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Mit Zähnen und Klauen

Die Geschichte eines asmodischen Daevas
von

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Kranke Erde und tote Freunde

Als Danvan durch das Portal trat und das erste Mal seit drei Jahren die kühle Luft Brusthonins atmete, hatte er zu kämpfen, dass ihm nicht die Tränen in die Augen stiegen. Dies war also aus dem Land seiner Geburt geworden. Beide hatten sie sich verändert, das Land und auch er selbst. Er hatte es als von Trauer überwältigter Flüchtling, als verängstigter junger Unsterblicher verlassen und kehrte nun als selbstbewusster, selbstsicherer Daeva zurück, der genau wusste, wieviel er sich selbst und anderen zumuten konnte. Nun ja, vielleicht nicht ganz so selbstbewusst, dachte er, als er die Tränen wegblinzelte. Trotzdem, er war sehr viel entschlossener als damals.

Aber dennoch, dachte er dann, heilen alte Wunden nicht so schnell, als dass nicht noch alter Schmerz bleiben würde. Er sah sich um. Er war in das Siedlerlager im Süden geschickt worden, nahe der Küste. Die kalte Seeluft zerrte an seinem Haar und seinen Kleidern, trug den frischen Geruch nach Salz und Wasser mit sich, durchsetzt mit dem Moder von verrottendem Holz und Fisch. Alles in allem ein angenehmer Geruch, der ihn nicht abstieß, sondern im Gegensatz dazu einlud, mehr von dem rauhen Land kennenzulernen. Kein Vergleich mit dem ländlichen Idyll Altgards oder der Vielfalt Morheims – oder der städtischen Betriebsamkeit Pandämoniums, von der er zugegebenermaßen noch wenig kannte.

Er setzte sich in Bewegung, sprach mit den Bewohnern des Lagers. Viele sagten ihm, hier sei der letzte sichere Fleck Erde bis Baltasar. Besorgt sah Danvan in Richtung Landesinnere und schluckte. Sein Dorf lag weit im Gebirge, aber zwischen hier und Baltasar. Angst um seine Freunde und Bekannten regte sich in ihm, die er aber rasch niederkämpfte. Jetzt konnte er endlich zurückkehren an den Ort seiner Geburt – und er wollte nicht mehr länger warten. Endlich war sein Vorhaben bewilligt worden und er hatte die Eisfestung verlassen dürfen. Er mochte Morheim, das Land war so vielschichtig wie seine Bewohner, verfügte über eisige Höhenzüge, trockene Wüsten, mysteriöse Waldgebiete, weitläufige Steppen und feurige Vulkangebirge. Doch es war kein Vergleich mit Brusthonin, das er aus tiefstem Herzen liebte. Er machte sich auf den Weg.
 

Doch gleich als er das Lager verlassen hatte und das Meer hinter einigen Hügeln verschwunden war, schlich sich leiser Schrecken in seine Gedanken. In der Luft hingen der Geruch von Fäulnis und Verfall, noch schlimmer als damals, als er nach Baltasar geflogen war, um um Hilfe zu bitten.

Raschen Schrittes betrat er die Ebenen, die sich an die Küstenregion anschlossen – und erschrak jetzt wirklich, als er sah, was aus dem einstigen Paradies Asmodaes geworden war.

Vor ihm breiteten sich weite Felder aus, die früher sicher bewirtschaftet gewesen waren. Doch nun beheimateten sie Geschöpfe, die kein Landwirt je auf seinem Land sehen wollte. Riesenhafte Sylphen schwirrten vorbei an gigantischen Tausendfüßlern und eilig herumhastenden Schnüfflern. Danvan sah die Ruinen von Häusern, durch die der Wind wie eine gepeinigte Seele heulte und erschauerte. Was war hier nur geschehen, dass alles so verfallen war?

Als er probehalber eines der Felder betrat, spürte er schon unter seinen Fußsohlen, wie sehr die Erde sich quälte. Der Fäulnisgeruch wurde immer stärker, je weiter er sich vom Meer entfernte. Seltsame Schlieren trieben in der Luft vor ihm, ließen Danvan vorsichtig innehalten und die Luft prüfend einzusaugen. Hustend wandte er sich ab. Giftige Dämpfe! Er machte einen großen Bogen um die Gasansammlungen, kniete schließlich nieder und ließ eine Handvoll Erde durch seine Krallen rinnen. Er als ehemaliger Landwirt erkannte natürlich, wie Erde beschaffen sein musste, damit in ihr etwas wachsen würde – doch was er sah, konnte er nur noch als Dreck bezeichnen. War die Krume früher satt und voller Nährstoffe gewesen, jetzt wirkte sie geschwächt, verseucht von seltsamen Stoffen, die Danvan an verrottende Pflanzen erinnerten.

Er schüttelte den Kopf. Was war hier passiert? Wie hatte sich ein so blühendes Land binnen so kurzer Zeit so wandeln können? Er wusste, in der Natur geschah in der Regel nichts schnell, alles war eher einem langsamen, sorgsamen Wandel unterlaufen, der alles umfasste, sodass nichts alt und überholt blieb. Doch hier zeigten sich Anzeichen sowohl von Überdüngung, Vergiftungen, als auch etwas anderem, für das Danvan keinen Namen hatte. Es war... wie als hätte irgendetwas seinen fauligen Atem über das Land gehaucht, und als hätte sich dieser hier festgesetzt.

Langsam erhob er sich, klopfte sich gewissenhaft die Kleider ab. Wer wusste, wie viel Gift hier tatsächlich im Boden steckte? Und wenn, ob es nicht auch für Daeva gefährlich werden konnte? Es war besser, kein Risiko einzugehen.

Allein dieser Gedanke an Sicherheitsvorkehrungen weckte das Bedürfnis, schnell in sein Dorf zurückzukehren, erinnerte er ihn doch schmerzhaft stark an Albin, seinen jüngeren Bruder, der zurückgeblieben war, um weiterhin das Land zu bebauen. Das Land, das sich gegen sie wandte.

