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Gin x Whiskey

written by crazypark & me
von
Koautor:  Crazypark

Vorwort zu diesem Kapitel:
Wir leben noch :)
Viel Spaß beim Lesen ... falls es noch Leser gibt ^^" Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Vielen Dank an SKH_Ludwig_2 und abgemeldet für die tollen Kommentare <3 Wir freuen uns tierisch, dass den Beiden noch Leser treu geblieben sind. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Erneut: Vielen, vielen Dank an SKH_Ludwig_2 und abgemeldet für die Kommentare. Ihr seid die Besten <3

Und auch vielen Dank für die neuen Favo-Einträge ^w^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Entschuldigt die urlaubsbedingte Wartezeit. Dafür gibt es auch ein etwas längeres Kap :D

Das Kapitel ist SKH_Ludwig_2 und abgemeldet gewidmet, die uns mit Ihren Kommentaren immer wieder so glücklich machen. Vielen Dank an euch <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Vielen Dank an SKH_Ludwig_2 und abgemeldet <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Herzlichen Dank an alle Leser und besonders an SKH_Ludwig_2 und abgemeldet! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
BIG LOVE @ SKH_Ludwig_2 und abgemeldet! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Nach einer etwas längeren Herbstpause sind wieder zurück. Viel Spaß beim Lesen und vorab einen schönen 1. Advent. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Wenn auch etwas verspätet: An alle noch ein frohes Neues :D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo an alle :)
Diesmal ein schnelleres Update, auch wenn die Kreativität bei der Titelfindung endete. Wir nehmen gerne Vorschläge an :)

Wieder einmal ein besonderes Danke an SKH_Ludwig_2 und abgemeldet! Ihr motiviert uns weiterzumachen <3

Viel Spaß beim Lesen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Abend :) Entschuldigt die lange Wartezeit! Wir geloben Besserung :) Komplett anzeigen

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Hate me!

Was lange währt, wird endlich gut …

Wir haben uns etwas zu wörtlich an dieses Sprichwort gehalten, aber nun ist es endlich soweit: We’re back!!! Als kleines Geschenk zu Weihnachten sozusagen.

Was gibt es viel zu sagen … neue Akame AU Story mit jeder Menge Nebencharakteren. Wir haben uns einfach aus jedem Genre bedient XD

Zum Posting: Extra zu Weihnachten kommt ein langes Kap, aber gewöhnt euch nicht daran :). Die nächsten werden definitiv etwas übersichtlicher.

Des Weiteren möchten wir an dieser Stelle kein Versprechen abgeben, dass wir es schaffen, regelmäßig zu updaten. Wir werden unser möglichstes tun, einen 2-Wochen Rhythmus einzuhalten, aber verlasst euch nicht darauf XD Die Story macht doch mehr Arbeit, als wir anfangs gedacht hätten, zumal wir nun entschieden haben, sie auch auf Englisch zu übersetzen.
 

Aber genug geredet.

Viel Spaß mit dem ersten Kapitel
 


 

Kapitel 1 - Hate me!
 


 

Kame
 

Tokyo zu Weihnachten war ein Erlebnis für sich. Auch wenn das Fest der Liebe oder was auch immer in Japan weniger eine religiöse Bedeutung hatte, so wurde jedoch etwas definitiv übernommen: der Shoppingwahn. Es war bereits nach 21 Uhr, aber die Shinjuku-Station war taghell erleuchtet. Überall blendeten einen die blauen LED-Lichterketten der schiefen, krüppligen Kunstbäume, sodass man leicht die Orientierung verlieren konnte. Als ob es nicht so schon schwer genug war, ohne Zusammenstöße voran zukommen.

Die Straßen hier waren völlig überfüllt mit Menschen. Die meisten von ihnen waren mit großen Tüten bepackt, welche wahrscheinlich das eine oder andere Geschenk beinhalteten. In wenigen Tagen war es soweit, nur meine weihnachtliche Stimmung hielt sich noch in Grenzen. Vielleicht lag es an dem fehlenden Schnee, den milden Temperaturen oder den nervigen blickenden Lichtern, bei welchen jeder Epileptiker seine Freude hätte, oder daran, dass es mein erstes Weihnachten hier in Tokio war - alleine ohne meine Eltern.

Diese verbrachten ihre Feiertage lieber im milden Italien auf einem Kongress über Denkmalschutz römischer Villen. Sie hatten mich natürlich gefragt, ob ich die Ferien bei ihnen verbringen wollte, aber mal ehrlich. Welcher 16-jährige wollte seine Freizeit in einem 100 Einwohner Kaff verbringen, wo es nichts anderes als Ziegen, Schafe und halb zerfallene Häuser gab? Ich für meinen Teil konnte da gut und gerne drauf verzichten, meine Eltern wohl nicht.

Es war jetzt schon knapp neun Monate her, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Damals waren sie mit Sack und Pack gen Europa gezogen, um sich ihren Lebenstraum der Erforschung antiker Bauweisen in Verschmelzung mit der Moderne zu erfüllen. Schnarch! Ich stand damals vor der Entscheidung mitzufliegen, diese Sprache lernen zu müssen und mit irgendwelchen Hinterwäldlern auf eine stinkende Dorfschule gehen zu dürfen oder mich häuslich hier in Tokio bei meiner Großmutter niederzulassen. Ich musste wohl nicht erklären, warum ich mich für letzteres entschieden hatte. Damals wäre ich jede Wette eingegangen, dass die beiden es in dieser Einöde nicht einmal einen Monat aushalten würden. Nun war bald ein ganzes Jahr rum und sie immer noch glücklich. Sollte mal einer verstehen. Sie hatten mir Bilder ihres kleinen Gutes geschickt und ich war regelrecht entsetzt gewesen. Davor lebten wir in einer großen Villa in Osaka von der viele nur träumen konnten. Mein Vater hatte sie damals entworfen und meiner Mutter zu ihrer Hochzeit geschenkt. Ich liebte dieses Haus und vor allem die Vorzüge meines Lebens darin. Es mochte vielleicht etwas überheblich klingen, aber Menschen gewöhnten sich schnell an einen gewissen Standard und ich wollte diesen sicher nicht gegen ein klappriges Bett in einem undichten Hühnerstall eintauschen. Trotzdem fehlten sie mir und darüber tröstete mich auch nicht die aktuelle Armani-Kollektion aus Rom hinweg. Schick war sie trotzdem.

Die Fußgängerampel schaltete auf rot und mir blieb nichts anderes übrig als stehen zu bleiben. Neben mir ertönte ein hohes Kichern, welches mich aus meinen Gedanken holte. Nicht weit entfernt erblickte ich eine Gruppe Mädchen, welche mich unverhohlen anstarrte. Scheinbar deuteten sie meine kurze Musterung als Einladung, denn zumindest eine der holden Weiblichkeiten kam auf mich zu marschiert. Sie war klein, zierlich, mit langen braunen Haaren. Wenigstens die Hübscheste aus der Runde, dachte ich zumindest, bis sie den Mund aufmachte und mir das Trümmerfeld entgegen stach, was wohl Zähne darstellen sollten. Oh Gott, mir blieben vor Schreck sämtliche Nettigkeiten im Halse stecken.

„Hey, ich bin Keiko und du?“

„Definitiv nicht mehr interessiert“, antwortete ich schnell und achtete nicht mehr darauf, dass der Frau schier alles aus dem Gesicht fiel, denn leider blieben ihre Zähne an ihrem Platz. Die Ampel zeigte zum Glück rechtzeitig grün an und ich machte mich so schnell wie möglich aus dem Staub. Bitte, vielleicht war ich oberflächlich, aber man sollte die Sache einmal nüchtern betrachten. Es war wie in der Ökonomie. Warum sollte man bei ausreichendem Angebot minderwertige Ware anrühren? Vielleicht war sie nett, intelligent oder hilfsbereit, aber wen interessierten schon innere Werte, wenn man(n) Angst haben musste, dass sich der eigene Schwanz in ihrem Gebiss verhaken könnte? Reiner Selbstschutz also.

Es dauerte nicht mehr lange, bis ich mein Ziel für den heutigen Abend erreichte und vor den Türen des „Godz“ ankam. Besagtes Godz war eine der besten Metalbars hier in Tokio.

Die Anzahl der Besucher hielt sich in Grenzen, was an einem Sonntag nicht wirklich verwunderlich war. Gestern sah es hier schon ganz anders aus. Der Club war ein echter Geheimtipp in der Szene, nicht nur wegen der moderaten Getränkepreise sondern in erster Linie durch die ausgezeichnete Musikauswahl. Ich verbrachte meine Abende oder Nächte gern hier. In diesem Umfeld interessierte es keinen, wer oder was man war. Wie immer grüßte ich den Barmann, bestellte mir ein Bier und verzog mich mit diesem in den hinteren Teil der Räumlichkeiten, wo ich mich an einem der Tische niederließ. Im Hintergrund lief gerade Motörhead, während ich an meiner Flasche nippte und langsam anfing, mich zu entspannen, während ich auf meine Verabredung wartete.

„Oi, Kazu.“ Ich erblickte meinen Kumpel, welcher nun zielgerichtet auf mich zusteuerte, natürlich ebenfalls mit einem Bier in der Hand. Meine Mundwinkel zogen sich bei seinem Anblick automatisch nach oben. Wenn man vom Teufel sprach beziehungsweise dachte. Taka sah immer ein wenig durch den Wind aus, was ihm eine sehr sympathische Ausstrahlung verlieh. Es war schwer, diesen Kerl nicht zu mögen.

Wir trafen uns vor einigen Monaten durch Zufall in einer winzigen, rauchigen Kneipe. Es war einer dieser Tage gewesen, an denen man sich am liebsten den nächsten Strick genommen hätte. Ich brauchte einfach Abstand von allem und vor allem einen starken Drink. Ohne viel nachzudenken, stürzte ich mich an die erste Theke, welche endlich bereit war, mir Alkohol zu verkaufen, obwohl ich bei weitem noch nicht 21 war. Taka hatte mich damals angesprochen und wir stellten schnell fest, dass wir einen ähnlichen Musikgeschmack hatten. Keine zwei Tage später schleifte er mich das erste Mal ins „Godz“, welches einem Bekannten von ihm gehörte und somit waren alterstechnische Probleme schnell aus dem Weg geräumt.

„Was geht, olles Bonzenkind?“, grinste er mich an und versuchte, seine widerspenstigen, schwarzen Locken aus seinem Gesicht zu streichen, nachdem er sich auf dem Barhocker mir gegenüber niedergelassen hatte.

„Nicht mehr und nicht weniger als sonst“, antwortete ich schmunzelnd und prostete dem Älteren zu, bevor sich dieser seinem Getränk widmete.

„Man, du weißt gar nicht, wie schön es ist, wieder hier zu sein“, ließ der 22-Jährige überschwänglich verlauten.

„Hast du mich etwa so sehr vermisst?“ Mein Grinsen wurde breiter. Wir hatten uns die letzten Wochen kaum gesehen. Taka war Sänger in einer Rockband, welche gerade versuchte, richtig durchzustarten und die Kellerlöcher hinter sich zu lassen. Daher zogen sie durch irgendwelche kleinen Clubs als Vorband, während ich in der Schule versauerte. Das Leben war einfach ungerecht.

„Mindestens so viel, wie du mich.“ Wo er recht hatte.

„Und was ist mit mir?“, ertönte es plötzlich neben uns und ich konnte den Drummer der Band ausmachen, welcher sich scheinbar dazu entschieden hatte, uns heute ebenfalls Gesellschaft zu leisten.

„Wem würdest du schon fehlen?“, frotzelte Taka sofort los.

„Wer hat dich denn gefragt?“

„Und was machen die anderen?“, versuchte ich einfach das Thema umzulenken, damit die beiden sich nicht schon nach drei Sekunden an die Gurgel gingen. Es war mir schleierhaft, wie sie später eine komplette Tour überleben wollten.

„Die genießen lieber die wenige freie Zeit alleine. Nur diese Klette hängt nach dem ganzen Aufeinandergehocke immer noch an meinem Arsch“.

„Und dabei ist der viel zu knochig für meinen Geschmack“, konterte der andere grinsend.

„Mein Arsch ist nicht knochig!“

„Ist er wohl.“ Und schon ging die Show los. Den beiden beim Streiten zuzusehen war besser als Kino. Es fehlte eigentlich nur noch das Popcorn, aber ich hatte ja mein Bier.

