Der Blondschopf bahnte sich durch die Leute und Tische, als ob es ein Hindernis-Parcours wäre, auf den Tresen zu. „Ich will nur kurz frische Luft schnappen. Hier drin ist es ziemlich stickig, findest du nicht auch?“

„Aha, und warum muss ich dann mit? Soll ich den Bodyguard spielen?“

„Nein…also…ich dachte mir, dass du hier draußen besser aufgehoben bist als da drinnen. Du bist ziemlich blass“, sagte Bou leise und steuerte auf eine versteckte Tür in der Ecke neben dem Tresen zu.

Miku folgte ihm schweigend nach draußen und ließ seinen Blick flüchtig über die Tische und Stühle aus weißem Kunststoff schweifen, die mehr oder weniger geordnet auf dem nicht gerade großflächigen Hof herumstanden. Offenbar diente dies im Sommer als Biergarten.

„Bou, mir geht’s gut“, log Miku und lehnte sich an die kahle Außenmauer. Er mochte es nicht, wenn man sich um ihn sorgte. Allein, um dem musternden Blick des kleinen Blondschopfes auszuweichen, griff er in seine Tasche und zog seine Zigaretten hervor, von denen er sich auch sofort eine anzündete.

Als er den ersten Zug genussvoll einsog, merkte er erst, wie kalt es draußen eigentlich war und bereute, seine Jacke drinnen liegen gelassen zu haben. //Okay…Bou hat mich ja auch ganz urplötzlich mitgezogen…//

„Miku, du musst dir endlich mal das Rauchen abgewöhnen“, bemerkte der kleine Blondschopf und lehnte sich neben seinen Freund an die kalte Wand, um dem beißenden Rauch zu entgehen. „Das ist ja schrecklich.“

„Irre ich mich oder hast du vor einem Jahr auch noch geraucht?“ Miku zog nachdenklich eine Augenbraue nach oben und blickte den Blonden leicht amüsiert an.

„Im Gegensatz zu dir bin ich ja auch vernünftig geworden“, antwortete Bou knapp und schlug ihm die Zigarette aus der Hand. „Ist besser für Gesundheit und Geldbeutel, glaub mir.“

Der Vocal blickte niedergeschlagen auf den Zigarettenstummel herab, der nun vor seinen Füßen auf dem Boden lag. //Vielleicht hat er ja Recht…// Dennoch fiel ihm kein weiterer Grund ein, mit dem Rauchen aufzuhören, schließlich war es im Winter eine effektive Wärmequelle.

„Kann schon sein“, sagte er daher nur und wusste, dass er in Bous Gegenwart keine weitere Zigarette anzünden konnte, ohne dass diese Bekanntschaft mit dem Boden machte.

Er schloss die Augen und sog die kalte und in der Nase beißende Luft ein, die seinen stechenden Kopfschmerzen zumindest ein wenig Einhalt geboten.

Das Quietschen der Tür ließ ihn neugierig herumfahren, doch bevor er es auch nur halbwegs realisieren konnte, wurde er auch schon von einem sehr angeheiterten Kanon angerempelt. Und da dieser wohl genau so überrascht war und in seinem Zustand das Wort Gleichgewicht wohl ein Fremdwort war, dachte er erst gar nicht daran, sich abzufangen und fiel zusammen mit Miku auf den harten Boden.

Eine halb geleerte Bierflasche, die er in der Hand gehalten hatte, machte ebenfalls Bekanntschaft mit dem Boden und zerbarst dort unter einem Klirren in tausend Scherben.

Dies alles geschah in einem Bruchteil einer Sekunde.

Miku, der sich insgeheim fragte, wieso der Schwarzhaarige eigentlich so schwer war, ächzte unter dem schweren Gewicht, das auf ihm lastete. Er konnte jede einzelne seiner Rippen spüren und er hatte das Gefühl, als ob viele scharfe Messer auf seinen Rücken eingestochen hätten, während seine Kopfschmerzen bis zu einem Punkt anschwollen, an dem Miku lieber sterben wollte als diese weiter zu ertragen.

Vor seinen Augen war längst alles schwarz geworden und von seiner Umwelt merkte er kaum etwas; es kam ihm vor, als wäre er in einer ganz anderen Dimension.

Wie aus weiter Ferne hörte er Bous aufgeregte und zornige Stimme; was sie sagte, verstand er nicht. Einen Augenblick später hatte er sich in die dunkle Finsternis fallen gelassen, die viel verlockender war als sein schmerzerfüllter Körper.
 

Als er wieder zu sich kam, hörte er gedämpfte Stimmen miteinander reden, konnte sie aber zunächst keinem zuordnen. Zudem lag er ungewöhnlich weich und war offenbar mit einer Decke zugedeckt. Mehrmals fiel sein Name und es wurde sehr offensichtlich über betrunkene Bassisten hergezogen.

Miku überlegte, wer da wohl so abfällig sprach, doch eine Welle übler Kopfschmerzen bestrafte ihn sofort und er gab ein leises Stöhnen von sich.

Er hörte, wie sein Name wieder gerufen wurde, nur lauter.

Nachdem die Kopfschmerzen erträglicher geworden waren, öffnete er die Augen und erkannte die Umrisse zweier Gestalten, die auf der Bettkante hockten, in dem er lag. Einen Augenblick später, als deren Konturen stärker wurden und nicht mehr vor seinen Augen verschwammen, erkannte er Bou und Teruki.

„Miku, endlich!“, rief Bou voller Erleichterung und wollte sich schon auf den Vocal stürzen, doch er wurde vom Älteren energisch zurückgehalten.