Er schalt sich einen Narren, um sich zu beruhigen. Albin war immer der Vernünftigere von ihnen beiden gewesen, ihm ging es sicher gut. Doch die Stimme in seinem Hinterkopf schwieg nicht, wie er es beabsichtigt hatte. Stattdessen wurde ihm wieder klar, weshalb er seine Rückkehr nach Brusthonin plötzlich so eilig vorangetrieben hatte: Vor einigen Tagen war er am Morgen aufgewacht, mit Albins Namen auf den Lippen und kaltem Schweiß auf der Haut. Das bohrende Gefühl des Verlustes – zwar nur ein blasser Schatten dessen, was er bei Milanas und Meganas Tod empfunden hatte, aber dennoch zu stark, um ihn zu ignorieren – hatte ihn den ganzen Tag nicht mehr losgelassen, sodass er sich schließlich an die Beamten in Pandämonium gewandt hatte. Er hatte darum gebeten, das verfaulende Paradies besuchen zu dürfen, um sich selbst ein Bild der Situation machen zu können. Und endlich, endlich war es ihm gewährt worden, zurückzukehren.

Danvan sah sich um. Fäulnis so weit das Auge reichte. Er beschloss, das Gebiet so rasch zu durchqueren, wie es ihm möglich war. Giftöde, so hatten es die Siedler genannt. Der Name passte, fand der großgewachsene Daeva. Einst war dieser Landstrich „Südebenen“ genannt worden und war ein wunderbares Gebiet für Krimeraanbau gewesen. Auch die wunderschön blühenden Kräuter namens Theonia waren hier gewachsen, doch davon war nichts mehr zu sehen.

Plötzlich nahm er eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr und ließ sich fallen. Gerade noch rechtzeitig, denn wo er einen Sekundenbruchteil zuvor noch gestanden hatte, zischten rasiermesserscharfe Blätter durch die Luft und ein unmenschliches Zischen war zu hören. Danvan keuchte und riss seine Schwerter aus den Scheiden am Rücken, blockte den zweiten Angriff des... nun ja... Schreckmaises! Jawohl, Schreckmais, stellte er fest. Das Gewächs war für gewöhnlich eine ganz normale Pflanze, die ab und an von lebendigen Pflanzengeistern bewohnt wurde. Dann nannte man den sonst ganz normalen Mais Schreckmais. Die Pflanzen waren in der Regel friedlich, nur zur Erntezeit konnte es geringfügig Schwierigkeiten geben – doch dieser Mais war alles andere als harmlos!

Danvan tauchte unter einem erneuten Hieb hindurch und schlug selbst zu, trennte das Blatt knapp über dem Stängel ab. Der Mais zischte und wich auf seinen drei unterschiedlich langen Beinen zurück, krümmte sich. Mit einem schrillen Schrei warf es sich nach vorne, wollte Danvan den obersten Kolben ins Gesicht rammen, was der Daeva jedoch durch eine elegante Drehung seines Oberkörpers verhinderte, den Angriff unterlief und konterte. Das Schwert seiner Linken schnitt ein zweites Blatt vom Stängel, das der Rechten trennte den obersten Kolben vom Rumpf des Maises. Die beiden verbliebenen Kolben kreischten und die ganze Pflanze taumelte zurück, hatte plötzlich Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Danvan fletschte die Zähne, grub die Krallen in den Boden und stieß sich ab. Einer Kanonenkugel gleich schoss er auf den angeschlagenen Mais zu, warf beide Schwerter überkreuz nach vorne und riss sie auseinander – und teilte seinen unmenschlichen Gegner in der Mitte auseinander, wobei die Klinge der rechten Hand den untersten Kolben ebenfalls halbierte. Die Pflanze brach ohne einen Laut auf dem schlammigen Boden zusammen.

Der großgewachsene Mann richtete sich auf und sah auf seinen besiegten Gegner hinab, schüttelte den Kopf. „Was in Aions Namen ist hier passiert?“, murmelte er leise und schob die Schwerter in ihre Scheiden zurück, kniete nieder, um sich den Schreckmais näher zu besehen. Anders als der Mais, den er kannte, war dieser hier bereits halb verdorrt, faulte sogar an manchen Stellen. Diese Pflanze hätte kein Geist jemals besetzt, jedenfalls nicht freiwillig. Und er hatte sich garantiert nicht so verhalten, wie Danvan es gewohnt war. Sicher, Schreckmais war keine Pflanze, an die er guten Gewissens Kinder herangelassen hätte, aber so mörderischen Mais hatte er noch nie gesehen, nicht einmal während der Erntezeit!

Er richtete sich auf, schüttelte sich angewidert. Was immer Brusthonin überfallen hatte, es hatte sich tiefer ins Herz des Landes hineingefressen, als Danvan bisher angenommen hatte. Es hatte sogar die Naturgeister verändert. Er hoffte nur, dass sich dies nicht über das ganze Land erstreckte. Wahrlich, er musste zusehen, dass er in sein Dorf zurückkehrte! Er setzte sich erneut in Bewegung.

Er schlug ein lockeres Lauftempo an. Wenn er in dieser Geschwindigkeit weiterrannte, würde er es bis zum Abend geschafft haben, das Gebirge zu erreichen, vielleicht sogar den ersten Aufstieg hinter sich bringen können. Danvan war sich des vertrauten Gewichts seiner Schwerter bewusst, die auf seinen Rücken geschnallt waren, ebenso des Bogens und der Dolche. Ihm wurde erneut klar, wie sehr er sich verändert hatte, seit er vom Dorf aufgebrochen war. Früher war er zögerlich gewesen, leicht zu ängstigen und aus der Bahn zu werfen. Doch eines hatte er nicht vergessen: wie seine Familie umgekommen war. Er würde nie wieder derselbe sein, aber er würde auch nicht gelähmt vor Trauer zurückkehren.

Seine langen Beine fraßen die Distanz binnen Stunden. Und überall sah er dasselbe: Verfall, Gift und Fäulnis. Die Giftöde machte ihrem Namen alle Ehre. Danvan beeilte sich, um sie zu durchqueren, wollte er doch nicht länger hier verweilen, als unbedingt notwendig.

