Zum Inhalt der Seite

Rubina

Piraten unter sich.
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]


 

RUBINA
 


 

I
 

Ich komme nicht dagegen an, dies alles ist einfach viel zu viel für mich.

Am Tag, wenn die Sonne auf das Deck brennt, der Wind die Segel füllt und die Rubina vor sich hertreibt, dann komm ich gegen die Traurigkeit an.

Doch jetzt, in der Nacht, wenn nur der fahle Mond und die Sterne leuchten...

Ich lege den Sextant, den ich bis eben noch auszurichten versuchte – bis mir die Tränen in die Augen traten und alles verwischten – vorsichtig auf das Wasserfass und gehe hinüber zu der Ladeluke, setze mich darauf, falle nach hinten und starre mit leeren Augen hinauf in das strikt organisierte Gewirr der Wanten und Rahen. Gestatte mir still vor mich hin zu weinen.

Hier sollte ich nicht einschlafen, es macht keinen guten Eindruck, wenn die Mannschaft mich morgen hier so vorfindet.

Sie nehmen es mir so oder so schon übel, dass ich niemandem ausser Silver gestatte an Deck zu schlafen.

Nun, durch die geöffneten Kanonenluken kommt da unten genug Frischluft rein.
 

Ich weiss nicht wie lange ich hier schon liege, aber ich muss geschlafen haben, denn was mich die Augen aufschlagen lässt ist die Tatsache, dass sich ein warmer, grosser Körper an mich schmiegt und mich ein Paar starker Arme fest umschlingt.

„Silver...“ murmele ich leise, kuschle mich dichter an ihn, in seine schutzversprechende Umarmung, tiefer in seinen Mantel den er um mich gewickelt hat und wieder fliessen die Tränen ungehindert aus meinen Augen, verlaufen sich in seinem Jabot.

Eine grosse Hand mit vielen Schwielen vom jahrelangen hantieren mit den rauen Seilen und Tauen und der Arbeit als mein Vize, streichelt behutsam über meine Wange und ich vergrabe mein Gesicht noch tiefer in seinem Hemd.

Er sagt kein Wort, doch das muss er auch nicht.

Genau wie ich ihn nach dem Tod seiner Frau aufgefangen habe, ist nun er dran mich aufzufangen.

Und seine Nähe spendet mir seit je her Trost.

Er ist einer meiner besten Freunde.

Er war vor allem nie mein Liebhaber. Jedenfalls nicht auf die Art und Weise wie andere.

Wir waren richtig zusammen. Und als es vorbei war, blieb immer noch diese tiefe Freundschaft.

Ich schniefe noch ein letztes Mal, löse mich etwas von ihm, setze mich auf, wische mir dabei fahrig mit dem Hemdsärmel über die Augen und flüstere: „Du riechst nach Haifischstew...“

„Kalt oder warm?“

„Kalt... und Rum.“

Er nickt noch im Liegen, rollt sich von der Luke und geht los um mir mein verpasstes Abendessen zu holen.

Ich ziehe seinen blauen Kapitänsmantel wieder fester um meine Schultern, atme den vertrauten Geruch nach Meer, Kombüse und etwas das einfach nur nach Long John Silver riecht, tief ein.

So unglaublich beruhigend. So unendlich vertraut.

Mein sicherer Hafen. Einer davon.

Ebenso wie dieses Schiff ein Stück weit meine Heimat ist.

Hier habe ich mich immer wohlgefühlt.

Und leise summe ich vor mich hin und höre auch nicht damit auf als ich Silver wieder herankommen höre.

Er setzt sich neben mich, reicht mir einen Becher Rum auf dem obenauf eine Schale Stew balanciert und greift die Melodie nahtlos auf, wo ich mir den ersten Löffel zwischen die Zähne schiebe und singt leise in seinem dunklen Bariton: „Rubina grosses Schiff aus rotem Holz, gleitest mächtig und stolz um jedes Riff, trägst mich durch Wellen und Wind, bist die Mutter und ich dein Kind...“

Ich lächle, lehne mich an seine Seite und falle kurz in das Lied mit ein: „Ich bin deine Tochter, dein Sohn und du meine Heimat, seit langen Jahren schon, ich lebe an Bord und sterbe an Deck...“ und zusammen schmettern wir in die Nacht hinaus: „Ich will hier nie wieder weg!“

Wir grinsen uns an und ich befinde wie immer an dieser Stelle: „Furchtbarer Schüttelreim...“

Und wie jedes mal zuckt Silver nur die Schultern: „Was erwartest du von Piraten, Poesie?“

„Mindestens...“ und ich esse, nach einem Schluck Rum, weiter.

Na ja, in Anbetracht dessen, der das Liedchen geschrieben hat, könnte ich das wirklich erwarten. Allerdings war der gute „Romance“ dazumal hacke dicht.
 

Ich muss abgedriftet sein, jedenfalls wird mir erst bewusst das ich wohl schon eine ganze Weile stumm in meine leere Stewschale gestarrt haben muss als John sie mir aus der Hand nimmt und wortlos durch den noch recht vollen Rumbecher ersetzt.

„Danke...“

Er nickt nur, rutscht irgendwie hinter mich und zieht mich an seine Brust.

So schön warm; und ich kann seinen Herzschlag fühlen.

Zusammen mit dem gleichmässigen Plätschern der Wellen und dem sanften Rauschen des Windes, ist das eine wundervoll einlullende Melodie.

„Willst du mir nicht einfach erzählen, was dich so bedrückt, Kitten?“

Kein Vorwurf, nur eine simple Frage; obwohl ich schon eine Woche wieder an Bord bin.

Und Kitten... Nur er darf das. Er ganz alleine darf mich so nennen.

