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Himmelsdrachen

von

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Verlust

Vergnügt streckte sie die Arme aus, es war einfach ein herrlicher Tag! Die schwarzen Haare wehten leicht im Wind und der Ausblick war grandios. Hier auf dem Balkon hatte man die Aussicht über ein kleines Gartengrundstück mit einem Teich. Darauf schwammen gerne einmal zwei Schwäne und Loraine war fasziniert von diesen wundervollen Tieren. Wie sie majestätisch über das Wasser glitten und sich nie stritten, so friedlich und liebevoll. Das junge Mädchen war so eine Gemütlichkeit nicht gewohnt, denn ihre Eltern waren nicht gerade oft daheim.

Ihre Mutter war Direktorin einer großen Bankfiliale und ihr Vater Chef eines Millarden schweren Konzerns. Beide hatten mehr als genug zu tun und eigentlich nie Zeit für ihre Tochter. Mittlerweile hatte die Schwarzhaarige sich damit abgefunden. Es war also nichts Neues, allein hier auf dem Balkon zu stehen und in Erinnerungen und Träumen zu schwelgen.

Morgen war der letzte Schultag und Loraine würde dann endlich in die elfte Klasse versetzt werden. Ihr siebzehnter Geburtstag stand in zwei Monaten an und sie hatte die Party schon geplant. Hier in der Stadt hatte sie viele Freunde und alle hatten das Kommen zu ihrer Geburtstagsfeier bereits angekündigt. Im Kopf stand alles, die Deko, die Musik, das Essen, die Getränke und natürlich plante sie insgeheim auch ihre Geschenke. Ein verstohlenes Lächeln setzte sich auf ihre Lippen, ehe sie die kalte Briese ins Innere des Hauses vertrieb. Ein lästiger Wind war aufgekommen und hatte ihr eine kleine Gänsehaut auf die Arme gemalt.

Loraine warf sich auf das Sofa und nahm die Fernbedienung. Überall kam nur Mist! Eine Soap, eine Dokumentation, ein merkwürdiger Teeniefilm aber eigentlich Nichts, dass sie fesselte. Dann schaltete sie erneut um, plötzlich huschte dort ihr Lieblingsschauspieler über die Leinwand und Loraine war gefesselt von seinem Anblick. Den Rest des Abends verbrachte sie, ein wenig gelangweilt, auf dem Sofa, sah den Film und ging bei Zeiten ins Bett, immerhin würde dann der morgige Tag umso schneller anbrechen und auch vorbei sein!

Sie schlief in einem rosanen Himmelbett in einem Zimmer mit violetter Tapete und weißen Streifen darauf. Ihre Tasche war bereits gepackt, denn übermorgen sollte es in den Urlaub gehen. Die Schülerin wusste noch nicht, wohin, doch bald würde sie es bemerken. So verbrachte sie eine ruhige Nacht, träumte von ihrem Schauspielhelden und wachte gut gelaunt und erholt am Morgen auf. Die Sonne schien durch das gegenüberliegende Fenster herein und stach in ihre Augen. Um zehn Uhr musste man in der Schule sein und ihr Wecker klingelte pünktlich um Neun. Das warme Wasser der Dusche ließ sie langsam wach werden und das Frühstück brachte ihr die nötige Kraft für den anstrengenden Tag.

Claudia wartete vor ihrer Haustür und lächelte bereits breit, als Loraine heraus kam. Das immer gut gelaunte Mädchen mit den blonden Zöpfen war ein herzensguter Mensch, die Beiden kannten sich seit sie in die erste Klasse gegangen waren. Wie jeden Morgen liefen sie gemeinsam und durchschritten das eiserne Tor ihrer Schule zusammen. Ein weiteres Mädchen, Christine, wartete bereits dort auf sie, ebenso wie Emily, die in der gläsernen Eingangshalle stand. Zu viert gingen sie den Gang entlang, zwei Treppen nach oben und in Raum Nummer 404 ließen sie sich auf ihre Plätze nieder. Es waren noch 10 Minuten Zeit, ehe die Zeugnisse vergeben wurden.

Miss Fielding betrat den Raum auf ihre gewohnt dominante und ernste Art. Sie war die Klassenlehrerin und würde sie nun mit ihren Noten beehren. Eigentlich wusste eh jeder, was sie zu verkünden hatte, doch wie bereits seid drei Jahren ließen alle die Prozedur über sich ergeben. Emily wurde gewürdigt, ebenso Mike, der meistens der Zweitbeste war, ein paar Floskeln wurden ausgetauscht und endlich die Zeugnismappen übergeben. Loraine hielt ihre stolz in der Hand und schlenderte, nun allein, nach Hause.

Die Mädels hatten sich noch in der Stadt verabredet, man wollte einen Kaffee trinken und danach ins Kino gehen. Da die Schwarzhaarige jedoch noch Koffer packen wollte und keine Zeit verlieren durfte, ging sie nicht mit, sondern in ihr Elternhaus. Dort wartete bereits der Herd auf sie, wo sie sich ein kleines Mittagessen zubereitete. Die Schülerin hatte bereits vor zwei Jahren ihre Leidenschaft fürs Kochen entdeckt, weswegen es ihr Nichts ausmachte, sich ihr Mittagessen selbst zu machen.

Es sollte ein besonderer Tag werden, sie wusste es zwar noch nicht, doch zum Mittagessen, pünktlich um Eins, hörte sie Schritte im Haus, eine Aktentasche wurde auf den Boden gestellt und hohe Absatzschuhe klackerten über das Parket. Ihre Eltern waren eingetroffen! Völlig verblüfft lief sie den Beiden entgegen, nahm ihnen die Mäntel ab und stellte zwei zusätzliche Teller auf den Tisch. Gemeinsam aßen sie die Speisen, die Loraine gezaubert hatte.

"Und, wie ist dein Zeugniss?", fragte ihr Vater sachlich und Loraine ignorierte den vorsichtigen Blick ihrer Mutter.

"Och, nichts Besonderes, alles Zweier und Einser, wie sonst auch", murmelte sie zwischen zwei Bissen und grinste dann.

"Aber wie immer war Emily die Klassenbesste.", jetzt grinste sie noch breiter. Ihre Eltern begrüßten die Freundschaft zur Klassen- und Schülersprecherin sehr!

"Schön.", entgegnete ihr Vater, während ihre Mutter immer besorgter aussah.

"Was ist los?", fragte die Jüngste am Tisch genervt, als ihr Blick auf die Mutter fiel.

"Ach, nichts...", stammelte sie und sofort wusste Loraine, etwas ging hier vor sich. "Los, spuck es schon aus. Ist der Urlaub abgesagt?", fragte sie, nun doch etwas genervt. Auch wenn sie ihren Eltern nie ein schlechtes Gewissen machte, auf diesen Urlaub hatte sie sich seid einiger Zeit gefreut!

"Nein, er wird nur ... verlängert!", sagte ihr Vater, immer noch sachlich und auf den Punkt. "Um genau zu sein, wir werden dort hinziehen.".

Das war wirklich eine schockierende Nachricht. Loraine blieb der Bissen im Halse stecken und ihre Augen weiteten sich.

"Das ist nicht euer Ernst, oder? Das war ein Scherz!", polterte sie los und erntete nur mitleidige Blicke.

"Leider nein. Dein Vater soll dort eine weitere Abteilung leiten und bekommt dafür das doppelte Gehalt.", nuschelte ihre Mutter und sah sie schuldbewusst an.

Doch es wurde nicht besser, die Blicke machten es nur noch schlimmer! Die Schwarzhaarige wünschte sich, sie nicht mehr ertragen zu müssen. Wohl auch deshalb wurde während dem Rest des Essens geschwiegen. Die Schülerin ging bereits in Gedanken durch, wie sie es ihren Freundinnen beibringen sollte und was sich nun alles änderte. Doch nichts wollte helfen! Ihre Sorgen und Ängste lösten sich natürlich nicht in Luft auf.

Der Nachmittag wurde mit heftigem SMS schreiben verbracht, Loraine führte das ein oder andere Telefonat und saß eine Weile an ihrem Laptop, um Emails zu versenden. Jeglicher Trost war jetzt willkommen! Am Abend hatte es ihr gänzlichst den Appettit verschlagen und sie verkroch sich statt dessen in die Laken ihres Bettes. Ihr Gesicht drückte Loraine in die weichen Daunenkissen und schluchzte jämmerlich vor sich hin. Wie sollte sie dort ankommen? Würde man sie überhaupt akzeptieren? Wie sollte sie ohne ihre Freundinnen auskommen? Die Schwarzhaarige war völlig verzweifelt.

Jene Nacht war unruhig und am Morgen taten ihre verquollenen Augen weh. Selbst die warme Dusche half nicht und auch das Frühstück wollte nicht seine gewohnten Dienste tun.

Ihre Eltern waren bereits voller Energie und Elan. Mutter und Vater machten den Eindruck, als würden sie sich darauf freuen, in ein anderes Haus, in einem anderen, weit entfernten Teil dieses Landes zu ziehen. Es musste mindestens 700 Kilometer weit weg sein! Es bestand überhaupt keine Chance, dass sie ihr altes Leben irgendwie retten könnte.

Loraines Vater fuhr die Familie, inklusive Loraines fünf Koffern, zum Flughafen. Überhaupt waren nur die Koffer der Familienjüngsten mitgenommen worden. Den Flughafen durchquerten sie gemeinsam. im Gewühl wäre Loraine dabei fast verloren gegangen - Was wohl an ihrer schlechten Orientierung lag, doch ihre Mutter war zurück gekommen und hatte sie wieder aufgesammelt.

Der Flieger war bequem und sie hatten Tickets für die erste Klasse. Eine freundlich wirkende Stewardess geleitete sie zu ihrem Sessel, nahm ihre Bestellung für später auf und wies sie kurz ein. Nach nur zwei Minuten hatte das Mädchen bereits verstanden, dass sie wohl die gesamte erste Klasse für sich hatten! Warum sonst stieg niemand sonst zu und warum kümmerte sich diese Frau so fürsorglich um die drei Personen?

Als das Flugzeug startete, krallte sich Loraine mit den Fingern in die Armlehne, sie mochte fliegen nicht unbedingt! Auch wenn ihre Eltern das kaum verstanden. Gerade ihr Vater war es gewohnt, mehrmals in der Woche ein Flugzeug zu benutzen. Ihre Mutter hatte Höhenangst und trotzdem mochte sie dieses Transportmittel.

Ihr neues Zuhause rückte also mit jeder Minute näher.

Die Landung war weich und ein kleiner Flughafen breitete sich unter ihnen aus. Bisher hatte Loraine gedacht, in dieser Idylle Urlaub zu machen für zwei Wochen. Dass sie nun hier für immer bleiben sollte war eine Umstellung, die sie so schnell nicht bewerkstelligen würde. Ein Taxi fuhr sie eine halbe Stunde mitten in die Pampa, ein riesiges Gehöft erstreckte sich vor ihren Augen und eine Bushaltestelle war genau vor dem Tor zu ihrem Hof.

"Und das ist es also?", fragte sie perplex.

"Ja, das ist es. Wir haben es gekauft und du bekommst, wenn du willst, ein Pferd.", das wäre wirklich ein guter Köder, hätte sie dafür nicht ihr gesamtes Leben aufgeben müssen! Seid drei Jahren wollte die leidenschaftliche Reiterin gern ein eigenes Pferd haben, doch jetzt nützte es ihr auch nichts mehr.

"Nein Danke!", giftete Loraine ihrer Mutter entgegen und stolzierte beleidigt in das schneeweiße Haus. Man konnte zu Recht behaupten, dass es vor vielen Jahren einmal ein Bauernhaus oder ähnliches gewesen sein musste. Hier und da konnte man noch Balken an der Decke erkennen und obwohl Küche, Wohn- und Esszimmer nicht voneinander getrennt waren, bildeten dicke, schwarz gestrichene Balken drei große Raumteiler. Alles hier war asymmetrisch geschnitten und Loraine kam nicht umhin, einen bewundernden Blick auf diesen pompösen Raum zu werfen. Den Boden zierten schwarze Marmorsteine mit anthrazitfarbenen Fugen. Eine breite Treppe mit silbernem Geländer, das eindeutig später eingesetzt wurde, führte in den zweiten Stock.

Ihr Zimmer lag so, dass die Morgensonne sie noch immer wecken konnte. Es befand sich ein sporadisches Bett im Raum, doch ihre Eltern hatten der Schülerin versprochen, die Einrichtung in den nächsten zwei Wochen her zu ordern. Internet gab es - wenigstens etwas! Und auch sonst gab es hier alles, was man sich wünschen konnte. Ihre Eltern hatten die Wohnung modern eingerichtet, was man von außen kaum erwarten würde. Nur Lorains Zimmer war noch unvollständig. Immerhin hatte das Mädchen es auch erst gestern erfahren und ihr Zimmer ausräumen, ohne das sie es bemerkte, war auch nur schwer möglich gewesen.

Die Ferien verbrachte sie damit, sich einzugewöhnen. Die Schränke wurden eingeräumt, die Gegend erkundet und die Schuluniform gekauft. Schrecklich, hier gab es sogar eine Uniform für die Schule! Sie bestand aus einer hellvioletten Bluse, einer dunkelblauen Strickweste und einem ebenso blauen Rock mit violetten Streifen. Es sah eigentlich ganz niedlich aus, aber eine modebewusste Teenagerin ließ sich eben nur ungern in gesellschaftliche Zwänge stecken. Ihre Eltern hingegen fanden es ganz toll. Natürlich ... Auch die Bücher hatten sie schon gekauft, Stifte und Papier hatte sie ja auch so noch.

An ihrem ersten Schultag wachte sie noch vor dem Klingeln ihres Weckers auf, duschte und frühstückte, wie sie es schon immer getan hatte. Die Küche war edel, alles war verchromt und der Herd hatte sogar ein Ceranfeld. Der Kühlschrank hatte eine Eiswürfelmaschiene und ein Flachbildfernseher hing neben der Tür, so, dass man direkt darauf sah, wenn man am Tisch saß. Loraine fand die Einrichtung wirklich faszinierend, dennoch tröstete sie nicht über den Verlust hinweg.

Sie musste noch fünf Minuten an der Haltestelle warten, dann kam ein kleiner gelber Bus angezuckelt. Er hielt und öffnete die Tür. Als die Schwarzhaarige eingestiegen war, suchte sie sich einen Platz. Es war leicht, denn der Bus war noch leer. Der Fahrer erklärte ihr, dass sie die Erste im Bus war und jetzt der Reihe nach alle Ortschaften abgefahren wurden.

An der nächsten Haltestelle stieg ein junger Man mit zerstrubbeltem braunen Haar und stechend hellblauen Augen ein.

Auch er schien allein zu sein.

Danach ging es schnell und der Bus war voll. Sie fuhren insgesamt eine halbe Stunde, dann ließ der Fahrer die Schüler direkt vor dem Schulgebäude aussteigen.

Ihre Schule war majestätisch, die Wände waren in Gelb gestrichen und die Fenster waren riesig. Loraine wollte sich gar nicht ausmalen, wie oft sie sich verlaufen würde in dieser Schule!

Schluckend durchquerte sie ein kleines Tor aus Eisen, ehe sie den Schulhof betreten konnte. Dieser Bau würde also ihre neue Welt werden, ihr neues Reich! Auch die Klasse wirkte auf den ersten Blick wirklich nett, alle sahen sie neugierig an und auch der Braunhaarige war wieder zu sehen. Der Klassenlehrer stellte sie noch vor, ehe sich Loraine ihren Platz aussuchte.

Was wohl auf sie zukommen würde? Ob sie Freunde finden konnte? Oder würde sie allein bleiben bis zu ihrem Abschluss?

Doch sicher würde Loraine nie damit rechnen, was wirklich auf sie zu kam!

Freundschaft

Loraine empfand die ersten Tage an der Schule als sehr quälend. Sie war die Neue und die Jungs interessierten sich eindeutig zu sehr für sie, während die Mädchen die Schülerin zumeist mit Ignoranz abstraften.

Seufzend saß sie an ihrem vierten Schultag im Bus und wurde, ebenso wie jeden Tag, durchgeschüttelt. An der ersten Haltestelle stieg ihr Klassenkamerad Arne ein. Er war wohl der einzige Junge, der sie völlig ignorierte. Normal lief er in die hintersten Sitzreihen und würdigte sie nicht eines Blickes. Heute jedoch war es anders, zum ersten Mal schielte er leicht hinüber und seine Mundwinkel zuckten zaghaft. "Guten Morgen.", murmelte die Schwarzhaarige, bekam jedoch keine Antwort. Aber war das nicht schon ein Anfang? Vielleicht würde er ja eines Tages sogar mit ihr reden, wer wusste das schon so genau?

Doch bis dahin könnte noch eine Ewigkeit vergehen. Schmerzlich fiel ihr ein, dass bereits am Sonntag ihr Geburtstag war und sie ihn wohl ganz allein verbringen musste. Heute war Donnerstag, es gab also nur noch drei Tage, an denen sie Gäste für ihre Party organisieren konnte. Natürlich kamen die Jungs nicht in Frage. Ihre Eltern würden sie glatt umbringen, wenn sie mit einer Meute minderjähriger Kerle ankam. Nein, es mussten Mädchen sein! Über Geschenke oder solche Dinge wollte sie gar nicht erst nachdenken. Es erschien ihr verwegen, überhaupt damit zu rechnen, etwas zu bekommen. Betrübt ließ Loraine den Kopf hängen und das Geholper des Busses über sich ergehen. Was hatten ihr ihre Eltern da nur angetan? Loraine verkrampfte die Hände in ihrem Schoß und verfluchte ihr neues Leben innerlich.

Die ersten Schulstunden verliefen reibungslos. Die Lehrer beachteten sie nicht mehr so wie am Anfang, niemand kümmerte sich darum, was sie tat und das Leben wurde um einiges entspannter. Die erste Pause verbrachte sie damit, auf ihrem Handy SMS zu tippen, schickte sie jedoch nicht ab. Ihre alten Freunde konnten ihr nicht mehr helfen, sie waren meilenweit weg und konnten ja auch nicht her kommen! Wahrscheinlich amüsierten sie sich jetzt, hatten wunderbare Ferien zusammen verbracht und saßen in der Sonne, um noch ihre letzte Ferienwoche zu genießen.

Loraine hatte feststellen müssen, dass hier die Ferien eine Woche eher anfingen und aufhörten. Eine Frechheit war das! Ihr einfach eine Woche Urlaub zu klauen! Und dann noch dieses Schulsystem! Es gab nur Doppelstunden mit je einer Pause danach von fünf bis zehn Minuten! Wer sollte so etwas denn aushalten?

Nun jedoch galt es, sich schleunigst in Richtung Turnhalle auf zu machen, denn die Sportlehrerin, so hatte sie gehört, legte auf Pünktlichkeit sehr viel Wert. Wenigstens war sie direkt am Schulgelände angebaut, man musste nur den Schulhof überqueren und schwubb, war man angekommen. Loraine verzichtete lieber auf ihre Freizeit, ging direkt in die Umkleide und stellte ihre Tasche ab. Wie schon in der alten Schule, quetschte sie immer ihre Sportsachen, in eine Tüte gehüllt, in den selben Rucksack wie ihren Block zum schreiben. Obwohl es eine Schuluniform gab, gab es keine vorgeschriebenen Kleidungsstücke für den Sportunterricht.

Plötzlich hörte sie etwas hinter sich, ein Geräusch, als wäre bereits Jemand hier! Tatsächlich, erst sah sie sich panisch um, dann drehte sie langsam den Kopf und erblickte wirklich ein Mädchen. Beim hereinkommen hatte sie diese völlig übersehen.

"Oh, hi!", begrüßte sie die ihr Unbekannte.

"Hi.", war die zaghafte Antwort. Wenigstens ignorierte sie Loraine nicht, so wie alle anderen Mädchen hier.

"Ich bin Loraine.", stellte sie sich vor. "Und du?", war die gleich darauf folgende Frage.

"Miriam.", die Blonde klang recht eingeschüchtert. Gerade so, als hätte sie Angst!

"Was ist denn mit dir los? Ich beiß doch nicht!", die Schwarzhaarige grinste breit und zwinkerte kurz.

"Ach, weist du, die Mädchen hier mögen mich nicht, ich habe keine Ahnung von Mode und bin nicht gut im Sport, außer beim Turnen.", klagte sie ihr Leid. Loraine gab ihr die Hand und lächelte sanft.

"Freut mich, dich kennen zu lernen. Und wenn du Modetipps brauchst, bist du bei mir genau richtig!", meinte sie fröhlich und ließ ihre Hand dann wieder los.

Gemeinsam zogen sie sich um und gingen in die Halle. Außer ihnen war noch niemand hier und es hallte unheimlich, wenn man einen Fuß vor den Anderen setzte.

"Du, Miriam, wenn du willst, gehen wir mal in die Stadt und trinken einen Kaffee zusammen.", bot sich Loraine an. Ein verdutzter Blick folgte und eine abweisende Handbewegung.

"Du musst dich nicht mit mir abgeben. Ich will kein Mitleid.", entgegnete die Kleinere. Miriam hatte süße blaue Augen und strohblondes Haar. Während Loraine mit 1,75 Meter schon wirklich groß war, wirkte die Blondine eher klein, mindestens 8 Zentimeter Unterschied gab es da. Was beide jedoch ähnlich machte, war ihr Lächeln, sie strahlten dann Beide um die Wette.

"Nein, nein! Ich mache das nicht aus Mitleid, aber ich bin eigentlich nur gut in Mode und Farben. Mein Lieblingsfach ist Kunst! Und ich muss mich hier doch mal umsehen, was es so für Geschäfte gibt - da können wir doch gleich gemeinsam gehen!", rechtfertigte sie sich und erntete dafür ein glückliches Lächeln auf Miriams Lippen.

"Na gut, das ist in Ordnung!", antwortete diese, ehe schon die Jungs in der Sporthalle eintrafen. Wie es wohl überall üblich war, gab es da ein paar Chaoten, die sich sofort daran machten, das Ballfach zu öffnen und sich den härtesten Fußball zu suchen, den sie finden konnten.

"Oh Gott!", jammerte plötzlich Miriam. "Mit dem haben sie mir schon ein paar Mal Angst eingejagt! Es macht ihnen wohl Spaß!", Loraine sah sie verwundert an.

"Warum bist du dann nicht raus gegangen?", warf sie ein und sah ihre neue Bekanntschaft fragend an.

"Dort sind die anderen Mädchen und sie machen sich doch eh nur lustig über mich. Da weiß man nicht, was schlimmer ist!", diese junge Frau hatte wirklich Probleme! Loraine sah sie nun doch mitleidig an und sollte sogleich am eigenen Leibe erfahren, was die Jungs hier nun veranstalteten. Mit einer Wucht wie ein Brechhammer schlug der Ball genau gegen ihren Arm. Zwei der Jungs drehten sich sofort zu ihr, setzten zu einer Entschuldigung an und wurden mit einer forschen Handbewegung von Loraine zum Schweigen gebracht.