„Bou. Wenn du ihn jetzt mit einer Knuddelattacke beglücken willst, erreichst du eher das Gegenteil. Ich denke, er wird dich dann köpfen“, bemerkte Teruki und Miku gab ihm innerlich Recht. Auf eine nervige Klette konnte er für die nächsten Stunden gerne verzichten, denn er spürte auch so jeden einzelnen Knochen im Leib.

Der Drummer wandte sich nun Miku zu und betrachtete ihn mit einem besorgten Blick. „Wie geht’s dir?“

„Könnte nicht besser sein“, brachte dieser mühsam hervor und rieb sich den schmerzenden Kopf. Miku wollte sich schon aufrichten, doch Teruki hielt ihn mit sanfter Gewalt zurück.

„Bleib besser noch ein wenig da unten. Nicht, dass es dir wieder schlechter geht.“

Ohne zu murren befolgte Miku seinen Befehl, denn er hatte nun wahrlich keine Lust, noch einmal wegzutreten. Müde sah er dem kleinen Blondschopf hinterher, der sich vom Bett erhoben hatte und sich nun aus dem Zimmer entfernte.

Miku drehte den Kopf langsam auf die andere Seite, was er allerdings mit einem starken Pochen in seiner rechten Schläfe bezahlen musste.

Er blickte aus dem Fenster, durch den der fast wolkenverhangene Mond herein schien. Es musste noch mitten in der Nacht sein.

Vorsichtig sah er sich im Zimmer um und erkannte es nicht als sein Eigenes. Ein Augenblick verging, bis ihm bewusst wurde, wo er da gerade lag. „Ich bin in Bous Wohnung“, sagte er langsam, als wäre er sich dessen nun doch nicht sicher.

Teruki nickte. „Wir haben erst gewartet, dass du wieder zu dir kommst. Aber dann hat Bou gemeint, dass wir dich auch schlecht auf dem kalten und nassen Boden liegen lassen können und dass du wohl schneller in einem weichen und warmen Bett aufwachst.“

Miku lächelte leicht. „Das sieht ihm ähnlich…“

Er blickte zur Tür herüber, hinter der Bou verschwunden war und fragte sich, was er wohl gerade machte. Dann wandte er sich wieder dem Drummer zu. „Wie lange war ich eigentlich weg?“

Teruki erwiderte seinen Blick. „So genau weiß ich es nicht. Du lagst vielleicht gerade mal fünf Minuten im Bett, bevor du zu dir gekommen bist. Aber wir waren schon fast nah dran, einen Arzt zu rufen.“

„Ja, und das alles haben wir – oder wohl nur du, Miku – einem voll betrunkenen Kanon zu verdanken.“ Ein meckernder Blondschopf betrat das Schlafzimmer, in der Hand hielt er etwas. „Mann, wieso muss er auch nur immer so übertreiben? Er hätte dich doch schon von Weitem sehen müssen. Aber nein, er muss dich sofort über den Haufen rennen! Man könnte meinen, er wäre eine Amok laufende Dampfwalze! Miku, setzt dich mal hin.“

Völlig perpKanon, dass Bou ihn angesprochen hatte, gehorchte er und setzte sich vorsichtig aufrecht, doch er bekam einen leichten Schwindelanfall. Er betete, dass die beiden davon nichts mitbekamen, aber wenn, dann sagten sie nichts.

„Also echt. Wenn ich Kanon nicht von Miku runtergezogen hätte, wäre er jetzt ganz platt. Ich könnte ihn dann höchstens als singende Briefmarke irgendwo aufhängen.“

Bou krabbelte zu Miku ans Kopfende und kurz darauf erschauderte er am ganzen Körper, als etwas Eiskaltes seinen Rücken berührte. Erst jetzt bemerkte er, dass er obenrum nackt war.

Er warf Teruki einen fragenden Blick zu und dieser nickte nur grinsend und unschuldig mit den Schultern zuckend in Bous Richtung.

„Aber nein! Der liebe Herr Kanon muss sich mal wieder betrinken! Er benimmt sich wie drei! Wer hat ihn eigentlich als Bassisten angeheuert?“ Während er weiter über den armen Schwarzhaarigen herzog, verteilte er weiter die kalte Creme auf Mikus Rücken und massierte dessen Schultern, doch er ließ ohne es zu merken dort seine Wut aus, als wäre der kleine Vocal ein Sandsack.

Dieser verzog gequält das Gesicht, wagte aber nicht, etwas zu sagen.

Teruki warf ihm seufzend einen bemitleidenswerten Blick zu.
 

Die helle Morgensonne schien durch das Fenster herein und blendete in Mikus Augen, welcher schnell den Blick abwandte und sich kurz streckte. Der dumpfe Schmerz auf seinem Rücken holte ihn wieder ein, es fühlte sich aber nicht mehr ganz so schlimm an wie noch vor einigen Stunden.

„Teruki, du bist echt fies“, gähnte er und blickte müde zum wandelnden Wecker, der in Jeans und Shirt vor ihm stand und ihn breit angrinste. Ein kurzer Blick auf die Uhr auf dem Nachtisch verriet ihm, dass es gerade mal kurz nach acht war, und er stöhnte laut auf. „Bis zur Probe sind es doch noch zwei Stunden“, sagte er dann ein wenig verwirrt.

Teruki zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Du musst dich daran gewöhnen, früher aufzustehen als sonst. Sieh es als Training an, dass du ab sofort pünktlich kommst.“

Miku setzte sich knurrend auf. „Wieso bist du eigentlich hier? Du hast doch eine eigene Wohnung.“

„Na, du aber auch.“ Teruki streckte ihm frech die Zunge raus. „Ich hab hier übernachtet, um sicherzugehen, dass Bou nicht mitten in der Nacht über dich herfällt.“

„Keine Sorge, ich hätte mich auch wehren können. Außerdem… hey! Was riecht hier so gut?“ Miku schnupperte in der Luft, denn seine empfindliche Nase hatte einen sehr leckeren Duft entdeckt.

„Och, das sind nur die frischen und warmen Brötchen, die Bou gerade besorgt hat“, bemerkte Teruki und fügte noch beiläufig hinzu: „Die jetzt gleich aber bestimmt schon weg sind, wenn du nicht sofort aufstehst.“

„Was?“ Miku sah ihn eine Sekunde lang geschockt an. Dann warf er blitzschnell die Decke zurück und sprang aus dem Bett, die aufkommende Schmerzwelle auf seinem Rücken ignorierend. Er eilte an Teruki vorbei, der ihm noch ein ermahnendes „Übertreib’s nicht!“ und ein warnendes „Ich würde an deiner Stelle ja lieber hier bleiben“ hinterher rief, und folgte dem wohlriechenden Duft bis ins Esszimmer.

Dort wurde gerade der Tisch vom Blondschopf gedeckt, der allerdings in der Arbeit innehielt, als die Schlafzimmertür mit einem leisen Quietschen geöffnet wurde. Er drehte sich um und Miku blickte in seine dunklen Rehaugen. Unwillkürlich machte sein Herz einen kleinen Hüpfer.

„Ohayou, Miku-chan.“ Bou kicherte und stellte die Teller auf den Tisch und legte die Messer daneben, ließ dabei den Vocal aber nicht aus den Augen.

„Ohayou, Bou-chan“, sagte Miku. „Danke, dass ich bei dir übernachten durfte. Uhm… wo hast du eigentlich geschlafen? Ich habe ja dein Bett blockiert, entschuldige.“

„Gern geschehen. Wozu hat man denn Freunde? Außerdem kann ich die Couch zum schlafen sehr gut weiterempfehlen. Und DAS hier reicht als Wiedergutmachung vollkommen aus.“

Der kleine Blondschopf kam auf ihn zu und tippte schmunzelnd auf Mikus Brust. Dieser sah an sich herunter und bemerkte mit Schrecken, dass er vollkommen vergessen hatte, sich etwas überzuziehen. Daher stand er nun allein mit Boxer-Shorts bekleidet vor dem Blonden. „Oh…“ Unbewusst errötete er leicht.

„Ich habe dich ja gewarnt, aber du wolltest ja nicht auf mich hören.“ Ein mit dem Kopf schüttelnder Teruki betrat den Raum und betrachtete die beiden amüsiert. „Selbst schuld.“

Miku warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Wer hat denn gesagt, dass es mich stört?“

Bou lachte und bestrafte seine Lüge mit einer leichten Umarmung. „Du bist komischerweise so rot im Gesicht, du kannst uns nichts vormachen. Aber das ist eigentlich sehr praktisch, dann kann ich deinen Rücken noch mal eincremen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten zog der Blondschopf ihn hinter sich her Richtung Badezimmer. Miku warf Teruki einen hilfesuchenden Blick zu, doch der schien ihn einfach lächelnd zu ignorieren und deckte weiter den Tisch.

„Setz dich“, befahl Bou und der Vocal setzte sich auf den Rand der Badewanne, während der Blonde im Spiegelschrank über dem Waschbecken nach der Creme suchte, mit der er Miku schon beim ersten Mal eingeschmiert hatte. Dann setzte er sich neben ihn und Miku drehte ihm den Rücken zu.

Er sog scharf die Luft ein, als die kalte Masse seine nackte und wunde Haut berührte. Doch im Gegensatz zum Vorabend schien der Blondschopf keineswegs wütend zu sein, denn er strich behutsam und zärtlich über den schmerzenden Rücken und Miku genoss es.

„Sieht es eigentlich…schlimm aus?“, fragte der Vocal zaghaft und durchbrach die erdrückende Stille, die wenige Minuten lang den Raum erfüllt hatte.

„Na ja… wenn ich ehrlich bin, dann sieht es nicht gerade schön aus“, meinte Bou und massierte seine Schultern. Miku fühlte, wie er entspannter wurde und der pochende Schmerz allmählich von ihm abfiel. Er war zwar noch da, doch so, dass Miku sich nicht mehr allzu sehr gepeinigt fühlte. „Die kleinen Kieselsteine waren anscheinend ziemlich spitz. Dein Rücken sieht aus, als hätte eine ganze Katzenfamilie auf dir Party gemacht und du hast richtig Glück, dass deine Haut offenbar beschlossen hat, bei dir zu bleiben. Hier hängen ein paar kleine Fetzen runter.“

„Uargh.“ Miku verzog das Gesicht, als er es sich vor seinem geistigen Auge vorstellte. „Also, jetzt hast du mir eindeutig den Appetit verdorben.“

Bou beugte sich von hinten zu ihm vor und sah ihn grinsend an. „Das letzte war ein Witz.“

„Bou-chan!“, rief Miku entrüstet und gab ihm als Strafe einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. Dann keuchte er kurz auf, als der Blondschopf mit seinen zarten Fingern über eine besonders schmerzhafte Stelle strich. Zugleich hinterließ die leichte Berührung eine kleine Gänsehaut, die ihn erzittern ließ.

„So, fertig. Ich hoffe, es hilft.“, sagte Bou nach einer Weile und ging zum Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. Er warf dem Vocal kurz ein warmes Lächeln zu.

Miku erwiderte seinen Blick und lächelte zurück, während sein Herz einen Salto rückwärts machen zu schien. //Ich wünschte, er hätte nie aufgehört…//

Vorsichtig schlich er hinter Bou und legte seine Arme um seine Hüften. Da dieser ihn schon im Spiegel gesehen hatte, hatte er sich nicht erschrocken und lehnte sich leicht an den Größeren. Seine wasserstoffblonden Haare kitzelten Miku an Hals und Brust und er konnte den wohltuenden Duft riechen, der von ihnen ausging. Zufrieden seufzend legte er den Kopf auf die schmalen Schultern des Blonden. Doch die nackte Haut an Bous Hals war zu verführerisch, als dass er hätte widerstehen können. Zaghaft begann er, dort Küsse zu verteilen und wanderte mit seiner Hand unter Bous dünnes Shirt.