„Mein Mann ist gestorben.“

Ich fühle wie er regelrecht zusammenzuckt, doch er sagt nichts, verstärkt nur seine Umarmung, legt sein Kinn auf meine Schulter und schmiegt seine stoppelige Wange gegen meine.

Und ich fühle mich so unendlich verstanden und in guten Händen.

Und ich bin ihm so dankbar für all die Stärke, die er mir ungefragt zuteil werden lässt.
 

Irgendwann, als wir da so sassen, auf der Ladeluke unseres Schiffes, muss die Erschöpfung der letzten Tage und Nächte, ihren Tribut gefordert haben, denn wo ich meine Augen wieder öffne, finde ich mich in meiner höchst eigenen Koje wieder. Sie fühlt sich zumindest nach meiner an.

Ich seufze, reibe meine verklebten Augen und schäle mich behutsam aus Silvers Mantel.

Irgendwann, muss mir der Kerl mal erklären, wie der es mit nur einem Bein zustande bringt, mich eine schmale Bootstreppe hinunter und in meine Koje zu tragen, ohne mich dabei aufzuwecken...

Es ist immer noch Nacht, denn das Mondlicht malt silberne Muster an die Wand vor mir und die Rubina dümpelt immer noch vor sich hin, das verraten mir die Geräusche.

Ich kenne mein Schiff.

Ich blinzle verschlafen und überrascht in die Dunkelheit als irgendwo von schräg unten ein lauter Schnarcher ertönt, nur um mich dann mit einem lautlosen Lachen an einer der Ketten, an denen mein „Bett“ hängt festzuhalten und über die Kante zu lehnen.

Silver zuckt nur kurz und grummelt etwas das sich anhört wie „Klar zum Entern...“ und entlockt mir dadurch ein Kichern, wo ich ihn anstupse.

Ich stupse ihn ein wenig fester und zupfe an seinen Haaren: „Komm, du musst noch nich mal ganz aufwachen, aber der Teufel soll mich holen wenn ich meinen alten, invaliden Vize auf dem Boden schlafen lasse...“ er grunzt unwillig bei alt und invalide und rappelt sich in eine sitzende Stellung, „... also hiev deinen Hintern von den Planken und schieb ihn hier rein,“ ich grinse, „John.“

Er gähnt streckt sich dabei das sein Gelenke knacken, packt dann eine der Ketten und zieht sich daran hoch, derweil ich mich schon wieder der Wand zudrehe und noch kurz meine Decke unter mir vorziehe und grummle: „Schuh aus!“

Das er sich nur wenig später dicht an mich kuschelt ist mir mehr als willkommen.

Ich hoffe nur, er hat morgen kein schlechtes Gewissen, wenn er in meiner Koje erwacht...
 

Ich erwache vor ihm, im Morgengrauen und es wird mir zum ersten Mal in dieser Woche klar, dass der arme Kerl mindestens so wenig, wenn nicht gar weniger, geschlafen hat wie ich. Immerhin hat er mich seit ich wieder an Bord bin die ganze Zeit „betüttelt“.

Ich denke, wenn er aufwacht, werde ich mal wieder eine Regel brechen und ihm die ganze Geschichte von dem Auftrag und meiner Dummheit mich mal wieder zu verlieben erzählen.

Er hat es sich verdient.
 

Ich will mich aus der Koje rollen als sich sein Arm um mich legt und er ganz verschlafen raunt: „Bitte bleib noch nen bisschen Neyla...“

Neyla... Seine verstorbene Frau.

Alleine das er jetzt von ihr träumt, zeigt mir wie sehr ihn der eine Satz von mir gestern beschäftigt.

Und wenn er nun mich für sie hält... Ich rolle mich wieder zurück, schmiege mich an ihn: „Schon gut, ich bleibe ja...“
 

„Morgen Käp'n...“

Ich blinzle und zucke unwillkürlich etwas zurück, da ich geradewegs in zwei strahlendblaue Augen blicke. Na wenigstens hat er kein schlechtes Gewissen.

„Morgen Vize...“ wenn wir denn schon bei den offiziellen Anreden sind, „... gut geschlafen?“

Er nickt und murmelt: „Hab von Ney geträumt, dass erste Mal seit langem wieder...“

„Hoffentlich was schönes...“

Er nickt, schwingt sich aus dem Bett und erklärt mir entschieden: „Heute gibts Frühstück ans Bett für dich Käp'n!“

„Nur wenn du mit isst, Vize!“ grinse ich.

Und dann versetzt er meiner Laune einen Dämpfer: „Und danach schüttest du mir dein Herz aus, Kitten.“

Ich glaube, mein Sinneswandel ist mir deutlich anzusehen, denn er packt mich an der Schulter, drückt sachte zu: „Mir hat es doch auch geholfen...“ und schon ist er zur Tür hinaus.
 

Frühstück und Herzausschütten. Nicht eine meiner liebsten Kombinationen.

Allerdings macht Johns Anwesenheit dabei so einiges wett.

Er ist wirklich ein Fels in der Brandung.

Und wo ich meine traurige Geschichte ende, lehnt er sich zu mir herüber, legt mir den Arm um die Schultern und drückt mir einen Kuss auf die Wange: „Immer dran denken: Du bist nich allein Käp'n. Wir überstehen jeden Sturm, zusammen!“

Ich nicke, lasse mich nach hinten in die Decken kippen und reisse ihn zwangsläufig mit und begrabe ihn halb unter mir, da sein Arm ja immer noch um meine Schultern liegt.

„He!“ und er strampelt um sich spielerisch unter mir hervor, „Das werte ich als Angriff auf meine Integrität...“

Ich grinse still vor mich hin: Ist es nicht einfach unglaublich, wie er mich aufmuntert? Wie gut mir dieser Mensch tut?



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück