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Himmelsdrachen

von

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Verwandlung

Miriam war am nächsten Morgen noch zum Frühstück geblieben, ehe sie das Geburtstagskind Loraine wieder allein gelassen hatte. Zum Abschied hatte die Blondine ihrer Freundin noch aus dem Bus heraus gewunken. Loraine stand an der Haltestelle, bis der Bus am Horizont verschwunden war. Seuftzend ließ sie die Schultern sinken und trottete nach Haus.

Was war das bloß gewesen? Bis jetzt verstand sie es noch nicht. Sie sollte wirklich kämpfen? Und Vincent hatte ihr nicht einmal einen brauchbaren Hinweis gegeben, was da auf sie zukommen würde. Das Bauernhaus mit der weißen Fassade und seinem altmodischen Charme kamen ihr in diesem Moment unheimlich befremdlich vor. Loraine knirschte mit den Zähnen und öffnete verwirrt die Haustür.

Vincent saß bereits wartend auf einem Läufer, kaum zwei Schritte vor der Tür. Er klopfte vorwurfsvoll mit dem Hinterlauf auf den Boden, während sein Blick das Mädchen mit den schwarzen Haare vor ihm fixierte.

"Du zweifelst, nicht wahr?", fragte er leise, doch der Ton in seiner Stimme wurde deswegen nicht sanfter. Eher bissen seine Worte und Loraine sah schuldbewusst zu ihm herunter.

"Ist auch nicht gerade normal, dass so etwas passiert, oder?", faucht sie zurück, schubste den Hasen mit einer forschen Fußbewegung bei Seite und stapfte an ihm vorbei. Ihr Dickschädel tat sein übriges, denn auf jedes weitere Wort des Hasen antwortete sie nicht mehr.

Dampfendes Wasser stieg in die Zinnbadewanne. Loraine saß bereits darin und lehnte sich an das kalte Metall. Bald würde die Wanne voll sein und ihr Kopf hoch rot von der Wärme. Kurz bevor das Wasser überzulaufen drohte, drehte das Mädchen den Hahn zu. Vorsichtig fuhr sie über die Stelle, an der gestern der Edelstein sich in ihre Brust gepflanzt hatte. An genau dieser Stelle hatten sich kleine silberne Linien gebildet und wenn man genau hinsah, konnte man an den Eckpunkten Punkte erkennen. Loraine traute ihren Augen kaum, als sie zaghaft anfingen zu funkeln. Das waren keine Punkte, auf ihrer Brust befand sich ein kleines Sternbild!

Was Miriam wohl tat wenn sie heim kam? Ob sie auch ein solches Bild auf ihrem Körper hatte? Loraine tauchte mehrmals einen Finger unter Wasser und zog dann langsam Kreise mit ihm.

Sie wusste, dass Vincent vor ihrer Tür saß. Dieses Tier beengte Loraine. Obwohl sie ihren Blacky mochte, war er ihr so fremd. Ohne ihn wäre ihr das sicher nie passiert! Zweifel machten sich in ihrem Kopf breit. Gerade in diesem Augenblick begannen die Symbole auf ihren Nägeln in einem sanften, weißen Licht zu scheinen.

"Du kannst es!", die tiefe Stimme von Silver Diamond hallte durch Lorains Schädel.

"Was?", erschrocken fuhr das Mädchen auf, sank aber sofort wieder in die Wanne und bedeckte ihren Körper mit ihren Händen. "Sind sie pervers, oder was?", fuhr sie den Drachen gedanklich an.

"Ich kann dich nicht einmal sehen, Liebes. Doch ich erinnere mich noch gut daran, wie du das letzte Mal vor mir standest.", er sprach gerade so, als sei es bereits Wochen her. Dabei war sie gerade einmal eine Nacht wieder zu Hause. Loraine schüttelte amüsiert den Kopf.