„Aki-chan.“ Bou keuchte leise auf und beugte instinktiv seinen Kopf zur Seite, sodass der Vocal mehr Platz hatte. „W-was machst du da?“

„Ich kann mich gar nicht mehr zurückhalten und außerdem gefällt es dir doch auch, also halt die Klappe“, murmelte Miku und Bou konnte seinen Atem spüren.

„So war es ja auch nicht gemeint“, nuschelte Bou leise und lief rot an. Insgeheim fragte er sich aber schon, warum Miku ihn gerade so verwöhnte. Miku wanderte mit seiner Hand weiter nach oben und entlockte dem Blonden ein leises Stöhnen. Bou beschloss, nicht weiter drüber nachzudenken. Wer weiß, wann er das nächste Mal von Miku verwöhnt wurde?

Doch kaum hatte er angefangen, es in vollen Zügen zu genießen, da klopfte es kurz an der Tür und Teruki platzte hinein. Er blieb mitten in der Tür stehen und beobachtete die beiden grinsend.

Bou sah den Drummer überrascht und peinlich berührt an, Miku blieb über der Stelle harren, an der er gerade den kleinen Blondschopf verwöhnen wollte.

„Ich wollte nur Bescheid sagen, dass wir jetzt so langsam mal mit Frühstücken anfangen sollten“, bemerkte Teruki mit amüsantem Unterton. „Ihr seht ja ziemlich hungrig aus, wenn ihr euch schon selbst vernaschen wollt. Besonders du, Miku. Dir scheint es ja schon wieder blendend zu gehen.“

„Teruki“, sagte Miku warnend und doch geduldig. Er blickte mitleidig auf Bous Hals, seufzte enttäuscht auf und drehte sich um. „Du bist echt gemein“, maulte er und stolzierte an Teruki vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, und lief ins Schlafzimmer.

Während er sich für die Probe fertig machte, verfluchte er den Drummer mit den schlimmsten Dingen und dachte sich sehr grausige Szenarien für einen besonders blutrünstigen Mord aus.
 

Mikus Laune verbesserte sich schlagartig, als er sich kaum eine dreiviertel Stunde später mit Teruki und Bou auf den Weg zum Proberaum machte, denn die Sonne schien und es war angenehm warm nach der langen Winterzeit. Da der Ältere nur knapp zehn Minuten von ihrem Arbeitsplatz entfernt wohnte, gingen sie zu Fuß. Miku hüpfte vergnügt zwischen den beiden her.

Bou lächelte. „Es scheint ja geholfen haben, dass ich mich so fürsorglich um deinen Rücken gekümmert habe.“

„Yapp“, entgegnete Miku und schenkte ihm zum Dank ein breites Grinsen. „Manchmal weiß ich echt nicht, was ich ohne dich tun soll, Saitou.“

„Stimmt. Auf alle Fälle wärst du schneller im Bad fertig und ihm würde es besser gehen.“

Miku drehte sich im Laufen zu Teruki um und sah ihn entrüstet an. „Was soll das denn jetzt bitte heißen?“

Teruki seufzte. „Ich weiß ja nicht, ob es dir aufgefallen ist, Miku. Aber Bou hat kaum gesprochen und sieht traurig aus, seit ihr im Bad alles gemacht habt, was man da eigentlich nicht machen sollte. Er hat kaum was gegessen und das will dir alles nicht aufgefallen sein?“ Teruki schenkte ihm einen skeptischen Blick zu.

Miku sah zu Bou, der neben ihm her schlenderte und den Boden anstarrte, die Hände in seinen Jackentaschen vergraben. Er hatte schon gemerkt, dass der kleine Blondschopf nur ein Brötchen gegessen hatte und nicht bei Mikus und Terukis kleiner Lästereistunde über Kanons Verhalten mitgemacht hatte. Aber er hätte nie gedacht, dass es einen Grund hatte. Dass er der Grund war.

„Uhm…stimmt das, Bou?“, fragte er vorsichtig und betete, dass der sonst so tolle Menschenkenner sich vielleicht irrte.

Bou zuckte mit den Schultern und schien sichtlich nach einer Antwort zu suchen, die sowohl Miku als auch Teruki zufrieden stellte. „Keine Ahnung“, murrte er nach einem Augenblick, da ihm nichts eingefallen war, und kickte gegen einen kleinen Kieselstein.

„Bou, ich…“, fing Miku an, doch sofort wurde er von Bou unterbrochen.

„Ich will nicht darüber reden“, sagte dieser und rannte vor.

Seufzend blieb Miku stehen und sah ihm hinterher.

Irrte er sich oder hatte er den Blonden tatsächlich verletzt? Dabei hatte er ihm doch nur für seine Fürsorge danken wollen.