"Achtet gefälligst darauf, wo ihr hinschiest! Das kann ins Auge gehen!", meckerte sie und sah furchteinflößend zu den Beiden hinüber. Mit einem Mal war auch Arne eingetroffen und hob eine Augenbraue.

"Was ist denn hier los?", fragte er und sah zwischen den Parteien hin und her.

"Wir haben nicht aufgepasst und hätten fast Loraine abgeschossen.", meinte der Größere zerknirscht.

"Achso.", mehr hatte Arne nicht zu sagen? Es klang beinahe so, als wäre das Tradition und eben normal! "Passt einfach ein bischen besser auf, klar?", meinte er mürrisch und ließ sich auf die gegenüberliegende Bank fallen.

"Dieser Arne ist ein merkwürdiger Typ, oder?", fragte Loraine ihre neue Bekanntschaft.

"Naja, er gilt als sehr verschlossen und ist eigentlich nie freundlich, mach dir nichts draus!", meinte Miriam grinsend und winkte ab.

Nun gut, wenn sie meinte! Doch Loraine wollte so schnell nicht aufgeben, er war die einzige Begleitung die sie morgens im Bus hatte, für 5 Minuten waren sie die einzigen Personen im Fahrzeug, da war es doch viel angenehmer, wenn man sich verstand!

Der Sportunterricht verlief ruhig, man spielte ein paar Ballspiele, turnte, es wurde Leichtathletik hinter der Halle gemacht und schneller als die Mädchen es erwartet hatten, war die Stunde rum.

Loraine und Miriam wurden von da an nur noch zusammen gesehen.

Beide hatten gefallen daran gefunden, sich zu unterhalten, sie tauschten Adressen, Telephonnummern, E-Mails und natürlich auch Geschichten über einander aus. Das sie dabei den Unterricht halb verpassten, spielte kaum eine Rolle, immerhin wurde Heute noch nicht benotet!

Am Nachmittag gingen sie in eine kleines Café, dort bestellte sich die Schwarzhaarige einen Cappuchino und ein Erdbeereis, während sich Miriam für Schokoeis und einen Latte Macchiato entschied. Loraine erfuhr, dass das blonde Mädchen aus einer anderen Richtung mit dem Bus kam, sie wohnte nur fünf Minuten nach Norden von der Stadt entfernt, während Loraine nach Süden musste. Hier in Clainville war alles etwas kleiner gehalten, überschaubar und doch gemütlich und modern.

Sie fanden sogar ein nettes Modegeschäft unweit von ihrem Café, wo Miriam erst einmal neu eingekleidet wurde. Es stellte sich heraus, dass sie auf bunte Farben, Blumenmuster, Ringelstrümpfe, Bolleros und ausgeflippte Mützen stand. Loraine grinste breit, als Beide aus dem Geschäft traten, mit komischen Mützen auf dem Kopf.

Da es bereits dämmerte, liefen sie schnell zur Bushaltestelle. Es gab eine Art von Busbahnhof, wie sie Lorain kannte, doch er war klein und ihre Haltestellen lagen mit der Rückwand der Bushaltehäuschen genau aneinander. So konnten sie noch zusammen warten. Lorains Bus kam zwei Minuten eher als der von Miriam, es wurde sich verabschiedet und dann verschwand schon bald die Freundin und auch die Stadt aus Lorains Augen. Sie fuhr heim und freute sich, dass sie so eine nette Bekanntschaft gemacht hatte. Zu Hause angekommen, stieg sie aus dem Bus, öffnete die Tür und ging schnurstraks in ihr Schlafzimmer.

Dort war es gar kein Problem, ihre Errungenschaften einzuräumen. Daddy hatte ihr ein begehbares Ankleidezimmer direkt an ihr Schlafzimmer einrichten lassen. Es war noch nicht einmal halb voll, ließ also noch eine Menge Luft nach oben. Und Loraine brauchte den Platz! Zum Glück hatte sie erst ausgemistet, sonst wäre der Schrank sicher geplatzt.

In ihrem Zimmer befand sich ein Fernseher und eine Couch, sie ließ sich auf das violette Polster fallen, griff ihren weißen Laptop und öffnete die Klappe. Der Bildschirm ging an und zeigte ihren Desktop, sofort öffnete sie ihr E-Mail Programm und speicherte die neue Adresse, samt Kontaktdaten.

Etwas traurig registrierte Loraine, dass sie nicht eine neue Nachricht hatte und auch in ihren Chatprogrammen war keine ihrer alten Freundinnen anwesend. Dafür blinkte eine kleine Nachricht auf. "Mi-chan17 möchte mit ihnen befreundet sein. Wollen sie dies zulassen?", waren die knappen Worte und die Schülerin drückte auf "Ja". Sofort öffnete sich ein Chatfenster und Miriam meldete sich.

Den Rest des Abends verbrachte sie damit, sich mit der Freundin zu unterhalten, natürlich kam auch heraus, dass sie in drei Tagen Geburtstag hatte und eigentlich feiern wollte. Miriam sagte sofort zu und die Beiden beschlossen, sich bei Loraine zu treffen und den Abend davor gemeinsam zu verbringen. Miriam würde selbstverständlich bei ihr übernachten, so viel stand fest!

Punkt Zwölf klappte sie den Laoptop wieder zu, ihre Freundin wollte ebenso ins Bett gehen und dann lohnte es sich ja nicht mehr, noch im Internet zu bleiben, wenn nichts Spannendes zu sehen war.

Am nächsten Morgen stieg sie gut gelaunt und erwartungsvoll in den Bus. Sie wartete geduldig, bis Arne einstieg und an ihr vorbei ging. Auch Heute grüßte sie mit einem freundlichen "Guten Morgen.", doch sie bekam wieder einmal keine Antwort.

Die vier Doppelstunden vergingen wie im Flug, obwohl Miriam Loraine erklärte, dass sie Heute nicht ausgehen konnten, weil ihre Eltern etwas geplant hatten. Traurig stieg Loraine in den Bus. Sie hatten zwar lange Schule gehabt, dennoch war der Bus zum platzen voll. Der letzte freie Platz war – ausgerechnet – neben Arne.

"Kann ich mich setzen?", fragte sie ihn, doch seine Antwort war ein Gebrummtes: "Na, wenn es sein muss.", unzufrieden ließ sie sich auf den Platz sinken und stellte den Rucksack auf ihre Knie.

Eine Weile schwieg sie, dann sprach sie ihren Nebensitzer an. "Warum bist du eigentlich immer so abweisend?", fragte die Kleinere forschend und sah ihn leicht grimmig an.

"Warum bist du immer so fröhlich?", fragte er zurück und sah sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Loraine seufzte und beschloss, es vorerst gut sein zu lassen. Irgendwann würde sie diese Nuss auch noch knacken!

Der Abend war eher ruhig, im Fernsehen kam ein Krimi und um zehn Uhr kam ihre Mutter heim. Diese erklärte ihr, dass sie vorerst ein paar Monate allein hier bleiben müsse, da ihre Eltern leider viel zu viel zu tun hatten. Loraine kannte das Einsamsein bereits, abgeklärt nickte sie und war einverstanden, solange auf das Haus Acht zu geben. Sie hatten ebenso einen Balkon wie früher, immerhin war Loraines Schlafzimmer im ersten Stock und so konnte sie Abends noch die Nacht genießen.

Die Schwarzhaarige lag auf einem Liegestuhl mit hellen Polstern, sah in den Himmel hinauf und zählte die Sterne. Hier und da ergaben ein paar von ihnen Bilder, die Loraine mit den Fingern nachfuhr. Diesen Anblick würde sie in der nächsten Kunststunde unbedingt aufmalen! Wie sie jedoch so in Gedanken versank, schlossen sich auch langsam ihre Augen und das Mädchen döste ein.

Als sie wieder erwachte, war es Samstag Morgen. Es war noch warm und Loraine fror nicht, dafür saß nun ein merkwürdiger, schwarzer Hase auf ihrem Bauch. Er mümmelte da so vor sich hin und seine lieben, großen Augen glänzten ihr entgegen.

"Was machst du denn hier?", fragte sie erstaunt, immerhin saß sie auf einem Balkon und Hasen konnten normal nicht fliegen! Doch natürlich bekam sie keine Antwort – wie auch? Sie nahm den Hasen auf die Arme und trug ihn in ihr Zimmer. Ihre Eltern waren ja nicht da und sie hatte schon immer ein Haustier haben wollen. Dieser Hase war wirklich niedlich, mit seinem schwarzen Fell und den blauen Augen. Er gefiel ihr und sie würde ihm noch Heute einen Käfig und alles Zubehör kaufen. Da fiel ihr ein, dass sie ja Morgen Geburtstag hatte! Sie betrachtete Blacky, wie sie den Hasen getauft hatte, einfach als verfrühtes Geburtstagsgeschenk.

Der Tag verging ohne weitere kleine Wunder. Kein weiterer Hase tauchte einfach auf ihrem Balkon auf und auch sonst hielt sich die Natur zurück. Das Wetter war genial, sonnig, nicht zu warm und es wehte ein leichtes Lüftchen. Der perfekte Tag, für eine kleine Feier zu Zweit.

Punkt Sieben klingelte Miriam und Loraine eilte zur Tür. Die Mädchen begrüßten sich mit Küsschen und der Gast war beeindruckt vom Haus, von der Einrichtung, einfach allem! Loraine hatte viele Teller voller Essen regelrecht herbei gezaubert. Miriam wusste bereits nach zwei Tellern nicht mehr, wo sie das alles hin essen sollte. Gemeinsam sahen sienach dem Essen einen Schnulzenfilm und sangen zusammen Karaoke. Dabei verging die Zeit wie im Flug und ehe sie sich versahen, war es 15 Minuten vor Zwölf. Eilig holte die Hausherrin Sekt, ihren Mümmelmann und sie zählten die verbliebenen Zehn Minuten bis zu Loraines Geburtstag.

Als die Glocke der großen Standuhr das erste Mal schlug, stießen sie an, tranken und umarmten sich dann. Als jedoch der letzte Schlag verklungen war, begann Blacky plötzlich zu leuchten, wurde ein wenig größer und setzte sich demonstrativ auf die Hinterläufe.

"Schon viel besser!", seine Stimme war hell und klar, dennoch waren beide Mädchen entsetzt. Sie brachten kein einziges Wort heraus, was Blacky nicht weiter zu interessieren schien.

"Mein Name ist Vincent. Ich begrüße euch.", er sprach höflich und förmlich, so, als würde er diese Worte nicht zum ersten Mal sagen. Stop – er sprach tatsächlich? Sie hatten sich nicht verhört?

"Loraine? Hast du den organisiert um mich zu erschrecken?", stammelte Miriam, doch die Angesprochene schüttelte nur ungläubig den Kopf.

"Ladys.", fuhr der Hase dazwischen. "Ich habe eine Mission und wir verlieren den Zeitplan aus den Augen!", dieser Vincent war wirklich in Eile, er hoppelte im Kreis um sie herum und plötzlich begann der Hase auch noch eine Melodie zu sprechen. "Wir müssen uns beeilen! Sie warten schon!", na toll, panisch war er also auch noch.

Loraine wollte gerade etwas sagen, als der Hase stoppte.

"Sehr gut. Zwei auf einmal, wie hervorragend!", etwas schien ihn zu erfreuen, denn er klatschte, wenn man es so nennen konnte, drei Mal in die Hände. Ein grünes Licht erschien unter den Mädchen und Vincent trat näher zu ihnen.

"Meine Lieben, es wird ein wenig weh tun, ist aber auch sofort wieder vorbei.", das waren nicht gerade die Worte, die man von einem sprechenden Hasen hören wollte. "Den Rest erfahrt ihr auf der anderen Seite!", gleich nach seinen Worten, tat sich ein großes Loch unter ihren Füßen auf, sog sie nach unten und Loraine verlor die Orientierung.

Tatsächlich spürte sie einen stechenden Schmerz in ihrem Magen, ihre Ohren bauten einen Druck auf, der ihr das Gleichgewicht nahm. Drehend und fallend zugleich wurde sie durch dieses schwarze Loch gezogen, als sich plötzlich unter ihr ein weiteres grünes Leuchten bemerkbar machte. Dort lag also ihr Ziel? Als sie mit den Füßen das Licht berührte, öffnete sich erneut ein Loch, spie die Mädchen aus und sie landeten unsanft auf einem steinernen Boden.

"Autsch!", maulte Loraine, rieb sich den Hintern und suchte nach Miriam. Sie lag nur eine Armlänge von ihr entfernt und hatte Tränen in den Augen.

"Keine Angst.", flüsterte die Schwarzhaarige und ihre Freundin kroch zu ihr hinüber. Vincent saß vor ihnen, etwas erhöht. Und hinter ihm, auf einigen steinernen Treppenstufen, lagen Acht große Drachen! Wahrhaftige, lebendige Drachen! Einer von ihnen hatte die Augen geöffnet und sah achtlos auf sie herab.

"Blacky! Wo sind wir hier?", fragte das Geburtstagskind ihren Hasen. Dieser hob eine Augenbraue und antwortete: "Mein Name, wie ich bereits erwähnte, ist Vincent!", er war wohl wirklich ein wenig beleidigt. Loraine nahm sich vor, den Namen in Erinnerung zu behalten. Doch ob dieser zickigen Worte, erhob plötzlich der Drache das Wort. Seine Stimme erklang direkt in Lorains Herzen und etwas sagte ihr, dass auch Miriam die Worte vernehmen konnte.

"Vincent, beeile dich. Erkläre ihnen, warum sie hier sind!", befahl er und der Hase vor ihnen schreckte zusammen.

"Sehr wohl, Sir.", murmelte er demütig. "Meine Lieben, ihr seid hier im Himmel. Im Himmel der Acht. Die Ruhestätte der Drachen. Ihr tragt womöglich einen kleinen Teil ihrer Seele in Euch und seid damit auserwählt, eure Welt vor der Dunkelheit zu bewahren!", Miriam fielen fast die Augen heraus, während Loraine mit festem Blick aufstand und sich vor Vincent aufbaute.

"Und das entscheidest du so einfach? Warum sollten wir dir glauben?", es war jedoch nicht der Hase, der auf diese Worte antwortete, sondern der Drache.

"Ihr braucht es noch nicht zu glauben. Wir müssen erst prüfen, ob der Hase uns die Richtigen gebracht hat.", donnerte seine Stimme in ihrem Kopf.

"Prüfen?", fragte Loraine ungläubig.

"Ja.", entgegnete Vincent.

"Als die Erde geschaffen wurde, hat die Dunkelheit das erste Mal versucht, eure Welt zu zerstören. Diese acht Drachen hier, sind die Beschützer dieser Welt, sie verteidigten sie im ersten Krieg. Der Anführer der Dunkelheit jedoch verfluchte die Drachen, sie konnten fortan nicht länger unter Euch weilen.", fing Vincent an zu erklären. "Deswegen werden alle eintausend Jahre acht Jugendliche auserwählt, den Krieg auf ein Neues auszufechten.", schloss er bedeutungsschwer.

Loraine stand der Mund offen und sie sah ungläubig von einem Drachen zum Nächsten. Das musste ein Traum sein! Sie kniff sich in den Arm und doch passierte Nichts!

"Und wie sieht diese Prüfung aus?", fragte sie.

"Wir testen euren Glauben, denn das ihr das Potenzial in euch tragt, hat bereits die Reise hier her bewiesen. Keiner ohne einen Teil der Seele könnte hier her gelangen, sein Körper würde die Reise hierher nicht überstehen.", der Drache hätte sie einfach sterben lassen? Wenn Vincent die Falschen erwischt hätte, wären sie jetzt bereits tot?

Die Freundinnen klammerten sich aneinander, während der Drache leise einige Worte murmelte.

"Der Anführer der Acht wird euch nun zu euren Prüfungen schicken.", mehr erklären wollte Vincent offenbar nicht, denn sofort leuchteten zwei Kreise unter den Mädchen auf. Lorains Kreis war silbern, während der unter Miriam blau leuchtete. Mit einem entsetzten Schrei fielen beide in das sich öffnende Loch.

Prüfung

Vor ihren Augen, in völliger Finsternis, erschien mit einem Mal ein leuchtender Drachenkopf. Es war jener Eine, der auch eben schon zu ihnen gesprochen hatte.

"Kind, du musst vertrauen. Ich will sehen, wie viel von mir in dir steckt. Nutze deine Weisheit und deinen Instinkt. Dann kann dir hier nichts passieren. Solltes du nicht würdig sein und deine Kraft nicht groß genug, wirst du es bald spüren, wie mächtig wir sind.", damit verschwand der Kopf, ließ Loraine zurück und damit auch eine große Verwirrung.

Das schwarzhaarige Mädchen ruderte wie wild mit den Armen, denn sie hatte plötzlich das Gefühl, zu fallen! Der Eindruck verstärkte sich noch, als alles um sie herum in silbernes Licht getaucht wurde. Sie bekam keine Luft mehr, fasste sich panisch an den Hals und versuchte, die Luft anzuhalten. Wenigstens fiel sie nicht mehr. Das leichte Schwindelgefühl verflüchtigte sich damit auch. Doch das nützte nichts, wieso wollte man sie hier ersticken? Lange konnte das nicht gut gehen. Sie wusste, dass sie schon immer schlecht aus solchen Situationen heraus gekommen war. Einmal hatte man sie im Schwimmbad unter Wasser getaucht, damals schon war sie nur um ein Haar entkommen.

"Ihr werdet mich nicht umbringen können!", schrie sie mit letzter Kraft. "Euch beweise ich schon, was da in mir steckt!", sie brüllte regelrecht und mit einem Mal wurde ihr wieder der Boden unter den Füßen weggerissen und Loraine hatte das Gefühl, als würde man ihre den Magen umdrehen.

In der nächsten Sekunde hörte sie ein dröhnendes Geräusch. Es waren Stimmen, viele Stimmen, alle verhöhnten sie, machten sich lustig, ärgerten sie und verachteten das Mädchen. Loraine stiegen die Tränen in die Augen. Das war wirklich etwas, worauf sie nicht vorbereitet gewesen war, immerhin hätte sie es schrecklich gefunden, wenn ihr neues Zuhause so auf sie reagiert hätte, wenn keiner in der Schule nett gewesen wäre, sie - 'die Neue' - einfach als ein Freak abgestempelt worden wäre! Sie konnte sich dem Gefühl nicht erwähren und fiel in eine bodenlose Traurigkeit. Sie war nicht einmal im Stande, noch klar zu denken oder sich der immer größer werdenden Boßhaftigkeit zu erwehren.
 

Miriam sah den Ozean unter sich, nichts als unendliches Blau, es schien fast mit dem Himmel zu verschmelzen. Das kräftige dunkle Blau des Meeres am Horizont und das leuchtend helle Blau des Himmels. Der blaue Drache, der eben noch nicht gesprochen, sondern schlafend dagelegen hatte, erschien vor dem Schulmädchen. Ein erschrockener Schrei entfuhr ihrer Kehle und Panik erfüllte ihr Herz. Mit großen Augen starrte Miriam den Drachen an und lauschte seinen Worten.

"Habe keine Angst, meine Kleine.", dieser Drache war eindeutig weiblich. Seine Stimme klang gütig und wie eine Mutter. "Ich will dir nicht weh tun, doch ich muss wissen, wie viel Seele du von mir bekommen hast.", der Drachenkopf lächelte auf eine bizarre Art und Weise, die der Blonden einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Es sollte wohl warmherzig aussehen, doch diesen schuppigen Kopf so verzerrt zu sehen, sah doch ein wenig angstenflößend aus!

"Du musst deine Liebe nutzen, vergiss das nicht!", ihre Liebe? Miriam fühlte sich völlig verlassen und hilflos, als dann auch noch der Kopf verschwand, verließ sie aller Mut. Das Mädchen wurde in die Tiefe gerissen, Kopf vorraus stürzte sie in das kalte Nass. Sie fühlte eine Kälte, etwas, dass ihr bis in die Knochen tauchte, etwas, dass jede Hoffnung aus ihrem Herzen presste. Miriam frohr entsetzlich, sie war durchweicht und plötzlich begann es.

Sie war im Ozean, natürlich blieb ihr die Luft weg! Panisch begann sie zu schwimmen, doch es half nichts. Sie war eine gute Schwimmerin, sie mochte das Wasser, doch so eine Angst hatte sie darin noch nie verspürt. Sie konnte nach oben schwimmen und erreichte doch die Oberfläche nie. Dass es sich nicht lohnte, in die Ferne zu schwimmen, war ihr von diesem Anblick des endlosen Blau von vorhin noch bewusst. In allen Himmelsrichtungen hatte sich das Meer mit dem Himmel vereint. Es war alles blau, egal wohin sie sah. Langsam wurde ihre Luft knapp und die hektischen Bewegungen machten das nicht gerade angenehmer, sondern verschlimmerten ihr Leid eher noch!
 

Loraine presste die Augen zusammen und gleichzeitig die Hände auf ihre Ohren.

"Verschwindet!", wiederholte sie immer wieder, in der Hoffnung, dass die Stimmen sie endlich in Ruhe lassen würden. Doch mit jedem halbherzig gesprochenen Wort verstärkte sich die Intensität dieser Geräusche. Bald war es ein schrilles Quietschen, nicht mehr, als der störende Signalton einer Alarmanlage, gepaart mit Worten und Gedanken.

Das schwarzhaarige Mädchen begann, in ihren geschlossenen Augen Kreise und Lichtpunkte zu sehen, als Folge dessen, dass sie ihre Augen so stark zusammen presste. Sie biss die Zähne aufeinander, Schweißperlen traten auf ihre Stirn und eine Wut ergriff Besitz von ihr. "Lasst mich endlich in Ruhe!", schrie sie, wie ein letztes kraftvolles Aufbäumen. Hier konnten doch keine solchen Stimmen sein! Es durfte einfach nicht. Sie hatte Miriam, eine Freundin, sie musste sich an diesen Strohhalm klammern, mit all ihrer Kraft. Wenn sie dieses Mädchen beschützte, fühlte sie sich stark und frei. Warum also nicht auch jetzt? Loraine ballte die Hände zu Fäusten, sie wurden schon weiß, so fest krallten sich ihre Finger in die weiche Haut. Ruckartig öffnete sie ihre Augen, als vor ihr ein noch viel helleres Licht erstrahlte.