"Schon gut, schon gut.", wehrte sie gedanklich ab und wedelte dabei mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum. Sie vergaß eben doch, dass sie hier nicht von Angesicht zu Angesicht mit einer anderen Person redete. "Ich hoffe, dass wir es schaffen können.", gestand sie betrübt und ihre Hand versank wieder unter der Wasseroberfläche.

"Glaube!", war das aufmunternde letzte Wort des Drachen. Sofort danach leuchteten ihre Fingernägel erneut und der Glanz darauf verblasste. Loraine starrte die kleinen diamantförmigen Symbole an und lächelte sanft. Dieser komische Kauz verstand es, auf seine Weise, ihr Mut zu machen.

Den halben Nachmittag verbrachte Loraine damit, in der Wanne zu liegen, ihre Haare zu föhnen und sich anzuziehen. Den Rest des Tages dann damit, Hausaufgaben zu machen und ein Buch zu lesen. Erst am Abend, als die Nacht bereits angebrochen war, zog sie ihren Laptop herbei.

Mi-chan17 war bereits angemeldet. Miriam war nicht sonderlich kreativ mit ihrem Namen im Chat gewesen, aber so war sie eben. Loraine klickte auf den Namen und ein fenster öffnete sich.

"Hi Miriam. Alles ok bei dir?", schrieb sie mit gekonnt schnellen Tastenanschlägen.

"Ja.", war die knappe Antwort. Miriam hatte sich ganz schön Zeit für diese wenigen Buchstaben genommen. Loraine wurde misstrauisch.

"Was hast du gemacht bis jetzt?", fragte sie neugierig nach.

"Geschlafen.", irgendwie verhielt sich die Blondine gerade merkwürdig. Es passte gar nicht zu ihrem sonst so fröhlichen Wesen. Zu Fremden mochte sie zurückhaltend sein, brav und artig, aber Loraine hatte sie als offen und lebensfroh kennen gelernt.

"Sonst nichts?", hakte die Größere der Beiden nach.

"Doch, schon.", sollte das eine einseitige Diskussion werden? Loraine war sichtlich unzufrieden mit diesem Dialog. Miriams Antworten waren alle abgehakt und kurz.

"Und was?", stellte Loraine gleich die nächste Frage. Dass sie ihre Freundin damit bedrängen könnte, kam ihr nicht in den Sinn.

"Geredet.", Loraine wollte sofort auf Miriams Worte eine Antwort ansetzen, als sie kurz inne hielt. Denn unter dem Textfenster befand sich eine kleine Anzeige und dort fuhr der Stift noch immer über das Blatt. In winzigen, grünen Buchstaben stand dort geschrieben: "Ihr Gesprächspartner tippt.". Gerade noch rechtzeitig hatte sie es gemerkt. Hätte Loraine wieder eine Frage gestellt, hätte sie keine Antwort mehr bekommen, dessen war sie sich sicher. Noch hatte sie zum Glück keinen Buchstaben geschrieben.

Es dauerte etwas, ehe Miriam ihren Text absendete.

"Mit dieser Drachenfrau. Sie ist wirklich nett. Aber ich habe Angst. Ich glaube, ich schaffe das nicht.", sofort wurde Loraine klar, dass ihre blonde Freundin sich überwinden musste, ihr diese Worte zu senden. Ihr Gesicht verdunkelte sich und stetig wanderten ihre Mundwinkel nach unten.

"Ich verstehe dich. Mir ging es genauso. Aber hey! Wir sind zu Zweit und wir sind Freunde. Ich bin immer für dich da. Also keine Angst!", die Schwarzhaarige versuchte, ihrer einzigen Freundin Mut zuzusprechen, so wie es der Drache bei ihr getan hatte. Sie würde ihr einfach Kraft abgeben und wenn es dann so weit war, auf Miriam aufpassen.