„Du irritierst ihn, Miku“, meinte Teruki und trat neben Miku. „Er liebt dich und das weißt du doch.“

„Aber ich liebe ihn doch auch“, erwiderte Miku und sah Teruki an. „Wie soll ich es ihm denn zeigen, wenn nicht so? Außerdem ist da ja noch Kanon.“

„Und genau das verwirrt ihn doch.“ Der Drummer schwieg kurz. „Wenn du ihm in manchen Augenblicken die Zuneigung und die Wärme gibst, die er seit eurer Trennung so sehr herbeisehnt, dass er es kaum ertragen kann, mit dir alleine zu sein. Er weiß genau – oder befürchtet es zumindest -, dass du davor Kanon genau diese Aufmerksamkeit geschenkt hast und auch wieder geben wirst. Dabei möchte er dich doch nur für sich alleine haben, und das ist auch verständlich, wenn er dich wirklich von ganzem Herzen liebt. Er möchte, dass es wieder wie früher ist. Bevor wir in Europa waren. Und jetzt schau nicht so bedrückt“, sagte Teruki, denn Miku machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. „Bou weiß, wie schwer es dir fällt, endlich eine Entscheidung zu treffen. Du sollst ja auch nicht zu voreilig handeln, nicht dass er noch ein weiteres Mal verletzt wird. Aber allzu lange würde ich damit auch nicht mehr warten.“

„Das weiß ich doch“, murmelte Miku und wich Terukis Blick aus. „Aber egal, für wen ich mich entscheide, einen verletze ich immer.“

„Stimmt. Aber dann verschaffst du den beiden wenigstens Klarheit über deine Gefühle. Vieles wird sich zum besseren wenden, glaube mir.“ Teruki klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Du wirst schon die richtige Entscheidung treffen, davon bin ich überzeugt. So, und jetzt komm. Wir müssen proben!“

Während Miku von Teruki mehr oder weniger die Straße entlang geschoben wurde, überlegte er, ob er sich bei Bou nicht besser für sein Verhalten heute Morgen entschuldigen sollte. Doch, wenn er alles zurücknehmen würde, die Küsse, seine Nähe, wäre Bou dann nicht erst recht verletzt?

Keine zwei Minuten später hatten sie ihr Ziel erreicht.

Geduldig wartete er, bis Teruki den Schlüssel für die Vordertür herausgekramt hatte und diese aufgeschlossen hatte. Dann lief er vor Teruki die Treppe hoch.

Im Stillen fragte er sich, ob Kanon schon da war. Und wenn ja, ob Bou ihn wegen seinem gestrigen Verhalten bereits zur Schnecke gemacht hatte. Aber er hörte nichts – okay, wie denn auch, wenn der Proberaum schallisoliert war?

//Obwohl…wenn die beiden erst einmal angefangen haben, sich zu streiten, dann könnte man es auch hier - //

Mikus Gedankengang fand abrupt sein Ende, als der Vocal zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Stunden über den Haufen gerannt wurde.

Er war vielleicht noch einen Meter von der geschlossenen Tür entfernt, hinter der sein heiß geliebtes und pinkes Mikrophon längst auf ihn wartete, als diese plötzlich aufgerissen wurde und jemand schwungvoll herauskam, der auch leider nicht mehr ausweichen konnte.

„Also morgen komme ich definitiv in neongrün und knallgelb zur Probe“, ächzte Miku, der erneut Bekanntschaft mit dem Boden gemacht hatte und unter der anderen Person begraben worden war.

„’tschuldige!“

Miku stutzte und betrachtete denjenigen, der ihn umgerannt hatte. Zunächst hatte er gedacht, es wäre wieder Kanon gewesen, doch er blickte direkt in das Gesicht des Neuankömmlings mit den rotbraun schimmernden Haaren, der ihn genauso verdattert anstarrte.

„Takuya?“

„Miku?“

„Was machst du hier? Ich dachte, du kommst erst nach der Tournee zu den Proben“, wollte Miku wissen und schnappte nach Luft. „Aber tu mir bitte den Gefallen und geh erst mal von mir runter.“

„Oh…“ Takuya errötete leicht und rappelte sich auf. Anschließend hielt er Miku eine Hand hin, welcher sie dankend ergriff und etwas schwerfällig aufstand. „Danke.“

Miku rieb sich den wieder schmerzenden Rücken. //Na toll! Ein Unglück kommt selten allein. Obwohl…Bou würde mich bestimmt noch einmal eincremen…// Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht und seine Augen glitzerten unheilsvoll.

„O nein!“ Teruki sah ihn warnend an, dem natürlich der urplötzliche Stimmungswandel seines Vocals nicht entgangen war und schon eine düstere Ahnung hatte, was der Auslöser gewesen war. „Du wirst Bou jetzt nicht bejammern, wie sehr doch dein Rücken wehtut!“

Miku sah ihn unschuldig an. „Aber wieso denn nicht? Er hat doch selbst gesagt, ich solle mich melden, wenn es wieder wehtut.“

„Na und? Du bist doch selbst schuld, wenn du wieder über den Haufen gerannt wirst“, entgegnete Teruki sofort.

„Ich soll schuld sein?“, rief Miku entgeistert. Hatte Teruki sie noch alle? „Wie kommst du denn darauf?“

„Na, wer zieht hier denn die Leute wie ein Magnet an?“ Der Drummer blinzelte und ging an Miku und Takuya, der teilnahmslos von einem zum anderen geschaut hatte, vorbei. Bevor er den Proberaum betrat, sagte er zu Miku drohend: „Wehe, du sagst Bou auch nur ein Wort, dann bist du ein toter Mann!“

Miku sah ihm mit offenem Mund nach. „Also, jetzt ist er komplett durchgeknallt“, sagte er langsam.

„Ist Teruki immer so drauf?“, kam es zaghaft von Takuya, der sich schon als nächstes Mordopfer sah, nur weil er Miku aus Versehen umgerannt hatte.

„Wenn du dich von Anfang an gut mit ihm stellst, dann brauchst du ihn nicht zu fürchten. Aber keine Sorge“, fügte er schnell hinzu, als Takuya ängstlich einen Schritt zurückwich. „Normalerweise hat er nur eine große Klappe.“

„Normalerweise?“, wiederholte Takuya erschrocken.