Dann sah er nur noch einen verwischten orangeroten Schatten von rechts auf ihn zuschießen, wollte ausweichen und wurde in den Dreck geschleudert, als es ihm nicht mehr ganz gelang, sich aus der Bahn des Objektes – oder besser Tieres – zu drehen. Sich überschlagend kam er schließlich zum Halten, nur um Sekundenbruchteile später erneut beide Schwerter hervorzureißen. Die Hauer des Kures krachten gegen die gekreuzten Klingen und trieben Danvan zurück. Der Daeva biss die Zähne ob des Schmerzes in seiner Brust zusammen und knurrte, stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das Tier. Doch er hatte die Rechnung ohne die überwältigende Kraft eines zornigen Kures gemacht. Bisher hatte er sich nur mit zahmen Tieren befasst, doch dieses Exemplar war keines seiner Haustiere! Das Geschöpf schnaubte, nahm den Kopf ruckartig zurück, sodass Danvan in die Leere taumelte, sich gerade noch fangen konnte. Mit einem ohrenbetäubenden Brüllen attackierte das Kures erneut, und diesmal traf es den Daeva, der aufstöhnend erneut zu Boden ging, und diesmal vollständig. Den wirbelnden Hufen konnte er nur entgehen, indem er sich rasch zur Seite rollte. Das Tier trampelte an ihm vorbei, schnaufte schwer. Danvan besah sich im Aufstehen das Kures. Die roten Augen waren entzündet, schienen zu eitern, ebenso wie zahlreiche Wunden an Beinen und Rücken. Dieses Tier war krank! Der Schmerz musste es in den Wahnsinn treiben, weshalb es gar so aggressiv reagierte.

Wieder stürmte es heran, doch diesmal war Danvan vorbereitet und schaffte es, der Attacke auszuweichen und noch aus der Drehung heraus einen Schlag anzusetzen, der dem Tier einen langen Schnitt quer über die ganze Seite zufügte. Das Kures warf den Kopf herum und machte einen Schritt auf den Daeva zu, der dem zweiten Angriff nur durch einen raschen Rückwärtssprung entgehen konnte. Ohne weiter nachzudenken stach er zu. Beide Schwerter trafen ihr Ziel: das der Linken fuhr dem wahnsinnigen Geschöpf tief ins rechte Auge, während das der Rechten in die Brust des Kures fuhr und es wahrscheinlich bis ins Herz traf. Jedenfalls erstarrte das Tier, ehe es dann in die Knie brach und schließlich ganz zu Boden stürzte.

Danvan ächzte und reinigte rasch seine Waffen, schob sie zurück in ihre Scheiden, ehe er vorsichtig sein Lederhemd auszog. Seine Brust hatte sich, wo die Hauer und die Schulter des Kures ihn getroffen hatten, dunkel verfärbt. Er holte gequält Luft, tastete seine Rippen ab. Glücklicherweise schien nichts gebrochen zu sein, doch der Schmerz beim Atmen war trotzdem grausam. Er tastete in seinem Beutel nach einer Heilsalbe, die zumindest die Schmerzen lindern würde und strich sich die blassgraue Paste auf die gerötete Haut. Seine Krallen strichen, obwohl er sich bemühte, eine ruhige Hand zu bewahren, zittrig über die Blutergüsse. Das Kures hatte ihn schlimmer erwischt, als es zunächst den Anschein gehabt hatte.

Er beschloss, ein wenig langsamer, dafür aber vorsichtiger zu reisen. Beim nächsten Mal mochte es nicht so glimpflich ausgehen. Sanft zog er das Hemd wieder über seinen Kopf, rückte es mit bebenden Händen zurecht. Als er aufstand, spürte er, wie die betäubende Wirkung der Salbe langsam einsetzte. Danvan atmete etwas tiefer und spürte sogleich wieder das Brennen der Verletzung, setzte sich aber dennoch in Bewegung. Er konnte hier nicht bleiben. Wo ein Kures war, konnten ebenso gut mehrere sein, die ihn attackieren wollten. Erneut fragte er sich, weshalb das Tier – eigentlich ein Pflanzenfresser – ihn angegriffen hatte. Zugegeben, die Wunden an seinem Körper hatten nicht gut ausgesehen, aber einen solchen Wahnsinn konnten sie eigentlich nicht hervorrufen. Wahrlich, es wurde Zeit, dass er das Dorf erreichte und nach dem Rechten sehen, sowie Informationen einholen konnte!

Er hastete durch die Landschaft, die sich langsam von einer bewirtschafteten Ebene – oder besser deren Echo – in steinige Gebirgshänge wandelte. Die Hügel waren nicht mehr sanft geschwungen, sondern mittlerweile waren es Berghänge, mit teils scharfkantigen Brocken, die aus der zurückweichenden Erde ragten. Noch war Danvan nicht am Ziel, aber es sah schon eher so aus wie die Landschaft, in der er aufgewachsen war. Der Boden federte weniger, doch die Fäulnis war auch hier deutlich zu sehen. Zwar hing nicht mehr der typische Verwesungsgeruch in der Luft, der die Giftöde erfüllt hatte, aber die Luft roch auch nicht so sauber, wie er es gewohnt war. Seine Krallen bewahrten ihn davor, auf dem unsicheren Grund auszurutschen – dies war das Territorium der Wildnis, in der es keine befestigten Wege mehr gab. Danvan wusste dennoch ziemlich genau, wo er war. Hier gab es kaum mehr Siedlungen, der Boden gab einfach nicht genug her, um eine größere Anzahl an Menschen ernähren zu können. Zudem war es immer gefährlich, hier zu leben. Bei gutem Wetter mochte es sein, dass man den Geschöpfen der Berge über den Weg lief, die in allem, worin Blut floss, eine mehr oder minder lohnende Mahlzeit sahen; bei schlechtem Wetter hingegen hatte man den Berg an sich als Gegner, und den Himmel noch dazu.