":) Bis morgen", mehr als der Smily und ein Abschied kam an diesem Abend nicht mehr von Miriam. Loraine schaltete deprimiert ihren Laptop aus und klappte ihn zu. Achtlos wurde das Gerät auf den Tisch gestellt. Das Mädchen aß noch etwas, putzte die Zähne und ging frühzeitig zu Bett.

Am nächsten Morgen wachte Loraine noch lang vor ihrem Wecker auf. Alles um sie herum war dunkel und ihre grünen Augen konnte in dieser Finsterniss nichts erkennen. Vorsichtig schlug sie die Decke zurück, gähnte verschlafen und streckte ihre Arme nach oben aus. Alles fühlte sich so herrlich normal an – bis etwas auf ihren Schoß sprang und sie erschrocken zusammen zucken ließ.

"Vincent!", blaffte sie den Hasen erzürnt an.

"Guten Morgen, liebe Loraine.", dieser Hase war einfach eine Spur zu fröhlich für diese Uhrzeit. Müde und schlapp schälte sich die Angesprochene aus ihren Decken und machte sich für die Schule fertig. Immerhin galt es, Miriam heute etwas aufzumuntern. So niedergeschlagen wie gestern Abend konnte sie das Mädchen ja wohl kaum allein lassen.

Im Bus setzte sie sich auf ihren gewohnten Platz. Das Gefährt holperte über die Straße und fuhr den nächsten Ort an. Loraine wusste schon, wer jetzt zu ihr in den Bus steigen würde, es war nichts Angenehmes, aber an Arne früh am Morgen hatte sie sich auch schon gewöhnt. Eigentlich hatte sie sich an alles schon gewöhnt, das Geholper, Arne, ihr Haus, die Umgebung und auch an die Schule.

Wie selbstverständlich verließ sie den Bus und wollte in Richtung Schulgebäude laufen. Doch gedanklich hing sie noch an der zweiten Bushaltestelle. Warum war der mürrische Kerl mit den braunen Haaren nicht mit dem Bus gefahren? Ob er krank war? Loraine ging ihren Gedanken nach und achtete nicht darauf, wohin sie lief. Erst als ihre Schulter gegen etwas Kleineres prallte, schreckte sie hoch. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch drehte sich das Mädchen herum und sah vor sich eine Schülerin am Boden liegen.

Bücher waren aus ihrer Tasche gefallen, ihre Brille lag einen Meter neben ihr. Schuldbewusst biss sich Loraine auf die Unterlippe, ehe sie die Hand ausstreckte und der am Boden Liegenden auf zu helfen. Diese schlug jedoch ihre Hand weg, schnappte ihre Brille und sammelte ihre Sachen zusammen. Perplex starrte die Schwarzhaarige auf ihre Hand. Sie hatte diese immer noch ausgestreckt und konnte gerade nicht fassen, was da passierte. Langsam drehte sie die Handinnenfläche nach oben, musterte sie eingehend und zuckte mit den Schultern. Also da war nichts, daran konnte es nicht liegen.

Ihre Gegenüber hatte einen kurzen Bob, dunkelbraune Haare und graue Augen. Normal wäre sie, mit ihren Sommersprossen, Loraine nie aufgefallen. Das typische graue Mäuschen, sogar ihre Schuluniform trug sie vorschriftsgemäß. Loraine hatte natürlich nicht an sich halten können und hatte den Rock um ein paar Zentimeter gekürzt, hier und da ein paar Accessoires angebracht und auch sonst hatte sie etwas am Schnitt verändert. Da zahlte es sich eben aus, wenn man handwerklich ein wenig Ahnung hatte, auch wenn es bloß Schneidern und sonst nichts war.

Loraine sah dem Mädchen sprachlos hinterher. War es denn so schlimm gewesen? Gut, sie hatte nicht auf den Weg geachtet und das arme Mädchen rücksichtslos angerempelt, aber es war ja nicht mit Absicht! Verständnisslos ging sie ihr hinterher und betrat das große Gebäude, dass nun ihre Schule war.