„Na ja ... bis jetzt hat er noch keinen umgebracht, denke ich zumindest.“ Miku runzelte nachdenklich die Stirn, als müsste er angestrengt darüber nachdenken. „Also, wenn man mich morgen erstochen, erhängt oder gevierteilt irgendwo in einer dunklen Gasse entdeckt, dann weißt du ja, wer der Täter ist. So, und jetzt sag mir endlich, was du hier zu suchen hattest.“

Doch Takuya brauchte einen Augenblick, bis er erstens den plötzlichen Themenwechsel und zweitens Mikus ausführliche und blutrünstige Antwort verkraftet hatte. Schnell schüttelte er den Kopf, um das alles wieder aus seinem Gedächtnis zu bekommen. Er hoffte, dass Miku nur übertrieben hatte.

„Um ehrlich zu sein, habe ich dich hier gesucht“, sagte Takuya dann und sah den Vocal schüchtern an.

„Was?“ Miku sah ihn ein wenig irritiert an. „Weswegen denn?“

Takuya zögerte kurz. „Ich habe meiner Mutter von AnCafé erzählt und dass ich der neue Gitarrist sein soll. Sie hat sich gefreut und wird den Vertrag unterschreiben.“

„Das ist doch prima.“ Miku lächelte ihn freudig an und unterdrückte den Schmerz über Bous Austritt. „Und das wolltest du mir erzählen?“

„Nein, das eigentlich nicht.“ Takuya schüttelte den Kopf und betrachtete einen spannenden Fleck auf dem Boden vor den Füßen des Vocals. „Uhm…willst du mich auch wirklich dabei haben? Noch habe ich den Vertrag noch nicht unterschrieben und - “

„Takuya!“, rief Miku erschrocken, machte einen Schritt nach vorn und packte den Jüngeren an den Schultern. „Habe ich mich nicht vor ein paar Tagen für mein dummes Verhalten entschuldigt? Habe ich dir nicht gesagt, wie gerne ich dich in unserer Band hätte? Wieso fragst du mich das denn jetzt schon wieder?!“

„Na ja…“ Takuya wich seinem wütenden Blick aus. „Ich wollte nur noch mal nachfragen, nicht dass du es dir doch anders überlegt hast.“

Miku seufzte. „Nur zu gern würde ich dir dafür jetzt eine reinhauen. Aber das tue ich allein aus dem Grund nicht, weil Teruki mich dann einen Kopf kürzer macht, Bou mich mit dir wohl nie wieder alleine in einem Raum lässt und Kanon mir wieder einen ellenlangen Vortrag über die vorteilhafte Anwendung der körperlichen Gewalt erzählt! “

Takuya schluckte. „T-tut mir leid, Miku. Ich dachte nur, ich - “ Mikus dämonenhafter Blick brachte ihn schlagartig zum Verstummen.

„Also, entweder unterschreibst du freiwillig den Vertrag oder ich schleife dich dahin und stehe bis zu den Zähnen bewaffnet hinter dir. Verstanden?“

Takuya nickte hastig, während er den Vocal ängstlich anstarrte.

Allmählich fragte er sich, ob er da eigentlich einen Vertrag für die Band unterschrieb oder eher einen Pakt mit dem Teufel schloss und damit seinen grausamen Untergang besiegelte.

„V-verstanden…“
 

Als Miku den Proberaum betrat, kam Kanon auf ihn zu, der seinen Bass poliert hatte. Aus seinem sehr erschöpft wirkenden Aussehen schlussfolgerte der Vocal, dass er wohl einen üblen Kater ausbadete. Ihm konnte es nur Recht sein, schließlich war das die Strafe für seinen unnötig hohen Alkoholkonsum am vorigen Abend. „Hey, Kanon“, begrüßte Miku ihn fröhlich lächelnd.

„Hi, Miku“, murrte Kanon griesgrämig. Verlegen wich er Mikus fragenden Blick aus und kratzte sich am Hinterkopf. Gerade wollte er sich wieder um seinen Bass kümmern, als ihm Bous und Terukis bedrohliche Blicke auffielen. Schnell wandte er sich wieder Miku zu.

„Uhm…“ Er zögerte und wurde etwas rot. „Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber…ich habe dich nicht absichtlich über den Haufen gerannt, das musst du mir bitte glauben. Es tut mir wirklich Leid. Ich - “

„Ach, Shinya“, seufzte Miku. „Du bist und bleibst ein hoffnungsloser Fall, wenn es um Alkohol geht. Mann, was hab ich für ein Glück, dass ich nicht so viel vertrage.“ Er lächelte ihn liebevoll an. „Es sei dir verziehen, auch wenn ich dich für die höllischen Schmerzen meines Rückens ins Jenseits befördern würde. Obwohl…“ Miku trat dicht neben Kanon und flüsterte ihm grinsend zu: „Ich habe eine sehr liebevolle Behandlung bekommen, also sollte ich dir wohl vielmehr danken.“

Kanon starrte ihn wie vom Blitz getroffen an. „Was…?“

„So, und jetzt lasst und mit der Probe beginnen“, rief Miku vergnügt und wandte sich schnell von Kanon ab. Dieser blickte ihm entgeistert hinterher und alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Doch plötzlich, als sei ihm etwas klar geworden, wanderte er mit seinem nun sehr dämonenhaften Blick zum kleinen Blondschopf.

Gleichzeitig fragte sich Miku, als er nach seinem pinken Mikrophon griff, ob er Kanon damit nicht zu sehr bestraft und damit vielleicht das Fass erneut zum Überlaufen gebracht hatte…
 

Zunächst lief die Probe hervorragend.

Sie hatten sich mit BondS und Ese urTerukii aufgewärmt, keiner hatte sich verspielt. Es schien, als wären alle in der Musik aufgegangen und hätten alles um sich herum vergessen.