„Was glotzt du eigentlich auf mein Hinterteil?“

„Glaubst du, das mach ich mit Absicht? Leider stehst du sehr selten mit dem Gesicht zu meinem Drums! Und ich bin auch nur ein Mann.“

„Daran zweifle ich ab und an.“

„Dazu schwul und bedürftig“, fügte der Brünette noch hinzu, ohne auf den Kommentar seines Kollegen einzugehen.

„Das rechtfertigt nicht, dass du mir auf den Hintern starrst!“

„Kazuuu~, sag doch auch mal was!“ Ich musste mir schwerlich mein Kichern verkneifen, als mich Tomoya mit großen Augen anblickte und scheinbar auf meine Hilfe hoffte.

„Was soll ich sagen? Ich starre ihm nie irgendwohin.“ Das war die Wahrheit. Ich liebte Taka abgöttisch, aber auf eine gänzlich unsexuelle Art.

„Siehst du, der kann sich wenigstens benehmen“, triumphierte der Sänger über den kleinen Disput und freute sich darüber scheinbar ein Loch in sein Knie.

„Ich stehe aber eigentlich auch nicht so auf Kerle.“ Grinsend nippte ich an meiner Flasche, was ich lieber hätte lassen sollen, denn Tomoyas nächster Kommentar ließ mich beinahe an meinem Bier ersticken.

„Betonung auf 'eigentlich', Süßer. Du weißt es nur noch nicht, aber ich helfe dir gerne dabei, es herauszufinden.“

„Glaub ich dir aufs Wort“, röchelte ich hilflos und merkte, wie meine Wangen unangenehm zu glühen anfingen.

„Verschwule mir den Jungen ja nicht!“, schob Taka zum Glück einen Riegel vor dieses Thema. Wenigstens auf einen war hier Verlass. Ich wäre ihm am liebsten vor Dankbarkeit um den Hals gefallen, was jedoch bei der derzeitigen Situation nicht sonderlich förderlich gewesen wäre.

„Was haltet ihr von einer Runde mit ordentlichen Getränken?“, warf ich daher einen Vorschlag in die Runde und erntete wie erwartet breite Zustimmung. Immerhin hatten wir die erfolgreichen Konzerte der anderen beiden zu feiern, was wir auch ausgiebig taten.
 

Am nächsten Morgen hielt sich meine Lust aufzustehen in Grenzen. Ich wusste nicht, was der Auslöser meiner schlechten Laune war, aber irgendetwas sorgte dafür, dass ich ein mulmiges Gefühl hatte. Vielleicht war der letzte Schnaps nicht mehr gut gewesen, aber ich hatte heute Nacht nicht das Gefühl gehabt, wirklich besoffen gewesen zu sein. Kopfschmerzen hatte ich auch keine. Sehr seltsam das alles.

Es gab jedoch einfach Tage, an welchen man besser im Bett liegen bleiben sollte. Scheinbar gehörte dieser heute dazu. Es half jedoch alles nichts. Lehrer hatten meist wenig Verständnis, wenn man einfach so blau machte. Ein bis hundert Kaffee würden schon helfen. Zumindest zog der verführerische Duft schon bis in mein Zimmer.

Zwanzig Minuten später betrat ich angezogen und mit gestylten Haaren die große Designerküche und schnappte mir sofort eine der bereitgestellten Tassen für mein schwarzes Gesöff. Schon nach dem ersten Schluck sah die Welt viel besser aus.

„Guten Morgen, Kazuya“, begrüßte mich meine Oma, welche soeben mit einem Bündel undefinierbarer Kräuter den Raum betrat und mich fröhlich anstrahlte.

„Morgen.“

„Du sollst nicht immer dieses schädliche Zeug trinken. Tee ist viel gesünder.“ Nur nicht ihrer. Ich schluckte lieber sämtliche Kommentare über das eigens hergestellte Gebräu herunter. Meine Großmutter war, nun ja, anders. Ihre große Liebe war ihr exotischer Kräutergarten, welcher sicher kein Polizist betreten sollte. Die Hälfte der Pflanzen durfte wahrscheinlich noch nicht einmal in Japan eingeführt werden. Von den verschieden Pilzen und ihren Wirkungen wollte ich lieber gar nicht erst anfangen. Natürliche Heilmittel nannte sie ihre Gewächse. Na dann. Den Fehler, auch nur ein Produkt davon vor der Schule zu mir zunehmen, hatte ich auch nur ein einziges Mal begangen. Es war keine schöne Erinnerung.

Ansonsten war unser Zusammenleben ziemlich harmonisch. Sie versuchte erst gar nicht, mir irgendwelche Regeln aufzuerlegen. Solange ich keinen Ärger machte, gute Noten schrieb und mich zu benehmen wusste, hatte ich völlige Narrenfreiheit. Das war ein großer Pluspunkt bei den ganzen Entbehrungen, welche hier auf mich warteten. Nicht, dass dieses Haus klein wäre oder es an Luxus mangelte, aber alte Leute standen wohl nicht sonderlich auf Whirlpools, Billardtische und riesige Flachbildfernseher mit passenden Soundanlagen.

„Es war ganz schön spät gestern“, startete meine Großmutter ein Gespräch, während sie an ihren Gräsern herum zupfte.

„Ja. Hatte mir extra ein Taxi genommen.“

„Ich hoffe du hast auch ein Kondom benutzt.“ Ich hätte beinahe meinen Kaffee über dem Tisch verteilt

„Oma! Ich habe gestern nicht DAS gemacht!“

„Solltest du aber. Du bist in der Blüte deiner Jahre. Das musst du ausnutzen, mein Junge. Der Verfall setzt bei euch Männern zeitig genug ein. Ich spreche da aus Erfahrung.“ Nach fünf überlebten Ehen tat sie das wirklich. Das änderte nur leider nichts daran, dass dieses Thema äußerst unangenehm war.

„Darum musst du dir keine Sorgen machen“,

„Also gibt es da jemanden?“

„Keine spezielle.“

„Keine oder Keinen?“

„KEINE!!!“

„Man wird ja wohl fragen dürfen. Bei der Jugend heutzutage weiß man ja nie so genau. Vergiss nie die Kondome, in Ordnung? Ich bin noch zu jung, um Urgroßmutter zu werden. Aber falls es doch passiert: Auch dagegen gibt es ein Kraut.“

„Was wird das eigentlich?“, lenkte ich lieber schnell vom Thema ab und zeigte auf die Zutaten, welche auf der Theke verteilt lagen.

„Ich versuche mich an einem mongolischen Kräuterlikör. Er soll sehr belebend wirken. Genau das Richtige für diese Jahreszeit.“ Ähm ja, wie ich schon sagte, die Frau war halt irgendwie anders.
 

Wie schon erwähnt gewöhnte man sich zu schnell an gewisse Privilegien, sodass man jene gar nicht mehr zu achten schien. Mein Schultag in Osaka begann meist mit einem riesigen Frühstück, welches von unserer Köchin zubereitet wurde. Danach fuhr mich entweder mein Vater oder ein Angestellter zur Schule. Ich brauchte mir nie um irgendetwas Gedanken zu machen.

Jetzt hatte ich eine Tüte vom Kiosk in der Hand, meine Schultasche quetschte mir die Schulter ab und ich könnte schwören, dass gerade mal wieder eine fremde Hand meinen Arsch gestreift hatte.

Ich hasste meinen Schulweg. Jeden Morgen musste ich mich in die volle U-Bahn zwängen und mich von irgendwelchen Perversen angrabschen lassen, nur weil meine Großmutter meinte, es sei eine gute Erziehungsmaßnahme, mich nicht zu sehr zu verhätscheln.

'Andere Kinder machten das auch jeden Tag' waren ihre Worte. Ja, andere Kinder hatten aber auch nicht mein Bankkonto und einen Chauffeur zu Hause sitzen, welcher sich zu Tode langweilen durfte.

Das Gelände war noch völlig leer, da ich wie jeden Morgen zu früh dran war. Ich war der Erste der kam und der Letzte der ging.

Die Kaisei Academy war eine private Jungenschule von der Grundschule bis zur Oberstufe mit der besten Verbindung zur Universität von Tokio. Jeder hier hatte Geld. Ansonsten unterschied sie sich nicht im Geringsten von meiner alten Schule. Das Leben hier war nach dem üblichen Prinzip einer Hierarchiepyramide angeordnet und ich wollte nicht zu der unbedeutenden Masse am Sockel gehören. Früher war ich Schulsprecher gewesen, Kapitän der Baseballmannschaft und Vorsitzender des Veranstaltungskomitees. Genau da wollte ich wieder hin und es war so einfach, es zu erreichen. Ich war weder hässlich noch gehirnamputiert und in wenigen Wochen des neuen Schuljahres so beliebt, dass ich direkt zum Schulsprecher ernannt wurde, da ihnen der alte irgendwie abhanden gekommen war und sein Stellvertreter den Job mehr schlecht als recht absolvierte. Hier und da ein wenig Schleimen und die richtigen Knöpfe drücken und schon hatte ich den Job. Viel zu leicht und die Konkurrenz war lächerlich.

Einen Wermutstropfen gab es jedoch bei meinem Wechsel: Die Kaisei Acedemy rühmte sich mit ihrem ausgezeichneten Club. Es gab wirklich jeden Scheiß. Vom Kochen zu Othello bis hin zu Amateur Magie, nur ein Baseballteam fehlte. Bis jetzt! Ich wäre nicht Kamenashi Kazuya, wenn ich nicht auch für dieses Problem eine Lösung gefunden hätte. Angeregt durch eine kleine Spende meiner Eltern wurde dieses Jahr die erste Mannschaft - natürlich mit mir als Clubvorsitzenden - gegründet. Wir brauchten noch einiges an Training und vor allem ein paar mehr fähige Spieler, aber wenn alles gut ging, würden wir nächstes Jahr an den Schulmeisterschaften teilnehmen können. Ich war glücklich und alles lief perfekt nach meinem Plan.
 

Als ich das Sekretariat verließ, füllten sich die Gänge allmählich mit Schülern. Die meisten grüßten mich mit einem freundlichen Lächeln, welches ich natürlich erwiderte, obwohl ich mich bei der Mehrzahl weder an ihr Gesicht, noch an ihren Namen erinnern konnte. Ich brauchte dringend eine neue Dosis Koffein. Mein Stundenplan für heute war vollgepackt, sodass ich erleichtert war, dass mir die Aufgabe abgenommen wurde, einen Rückkehrer zu begrüßen. Er kam wohl von einem Austauschjahr zurück. Ich hatte nicht genau zugehört, da mich die Informationen ab dem Zeitpunkt nicht mehr interessierten, als ich von meiner Pflicht entbunden wurde und lieber die Zeit nutzte, im Kopf die Formeln für den heutigen Mathematiktest zu wiederholen. Ich hatte schulisch nie große Probleme, aber dieses Fach gehörte wohl zu meinen Schwachpunkten. Zahlen mochten mich nicht und umgekehrt.

Ich seufzte und wartete auf meinen Becher Kaffee, welcher gerade von dem großen Automaten zubereitet wurde. Ich wusste, dass er eklig schmecken würde und dass mein Magen spätestens ab dem dritten Schluck anfangen wurde zu rebellieren. Dennoch tat ich mir dieses Gift jeden Tag aufs Neue an. Ich hatte nicht viele Laster, aber Koffein gehörte definitiv dazu, Zigaretten wohl auch und vielleicht der übermäßige Genuss von alkoholhaltigen Getränken in meiner Freizeit. Okay, ich nahm das mit den wenigen Lastern zurück. Zum Glück war nur meine Kaffeesucht allgemein bekannt.

„Moin, Kame.“ Yamapi, oder nur Pi oder auch alles andere, solange man ihn nicht mit seinem richtigen Namen ansprach, kam grinsend auf mich zu. Im Gepäck hatte er Ueda Tatsuya, ohne Zusatz, denn dieser mochte ausnahmsweise seinen Namen. Die beiden gingen in meine Klasse. Ich war damals keine zwei Sekunden in unserem Klassenraum, da hatte ich Pi schon wie eine Klette an mir hängen. Ich mochte seine aufgeweckte, naive Art. Er war nett - zu nett für diese Welt. Tatsuya war der Klassensprecher, wodurch wir auch nach dem Unterricht relativ viel zusammen zu tun hatten. Ueda war ein sehr offener Mensch - in jeglicher Hinsicht. Die typische Geschichte eines verzogenen Kindes, welches sich seine Aufmerksamkeit, welche es zuhause nicht bekam, woanders holte. In einer reinen Jungenschule war das auch nicht besonders schwierig, vor allem nicht mit seinem Äußeren. Jeder wusste es, keiner sprach darüber. Es war mir gleich. Ich verbrachte meine Zeit nicht aufgrund seiner oralen oder anderweitigen Fähigkeiten mit ihm, sondern weil ich seine Art schätzte. Es folgte der morgendliche Smalltalk, während ich an meinem Becher nippte.