Mit einem kraftvollen Sprung erklomm er einen knapp hüfthohen Felsen, auf dem spärliches Gras wuchs, hielt inne, sah sich nachdenklich um. Heute würde er es nicht mehr schaffen, sagte ihm ein Blick auf die Landmarken, an denen er sich orientierte. Dazu war der Weg zu weit, und bei Dunkelheit war es hier zu gefährlich. Er mochte eine Felsspalte übersehen und sich den Fuß brechen, oder stürzen... nein, er musste sehen, wo er hinging. Schon allein deshalb, weil er immer wieder sehen musste, wo er sich befand. Und Bergspitzen oder Gipfelformationen sah man eben nur, solange man Licht hatte, um sehen zu können. Er würde weiterklettern und laufen, bis es zu dunkel war, um eben diese sicher erkennen zu können. Danvan schätzte, dass ihm noch drei, vielleicht vier Stunden blieben, bis er sich einen Lagerplatz würde suchen müssen. Er grinste, dann lief er weiter. Wenn er Zeit hatte, hier herumzustehen, wäre er in drei Tagen noch nicht am Ziel. Also weiter, zumindest so lange, wie die Lichtverhältnisse es erlaubten!
 

Die Sonne war bereits seit Längerem hinter den Gipfeln der Berge verschwunden, und nun verabschiedete sich auch noch das letzte Licht. Danvan sah sich um. Es gab hier keine Höhlen oder geschützte Überhänge, in deren Schatten er hätte schlafen können. Der großgewachsene Mann seufzte und fuhr sich durch die Haare. Eigentlich hatte er keine große Lust, die Nacht draußen ohne Schutz zu verbringen. Zwar würde er nicht krank werden wie normale Menschen, aber ein auch ein Daeva zog eben die Annehmlichkeiten eines geschützten Nachtlagers einem Schlafplatz unter freiem Himmel vor. Dann entdeckte er eine Gruppe sich aneinander drängende Büsche nahe eines großen Felsens. Danvan seufzte. Etwas besseres würde er wohl nicht mehr finden. Langsam ging er zu den Pflanzen hinüber. Keine von ihnen wies Stacheln oder Dornen auf, ein dicker Pluspunkt. Er ging in die Knie, um sie aus der Nähe zu betrachten. Ja, das konnte funktionieren. Er kroch zwischen Felsen und Büsche. Zwar kein komfortables Hotelzimmer, aber zumindest ein Ort, der ihn vor dem schlimmsten Wind und der beißendsten Kälte schützen würde. Zumindest hatte er genug Platz, damit er sich umdrehen konnte – was keineswegs garantiert war, denn Danvan war ziemlich breitschultrig, selbst für einen Farmer. Er zog seinen Wintermantel aus seiner Tasche, drapierte ihn über Äste und Felsnasen, bis er eine Art kleines Schutzzelt über ihm bildete. Kritisch beäugte er anschließend sein Werk. Wenn er jetzt noch die Tasche vor den Eingang stellte, müsste es gehen. Danvan nahm das kleine Lederpolster, das er aus unerfindlichen Gründen noch immer bei sich trug – er hatte es in seiner Schulzeit dazu benutzt, zu weite Rüstung auszustopfen – aus der Tasche und legte es vorsorglich neben sich. Dann verstopfte er mit seinem Gepäck den Eingang und fand sich plötzlich in einer einigermaßen gemütlichen kleinen Höhle wieder. Er lächelte. So würde er zumindest erträglich durch die Nacht kommen. Gähnend legte er sich schließlich zur Nachtruhe nieder, den Kopf auf dem Lederpolster abgelegt und die Schwerter griffbereit neben sich. Danvan machte sich keine Illusionen, falls er gezwungen war zu kämpfen, hatte er hier drin niemals genug Platz, um die Waffen auch nur zu ziehen. Doch er fühlte sich einfach sicherer, wenn er seine ständigen Begleiter bei sich hatte. Er konnte immer noch... müde zog er den Dolch aus seiner Stiefelscheide und legte ihn neben die Schwerter. Er grinste. Alte Gewohnheiten starben eben langsam. Er dachte daran, was seine Lehrer im Pandämonium dazu gesagt hatten, dass er Messer in seinen Stiefeln versteckt hatte. Keiner von ihnen hatte das besonders überzeugend oder ehrenhaft gefunden. Danvan seufzte. Als ob Assassinen ehrenhaft töten würden. Gift und scheinbar aus dem Nichts kommende Attacken waren ihr Metier. Seine Dolche hatten ihn mehr als einmal im Kampf gegen seine Klassenkameraden weitergebracht, wenn man ihm die Schwerter aus den Händen gewunden oder ihm die Pfeile ausgegangen waren. Kaum jemand benützte eine zweite Waffengattung außer Schützen, denen die Munition abhanden gekommen war. Dass Kämpfer wie er neben Bogen und Schwertern auch noch mit Dolchen bewaffnet sein sollten, erschien vielen wie eine Verschwendung von Kraft und Material. Doch Danvan wusste es besser. Es gab immer Situationen, in denen die eine oder andere Waffe nutzlos war. Und hier in der Enge zwischen Fels und Gebüsch war es nur logisch, eine kürzere Klinge zu wählen. Er schloss die Augen. Mochte kommen, was da wollte, er war jedenfalls zu müde, um sich noch weiter mit strategischen Überlegungen abzugeben. Als er sich zusammenrollte in seiner kleinen Höhle, fühlte er sich das erste Mal wie damals, bevor das schreckliche Unglück über ihn hereingebrochen war. Selbstsicher und frei, das zu tun, was immer er wollte.
 

Am nächsten Morgen erwachte er, entgegen aller Erwartungen, erfrischt und fröhlich. Ebenfalls unerwarteterweise war er des Nachts nicht angegriffen worden, offenbar schreckte er Kreaturen eher ab, als ihre Neugier zu wecken.Danvan sammelte seine Habseligkeiten ein und mühte sich aus den Büschen, um draußen alles zu verpacken. Er sah sich um, während er seinen Mantel zusammenfaltete. Brusthonin präsentierte sich von seiner abweisenden Seite, aber es ging noch schlimmer. Kalter Wind heulte über die kargen Hänge, die Luft roch nach Feuchtigkeit und nur noch ganz leicht nach der üblichen Fäulnis. Der Boden unter Danvans Füßen fühlte sich klamm und solide an. Der Asmodier atmete tief ein. Er würde heute den letzten Rest des Weges hinter sich bringen. Dann würde er wissen, was mit seinem Dorf passiert war, solange er fort gewesen war.