Der Tag mit Miriam war anstrengend. Den halben Tag versuchte Loraine, ihre Probleme zu überspielen, vermied das Thema das zwischen ihnen stand. Doch schon am Mittag merkte sie, dass es so nicht weiter ging. Immer düsterer wurde die Stimmung und Miriam immer niedergeschlagener.

Bei einer guten Tasse Cappucchino saßen beide Mädchen am Nachmittag zusammen in einem Café. Ein Gespräch unter Freunden war fällig und Loraine tat sich schwer, es einzuleiten. Zu ihrem Glück, plapperte Miriam von ganz allein los. Schüttete ihr regelrecht das Herz aus. Was sie an Problemen hatte, nicht nur die Sache von vorletzter Nacht, sondern auch daheim und in der Schule. Es schien, als hätte sich alles um die blonde Schülerin angestaut. Loraine konnte nichts anderes tun, als ihr geduldig zuzuhören.

Als der Bus am Abend wieder heim fuhr, saß die einzige Passagierin hinten in der letzten Reihe, hielt sich den Kopf und seufzte leise. Miriam hatte sie bis jetzt noch festgehalten und Loraine hatte sich mit der Zeit immer weniger konzentrieren können. Dafür stand nun nichts mehr zwischen ihnen. Es hatte ihrer Freundin gut getan und mehr zählte in diesem Moment nicht.

Als sie an der letzten Haltestelle vor ihrer eigenen vorbei fuhren, schielte die Schwarzhaarige aus dem Fenster. Es hatte zu regnen begonnen und die dunklen Straßen breiteten sich gespenstisch zu beiden Seiten der Straße aus. Wo Arne hier wohl wohnte? Unbewusst malte sie ein kleines Bild an die Scheiben. Erschrocken zog sie den Finger zurück, rutschte von der Scheibe zurück und starrte die restliche Fahrt auf die beschlagene Scheibe. Die Blume die sie dort gemalt hatte, verblasste mit jeder Sekunde mehr, genauso wie das Dorf, durch das sie eben noch gefahren waren.

Der Regen trommelte rhytmisch gegen die Scheiben. Loraine schloss die Augen und genoss die Stille. Es war wunderbar dunkel und der Busfahrer schien es endlich zu schaffen, zumindest die größten Schlaglöcher zum umfahren. Vor ihrer Haltestelle hielt er mit quietschenden Reifen und eine erschöpfte Loraine stieg aus dem Wagen.

Sofort schlugen ihr die Tropfen gegen das Gesicht, ihre Kleidung war schneller durchweicht, als sie es bis zu ihrem Haus schaffte und als ein verästelter Blitz über den Himmel zuckte, war Loraine froh, nun endlich im Haus zu sein. Sofort holte sie ihren Laptop hervor, schloss ihn an und öffnete Miriams Chatfenster. Eine Nachricht stand bereits darin geschrieben.

"Findest du es nicht auch ungewöhnlich dunkel?"

Miriam hatte den Nagel genau auf den Kopf getroffen. Selbst Blackys Fell sah hell aus gegen das abgrundtiefe Schwarz des Himmels. Loraine drehte den Kopf zu ihrem Fenster und machte ein betrübtes Gesicht. Man konnte nichts vor dem Fenster erkennen, nicht einmal den Balkon.

Erschrocken weiteten sich die Augen des Mädchens. Dort draußen standen noch immer ihr Liegestuhl, ein kleiner Gartentisch und die Polster würden sicher ruiniert sein! Hastig stellte Loraine den Laptop bei Seite. Sie sprang auf und hechtete zur Balkontür hinüber. Mit zittrigen Händen öffnete sie die Tür und trat hinaus. Sofort riss sie die Polster vom Liegestuhl und warf sie achtlos in ihr Zimmer. Der Liegestuhl wurde zusammen geklappt und unter ein kleines Dach an der Seite ihres Balkons geschoben. Gerade als Loraine auch den Tisch greifen wollte, schlug am Horizont ein Blitz in den Boden ein. Der unüberhörbare Donner der folgte, ließ dem Mädchen das Blut in den Adern gefrieren. Obwohl sie bereits nass war und keine Sekunde länger hier bleiben wollte, hob sie den Kopf. Es war, als läge ein gehässiges Lachen in der Luft. Verunsichert schob sie das Möbelstück unter das Dächlein und ging wieder hinein. Noch ein paar Minuten stand Loraine regungslos vor der Scheibe.