„Ihr werdet nicht glauben, wer wieder da ist", änderte Pi grinsend das Thema, welches sich bislang um den Test von heute drehte.

„Bitte nicht dieser picklige Typ", kam die prompte Antwort von Ueda, welcher angeekelt das Gesicht verzog.

„Nein igitt, besser."

„Die heiße Referendarin?", war mein nächster Vorschlag, worauf Pi leider nur mit dem Kopf schüttelte. Schade aber auch.

„Wer dann?", wollte ich daher wissen und nippte an der dunklen Flüssigkeit. Bah, immer noch widerlich. Da zahlte man schon ein Vermögen an Schulgeld und durfte diesen Spülwasserkaffee trinken.

„Jin. Er ist wieder da." Seine Stimme überschlug sich fast vor Aufregung, während ich ihn nur mit großen Augen ansah. Wer?

„Ist nicht wahr?!“ Scheinbar teilte Ueda die Begeisterung des anderen. Ich stand auf dem Schlauch oder hatte tatsächlich etwas Essentielles verpasst. Der Gedanke gefiel mir rein gar nicht. Das mulmige Gefühl von heute Morgen kam wieder zurück und ich fürchtete, dass es nicht nur an der ekligen Brühe lag, welche ich in mich hinein schüttete.
 

Jin
 

Weihnachten stand kurz vor der Tür und somit war es für mich höchste Zeit, mich von Amerika zu verpissen, bevor die selige, heilige und Leck mich am Arsch-Stimmung vollends einsetzte. Zwei Wochen vor dem eigentlichen Kasperletheater war es fast zu spät, da sie im Grunde schon seit September die Weihnachtsschokolade in den Supermärkten horteten und dich mit ihren Zuckerstangen liebend gern verprügelt hätten, nur damit du ihnen ihre dämlichen Zimtsterne abkaufst. Bei 24 Grad im Schatten wäre ich zwar auch äußerst abgefuckt, in einem Kostüm herumzulaufen, aber dadurch eben noch weniger geneigt, mir deren Plunder zuzulegen.
 

Das Erste, was ich tat, als ich gegen 15 Uhr in Tokio ankam, war zu meinem Haarstylisten zu fahren. Die Matte musste dringend runter, sonst würde mich der Schulleiter Johnny ungespitzt in den Boden rammen. Außerdem war mir meine Reputation zu wichtig, als dass ich weiterhin wie ein Strauchdieb herumrennen konnte. Zumal das Pflegen der Haare eindeutig zu aufwändig wurde.

Mit dem Ergebnis war ich wie immer höchst zufrieden, was auch der Grund war, dass ich meinem Stylisten treu geblieben war und den fettigen Wurstfingern der burgerfressenden Amerikaner sicher nicht erlaubt hatte, an meinen geschmeidigen Wunderlocken herumzugriffeln.

Ich informierte noch alle, die es verdient hatten, dass ich wieder in Japan war, bevor ich zu meinen Eltern fuhr und der Jetlag einsetzen konnte. Zwar hatte ich auch nach einem Jahr Abwesenheit immer noch mein altes Apartment, aber eben jenes hatte meine Mutter in Schuss halten lassen und das allein war schon ein Grund für einen Besuch. Ich wusste, dass ich mich mit meiner Anwesenheit erkenntlicher zeigen konnte als mit Schnittblumen, die nach zwei Tagen anfingen in der Vase zu modern.
 

Montag bestritt ich mit gemischten Gefühlen. Erst die Arbeit und dann das Vergnügen und das im wahrsten Sinne. Das gewohnte Schulgelände, in dem ich einen großen Teil meines bisherigen Daseins gefristet hatte, zu betreten, war seltsam. Ich kannte mich hier aus wie in meiner eigenen Westentasche und trotzdem hatte ich das Gefühl, fehl am Platz zu sein. So, als hätte ich längst meinen Abschluss gemacht und nicht nur ein Austauschjahr in Amerika verbracht. Die meisten Idioten kannten dich und ein paar neue Gesichter betrachteten dich neugierig von oben bis unten und wägten wohl ab, ob du entweder eine Gefahr für sie warst oder ein Trottel, der sich auf dem Weg zum Supermarkt verlaufen hatte. Die Kaisei Academy war schlimmer als ein katholisches Jungeninternat. Mindestens die Hälfte war schon vor Aufnahme schwul gewesen und der Rest wurde es nach spätestens zwei Jahren in diesem Knast.

Natürlich durfte niemand zugeben, vom anderen Ufer zu sein, sonst würde einem Sugardaddy Johnny höchstpersönlich in den Hintern treten. Kopfschüttelnd enterte ich dessen Büro und versuchte, vorerst nicht mehr darüber nachzudenken.

Der Gebieter saß wie gewohnt auf seinem Thron, blätterte vermutlich in den Unterlagen von bemitleidenswerten Neulingen und schaute nach einem Räuspern meinerseits garstig auf mich herab.

„Was gibt’s?“, fragte er mich und vertiefte sich wieder in die Papiere. Genüsslich befeuchtete er sich Daumen und Zeigefinger mit der Zunge, um die nächste Seite umzublättern und mir kam glattweg das Kotzen bei diesem Anblick.

„Ich hab gehört Miso-Ramen und Katsudon.“ Ich musste mir mein Grinsen verkneifen, als der alte Sack sein geschauspielertes Desinteresse einstellte und mich stattdessen anstarrte. Seine Gelassenheit begann zu bröckeln, das merkte ich sofort an seinen blitzenden Augen und freute mich ungemein.

„Ich meinte mit meiner Frage den Grund deines Auftauchens“. Als ob er das nicht selbst wüsste. Dass man jedes mal in Schleimerei ertrinken musste, bevor man ein vernünftiges Gespräch mit dem Schlepparsch führen konnte, ging mir tierisch auf die Nüsse. Und ich hatte es nicht mehr nötig, mich so behandeln zu lassen, schon gar nicht nach dem ganzen Scheiß, den ich für ihn getan hatte. Alter Pfeffersack!

„Ich dachte, wir spielen endlich mal zusammen Golf“, gab ich schulterzuckend von mir, bevor ich mich breitbeinig auf einem Stuhl vor seinem Schreibtisch niederließ und mich entspannt zurücklehnte.

„Jin!“, kam es bedrohlich von ihm und ich unterdrückte die Antwort „So ist mein Name.“ Stattdessen fragte ich ihn nach den geplanten Auftritten und Veranstaltungen für mich. Wie nicht anders erwartet war die nächste Zeit vollgepackt mit allerlei unnützen Ansprachen für Weihnachten, Silvester, Neujahr und überhaupt. Ich musste ja nicht schon genug Interviews und Photoshoots für jede Menge Magazine über mich ergehen lassen. Mit meiner Laune am Tiefpunkt verließ ich das Büro wieder. Mich kotzten diese Besuche dermaßen an, aber seit ich vor drei Jahren beschlossen hatte, mein „Taschengeld“ aufzubessern, indem ich meine Eltern tatkräftig in ihrem Entertainmentbusiness unterstützte, wurde ich ständig genötigt, die glatt polierte Privatschule zu vermarkten und zu repräsentieren. Im Gegenzug erhielt Bestnoten, ohne viel dafür tun zu müssen. Bei meinen außerunterrichtlichen Aktivitäten war das auch bitter nötig. Aber wer brauchte schon Schulstunden, wenn man wusste, wie die Welt funktionierte?
 

Seufzend machte ich mich auf den Weg zum Klassenzimmer. Ich hatte zwar noch gut 20 Minuten Zeit, bis die nächste Stunde begann, aber die wollte ich sicher nicht mit dem senilen Knacker verbringen. Unterwegs holte ich mir einen Kaffee in der Cafeteria, die natürlich gähnend leer war, da alle brav im Unterricht saßen. Dafür hatte ich Gelegenheit, mir das schwarze Brett anzusehen. Es wurden noch Mitglieder für das Baseballteam gesucht. Irritiert hob ich eine Augenbraue und fragte mich, seit wann die Schule diese Sportart anbot. Ich musste mich dringend auf den neuesten Stand bringen lassen. Die böse Vorahnung, dass ich dies kontinuierlich in den USA hätte tun sollen, nagte an mir. Aber ich hatte wahrlich andere Sorgen gehabt, als mich um die Belange der Schule zu kümmern. Auch wenn man das von mir als Schulsprecher hätte erwarten sollen. Ich fragte mich unwillkürlich, wer diesen Job nach mir übernommen hatte und ob ich mich sehr bemühen musste, meinen alten Posten wieder zu bekommen. Nicht, dass ich wirklich scharf darauf war, da ich seit Amerika mehr Angebote für Shootings bekam, als ich imstande war, anzunehmen. Die Lust, sich um die zum größten Teil unnötigen Bedürfnisse anderer kümmern zu müssen, verspürte ich nicht im Geringsten. Wichtiger war es auch, meine Macht schnell wieder herzustellen und wie ließ sich das besser umsetzen als in dieser Position?

Die Schulklingel riss mich aus meinen Gedanken und ich legte hoch erhobenen Hauptes die letzten Meter zum Klassenzimmer zurück. Von vielen wurde ich ehrfürchtig betrachtet, jedoch wagte sich keiner, mich dumm von der Seite vollzulappen. Offenbar war meine Stellung doch noch recht akzeptabel.

Das erste bedeutende Gesicht, was ich erblickte, war das von Junno, meinem besten Kumpel wenn es um Partys und ältere Frauen ging.

„Du bist blond“, begrüßte ich ihn und betrachtete skeptisch seine aufgehellten, langen Haare.

„Jin!“, strahlte er mich verzückt an und fiel mir doch allen ernstes um den Hals.

„Nur nicht sentimental werden.“ Ich schob ihn schnell zurück, konnte jedoch ein Lächeln nicht verhindern. Es war einfach schon viel zu lange her, dass wir uns gesehen hatten.

„Du glaubst gar nicht, wie gut die Haare bei den Frauen ankommen“, erklärte er mir seine Radikalkur.

„Springt dabei auch für mich etwas raus?“, fragte ich noch immer grinsend.

„Darauf kannst du wetten.“ Bevor er jedoch das Thema vertiefen konnte, wurden wir von Koki, unserem Drogendealer und selbsternannten Gangsterrapper, unterbrochen.

„So braungebrannt wie du bist, hast du doch die ganze Zeit nur am Strand mit Weibern gelegen“, frotzelte er statt eines Willkommensgrußes.

„Gar nicht wahr!“, protestierte ich und fügte dann mit einem dreckigen Grinsen hinzu: „Es waren auch ein paar Kerle darunter.“

„Es tut gut, zu wissen, dass sich wenigstens das nicht geändert hat.“

„Was soll das heißen?“, fragte ich misstrauisch geworden.

„Es gibt einen Neuen, der dir den Rang ablaufen will“, antwortete Koki.

„Etwas Ernstes?“, fragte ich noch nicht aus der Ruhe gebracht. Mich von meiner Position zu stoßen, bedurfte es schon einigen Könnens und seit meines Amerikaaufenthaltes konnte ich so ziemlich mit allem fertig werden.

„Na ja, er ist der Schulsprecher.“ So konnte man auch meine Frage beantworten. Aber selbst das machte mich nicht nervös. Ich hatte mittlerweile andere Möglichkeiten, der Chef der Schule zu sein. Ein wichtiger Bonuspunkt ergab sich von ganz allein: Ich war bald im letzten Schuljahr. Das ließ einen automatisch in der Beliebtheitsskala aufsteigen und einem wurden völlig neue Türen geöffnet. Zwar hatte ich dieses Privileg bereits genossen, aber es ganz offiziell tun zu dürfen, war eine andere Sache.

„Von mir aus kann er die Drecksarbeit erledigen“, erwiderte ich gelassen.

„Er hat auch schon Pi und Tatsuya auf seine Seite gezogen“, brachte Junno ein Argument, was mich nicht kalt ließ. Den großen Macker heraushängen zu lassen war die eine Sache, aber mir meine Leute auszuspannen ein absolutes Tabu. Jetzt galt es ruhig zu bleiben und sich dieses Würstchen erst einmal von nahem zu betrachten.

