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Amaltheas Tochter

Das letzte Einhorn - Alternatives Ende und Fortsetzung
von

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Ich sehe es, aber ich glaube es nicht!

Ein wunderschöner Wald... Immergrün... denn hier war es immer Frühling. Ein silbrig-weißes Leuchten hinter den Bäumen.

Ein Einhorn?

Weißes, glänzendes Haar und ebenso die Haut. Die Augen Lavendelfarben.

Nein, es war kein Einhorn.

Ein Mädchen.
 

Balian öffnete die Augen und setzte sich im Bett auf. Es war ein seltsamer Traum gewesen. Aber irgendetwas musste er zu bedeuten haben. Er stützte seinen Kopf auf die Arme; er fühlte sich ein wenig benommen und schwindelig, wie immer, wenn er eine Vorahnung geträumt hatte. Nachdenklich ließ er sich aufs Kissen zurücksinken, wo ihm vor Erschöpfung die Augen sofort wieder zufielen.
 

Kisara riss die Augen auf. Sie lag in einem warmen Bett. Hastig setzte sie sich auf und blickte sich verwirrt um. Nach ein paar Sekunden der Orientierungslosigkeit fiel ihr wieder ein, was passiert war. Diese seltsamen Leute... Einhornjäger... sie hatten sie angegriffen. Und dieser Junge, der sie gerettet hatte, er war so eine Art Zauberlehrling... Balian... er hatte gesagt, dass er sie vor den Jägern beschützen würde...

Auf einmal spürte sie etwas sehr Nasses im Gesicht. „Chico! Hey, was fällt dir eigentlich ein, Kleiner!“ Glücklich nahm sie ihren kleinen Hund in den Arm, der ihr weiterhin freudestrahlend das Gesicht abschleckte. Er schien sich von den Schrecken gestern erholt zu haben.

„Na, bist du wach?“ Kisara schreckte auf. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass jemand auf der Bettkante saß. Es war eine junge Frau, schätzungsweise ein paar Jahre älter als sie. Ihre Augen musterten Kisara neugierig und freundlich. „Tut mir Leid, ich wollte dich nicht erschrecken.“ „Ist schon gut...“, murmelte Kisara verstohlen. Sie fühlte sich ziemlich verloren. „Wo bin ich hier? Und wo ist dieser Balian?“ „Keine Sorge, hier bei uns bist du in Sicherheit. Ich weiß nicht, ob Balian es dir schon erzählt hat, aber wir sind eine Art magische Vereinigung zum Schutz der Einhörner. Und du scheinst ja hochinteressant zu sein. Hast du irgendeine besondere Verbindung zu den Einhörnern?“ Kisara schüttelte entschieden den Kopf. „Nein! Überhaupt nicht! Ich...“ Kisara verstummte. Es wollte immer noch nicht in ihren Kopf rein, dass es so etwas wie Einhörner überhaupt gab. Sie seufzte. Die Frau lächelte sie liebenswürdig an. „Du brauchst wirklich keine Angst zu haben, was es auch immer mit dir auf sich hat, diese Typen werden dich nicht in die Hände bekommen. Magst du was frühstücken? Mein Name ist übrigens Arianne.“ Sie streckte Kisara ihre Hand hin. Kisara erwiderte den Händedruck ein wenig zögernd, aber dankbar. „Mein Name ist Kisara.“
 

Arianne führte sie in einen großen Raum mit einem langen Tisch. „Du musst wissen, wir befinden uns im Hauptquartier unserer Vereinigung. Und das hier ist unser Versammlungsraum. Hier kann man aber auch frühstücken. Tu ich auch. Ich hab dir dahinten was fertig gemacht. Ich werde jetzt unseren Chef holen, der will dich gerne auch mal kennenlernen. Ok?“ Kisara nickte zögerlich. Arianne war eine sehr liebe, offene und fröhliche Person. Aber wahrscheinlich war sie auch eine Magierin oder so was Ähnliches. Kisara beschloss, sich lieber ihrem Frühstück zuzuwenden, als weiter darüber nachzudenken. „Oh, Chico, du hast bestimmt auch Hunger. Komm her, ich geb dir was ab.“

Erschrocken fiel Kisaras Blick plötzlich auf die Tür. Dort stand Balian, der ein paar unverständliche Worte murmelte; aus seiner leicht ausgestreckten Hand stoben kaum sichtbare Funken. Vor Chicos Nase erschien wie aus dem Nichts ein Teller mit einem fetten, saftigen Steak. Mit großen Augen starrte Kisara ungläubig auf das Stück Fleisch, über das Chico sich nun gierig hermachte.