Als sie sich umdrehte, hatte das Polster bereits eine kleine Pfütze auf ihrem Teppich gebildet. Fluchend schob Loraine den Störenfried in ihr Bad hinüber. Dann ging sie zu ihrem Laptop zurück. Vincent saß mit erhobenem Oberkörper auf ihrem Bett und starrte sie vielsagend an.

"Du hast es auch gemerkt, oder?", fragte er mit bedeutungsschwerer Stimme. Die Angesprochene nickte und ließ sich auf ihr Bett fallen.

"Ich sollte Miriam rufen, oder?", entschied Loraine und begann bereits zu tippen. Etwas Besseres fiel ihr nicht ein und der Hase nickte bloß. Viele Worte bedurfte es nicht.

"Komm schnell.", damit schloss sie das Chatfenster und gleichzeitig auch den Laptop.

Vincent sprang von ihrem Bett und sah seinen Schützling eindringlich an.

"Du musst es fühlen. Dann kommt deine Kraft ganz von allein.", flüsterte er leise und drehte sich zur Balkontür um. "Dabei kann dir niemand helfen.", mit diesen Worten hoppelte er davon. Die Balkontür schien sich von Zauberhand zu öffnen, Vincent trat hindurch und verschwand in der Dunkelheit.

Loraine blieb hilflos zurück. Was hatten die Drachen gesagt? Sie musste ihre Hand an die Stelle halten, wo ihr Edelstein sich niedergelassen hatte? Aufgewühlt hob sie ihre Hand und führte sie zögerlich in Richtung Brust. Nein! Hier drin durfte sie das nicht machen. Das letzte Mal waren ihr Flügel gewachsen und wenn sie das im Haus tat, würde sie mit Sicherheit die Wände zertrümmern.

Vorsichtshalber ging sie auf ihren Balkon, drehte sich mit dem Gesicht zur Hauswand und machte die selbe Bewegung erneut.

Loraine hatte ihre Augen geschlossen. Sie horchte tief in sich hinein und grüßte innerlich den Drachenherren. Ihr Atem wurde langsamer, doch noch immer rührte sich nichts. Loraine begann, wütend zu werden. Dieser Kerl konnte ihr doch nicht die Zeit rauben! Sie brauchte Kraft und er hielt sie vor ihr zurück und versteckt.

"Du Scheißkerl! Rück schon raus! Ich will hier nicht ewig dumm im Regen stehen!", maulte sie so vor sich hin.

Mit einem Mal spürte sie es. Ein Kribbeln breitete sich in ihrer Magengrube aus und Loraine begriff. Hier ging es um ihren Willen, sie musste kämpfen wollen – um jeden Preis. Nur wer selbstbewusst war, konnte diese Kraft nutzen. Ihre Fingernägel begannen im selben silbernen Licht zu leuchten, wie gestern in der Badewanne. Die Stern verästelten sich immer mehr, bildeten silberne Bahnen und vereinten so die Sternbilder auf ihren Nägeln. Im gleichen Moment begann das Bild auf ihrer Brust, sich zu vergrößern. In rasender Geschwindigkeit breitete es sich über ihren gesamten Körper aus und nach nur wenigen Sekunden, hatten dutzende Sterne sich über Loraines Körper verteilt. Ihre Haut war schwarz geworden, befanden sich nun im Einklang mit ihrem Haar, bloß die grünen Augen hoben sich stechend von dieser Finsterniss ab.