„Ihr müsst mir alles erzählen, was ihr wisst.“

Nach dem Unterricht hatte ich mehr über den Typen erfahren als mir lieb war. Mein neuer Erzfeind hörte auf den Namen Kamenashi Kazuya und war noch dazu ein Jahr jünger als ich und bei den meisten beliebt. Letzteres war nicht schwer zu erraten gewesen, wenn er sofort zum Schulsprecher gewählt wurde. Seine Macht erstreckte sich aber nur bis zu den Schulmauern. Auf Partys ließ er sich nie blicken und auch sonst war er verschlossen. Das Kind spielte also den Unnahbaren. Das war vielleicht mysteriös und wirkte auf Mädchen anziehend, allerdings würde er damit auf Dauer nicht bei einer reinen Jungenschule punkten können. Geheimnisse und Verschwiegenheit machten Kerle im Allgemeinen erst skeptisch und dann unsicher und Unsicherheit führte zwangsläufig zu Ablehnung. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis er sich von ganz allein ins Abseits kegeln würde und jetzt wo ich wieder da war, würde das nicht mehr lange dauern.
 

Bis zur Mittagspause hatte ich mich seelisch und moralisch auf das unabwendbare Aufeinandertreffen mit meiner Konkurrenz vorbereitet. Ich betrat zusammen mit Junno und Koki den protzigen Speisesaal und spürte seine Präsenz schon auf hundert Metern Entfernung. Noch dazu war das neue Gesicht zwischen meinen anderen beiden Freunden auch nicht schwer auszumachen. Leider Gottes sah das Kerlchen nicht übel aus und dies änderte sich auch nicht, als ich direkt vor dem Tisch stand, an dem sie sich niedergelassen hatten.

Yamapi erblickte mich als Erster und strahlte mich an, dass ich regelrecht geblendet war.

„Hast du dir die Zähne bleichen lassen, Junge?“

„JIN?!?“, entdeckte mich nun auch Ueda, der mit dem Rücken zu mir saß und sich leicht zu mir umdrehen musste.

„Ich freue mich wirklich, dass ihr alle noch meinen Namen wisst“, grinste ich und setzte mich neben Ueda, sodass ich direkt Kamenashi gegenüber saß.

„Akanishi“, kam es mitsamt eines Nickens und sollte wohl einen Willkommensgruß darstellen.

„Kamenashi nehme ich an“, wählte ich denselben Tonfall und tat so, als müsste ich das noch fragen. Wieder erntete ich ein Nicken und musste den Drang zu grinsen unterdrücken. Ich starrte meinem Gegenüber in die Augen und versuchte an ihnen seine Gefühlsregungen zu erkennen. Leider hatte der Junge ein echtes Pokerface und ich wusste nicht zu sagen, was sich in seinem Kopf abspielte.

„Ich hab ihm schon einiges von dir erzählt“, mischte sich Pi ahnungslos in unser Blickduell ein.

„Wie schön“, sagte ich und erwürgte meinen Kumpel dafür gerade in Gedanken. Ich wollte gar nicht wissen, was er alles preisgegeben hatte.

Als ich plötzlich eine Hand auf meinem Oberschenkel spürte, die sich noch dazu viel zu nah an meiner Körpermitte befand, unterbrach ich den Blickkontakt und sah stattdessen dem Übeltäter in die Augen. „Ich hab dich vermisst“, strahlte mich Tatsuya unschuldig an. So unschuldig zumindest, wie man schauen konnte, wenn man sich vorstellte, gevögelt zu werden. Denn nichts anderes hatte diese Geste zu bedeuten. Dementsprechend fiel auch meine Antwort aus: „Mich oder einen speziellen Teil von mir?“

„Ich denke, die Antwort kennst du.“ Mir wurde gleich ganz anders zumute. Es war nicht unbedingt so, dass ich ein Jahr hätte auf Sex verzichten müssen. Aber die Gewissheit zu haben, dass sich die Lieblingshure nach einem verzehrt hatte, ließ mir das Blut in die Lenden schießen. Zu allem Überfluss lag mein letztes Mal auch schon drei Wochen zurück. Wäre mein Hunger auf Nahrung nicht größer gewesen, hätte ich ihn sofort in den nächsten leerstehenden Raum gezerrt. 'Später' formten daher meine Lippen die Worte und ich bekam ein dreckiges Grinsen als Resonanz und ein Augenrollen von Yamapi. Der kannte unsere Schäferstündchen bereits zum Erbrechen und hatte nie nachvollziehen können, warum wir kein Paar wurden. Dass nicht jeder Wert auf eine Beziehung legte, konnte er nicht verstehen. Daher hatten wir irgendwann aufgegeben, zu erklären, warum nur Sex zwischen uns stattfand.

Kamenashi hatte die Szene mit undefinierbarer Miene beobachtet und schweigend in seinem Salat herumgestochert. Wenn dass Knochengerüst immer so wenig aß, wunderte mich gar nichts mehr.

„Kame hat übrigens ein Baseballteam eingeführt“, informierte mich Pi und versuchte wohl so etwas wie normale Konversation am Mittagstisch zu führen.

Erwähnte Person nickte wie ein Schluckspecht und meine Mimik hatte dank Ueda einen dreckigen Ausdruck angenommen. „Du interessierst dich also für harte Knüppel und Bälle?“ Meine beiläufige Stimme verharmloste meine zweideutigen Worte.

„Nur im Sportbereich“, kam es unbeeindruckt zurückgepfeffert und ich erkannte gedanklich seine Schlagfertigkeit an. Das würde es nur interessanter machen.

„Sicher?“, versuchte ich zu provozieren.

„Absolut“, versicherte er mir mit seiner ausdruckslosen Maske.

„Wird sich noch zeigen“, zwinkerte ich und machte ein wenig Platz, als sich Koki einen Stuhl heranzog, um sich neben mich zu quetschen.

„Ich habe Curry-Rahmen und Katsudon für dich erkämpft, falls es Recht ist. Es war das Letzte.“

„Du bist mein Held.“

„Vom Erdbeerfeld, ich weiß.“

„Unter anderem“, gab ich noch von mir und begann zu essen, als sich auch Junno neben Kame gesellt hatte.

„Aber wenn wir gerade beim Thema sind“, erwiderte Koki nach einer Weile, „meine Vorräte und Beziehungen haben sich fast verdoppelt.“

Ungläubig hielt ich mitten in der Bewegung inne und starrte meinen Kollegen einfach nur an. „Wie zum Teufel hast du das geschafft?“, ächzte ich und wusste erstens nicht so recht, ob ich das glauben sollte und zweitens, ob Drogengespräche in Kamenashis Anwesenheit so klug waren.

„Blondi hatte einen guten Anteil daran“, erwiderte er gleichmütig und deutete mit seinen Stäbchen unmissverständlich auf Junno. Besagte Person lächelte mich nur verschwörerisch an und ich wusste damit, dass weder Kamenashi eine Idee vom Inhalt unseres Gespräch hatte, noch dass seine Haare nur auf sexueller Ebene für Erfolg bei Frauen gesorgt hatten. Junno war das, was man im gemeinen Fußvolk als Prostituierte bezeichnete. Für die etwas Verständigeren war er ein hochkarätiger Host und für eine handvoll Insider die Quelle jeglichen Vergnügens. In den letzten zwei Jahren hatte ich mich immer auf seine intimen Beziehungen verlassen können. Und die hatten mir diverse Vorteile verschafft. Problemlosen Zutritt zu VIP-Lounges in überteuerten Clubs waren nur Peanuts im Vergleich zu einigen Aufträgen für Modelabel. Alle Welt dachte, meine Eltern hätten mir den Zugang verschafft, in Wahrheit aber waren es Junnos, Kokis und meine Partnerschaft, die ihnen mehr Erfolg ermöglicht und damals sogar den Hintern gerettet hatte. Junno bespaßte nun mal keine normalen Weiber, sondern einflussreiche Geschäftsfrauen, die durch ihr fettes Bankkonto überhaupt erst in der Lage waren, sich seine Dienste finanzieren zu können. Und genau diese Schicksen brauchten manchmal nicht nur Sex zum Stressabbau sondern auch die ein oder andere Line, die Koki liebend gerne zur Verfügung stellte. In ihrem zugekoksten und befriedigten Zustand wurden sie dann auch recht spendabel und meinem kometenhaften Aufstieg stand nichts mehr im Wege. Ihre illegalen Machenschaften blieben geheim, weil sie uns im Gegenzug nicht an unsere Eltern oder die Polizei verpfiffen, da wir ja alle noch längst nicht volljährig waren. Das Leben machte Spaß und war auch nicht so weit hergeholt, wie manch Unwissende gerne behaupteten. Irgendwo mussten die Dailysoaps schließlich ihre Ideen her haben.

„Du bist unglaublich“, lächelte ich meinen gebleichten Kumpel breit an.

„Erzähl mir etwas Neues“, flötete er fröhlich zurück und widmete sich wieder seinem Essen.

„Was macht ihr heute noch?“, krächzte sich Pi einen dran lang und bemühte sich offenbar immer noch, ein neutraleres Thema anzuschlagen.

„Also ich wüsste da ja was“, wisperte es in mein Ohr und Uedas Hand legte sich nun endgültig auf meinen Schritt. Ich musste konzentrationshalber erst einmal meine Augen schließen und tief durchatmen, um mich nicht allzu sehr ablenken zu lassen. Mein Gesicht vor meiner Konkurrenz zu verlieren, konnte ich mir nicht leisten. Egal, ob ich den Job als Schulsprecher zurück wollte oder nicht.

Als ich mich nach ein paar Sekunden wieder gesammelt hatte, flitschte ich seine Hand beiseite und erwiderte: „Wie ich schon sagte: später.“ Sein Schmollen ließ mich meine Aktion fast schon bereuen, aber es war eindeutig besser so und er ließ mich die restliche Pause zum Glück in Ruhe.

„Ich wäre für eine Party, schließlich hatten wir ein Jahr lang keine Gelegenheit mehr dazu“, beantwortete ich letztlich Yamapis Frage und erhielt von allen Seiten Zustimmung – bis auf eine Person, versteht sich.

„Kamenashi, wie sieht's bei dir aus? Scheinbar hast du dich ja gut mit meinen Leuten angefreundet.“ Ein Sticheln konnte ich nicht lassen. Natürlich wusste ich bereits, dass er sich von unseren Partys fern hielt, aber im Grunde konnte ich das nicht wissen und ich war wirklich gespannt auf seine Ausflüchte.
 


 

TBC

Kommentare sind Liebe :)

Lasst uns wissen, was ihr von der Story haltet

A Turtle's Life

Hallo an alle.

Da sind wir wieder.

Diesmal nur aus Kame's Sicht. Ein etwas ruhigeres Kapitel, aber dies ist nur die berüchtigte 'Ruhe vor dem Sturm' (man nannte ihn auch Jin xD~)

Viel Spaß beim lesen.
 

***
 

An dieser Stelle noch kurz ein großes, dickes Danke an alle Kommischreiber <3 Ihr seid wie immer die besten und uns Lohn genug, um nicht aufzuhören.
 

***
 

Kapitel 2 - A Turtle's Life
 


 

Ich versuchte der Konversation der anderen zu folgen, gab aber recht schnell auf und widmete mich lieber meinem Essen. Ich hatte keine Ahnung, über was sie sich unterhielten, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass Unwissenheit in diesem Falle wahrscheinlich einen Segen darstellte. Ich musterte den Neuen unauffällig. Yamapi hatte mich, ob ich es nun wissen wollte oder nicht, auf den neuesten Stand gebracht. Akanishi Jin, Eltern im Entertainmentbereich tätig, modelte selbst nebenbei, war ein Jahr zum Austausch in Amerika, super Typ, toller Kumpel und noch viel mehr Lobeshymnen. Er war eine Stufe über mir und scheinbar mein Vorgänger, was den Job des Schulsprechers anging. Sollte mir recht sein, solange er seine Stellung nicht zurückforderte oder mir irgendwie ans Bein pissen wollte.

Seine beiden Freunde waren mir inzwischen schon bekannt, auch wenn ich persönlich engeren Kontakt außer zwei, drei Wortwechsel während des Mittagessens mit ihnen vermied.

Wir wurden regelrecht von allen Anwesenden im Saal bewundernd angestarrt. Scheinbar war die Elitegruppe der Schule nun wieder komplett und ich gehörte wohl dazu. Nur wusste ich nicht, ob mich das jetzt wirklich freuen sollte.