Doch als nach Mikus Wunsch Smile Ichiban Ii Onna angespielt wurde und sich der Vocal wohl offensichtlich in den Kopf gesetzt hatte, während dem ganzen Song den kleinen Blondschopf neben sich an der Gitarre zu begutachten, wurde es Kanon zuviel.

Wütend brach er ab.

Überrascht hörten Miku, Bou und Teruki auf zu spielen und blickten ihn verwundert an. „Was ist denn los, Kanon?“, fragte Teruki ihn ein wenig ungehalten. „Es lief doch super, wieso hast du abgebrochen?“

„Habt ihr es irgendwie an den Ohren?“, knurrte Kanon missmutig zurück. „Also, ich weiß ja nicht, wie es mit euch ist, aber die Gitarre liegt nicht ganz im Takt.“ Er funkelte zu Bou herüber, der erschrocken zusammenzuckte und einen großen Schritt Richtung Miku machte – in der Hoffnung, dass dieser ihn schützen konnte, falls Kanon auf ihn losgehen würde.

„Aber, Kanon!“, rief Miku und trat schnell zwischen die beiden. „Bou hat wirklich keinen Fehler gemacht. Wenn ich ehrlich bin, warst du es, der am Ende nicht ganz die Töne getroffen hat.“ Das sagte Miku nicht, weil er sich gerne Kanons Zorn ausgesetzt sah, sondern weil es der Wahrheit entsprach.

„Ja, aber doch nur, weil Bou mich vollkommen rausgebracht hat“, verteidigte sich Kanon schnell, während er seinen Bass abstellte.

„Kanon. Wir können uns gerne die Aufnahme anhören, wenn du willst“, meldete sich Teruki entnervt. „Bou hat keinen Fehler gemacht.“

Miku ging zum Aufnahmegerät, das sie bei den Proben direkt vor den Konzerten und beim Entwerfen neuer Songs immer anmachten, drückte kurz auf den Rückspulknopf und dann auf Start.

Alle schwiegen, während sie besonders auf die Gitarre achteten. Doch zwei Minuten vergingen und kein schiefer oder falscher Ton war zu hören. Miku drückte auf Stop und blickte zu Kanon.

„Siehst du?“, sagte er. „Bou hat keinen Fehler gemacht. Willst du es noch einmal hören, um auch wirklich sicher zu sein?“

„Ach, du kannst mich mal“, murrte Kanon und schaute den Vocal ärgerlich an. „Okay, was habe ich auch schon von dir erwartet? Du hältst doch immer zu Bou.“ Dann lief er aus dem Proberaum und ließ die schwere Tür unter einem lauten Knallen hinter sich ins Schloss fallen.

Miku, Bou und Teruki ließen fast gleichzeitig Mikrophon, Gitarre und Drumsticks sinken und sahen ihm perpKanon hinterher. Denn das hatte keiner von ihnen erwartet.

„Was ist denn in den gefahren?“, murmelte Teruki kaum hörbar und sprach damit die Frage aus, die sie sich gerade alle stellten.

„Keine Ahnung.“ Bou zuckte unwissend mit den Schultern und seufzte. „Vielleicht liegt es einfach nur daran, dass er gerade einen Mordskater von gestern ausbaden muss.“

„Und wie sollen wir so bitte weiterproben?“, schimpfte Teruki.

„Reg dich nicht so auf.“ Das Mikrophon wurde mit einem leisen Klick wieder an dem silbern schimmernden Ständer befestigt. „Ich hole ihn schon zurück, versprochen“, sagte Miku und griff nach seiner Jacke. Ohne Teruki und Bou weiter zu beachten, rannte er nach draußen.

Miku hatte nicht den blassesten Schimmer, wo der Schwarzhaarige sich gerade aufhielt. Er wusste noch nicht einmal, ob er vielleicht nicht schon nach Hause gefahren war. //Ach was…dann hätte er doch wohl seine Jacke angezogen…//

Er lief die schmale Treppe hinunter, indem er immer zwei Stufen auf einmal nahm, und ein schlechtes Gewissen machte sich in ihm breit.

Miku ahnte schon, dass Bous Zärtlichkeit, mit der er eben so geprahlt hatte, der Auslöser für Kanons Wutausbruch gewesen war.
 

Der Vocal musste nicht lange suchen.

Gerade, als er das Gebäude verlassen hatte und sich links durch die dichte Menschenmenge schlagen wollte, entdeckte er den Schwarzhaarigen in der kleinen Seitenstraße schräg gegenüber.

„Shinya!“, rief er, doch dieser schien ihn nicht zu hören.

Aus Angst, den Blickkontakt zum Schwarzhaarigen zu verlieren, lief er ohne groß auf die Autos zu achten über die Straße. Die quietschenden Reifen und die lauten Rufe der wutentbrannten Autofahrer ließen Kanon aufsehen und er sah dem Vocal überrascht und auch panisch entgegen.

„Bist du verrückt geworden?!“, schrie er ihn an, kaum hatte Miku vor ihm Halt gemacht. „Du wärst beinahe überfahren worden!“

„Du bist auch nicht gerade viel besser“, konterte Miku ihm, der ganz außer Puste war. „Wieso bist du einfach so abgehauen? Und warum machst du Bou wieder so fertig?“

Kanon packte den kleinen Vocal vorne am Kragen und drückte ihn gegen die kühle Außenmauer eines der Gebäude. Miku konnte den beißenden Geruch der verdorbenen Lebensmittel in den Mülltonnen keine zwei Meter von ihm entfernt riechen.