"Sterne, gerecht und stark, ich fordere meine Kraft!", hallte es aus ihren blutleeren Lippen, die aschfahl in ihrem Gesicht thronten.

Ein Ruck lief durch Loraines Körper. Schuppen begannen, sich auf den silbernen Sternbahnen auszubilden. Ihre Finger spreizten sich, krümmten sich und wurden zu Krallen, ebenso ihre Füße. Auf jeder Einzelnen prangte ein kleines, feines Sternbild. Dann kam ihr Kopf dran, ihre Zähne wurden spitz, ihre Augen schmaler und länglicher und noch im selben Augenblick, nahm sie viel mehr Details in ihrer Umgebung war.

Ein lauter Schrei folgte und ein sanftes, weißes Licht hüllte ihren zuvor schwarzen Körper ein, verdeckte die Schuppen und als es aufhörte zu strahlen, ragten zwei ledrige Schwingen von ihrem Rücken, gesäumt von spitzen Stacheln über ihren gesamten Rücken bis hinunter an die Spitze des Schwanzes, in dem ihr Rücken nun endete. Ein umso entschlossenerer Schrei gellte über den Himmel, Loraine stieß sich kraftvoll vom Balkon ab, stieg in die Lüfte und spürte zum ersten Mal, wie sich fliegen wirklich anfühlte. Es war einfach wundervoll.

Ihr silberner Körper hob sich deutlich von der Dunkelheit um sie herum ab. Ihre Augen suchten den Himmel nach Miriam ab, denn tief in sich wusste sie, dass das Mädchen unterwegs war.
 

Miriam laß die letzte Nachricht auf ihrem Computer. "Komm schnell.", sie flüssterte die Worte leise vor sich hin und seufzte. Loraine war immer so euphorisch, so direkt. Da konnte sie nicht mithalten. Die Blondine erhob sich, wobei der Drehstuhl, auf dem sie bisher gesessen war, lautstark über den Parkettboden nach hinten geschoben wurde.

Als ein besonders heller Blitz über den Himmel zuckte, sah sie die Silhouette eines Hasen vor ihrem Fenster. Doch als sie das Fenster öffnete, war das Tier verschwunden. Miriam wusste sofort, dass es Vincent gewesen war. Panisch stürmte sie aus ihrem Zimmer, aus ihrer Wohnung hinaus und abwärts durch das Treppenhaus. Im Erdgeschoss rannte sie vorbei an der Haustür ihrer Großmutter und zum Hinterausging hinaus in den Garten. Abgehetzt erblickte sie Vincent unter einer großen Eiche.

"Liebes, du musst dich beeilen. Sie werden bald da sein.", eine herzlichere Begrüßung konnte Miriam sich nicht von diesem Hasen erhoffen. Es drängte, dass merkte selbst das schüchterne Mädchen. Sie nickte ihm zaghaft zu und wartete ab, ob er noch mehr Hinweise für sie hatte.

"Fühle es, Kind, fühle es!", hallte die Stimme der Drachendame durch Miriams Schädel. Für einen Augenblick hatte sie sich so stark auf den Hasen konzentriert, dass sie das Leuchten an ihren Fingern komplett übersehen hatte.

Auch Vincent nickte, gerade so, als habe er es gehört. "Mehr kann ich dir auch nicht sagen. Es kommt alles von dir.", ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel und das Tier war verschwunden.

Allein stand Miriam im Regen. Ihr machte das kühle Nass nichts aus, sie genoss es eher, breitete die Arme aus und ließ sich in seine Umarmung fallen. Auch Miriam schloss die Augen, atmete die frische Luft ein und ein sanftes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. Dann legte sie eine Hand auf ihren Bauchnabel, so wie Blue Saphire es erklärt hatte. Sofort schwappten die Wellen von ihren Nägeln über und auch das Bild um ihren Bauchnabel begann zu wabern. Alles schien in Aufruhr, bewegte sich stetig und breitete sich so über ihren Körper aus. Ihre Haut sah aus, als sei sie das Meer selbst. Ihre blauen Augen wirkten wie der Himmel, der verschwindend klein über dem Meer prangte. Ihre Lippen verfärbten sich türkis und ihre Wimpern grün, gerade so, als hätte sich Seetang darin verfangen.