Ich schob meinen leeren Teller zurück und lauschte der regelrechten Einladung des Älteren. Seine Worte klangen eher nach einer Herausforderung als einer Frage. Ich konnte nicht erklären, was genau es war, aber mein Instinkt riet mir, mich vor ihm lieber in Acht zu nehmen, egal wie sehr er von anderen vergöttert wurde.

„Klingt wirklich verlockend, aber ich muss leider passen“, antwortete ich ruhig und lehnte mich zurück, ohne den Augenkontakt zu unterbrechen.

„Warum denn? Das wird sicher toll.“ Selbst Yamapis bettelnder Ton ließ mich meinen Blick nicht abwenden. Wahrscheinlich wäre das Ganze in einem erstklassigen Starrwettkampf ausgeartet, wenn nicht plötzlich mein Handy in der Jackentasche angefangen hätte zu vibrieren.

„Möchte ja niemanden bei seinen Intimitäten behindern“, erwiderte ich, während ich das iPhone herausfischte. „Entschuldigt mich.“ Wenigstens hatte ich es geschafft, der Situation glimpflich zu entkommen.

„Was gibt’s?“, nahm ich den Anruf entgegen, sobald ich endlich den Flur erreicht hatte.

„Freitag Party bei Toru! 22 Uhr!“ Ich konnte das breite Grinsen von Taka beinahe vor mir sehen. Widerrede war zwecklos.

„Aye Sir. Wie gedenken Sie, meinen Transport zu gewährleisten?“, antwortete ich in einer nasalen Tonlage und hatte schwer damit zu kämpfen, Haltung zu bewahren.

„Wenn Eure Hoheit sich mit einem Sitzplatz in meinem langweiligen Toyota zufrieden gibt, hole ich Euch gerne persönlich ab.“

„Ist genehm.“ Ich konnte mir mein Lachen nicht mehr verkneifen. Wenigstens schaffte es der Ältere, meine Laune zu verbessern. „Gut, ich muss wieder.“

„Ich schau nach der Schule bei dir vorbei.“

„Alles klar, hau rein.“ Und schon ertönte das monotone Tuten. Der Sänger arbeitete nebenbei in dem Ramen-Restaurant seiner Tante, um sich das Leben eines Musikers leisten zu können. Ich liebte diesen kleinen Laden, vor allem, weil immer eine Portion für mich abfiel, wenn ich dort auftauchte.
 

Die letzten Stunden zogen sich wie Kaugummi. Yamapi und Tatsuya versuchten mich noch ein, zwei mal zu überreden, ihnen heute Abend doch Gesellschaft zu leisten. Ich versuchte mich irgendwie aus der Affäre zu ziehen, dass ich das erste Zusammentreffen von alten Freunden nicht stören wollte. Immer schön höflich und freundlich.

Am Nachmittag stand noch ein Treffen der Baseballmannschaft an. Drei Neue hatten sich beworben, doch die Konzentration der Sportler ließ sehr zu wünschen übrig. Es gab nur ein Thema, welches immer und immer wieder durchgekaut wurde: die Rückkehr des berüchtigten Akanishi. Ich musste mich schwer zurückhalten, nicht jedes Mal die Augen zu verleiern, wenn sein Name fiel. Ich konnte nur hoffen, dass sich die Euphorie wieder legte, ansonsten sollte ich ihn wohl als ernstzunehmende Konkurrenz ansehen. Irgendwie amüsierte mich dieser Gedanke. Langweilig würde es dann sicher nicht mehr sein.
 

Ich war der Letzte, welcher die Umkleiden verließ und den Schlüssel beim Hausmeister abgab. Die anderen waren schon vor einer Stunde nach Hause gegangen, während ich noch ein paar Runden in der Halle gedreht hatte, um den Kopf frei zu bekommen.

Es war bereits kurz nach acht und die Straßen von Tokio entsprechend voll. Viele kamen gerade von der Arbeit und zogen in die kleinen Bars und Restaurants an jeder Ecke. Die U-Bahnen waren wie immer eine Seuche, jedoch wurde ich dieses Mal wenigstens von unangebrachten Handgreiflichkeiten verschont.

Das kleine Restaurant, welches in Chiyoda lag, war gut gefüllt. Ich grüßte kurz meinen besten Kumpel, welcher gerade Kunden bediente, per Handzeichen und ließ mich an der Theke nieder, nachdem ich meinen Mantel ausgezogen hatte.

„Kazuya, hi“, kam sogleich Naoko angelaufen. Sie war Takas kleine Cousine, ebenfalls 16 und half nach der Schule hier öfter aus. „Willst du etwas essen?“

Die Verwandtschaft zwischen den beiden war unübersehbar. Sie hatte dieselben widerspenstigen, dunklen Locken wie ihr Cousin, nur mit dem Unterschied, dass sie damit weitaus niedlicher aussah.

„Nur keine Umstände, Na-chan“, antwortete ich höflich und schenkte ihr ein charmantes Lächeln, welches dafür sorgte, dass ihre Wangen einen leichten Rotschimmer bekamen.

„Ach Unsinn. Du bist eh viel zu dünn. Ich such dir was Schönes in der Küche zusammen.“

„Ich wünschte, ich würde auch mal so bedient werden“, seufzte mein Kumpel plötzlich neben mir und ließ sich auf einem der Barhocker nieder.

„Träum weiter. An dir ist genug dran“, war der letzte Kommentar von ihr, bevor sie nach hinten verschwand.

„Hat sie mich gerade als fett bezeichnet? Soll sich selber mal angucken.“

Ich verkniff mir lieber jeden Kommentar und zuckte nur mit den Schultern. Es dauerte keine fünf Minuten, bis Naoko mit einer riesigen Schale zurück kam, die sie mir vor den Latz knallte.

„Und aufessen, sonst bin ich schwer enttäuscht.“

„Das könnte ich nicht ertragen“, erwiderte ich theatralisch, dankte ihr aber dann für das Essen, mit welchem man sicherlich eine zehnköpfige Familie hätte ernähren können.

„Ich fürchte, du musst mir helfen, bevor mich ihr Zorn ereilt.“ Mit großen Augen blickte ich Taka an, welcher sofort ein Grinsen auf den Lippen hatte.

„Ich dachte schon, du fragst nie.“
 

Ich hatte das Gefühl, gleich platzen zu müssen. Auch mein bester Freund neben mir stöhnte gequält auf. Aber unser Einsatz hatte sich gelohnt. Wir hatten die Mission erfolgreich abgeschlossen und ein zufriedenes Nicken von Na-chan geerntet. Ich befürchtete nur, nie wieder etwas essen zu können. 

Wir beschlossen, uns heimlich in den Hinterhof zu schleichen, um zur Verdauung eine zu rauchen. Noch so eine Sache, von der eigentlich keiner wissen sollte. Es war schon schwer genug, den Schulalltag ohne Nikotin zu überleben, aber was blieb einem anderes übrig, wenn man nicht erwischt werden wollte.

„In der Uniform könnte man dich glatt für anständig halten“, kommentierte der Sänger mein heutiges Outfit zwischen zwei Zügen. Ich hatte es halt nicht geschafft, mich zwischendurch umzuziehen.

„Beabsichtigt. Muss ja den Schein wahren.“

„Haha, vielleicht sollte ich mal die Bilder unserer letzten Saufrunde an deine Schule schicken.“

„Du kannst es aber auch lassen“, erwiderte ich und versuchte, so bedrohlich wie möglich zu wirken. Die meisten würden wahrscheinlich auf der Stelle tot umkippen, wenn sie wüssten, was ich so alles in meiner Freizeit trieb.

„Uhu, was bekomme ich für meine Verschwiegenheit?“

„Keinen Arschtritt?“

„Tze, die Jugend heutzutage hat keinen Respekt mehr vor dem Alter.“ Es kehrte wieder Ruhe zwischen uns ein und jeder genoss seine Zigarette für sich. Ich warf den Rest auf den Boden, nachdem ich aufgeraucht hatte.

„Also, Freitag. Was genau steht an?“

Scheinbar hatte Toru, der Gitarrist der Band, während der Clubtour Geburtstag gehabt und wollte diesen nun ausgiebig nachfeiern. Geschenke waren natürlich mehr als nur erwünscht und die Gästeliste erstreckte sich über die halbe Szene. Ein Event, was man nicht verpassen sollte. Das konnte ja ein Abend werden.

„Soll ich dich Heim fahren?“, bot mir der Ältere an, als wir wieder in den Räumlichkeiten ankamen und ich meinen Mantel überzog.

„Wäre cool, dann entkomme ich wenigstens einmal den U-Bahn-Fummlern.“

„Echt jetzt?“

„Was soll ich sagen? Bin halt 'ne geile Sau. Würde mir auch nicht widerstehen können“, grinste ich schief und zuckte mit den Schultern.

„Und auch kein bisschen eingebildet.“ Wenn man sich es leisten konnte…
 

Nächster Schultag und zum Glück der letzte in diesem Jahr, was für mich Überstunden bedeutete. Nach den normalen Clubs würde noch die letzte Schulversammlung abgehalten werden und danach durfte ich noch den Bericht anfertigen sowie die letzten Unterlagen für die Lehrerschaft zusammensammeln. Eine Freude! Ebenso motiviert schlurfte ich in die Küche und verging mich wie jeden Morgen an der Kaffeemaschine.

„Kazuya.“ Meine Großmutter betrat den Raum und schaute mich ernst an.

„Oma.“

„Wir müssen reden“, seufzte sie bedeutungsschwanger und ließ sich mir gegenüber nieder.

„Das Kind ist nicht von mir.“ Ich konnte mir den blöden Spruch nicht verkneifen und ihr geschockter Ausdruck war es allemal wert.

„WAS?“

„Ein Scherz. Was ist?“, entschärfte ich die Situation und nippte an meiner Tasse.

„Warum tust du das? Wegen dir hätte ich beinahe einen Infarkt bekommen. Du denkst doch an die Kondome.“ Oh je, ich hätte es doch lassen sollen. Fing das wieder an.

„Ja.“

„Sicherheit ist wichtig, mein Junge. Immer die Kondome.“

„Ja-ha“

„Man sollte das nie auf die leichte Schulter nehmen“, sagte sie mit einem strengen Tonfall, während sie mit ihrem Zeigefinger vor mir herumfuchtelte.

„Können wir bitte zum eigentlichen Thema zurück?“ Warum hatte ich auch damit angefangen? Nach der ganzen Zeit sollte ich es besser wissen.

„Welches?“ Nun war sie auch noch verwirrt.

„Weiß ich doch nicht. Du wolltest über irgendetwas reden.“

„Oh, ach ja. Du kennst doch die Nakamuras?“ Wer auch immer, aber brav nicken, sonst würde ich noch in einer Stunde hier sitzen und mir Ausführungen über sämtliche Nachbarn samt Stammbäumen anhören dürfen.

„Ihre Tochter ist ja so ein nettes Ding und hübsch und in deinem Alter.“ Um die Aussage zu bezeugen, nickte meine Oma kräftig und schmunzelte irgendwie süffisant. Ein beängstigender Anblick.

„Was ein Zufall.“

„Werd ja nicht frech! Auf jeden Fall wäre es doch nett, wenn ihr beiden euch vielleicht einmal kennen lernen könntet.“

„Du willst, dass ich mit ihr ausgehe?“, fasste ich die gesamte Schoße zusammen, bevor es noch ausartete.

„Na ja, eigentlich…ja. Du hast doch noch niemanden für den 24., oder?“ Da hatte sie recht. Ein Date würde mich nicht umbringen. Es wurde sowieso mal wieder Zeit für ein wenig 'Stressabbau'.

„Von mir aus“, stimmte ich also zu und hoffte inständig, dass ich es nicht bereuen würde.

„Sehr gut. Ich arrangiere alles. Sie ist wirklich nett und...“

„Hübsch. Hast du schon gesagt.“

„Sei ja nett zu ihr und keine billigen Stundenhotels und...“

„Denk an die Kondome“, beendete ich erneut grinsend ihren Satz. Wenn mit solchen Gesprächen der Tag begann, konnte es ja eigentlich nur noch besser werden. Aber leider sollte ich mich auch darin täuschen.