Kurz durchzuckte ihn der Schmerz, als er daran dachte, dass er die Gräber seiner Familie würde besuchen können. Doch es waren alte Wunden, nicht verheilt, aber gut verbunden. Es war nicht mehr die seelenzerreißende Pein wie damals, als er fortgegangen war, viel mehr ein dumpfes Grollen von Schmerz tief in seinem Herzen. Nichts, womit er nicht würde fertig werden können. Außerdem... würden ihn seine Freunde und die anderen Verwandten erwarten, dessen war sich Danvan sicher. Sie wiederzusehen würde ihm gut tun.

Dann schalt er sich einen Narren. Wenn er auf ewig hier herumstand, würde er nie ankommen. Entschlossen stopfte er die letzte Ecke des Mantels in seine Tasche, fuhr sichernd über die Dolche in seinen Stiefelscheiden, überprüfte, ob sie auch wirklich fest saßen und nicht herausrutschen konnten. Er begann erneut zu laufen, in jenem Trab, den er auch bergauf lange durchhalten konnte. Die letzte Etappe seiner Reise hatte begonnen.
 

Zweieinhalb Stunden später erreichte er den Hang, der ihm so vertraut war. Wenn er dem gewundenen Pfad bergab folgte, würde er das Dorf erreichen, das sich in das schmale Tal schmiegte. Folgte man dem Tal und erklomm einen weiteren Pass über einen Berg, erreichte man die Ebenen, an deren anderen Ende Baltasar lag, jenes Dorf, in das Danvan geschickt worden war.

Der Rückkehrer sah den steinigen, ihm so vertrauten Weg entlang nach unten. Entgegen seines ersten Impulses, die Schwingen auszubreiten und auf schwarzen Federn hinab in die Siedlung zu gleiten, entschloss er sich doch dazu, auf konventionellem Weg zurückzukehren. Er marschierte hinab.

Als er die ersten Häuser erreichte, stellte er verwundert fest, dass sich nichts rührte. Danvan runzelte die Stirn, ging jedoch weiter. Ihm fiel die Stille im Dorf auf. Für gewöhnlich hörte man immer irgendetwas in einem bevölkerten Dorf, seien es johlende Kinder, rufende Mütter, brüllendes Vieh, das Schlagen von Werkzeug, das Gelächter von Männern... aber hier war gar nichts zu hören. Nur der Wind, der durch die Straßen heulte.

Dann, in der Mitte des Dorfes, blieb Danvan zögernd stehen, sah sich um. Niemand war hier. Er lauschte, doch ohne großen Erfolg. Bis er plötzlich Schritte hinter sich hörte. Er drehte sich um - und erstarrte. "Nein..." Vor ihm stand einer seiner Bekannten - natürlich. Doch Dessraun erkannte ihn nicht mehr. Konnte ihn gar nicht mehr erkennen, denn sein Schädel wies eine unnatürlich tiefe Delle an der Seite auf. Der Mann war längst tot. "D...ah...", ächzte er und streckte die Arme nach ihm aus. Danvan wich zurück. "Nein, fort von mir!" Der Untote stöhnte grauenhaft und machte einen Schritt nach vorne, auf den Asmodier zu, der entsetzt noch weiter zurückwich. Eiskalte Arme legten sich um seine Schultern. Die klamme Aura des Todes umspülte Danvan, als sich Hände, von denen verwesendes Fleisch herabhing, um seinen Hals legten. Mit einem entsetzten Aufschrei brach er zur Seite aus, riss sich los und zog noch in der Bewegung beide Schwerter. "Gorman!", keuchte er und starrte auf das Grinsen, das sich in Gormans Gesicht gegraben hatte, als die Haut um seinen Mund herum verwest und langsam abgefallen war.

Erneut griffen Hände nach ihm, packten ihn, zerrten ihn mit sich. Danvan war zu überrascht, um sich zu wehren. Erst, als sich die Tür des nächstbesten Hauses hinter ihnen schloss, drehte er sich um. Veria, Milanas Schwester, lächelte ihn an. Danvan jedoch schrie. Die schlanke Frau legte ihre schlangengleichen Arme um ihn, drückte ihn an sich - und grub ihre Krallen tief in den Rücken des großen Mannes. Veria zog ihn mit erstaunlicher Kraft zu sich herab, wollte ihre Lippen auf die Seinen pressen, doch Danvan schaffte es gerade noch, dem Kuss auszuweichen. Er wand sich, schaffte es schließlich, sich mit purer Kraft aus der klammernden Umarmung zu befreien, fauchte und riss die Schwerter hoch. Die Frau streckte die blutigen Krallen nach ihm aus, gab ein herzzerreißendes Heulen von sich und wollte ihn erneut an sich ziehen, doch diesmal war der großgewachsene Mann vorbereitet. Schnell, schneller als ein ungeübtes Auge ihm hätte folgen können, beschrieb sein Schwert einen Halbkreis, trennte Verias Kopf von ihren Schultern. Die Leiche sackte in sich zusammen, blieb als schmutziger Haufen verwesendes Fleisch und Lumpen vor ihm liegen. Danvan blieb zitternd stehen, das Schwert triefend vor verfaultem Blut. Sein Atem ging schnell, keuchend in der kalten, staubigen Luft des seit offenbar langer Zeit unbenutzten Hauses. Doch jetzt bemerkte er auch den unappetitlichen Geruch, der von Verias Leiche ausging. Er erschauerte, sank zwei Schritte von der zerfallenen Kreatur, die einst seine Schwägerin gewesen war, auf die Knie herab und schloss die Augen, zwang sich, weiterzuatmen.

Der Asmodier sah immer wieder das einst so zauberhafte, nun aber von fauligen Zahnstümpfen verunzierte Lächeln vor sich, sah die toten Augäpfel in ihren Höhlen, die spinnwebartigen Haare von ihrem Kopf hängen... Er würgte. Veria war tot, ebenso tot wie Gorman und Dessraun. Und wahrscheinlich alle anderen mit ihnen. Er war zu spät gekommen.
 