„ Chico... nicht doch... das kann man doch bestimmt gar nicht essen!“ Balian zog eine Augenbraue hoch und kam näher. „Keine Sorge. Es ist ein ganz normales Stück Fleisch. Ich hab’s aus der Küche hergeschafft. Guten Morgen übrigens. Geht’s dir besser?“ Schmollend blitzte Kisara ihn an, dann blickte sie stur zur Seite und aß ihr Frühstück weiter. „Wie hast du das gemacht?“ „Es ist Magie, schon vergessen?“ Kisara ging nicht darauf ein. „Bist du... hier etwa der... Chef oder so?“ „Nein.“ Balian grinste amüsiert. „Ich bin Magielehrling, weißt du nicht mehr?“ Kisara seufzte. Wenn das so weiterging, würde sie noch durchdrehen.
 

Balian musterte das Mädchen aufmerksam von oben bis unten. Die Gestalt aus ihrem Traum... die seltsame junge Frau... konnte es möglich sein, dass sie es war? Andererseits... das Mädchen in seiner Vision hatte weißes Haar gehabt und ihre Augen waren blauviolett gewesen – Kisara hatte zwar ebenso helle Haut wie diese und ihre Haare waren ebenfalls sehr hell, aber nicht farblos, sondern weißblond... und ihre Augen waren ganz normal blau. Sie war wirklich ungewöhnlich hübsch, wie Balian anerkennend feststellen musste, aber sie schien nicht jenes Mädchen zu sein... obwohl sie sich sehr ähnlich sahen. Es war wie ein Einhorn in Menschengestalt gewesen. Eigentlich war es absurd genug, dass Kisara überhaupt etwas mit den Fabelwesen zu tun haben konnte, so ungläubig wie sie war. Und uneinsichtig. Doch irgendetwas war mit ihr. Irgendein Geheimnis umgab Kisara. Fast gegen seinen Willen verwandelte sich Balians Neugier in Faszination für sie.
 

Ein schriller Schrei riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Stück neben ihm war wie aus dem Nichts ein Mann aufgetaucht, was Kisaras Realistenverstand mal wieder total überforderte.

„Guten Morgen, Henry, schön Euch zu sehen“, begrüßte Balian ihn freundlich. Als Antwort kam ein anerkennendes Nicken. „Guten Morgen, junger Balian, wie ich sehe, bist du wohlauf. Das freut mich.“

Kisara starrte den Mann mit weit aufgerissenen Augen an. Wo kam der denn bitte her? Erneut bekam sie Kopfschmerzen. Doch nun wandte sich der Fremde an sie.

„So... du bist also die geheimnisvolle Lady, die von Mary angegriffen worden ist? Wenn ich mich vorstellen darf: Ich bin Henry, der Anführer derjenigen, die die Einhörner beschützen. Und dein Name ist?“ „I-Ich heiße Kisara.“ Henry ging zu ihr, hob ihr Kinn an und musterte sie eingehend. Kisara wollte erst protestieren, aber dafür war ihr der Mann zu sympathisch. Er war schätzungsweise mittleren Alters und hatte eine beeindrucke Ausstrahlung. „Sag, woher stammst du, Lady Kisara?“ „Nun ja... ich schätze, das Dorf, aus welchem ich stamme, ist ziemlich weit weg von hier. Ich wurde von Banditen geschnappt, und nachdem ich ihnen entkommen bin, fand ich mich in einer Gegend wieder, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Dort, wo ich herkomme, ist alles völlig verschneit, hier hingegen liegt dagegen kaum Schnee, und der Winter scheint fast schon wieder vorbei zu sein, es ist viel wärmer...-“ Sie verstummte, weil ihr wieder klar wurde, wie schrecklich weit weg sie von zu Hause sein musste.

Henry sah die Traurigkeit in den Augen des jungen Mädchens und verspürte Mitgefühl. Offensichtlich war sie völlig unschuldig und unwissend. Wie war sie nur in diese Sache hineingeraten? Was war sie?