Ich war dieses Mal spät dran, als ich den Essensaal betrat. Schon von weitem konnte ich erkennen, dass sich die gesamte Truppe an unserem Tisch versammelt hatte. Am liebsten hätte ich mich in eine Ecke verzogen und meine Ruhe gehabt, vor allem vor einer bestimmten Person, nur leider hatte Pi mich entdeckt und wedelte wie ein Verrückter mit den Armen, sodass die anderen sogleich auf mich aufmerksam wurden. Ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen, marschierte wie fast jeden Tag an die Salatbar und stopfte meinen Teller mit dem grünen Zeug voll. Nicht unbedingt abwechslungsreich, aber alle Male besser, als der undefinierbare Matsch aus den verschiedenen anderen Töpfen.

„Wie kann man das nur jeden Tag in sich hinein schaufeln?“ Ueda verzog das Gesicht, als ich mich auf dem letzten freien Platz niederließ und widmete sich lieber seiner Makkaroni, welche er zwischen die Lippen nahm und vergnügt an dem Teig saugte. Ich wandte mein Blick lieber meinem Essen zu, als dieses Schauspiel zu genau zu betrachten.

„Nicht jeder hat so viel Spaß mit Nudeln wie du“, brachte sich nun auch Akanishi ein und grinste Tatsuya schelmisch an. Spontan war mir der Appetit vergangen und ich blickte meinem Salatblatt zu, wie es von meiner Gabel rutschte.

„Sollte man aber. Kann ich nur empfehlen, vor allem diese bestimmte Sorte.“ Ich befürchtete, dass er nicht mehr von einer Nudelsorte sprach. Okay, einfach ruhig weiter atmen und nicht zuhören. Zumindest versuchte ich das.

„Leute, bitte. Mir vergeht gerade alles. Sucht euch ein Zimmer oder haltet die Klappe“, beschwerte sich zu meiner Erleichterung Tanaka.

„Spielverderber.“

Ich stocherte lustlos in der Ansammlung grüner Blätter herum, während sich die anderen über irgendwelche Vorkommnisse auf der gestrigen Party unterhielten. Mein Hunger hatte sich wohl endgültig verflüchtigt.

„Hast wirklich was verpasst“, strahlte mich Pi von gegenüber aus an.

„Scheinbar. Der Neid bringt mich um.“ Dieses Mal schien mich weder mein Handy noch die Schulglocke retten zu wollen. Warum musste die Pause so verdammt lang sein?

„Was hast du schönes gemacht?“

„Wichtiges Familienessen“, antwortete ich schlicht. Im Grunde war das gar nicht so falsch. Als ich nach Hause kam, kredenzte meine Großmutter den mongolischen Likör, welcher einen im wahrsten Sinne von den Socken gehauen hatte. Belebend war der falsche Ausdruck für die Wirkung. Mich hatte er zumindest direkt ins Bett befördert und mich in einen komatösen Schlaf geschickt.

„Uh, langweilig“, drückte mein Klassenkamerad sein Beileid aus. Wenn der wüsste.

„Das kommt auf die Familie an“, antwortete ich nur und zwängte mir tatsächlich zwei Stücken Möhre hinein, bevor ich gänzlich aufgab. Auch der Rest des Tages wurde einfach nicht besser. Man merkte, dass die Ferien bevorstanden. Keiner hatte mehr Lust auf irgendetwas. Ähnliche Motivationsprobleme gab es auch bei dem Zusammentreffen der Klassenvertreter. Der Raum füllte sich nur langsam und man konnte die Begeisterung in ihren Gesichtern sehen, hier abends um 18 Uhr noch sitzen zu dürfen. Sich beschweren half auch nichts.

Alle hatten ihre Plätze eingenommen und warteten auf Johnnys Ankunft. Es war selten, dass sich der Direktor bei einer der Versammlungen zeigte und meistens hatte es auch nichts Gutes zu bedeuten. Daher war die Stimmung angespannter als sonst. Ueda schien der Einzige zu sein, welcher vollkommen ruhig war. Ich wünschte, ich könnte dasselbe von mir behaupten. Meine Vorahnung wurde noch düsterer, als der ältere Mann endlich den Raum betrat - gefolgt von dem Menschen, den ich hier nun am wenigstens erwartet hatte: Akanishi höchst persönlich, welcher auch noch arrogant in unsere Richtung grinste. Was wollte der Kerl hier? Ich konnte mich nicht daran erinnern, gehört zu haben, dass er in irgendeiner Form eine Postion in der Schulverwaltung eingenommen hatte.

„Machen wir es kurz.“ Johnny Kitagawas Stimmte hallte durch den Raum und keiner wagte sich auch nur zu rühren. „Wie wir alle sehen können, ist Akanishi zurück. Ich übertrage ihm erneut die Repräsentation der Schule und erwarte eine rege Zusammenarbeit, besonders von Seiten des Schulsprechers.“ Ich schluckte den dicken Kloß herunter, welcher sich in meinem Hals gebildet hatte. Repräsentation übernehmen? Was sollte das bitte bedeuten? Alle Blicke lagen auf mir. Ich zwang mich zur Ruhe und versuchte nach außen wie immer kühl und neutral zu wirken. Eine Szene zu machen brachte mir rein gar nichts außer den Unmut des Direktors.

„Natürlich“, antwortete ich schlicht und erntete ein zufriedenes Nicken von Johnny. Mir blieb nichts anderes übrig als abzuwarten, was für Auswirkungen diese Entscheidung auf mich und meine Position haben würde.

„Gut. Den Bericht der Sitzung erwarte ich nachher auf meinen Tisch.“ Mit diesen Worten verließ der Ältere die Sitzung.

„Tja, auf eine gute Zusammenarbeit. Ich bin dann weg“, war Akanishis einziger Kommentar, bevor auch er aus dem Raum verschwand. Ich hatte schwer damit zu kämpfen, dass mir mein Unterkiefer nicht auf den Tisch krachte. Was bildete sich dieser Futzi eigentlich ein?

Die ohnehin mangelnde Konzentration der meisten war dahin. Ich tat mein Möglichstes, aber das Resultat der restlichen Sitzung war nicht wirklich produktiv. Seufzend ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen, nachdem alle gegangen waren und sortierte meine Unterlagen. Ein wichtiges Thema wären die finanziellen Mittel für die diversen Clubs gewesen, aber dank des grandiosen Auftritts von Akanishi standen wir immer noch am Anfang. Es gab nicht wirklich viel, was ich hätte in diesen Bericht schreiben können.

„Du siehst gestresst aus.“ Die bekannte Stimme ließ mich in Richtung Tür blicken. Tatsuya lächelte mich aufmunternd an, während er die letzten Meter bis zu mir überbrückte.

„Was machst du noch hier?“, fragte ich verwundert. Die meisten hatten etwas besseres um diese Zeit zu tun, als sich noch in der Schule herumzutreiben.

„Ich wollte nur sehen, ob ich dir vielleicht bei etwas helfen könnte.“ Der samtige Ton irritierte mich, aber ich konnte nicht leugnen, dass sich seine Hände, welche anfingen, meine Schultern zu massieren, gut anfühlten. 

„Ich mach das nur noch schnell fertig. Du solltest heimgehen. Es ist schon spät.“ Ich hörte mich ja beinahe an wie meine Großmutter höchst persönlich.

„Und was ist, wenn ich nicht will?“ Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich seine Worte so nah an meinem Ohr vernahm. Die Hände stoppten ihr Tun und fuhren stattdessen über meinen Oberkörper.

„Was soll das werden?“

„Ich will nur, dass du dich ein wenig entspannst.“ Ich schluckte hart. Mir fiel das Gespräch zwischen ihm und Akanishi am Tisch wieder ein. Entspannung? Der Kerl war sicher total entspannt.

Ich schaffte es endlich, meinen Körper zu zwingen, sich zu bewegen, fischte die Hände von mir weg und erhob mich zügig.

„Nein, danke“, erwiderte ich hart und verschränkte meine Arme vor der Brust. Ich fragte mich ernsthaft, was in meinen Klassenkameraden gefahren war. Es hatte mir nie etwas ausgemacht, was andere über ihn erzählten, solange er seine Finger bei sich behielt. Bislang hatte das auch super funktioniert.

„Wie du meinst“, schmollte Ueda enttäuscht und zog sich in Richtung Flur zurück. „Aber falls du es dir anders überlegst, hast du ja meine Nummer.“ Ganz sicher nicht! Eher gefror die Hölle!
 

TBC

Kommentare sind wie immer gerne gesehen :)

and

Jin's coming~ XD stay tuned!
 

Wer sich für die englische Version interessiert, wir werden den Link in die Beschreibung posten.

P(r)etty Party People

Hallo an alle :D.

Zeit für ein neues Update!

Vielen Dank für die tollen Kommentare *___*. Leider hatten wir keine Zeit uns persönlich zu bedanken, aber wir geloben Besserung ^___^. Dafür gibt es schon jetzt das neue Kapitel.

Viel Spaß mit Jin :)
 

***
 

Kapitel 3 - P(r)etty Party People
 


 

Der alte Sack machte sich fast ins Hemd, wenn es darum ging, in der Öffentlichkeit den Schein zu wahren. Hinter verschlossenen Türen konnte ich von dieser Freundlichkeit nur träumen. Das war wohl auch der Grund für die kurze Ansprache. Viel länger hätte er es nicht durchgehalten, so zu tun, als hätten wir ein gutes Verhältnis zueinander. In Wahrheit kotzte es ihn tierisch an, dass ich für diese Schule so unverzichtbar geworden war und deren Gelder einbrachte. Mit Sicherheit zählte er bereits die Tage bis zu meinem Schulabschluss.

Ich selbst hingegen fürchtete mich vor diesem Tag. Diese Schule war für mich der Ort, an dem ich meine Verbündeten um mich scharte, die mir den Rücken stärkten und mich mit ihren Fähigkeiten unterstützten, an denen es mir selbst mangelte. Hier konnte ich tun und lassen, was ich wollte und mein eigener Chef sein. Das Gebäude war meine Burg und die Schüler die dummen Bauern, über die ich regieren konnte. Mit dem Ende der Schulzeit würde auch meine Macht enden. Ich wusste, dass ich in der Welt da draußen keine Chance mehr darauf hatte. Amerika hatte mir das unter anderem gezeigt und ich würde dafür sorgen, dass mein letztes Jahr ein verdammt gutes werden würde und ich es in vollen Zügen genießen würde, bevor ich endgültig der Realität entgegentreten musste.

Eine weitere wunderbare Gelegenheit in Amerika - neben der Abwechslung der Frauen - war es, den Führerschein zu machen. Gleich heute würde ich ihn mir anerkennen lassen und mir danach einen Wagen von meinen Eltern ausleihen. Da sie eh selten zu Hause waren, würde sie es nicht stören, wenn ich mir den Mazda RX-8 krallte. Deswegen ließ ich auch einen leicht säuerlichen Schulsprecher zurück und grinste aufgrund meines ersten Schachzuges. Das Kerlchen sollte sich lieber schnell an die Spielregeln gewöhnen, da ich in meiner neuen Position sicher nicht mehr die dreckige Praktikantenarbeit erledigen würde. Obwohl ich gespannt war, ob er mir mehr als böse Blicke entgegenzusetzen hatte oder ob ich ihn mit einem Hauch umstoßen konnte. Dürr genug wäre er jedenfalls dafür.

Uedas Vorschlag, ihm als Knabbersnack zu dienen, wies ich auf dem Weg nach draußen galant ab. Auch wenn es ewig her war, dass ich mit ihm das Vergnügen hatte – die gestrige Party nicht mitgerechnet -, gab es durchaus wichtigere Ziele für den heutigen Tag.
 