Erst als er das beharrliche Scharren an der Haustür hörte, bekam er sich wieder in den Griff. Danvan kämpfte sich auf die Füße, wischte sein Schwert an den Lumpen ab, die Verias Kleider dargestellt hatten und sah sich im Haus um. Wie üblich bestand es aus nur drei Räumen und hatte nur eine Tür, aber er wusste, dass sich im hintersten Raum ein Fenster befand, das ihm als Fluchtweg dienen konnte. Hoffentlich hatten die Untoten es nicht entdeckt. Er eilte in das Schlafzimmer. Er erinnerte sich noch gut daran, wie sie damals als Kinder durchs Fenster gestiegen waren, um Verias und Milanas Mutter einige ihrer köstlichen Rahmküchlein zu stibitzen, die sie auf herkömmlichem Wege zwar ebenso bekommen, es so aber wesentlich weniger Spaß gemacht hätte, sie zu "erobern". Welch Ironie, dass er sich jetzt durch ebendiesen Weg befreien musste!

Er spähte hinaus. Kein Untoter weit und breit. Vielleicht hatte er tatsächlich einmal Glück! Danvan schwang seine langen Beine aus dem Fenster und ließ sich auf den Hof hinausgleiten. Wahrlich, er hatte Glück gehabt, als er... "Was zum...", weiter kam er nicht, als ihn irgendetwas mit einem leisen Knurren von den Füßen holte und er mit dem Gesicht voran im fauligen Stroh des Hofes landete.

Danvan fluchte und rappelte sich auf. Sein Gegner, ein kleines, wohl noch junges Kures fauchte ihn an - und in seinen Augen stand dieselbe Leere, die auch in den Augen der Dorfbewohner gestanden hatte. Der Asmodier schluckte, wich zurück, bis ihm plötzlich ein Zischen in die spitzen Ohren drang und der Odem verfaulenden Fleisches in die Nase stieg. Langsam, ganz langsam drehte er sich um, wobei er sich des rutschigen Strohs unter seinen Krallen durchaus bewusst war.

Hinter ihm stand die Mutter des kleinen Kures. Und das Tier wirkte keineswegs so, als würde es ihm gefallen, einen Asmodier so nah bei seinem Jungen zu sehen. Es schnaubte und Danvan erkannte, dass auch dieses Kures mehr tot als lebendig war. Eitrige Wunden bedeckten seinen ganzen Rücken, und Blut verkrustete die Hufe des Tieres. Der großgewachsene Mann wich zur Seite hin aus, doch das Kures verfolgte jede seiner Bewegungen nur allzu genau.

Dann stieß es ein ohrenbetäubendes Brüllen aus, lauter als Danvan jemals zuvor ein Kures hatte brüllen hören und der Asmodier schrak zusammen, zog seine Schwerter erneut. Seine Gegenüber scharrten mit den Hufen, senkten die Köpfe und Danvan erkannte erschrocken, dass sie zum Angriff übergehen würden, wenn er jetzt auch nur eine falsche Bewegung machte. Er wich noch ein wenig weiter zurück - aber gerade, als er den Fuß vom Boden hob, wurde ihm klar, dass eben dies die falsche Bewegung gewesen war. Mutter und Junges knurrten, dann stürzten sie sich auf ihn. Danvan keuchte, als er sah, wie hinter den beiden Kures eine ganze Horde ihrer Rassengenossen auftauchte, alle über und über mit Schwären und blutigen Wunden bedeckt.

Er fuhr herum und rannte, stieß die Schwerter noch im Laufen in ihre Scheiden zurück. Er war nicht dumm genug zu glauben, dass er es mit acht oder neun Kures gleichzeitig aufnehmen konnte. Seine einzige Chance war die Flucht.

Er raste davon, nahm die Zäune zwischen Gärten und Tiergehegen wie ein Läufer seine Hürden und versuchte, sich in Sicherheit zu bringen, während die Meute hinter ihm herdonnerte und alles in ihrem Weg einfach plattwalzte. Sämtliche Gatter und Latten waren verfault oder halb verrottet, nichts konnte die Kures auf ihrem Vernichtungszug stoppen. Danvan keuchte, hastete weiter, aus dem Dorf heraus - zumindest verfolgten ihn keine Untoten! - und flüchtete sich auf die weitläufige Wiese vor den Häusern. Die Kures rasten ihm mit Gebrüll hinterher, es war ihm mittlerweile klar, dass sie ihre Beute nicht einfach so aufgeben würden. Der Flüchtende sah über seine Schulter, sah den Wahnsinn in den Augen der Tiere flackern.

Als er sich wieder herumdrehte, schrak er zusammen. Direkt vor ihm ragte der dicke Dorfbaum auf und er hatte nicht mehr genug Platz, um ausweichen und den Kures entkommen zu können! Danvan biss die Zähne zusammen, senkte den Kopf und sammelte Kraft. Ihm blieb nur noch eine einzige Möglichkeit und eine einzige Chance, und er war nicht bereit, dies aufzugeben und hier zu sterben!

Er setzte den linken Fuß auf die rauhe Rinde des Baumes, trieb die Krallen hinein und wuchtete sich hinauf. Er schaffte es noch, auch den zweiten Fuß in der Rinde zu verkanten, dann ging ihm der Schwung aus und er breitete seine Schwingen aus, um den letzten Meter zwischen sich und dem rettenden Ast zu überbrücken. Als er sich auf dem dicken Ast zusammenkauerte und auf die Kures, die wahnsinnig unter ihm vorbeidonnerten, hinabsah, gestattete er es sich, aufzuatmen.

Er seufzte - und wäre fast vom Baum gefallen, als eines der Kures die Hauer in den dicken Stamm schlug. Bebend vor Schreck rammte er die Krallen tiefer in die Baumrinde und klammerte sich am Ast fest, hielt die Flügel weit ausgebreitet für den Fall, dass er abstürzte und weiter flüchten musste. Doch das Kures schüttelte sich, wandte sich um und trottete schnaubend von dannen. Danvan hielt den Atem an, beobachtete aufmerksam, wie die Tiere langsam wieder ins Dorf zurückkehrten. Von den Untoten sah er nichts mehr. Erst als nichts mehr zu sehen war, wagte er es, aufzuatmen.