Es war silbern, wie wohl alles hier, doch es setzte sich ab, es strahlte und glitzerte. Zaghaft streckte sie eine Hand danach aus, doch zu fassen bekam sie es nicht. Die Stimmen brachen plötzlich in schreckliches Gelächter aus und Loraine übermannte eine Welle aus Hass und Wut. Sie riss die Zähne auseinander, brüllte lautstark und mit einem Mal fing sie selbst an zu leuchten. Ihre Haut schimmerte weiß und ihr ganzer Körper wurde mit silbernen Drachenschuppen bedeckt. Ihr Körperbau änderte sich leicht, ihre Augen wurden schärfer, ihre Zähne wurden spitz und die Hände und Füße sahen nun mehr aus wie Krallen und so gar nicht menschlich. Auf ihrem Rücken bildeten sich zwei knöcherne Spitzen, welche immer länger und länger wurden. Es durchfuhr sie ein Ruck und die Flügel auf ihrem Rücken breiteten sich aus. Ledrige Haut spannte sich zwischen den Knochen und auf dem Rücken des Geburtstagskindes bildete sich eine Reihe spitzer Zacken aus.

"Ich habe gesagt -", rief sie laut, "ihr sollt verschwinden!", diese letzten Worte erfüllten den gesamten Raum um sie herum. Das silberne Licht kam näher und ein kleiner Diamant erschien darin. Loraine nahm ihn vorsichtig und wahr überrascht, dass er ihre Haut nie berührte, statt dessen flog er zu ihrer linken Brust, blieb dort kurz schweben und pflanzte sich dann in ihren schuppigen Panzer. In dem Augenblick, als der Stein ihre Haut berührte und sich ein brennendes Gefühl in dem Mädchen breit machte, verschwand der silberne Raum um sie herum. Sie fiel kurz und landete schmerzhaft auf dem steinernen Boden von zuvor. Der silberne Drache sah sie erstaunt an und auch Vincent schien von ihrem Aussehen etwas verwirrt.
 

Miriam hatte stark zu kämpfen. Sie liebte Wasser, warum musste es hier ihr Ende sein? Sie paddelte ein wenig, denn die Blonde hatte das Gefühl, langsam davon in Richtung Grund zu treiben. Sie wehrte sich dagegen, bäumte sich auf und versuchte die letzten Luftreserven dafür zu nutzen, wenigstens nicht weiter zu versinken. Lange jedoch hielt diese Willenskraft nicht mehr an.

Japsend öffnete sie den Mund, Wasser dring in sie und füllte ihre Lungen binnen Sekunden. Blubberblasen stiegen über ihrem Kopf gen Himmel, während Miriam langsam versunk. Ihr Körper wurde schwer wie Blei, eine wohltuende Wärme ergriff sie, doch weiterhin sank sie zum Grund des Meeres. Warum?

Warum tat man ihr das an? Sie liebte dieses kühle Nass doch eigentlich. Wenn man mit dem Fuß in Wasser eintauchte, kribbelte es. Wenn man darin seine Kreise zog, schlug es Wellen. Der Blondschopf mochte es doch, ihren Körper auf dem Wasser treiben zu lassen!

Während sie jedoch so in die Tiefe sank, verblasste dieses Gefühl, die Zuneigung die sie normalerweise für dieses Element hatte. Ihre Arme hingen schlapp nach unten und langsam fragte sich das Mädchen, warum sie noch nicht das Bewusstsein verloren hatte. So tief unter der Wasseroberfläche dürfte sie schon lang nicht mehr bei sich sein, Luft hatte sie ja eh keine mehr.

Wieso?

Verwirrt hob sie die Hände, breitete dann ihre Arme aus. So hatte sie es schon früher getan, wenn sie einfach nur über dem Wasser getrieben war. Das Sinken wurde langsamer, angenehmer und selbst das Nass um sie herum schien ihre neu gewonnene Stärke zu spüren. Es wurde heller und heller, fast, als wolle es dieses aufkeimende Pflanzchen des Selbstbewusstsein stärken. Miriam traute sich, Luft zu holen, obwohl es völlig unmöglich sein musste. Doch zu ihrem Erstaunen funktionierte es! Dieses Wasser war kein Normales, es gab ihr Kraft, Ruhe und sogar ein wenig Zuneigung. Sie schloss die Augen und dachte sich nur, wie schön das Wasser sich anfühlte, während es ihren Körper umspülte.

Sie mochte es. Es wurde ihr jeden Moment klarer, sie hätte keine Angst haben dürfen, sich nicht verschließen sollen. Das sagte sich leichter, als es gewesen war, doch jetzt, als ein strahlend helles Licht auf sie zukam, war ihr Herz erfüllt mit Sicherheit. Miriam streckte die Hand aus und berührte etwas Kühles. Ein Saphir schwebte da über ihrer Hand und glitzerte fröhlich, erstaunt ruhte ihr Blick auf seinen Bewegungen. Die Blonde wollte ihn berühren, doch er wich ihr aus, schwebte direkt zu ihrem Bauchnabel und in dem Moment, als er ihre Haut berührte, wurde ihr Körper in ein hellblaues Licht getaucht.

Drachenschuppen in der selben Farbe breiteten sich über ihre Haut aus und der Stein war in der Mitte ihres Bauches eingebettet. Sie sah auf ihre Hände und Füße, die Krallen die sich dort bildeten sahen merkwürdig aus, doch es hatte nichts Befremdliches an sich. Ihre Augen nahmen mit einem Mal viel mehr wahr, erlebten die Welt auf eine neue Art. Selbst ihre Zähne fühlten sich anders an. Ihre blonden Haare legten sich über die Schuppen und säumten ihr Gesicht. Plötzlich verschwand das Meer um sie herum, sie fiel und landete japsend neben ihrer Freundin. Sie wusste sofort, dass es Loraine war. Sie sah noch viel stärker verwandelt aus als sie. Während Miriam nur schuppige Haut, Krallen und ein verformtes Gesicht hatte, so besaß Loraine Flügel und Stacheln. Ob sie etwas Falsches gemacht hatte?
 

Vincent erhob das Wort, als auch das blonde Mädchen endlich wieder eingetroffen war.

"Ihr habt bestanden. Eure Verwandlung ist der Beweis.", erklärte er sachlich.

Da erhob der silberne Drache das Wort. "Loraine, es ist erstaunlich, dass sich eine Inkarnation vor dem Erhalt des Steines verwandeln kann. Ich bin erfreut, so viel von meiner Seele in dir zu entdecken.", das schwarzhaarige Mädchen fühlte sich geehrt, sah dann aber verlegen zu Miriam, die keine Flügel hatte.

Dann öffnete der blaue Drache zum ersten Mal die Augen. "Auch ich bin stolz auf dich, Miriam. Deine Flügel werden sich bei deiner ersten richtigen Verwandlung zeigen, keine Angst!", beruhigte sie ihren Schützling. "Ich habe dich beobachtet und glaube, du bist eine würdige Besitzerin meiner Seele.", lobte sie weiter und man konnte der Blonden ansehen, wie wohl sie sich jetzt fühlte.

Vincent trat zu ihnen und hielt ihnen zwei Symbole entgegen. Das Eine sah aus wie ein Stern, es schimmerte silbern und hatte viele kleine Verästelungen. Das Andere war wie eine Welle, es schimmerte blau und wenn man es so ansah, bekam man das Gefühl, dass es sich bewegte.

Die Zeichen begannen zu schweben und setzten sich auf jeden einzelnen ihrer Fingernägel. Es bildete sich auf den Händen der beiden Freundinnen jeweils ein Muster. Während man dachte, der Sternenhimmel breite sich auf Loraine's Fingern aus, hatte man bei Miriam eher den Eindruck, man sehe das Meer selbst und man wollte am liebsten direkt darin versinken.

"Die Drachen können auf diese Weise mit euch in Kontackt treten.", erklärte der übernatürlich große Hase. "Die anderen Drachen schlafen noch, wir suchen mit Hochdruck ihre Seelen, die irgendwo in eurer Welt verstreut sind. Sollte sich eine Seele bemerkbar machen, müsst ihr sie suchen und dazu bringen, sich euch anzuschließen!", fasste er hektisch zusammen.

Schon erhob der blaue Drache erneut das Wort. "Ihr müsst wissen, dass ihr euch dank der Steine in eurem Körper und euren Zeichen verwandeln könnt. Haltet einfach die Hand auf die passende Stelle und glaubt fest daran, dass ihr die Kraft besitzt. Es werden jene Wesen erneut eure Erde heimsuchen. Die Dunkelheit sind finstere Kreaturen, zahlreich und so angsteinflößend, dass die Menschen sich ihrer nicht erwehren können! Sollte die Finsterniss gewinnen, wird sie die Herrschaft über euren Planeten an sich reißen. So, wie sie es schon immer gewollt hatte. Macht, Hass und Gier treiben sie an, mehr, als alles andere.", die Drachendame atmete schwer. Es bereitete ihr wohl Schmerz, sich an all das zu erinnern.

"Einst haben wir sie vertrieben, doch Heute können wir keinen Fuß mehr auf die Erde setzen.", sprach nun der silberne Drache ruhig. Im Gegensatz zu vor der Prüfung war er jetzt mehr wie ein Vater, sprach in einem höflichen Ton. In Wahrheit hatte ihn Loraine mit ihrer Verwandlung aus sich selbst heraus beeindruckt. Er war sich sicher, dass sie die Gruppe würdig anführen würde.

"Warum nicht?", fragte das Mädchen mit den Flügeln ihren Schutzpatron.

"Wie Vincent schon sagte, hat man uns einst verflucht. Wir können euch nicht helfen, denn unsere Seelen stecken zu großen Teilen in den Menschen, meine 'Silver Diamond' in Dir und die von 'Blue Saphire' in deiner Freundin. Es wäre übrigens auch schlau, sich mit diesen Namen anzusprechen, damit niemand erfahren kann, wer ihr wirklich seid. Eure Identität müsst ihr um jeden Preis schützen, die Dunkelheit wird keinen Weg auslassen, euch zu finden und mit euren Namen wäre es ein Leichtes!", wie der Drache das so sagte, machte es den beiden Freundinnen Angst. Lorain näherte sich Miriam ein wenig und unbewusst griffen sie gegenseitig ihre Hände.

"Nicht so ängstlich, meine Lieben. Wenn ihr zusammen haltet und an Euch glaubt, könnt ihr jede Hürde überstehen!", mit den Worten von Saphire schnippte plötzlich Vincent und die Mädchen wurden durch den selben Strudel durch den sie gekommen waren wieder in ihre eigene Welt zurück gerissen.
 

Kopfschüttelnd versuche Loraine wieder zu sich zu kommen. War das eben wirklich passiert? Sie saß in ihrem Wohnzimmer, an genau der selben Stelle wie vorhin, bevor sie in dieses merkwürdige Ding von Strudel gerissen wurden. Doch ein Blick auf ihre Hände verriet ihr, dass es kein Traum gewesen war. Auch Miriam schien das gerade bewusst zu werden.

"Blacky?", fragte sie verwirrt, doch Vincent war wieder klein, ob er ihr so überhaupt antworten konnte?

"Es heißt Vincent!", blaffte das kleine Häschen zurück und obwohl es nur ein Hase war, hatte Loraine das Gefühl, dass er sie vorwurfsvoll ansah.

"Entschuldige. Aber wie merken wir denn, dass da eine Finsterniss kommt?", wollte sie wissen, denn bisher war diese wichtige Tatsache ja noch nicht geklärt worden.

"Das werdet ihr schon merken.", war die pampige Antwort.

"Sir Vincent, wären sie vielleicht so freundlich, uns einen Anhaltspunkt zu geben?", fragte Miriam höflich. Loraine riss die Augen auf. Na was war das denn? Doch Vincent reagierte durchaus erfreut darauf.

"Wie der Name schon sagt, es wird sehr sehr dunkel werden. Mehr kann ich euch noch nicht sagen.", deutete der Hase an. "Ich werde einfach hier bei Loraine wohnen bleiben und ihr könnt euch doch sicher per Telephon verständigen?", schloss der Hase.

Natürlich konnten sie das! Ihre Handynummern und E-Mail Adressen hatten sie bereits ausgetauscht. Loraine nickte nur und Miriam nahm das Häschen auf den Schoß.

"Das können wir.", sagte die Blondine knapp, dann begann sie den Hasen hinter den Ohren zu kraulen.

"Wir sollten langsam in's Bett gehen, was denkst du, Miriam?", schlug die Schwarzhaarige vor. Ihre Freundin stimmte zu und nach kurzem Aufräumen verschwanden die Mädchen tatsächlich im Bett. Sie redeten nicht mehr, beide schien das Erlebte aufzuwühlen. Nur Blacky saß noch im Fenster und starrte in den Himmel. Die Zeit war also angebrochen, noch 2 Tage bis der erste Angriff stattfand.

Es war immer so gewesen, die Anführerin hatte Geburtstag und kurz darauf wurden die ersten Anschläge verzeichnet. Hoffentlich würden die Mädchen sich besser schlagen als so manches Mal in der Vergangenheit. Man wusste nie, was passierte. Jedes Mal verhielten sich die Träger der Seelen anders. Sie hatten Gefühle, Gedanken und Vorstellungen, die sich immer änderten, niemals war es der selbe Kampf. Schon deshalb wusste man nicht, ob die Finsterniss dieses Mal nicht gewann. Ein Fehler und alles war umsonst!

Nach einer Weile schlief auch der Hase ein.

Verwandlung

Miriam war am nächsten Morgen noch zum Frühstück geblieben, ehe sie das Geburtstagskind Loraine wieder allein gelassen hatte. Zum Abschied hatte die Blondine ihrer Freundin noch aus dem Bus heraus gewunken. Loraine stand an der Haltestelle, bis der Bus am Horizont verschwunden war. Seuftzend ließ sie die Schultern sinken und trottete nach Haus.

Was war das bloß gewesen? Bis jetzt verstand sie es noch nicht. Sie sollte wirklich kämpfen? Und Vincent hatte ihr nicht einmal einen brauchbaren Hinweis gegeben, was da auf sie zukommen würde. Das Bauernhaus mit der weißen Fassade und seinem altmodischen Charme kamen ihr in diesem Moment unheimlich befremdlich vor. Loraine knirschte mit den Zähnen und öffnete verwirrt die Haustür.

Vincent saß bereits wartend auf einem Läufer, kaum zwei Schritte vor der Tür. Er klopfte vorwurfsvoll mit dem Hinterlauf auf den Boden, während sein Blick das Mädchen mit den schwarzen Haare vor ihm fixierte.

"Du zweifelst, nicht wahr?", fragte er leise, doch der Ton in seiner Stimme wurde deswegen nicht sanfter. Eher bissen seine Worte und Loraine sah schuldbewusst zu ihm herunter.

"Ist auch nicht gerade normal, dass so etwas passiert, oder?", faucht sie zurück, schubste den Hasen mit einer forschen Fußbewegung bei Seite und stapfte an ihm vorbei. Ihr Dickschädel tat sein übriges, denn auf jedes weitere Wort des Hasen antwortete sie nicht mehr.

Dampfendes Wasser stieg in die Zinnbadewanne. Loraine saß bereits darin und lehnte sich an das kalte Metall. Bald würde die Wanne voll sein und ihr Kopf hoch rot von der Wärme. Kurz bevor das Wasser überzulaufen drohte, drehte das Mädchen den Hahn zu. Vorsichtig fuhr sie über die Stelle, an der gestern der Edelstein sich in ihre Brust gepflanzt hatte. An genau dieser Stelle hatten sich kleine silberne Linien gebildet und wenn man genau hinsah, konnte man an den Eckpunkten Punkte erkennen. Loraine traute ihren Augen kaum, als sie zaghaft anfingen zu funkeln. Das waren keine Punkte, auf ihrer Brust befand sich ein kleines Sternbild!

Was Miriam wohl tat wenn sie heim kam? Ob sie auch ein solches Bild auf ihrem Körper hatte? Loraine tauchte mehrmals einen Finger unter Wasser und zog dann langsam Kreise mit ihm.

Sie wusste, dass Vincent vor ihrer Tür saß. Dieses Tier beengte Loraine. Obwohl sie ihren Blacky mochte, war er ihr so fremd. Ohne ihn wäre ihr das sicher nie passiert! Zweifel machten sich in ihrem Kopf breit. Gerade in diesem Augenblick begannen die Symbole auf ihren Nägeln in einem sanften, weißen Licht zu scheinen.

"Du kannst es!", die tiefe Stimme von Silver Diamond hallte durch Lorains Schädel.

"Was?", erschrocken fuhr das Mädchen auf, sank aber sofort wieder in die Wanne und bedeckte ihren Körper mit ihren Händen. "Sind sie pervers, oder was?", fuhr sie den Drachen gedanklich an.

"Ich kann dich nicht einmal sehen, Liebes. Doch ich erinnere mich noch gut daran, wie du das letzte Mal vor mir standest.", er sprach gerade so, als sei es bereits Wochen her. Dabei war sie gerade einmal eine Nacht wieder zu Hause. Loraine schüttelte amüsiert den Kopf.

"Schon gut, schon gut.", wehrte sie gedanklich ab und wedelte dabei mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum. Sie vergaß eben doch, dass sie hier nicht von Angesicht zu Angesicht mit einer anderen Person redete. "Ich hoffe, dass wir es schaffen können.", gestand sie betrübt und ihre Hand versank wieder unter der Wasseroberfläche.

"Glaube!", war das aufmunternde letzte Wort des Drachen. Sofort danach leuchteten ihre Fingernägel erneut und der Glanz darauf verblasste. Loraine starrte die kleinen diamantförmigen Symbole an und lächelte sanft. Dieser komische Kauz verstand es, auf seine Weise, ihr Mut zu machen.

Den halben Nachmittag verbrachte Loraine damit, in der Wanne zu liegen, ihre Haare zu föhnen und sich anzuziehen. Den Rest des Tages dann damit, Hausaufgaben zu machen und ein Buch zu lesen. Erst am Abend, als die Nacht bereits angebrochen war, zog sie ihren Laptop herbei.

Mi-chan17 war bereits angemeldet. Miriam war nicht sonderlich kreativ mit ihrem Namen im Chat gewesen, aber so war sie eben. Loraine klickte auf den Namen und ein fenster öffnete sich.

"Hi Miriam. Alles ok bei dir?", schrieb sie mit gekonnt schnellen Tastenanschlägen.

"Ja.", war die knappe Antwort. Miriam hatte sich ganz schön Zeit für diese wenigen Buchstaben genommen. Loraine wurde misstrauisch.

"Was hast du gemacht bis jetzt?", fragte sie neugierig nach.

"Geschlafen.", irgendwie verhielt sich die Blondine gerade merkwürdig. Es passte gar nicht zu ihrem sonst so fröhlichen Wesen. Zu Fremden mochte sie zurückhaltend sein, brav und artig, aber Loraine hatte sie als offen und lebensfroh kennen gelernt.

"Sonst nichts?", hakte die Größere der Beiden nach.

"Doch, schon.", sollte das eine einseitige Diskussion werden? Loraine war sichtlich unzufrieden mit diesem Dialog. Miriams Antworten waren alle abgehakt und kurz.

"Und was?", stellte Loraine gleich die nächste Frage. Dass sie ihre Freundin damit bedrängen könnte, kam ihr nicht in den Sinn.

"Geredet.", Loraine wollte sofort auf Miriams Worte eine Antwort ansetzen, als sie kurz inne hielt. Denn unter dem Textfenster befand sich eine kleine Anzeige und dort fuhr der Stift noch immer über das Blatt. In winzigen, grünen Buchstaben stand dort geschrieben: "Ihr Gesprächspartner tippt.". Gerade noch rechtzeitig hatte sie es gemerkt. Hätte Loraine wieder eine Frage gestellt, hätte sie keine Antwort mehr bekommen, dessen war sie sich sicher. Noch hatte sie zum Glück keinen Buchstaben geschrieben.

Es dauerte etwas, ehe Miriam ihren Text absendete.

"Mit dieser Drachenfrau. Sie ist wirklich nett. Aber ich habe Angst. Ich glaube, ich schaffe das nicht.", sofort wurde Loraine klar, dass ihre blonde Freundin sich überwinden musste, ihr diese Worte zu senden. Ihr Gesicht verdunkelte sich und stetig wanderten ihre Mundwinkel nach unten.

"Ich verstehe dich. Mir ging es genauso. Aber hey! Wir sind zu Zweit und wir sind Freunde. Ich bin immer für dich da. Also keine Angst!", die Schwarzhaarige versuchte, ihrer einzigen Freundin Mut zuzusprechen, so wie es der Drache bei ihr getan hatte. Sie würde ihr einfach Kraft abgeben und wenn es dann so weit war, auf Miriam aufpassen.

":) Bis morgen", mehr als der Smily und ein Abschied kam an diesem Abend nicht mehr von Miriam. Loraine schaltete deprimiert ihren Laptop aus und klappte ihn zu. Achtlos wurde das Gerät auf den Tisch gestellt. Das Mädchen aß noch etwas, putzte die Zähne und ging frühzeitig zu Bett.

Am nächsten Morgen wachte Loraine noch lang vor ihrem Wecker auf. Alles um sie herum war dunkel und ihre grünen Augen konnte in dieser Finsterniss nichts erkennen. Vorsichtig schlug sie die Decke zurück, gähnte verschlafen und streckte ihre Arme nach oben aus. Alles fühlte sich so herrlich normal an – bis etwas auf ihren Schoß sprang und sie erschrocken zusammen zucken ließ.

"Vincent!", blaffte sie den Hasen erzürnt an.

"Guten Morgen, liebe Loraine.", dieser Hase war einfach eine Spur zu fröhlich für diese Uhrzeit. Müde und schlapp schälte sich die Angesprochene aus ihren Decken und machte sich für die Schule fertig. Immerhin galt es, Miriam heute etwas aufzumuntern. So niedergeschlagen wie gestern Abend konnte sie das Mädchen ja wohl kaum allein lassen.

Im Bus setzte sie sich auf ihren gewohnten Platz. Das Gefährt holperte über die Straße und fuhr den nächsten Ort an. Loraine wusste schon, wer jetzt zu ihr in den Bus steigen würde, es war nichts Angenehmes, aber an Arne früh am Morgen hatte sie sich auch schon gewöhnt. Eigentlich hatte sie sich an alles schon gewöhnt, das Geholper, Arne, ihr Haus, die Umgebung und auch an die Schule.

Wie selbstverständlich verließ sie den Bus und wollte in Richtung Schulgebäude laufen. Doch gedanklich hing sie noch an der zweiten Bushaltestelle. Warum war der mürrische Kerl mit den braunen Haaren nicht mit dem Bus gefahren? Ob er krank war? Loraine ging ihren Gedanken nach und achtete nicht darauf, wohin sie lief. Erst als ihre Schulter gegen etwas Kleineres prallte, schreckte sie hoch. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch drehte sich das Mädchen herum und sah vor sich eine Schülerin am Boden liegen.