Die Zeit bis zum Freitag verging rasend schnell und ehe ich nur „Zieh deine Hose runter“ sagen konnte, befand ich mich auch schon auf der Party, zu der mich mein Kumpel Ryo genötigt hatte. Seiner Bitte, mich herauszuputzen, war ich ohne Mosern nachgegangen, auch wenn ich den Grund dafür nicht erfahren hatte. Ich hatte damit gerechnet, dass wir einen noblen Schuppen mit Dresscode betreten würden, nicht jedoch die Villa eines Geburtstagskandidaten, wie mir auf der Schwelle mitgeteilt wurde. Und ich wusste nicht mal, wer den Ehrentag hatte, geschweige denn hatte ich ein Geschenk dabei. Danke Ryo, wirklich! Ich hatte den allerbesten Kumpel, der sich einen Spaß daraus machte, mich auflaufen zu lassen und sich damit wohl über seinen Mangel an Sex hinwegtröstete. Denn ich schnappte ihm zum Ausgleich zu gern seine sicher geglaubte Beute vor der Nase weg. Grund dafür war nicht etwa mangelndes Aussehen sondern fehlende Risikobereitschaft. Man musste auch einmal in Kauf nehmen, abgewiesen zu werden und das fiel Mr. Ego verdammt schwer. Trotzdem war das noch lange kein Grund, mich deswegen vor anderen schlecht zu machen, denn es war schließlich nicht meine Schuld. Dank etlicher anderer Aktionen von ihm war es kein Wunder, dass ich bei einigen Leuten als das Arschloch schlechthin bekannt war. Meine eigenen Aktionen hatten damit natürlich rein gar nichts zu tun. Ich versuchte, mir davon nicht den Abend verderben zu lassen und stattdessen wie gewohnt auf die Kacke zu hauen. Es wäre doch gelacht, wenn ich heute nicht wie sonst auch eine Person in die Waagerechte befördern würde. Leider hatte ich keine Zeit, meinen Blick über die potentiellen Opfer schweifen zu lassen, als ich von Ryo einmal quer durchs Wohnzimmer geschleift und vor fünf Typen abgestellt wurde. Vier Kerle, die mir unbekannt waren und...Kamenashi. Da brat mir doch einer einen Storch! Ich hatte ja mit viel gerechnet, nicht jedoch damit, unseren Streber von Schulsprecher auf einer Sause zu erleben, bei der es nur darum ging, wer die meisten Löcher auf die ein oder andere Art stopfte. Ich holte gerade Luft zu einer Begrüßung, als erneut meine Pläne von Ryo vereitelt wurden.

„Leute, das ist mein Kumpel Jin, den ich euch angedroht hatte.“

Meine Augenbraue rutschte bei dieser Formulierung leicht nach oben. Das klang ja gerade so, als müsste man die Menschheit vor mir warnen. Erkenntnis zeichnete sich auf den Gesichtern bei der Erwähnung meines Namens ab und ich fragte mich unwillkürlich, was genau er ihnen über mich erzählt hatte. Was auch immer es war. Mich interessierte mehr, was zum Teufel das Mauerblümchen hier zu suchen hatte. Ich hatte mich äußerst ausführlich über ihn informieren lassen und er wurde seit seiner Ankunft in Tokio nicht einmal auf einer Party gesichtet. Folglich war der Kerl entweder ein Langweiler, der sich hinter Büchern vergrub oder ein Nerd, der sich seine Befriedigung per Bits und Bytes verschaffte. Ich hatte im Geheimen auf letzteres getippt, da er nicht unbedingt untervögelt aussah. Über Internet konnte man sich ja heutzutage alles besorgen. Wahrscheinlich gab es diverse Geschlechtskrankheiten gratis dazu.

Die vier Vögel stellten sich als Taka, Tomoya, Toru und Ryota vor. Sie spielten wohl in einer Band, deren Namen ich gleich wieder vergaß. Denn ab da hörte ich bereits nicht mehr zu, sondern konzentrierte mein Augenmerk auf Kamenashi, welchen ich zum ersten Mal ohne die selten hässliche Schulkleidung sah. Und was meine Augen da erblickten, weckte durchaus mein Interesse. Es konnte ja keiner ahnen, dass unter der Schlabberuniform ein paar wohlgeformte Hüften zu Tage kamen, bei denen selbst einige Weiber neidisch werden dürften. Und ich sprach dabei nicht nur von Japanerinnen, die ohnehin selten von der Kleiderstange zu unterscheiden waren, auf denen die Klamotten hingen. Sein enganliegendes Hemd und das, was sich darunter abzeichnete, brachte mein Blut jedenfalls in Wallung. Der eisige Blick, dem ich nach meiner Musterung begegnete, eher weniger. Ich versuchte es mit meinem geübten Strahlelächeln, erntete jedoch zusammengezogene Augenbrauen. Wenn ich unseren zugeknöpften Schulsprecher knacken wollte, musste mindestens ein Vorschlaghammer her. Auch wenn er mich mit seiner Anwesenheit auf dieser Party überraschte, wagte ich zu bezweifeln, dass es nicht gegen seine Prinzipien verstieß, sich entern zu lassen. Wenn ich an seine Hintertür wollte, musste ich wohl oder übel über einen Stacheldrahtzaun klettern und etliche Landminen umgehen. Faszinierend, was einem dieser Kerl alles mit einem einzigen Blick mitteilen konnte. War ja schon beinahe furchteinflößend. Das alles machte es jedoch allenfalls interessanter für mich. Ich gehörte nun mal zur Sorte der Jäger und wenn eine Beute schwer zu erlegen war, war der Sieg am Ende umso größer.

„Ich kenne eine gute Möglichkeit, die Kalorien von dem Cocktail zu verbrennen, den du gerade trinkst“, startete ich meinen ersten Angriff auf Kamenashi und ignorierte komplett die Tatsache, dass ich diesen Taka soeben dabei unterbrochen hatte, zu erklären, wer welchen Part in seiner Band einnahm.

„Glaub mir, dabei brauche ich nicht deine Hilfe“, kam die nonchalante Antwort.

„Solltest du deine Meinung ändern, weißt du ja, wo du mich findest“, zwinkerte ich unbeeindruckt aufgrund seiner Abfuhr und beschloss, seine Nerven heute nicht auszureizen. Ich kannte Typen wie ihn. Ich musste nur noch herausfinden, ob er den Unnahbaren nur spielte oder tatsächlich war.

„Mich würde deine Methodik sehr interessieren“, meldete sich auf einmal Tomoya, wenn ich mich recht entsinnte, zu Wort und musterte mich von oben bis unten. Diesen Blick kannte ich mittlerweile zur Genüge. Der Typ stand auf mich und zwar nicht zu knapp! Das süffisante Grinsen und das Zwinkern wären gar nicht mehr nötig gewesen. Der Kerl erdolchte mich regelrecht mit abgeschossenen Signalen. Da mein erster Versuch gescheitert war, stieg ich auf den Flirt ein:

„Das sollte ich dir in einer ruhigeren Ecke erzählen.“

„Lässt sich bewerkstelligen“, stimmte er zu und zog mich schon in den nächstbesten, leer stehenden Raum. In dieser riesigen Hütte hatte das nicht sonderlich lange gedauert. Trotzdem verschwendete ich keine kostbare Zeit mehr, sondern überbrückte die Distanz zwischen uns, sodass nur noch eine handbreit Platz zwischen uns war. Scheinbar gehörte auch er nicht zur schüchternen Sorte, da er sofort die Initiative ergriff, indem er eine Hand in meinen Nacken legte und mich zu einem Kuss herunter zog. Verflucht noch eins, konnte der Kerl küssen. Normalerweise war ich kein sonderlicher Fan von Speichelaustausch, aber der Typ hatte eine wahrhaftig talentierte Zunge. Wenn er auch noch anderweitig so geschickt war, konnte die nächste halbe Stunde durchaus interessante werden.

Meine Hände blieben währenddessen nicht untätig, sondern erforschten ein wenig den Körper vor mir. Von der schmalen Taille wanderten sie zum flachen Bauch, über die Hüftknochen und legten sich probehalber auf den festen Hintern. Meine Erkundungstour gefiel mir bislang. Mit solcherlei Dingen hielt sich der Typ gar nicht erst auf, sondern ging direkt daran, meine Hose zu öffnen. Und da sollte mir noch einmal jemand sagen, ich sei ungeduldig! Meine Hose gesellte sich nur Sekunden später zu meinen Fußknöcheln und auch Toyota, oder wie auch immer er hieß, begab sich in südlichere Gefilde. Nicht, dass meine Körpermitte dieser aufbauenden Behandlung noch bedurft hätte, aber zu einem Blowjob sagte ich deshalb noch lange nicht nein.

„Ich befürchte, ich kann dir nicht mehr viel beibringen“, brachte ich zwischen abgehacktem Keuchen anerkennend hervor. Wie ich geahnt hatte, konnte der Kerl seine Zunge auch auf diese Weise geschickt zum Einsatz bringen. Vielleicht etwas zu geschickt, denn ich spürte den Orgasmus viel zu schnell herannahen. Daher unterbrach ich kurzerhand sein Tun und zog das verdatterte Kerlchen zu mir hoch.

„Bett“, raunte ich ihm ins Ohr und musste nicht lange warten, bis ich weiche Laken unter mir spürte und wenige Momente später einen nackten Körper auf mir. Auch ich selbst trug bald darauf nichts mehr außer meiner Haut und ließ mich in andere Sphären befördern. Wer behauptete, dass man dies auf Partys nur mit Drogen konnte, hatte wirklich keine Ahnung vom Leben. Nach unserem kurzen Intermezzo fühlte ich mich durchaus mehr als lebendig.

„Lust auf eine zweite Runde?“, fragte ein offenbarer Nimmersatt neben mir.

„Ein anderes Mal“, lehnte ich charmant ab und suchte mir meine Klamotten zusammen. Auch wenn sein Angebot verlockend war, wollte ich gerne auch noch andere Dinge auf dieser Party tun, als Bettsport zu betreiben.
 

Im Wohnbereich angekommen bot mir irgendeine Schnepfe einen eklig süß aussehenden Cocktail an. Angewidert darüber schüttelte ich den Kopf und wollte mir selbst ein Bier holen. Auf dem Weg dorthin traf ich unglücklicherweise auf eine alte Bettbekanntschaft.

„Jin!“, machte sie mit ihrer piepsigen Stimme auf sich aufmerksam und ich unterdrückte den Drang, genervt aufzustöhnen. Ich wollte doch nur zu meinem Bier und nicht zwischen die dürren Beine der Alten. Aus nüchternen Augen betrachtet schickte mein Sehnerv die Information „fünf Kurze und zwei Bier“ an mein Logikzentrum, damit das Gesamtbild vögelnswert wurde. Wahrlich keine meiner Glanzleistungen.

„Und du bist?“ Nicht, dass mich das interessieren würde, aber allein mein Tonfall sollte ihr zeigen, wie viel ich von unserer Begegnung hielt.

„Ayumi“, gab sie so entrüstet von sich, als ob mir der Name noch ein Begriff sein müsste.

„Das war leider die falsche Antwort. Ich vögel heute nur Weiber, die mit M beginnen“, lächelte ich vernichtend und ließ sie mit offenem Mund stehen, um die Küche zu betreten.

Als ich mein wohlverdientes Bier in Händen hielt, war die Alte auf dem Flur längst vergessen. Vor allem, weil meine Augen mittlerweile etwas erspäht hatten, dass auch ohne Alkoholeinfluss gut aussah, auch wenn es sich Metall durch die Lippe gebohrt hatte. Das tat dem Ganzen jedoch keinen Abbruch. Ich sah das nämlich so: Nicht jeder sah gut mit Piercings aus, aber definitiv keinem standen schiefe und verkrüppelte Zähne. Wenn ich also die Wahl hatte, griff ich lieber auf Ersteres zurück. Kurz entschlossen schnappte ich mir eine weitere Flasche aus einem der Kästen und gesellte mich zu dem einsamen Zeitgenossen, welcher es sich sitzend auf dem Küchentisch bequem gemacht hatte und dessen Alkohol sich zu Ende neigte.

„Du siehst aus, als könntest du ein Bier vertragen“, stellte ich fest und überreichte ihm besagtes Getränk.

Die braunen Augen, welche sich ohne Scheu in meine bohrten, faszinierten mich gleich zu Beginn.

„Und von wem wird mir die Ehre zuteil, wenn ich fragen darf?“ Nicht nur sein Äußeres war erotisch, auch auf seine Stimme traf diese Eigenschaft zu. Wenn das mal keine Steigerung zu meinem Fick von vorhin war.

„Von deinem nächsten Sexpartner?“, fragte ich so beiläufig wie möglich. Als Antwort erhielt ich ein amüsiertes Lachen.

„Du bist ganz schön von dir überzeugt“, erwiderte die unbekannte Schönheit lächelnd.

„Wer sich's leisten kann“, zuckte ich unbeeindruckt mit den Schultern und stieß mit ihm an.

„Das gilt es zu beweisen“, forderte er mich heraus, was ein breites Grinsen auf meine Lippen zauberte.

„Wann immer du magst“, bot ich ihm siegesgewiss an.