„Anscheinend gibt es da ein großes Geheimnis, das wir erst einmal lüften müssen...“

Kisara wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. „H-Hören Sie... ich weiß nicht, was hier vorgeht, und ich habe nichts mit irgendwelchen komischen Märchenwesen zu tun... das ist doch alles völliger Quatsch! Ich möchte einfach nur nach Hause, verdammt noch mal!!“ Sie fing heftig an zu schluchzen, ohne dass sie ihre Tränen noch zurückhalten konnte. Ergeben legte sie ihren Kopf auf die Tischplatte, barg ihn in ihren Händen und weinte hemmungslos. Chico fiepte mitfühlend. Ein wenig hilflos blickte Henry zu Balian. Dieser schüttelte ratlos den Kopf. Henry konnte ihr Weinen nicht sehr lange mit ansehen. Er ging zu ihr hin, hockte sich neben ihren Stuhl und sagte leise: „Nun beruhige dich doch, meine Liebe. Auch wenn es schwer für dich ist, du musst versuchen durchzuhalten, hörst du? Wir passen auf dich auf. Und wir bringen dich wieder nach Hause, wenn es sicher für dich ist-“ „A-Aber ich will jetzt nach Hause!! Ich...“ Sie schüttelte sich heftig, stand auf und rannte aus dem Zimmer. Henry sah ihr besorgt nach, doch plötzlich fesselte etwas anderes seine Aufmerksamkeit. Erschrocken wandte er sich um.

Balian war auf die Knie gesunken. Seine Augen waren mit einem Mal leer, sein Gesicht merkwürdig ausdruckslos. Der ältere Magier wusste, was dies zu bedeuten hatte. Auch wenn es wirkte, als würde der Junge ins Nichts starren, so konnte er doch gerade Dinge sehen, die anderen Augen verschlossen blieben: Er hatte eine Vision.

Einige Sekunden später war es vorbei. Balians braune Augen füllten sich wieder mit Leben, benommen fiel er nach vorne und schaffte es gerade noch, sich mit den Händen am Boden abzustützen. Keuchend brachte er hervor: „Schon wieder...“ Derselbe Traum, der ihn schon in der Nacht heimgesucht hatte, war ein weiteres Mal gekommen. Was hatte das zu bedeuten?

„Balian, geht es wieder? Was hast du gesehen?“ „Etwas, das ich nicht verstehe, Henry... ich werde es Euch bei Gelegenheit erzählen“, murmelte er und kam wackelig auf die Füße. „Verdammt, wie ich das hasse... dass diese Visionen immer so an meiner Kraft zerren müssen...“ Keuchend ließ er sich auf den Stuhl sinken, den Kisara soeben verlassen hatte.

„Kein Wunder... die Gabe zu Sehen ist ein sehr mächtiges Stück uralter Magie“, erwiderte Henry wissend und betrachtete den Zauberlehrling nachdenklich. Balian atmete einmal tief durch und fragte Henry: „Was sagt Ihr zu dem Mädchen?“ Henry seufzte. „Das ist eine gute Frage. So etwas habe ich noch nie erlebt... ich verstehe nicht, was Mary von ihr will... sie ist ein Mädchen, ein ganz normales Menschenmädchen. Und sie scheint Magie für Humbug zu halten, oder wie sehe ich das?“ Balian nickte und musste unwillkürlich lächeln. „Sie ist sehr... kompliziert... wie eine kleine Erwachsene. Sie lässt nichts an sich heran, was hier geschieht und denkt so logisch, dass es unlogisch ist.“ „Hm... wie auch immer, auf jeden Fall ist sie in Gefahr. Die Einhornjäger bedrohen sie und das macht sie automatisch zu unserer Schutzbefohlenen. Warum auch immer sie sie für ein Einhorn halten, es ist, wie es ist. Balian, mein Junge, passe bitte gut auf das kleine Fräulein auf.“ Balian stutzte. „Ich?“ „Ja. Du hast sie vor Mary gerettet, sie ist bei dir in guten Händen. Und du siehst es ja: Hier ist beinahe alles ausgeflogen. Die anderen sind alle auf Mission und bekämpfen diese verfluchten Verbrecher... Arianne wird heute ebenfalls aufbrechen. Und ich muss hier alles organisieren und zusammenhalten.“ „Also gut.“ Der junge Magier dachte daran, wie schwierig Kisara war, doch das änderte schließlich nichts daran, dass sie auf Schutz angewiesen war. Auch wenn ihr Unglauben so langsam nervig wurde, tat ihm das schöne, unglückliche Mädchen trotzdem Leid. Selbstverständlich würde er sie beschützen.

„Na du? Wollen wir mal zu deinem Frauchen gehen?“, sagte er an den kleinen Hund gewandt, der ihn neugierig anschaute. „Sie ist traurig. Möchtest du sie nicht trösten? Chico?“ Chico begann, aufgeregt zu bellen, dann folgte er Balian ohne Umschweife aus dem Raum. „Henry? Ich gehe.“ Henry neigte den Kopf und lächelte, dann löste er sich in Luft auf und war verschwunden.



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