"Ganz schön spektakulär!", sagte plötzlich eine Stimme neben ihm und Danvan hätte um ein Haar seine Waffen gezogen, ehe er die Stimme erkannte. "Lelia? Was, in Aions Namen, tust du hier?"

Das dunkelhaarige Mädchen ließ sich auf seinen Ast hinabgleiten, wobei sie, genau wie Danvan, die Krallen ins Holz schlug, um sich festzuhalten. "Ich beobachte das Dorf, was sonst? Es ist voll von Untoten und Wahnsinnigen, wie du sicher bemerkt hast." Er nickte wehmütig. "Ja. Lelia... bist du... bist du die Einzige...?" Er brachte es nicht über die Lippen. Er konnte sie nicht fragen, ob sie allein übrig geblieben war, vom Wahnsinn verschont worden war. Ob sie allein überlebt hatte.

Doch die ältere Tochter seines Bruders schüttelte den Kopf. "Nein. Vater hat uns alle in Sicherheit gebracht, ehe... ehe..." Sie senkte den Kopf. "Wir wissen nicht genau, was passiert ist. Angefangen hat es, als Gorman und Feydwick nicht zurückkehrten... und als sie wiedergekommen sind, waren sie so seltsam. Vater..." Lelia zögerte. "Ich glaube, Mutter sollte das erzählen. Sie weiß es besser als ich, ich glaube nicht, dass ich jemals genau begriffen habe, was genau geschehen ist." Danvan nickte erleichtert. "Und ihnen geht es gut?" Wieder ein Zögern seitens Lelia. Der Asmodier spürte, wie er blass wurde, ehe sie fortfuhr: "Nun ja... gut ist vielleicht nicht ganz richtig. Vater ist verletzt worden, als er versucht hat, Felin vor zwei Untoten zu retten. Er hat sich noch nicht erholt..." Danvan spürte, wie ihm eine eisige Kälte den Rücken hinaufkroch. Albin, verletzt von Untoten? Vielleicht vergiftet von deren verunreinigten Krallen? "Bring mich zu ihm! Bitte!" Das Mädchen nickte. "Das kann ich tun. Aber wäre es nicht klüger, wenn wir bis Sonnenuntergang warten? Diese... Geschöpfe... können bei Nacht fast nichts sehen..." Der großgewachsene Mann schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Steig auf meinen Rücken. Wir fliegen einfach, damit sie uns nicht einholen! Wo habt ihr euch versteckt?" Sie zögerte, dann sagte sie leise: "Bei den Höhlen an der Westwand. Schaffst du es bis dorthin?" "Das kommt darauf an, ob wir genügend Wind bekommen. Selbst unter normalen Umständen ist es für mich nicht ganz einfach, zu fliegen. Ich bin nicht gerade sehr leicht..."
 

Sie erreichten die Höhlen mühelos. Danvan erwischte auf Anhieb einen günstigen Aufwind, der sie weit hinauftrug, sodass es ein Kinderspiel war, zu den Höhleneingängen hinüberzugleiten und dort zu landen. Lelia stieß einen übermütigen Jubelschrei aus, als sie das erste Mal emporgetragen wurden, und sie war kaum mehr zu bremsen, so wie regelrecht enttäuscht, als sie bereits wieder landeten. Danvan machte ihr keinen Vorwurf - das Mädchen hatte erlebt, was es hieß, dem Himmel entgegenzustreben. Sie hatte keine Ahnung, wie schwierig und teilweise gefährlich es sein konnte, auf den schwarzen Schwingen der asmodischen Daeva dahinzugleiten.

Am Fuß der Felsen stieg sie schließlich von seinem Rücken herab und begann gleich ohne weitere Erklärung, die Wand zu erklimmen. Danvan zögerte. "Wohin müssen wir?", wollte er wissen und Lelia grinste zu ihm herab. "Siehst du diesen Eingang da direkt über mir? Das ist unsere Höhle! Vater meinte, es sei sicherer, wenn wir uns über dem Erdboden verstecken für den Fall, dass einer von uns entdeckt würde. Die Kreaturen können nicht klettern." Befriedigt nickte der Asmodier. Es sah seinem Bruder ähnlich, ein Versteck zu wählen, das nicht leicht erobert werden konnte.

Sie kletterte weiter und er setzte einen Fuß an die Felswand, zog sich dann empor - um mit einem erschrockenen Ausruf abzurutschen und unsanft auf dem Allerwertesten zu landen. Erstaunt sah er auf den Stein in seiner Hand, der aus der Wand gebrochen war, als er sich mit seinem Gewicht daran gehängt hatte. "Hey! Du musst schon aufpassen, wo du hinfasst!", lachte ihm das Mädchen von oben zu. Danvan runzelte die Stirn. Lelia bewältigte diesen Weg wohl mehrmals täglich, sie war geschickt wie ein Bergabex, oder besser wie eine Eidechse, die Wand hinaufgeklettert, sie war bereits oben. Er rappelte sich auf und begann erneut mit dem Aufstieg, diesmal vorsichtiger. Auf dem Weg fand er Krallenspuren im Fels und orientierte sich daran. Albin war nicht so viel leichter als er, er musste diesen Aufstieg schließlich auch bewältigt haben. Wenn er die Spuren wie Trittsteine benutzte...

Wenig später zog er sich zu Lelia über die Kante. "Siehst du, war doch gar nicht so schwer!", lachte sie und er seufzte. Wahrlich, Menschen wurden oft unterschätzt, so eine Kletterpartie hätte er selbst nicht freiwillig in Kauf genommen. Doch andererseits war es auch um einiges schwieriger, einen Daeva wie ihn zu töten.

"Ist das... bist du das, Onkel Danvan?" Ein blasses Gesicht lugte aus der Finsternis um die Ecke ins Licht. Danvan lächelte. "Ja, ich bin es, Serava. Bin ich hier willkommen?" Das Mädchen wagte sich ins Freie, um dann stürmisch auf ihn zuzulaufen und sich in seine Arme zu werfen. Danvan fing sie auf. "Du bist es wirklich! Bist du zurückgekommen, um Vater zu helfen?", fragte sie. Was ihn schlagartig auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Danvan schwieg, ehe er leise meinte: "Bringt mich zu ihm, bitte. Ich will sehen, was ich für ihn tun kann."