"Wasser, weise und sanft, gib mir meine Kraft!", Miriam schrie es mit aller Kraft heraus, ein Außenstehender hätte wohl geglaubt, ihr zierlicher Körper würde unter diesen bedeutungsschweren Worten zerbersten.

Die Wellen auf ihrem Körper bildeten sich zu blauen Schuppen aus, ihre Augen verzogen sich in die Länge und auch ihre Zähne wurden spitz. Ihre Körperhaltung war ungewohnt gebückt und ihre Hände und Füße verformten sich zu Krallen. Ein sanftes, azurfarbenes Licht umfing sie, als ein heftiger Ruck durch ihren Körper ging. Schmerzhaft bildeten sich der Schwanz und die Schwingen auf ihrem Rücken. Doch als das Leuchten verglomm, konnte sie ihre Flügel ausbreiten. Noch immer rahmten die goldenen Locken ihr Gesicht und gaben ihr so etwas Sanftes.

Miriam versuchte vorsichtig, die Knochen ihrer Flügel zu kontrollieren, ließ sie sich ein wenig aufschütteln und spreizte sie dann. Eine heftige Windböe erfasste die ledrige Haut und zog Miriam fast automatisch in die Höhe. Kraftvoll schlug sie mit den Schwingen und spürte, dass der Wind sie tragen konnte. Sofort machte sie sich auf den Weg zu Loraine.

Erfreut stellte Miriam fest, dass ihre Bewegungen hier oben viel schneller waren. Flüssiger. Geschmeidiger. Sie kam so schnell voran, dass sie schon nach zwei Minuten bei ihrer Freundin eingetroffen waren.

"Loraine!", rief sie schon aus weiter Entfernung. Denn das silberne Drachenmädchen hob sich so stark von Himmel ab, dass sie es schon frühzeitig am Horizont erkennen konnte. Einzig ihre schwarzen Haare ließ sie ein wenig mit dem Himmelszelt verschmelzen. Immer wieder rief Miriam und winkte der Anderen.

"Silver Diamond!", antwortete dies Freundin kühl. "Blue Saphire, vergiss das nicht. Wir müssen uns schützen!", Miriam nickte bloß auf diese Worte. Loraine hatte Recht, sie würden sich verraten und am Ende ihre Familien in Gefahr bringen, das wollte sie auch nicht.

Wie selbstverständlich übernahm Silver Diamond die Führung, sie flog vorraus und Blue Spahire folgte. Im Gegensatz zu Miriam, hatte Loraine gesehen, wo der Blitz eingeschlagen war. Miriam stellte das schnell fest, denn sie flogen zielgerichtet in eine Richtung ohne vom Kurs abzuweichen.

Gesprochen wurde kein Wort, bis sie den Waldrand erreicht hatten. Die Wiedergeburten warteten schwebend über einem Feld, harrten der Dinge, die dort kommen mochten.

Loraine hatte sich zu Miriam umgedreht. "Wir müssen stark sein. Aber keine Angst, ich beschütze dich!", sagte sie forsch. Die Angesprochene reagierte nicht. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr Schwanz schlug wie verrückt um sich. Verwirrt runzelte die Anführerin die Stirn, neigte leicht den Kopf und sah Blue Saphire verständnisslos an.

"Sieh!", schrie ihr das Mädchen entgegen. Langsam drehte sich der silberne Drache und blickte in das Auge des Abgrunds, sie erstarrte ebenso und ein eisiger Schauer lief über ihren Rücken.



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