Bücher waren aus ihrer Tasche gefallen, ihre Brille lag einen Meter neben ihr. Schuldbewusst biss sich Loraine auf die Unterlippe, ehe sie die Hand ausstreckte und der am Boden Liegenden auf zu helfen. Diese schlug jedoch ihre Hand weg, schnappte ihre Brille und sammelte ihre Sachen zusammen. Perplex starrte die Schwarzhaarige auf ihre Hand. Sie hatte diese immer noch ausgestreckt und konnte gerade nicht fassen, was da passierte. Langsam drehte sie die Handinnenfläche nach oben, musterte sie eingehend und zuckte mit den Schultern. Also da war nichts, daran konnte es nicht liegen.

Ihre Gegenüber hatte einen kurzen Bob, dunkelbraune Haare und graue Augen. Normal wäre sie, mit ihren Sommersprossen, Loraine nie aufgefallen. Das typische graue Mäuschen, sogar ihre Schuluniform trug sie vorschriftsgemäß. Loraine hatte natürlich nicht an sich halten können und hatte den Rock um ein paar Zentimeter gekürzt, hier und da ein paar Accessoires angebracht und auch sonst hatte sie etwas am Schnitt verändert. Da zahlte es sich eben aus, wenn man handwerklich ein wenig Ahnung hatte, auch wenn es bloß Schneidern und sonst nichts war.

Loraine sah dem Mädchen sprachlos hinterher. War es denn so schlimm gewesen? Gut, sie hatte nicht auf den Weg geachtet und das arme Mädchen rücksichtslos angerempelt, aber es war ja nicht mit Absicht! Verständnisslos ging sie ihr hinterher und betrat das große Gebäude, dass nun ihre Schule war.

Der Tag mit Miriam war anstrengend. Den halben Tag versuchte Loraine, ihre Probleme zu überspielen, vermied das Thema das zwischen ihnen stand. Doch schon am Mittag merkte sie, dass es so nicht weiter ging. Immer düsterer wurde die Stimmung und Miriam immer niedergeschlagener.

Bei einer guten Tasse Cappucchino saßen beide Mädchen am Nachmittag zusammen in einem Café. Ein Gespräch unter Freunden war fällig und Loraine tat sich schwer, es einzuleiten. Zu ihrem Glück, plapperte Miriam von ganz allein los. Schüttete ihr regelrecht das Herz aus. Was sie an Problemen hatte, nicht nur die Sache von vorletzter Nacht, sondern auch daheim und in der Schule. Es schien, als hätte sich alles um die blonde Schülerin angestaut. Loraine konnte nichts anderes tun, als ihr geduldig zuzuhören.

Als der Bus am Abend wieder heim fuhr, saß die einzige Passagierin hinten in der letzten Reihe, hielt sich den Kopf und seufzte leise. Miriam hatte sie bis jetzt noch festgehalten und Loraine hatte sich mit der Zeit immer weniger konzentrieren können. Dafür stand nun nichts mehr zwischen ihnen. Es hatte ihrer Freundin gut getan und mehr zählte in diesem Moment nicht.

Als sie an der letzten Haltestelle vor ihrer eigenen vorbei fuhren, schielte die Schwarzhaarige aus dem Fenster. Es hatte zu regnen begonnen und die dunklen Straßen breiteten sich gespenstisch zu beiden Seiten der Straße aus. Wo Arne hier wohl wohnte? Unbewusst malte sie ein kleines Bild an die Scheiben. Erschrocken zog sie den Finger zurück, rutschte von der Scheibe zurück und starrte die restliche Fahrt auf die beschlagene Scheibe. Die Blume die sie dort gemalt hatte, verblasste mit jeder Sekunde mehr, genauso wie das Dorf, durch das sie eben noch gefahren waren.

Der Regen trommelte rhytmisch gegen die Scheiben. Loraine schloss die Augen und genoss die Stille. Es war wunderbar dunkel und der Busfahrer schien es endlich zu schaffen, zumindest die größten Schlaglöcher zum umfahren. Vor ihrer Haltestelle hielt er mit quietschenden Reifen und eine erschöpfte Loraine stieg aus dem Wagen.

Sofort schlugen ihr die Tropfen gegen das Gesicht, ihre Kleidung war schneller durchweicht, als sie es bis zu ihrem Haus schaffte und als ein verästelter Blitz über den Himmel zuckte, war Loraine froh, nun endlich im Haus zu sein. Sofort holte sie ihren Laptop hervor, schloss ihn an und öffnete Miriams Chatfenster. Eine Nachricht stand bereits darin geschrieben.

"Findest du es nicht auch ungewöhnlich dunkel?"

Miriam hatte den Nagel genau auf den Kopf getroffen. Selbst Blackys Fell sah hell aus gegen das abgrundtiefe Schwarz des Himmels. Loraine drehte den Kopf zu ihrem Fenster und machte ein betrübtes Gesicht. Man konnte nichts vor dem Fenster erkennen, nicht einmal den Balkon.

Erschrocken weiteten sich die Augen des Mädchens. Dort draußen standen noch immer ihr Liegestuhl, ein kleiner Gartentisch und die Polster würden sicher ruiniert sein! Hastig stellte Loraine den Laptop bei Seite. Sie sprang auf und hechtete zur Balkontür hinüber. Mit zittrigen Händen öffnete sie die Tür und trat hinaus. Sofort riss sie die Polster vom Liegestuhl und warf sie achtlos in ihr Zimmer. Der Liegestuhl wurde zusammen geklappt und unter ein kleines Dach an der Seite ihres Balkons geschoben. Gerade als Loraine auch den Tisch greifen wollte, schlug am Horizont ein Blitz in den Boden ein. Der unüberhörbare Donner der folgte, ließ dem Mädchen das Blut in den Adern gefrieren. Obwohl sie bereits nass war und keine Sekunde länger hier bleiben wollte, hob sie den Kopf. Es war, als läge ein gehässiges Lachen in der Luft. Verunsichert schob sie das Möbelstück unter das Dächlein und ging wieder hinein. Noch ein paar Minuten stand Loraine regungslos vor der Scheibe.

Als sie sich umdrehte, hatte das Polster bereits eine kleine Pfütze auf ihrem Teppich gebildet. Fluchend schob Loraine den Störenfried in ihr Bad hinüber. Dann ging sie zu ihrem Laptop zurück. Vincent saß mit erhobenem Oberkörper auf ihrem Bett und starrte sie vielsagend an.

"Du hast es auch gemerkt, oder?", fragte er mit bedeutungsschwerer Stimme. Die Angesprochene nickte und ließ sich auf ihr Bett fallen.

"Ich sollte Miriam rufen, oder?", entschied Loraine und begann bereits zu tippen. Etwas Besseres fiel ihr nicht ein und der Hase nickte bloß. Viele Worte bedurfte es nicht.

"Komm schnell.", damit schloss sie das Chatfenster und gleichzeitig auch den Laptop.

Vincent sprang von ihrem Bett und sah seinen Schützling eindringlich an.

"Du musst es fühlen. Dann kommt deine Kraft ganz von allein.", flüsterte er leise und drehte sich zur Balkontür um. "Dabei kann dir niemand helfen.", mit diesen Worten hoppelte er davon. Die Balkontür schien sich von Zauberhand zu öffnen, Vincent trat hindurch und verschwand in der Dunkelheit.

Loraine blieb hilflos zurück. Was hatten die Drachen gesagt? Sie musste ihre Hand an die Stelle halten, wo ihr Edelstein sich niedergelassen hatte? Aufgewühlt hob sie ihre Hand und führte sie zögerlich in Richtung Brust. Nein! Hier drin durfte sie das nicht machen. Das letzte Mal waren ihr Flügel gewachsen und wenn sie das im Haus tat, würde sie mit Sicherheit die Wände zertrümmern.

Vorsichtshalber ging sie auf ihren Balkon, drehte sich mit dem Gesicht zur Hauswand und machte die selbe Bewegung erneut.

Loraine hatte ihre Augen geschlossen. Sie horchte tief in sich hinein und grüßte innerlich den Drachenherren. Ihr Atem wurde langsamer, doch noch immer rührte sich nichts. Loraine begann, wütend zu werden. Dieser Kerl konnte ihr doch nicht die Zeit rauben! Sie brauchte Kraft und er hielt sie vor ihr zurück und versteckt.

"Du Scheißkerl! Rück schon raus! Ich will hier nicht ewig dumm im Regen stehen!", maulte sie so vor sich hin.

Mit einem Mal spürte sie es. Ein Kribbeln breitete sich in ihrer Magengrube aus und Loraine begriff. Hier ging es um ihren Willen, sie musste kämpfen wollen – um jeden Preis. Nur wer selbstbewusst war, konnte diese Kraft nutzen. Ihre Fingernägel begannen im selben silbernen Licht zu leuchten, wie gestern in der Badewanne. Die Stern verästelten sich immer mehr, bildeten silberne Bahnen und vereinten so die Sternbilder auf ihren Nägeln. Im gleichen Moment begann das Bild auf ihrer Brust, sich zu vergrößern. In rasender Geschwindigkeit breitete es sich über ihren gesamten Körper aus und nach nur wenigen Sekunden, hatten dutzende Sterne sich über Loraines Körper verteilt. Ihre Haut war schwarz geworden, befanden sich nun im Einklang mit ihrem Haar, bloß die grünen Augen hoben sich stechend von dieser Finsterniss ab.

"Sterne, gerecht und stark, ich fordere meine Kraft!", hallte es aus ihren blutleeren Lippen, die aschfahl in ihrem Gesicht thronten.

Ein Ruck lief durch Loraines Körper. Schuppen begannen, sich auf den silbernen Sternbahnen auszubilden. Ihre Finger spreizten sich, krümmten sich und wurden zu Krallen, ebenso ihre Füße. Auf jeder Einzelnen prangte ein kleines, feines Sternbild. Dann kam ihr Kopf dran, ihre Zähne wurden spitz, ihre Augen schmaler und länglicher und noch im selben Augenblick, nahm sie viel mehr Details in ihrer Umgebung war.

Ein lauter Schrei folgte und ein sanftes, weißes Licht hüllte ihren zuvor schwarzen Körper ein, verdeckte die Schuppen und als es aufhörte zu strahlen, ragten zwei ledrige Schwingen von ihrem Rücken, gesäumt von spitzen Stacheln über ihren gesamten Rücken bis hinunter an die Spitze des Schwanzes, in dem ihr Rücken nun endete. Ein umso entschlossenerer Schrei gellte über den Himmel, Loraine stieß sich kraftvoll vom Balkon ab, stieg in die Lüfte und spürte zum ersten Mal, wie sich fliegen wirklich anfühlte. Es war einfach wundervoll.

Ihr silberner Körper hob sich deutlich von der Dunkelheit um sie herum ab. Ihre Augen suchten den Himmel nach Miriam ab, denn tief in sich wusste sie, dass das Mädchen unterwegs war.
 

Miriam laß die letzte Nachricht auf ihrem Computer. "Komm schnell.", sie flüssterte die Worte leise vor sich hin und seufzte. Loraine war immer so euphorisch, so direkt. Da konnte sie nicht mithalten. Die Blondine erhob sich, wobei der Drehstuhl, auf dem sie bisher gesessen war, lautstark über den Parkettboden nach hinten geschoben wurde.

Als ein besonders heller Blitz über den Himmel zuckte, sah sie die Silhouette eines Hasen vor ihrem Fenster. Doch als sie das Fenster öffnete, war das Tier verschwunden. Miriam wusste sofort, dass es Vincent gewesen war. Panisch stürmte sie aus ihrem Zimmer, aus ihrer Wohnung hinaus und abwärts durch das Treppenhaus. Im Erdgeschoss rannte sie vorbei an der Haustür ihrer Großmutter und zum Hinterausging hinaus in den Garten. Abgehetzt erblickte sie Vincent unter einer großen Eiche.

"Liebes, du musst dich beeilen. Sie werden bald da sein.", eine herzlichere Begrüßung konnte Miriam sich nicht von diesem Hasen erhoffen. Es drängte, dass merkte selbst das schüchterne Mädchen. Sie nickte ihm zaghaft zu und wartete ab, ob er noch mehr Hinweise für sie hatte.

"Fühle es, Kind, fühle es!", hallte die Stimme der Drachendame durch Miriams Schädel. Für einen Augenblick hatte sie sich so stark auf den Hasen konzentriert, dass sie das Leuchten an ihren Fingern komplett übersehen hatte.

Auch Vincent nickte, gerade so, als habe er es gehört. "Mehr kann ich dir auch nicht sagen. Es kommt alles von dir.", ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel und das Tier war verschwunden.

Allein stand Miriam im Regen. Ihr machte das kühle Nass nichts aus, sie genoss es eher, breitete die Arme aus und ließ sich in seine Umarmung fallen. Auch Miriam schloss die Augen, atmete die frische Luft ein und ein sanftes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. Dann legte sie eine Hand auf ihren Bauchnabel, so wie Blue Saphire es erklärt hatte. Sofort schwappten die Wellen von ihren Nägeln über und auch das Bild um ihren Bauchnabel begann zu wabern. Alles schien in Aufruhr, bewegte sich stetig und breitete sich so über ihren Körper aus. Ihre Haut sah aus, als sei sie das Meer selbst. Ihre blauen Augen wirkten wie der Himmel, der verschwindend klein über dem Meer prangte. Ihre Lippen verfärbten sich türkis und ihre Wimpern grün, gerade so, als hätte sich Seetang darin verfangen.

"Wasser, weise und sanft, gib mir meine Kraft!", Miriam schrie es mit aller Kraft heraus, ein Außenstehender hätte wohl geglaubt, ihr zierlicher Körper würde unter diesen bedeutungsschweren Worten zerbersten.

Die Wellen auf ihrem Körper bildeten sich zu blauen Schuppen aus, ihre Augen verzogen sich in die Länge und auch ihre Zähne wurden spitz. Ihre Körperhaltung war ungewohnt gebückt und ihre Hände und Füße verformten sich zu Krallen. Ein sanftes, azurfarbenes Licht umfing sie, als ein heftiger Ruck durch ihren Körper ging. Schmerzhaft bildeten sich der Schwanz und die Schwingen auf ihrem Rücken. Doch als das Leuchten verglomm, konnte sie ihre Flügel ausbreiten. Noch immer rahmten die goldenen Locken ihr Gesicht und gaben ihr so etwas Sanftes.

Miriam versuchte vorsichtig, die Knochen ihrer Flügel zu kontrollieren, ließ sie sich ein wenig aufschütteln und spreizte sie dann. Eine heftige Windböe erfasste die ledrige Haut und zog Miriam fast automatisch in die Höhe. Kraftvoll schlug sie mit den Schwingen und spürte, dass der Wind sie tragen konnte. Sofort machte sie sich auf den Weg zu Loraine.

Erfreut stellte Miriam fest, dass ihre Bewegungen hier oben viel schneller waren. Flüssiger. Geschmeidiger. Sie kam so schnell voran, dass sie schon nach zwei Minuten bei ihrer Freundin eingetroffen waren.

"Loraine!", rief sie schon aus weiter Entfernung. Denn das silberne Drachenmädchen hob sich so stark von Himmel ab, dass sie es schon frühzeitig am Horizont erkennen konnte. Einzig ihre schwarzen Haare ließ sie ein wenig mit dem Himmelszelt verschmelzen. Immer wieder rief Miriam und winkte der Anderen.

"Silver Diamond!", antwortete dies Freundin kühl. "Blue Saphire, vergiss das nicht. Wir müssen uns schützen!", Miriam nickte bloß auf diese Worte. Loraine hatte Recht, sie würden sich verraten und am Ende ihre Familien in Gefahr bringen, das wollte sie auch nicht.

Wie selbstverständlich übernahm Silver Diamond die Führung, sie flog vorraus und Blue Spahire folgte. Im Gegensatz zu Miriam, hatte Loraine gesehen, wo der Blitz eingeschlagen war. Miriam stellte das schnell fest, denn sie flogen zielgerichtet in eine Richtung ohne vom Kurs abzuweichen.

Gesprochen wurde kein Wort, bis sie den Waldrand erreicht hatten. Die Wiedergeburten warteten schwebend über einem Feld, harrten der Dinge, die dort kommen mochten.

Loraine hatte sich zu Miriam umgedreht. "Wir müssen stark sein. Aber keine Angst, ich beschütze dich!", sagte sie forsch. Die Angesprochene reagierte nicht. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr Schwanz schlug wie verrückt um sich. Verwirrt runzelte die Anführerin die Stirn, neigte leicht den Kopf und sah Blue Saphire verständnisslos an.

"Sieh!", schrie ihr das Mädchen entgegen. Langsam drehte sich der silberne Drache und blickte in das Auge des Abgrunds, sie erstarrte ebenso und ein eisiger Schauer lief über ihren Rücken.

Kampf

Beide Mädchen hielten starr die Luft an. Ihre Augen ruhten auf dem Waldrand. Loraine lief ein vereinzelter Schweißtropfen die Wange hinunter und Miriam biss sich auf die Unterlippe. Vor Schmerzen jaulte sie auf, denn durch das leichte kauen, hatte sie sich selbst verletzt. Rotes Blut benetzte ihre blauen Schuppen. Loraine hingegen stand der Mund weit offen. Was sie beide gemeinsam hatten, waren ihre weit aufgerissenen, ungläubigen Augenpaare.

Bewegungen waren zwischen den Bäumen zu erkennen, wie dunkle Schatten, die zwischen dem Unterholz umher huschten. Loraine fühlte sich von roten Augen beobachtet. Eines dieser Wesen hatte sich vor dem Waldrand postiert.

Seine Erscheinung war grauenhaft. Der Körper schien aus Dampf zu bestehen, schwarzem, schattenlosem, undurchdringlichem Rauch. Zerfetzte Kleidung hing darüber, blähte sich hier und da auf und an den Stellen, an denen der Stoff umgeklappt war, weil der Riss nicht mehr geschlossen werden konnte, drang Eiter nach draußen. Es wirkte gerade so, als hätte dieses Wesen an jenen Stellen Wunden, doch sah man in sein Gesicht, erkannte man, dass er überall kleine Pusteln hatte, die mit Härchen besetzt waren. Eiter lief aus den Haarspitzen und benetzte seine Haut.

Auf dem aschfahlen Kopf saß ein Helm, er hatte einen römischen Stil, mit roten Federn auf der Spitze und Verzierungen in Gold und Silber an den Seiten. Er saß schief auf seinem Schädel und wenn er sich bewegte, klapperte das Metall am Knochen.

Seine linke Hand, knochig und mit einem großen, goldenen Ring verziert, ruhte auf einem Schwertknauf. Das Schwert war eher ein Krummsäbel und reichte fast bis zum Boden. Scharrend schleifte es über den Boden.

Die rechte Hand hingegen, mit ihrem metallischen Handschuh, lag auf dem Stamm eines Baumes. Die Finger des Handschuhs waren mit spitzen Enden versehen. Schrill kratzten sie über das morsche Holz und gerade als die Hand sich vom Stamm lösen wollte, krallten sich die Finger in das zersplitternde Material. Der gesamte Baum krachte in sich zusammen und fiel kreischend zu Boden.

Seine Füße waren in Plattenstiefel gehüllt. All diese schweren, wuchtigen Details ließen seine zerfetzte Stoffrobe noch unwirklicher erscheinen. Sein Körper neigte sich leicht nach links, das Gewicht auf das Schwert stützend. Sein Schrei hallte durch den Wald und vibrierte noch in den Knochen der Mädchen.

Auf dieses Kommando hin, rückte eine Reihe weiterer Schattenkrieger aus der Dunkelheit. Ein riesiges, violettes Tor war in einiger Entfernung zu sehen. Sein schauriges Licht strahlte über die Baumkronen und tauchte das Spektakel in ein mysteriöses Licht. Man konnte Schreie von dort hören, Fußstampfen und das Klappern von Metall.

Miriam sah Loraine angsterfüllt an.

"Keine Angst, wir ... wir dürfen keine Angst zeigen!", rief sie ihr motivierend zu und lächelte schwach. Diese wabernden Wesen machten selbst Loraine ein wenig Angst und da ihrer Freundin Mut zu machen, war eine schwere Aufgabe.

Ihr Gegner schien ihre Gedanken lesen zu können. Sein gehässiges Lachen schallte über die Ebene. Er konnte ihre Schwächen fühlen und sie für sich nutzen. Dieses Wesen war keines Falls dumm oder einfältig, sein Angriff war geplant und zielgerichtet. Er war es, der hier die Spielregeln angab und die Drachenmädchen waren bloß Figuren in seinem Spiel.

Er reckte den rechten Arm in die Höhe, das Schwert fest im Griff. Loraine konnte beobachten, wie er es langsam senkte und es genau in ihre Richtung deutete. Die Klinge selbst schien zu vibirieren, ein klirrendes Geräusch ging von ihm aus und das Grinsen auf dem Gesicht des Mannes wurde breiter. Gerade als seine Armee aus dem Wald preschte, zog er sich in das schützende Dunkel zurück.

Miriam flog ein wenig höher. Die Angst war zu groß und die Hoffnung, hier könnte man sie nicht erreichen, einfach zu trügerisch wärmend. Bereits im nächsten Moment kam einer der Angreifer auf sie zugestürmt, stockte einen Moment und stieß sich dann mit aller Kraft vom Boden ab. Sein Sprung war so hoch, dass Miriam und Loraine klar wurde, dass ihr vermeindlicher Vorteil keiner war.

Der Gegner erwischte den blauen Drachen, versetzte ihr einen Hieb gegen den Unterschenkel und landete dann dumpf wieder auf dem Boden. Er leckte sich genüßlich die rote Flüssigkeit von seinem metallischen, mit Krallen besetzten Handschuh.

Von diesem ersten Treffer und dem darauf folgenden, schmerzverzerrten Schrei angestachelt, schien die Meute unter ihnen in einen Blutrausch zu fallen. Loraine war zu Miriam hinüber geflogen und sah sie sorgenvoll an. Diese schüttelte jedoch bloß den Kopf und wehrte so jede Hilfe ab. Zeit, sich Sorgen zu machen, war so oder so schon lange nicht mehr, denn mit einem Mal wurden sie aus allen Richtungen bedrängt.

Rücken an Rücken hingen die Drachenmädchen in der Luft. Ihr Atem ging schnell und weiße Dampfwölkchen bildeten sich vor ihrem Mund. Den ersten Schritt wagte Loraine. Der silberne Drache fuhr wie ein Blitz nach unten und schlug dem erstbesten Gegner die krallenbesetzte Faust gegen die Brust. Das Wesen jaulte laut und verpuffte in eine schwarze Rauchwolke. Einzig ein Fetzen Stoff blieb an den silberglänzenden Krallen hängen und zeugte vom erfolgreichen Treffer.

Miriam fühlte sich angesport und griff nun ebenso an. Die Mädchen trennten sich nicht und blieben stets mit den Rücken beieinander. Der Schutz bot Sicherheit und machte sie mutiger. Doch ihre Angreifer waren aufmerksam, sie hatten gesehen, dass Silver Diamond viel forscher in ihren Schlägen war. Ein paar der Schattenmänner wichen vor ihr zurück und blockten ihre Hiebe nur noch.