Beide Mädchen nahmen eine seiner Hände und führten ihn tiefer ins Innere. "Mama! Mama, schau wer hier ist!", rief Lelia, die seit jeher Wagemutigere der beiden Töchter Albins. Kurz darauf sahen sie, wie sich Mestella näherte. Als sie ihn erkannte, riss sie überrascht die Augen auf. "Danvan? Bei Aion, du bist zurück! Komm mit mir! Wenn Albin dich sieht..." Sie trat zur Seite und winkte ihm, voranzugehen in die Höhle, die in einem sanften goldenen Schein erstrahlte. Der großgewachsene Asmodier tat ihr den Gefallen und ging voraus.

Er betrat eine gemütlich eingerichtete Wohnhöhle, von der zwei weitere tiefere Nischen abzweigten. Eine von ihnen war mit einem Vorhang abgetrennt, auf diesen wies Mestella. "Er liegt dort hinten. Aber bitte erschrick nicht, wenn du ihn siehst..."

Plötzlich war er von Eile erfüllt. Was machten sie für ein Aufhebens um ihn, ging es ihm denn wirklich so schlecht? Danvan schluckte und trat vor, zog vorsichtig den Stoff zur Seite. Er sah in eine weitere kleine Höhle, in der ebenfalls ein kleines Feuer flackerte, vor dem Felin, Albins jüngstes Kind, kauerte. Der Junge sah auf, und obwohl Danvan die Freude in seinen Augen sah, wagte das Kind es offenbar nicht, aufzuspringen und ebenso zu jubeln wie seine Schwester. Stattdessen richtete sich sein Blick fast sofort wieder auf etwas außerhalb ihres Blickfelds. Danvan trat in die Höhle, sah in dieselbe Richtung wie Felin.

Und er erschrak. Er sah auf ein behelfsmäßiges Bett hinab. Eingehüllt in weiche, wärmende Felle lag, blass und abgezehrt, sein jüngerer Bruder Albin. Das einst so schöne, lange glatte Haar lag in kraftlosen Strähnen zwischen den Kissen, ließ ihn noch abgehärmter aussehen als er ohnehin war. "Albin!" Mit einem entsetzten Ausruf überwand Danvan die wenigen Meter, die ihn von seinem Bruder trennten, sank neben dem Lager auf die Knie. "Oh Albin, was ist dir nur passiert!"

Als er die Hand ausstreckte, öffnete sein Bruder die Augen. Entsetzt entdeckte Danvan das Fieber darin. "Danvan...", krächzte der Jüngere schwach. "Danvan, bist du das?" Der Ältere nickte und strich seinem Bruder über die blasse Wange. "Ja, Albin, ich bin zurück..." Nun setzte sich Albin langsam auf, vorsichtig, langsam und müde und Danvan glaubte zu erkennen, dass er seine Seite zu schonen versuchte. Sein Bruder hatte an Gewicht verloren, zu viel, als dass man ihn noch als gesund bezeichnen konnte.

"Was ist passiert?", wollte er wissen. Überraschenderweise war es Felin, der sich zu Wort meldete. "Ich war im Dorf und wollte zusehen, ob ich nicht zumindest unsere Methus retten könnte. Doch als ich gerade eins eingefangen hatte, haben mich Gorman und Bleiren erwischt. Hätte Vater mich nicht beschützt, hätten sie mich bestimmt umgebracht!" Er sah mit traurigem Stolz zu Albin hinüber, der müde den Kopf schüttelte. "Ich habe... mich dazwischengeworfen, als der Schlag schon fiel... Und auf der Flucht gelang es einem der Beiden, mich... an der rechten Seite zu treffen, als ich gerade Felin... auf meinem Arm zurechtrückte. Ich... ich glaube, das Schwert war vergiftet. Ohne Mestella hätte ich... die erste Woche nicht überlebt. Aber... die Wunde... sie... will nicht heilen..."

Danvan nickte. Dann seufzte er. "Aber du lebst. Und es sieht nicht so aus, als würdest du bald sterben." Albin sah ihn an, sah ihm zum ersten Mal direkt in die Augen. Und Danvan revidierte seine Meinung.
 

-Ich bitte um Korrekturen, falls euch Fehler auffallen. Ich versuche zwar, diese zu vermeiden, aber ab und zu passierts halt doch *sorry*-



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Rooro
2010-11-02T10:10:14+00:00 02.11.2010 11:10
Mich wunderts, dass Danvan über die giftigen Felder gelaufen ist. Wieso ist er nicht einfach drüber geflogen? Bzw, wenn er unsterblich ist und nur im Kampf getötet werden kann, würde ihm dann die giftigen Dämpfe recht schaden?
haha, der Schreckmais ^^ Wie ich mir den vorstell? Hmm, also erst mal hat das Ding drei unterschiedlich lange Wurzeln, auf denen es läuft. Die Blätter hängen wie Armrümpfe aus seinem dünnen Stängel und dann eben die drei Kolben. Und die Maiskolben selbst haben irgendein Monstergesicht mit scharfen Zähnen, der Stängel übrigens auch. Da ist das Gesicht aber eher angedeutet, so dick ist der Stängel ja nicht. So ungefähr hab ich mir den jetzt vorgestellt xD“
Sehr gut war die Stelle, wo du erklärt hast, warum er noch Dolche mit sich führt. Hat mir sehr gefallen.
Bin nur etwas überrascht, wie viel Gefühle und Ängste Danvan noch hat. Sollte er nicht mit der Zeit gefühlslos werden? Oder hab ich da was Falsches in Erinnerung?
Dann noch mal was zu seinen Flügeln, als er vor diesen Wildschweinen davon gelaufen ist. Da hab ich mich auch gefragt, warum er nicht einfach in die Höhe geschossen ist.

Geschrieben wars wieder mal super, keine Klagen, keine Fehler gefunden ^^
Ich fands nur ein wenig lang für ein Kapitel, man hätte auch zwei draus machen können, find ich.
Sorry, dass ich so lang für den Kommi gebraucht hab.


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