„Autsch, Kanon! Du tust mir weh!“ Er versuchte, sich zu befreien, doch Kanon schien erst gar nicht daran zu denken, ihm loszulassen. //Mein Gott, auf was habe ich mich da nur eingelassen? Soll Teruki ihn doch zurückholen…//

„Tut mir Leid, Miku“, sagte Kanon. Er war mit seinem Gesicht direkt neben dem Mikus. „Aber ich weiß einfach nicht, wieso du Bou jetzt wieder schöne Augen machst. Willst du mich etwa bestrafen, nur weil ich dich gestern über den Haufen gerannt habe?“

„Aber, Kanon.“ Miku sah ihn verständnislos an. „Wie kannst du nur denken, ich würde dich so bestrafen wollen? Okay, ich gebe es zu. Du warst wieder stock besoffen und hast meinem Rücken einen Haufen Schmerzen bereitet, ich wollte mich nur ein bisschen rächen. Aber ich hätte nie gedacht, dass die aus einer Mücke einen Elefanten machst!“

„Na und? Ich will einfach nicht, dass du Bou so ansiehst.“ Unwillkürlich lockerte sich der Griff um Mikus Kragen. Fast gleichzeitig lehnte sich Kanon leicht gegen Miku, die Stirn direkt neben ihn an die kalte Wand gepresst. „Kannst du dir nicht vorstellen, wie weh mir das tut? Ich habe dir gesagt, dass ich mich damit abfinden würde, wenn du dich für Bou entscheidest. Aber ein wenig Rücksicht…ist das zuviel verlangt?“

„Shinya…“ Miku wusste nicht, was er sagen sollte. Kanon war so dicht vor ihm, dass zwischen sie noch nicht einmal ein Blatt gepasst hätte. //Ich war so sehr mit Bous Austritt beschäftigt, dass ich nicht auf Kanons Gefühle geachtet habe…// Ein stechender Schmerz jagte durch seine Brust und zaghaft legte er seine Arme um den Größeren. „Tut mir Leid, Shinya“, entschuldigte sich Miku bei ihm. „Ich…ich bin der größte Vollidiot unter der Sonne. Ich möchte dich doch nicht verletzen und schon gar nicht meinen allerbesten Freund verlieren. Ich verspreche dir, dass das nie mehr vorkommt.“

Einen kurzen Moment lang herrschte Schweigen, in dem Miku mit klopfenden Herzen auf eine Antwort wartete.

„Oh mann.“ Kanon gab ein leises Stöhnen von sich. „Wenn ich nicht so verdammt vernarrt in dich wäre und du nicht mein bester Kumpel wärst, dann hätte ich dir sofort eine reingehauen. Aber ich verzeihe dir noch dieses eine Mal.“

„Na, was für ein Glück aber auch.“ Miku zwang sich zu einem Lächeln und gab einen erleichterten Seufzer von sich. Er löste die Umarmung und sah ihn an. „Wenn dir irgendetwas nicht passt, dann komm bitte zu mir, okay? Von Bou habe ich das auch verlangt. Ich will euch beiden nicht wehtun.“ „Ich denke, das könnte ich schaffen“, nickte Kanon und strich dem Blonden lächelnd eine Strähne aus dem Gesicht.

Miku bekam bei dieser kleinen Berührung eine leichte Gänsehaut. Schnell fing er die Hand ab, die sich gerade zu seinem Ohr verirren wollte, und hielt sie fest. „Kommst du aus der Tiefkühltruhe? Deine Hände sind ja eiskalt“, stellte er fest. Er zog seine dicke Jacke aus und legte sie dem Schwarzhaarigen über die Schultern.

„Danke“, murmelte Kanon verlegen und zog die Jacke tiefer in seinen Nacken. „Aber jetzt frierst du doch.“

„Ach was.“ Miku winkte ab. „Erstens finde ich es gar nicht so kalt und zweitens gehen wir jetzt wieder zurück. Teruki und Bou warten schon sehnsüchtig.“

Er legte einen Arm um Kanon und schob ihn aus der kleinen Gasse raus. Kanon sträubte sich.

„Ich weiß nicht, was ich Bou sagen soll.“

Miku blieb stehen und sah ihn direkt an. „Du entschuldigst dich bei ihm, ist doch klar. Und jetzt komm, oder willst du, dass Teruki dich zu Hackfleisch verarbeitet?“
 

Den Rest des Weges liefen beide schweigend und in Gedanken versunken nebeneinander her.

Kanon suchte fieberhaft nach den richtigen Worten, wie er sich bei Bou am besten entschuldigen konnte. Denn er wusste, dass Miku ihn ansonsten auf ewig hassen würde.

Währenddessen überlegte der Vocal, wie er sich Bou und Kanon gegenüber verhalten sollte, ohne die beiden ständig zu verletzen. Und ewig konnte er sich nicht beim kleinen und niedlichen Blondschopf zurückhalten. //Moment mal…wieso empfinde ich nicht mehr so bei Kanon?// Mikus Blick wanderte erschrocken zum Schwarzhaarigen, der neben ihm die Treppe hoch lief. //Wieso wünsche ich mir nicht mehr, ihn zu küssen? Mir reicht es irgendwie auch, wenn ich ganz dicht neben ihm bin. Bei Bous Nähe würde ich am liebsten sofort über ihn herfallen…// Er errötete ein wenig und verbannte seine Gedanken sofort in die tiefsten Ecken seines Kopfes.

Kanon wollte gerade schon die Tür öffnen, doch Miku schob seine Hand sanft, aber bestimmt von der Klinke. Verwirrt blickte der Schwarzhaarige in das entschlossene Gesicht des Sängers. „Was ist los?“

„Kann ich nach der Probe mit zu dir kommen? Ich denke, wir müssen was klären.“

„Klar“, antwortete Kanon knapp, wohlwissend, was Miku ihm sagen wollte. Doch genau wie Miku wusste er, dass endlich etwas geändert werden musste. Dies änderte jedoch nichts an dem aufkeimenden, flauen Gefühl in seiner Magengegend, als er endlich die Tür öffnete und sie eintraten.



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