Immer weiter wichen ihre Reihen nach hinten aus und Loraine fühlte sich sicher. Sie drängte die Wesen zurück und näherte sich dem Waldrand mit jeder Sekunde mehr. Ihr Ziel war ganz klar das große Portal, dass sein Licht über den Kampfplatz schickte. Erst als einer der Männer hinter ihr auftauchte und ihr einen Hieb gegen den stachelbewährten Rücken verpasste, fuhr Silver Diamonds Kopf herum. Sie trat mit ihren Fußkrallen nach dem Angreifer und musste feststellen, dass diese ebenso gute Waffen waren.

Erst jetzt, als ein gellender Schrei von Saphire über das Schlachtfeld tönte, sah die Silberne zurück. Ihre Augen weiteten sich, gepackt von Entsetzen schlug sie wild mit den Schwingen und gewann an Höhe. Wie ein Pfeil schoss Loraine auf die Freundin zu. Erst im letzten Moment wurde sie aufgehalten, als einer der Krieger seine Klinge in die Höhe streckte und das fokusierte Mädchen aprupt stoppte.

Loraine machte einen Purzelbaum, kam keuchend wieder auf die Füße und schlug wild um sich. Der Schattenmann bereute seinen Angriff schon eine Sekunde später, als ein heftiger Tritt ihn vernichtete. Loraine hetzte, die Pranken schwingend, zu Miriam. Sie lag am Boden und wehrte sich nur noch kläglich gegen die Hiebe ihrer Gegner. Silver Diamond musste zugeben, dass sie sich hatte ablenken lassen und hingerissen gewesen war von ihrer neuen Kraft.

Nach einem kraftvollen Befreiungsschlag half Loraine Blue Saphire wieder auf die Füße. Schweiß lief beiden Mädchen die Stirn hinunter. Keuchend krümmten sie sich von den Anstrengungen. So schwierig hatten sie sich das nun wirklich nicht vorgestellt.
 

Vincent saß ruhig auf dem Fensterbrett seiner neuen Mitbewohnerin. Diese Mädchen würden noch viel üben müssen. Ihre Technik machte ihm Sorgen. Denn im Gegensatz zu normalen Tieren, hatte er genauso magische Kräfte wie seine Schützlinge. Seine Kraft drückte sich nicht im Kampf aus, dafür hatte er einen Blick geerbt, der ihm zu jeder Zeit seine erwachten Mädchen zeigte. Sie waren hilflos und doch durfte er ihnen nicht helfen. So war es all die Jahre gewesen. Mal um Mal hatte er zusehen müssen, wie sie sich allein durch diesen Kampf schlugen.

Was ihn stutzig gemacht hatte war die Tatsache, dass der Zeitablauf verändert wurde. Die Finsterniss tauchte nie vor dem dritten Tag nach der Verwandlung auf. Diese Regel hatten die Schattenwesen nie verändert. Ihre Seelen erwachten immer zum selben Zeitpunkt und waren dann vom Durst getrieben, einzig im Zaum gehalten von ihren Anführern.

Der Hase ließ die großen Schlappohren hängen. Etwas war merkwürdig. Doch er würde mit Sicherheit noch dahinter kommen. Irgendeine Kraft musste sie antreiben. Etwas, dass mächtig genug war, den Verlauf dieses Krieges, der seit Anbeginn der Zeit nie verändert wurde, zu verschieben. Auch wenn man nie wusste, wie die Mädchen sich schlugen, nach dem Erscheinen der Portale hatte man bisher die Uhr stellen können.
 

Loraine spürte, wie ihre Kraft nachließ. Ewig würde sie die Gegner nicht mehr mit Schlägen und Tritten taktieren können. Miriam japste und keuchte. Die Kraftreserven des blauen Drachenmädchens schwanden schnell, viel zu schnell, das war Diamond klar.

"Ich brauche mehr Kraft!", schrie sie wütend dem Himmel entgegen. Ihre Gegenüber konnten sich wohl das boshafte Lachen nicht verkneifen. Sie verstanden ihre Sprache also sehr wohl. Ein Fakt, den Loraine diesen groben Gestalten mit ihren wenig anmutenden Bewegungen nicht zugetraut hätte.

Miriam hingegen schrie ihre Wut nicht heraus. Sie beobachtete die Freundin, die sich mit immer größer werdender Verzweiflung den Wellen aus Schattenwesen entgegen warf. Die Blaue hingegen atmete tief durch. Ihr Durchhaltevermögen war groß und Loraine hängen lassen, würde sie sicher nicht. Doch wie konnte sie ihr helfen?

"Fühle es.", raunte die so vertraute Stimme ihrer Drachendame durch Miriams Kopf. Schon im nächsten Moment war die Verbindung beendet und das Mädchen war wieder ganz im grausamen Kampf gefangen. Es musste einen Ausweg geben und sie würde ihn finden!

Die blonde Kriegerin schloss ihre Augen, es war, als wogte das Meer selbst in ihr. Diese Macht, die in ihr ruhte, war so stürmisch wie die See und doch gleichzeitig still. Ihr Herz war ein kleiner Teich, seine Oberfläche kräuselte sich und bildete kleine Kreise, als hätte jemand einen Stein hinein geworfen. Immer mehr gerieten die Wellen in Bewegung, ihr Blut begann schneller zu fließen und mit einem Mal stürzte es aus ihr heraus.

"Kreislauf des Wassers ... ", rief Miriam zögerlich in die Dunkelheit hinaus.

Man konnte den Boden unter dem Mädchen vibrieren spüren. Ihre Augen waren geschlossen. Etwas schien unter den Erdoberfläche zu brodeln. Noch hingen ihre Arme schlaff nach unten, doch mit einem Mal drehten sich ihre Handflächen nach vorn. Die Gliedmaßen waren angespannt und bewegten sich dann in einer runden Bewegung nach oben. Als ihre Arme gerade nach vorn ausgestreckt waren, stoppten sie.

Die Erde machte Geräusche, als würde etwas aus ihrer Mitte gerissen. Dann legte Miriam beide Handrücken gegeneinander und spreizte die Arme leicht. Sofort riss der Boden auf und Wasser füllte die Ebene unter ihr. Es bewegte sich stetig, bäumte sich auf und fiel dann wieder ab, beruhigte sich. Es war ein Wechselspiel, welches allein die Blaue in ihrer Hand hatte.

Die Handfläche ihrer Linken zeigte nach vorn, während Miriams rechte Hand zur Seite geführt wurde. Ihre Hand kippte mehrmals auf und ab, da schoss eine Wasserfontaine nach oben und stand ruhig in der Luft. Es hatte etwas Bedrohliches, wie diese Wassersäule ihren Schatten über die Wesen schickte.

Auch mit der anderen Hand wiederholte Blue Saphire dieses Spektakel. Zwei mächtige Wasserfontainen sprudelten neben ihr, wogten sich leicht und behielten doch genau die Position, die ihnen zugedacht war. Genau an der Seite ihrer Herrin.

Die Rechte Hand wurde in einem Bogen nach oben geführt und das Wasser folgte. Miriam ballte die Hand zur Faust, führte mit angewinkeltem Arm an ihrem Gesicht vorbei und zu ihrer Körpermitte. Mit aller Kraft und Präzision die sie hatte, schoss ihr Arm nach vorn.

"... schenke ... ", ihr Schrei zerriss die Stille und peitschte wie ein Kanonenschlag über die Baumkronen hinweg.

Auch Loraine hatte das Schauspiel mittlerweile bemerkt und konnte ihre Augen nicht abwenden. Wie hatte ihre Freundin das bloß gemacht? Ihre Augen weiteten sich jedoch vor Schreck. Ausweichen konnte sie schon lang nicht mehr. Denn die Wassermassen bewegten sich mit erschreckender Geschwindigkeit auf ihren Körper zu. Jede kleine Regung nahmen sie auf ihrem Weg war und korrigierten ihre Bahn. Schützend riss Loraine die Arme vor sich. Das Letzte was die Silberne sah, war die Handfläche Miriams, die genau auf Loraine zeigte.

Wasser umspülte ihre Freundin und würde ihre Wunden reinigen. Die schlechte Energie aus ihr heraus saugen und ihr die verlorene Kraft ersetzen. Die zweite Wassersäule zuckte bedrohlich. Noch hatte Miriam ihre Wucht noch nicht entfesselt und das spürte man. Die Wesen sahen eingeschüchtert zu ihr hinüber und warteten darauf, was nun geschehen würde.

"... und entreiße!", grollend wie ein Donnerschlag prasselte ihre Stimme auf die Wartenden hernieder. Ihr zweiter Arm hatte sich ebenso nach vorn bewegt, mit dem Unterschied, dass ihre Hand nun zur Faust geballt war. Die Augen des Drachenmädchens begannen blau zu glühen und sein Strahlen warf sich unbarmherzig gegen das violette Licht des Portals. Ihr gesamter Körper glühte und vertrieb die Dunkelheit um sie herum.

Die gesamte Wucht des Elements traf die Angriffsreihen. Gegner um Gegner wurde umspült und davon gerissen. Wer den Boden unter den Füßen verlor, war Blue Saphires Willkür unterworfen. Die Welle ergriff alles, was sich ihr entgegen stellte. Miriams gesamte Wut und Verzweiflung steckte in diesem Angriff.

Loraine war geschockt, wie stark ihre blonde Freundin geworden war. Der heilende Strudel hatte sie umgeben und völlig durchweicht. Doch als das Wasser verdampfte, fühlte sie sich wie neu geboren. Augenblicklich musste sie aber auch ausweichen, denn wer wusste schon, ob sie Miriams Angriff getroffen hätte?

"Unglaublich! Das war genial, Blue!", rief die Silberne ihrer Freundin zu und flog in rasantem Tempo zu ihr hinüber. Doch Miriam hatte Probleme sich noch in der Luft zu halten. Sie hielt sich den linken Flügel und ihr Blick wirkte benebelt.

Loraine stützte sie auf ihre Schulter und setzte sie ein wenig entfernt auf der Ebene ab. Ihr Auftritt hatte Silver Diamond beeindruckt und nach einer kurzen Befragung glaubte Loraine, dies nachmachen zu können. Schwungvoll stand sie auf und ging entschlossen auf den Waldrand zu.

Kein einziges Augenpaar konnte man noch zwischen den Bäumen sehen. Die Flutwelle hatte die Armee vor ihnen aufgeraucht und zerrissen. Mit viel Widerstand, so glaubte Loraine, hatte sie nicht zu rechnen.

Ein paar vereinzelte Gegner näherten sich ihr noch, doch dank der neu gewonnen Stärke, war es ein leichtes sie zu besiegen. Anscheinend hatte Miriam ihr nicht nur die Wunden geheilt, sondern auch mehr Kraft gegeben, als sie anfänglich je hatte.

Das Portal kam mit jeder Sekunde näher. Rauschend zogen die Bäume an Silver Diamonds Gesicht vorbei, bis das Licht ihr mit einem Schlag die Sicht raubte. So nahe an seiner Quelle, schien es heller zu leuchten als es den Anschein gemacht hatte. Schützend hob Loraine einen Arm vor ihr Gesicht, so, dass Schatten über ihre Augen fiel.

Von hier aus, war es noch imposanter als gedacht.

Ein schwarzer Rahmen zierte das Portal. Knochen bildeten diese Zierde und stabilisierten die Form. Hier und da schlang sich eine Dornenranke um die Rundung und an seiner höchste Stelle, wurde er von einer kleinen Krähe abgeschlossen. Das Tier saß regungslos da, starrte auf Loraine hinab und jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Das violette Licht wurde von einer Art spiegelnden Oberfläche in der Mitte des gigantischen Tores gebildet. Nun konnte man auch sehen, dass sich bewegende Zahnrädchen über die Stellen verteilt waren, an denen die Knochen aufeinander trafen. Eiserne Ketten waren um die Stützen gespannt und bildeten verschlungene Formen mit der Dornenranke.

Loraine schluckte schwer. Denn vor dem Portal befand sich der Anführer dieser Truppe. Waren die bisherigen Gegner bereits schwer zu besiegen, so würde er mit sicherer Gewissheit ein richtig harter Brocken werden. Die Silberne wappnete sich und wie lauernde Tiere starrten sich die Kontrahenten an. Keiner machte den ersten Schritt in die Richtung des anderen. Langsam umkreiste man sich und tastete die Geduld des anderen ab.

Den ersten Fehler beging das Mädchen. Sie machte einen angedeuteten Schritt nach links, sprang dann aber doch ab und sauste, in gewohnter Manier, auf das Schattenwesen hinab. Dieser riss sein majestätisches Schwert in die Höhe und blockte so ihre Krallen ab. Mit seiner ungeheuren Kraft drückte er sie zurück und Loraine verlor das Gleichgewicht. Schmerzhaft prallte sie auf den Boden. Seine Aura drückte sie zusätzlich in den Staub und schnürte ihr die Luft ab.

Mit aller Kraft die sie hatte, stemmte sich das Drachenmädchen gegen ihren Peiniger. Er musste unmenschliche Stärke haben, denn es fiel ihr unheimlich schwer, auch nur eine Schulter vom Boden zu heben. Angestrengt kniff sie die Augen zusammen, jegliche Deckung war Loraine in diesem Moment egal. Wenn sie nicht vom Boden weg kam, würde sie sowieso sterben!

Man konnte spüren, dass der Drache, dessen Seele in ihrem Körper mitwirkte, sich aufbäumte und sich mit aller Wucht gegen die niederpressende Welle drückte. Von dieser Macht wurde der Anführer umgeworfen und landete nun seinerseits rücklings gegen einem Baum.

Hastig rappelte sich Loraine auf. Nun war es an ihr, in sich zu horchen und zu fühlen, was in ihr war. Kraft zu fordern und sie dann zu nutzen. Ganz, wie es ihr Miriam erklärt hatte. Doch da war nichts, allein durch Liebe und Vertrauen brachte die Silberne noch keine Wirkung hervor. Wut kroch in ihr hoch und die Emotionen schienen über zu kochen. Ein gellender Schrei war zu hören, als sich ihre Aggression Platz verschaffen musste.

Mit einem Mal war es da. Bewegung und Hektik in ihr, als die Sterne sich neu ordneten. Es war, als bestünde sie aus einer Ansammlung dieser Himmelskörper, die sich mit einem Schlag in Bewegung versetzt hatten. Vibrierende Stöße gingen durch ihren Körper und fachten ihre Kraft von Neuem an. Schmerzverzerrt kniff sie die Augen zusammen, krallte ihre Hand gegen die Schuppen ihrer Brust. Die freie Hand begann verdächtig zu zucken und wieder einmal tat es einen Ruck in ihrem Körper, als ihr ganzer Wille freigesetzt wurde.

"Sternbild des Einhorns ...", wie wild ruckte ihr Gesicht nach oben und fixierte den unendlich scheinenden Nachthimmel. Mit erhobenden Händen versuchte sie, die Sterne vom Himmel zu greifen. Ballte dann eine Faust und zog sie mit ganzer Kraft hinab. Einige der kleinen, leuchtenden Punkte folgtem ihrem Ruf. Wie Schneegestöber rieselten sie ihren Händen hinterher. Ihre Hände glitten bis zu ihrer Körpermitte, dann entstand eine Geste, als würde sie die Sterne über der Luft vor ihr verteilen. Wie von Zauberhand getragen, flogen die Leuchtkörper vor sie und begannen, ein Bild zu formen. Es entstand ein schimmerndes, silbernes Pferd mit Horn. Seine wallende Mähne sprühte immer wieder Sterne über seinen Körper und der Schweif zuckte peitschend durch die Dunkelheit.

"... richte!", drohend streckte sich ihr Zeigefinger in Richtung des Anführers aus.

Donnernd preschte das Sternbild über den Waldboden. Seine Hufe hinterließen kleine, weiße Flecken auf dem düsteren Boden, aus denen Fontainen abertausender Sterne sprudelten. Silver Diamond sah dem Tier hinterher und näherte sich nun ebenso. Sein Horn bohrte sich tief in die Brust des Mannes. Die Hufe des Einhorns trampelten gegen seinen Körper, ehe die Sterne sich lösten und wie ein silberner Regenbogen in den Himmel zurück kehrten.

"Schuldig.", sprach sie das Urteil aus und blickte abschätzend auf das Schattenwesen hinab. Er sah nicht so aus, als hätte ihn das bereits seiner letzten Kräfte beraubt, dennoch keuchte er schwer und in seinen Augen konnte man Hass glitzern sehen. Emsig rappelte er sich hoch, immer darauf bedacht, seine Verteidigung nicht fallen zu lassen.

Loraine ließ es geschehen.

Sie wollte nicht gegen ein Wesen kämpfen, sei es auch noch so grausam, das am Boden lag. Es erschien ihr einfach als zu niederträchtig und unwürdig. Sie hatten ihren Stolz und der Drache, den sie verkörperte, ebenso. Nur ein fairer Kampf konnte sie als glorreiche Siegerin hervorgehen lassen.

Unerwartet schnell griff ihr Gegenüber an. Sein Schwert brachte die Silberne lang nicht mehr so arg in Bedrängniss wie zuvor, doch es reichte, um sie aus dem Rhytmus zu bringen.

Eine tiefe Fleischwunde prange über ihrer Hüfte und silbernes Blut trat hervor. Schmerzen spürte Loraine jedoch nicht. Der Panzer aus Schuppen hatte die Wucht abgedämpft und schluckte nun die Furcht des Mädchens. Hier musste bald ein Ende gefunden werden, denn die Stärkung Miriams ließ spürbar nach.

"Jämmerliche Fliege.", grollte ihr der Angreifer entgegen. Seine Schwertstreiche waren noch immer präzise und er würde nicht einfach aufgeben oder sich zurück ziehen. Für ihn ging es um Leben oder Tot.

Loraine bäumte sich erneut auf. Es durfte nicht so enden und schon gar nicht damit, dass sie eine Niederlage einsteckte.

Einer der Sterne auf ihren Krallen begann aufzuleuchten und blendete damit den Anführer. Loraines Hand, geführt von jenem Stern, schnellte in die Höhe. Das Mädchen wusste kaum, wie ihr geschah, als sie, ganz ohne ihr Zutun, die Worte: "Sternbild des Herkules ....", sprach.

Ein Mann, silbern, leuchtend und mit warmen, herzlichen Augen ging auf Silver Diamond zu. Er bestand, genau wie das Einhorn zuvor, aus Unmengen an Sternen. Sein Blick ruhte auf dem Mädchen und ein mutiges Gefühl breitete sich in dieser aus. Der Kopf des Sternenmannes nickte ihr bestätigend zu und noch ehe Loraine etwas sagen konnte, vereinigten sich ihre Körper.

"... schenke mir Kraft!", raunten ihre Lippen die letzten Worte.

Auf jeder einzelnen Schuppe ihres Körpers breitete sich ein grelles Licht aus. Jeder weitere Angriff ihres Gegners erschien ihr verhöhnend langsam. Schnell wie ein Blitz fuhr sie zwischen seine Bewegungen, wehrte ihn ab und schlug dann ihrerseits zu. Die Schläge fuhren in einer übermenschlichen Geschwindigkeit auf ihren Widersacher nieder, pressten ihm die Luft aus den Lungen. Mit einem finalen Hieb zerriss es das Wesen zu einer schwarzen Rauchwolke.

Ein schmerzerfüllter Schrei wand sich jämmerlich durch die Luft. Ein Strahl violetten Lichtes waberte durch die Luft, gerade und zielstrebig auf den Rauch zu. Eine Faust aus Licht ballte sich um den schwarzen Dampf, verschlang ihn und riss ihn grausig zurück. Auf dem knochigen Rahmen bildete sich langsam, knirschend ein Kopf.

Loraine erkannte ihn erschaudernd.

Das Tor spukte ein paar violette Pfützen zu seinen Füßen, wie ein wildes Tier, dass seine Beute verdaute. Nachdem der Kopf erschienen war, leuchtete eine violette Kugel an seiner Spitze auf, wurde abgestoßen und über den Wald geschleudert.

Silver Diamond konnte dies alles nicht verstehen. Doch da das Portal immer kleiner Wurde und schlussendlich mit einem Knall in einer irrwitzig großen Rauchwolke verschwand, war sie zufrieden. Eilig flog sie über die Baumkronen zu Miriam zurück. Die Freundin kauerte noch immer auf dem kalten Boden. Über ihr schimmerte die eben abgeschossene Kugel. Vincent saß neben ihr und wurde mit jedem Augenaufschlag größer.

Gerade als Loraine keuchend angekommen war, packte seine Pfote das Kleinod. Es verlor sein Strahlen, wurde zu einer metalischen Kugel und Vincent seufzte zufrieden.

"Sehr gut, Mädchen.", mit diesem Lob biss er mit seinen Hasenzähnen auf die Kugel. Knackend öffnete sie sich und ein warmes, blaues Licht hüllte seinen Mundraum ein. Vincent spukte das winzige Ei aus. Es war wirklich atemberaubend schön, mit seinen goldenen Schnörkeln, all den Verzierungen und obwohl es so klein war, konnte man die filigranen Bilder erkennen.

Vincent nahm das Ei erneut an sich.

"Miriam, Loraine, dies ist eure erste Belohnung. Nun, eigentlich ist es Deine, Miriam.", er hoppelte auf das verletzte Mädchen zu und augenblicklich lösten sich die Schuppen um ihren Bauchnabel. Schwebend erhob sich die Kugel, näherte sich Miriams Haut und verschmolz dann mit ihr. In diesem Moment verwandelte sie sich zurück und eine weitere Reihe Wellen bildete sich um ihr Mal.

"Es stärkt deine Techniken und gibt dir Kraft. Du bist somit auf Stufe Zwei aufgestiegen.", aufmunternd streichelte der Hase dem Mädchen über den Kopf. "Jedes Portal trägt ein solches Ei in sich, je nach dem, was es für eine Stufe hat, kann die Belohnung unterschiedlich ausfallen. Dies war euer erstes Tor und somit ist auch die Belohnung noch sehr gering.", fuhr der Lehrmeister fort und klärte so seine Schülerinnen auf.

Miriam sah schwach aus. Loraine hoffte, dass sie die Nacht nutzen würde, um sich zu erholen. So schnell sie konnte, brachte sie ihre Freundin nach Hause, denn ihre Eltern durften nicht mitbekommen, dass ihre Tochter verschwunden war. Einsam flog die Silberne Heim und grübelte über den Angriff nach. Es war anstrengend, aber auch befreiend und erfüllend gewesen. Zu wissen, dass man damit Menschenleben rettet, fühlte sich großartig an. Und das Miriam auch noch belohnt wurde, war für Loraine ebenso ein Geschenk.
 

Vincent war zufrieden. Beide Mädchen hatten einen Angriff gestartet und ihre Fähigkeiten erweckt. Manche überstanden den ersten Kampf schlechter und fanden ihre Kraft bis zum dritten Kampf nicht. Man musste wirklich stolz sein. Hoffnungsvoll hob er den Kopf und sah zum Himmel hinauf.

Erschrocken blinzelte das Tier. Ein heller, grüner Stern stach doch am Himmelszelt zwischen den anderen Sternen heraus! Die Drachen schickten ihm eine Nachricht. Doch dies war viel zu früh! Der Erddrache Green Emerald durfte noch nicht erwachen. Nie war er vor der zweiten Woche erwacht! Hektisch sah sich der Hase um.

War Loraine einem passenden Mädchen etwa begegnet und hatte so die Kräfte des Drachen geweckt? Vincent konnte diese Verkettung von unliebsamen Zufällen einfach nicht begreifen, geschweige denn gutheißen.

Die Frage nach dem 'Warum'

Loraine hatte sich sofort in ihr Bett gekuschelt. Die Glieder waren schwer wie Blei und ihre Augenlider träge vom Kampf. Die Wunden, die bis eben noch ihren schuppigen Körper geziert hatten, waren verblasst. Ihr menschlicher Körper wieß nicht die geringste Spur des Kampfes auf. Einzig die Müdigkeit war zurück geblieben.

Vincent hatte auf dem Fensterbrett auf seine Besitzerin gewartet und sprang nun leichtfüßig auf deren Schoß. Er hatte noch ein paar aufmunternde und lobende Worte loswerden wollen, doch das Mädchen war schneller eingeschlafen, als er hoppeln konnte. Kopfschüttelnd besah er seinen Schützling, ließ sich dann aber zwischen ihren Füßen nieder und schlummerte ebenso ein.

Am nächsten Morgen erwachte Loraine mit schmerzendem Kopf. Ihr Wecker klingelte bereits zum dritten Mal, ehe ihre Hand auf den Knopf schlug, der ihn verstummen ließ. Gequält schlug sie ihre Decke zurück und kroch aus ihrem Bett heraus. Sich den Schädel reibend, schlich das Mädchen hinüber in ihr Bad. Keine Dusche der Welt hätte ihre Lebensgeister wecken können. Nicht einmal der Blick auf die Uhr, die ihr sagte, dass sie gerade noch zehn Minuten hatte, um zu frühstücken und zum Bus zu eilen, konnte sie noch schocken. Schminke, Accessoires und iher Frisur waren vergessen. Das Frühstück musste ausfallen und kraftlos warf sich Loraine die Tasche über die Schulter. Heute war definitiv nicht ihr Tag!

Das der Bus sie durchschüttelte, war da keine große Hilfe. Wenigstens regnete es nicht mehr, auch wenn die Temperaturen noch nicht gestiegen waren, war das bereits eine Verbessung. Regen machte doch immer depressiv und das könnte Loraine jetzt einfach nicht gebrauchen.

Als Arne an diesem Morgen wieder den Bus betrat, hatte sich Loraine die Kaputze ihrer Jacke tief über ihr Gesicht gezogen. Ihre Hände vergruben sich tief in ihren Taschen und ein Bein stand auf der winzigen Erhöhung unter dem Fenster. Ihr Kopf lehnte schläfrig an der kalten Scheibe. Erst durch ein dumpfes Geräusch blickte die Schülerin auf.

"Du siehst ja schrecklich aus.", drang es sarkastisch aus Arnes Mund. Der junge Mann musterte seine Nebensitzerin eindringlich und konnte das gehässige Grinsen nicht unterdrücken.

"Schlecht geschlafen.", an diesem Morgen brachte Loraine bloß unverständlich genuschelte Worte über die Lippen. Ihre Augen fielen immer wieder zu und ernteten dafür bloß noch ein wenig mehr Hohn von Arne.

Dieser hatte sich ausnahmsweise neben sie hingesetzt. Wahrscheinlich deswegen, weil er Heute leichte Beute witterte. Seine Gegenüber war ein Häufchen Elend und als sie sich am Kopf rieb, zog er beide Augenbrauen nach oben. Seuftzend durchsuchte er seine Schultasche, kramte eine Kopfschmerztablette hervor und hielt sie Loraine auffordernd entgegen. Diese reagierte jedoch nicht und bekam dafür die kleine Tablette einfach in die Jackentasche geschoben. Arne war wohl die Art von Person, die ein Nein nicht akzeptierte.

Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Arne schien auch einer derjenigen zu sein, die sich sofort nach Halten des Gefährts hinaus drängten. Loraine jedoch blieb sitzen, bis alle anderen den Bus verlassen hatten. Vielleicht war es auch Selbstschutz? Denn sonst würde sie diesen Dienstagmorgen nicht überstehen.

Ihren schlaftrunken getorkelten Weg zum Eingang, legte Loraine mehr schlecht als recht hinter sich. Der frische Wind ließ sie etwas aus ihrer Schockstarre erwachen, aber weckte sie noch nicht gänzlichst. Gerade, als sie nach dem Griff der Schultür greifen wollte, ging diese von allein auf. Jemand kam heraus gestürmt und Heute war es Loraine selbst, die rücklings auf dem Hintern landete.

Als die Gefallene aufsah, erkannte sie das graue Mäuschen vom Vortag. Diese murmelte bloß eine Entschuldigung und lief dann eilig weiter. Blinzelnd und verwirrt sah Loraine ihr hinterher. Als das nichts ahnende Mädchen das nächste Mal nach einem Blinzeln die Augen aufschlug, traten blonde Locken vor ihren Blick. Das aschfahle Gesicht mit den tiefen Augenringen gehörte eindeutig ihrer Freundin.

Miriam sah genauso zerstört aus wie sie. Ihre Mitschüler würden glauben, beide hätten die gestrige Nacht auf irgendeiner Feier verbracht, so viel war sicher. Die Freundin half Loraine auf und beide machten sich auf den Weg zu ihrem Klassenzimmer. Einige missverstehende Blicke mussten die Mädchen durchaus ertragen, als sie den Raum betraten. Arne konnte sich sein Grinsen immer noch nicht verkneifen und Loraine verdrehte genervt die Augen. Obwohl sie mehr Anstrengung hinter sich hatte, sah Miriam um einiges schlimmer aus. Was aber an ihren notdürftig platzierten Accessoires lag. Die Mütze saß so schräg, dass sie fast herunter fiel, einer der Strümpfe war links herum angezogen worden und der Andere hing gerade einmal fünf Zentimeter zusammengestaucht über ihrem Schuh. Am liebsten hätte Loraine ihre Freundin einmal kräftig geschüttelt.

Der Tag verlief so ruhig, dass die Schwarzhaarige wirklich Mühe hatte, nicht im Unterricht einzuschlafen. Erlöst von der alltäglichen Qual, nach geschlagenen sech Unterrichtsstunden, machten sich die Schüler auf den Weg nach Hause. Für Loraine und Miriam bedeutete das, sich am Schultor zu trennen. Denn Miriams Bus fuhr nicht an der schuleigenen Haltestelle ab. Winkend und auch ein wenig traurig trennte man sich.

"Ihr versteht euch ziemlich gut, oder?", fragte eine männliche Stimme hinter Loraine. Diese fuhr herum und blickte Arne fragend an. Ihre Jacke verschluckte ihre Hände und hing lässig über ihren Schultern, die immer noch kraftlos herab hingen.

"Ja, warum. Irgendwas dagegen?", kam die schnippige Antwort. So langsam hatte die Grünäugige zu ihrer alten Form zurück gefunden, auch wenn es nur die ihres losen Mundwerkes war. Sie hatte noch immer so ihre Problemchen, aber sich wehren und verbal zurückschlagen, dass konnte sie.

"Nö.", Loraines Blick wandelte sich auf diese Worte hin nur in einen verwunderten. Ihr skeptischer Gesichtsausdruck verkrampfte sich ein wenig, weshalb sie ihre Züge entspannen musste. Dennoch musterte sie ihren Gegenüber. Irgendetwas stimmte Heute nicht mit ihm.

Der Braunhaarige stand ihr abwartend gegenüber. Seine Haltung war herablassend und trotzdem offen, als würde er sich ein wenig für das interessieren, was um ihn herum geschah. Seine, die Tasche haltende Hand hing über seiner Schulter, während der Ellenbogen abgespreizt wurde. Loraine ging auf ihn zu, griff seinen Oberarm und zog ihn einfach mit sich mit.

"Wir verpassen den Bus!", blaffte sie unfreundlich. Sie wusste nicht, was sie mit dieser Situation anzufangen hatte. Normal war das schon lange nicht mehr. Doch sie schob es einfach darauf, dass er sie ärgern wollte, immerhin war sie es, die sich Heute eine Blöße gab.

Mehr als ein brummendes Geräusch bekam Loraine nicht mehr zu hören. Arne schien ein wenig entrüstet zu sein und das auch deswegen, weil das Mädchen, das seinen Arm noch immer festhielt, ihn durch die größten Menschenmengen zerrte. Er wurde angerempelt und konnte sich nicht befreien. Oder eher: er wollte sich nicht befreien. In genau diese Richtung musste Arne ja sowieso und das Mädchen würde ihm mit absoluter Sicherheit sonst nur in den Ohren liegen.

An der Bushaltestelle angekommen, entließ Loraine Arne aus ihrem Griff. Auch deswegen, weil sie ein interessanteres Objekt entdeckt hatte. Das Mädchen, dem sie wohl ständig über den Weg lief und das die merkwürdige Wirkung hatte, dass beide ständig ineinander rannten, stand nur wenige Meter neben ihnen.

Vorsichtig beobachtete die Schwarzhaarige das Mauerblümchen genau. Sie sollte nicht denken, dass Loraine eine Stalkerin war oder dergleichen. Gerade als diese sich entschlossen hatte, das Mädchen anzusprechen und zu fragen, wer sie eigentlich war, kam deren Bus vor ihrem Gesicht zum stehen. Wie konnte man bloß so genau den Punkt abpassen, an dem sich die Tür öffnete? Loraine würde nie so leidenschaftlich auf den Bus warten, dessen war sie sich sicher.

"Warum beobachtest du sie wie ein Geier? Kannst nicht mal richtig die Augen auf machen, aber bei der fallen sie dir fast heraus ...", da waren sie wieder. Arnes bissige Worte, die Loraine aufschrecken ließen.

"Ich habe sie nicht angestarrt!", verteidigte sich die Schülerin und drehte sich wieder herum. Beleidigt verschränkte sie die Arme vor der Brust und machte ein gespielt zorniges Gesicht. Ihr Gegenüber quitierte es nur mit einem gefeixten Lachen und einem ungläubigen Kopfschütteln. Dieses Mädchen war in seinen Augen völlig verrückt.

Obwohl es kaum zu glauben war, fuhren sie Heute gemeinsam heim. Die Sonne war heraus gekommen und hatte die Wolkendecke aufgebrochen, was diesen Tag zu einem wirklich schönen machte. Doch Loraine würde ihn einfach unter 'fertig' und 'absolut merkwürdig' abhaken.

Als sie endlich den Bus verlassen konnte, war das Mädchen mit den grünen Augen mehr als nur erschöpft. Sofort trabte sie zu ihrem Zimmer, ließ Jacke und Schultasche in die erstbeste Ecke fallen, kickte ihre Schuhe an die gegenüberliegende Wand und zog dann Schritt für Schritt ihre Uniform aus, bis sie in Unterwäsche in ihr Bett stieg. Vincent hatte die Szene schweigend mit angesehen. Er saß auf dem Rand ihres Bettes und wich ein wenig aus, als Loraine sich schlafen legte. Er wusste ja, dass all das anstrengend war, also würde er ihr den wohlverdienten Schlaf nicht rauben.

Der Hase wachte bis zum Abend am Bett seiner Schutzbefohlenen. Sie schlummerte tief und fest und Vincent hatte in manchen Momenten das Gefühl, als könnte er sich direkt daneben legen. Dabei benötigte er doch so gut wie gar keinen Schlaf!

Loraine erwachte am späten Abend. Gähnend setzte sie sich auf, streckte sich und streichelte ihren Hasen. Ihre Eltern würden Augen machen, wenn sie merkten, dass ihre Tochter ein Haustier hatte. Aber da mussten sie durch, wenn sie sie schon hier hin verfrachteten! Eifrig stand sie auf und sah zum Fenster hinaus. Es war schade, dass sie den gesamten Nachmittag verschlafen hatte, doch nach diesem verkorksten Start, konnte der Rest des Tages ja nicht viel besser werden. Wenigstens fühlte sie sich jetzt ausgeruht und erfrischt.

Nach einem Abendessen, setzte sich das Mädchen vor den Fernseher, sah eine ihrer Lieblingssendungen und stopfte ein wenig Schokolade in sich hinein. Schade, dass sie diese Serie nicht mit einer Freundin sehen konnte. Miriam hatte ihr gesagt, dass sie dieses Programm selten ansah, da ihr die Filme und Serien nicht so gefielen. Früher hatte Loraine diese immer mit ihrer besten Freundin gesehen und hätte eigentlich gehofft, diese Tradition mit Miriam fortführen zu können.

Es wurde später und der Mond schien hell zwischen den funkelnden Sternen. Fasziniert sah Loraine hinaus. In Gedanken verloren zwirbelte sie eine Strähne ihres Haares, während ihr Blick noch immer auf den Himmelskörpern ruhte. Es kribbelte noch immer in ihrem Magen, wenn sie daran dachte, mit deren Kraft gekämpft zu haben. Das Einhorn war so hübsch anzusehen gewesen, wie sein Schweif vor lauter Sternenstaub geglitzert hatte oder die Mähne geformt aus Sternen so klar wie Kristall.

"Betrachtest du oft die Sterne?", kam es leise von ihrem Bett. Loraine sah hinüber und schüttelte den Kopf.

"Dort wo ich herkomme, konnte man wegen der Lichter keine Sterne sehen.", das Mädchen hatte bisher ihre Jugend in einer großen Stadt verbracht. Dank dem Smog, den vielen Lichtern und all der Hektik, hatte sie weder die Möglichkeit gehabt, noch die Zeit gefunden, sich für etwas anderes als für sich selbst zu interessieren. Ein Blick in den Himmel wäre zu dieser Zeit vergeudet gewesen. Als kleines Kind hatte sie mit ihrem Vater in die Sterne geschaut, doch diese Momente waren längst vergessen.

"Sie haben dich immer beobachtet.", der Hase kam zum Fenster gehoppelt und ließ sich auf Loraines Schoß nieder. Andächtig sah die Schwarzhaarige zwischen Tier und Himmel hin und her. Sie konnte es kaum glauben, dass es wirklich etwas gab, dass sie immer beachtete. Von ihren Eltern war sie so etwas nicht gerade gewöhnt.

"Seltsame Vorstellung.", kam es leise über ihre Lippen. "Immerhin habe ich sie nie beachtet.", es klang fast ein wenig traurig und mit Sicherheit waren diese Worte voll von Reue. Obwohl es einiges gab, was Loraine hier auf dem Land nicht mochte und was sie vermisste, aber diese neuen Entdeckungen glichen all das wieder aus. Als hätte sie einen lang vermissten Freund endlich wieder gefunden.

"Das ist nicht so wichtig für die Sterne.", erklärte ihr Vincent behutsam. "Sie sehen herunter, weil sie sich in dir wiederspiegeln. Jeder Stern sucht die Welt ab, zu jeder Sekunde und sucht nach einer Seele, die zu ihm passt. Dank den Wiedergeburten von Silver Diamond erstrahlen sie heller und finden ihre verbundene Seele leichter. Allein durch deine Anwesenheit.", sich das vorzustellen fiel Loraine schwer. Dass diese Himmelskörper einen Seelenverwandten suchten, klang so unbegreiflich unwirklich. Doch tat nicht auch sie das Selbe? Wenn sie diesen wundervollen Lichtern so etwas Hoffnung schenken konnte, warum also nicht? Immerhin hatte sie es sogar getan, ohne es zu wissen. Wenn man nun davon wusste, konnte man die Sterne sicher noch ein wenig glücklicher machen.

Es trat ein langer Moment des Schweigens zwischen das ungleiche Paar.

"Vincent - wenn wir Hoffnung geben können, warum greifen uns dann diese Schattenwesen an?", traurig erklangen die Worte aus dem Mund des Mädchens. Ihr Blick war gesenkt und ihre Augen halb geschlossen. Loraines Körper bog sich, da ihre Arme sich um ihre Knie schlungen, während sie schweigend auf dem Fensterbrett saß.

"Diesen Wesen gebt ihr keine Hoffnung und sie sehen auch keine Sterne. Wenn sie zum Himmel blicken, sehen sie immer nur die Unendlichkeit ihres Schmerzes und wenn sie Meer sehen, denken sie an die Weite ihrer Finsterniss.", Loraine brauchte einen Moment, um diese Worte überhaupt verstehen zu können. Sie war dem Hasen im Nachhinein dankbar, zwischen einigen seiner Sätze eine kleine Pause zu erhalten.

"Kannst du mir nicht ein wenig mehr über sie erzählen?", bat die Jüngere mit einem Blick der deutlich machte, dass sie jedes folgende Wort begierig aufsaugen würde.

"Es ist eine wirklich lange Geschichte, Loraine.", war die wenig befriedigende Antwort des Gesprächspartners. Energisch schüttelte die Angesprochene den Kopf.

"Wir haben genug Zeit, ich glaube kaum, dass ich all zu bald schlafen kann!", inbrünstig schmetterte sie diese Worte dem mystischen Wesen vor sich entgegen. Zur Entspannung lehnte sie ihren Rücken an das Stück Wand hinter sich und sah erwartungsvoll zu Vincent. Dieser schien ein wenig mit sich zu hadern, rückte dann aber auch ein wenig näher und begann zu erzählen.

"Zu Beginn der Zeit gab es sie noch nicht, die Schattenwesen. Menschen lebten glücklich auf dieser Erde und die Drachen hatten ihr Reich ganz für sich. Doch eines Tages erhob sich ein Mann aus dem Volk, er war verbittert und vom Hass zerfressen. Für ihn war die Welt ungerecht und eintönig, durch seine haßerfüllten Worte, riss er weitere Männer in die Dunkelheit. Dieser Mann strebte nach der alleinigen Macht, er wollte Herr über die Menschen und über alle anderen Lebewesen aller Welten sein, um ihnen Gerechtigkeit zu bringen.

Seine Anhängerschaft wurde von Tag zu Tag größer, sein Körper von Neid und Gier zerfressen und seine Augen so rot wie das Blut, dass er im Namen seines Befreiungsfeldzuges vergoss. Die Drachen sahen dieses Treiben mit Missgunst und beschlossen, eine Allianz gegen ihn zu formen. Die acht Stärksten wurden erwählt und zogen aus, ihn zur Vernunft zu bringen.

Ein Krieg entbrannte, bei dem immer mehr Menschen eingriffen, überzeugt davon, dass dieser Mann ihnen die wahre Freiheit brachte.

Die Portale entstanden aus seinem blinden Hass. Genährt von den gefallenen Seelen und getöteten Anführern, wuchsen sie zu solcher Größe, dass sie einem Drachen stand hielten. Sie speichern die Seelen der Verstorbenen und ziehen sie in ihre Dunkelheit. Durch diese Kräft wird auch jener eine Mann mächtiger.

Mit den Jahres des Kampfes, veränderte sich das Aussehen des Mannes zu der Gestalt, die Heute alle Schattenmänner haben. Er steht noch immer für seine verdammte Freiheit ein, verdammt, denn er richtet die Seelen zur unendlichen Qual auf dem Schlachtfeld hin, nur um seine Macht zu vergrößern. Deswegen kämpfen wir. Denn sobald die Seelen besiegt wurden, dürfen sie für eintausend Jahre ruhen, ehe sie sich erneut aus der Finsterniss erheben müssen."

Als Vincent wieder aufsah, war Loraine eingeschlafen. Ihr Kopf lehnte gegen die Fensterscheibe, während ihr Mund sabbernd offen stand. Ein Arm hing schlaff neben dem Fensterbrett hinunter, ihr Anderer fungierte als Kissenersatz. Das Mädchen sah wirklich entspannt aus und Victor nahm es ihr nicht übel, bei diesem Vortrag eingeschlafen zu sein. Er würde sie am nächsten Tag wecken und irgendwann würde sie ihm die Frage nach dem 'Warum' erneut stellen. Bis dahin galt es jedoch, sie zu Kräften kommen zu lassen, denn morgen würde er ihr eine neue Aufgabe mit viel Verantwortung übertragen, da brauchte sie alle Energie die sie aufbringen konnte.

Green Emerald

Schon am nächsten Tag war Arne wieder der Selbe. Seine schlechte Laune sprang schneller über, als sich Loraine in Sicherheit bringen konnte. Der funkelnde Blick und die versteinerte Miene ließ dem Mädchen das Blut in den Adern gefrieren. Was war nun schon wieder vorgefallen, dass er so schlechte Laune hatte? Natürlich gab es keine Begrüßung und ein Gespräch schon gar nicht. Schweigend blieb die Schülerin die gesamte Fahrt über sitzen und starrte in die Ferne.

Als ihre blonde Freundin nicht vor der Schule auf sie wartete und auch nicht im Klassenzimmer anzutreffen war, wurde Loraine schnell klar, dass Miriam heute nicht in der Schule auftauchen würde. Es war zu vermuten, dass sie schwänzte, um ein wenig Ruhe zu bekommen. Immerhin reagierte sie auch nicht auf SMS und Anrufe. Loraine sah ihren Tag immer mehr und mehr vor sich zerbröseln. Als es dann auch noch anfing wie aus Eimern zu regnen, verschlechterte sich ihre Laune unter die Schmerzgrenze.

Wo waren Freunde, wenn man sie brauchte? Weit entfernt oder entkräftet daheim. Gab es an dieser Schule niemanden, auf den sie sich verlassen konnte? Gerade an einem Tag, an dem der Himmel schwarz war, die Laune ebenso düster und die Schule so langweilig wie selten zuvor? Wenn man dann noch daran dachte, dass am Nachmittag eine Pflichtveranstaltung über AGs stattfand, konnte der Tag genauso gut direkt vergessen werden.

Natürlich war es so trocken und selbst die Vorstellungen der einzelnen Arbeitsgruppen konnte die Versammlung nicht aufheitern. Loraine saß in der hintersten Reihe – ein Fehler, wie sich später herausstellen sollte. Denn am Ende der Zusammenkunft, musste man sich in eine Liste eintragen. Entweder wählte man eine der Gruppen, die sich eben vorgestellt hatten oder versuchte, selbst etwas zum Leben zu erwecken. Dafür hätte man allerdings vorher einen Antrag einreichen müssen, als bestand auch keine Chance, so etwas wie eine modisch bewusste Gruppe zu gründen.

Loraine war fast die Letzte, die die erlösenden Zettel erreichte. Sie haderte mit sich, entschloss sich dann aber doch für Ausdruckstanz. Es war nicht ihre Stärke, aber bei Weitem besser als alles andere. Mit hängenden Schultern und völlig am Ende, verließ die Schülerin als Letzte die Aula und schlurfte durch den prasselnden Regen in Richtung Bushaltestelle.

Ihr Schirm war ihr rettender Gegenstand. Ohne ihn wäre sie bereits durchgeweicht und würde morgen mit einer Grippe im Bett liegen. Das Trommeln der einzelnen Tropfen war lautstark auf dem gespannten Stoff zu vernehmen. Loraine schloss für einen Augenblick die Augen. So ganz allein, fühlte sie sich gerade unwohl. Normalerweise hätte sie Miriam an ihrer Seite gehabt, aber die Stille, die sie wie ein dichter Nebelschwaden einhüllte, erdrückte ihre Seele.

Durch die dichten Fäden des Regens sah das Mädchen mit den stechend grünen Augen eine weitere Person an der Bushaltestelle. Eigentlich hätte sie auch dort allein sein müssen, denn durch die Verzögerungen, hatte sie auch noch ihren Bus verpasst. Warum stand dort jemand? Und dann auch noch ohne einen Regenschirm?

Eilig schritt Loraine auf die Wartende zu. Man konnte sehen, dass sie unterkühlt war, spätestens als Loraine ihre blauen Lippen und das aschfahle Gesicht betrachten konnte. Es war dieses Mauerblümchen, mit der sie schon öfter zusammengestoßen war.

Ihr Bob hing wie ein Wischmob auf ihrem Kopf, die Kleidung war so durchweicht, dass selbst das heftige Reiben ihrer Hände über ihre Arme scheinbar wenig Wärme spendete. Ihre dünnen Beinchen zitterten und sie hüpfte unruhig von einem Fuß auf den Anderen. Es war aber auch eine Katastrophe, dass es hier nicht einmal ein Bushaltestellenhäuschen gab!

Loraine hielt ihren Schirm über den nassen Kopf. Ein freundliches Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus und versuchte so, ihre Gegenüber aufzumuntern. Es sah bizarr aus, wie ihre Brille beschlug dank Loraines Atem, während die Regentropfen über das Glas perlten.

"Warum stehst du hier im Regen?", war die erste, völlig perplexe Frage, die über Loraines Lippen kam.

Die Antwort war nicht mehr als ein Schulterzucken. Dieses Mädchen wollte wohl nicht mit ihr reden, was man ihr nicht einmal verübeln konnte. Immerhin hatten sie und Loraine keine all zu positiven Erlebnisse geteilt. Diese legte nun den Kopf schief und runzelte die Stirn, während ihr Blick den frierenden Körper des Mädchens musterte.

"Wann kommt dein Bus?", immerhin wusste Loraine, dass sie hier morgens immer aus einem Bus ausstieg, da war die Annahme, sie würde Abends in einen Bus einsteigen, nicht weit hergeholt.

"Gar nicht mehr.", war die stockende Antwort.

Loraine dachte einen Moment nach. Ihr Bus fuhr jede halbe Stunde und sie hier im Regen stehen lassen, dass war auch nicht ihre Art. Das Haus war groß und wie eine Diebin sah das Mädchen nicht gerade aus. Loraine holte tief Luft, ehe sie zu ihrer Antwort ansetzte.

"Na gut, dann kommst du mit mir mit!", sprach sie in einem herrischen Ton aus, hakte sich bei ihrer Gegenüber unter und lächelte breit.

"Aber ich kenne dich nicht einmal. Wie heist du überhaupt?", jetzt klang sie doch so, als könnte sie auch kratzbürstig sein, hatte sie eben noch kaum den Mund aufbekommen. Doch an Loraines Entschluss war bereits nicht mehr zu rütteln.

"Loraine und du?", kam die energische Beantwortung dieser Frage.

"Nadja.", so langsam fragte sich Loraine, ob Nadja nicht vielleicht doch ein wenig mehr Wörter verwenden könnte? Sie sah belesen aus und klug noch dazu, warum sprach sie dann so wenig? Die Augen ihrer neuen Bekanntschaft richteten sich monoton auf den Boden vor ihren Füßen. Seufztend ließ Loraine die Schultern hängen.

"Dann kennen wir uns ja jetzt und du kannst mitkommen.", fuhr Loraine fort, gespielt naiv aber völlig durchdacht. Denn je eher sie dieses Mädchen aus der Reserve lockte, um so leichter hatte sie es später.

"Nein.", hallten Nadjas Worte trocken und abweisend zurück. "Warum hilfst du mir überhaupt und ... wir kennen uns nicht!", das klang ja fast nach einem Gefühlsausbruch, diese hilflosen Worte mit einem zaghaften Anflug von Panik in der Stimme.

"Ich helfe dir, weil du sonst krank wirst und ich das nicht möchte.", über den zweiten Teilsatz musste Loraine dann doch einen Moment nachdenken. Nadjas Augen ruhten nun auf ihrem Gesicht und folgten jeder Bewegung ihrer Mimik.

"Ich bin neu, ich wohne allein und wäre froh, wenn ich Besuch hätte. Den Rest können wir da drin besprechen!", der dunkelbraune Bob federte sanft, als Loraine ihre Gesprächspartnerin unsanft ein Meter vor schob. Denn in diesem Augenblick näherte sich auch schon der Bus.

Ihre Gesprächspausen, die sie auch zuvor gehabt hatten, setzten sich im Fahrzeug fort. Ein Gespräch kam nur stockend zustande, doch mit jedem Wort wurde Nadja ein wenig zutraulicher. Ihre klatschnasse Ledertasche, förderte so einige Bücher zu Tage, nachdem Loraine entsetzt gefragt hatte, warum diese so schwer sei.

Am Haus angekommen, war Nadja froh, sich Loraine angeschlossen zu haben. Ihre Eltern waren nicht zu erreichen gewesen und hätten sie nicht abholen können und im Regen bis Morgen an der Haltestelle gestanden zu haben wäre alles, aber nicht gesund.

Eilig suchte die Gastgeberin ein Handtuch, reichte es Nadja und verwieß auf die Dusche. Der Gast nahm alles dankend an und verschwand für eine halbe Stunde. Loraine nutzte die Zeit und deckte den Tisch, damit sie etwas essen konnten. Insgeheim wünschte sie sich jetzt noch Miriam und das Ganze hätte wirklich Spaß gemacht. Wenn Nadja auftaute, könnte sie zu einer spannenden Gesprächspartnerin werden. Hier und da hatte ihr wahres Gesicht bereits durchgeblitzt, das kein Blatt vor den Mund nahm.
 

Vincent streifte durch den Regen und sog die frische Luft zwischen seinen Nasenflügeln ein. Ihn erfreute es sehr, wenn es dunkel und regnerisch war. Dann konnte er endlich wieder seine frühere Kraft spüren, als er noch die Macht der Tropfen kontrolliert hatte.

Immerhin war er nicht immer ein schäbiger Hase gewesen. Einzig das Pech, dass seine Schützlinge nie den erhofften, finalen Erfolg erreicht hatten, war der Grund für seinen Zustand. Seine Recherche hatte ergeben, dass er Recht mit seiner Annahme gehabt hatte, dass eine größere Kraft hinter den Schattenwesen die Fäden zog. Vielleicht bestand die Chance, dass er dieses Mal erlöst wurde?

Als das Haus seiner neuen Schutzbefohlenen in Sicht kam, konnte das Tier bereits den hellen, grünen Schein erkennen, der durch die Wohnzimmerfenster heraus strahlte. Vincent blieb für einen Moment der Atem stehen. Wie hatte Loraine ihre Kraft, die anderen Mädchen zu erwecken, bloß entteckt? So schnell er nur hoppeln konnte, lief der Hase zum Fenster.

Sofort wuchs er zu seiner originalen Größe an, drückte die Klinke der Terrassentür hinab und polterte durch das Zimmer, direkt auf Loraine zu.

"Was habt ihr nur getan?", bellte er entsetzt. Loraine zitterte, ihre Fingernägel glühten grün wie eine Wiese, ganz von allein. Ihre Hände streckten sich, von einer ihr unbekannten Macht geleitet, direkt in Nadjas Richtung aus. Diese lehnte an der Wand und versuchte, sich dem Licht krampfhaft zu entziehen.

"Woher sollen wir das denn wissen? Meine Nägel leuchteten plötzlich ganz von allein!", kreischte Loraine voller Panik. "Mach schon etwas dagegen!", befahl sie dem Hasen und hoffte, dass er eine Lösung parat hatte. Nadja hatte es gänzlichst die Sprache verschlagen.

"Es tut mir Leid, Loraine, aber wir können hier nichts ausrichten. Die Drachen werden euch helfen, während ich Miriam hole.", der Hase ließ die beiden Schülerinnen ohne weitere Informationen ausharren. Er sprach die Worte, die Loraine bereits einmal gehört hatte, um die Lichtkreise unter den Mädchen zu öffnen. Dann verblasste sein Bild langsam vor Loraines Augen, als sie und Nadja durch das Tor hinüber gezogen wurden.
 

Nadja wusste nicht, wie ihr geschah. Eben noch, waren unbekannte, neue Dinge in ihr vorgegangen. Diese Loraine hatte es geschafft, dass sie sich wünschte, einfach einmal tun zu können, was ihr gefiel. Sie war so herzlich gewesen, dass sie selbst sich wünschte, ohne ihre Regeln leben zu können. Jetzt saß sie hier, in einer steinernen Arena, in Mitten von Drachen, die es noch nicht einmal geben dürfte. Ihre mausgrauen Augen starrten zittrig über die Wesen vor ihr, während ihr Mund perplex offen stand.

"Seid gegrüßt.", hallte Silver Diamonds Stimme über die Anwesenden. Seine ruhige, tiefe Stimme klang gereizt und Nadja verschluckte sich prompt. Dabei wusste sie doch nicht einmal, was sie falsch gemacht hatte. Warum waren diese Wesen so sauer auf sie?

"Nicht so harsch, Diamond, siehst du nicht, dass du ihnen Angst machst?", die weibliche, fürsorgliche Stimme des blauen Drachens streichelte Nadjas Seele. Es gab ihr Mut und die Gewissheit, keinen Fehler begangen zu haben. Vorsichtig robbte sie zu Loraine hinüber. Diese schien nicht gerade überrascht ob dieses Anblicks.

"Loraine? Was ... Wo sind wir hier?", ihre stotternden Worte kamen nur schwer über die Lippen des schüchternen Mädchens.

"Keine Angst, die Drachen sind unsere Freunde und wir sind hier in ihrer Dimension.", im Nadjas Kopf begannen die Worte Kreise zu drehen. Fachliche Analysen wurden in Sekundenbruchteilen durchgeführt, die Situation genau durchdacht und doch, ergab all das keinen Sinn.

"Nadja.", schlussendlich erhob auch der grüngeschuppte Drache das Wort. Ein unerklärlicher Bann wirkte von ihm auf Nadja, die ihren Blick prompt nicht mehr abwenden konnte, nachdem ihr Name über seine Lippen gekommen war.

"Spürst du es nicht? Seid zwei Tagen schon, wache ich über dich. Du bist diesem Mädchen begegnet an jenem Tag, was mich dazu zwang, zu erwachen. Doch Furcht ist nicht angebracht. Du trägst einen Teil von mir in dir. Ich darf es nicht ändern, aber wir müssen prüfen, wie viel meiner Seele auf dich übergegangen ist. Deswegen werde ich dich nun einer Prüfung unterziehen.", Nadja empfand es nicht als sehr beängstigend, geprüft zu werden.

Prüfungen waren das, was sie am besten in ihrem Leben beherrschte. Doch für die Prüfungen, denen sie bisher unterzogen wurde, hatte sie ausgiebig gelernt. So völlig unvorbereitet zu sein, so spontan und unaufgeklärt, fühlte sich mit einem Schlag doch schrecklich an. Zittrig streckte sie die Hände aus, wedelte mit den Händen herum und versuchte so, das Schicksal aufzuhalten.

"Nadja, du schaffst das. Miriam und ich haben das auch hinter uns. Wenn du fertig bist, werden wir reden und ich erkläre dir alles. Jetzt musst du nur auf deinen Drachen hören, dann sehen wir uns gleich wieder.", noch während Loraine sprach, riss es Nadja erneut durch ein Loch in die Tiefe.
 

Loraine war sich sicher, dass all das für Nadja ein unglaublicher Schock sein musste. Als sie das erste Mal hier gewesen war, hatte es sie mehr als nur verängstigt. Sie hatte stark gespielt, vielleicht auch ein wenig, um Miriam zu schützen. Doch die Prüfung war viel schwerer und anstrengender gewesen, als sie Nadja vorgegaukelt hatte.

Doch ihre neue Freundin jetzt zu verunsichern, während mehr als nur dumm gewesen. Gerade, als sie anfing, sich ihr zu öffnen. Es hatte sich so angefühlt, als könnte es sein, dass sie gar nicht so eine Streberin war, wie Loraine zu Beginn gedacht hatte. Das Mädchen mit den grauen Augen war intelligent und begriff Neues schnell. Dennoch konnte sie sich nur schwer daran gewöhnen und Angst schien sie zurück zu halten. Möglicherweise davor, nicht angenommen zu werden?

Dabei hatte sie alle Etikette vergessen gehabt und sich fallen gelassen. Loraine war sich sicher, dass Nadja gerade in diesem Augenblick wieder versteift war. Womöglich war auch gerade das ihre Prüfung?

Loraine hatten immer Probleme damit gehabt, allein stark zu sein. Immer hatte sie es nur in oder für die Gruppe getan, egal ob es nun für eine Freundin gewesen war oder für eine Fremde. Doch wenn sie allein und auf sich gestellt kämpfte, machte sich immer eine gewisse Nervosität in ihr breit. Jetzt war das anders. Seit sie das Fragment der Drachenseele in sich erweckt hatte, fühlte sie sich verantwortlich.

Nicht nur für Miriam und neuerdings auch für Nadja, sondern auch für sich selbst. Sie spürte es, ganz tief in sich, dass sie es war, die die Kräfte der Mädchen erweckte, die ihnen Vertrauen und Trost spendete, ihnen Rückhalt und Kraft gab. Und obwohl ihr das früher zuviel gewesen wäre, fühlte es sich jetzt richtig an. Endlich hatte sie eine Aufgabe, die nur sie erfüllen konnte.
 

Nadja befand sich in einem Klassenzimmer. Die Wände waren grün gestrichen und Bäume wiegten sich im Wind vor den Fenstern. Eine bedrohlich wirkende Tafel befand sich am anderen Ende des Raumes und als die Schülerin das nächste Mal die Augen aufschlug, liefen Regeln, Gesetze und Normen in Worte formuliert über den Schiefer.

Es fühlte sich erdrückend an, wie all diese Ding ihr in rasender Geschwindigkeit vorgehalten wurden. Von außen, weit außerhalb des Zimmers hörte sie Stimmen, Lachen, Gespräche und all das, was sie nie tat. Sie war allein, in ihrer eigenen kleinen Welt. Genau wie jetzt.

Doch warum eigentlich? Es machte sicherlich keinen Spaß, so allein zu sein. Ihr Kopf begann zu schmerzen, als ihre Augen verzweifelt versuchten, den Worten auf der Tafel zu folgen. Doch abwenden konnte sie sich nicht. Sie konnte nicht aus diesem Käfig entfliehen. Es war ihr persönliches Gefängniss, die Welt, die sie sich jahrelang aufgebaut hatte.

"Du musst dich entspannen und die Welt mit positiven Augen sehen!", vibrierte die fröhliche und ausgelichene Stimme des grünen Drachen durch ihren Kopf. Nadja versuchte es, doch sie war nicht stark genug dafür.

"Ich kann das nicht!", schrie sie gepresst hervor und stemmte ihre Hände gegen ihre Schläfen.

All das war so beklemmend.

Plötzlich öffnete sich eine Tür auf ihrer rechten Seite. Eine Person ohne Gesicht kam herein, sah sich um und ein bizarres Grinsen breitete sich mit einem Schlag auf dessen Gesicht aus. Ein dröhnendes Lachen erklang, ehe sich die Gestalt wieder in Bewegung setzte.

Überall dort, wo dieses Wesen entlang lief, bildeten sich Schriftzüge auf dem Boden, die ihm folgten und bei genauerem Hinsehen, all seine Erwartungen an Nadja preis gaben. Es war genau das, was jeder immer von ihr erwartete, was sie tun musste und sollte, denn es hatte sich bereits ein Teufelskreis um sie herum gebildet.

Eine schwere Mappe wurde auf Nadjas Tisch geworfen. Ihre grauen Augen fixierten das Papier, das sich von allein öffnete. Immer schneller blätterte sich der Stapel durch, während die Buchstaben begannen, sich in der Luft zu materialisieren, wie Äste, die aus dem Papier heraus wuchsen. Bei genauerem Hinsehen, erkannte Nadja auch, dass es Erde war, die dort über die grüne Schiefertafel kroch und die ihr so gut bekannten Worte bildete.

Die Person veränderte sich, wurde zu einer Lehmfigur und blieb dann regungslos neben ihrem Pult stehen. Auf ihrem Gesicht befand sich noch immer das Grinsen, seine Erwartungen verästelten sich, lösten sich vom Boden und krochen über die Wände, wie Ranken eines Weinstockes.

Warum spielte man hier ihr große Vorliebe gegen sie aus? Das Einzige, wo sie sich frei fühlte, war die Zeit, die sie mit Pflanzen in der Garten-AG verbrachte. Sie war allein dort, niemand störte sie und hier? Hier verfolgte man sie selbst bis dahin, wo bisher ihr geschützer Bereich gewesen war!

Hölzerne Tränen rannen ihre Wange hinab.

Immer mehr Personen, mit immer unterschiedlichen Gesichtsausdrücken marschierten in der Zimmer. Die Worte der Tafel huschten so schnell über den Untergrund, dass Nadja fast schon schwindelig wurde. Die ganzen Gedanken und Erwartungen der Figuren, die in den verschiedensten Erdmaterialien um sie standen und die Aufgaben und Gemeinheiten aus all ihren Mappen, hatten sich zu einem dornigen Gestrüpp um sie herum ausgebildet. Die Papiere hatten sich mittlerweile zu solch einem hohen Turm entwickelt, dass Nadja gerade noch die Tafel erkennen konnte, der Rest lag achtlos auf dem Boden und machte sich von dort aus bemerkbar.

Nadja weinte, sie schrie und versuchte, die Augen zu schließen. Sie wollte das alles nicht mehr sehen, denn es war das Bild, was sie von ihrem Alltag hatte. All der Stress und der Druck, sowohl von ihren Mitschülern, als auch von ihren Eltern, war einfach erniedrigend.
 

Miriam war hochgeschreckt, als plötzlich etwas an ihrem Fenster geklopft hatte. Nur schwer konnte sie den Hasen erkennen, der dort panisch an der Scheibe klopfte. Sie rutschte mit ihrem Schreibtischstuhl zurück und legte das Buch aus der Hand, welches sie bis eben gelesen hatte. Den Tag über hatte sie einfach eine Auszeit benötigt, der Kampf hatte sie einiges an Energie gekostet, was noch jetzt an ihren Kräften zeerte.

"Vincent! Was willst du denn hier?", er war zu groß, als das sie ihn hätte herein heben können und das er jeden, der ihn so sah, schockiert hätte, war Miriam gerade auch egal. Noch immer in ihre Schuluniform gekleidet, mit den bunten Ringelsocken bis zu ihren Knien und der Strickmütze über ihren Locken, ließ sie sich auf das Bett fallen. Es war selten, dass der Hase hier herein sah. Bisher war es eigentlich nur passiert, als er sie zum Kampf abgeholt hatte.

"Ich fürchte, ich muss dich abholen, Miriam. Die Nächste ist erwacht und wird gerade der Prüfung unterzogen. Du darfst nicht fehlen.", schloss Vincent in seiner gewohnt höflichen Art. Miriam runzelte die Stirn und sah das Tier unbeholfen an.

"Na gut, ist Loraine auch dort? Oder müssen wir sie ...", doch der Hase schien wenig Geduld zu haben, denn noch während die Blondine fragte, wurde sie bereits durch das Dimensionstor gerissen und befand sich auf der anderen Seite. Loraine war tatsächlich schon da und begrüßte die Freundin nun erleichtert.

"Loraine! Was ist denn hier los?", natürlich wollte Miriam wissen, was passiert war und bekam auch sofort eine kurze Zusammenfassung über das Geschehene. Es war erstaunlich, wie die Nägel ihrer Freundin reagierten, hoffentlich würde ihr so etwas Peinliches nicht auch passieren!

Sie hatte viel mehr Selbstvertrauen entwickelt und fühlte sich nicht mehr so unwohl in ihrer Haut, gerade dadurch, nun auch eine wahre Freundin zu haben. Ganz zu schweigen von ihrer seelischen Verbundenheit mit Blue Saphire.

Hoffentlich würde Nadja die Prüfung überstehen. Eine weitere Freundin und eine Verbündete im Kampf konnte nie schaden!

Miriam und Loraine hielten ihre Hände und schauten sich entschlossen an. Sie würden einfach all ihre Kraft, ihr Selbstvertrauen und ihre Freundschaft im Geiste zu Nadja senden. Etwas anderes konnten sie nicht tun.
 

Die Geprüfte zitterte am ganzen Leib. Sie hatte versucht, den Kopf zu neigen, damit der Pony ihre Augen verdeckte. Doch nichts half, noch immer bedrängten diese Pflanzen- und Erdwesen sie, die Äste hatten sich um ihren Körper gewoben und drohten, ihren dünnen Körper zu zerbrechen. Die Last auf Nadjas Schultern war unermesslich.

Die Lehmfiguren hatten einen Wall um sie errichtet, zu keiner Seite hin konnte man ihnen entwischen. Ihre gehäßigen, herablassenden Fratzen waren unangenehm und stachen in Nadjas Seele. Ein lauter Schrei war zu hören, als sie versuchte, sich ihrer Fesseln zu entledigen.

Auf einmal, sah Nadja Loraine vor ihrem geistigen Auge, zusammen mit einem blonden Mädchen, welches sie noch nie gesehen hatte. Dennoch strahlten sie Beide eine unglaublich Wärme und Ruhe aus. Gerade so, als ob sie es vollbringen könnten, ihre Ketten zu sprengen. Doch so plötzlich wie sie aufgetaucht waren, so schnell verschwanden sie auch wieder.

Jedoch reichte dieser eine Augenblick der Erinnerung. Eine so frische wie knappe Erinnerung an die kurze Zeit in Loraines Haus. Dort hatte sie sich frei gefühlt, unbekümmert. Dieses merkwürdige Mädchen hatte keine Forderungen gestellt, ihr geholfen, obwohl sie sich nicht kannten. Eine solche Person wäre sie eben so gern, aber für jetzt, würde hoffentlich auch ein kleiner Schritt reichen.

Man durfte, dies wusste Nadja, nie zu viel auf einmal verlangen. Ihr Charakter änderte sich nicht von Jetzt auf Sofort, sondern in winzigen Schritten. Tief holte sie Luft, immer das Gefühl von Freiheit in sich tragend. Sie atmete aus und wieder ein. Dies wiederholte sie, bis ein tiefenentspanntes Kribbeln sich in ihrem Bauch Platz geschaffen hatte.

"Ich muss das nicht tun, ich kann Spaß haben!", sprach sie wie ein Mantra vor sich her. Ihre sonore, wohltuende Stimme klang so fremd für Nadja, dass sie sich fast beim ersten Wort erschreckte. Dann jedoch neue Kraft daraus schöpfte und die aufbauenden Worte weiter sprach.

Ihr Mantra wurde lauter, schneller und fordernder. Sie legte Kraft hinein, Leidenschaft und mit jedem vollendeten Satz, fühlte sie sich freier.

"Ich brauche euch nicht! Ich lebe nur für mich!", polterte es aus ihr heraus, mit aller Kraft sprengte sie die Fesseln um ihre Arme und zerriss so auch den Alptraum um sie herum.

Sofort wandelten sich die Figuren zu Bäumen, den Ranken wuchsen Blätter und Blumen. Alles um sie wurde freundlich und unbeschwert. Selbst als der grüne Drachenkopf zwsichen dem Geäst auftauchte, blieb Nadja ruhig und in ihrer Mitte.

"Ich wusste, du würdest es schaffen. Du kannst ohne sie leben, ohne dich selbst einzusperren.", die Augen des Drachen funkelten sanft, daraus bildete sich ein sanftes, grünes Leuchten, das einen kleinen Smaragd umgab. Er umkreiste das Mädchen spielerisch und verschmolz dann mit ihrem Nacken. Von dieser Stelle, breiteten sich Schuppen in einem zarten Blattgrün aus, bis sie Nadjas gesamten Körper bedeckten.
 

Vincent war erstaunt, was Loraine und Miriam dort veranstalteten. Sie hatten sich an den Händen gehalten und die Augen geschlossen und noch ehe der Hase wusste, was dort vor sich ging, hatten sie sich bereits verwandelt und ein sanftes Licht schloss ihre Körper ein.

Die Drachen sahen zufrieden aus, ihre Gesichter hatten einen zärtlichen, fast schon liebevollen Ausdruck, auch der von Green Emerald. Vincent wusste, dieses Mädchen hatte die Prüfung zu seiner Zufriedenheit bestanden und noch im selben Augenblick, erschien sie wieder. Mit einem dumpfen Aufprall machte sie ein zweites Mal Bekanntschaft mit dem steinigen Boden.

"Nadja!", Loraine stürzte auf die Freundin zu und umarmte sie stürmisch. Diese sah erleichtert aus und schlang ebenso die Arme um die Scharzhaarige. Miriam brauchte einen Moment, ehe sie sich entschloss, zu ihnen zu gehen und es Loraine gleich zu tun. Wie ein kleiner Knäul standen die Mädchen einen Moment da, ehe Silver Diamond noch ein paar wohlwollende Worte sprach.

Green Emerald begrüßte Nadja erneut und zwinkerte ihr keck zu. Augenblicklich breiteten sich kleine Ranken mit Dornen, Blüten und Blättern in Miniformat auf deren Fingernägeln aus, nachdem sich ihre Schuppen in Nichts aufgelöst hatten. Auch das Symbol in ihrem Nacken, dass ihre zwei neuen Freundinnen nun sehen wollten, ähnelte diesem Zeichen.

Loraine streckte ihre Hand aus und Miriam tat es ebenso. Nur zögernd hielt auch Nadja ihre Hand dazu und musste doch lächeln, als sie die Ähnlichkeit entdeckte.

Victor entsandte sie alle wieder zu Loraine, wo die Gastgeberin Nadja noch die halbe Nacht lang aufklärte, was sie bisher schon erlebt und in Erfahrung gebracht hatten. Der Hase spürte, dass er hier überflüssig war und zog sich still und heimlich in das Zimmer seiner Besitzerin zurück. Nun hatte er endlich das Bett mal für sich allein und genoss die Nacht. Die Mädchen, so entdeckte er beim nächsten Morgengrauen, waren auf der Couch eingeschlafen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ein kleiner Prolog ~
Hat man sicher auch so auffassen können, nicht?
Ich hoffe es macht Lust, mehr zu lesen.
Ja, hier gibt es noch wenig Fantasy, aber jede Story fängt klein an, oder?
Und warum sollte man die Charaktere (die man ja noch nicht einmal kennt - außer Loraine) direkt in's kalte Wasser werfen? ;D Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von:  Eldeen
2012-10-08T16:40:42+00:00 08.10.2012 18:40
So, Kommentar Nummer zwei mit einem Seminar-beeinträchtigen Hirn. Ich hoffe, ich bringe irgendetwas zustande, das halbwegs annehmbar ist. Falls es nicht so viel wie normalerweise werden sollte, entschuldige ich mich bereits im Voraus dafür. ._.
Und irgendwie ist es faszinierend, bei dieser Kommentarfieber-Runde habe ich mindestens 3 oder 4 Sachen von dir bei meinen Links :D

Inhaltliches:
So. Inhaltlich habe ich tatsächlich mit etwas Fantasy-igem gerechnet, schon alleine wegen des Titels, aber ich habe - nachdem ich auf die glorreiche Idee gekommen bin, doch mal nachzusehen - festgestellt, dass es ja noch weitergeht, sodass ich mal davon ausegehe, dass der angesprochene Fantasy-Teil in den folgenden Kapiteln noch kommt. Also betrachte ich das Ganze mal als einleitung. :P
Vorweg muss ich gestehen, dass ich die Konstellation Reicher Vater mit etwas vernachlässigtem Kind nicht unbedingt innovativ finde, aber sie ist gut umgesetzt und deshalb zwar nicht unglaublich neu, aber in Ordnung. Was die Charaktere angeht - ihr Vater kommt soweit gut rüber, das Gleiche gilt auch für Loraine (oh Gott,französisch und ich, das kann nicht guggehen!) und ihre Freundinnen.
Der plötzliche Umzug ist insofern plausibel, als dass der Vater natürlich als Geschäftmann dazu auch einen Grund hat und rein von der Logik her habe ich jetzt nichts zu meckern. Ich fand das Ganze hier und da etwas langwierig - natürlich helfen genaue Beschreibungen von einem Raum oder den Personen und der Umgebung dabei, dem Leser alles näherzubringen, aber ich fand, dass man die hier und da auch etwas hätte kürzen können. Ich weiß ja jetzt nicht, ob ihre alten Freunde noch eine Rolle spielen werden, wenn nicht, hätte man hier aber zum Beispiel etwas sparsamer sein können. :P
Ist allerdings natürlich subjektiv und eigentlich ist das Ganze als Einleitung definitiv gelungen. :)

Stilistisches:
So, prinzipiell mag ich den Stil, weil er einfach gut lesbar und relativ flüssig ist. Hier und da stolpert man mal ein wenig, aber das ist alles nicht weiter dramatisch. Ich war mal so frei und habe ein bisschen was rausgesucht:

Eigentlich wusste eh jeder,
"eh" in einem Fließtext gefällt mir nicht. Das ist immer so umganggsprachlich, dementsprechend lieber ein "sowieso" oder "ohnehin". ;D

Die Landung war weich und ein kleiner Flughafen breitete sich unter ihnen aus. Bisher hatte Loraine gedacht, in dieser Idylle Urlaub zu machen für zwei Wochen.
Dieses "Für zwei Wochen" klingt sehr drangehängt, vielleicht eher zwischen "Idylle" und "Urlaub" packen?

Rechtschreibung & Grammatik:
Waren einige Flüchtigkeitsfehlerchen da, ich habe mal versucht, die rauszusuchen, die bisher noch nicht genannt wurden. Keine Garantie für Vollständigkeit und so. :P

ein merkwürdiger Teeniefilm aber eigentlich Nichts, dass sie fesselte.
"dass" -> "das"

Den Rest des Abends verbrachte sie, ein wenig gelangweilt, auf dem Sofa,
Ich würde die Kommas vor und nach "ein wenig gelangweilt" streichen. Ist zwar ein Einschub, aber der ist so kurz, dass man den nicht extra kenntlich machen muss. :)

"Und, wie ist dein Zeugniss?"
"Zeugnis" nur mit einem "s", bitte

"Aber wie immer war Emily die Klassenbesste.", jetzt grinste sie noch breiter.
Entweder den Punkt oder das Komma streichen, beides zusammen ist falsch. ;D
"Schön.", entgegnete ihr Vater,
Auch hier den Punkt töten.
"Um genau zu sein, wir werden dort hinziehen.", das war wirklich
Siehe oben.
bekommt dafür das doppelte Gehalt.", nuschelte ihre Mutter
Und noch ein Punkt, der sterben muss.

und verkroch sich statt dessen in die Laken ihres Bettes.
"stattdessen" in einem Wort

Dass sie nun hier für immer bleiben sollte war eine Umstellung,
Komma nach "sollte"

Seid drei Jahren wollte die leidenschaftliche Reiterin gern ein eigenes Pferd haben, doch jetzt nützte es ihr auch nichts mehr.
"Seid" -> "seit", ist mir glaube ich nochmal irgendwo aufgefallen, ich find's aber grad nicht mehr. ._."

Fazit:
Hübsche Einleitung, die die wichtigsten Charaktere einführt und eine Andeutung bezüglich des Jungen im Bus enthält, der wahrscheinlich später eine Rolle spielen wird?
Jedenfalls würde ich mir ansonsten eigentlich ein paar mehr Absätze wünschen, gerade weil das Kapitel ja eine gewisse Länge hat. Ansonsten finde ich das Ganze soweit gelungen. ;)

Liebe Schreibziehergrüße,
Eldeen im Kommentarfieber
Von: abgemeldet
2012-10-07T15:15:52+00:00 07.10.2012 17:15
- KF -

Guten Tag.
Also ist mein wahrscheinlich letzter fiebriger Kommentar für heute an dich. Da bin ich letztendlich wirklich nur noch gespannt, was da noch alles bei herum kommt. Übrigens bin ich jetzt restlos von der Aktion gepackt, das ist echt interessant.

Ein schöner Titel, Himmelsdrachen. Ich mag Drachen übrigens. Allerdings denke ich nicht, dass hier eine Eragon- oder Tinkerfarmmäßige Geschichte erwartet. Nun denn.

ehe sie die kalte Briese -> "Brise"

Ein lästiger Wind war aufgekommen und hatte ihr eine kleine Gänsehaut auf die Arme gemalt.
Eine gänsehaut zu malen, stelle ich mir unglaublich kompliziert vor. Der Wind kann schon was. XD

ein merkwürdiger Teeniefilm aber eigentlich Nichts -> "nichts" kannst du klein schreiben.

Die Schülerin wusste noch nicht, wohin, doch bald würde sie es bemerken!
Also ist das ein Überraschungsurlaub? Woran denkt sie denn, zu bemerken, wo es hin ging? Vielleicht passt hier aber auch ein "herausfinden" rein. Bin mir aber unschlüssig.

die Beiden kannten sich seit sie in die erste Klasse gegangen waren -> "beiden", wieder klein geschrieben.

Es waren noch 10 Minuten Zeit -> Zahlen bis einschließlich zwölf werden ausgeschrieben. Und solange es sich nicht um "dreihundertsechsundachtzigtausendzweihunderteins" handelt, würde ich auch andere Zahlen in einem Fließtext ausschreiben.

doch wie bereits seid drei Jahren -> "seit"?
ließen alle die Prozedur über sich ergeben -> "ergehen"

Die Mädels hatten sich noch in der Stadt verabredet, man wollte einen Kaffee trinken und danach ins Kino gehen.
An dieser Stelle fühle ich mich gerade wie in einer Aufzählung. Man wollte Dinge tun. Das erscheint mir so unpersönlich. Auch die ganze Erzählung mit den Zeugnissen.
Aber ich lasse mich davon nicht abschrecken.

Dort wartete bereits der Herd auf sie, wo sie sich ein kleines Mittagessen zubereitete.
Das wiederum finde ich sehr geschickt. Und ich mag halt lebendige Gegenstände.

weswegen es ihr Nichts ausmachte, sich ihr Mittagessen selbst zu machen.
"nichts", wieder klein geschrieben. Und vielleicht klingt "selbst zuzubereiten" hübscher als das einfache "machen". Ist aber letztlich auch Geschmackssache.

hohe Absatzschuhe klackerten über das Parket. -> Parkett

Völlig verblüfft lief sie den Beiden entgegen
-> "beiden", klein geschrieben

Gemeinsam aßen sie die Speisen, die Loraine aus den Nahrungsmitteln gezaubert hatte, die sie im Kühlschrank finden konnte.
Statt "finden konnte" müsste es doch "hatte finden können" heißen, oder? Noch dazu finde ich die Verwendung "Speisen" und "Nahrungsmittel" hier zu hochgestochen. Ein einfaches "Gericht" würd es meiner Meinung nach auch tun.

"Aber wie immer war Emily die Klassenbesste.", jetzt grinste sie noch breiter.
Der Punkt hat in der wörtlichen Rede hier nichts verloren. Zudem "Klassenbeste" mit nur drei s.

Du machst hier logische Zeilenumbrüche, wenngleich nicht bei der wörtlichen Rede, was ich nicht ganz verstehen kann. Aber sei es drum. Trotzdem würde ich dir noch Absätze nahe legen wollen. Beispielsweise als der neue Tag anbricht, oder vorher schon, nach der Schule. Das macht nochmal deutlich, dass einen eine neue Szene erwartet.

Warum sonst stieg niemand sonst zu
Ein "sonst" reicht hier aus. Das andere wirkt merkwürdig.

Auch hier würde ich einen Absatz machen. In einer Zeile schreibst du vom Start und in der nächsten von der Landung. Ein Absatz würde das wunderbar trennen und würde nicht ganz so nach vergessenem Inhalt aussehen. Hier hast du einfach übersprungen, was während des Fluges geschah. Durch den Absatz wäre es irgendwie logischer. Ich weiß nicht genau, aber man erwartet dann einfach eine Lücke.

"Ja, das ist es. Wir haben es gekauft und du bekommst, wenn du willst, ein Pferd."
Ach wie nett. Schatz, wir reißen dich aus deiner Heimat und fort von deinen Freunden, haben dir davon nichts gesagt und dir keinen würdigen Abschied gegönnt, aber: Wir kaufen dir ein Pferd.
Solche Eltern liebe ich ja.

Es befand sich noch ein sporadisches Bett im Raum
Entschuldigung, aber was soll ein sporadisches Bett sein? Sporadisch = hin und wieder. Heißt das nun, das Bett steht mal da und mal nicht?

und ihr Zimmer ausräumen, ohne das sie es bemerkte, war auch nur schwer möglich.
Am Ende des Satzes fehlt, glaube ich, ein "gewesen".

An der nächsten Haltestelle stieg ein junger Man -> "Mann"

Der letzte Satz ist sehr passend und treffend. Immerhin soll der Leser neugierig werden, wann denn nun die ganze Magical Girls Sache anfängt.
Insgesamt fand ich das erste Kapitel etwas zu zügig erzählt. Du hättest es zum Beispiel so machen können, dass Loraine sich zurückerinnert, wie sie aus ihrem Leben gerissen wurde, dann würde man auch nicht den Eindruck bekommen, dass Lücken in der Geschichte stecken.
Insgesamt ließ es sich aber flüssig lesen. Wenngleich ich die Eltern überhaupt nicht verstehen kann, aber das ist ein anderes Thema.

Liebe Schreibziehergrüße,
Turnaris
Von:  Anemia
2012-10-07T10:48:02+00:00 07.10.2012 12:48
Aloha!
Eine nette Alltagsgeschichte erwartet hier die Leser, zumindest dem nach zu urteilen, was man im ersten Kapitel erfährt. Was das Ganze nun mit dem Himmelsdrachen auf sich hat, bleibt noch unklar, aber ich finde es gut, dass du die Herkunft der Überschrift noch nicht gleich preisgibst.
An sich kann man sich die Personen ganz gut vorstellen dank der Beschreibungen. Das erste Kapitel ist ja oft mehr eine Art Prolog, wo man die Umgebung und die Personen näher kennenlernt. Nur finde ich, dass du teilweise etwas zu sehr ins Detail gegangen bist. Nun weiß ich natürlich nicht, inwiefern diese Dingen im weiteren Verlauf der Geschichte noch zum Tragen kommen, aber ich muss ehrlich zugeben, dass ich mich etwas gelangweilt habe. Muss man wirklich genau beschreiben, dass der Wecker um neun klingelt, da um zehn die Schule losgeht? Ja, man kann es machen, aber mir persönlich ist das alles etwas zu genau. Das mag jeder anders sehen, dies ist nur meine Meinung. ;)

Aufgefallen ist mir, dass du viele Sätze mit einem Ausrufezeichen abschließt. Hiermit sollt man ebenso sparsam würzen, sonst verlieren diese Satzzeichen ihre eigentlich so starke Wirkung.

Dein Ausdruck ist leider auch nicht immer so vorteilhaft, mir sind einige Wortwiederholungen aufgefallen, z.B. "Am Abend wollte sie nicht einmal zu Abend essen..." oder " Ihre Eltern hatten bereits hoch moderne Einrichtung gekauft und die Wohnung hoch modern ausgestattet." Zweimal 'hoch modern' in einem Satz ist etwas viel, finde ich, wie wäre es, wenn man das zweite mit 'sorgsam' oder ähnlichem ersetzen würde? Das ist für den Lesefluss gleich viel besser. ;)

Deine Rechtschreibung ist im Großen und Ganzen gut, mir sind zwar ein paar Fehler aufgefallen, von denen ich gern noch die mir am wichtigsten erscheinenden aufgreifen möchte:

"...die Beiden kannten sich seid sie in die erste Klasse gegangen waren."
In diesem Fall heißt es 'seit', denn es ist eine Zeitangabe. 'Seid' benutzt man in Situationen wie "Seid ihr alle da?".

"Zeugnissmappen"
Zeugnis bitte mit einem S am Ende.

"Völlig verblüft lief sie den Beiden entgegen..."
'Verblüfft' mit Doppel-F.

"Och, nichts Besonderes, alles Zweier und Einser, wie sonst auch.", murmelte sie zwischen zwei Bissen und grinste dann."
Der Punkt vor den zweiten Anführungszeichen gehört da nicht hin. Der Satz endet mit dem Einführungssatz, der in diesem Falle 'murmelte sie zwischen zwei Bissen und grinste dann' lautet.

"Telephonat"
Die Schreibweise mit 'Ph' ist mir ungeläufig, ich weiß nicht, ob es nach alter Rechtschreibung korrekt ist, aber im Zweifelsfall 'Telefonat' schreiben.

Auch wenn ich nun ziemlich viel kritisiert habe, ist deine Geschichte keineswegs schlecht. Sie ist lediglich verbesserungswürdig und das ist jede Story. Also, kein Grund zur Sorge, denn ich sehe hier ein gewisses Potenzial, das nur noch weiter reifen muss. Und wenn man viel übt (heißt: schreibt), dann verbessert man sich automatisch. :)

Viel Spaß noch!

lg Serpa,
vom Kommentarfieber gepackt.

Von:  Pumpkin_Queen
2012-09-02T19:32:38+00:00 02.09.2012 21:32
Wow hier gehts ja richtig gut zur Sache!
Erst die schrecklichen Gefühle: Angst, Hilflosigkeit und plötzlich wird sie aktiv! Kämpft und verteildigt sich.
Auch hier wieder eine schöne Wortwahl.
Was mir aber auffiel:
Als sie sich die Hände auf die Ohren presste wurden die Stimmen irgendwann zu einem hohen Quietschen. Du hattest da aber 'quitschen' geschrieben.
Bei dem Satz "Es heist Vincent!"; heist= heißt
Und du setzt in langen Sätzen viele Kommata ein. Versuch mal anstatt eines Kommas ein Punkt zu setzten. Dadurch wird die Geschichte etwas Flüssiger und du kannst leichter Absätze einbauen.
z.B.: 'In dem Augenblick, als der Stein ihre Haut berührte und sich ein brennendes Gefühl in dem Mädchen breit machte, verschwand der silberne Raum um sie herum, sie fiel kurz und landete schmerzhaft auf dem steinernen Boden von zuvor.'
Streiche das zweite Komma und mach einen Punkt. Fang einen neuen Satz an! Dadurch wird auch der kurze Fall von einer kleinen Nebensache zu einem wirkungsvollen Ereignis, welches die Spannung innerhalb des Kapitels steigert!

Ich bin schon auf das nächste Kapitel gespannt! Die Grundidee ist echt super und lässt viele Möglichkeiten offen, wie es weitergehen könnte!

Liebe Schreibziehergrüße
deine P_Q
Von:  Pumpkin_Queen
2012-09-02T19:14:10+00:00 02.09.2012 21:14
So langsam tut sie mir echt leid.
Von den Jungs umschwärmt, von den Mädchen verhasst.
Dann auch noch der Geburtstag zu dem sie aber nicht die Leute einladen kann, die sie mögen. Bin gespannt wies weiter geht.

Jedoch habe ich einen kleinen Schreibfehler gefunden:
"Über Geschenke oder solche Dinge wollte sie garnicht erst nachdenken, es erschien er verwegen, überhaupt damit zu rechnen, etwas zu bekommen.2
Das sollte sicherlich 'ihr' heißen, oder?
Und 'garnicht' gibt es nicht. 'gar nicht' wäre Rechtschreibtechnisch richtig, aber besser wäre es ganz ohne 'gar'.

Liebe Schreibziehergrüße
P_Q
Von:  Pumpkin_Queen
2012-09-02T19:01:55+00:00 02.09.2012 21:01
Die Arme. Ein unterkühltes Verhältnis zu ihrem Vater und dann muss sie auch noch umziehen und alles was ihr bis dahin halt gegeben hat zurück lassen.
Aber was mir aufgefallen ist, ist das du oft 'sie', 'die Schwarzhaarige', 'die Schülerin' geschrieben hast, anstatt ihren Namen zu verwenden.
Damit sollte man vorsichtig sein. Es ist zwar schön, dass du versuchst abwechslung in deinen Sprachgebrauch zu bringen aber wenn mehrere Leute in einem Kapitel vorkommen, sollte man das eher sparsam einsetzten. Benutze ruhig bei jedem zweiten oder dritten mal den Namen der Figur, das Hilft dem Leser die Übersicht zu behalten.
Und mehr Absätze helfen auch.

Ansonsten gefällt mir dieses Kapitel! Wie ich bereits sagte, versuchst du dich nicht zu wiederholen und Abwechslung hinein zu bringen. Und mir sind auch keine Schreibfehler aufgefallen.
^.^
Liebe Schreibziehergrüße
Pumpkin_Queen


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