„Am liebsten jetzt gleich, nur habe ich meinen Leuten versprochen, mit ihnen zu feiern. Aber wenn du magst, kannst du mir eine Kostprobe geben.“

Mehr Aufforderung war nicht nötig. Ich stellte mein Bier auf den Küchentisch und spreizte mit einem geübten Handgriff seine Beine, um mich dazwischen zu platzieren. Meine Hände befanden sich sofort an seinem Rücken und Hinterteil, um seinen Körper an mich zu ziehen und meine Lippen auf seine Halsbeuge zu legen. Ich musste nur kurz mit der Zunge über seine Halsschlagader lecken und im Anschluss warme Luft darüber pusten und schon erschauderte er unter meiner Berührung. Ich grinste spöttisch gegen seine Haut und setzte mein Tun noch eine Weile fort, bis der nächste Depp die Küche betrat, weil er Nachschub brauchte. Nur widerwillig löste ich mich von meinem Opfer in spe und guckte dieses mit einem dreckigen Grinsen an.

„Ich geb' dir meine Nummer“, kam es leicht benommen von ihm. Nach einer Minute hatten wir die Formalitäten geklärt und ich befand mich wieder mit meinem Bier allein in der Küche und trank dieses zufrieden. Das Leben konnte so schön sein. Leider hielt dieses Hochgefühl nie lange an, weil es sich irgendein Trottel immer zur Aufgabe machte, dies zu zerstören.

„Endlich mit Ficken fertig?“, fragte mich Ryo und soff mir die letzte Hälfte meines Bieres weg, bevor er mich selbstgefällig angrinste und ich überhaupt in der Lage war, zu reagieren.

„Hast du Todessehnsüchte?“, vergewisserte ich mich dezent angepisst von seinem Auftritt.

„Nö, nur nach Whiskey“, schnalzte er mit der Zunge und kramte im Gefrierfach vermutlich nach erwähntem Gesöff.

„Das wirst du hier wohl kaum finden“, gab ich augenrollend zum Besten.

„Eh?“, kam es und ich wusste sofort, dass er hacketütendicht sein musste, wenn er noch nicht einmal das begriff.

„Whiskey? Bar?“, versuchte ich dem augenscheinlich Sturzbetrunkenen zu vermitteln.

„Nicht hier?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue und schaute mich mit glasigen Augen an.

„Hier kriegst du nur etwas anderes“, erwiderte ich und dachte dabei an eine Dusche aus dem Wasserhahn, um den Typen wieder nüchtern zu bekommen. Wenn ich mir überlegte, dass ich den Idioten in ein paar Stunden wieder nach Hause fahren musste, wurde mir ganz anderes zumute.

„Weise mir den Weg“, grinste er wie blöde und schnappte sich mein Handgelenk, um mich im Anschluss ins Wohnzimmer zu zerren. Dass seine Aktion im Widerspruch zu seinen Worten stand, behielt ich lieber für mich. Hätte die Schnapsdrossel ohnehin nicht begriffen.

Im Wohnzimmer angelangt bekam ich spontan den Drang zur Flucht. Überall lagen großteils bewusstlos gesoffene und zum Teil halb bis völlig entkleidete Menschen verteilt herum. Und ich hatte nichts damit zu tun, geschweige denn etwas davon abbekommen!

„Was zur Hölle?“, verlieh ich meine Verwunderung murmelnd zum Ausdruck.

„Strippoker“, informierte mich Ryo unbeeindruckt. Entweder hatte er nicht mitgespielt oder gewonnen, da er noch sämtliche Kleidungsstücke auf dem Leibe hatte. Kame war leider nirgends zu sehen. Dafür glaubte ich, in dem Haufen meinen heutigen Fick ausgemacht zu haben. Wahrscheinlich hatte er sich erst gar nicht wieder angezogen und am Ende noch die Gäste zum Klamottengleichstand überredet. Nur wenige Meter neben uns ging plötzlich eine Tür auf, die ich noch gar nicht wahrgenommen hatte und ein zerzauster Haarschopf, der Kamenashi gehörte, kam zum Vorschein.

„Wo bleibst du denn?“, fragte dieser mit schwerer Zunge und fokussierte seinen Blick auf Ryo, der sich sofort in das Zimmer begab und mir die Tür vor der Nase zuknallte. Was zum Teufel?! Was fiel diesem Kameradenschwein eigentlich ein, mich hier einfach stehen zu lassen? Nachdem ich den Schock überwunden hatte, riss ich das Brett wieder auf und stürmte in den Raum, um im nächsten Moment wie angewurzelt stehen zu bleiben. Wenn ich nicht zu hundert Prozent wüsste, nicht betrunken zu sein, würde ich bei dem sich mir bietenden Anblick Stein und Bein schwören, dass ich derbste Filme schob! Augenscheinlich hatte ich das Kaminzimmer geentert und in eben jenem Verschlag wurden Klamotten verfeuert.

„Jin!“, tat Ryo so, als erinnerte er sich nicht, dass er mich draußen stehen gelassen hatte. Wahrscheinlich war genau das auch wirklich der Fall. Freudig blickte er mich an und gestikulierte mit rudernden Armen, mich neben ihn zu setzen. Etwas zögernd kam ich seiner Aufforderung nach. Ob dies eine kluge Entscheidung war, wagte ich bei diesem Heidenfeuer zu bezweifeln, aber es handelte sich immer noch um meinen Kumpel Ryo - mit einem zugegebenermaßen wahnsinnigen Gesichtsausdruck.

Neben Ryo und dem strebsamen Schulsprecher waren die drei Kerle mit der Band, an deren Namen ich mich schon nicht mehr entsinnen konnte und noch zwei unbekannte männliche Gestalten anwesend. Prima, ich war also auf dem Sausagefest gelandet. Nur dass hier keine Würstchen sondern Oberteile gegrillt wurden.

„Was hat es mit der Opferung der Shirts auf sich?“, fragte ich einfach mal in den Raum hinein. Ich hatte im Grunde gar nicht mit einer Antwort gerechnet, da Ryo eine heftige Diskussion über diverse Whiskeysorten mit Kamenashi gestartet hatte. Ich wusste auch nicht, was mich mehr irritierte: Dass die beiden sich so gut verstanden oder dass das Klappergestell offenbar ein echtes Partytier war – mit verdammt kleinen Nippeln, wie ich nach einem prüfenden Blick bemerkte.

„Alkohol“, kam die schlichte Antwort von einem aus der Band. Nach einer kurzen Musterung stellte ich fest, dass er neben mir wohl noch der einzige Nüchterne war.

„Fahrdienst?“, fragte ich genau so knapp nach der einzig vernünftigen Erklärung. Es folgte ein Nicken und ein Seufzen von ihm und schon gesellte er sich neben mich.

„Du gehst mit Kame auf eine Schule oder?“, fragte er mich irgendwie lauernd. Da ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen konnte, worauf diese Konversation hinauslaufen sollte, bejahte ich einfach seine Frage.

„Ich hab gehört, du warst für ein Austauschjahr in Amerika?“, folgte die nächste Frage, die mehr eine Feststellung war und nur zur Bestätigung gestellt wurde.

„Was hat dir Ryo sonst noch so über mich erzählt?“ Viel mehr als das würde mich ja interessieren, woher die beiden sich überhaupt kannten, aber auch ich wollte nicht einfach so mit der Tür ins Haus fallen.

„So einiges“, beantwortete er vage mit einem abschätzigen Blick, der mir so viel mehr verriet als es Worte gekonnt hätten. Vielleicht war es an der Zeit, darüber nachzudenken, sich neue Freunde zu suchen.

„Aber ich höre mir auch schon seit meiner Kindheit seine Erzählungen an.“

Nun war ich echt neugierig geworden! „Und ihr kennt euch woher?“

„Wir sind Cousins“, folgte die Erklärung, die mich wirklich von den Socken haute. Ryo hatte in meinem Beisein nie seine Familie erwähnt und ich nahm einfach an, dass sie keinen wichtigen Teil in seinem Leben einnahm. Dass er mit seinem Cousin auf Partys ging und ihm noch dazu auch emotional so nahe stand, ihm aus seinem Alltag zu berichten, hatte ich nicht erwartet.

„Erklärt zumindest, warum ihr beide so klein seid."

„Ich bin nicht in jeder Hinsicht von geringer Größe."

„Im Gegensatz zu Ryo", folgte mein trockener Kommentar, was mir ein Lachen und zustimmendes Grunzen einbrachte.

Mein Gegenüber wollte gerade dazu ansetzen, etwas zu sagen, als ihm wohl sämtliche Worte im Halse stecken blieben. Ich folgte seinem entsetzten Blick und musste zu meiner Verzückung feststellen, dass Kamenashi soeben dabei war, sich zusätzlich zum Hemd auch noch die Hose auszuziehen.

„Nicht schon wieder“, murmelte es entnervt neben mir und ich fragte mich, was es dabei auszusetzen gab. Eine bessere Peep-Show konnte ich mir nicht wünschen. Und das auch noch völlig kostenlos. Leider sah das Ryos Cousin anders. Dieser hinderte einen protestierenden Schulsprecher daran, sich zu entblättern und scheuchte ihn mit den Worten „Die Party ist vorbei“ aus dem Zimmer. Spielverderber!

Diese Aussage schien jedoch auch auf Ryo zuzutreffen, wenn ich mir so seine verbrauchte Erscheinung betrachtete. Den restlichen Anwesenden schien es auch nicht besser zu gehen und ich seufzte auf. Das Gelage war definitiv beendet. Wenigstens hatte ich jemanden flach gelegt. Ich kroch zu Ryo rüber und rüttelte die halb schlafende Figur an der Schulter.

„Nur noch ein Bier“, grummelte er und wollte die Whiskeypulle ansetzen. Genervt schnappte ich sie ihm weg und hielt sie aus seiner Griffweite.

„Du hattest genug“, meinte ich und sackte meinen Kumpel an, um ihn in die Senkrechte zu verhelfen. Ein nasser Mehlsack war leichter anzuheben, meine Fresse.

„Du könntest ruhig ein wenig kooperieren“, stieß ich keuchend und mit zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Nöööö“, lallte er auch noch dreist. Das konnte ja ein toller Nachhauseweg werden. Hoffentlich kotzte er mir nachher nicht die Sitze voll.

Ich hatte den tonnenschweren Klumpen gerade aus dem Kaminzimmer gezerrt, als dessen Cousin in mein Sichtfeld trat und mich so ansah, als würde er mich gleich um einen Gefallen anbetteln.

„Du bist doch auch mit dem Auto hier, oder?“

„Japp, auch wenn ich befürchte, dass ein Schwerlasttransporter die bessere Wahl gewesen wäre.“ Ich stellte Ryo an der Wand ab und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Warum wogen Besoffene eigentlich immer so viel?

„Und ich hätte meines wohl mit Folie verkleiden sollen. Kame hat mir gerade ins Auto gereihert. Kannst du ihn mitnehmen? Ich will ihn nicht in seiner eigenen Kotze sitzen lassen und da die anderen Sitze schon belegt sind...ja.“

„Damit er bei meinem Wagen weiter machen kann? Vergiss es.“ War der etwa bekloppt? Ein potentieller Kotzeimer reichte mir vollkommen.

„Keine Sorge, Kame übergibt sich immer nur einmal.“ Ich sah den Typen skeptisch an, bevor ich mit den Augen rollte und zustimmte. Ich ließ mir noch die Adresse, die ich ohnehin schon kannte, geben und dabei helfen, die Sturzbetrunkenen in meinen schönen Mazda zu hieven. Auf eine lustige Fahrt!
 

TBC

Wir freuen uns wie immer tierisch über jegliches Feedback

Bis zum nächsten Teil :)

The Haunting Tooth Fairy

Hallo an alle :)

An dieser Stelle gilt natürlich wieder den fleißigen Kommischreibern unser Dank. Bei diesem Kapitel nehmen wir uns fest vor euch persönlich zu antworten. Als Entschuldigung für die Wartezeit haben wir das Kap nicht geteilt, sondern ihr bekommt den vollen Kame – Part ^___^

Habt Spaß damit
 

***
 

Kapitel 4 - The Haunting Tooth Fairy
 


 

Kame
 


 

Lichter zogen an mir vorbei. Ich blinzelte verwirrt und musste feststellen, wohl schon im Auto zu sitzen. Waren wir nicht gerade noch auf der Party gewesen? Ich versuchte erst gar nicht, in meinem vernebelten Hirn nach Antworten zu suchen. Es pochte so schon unangenehm hinter meinen Schläfen. Seufzend rutschte ich tiefer in den Sitz und meine Lider klappten erneut nach unten.

„Wir sind da, Dornröschen“, drang eine Stimme von weit weg an mein Ohr, bevor jemand energisch an meiner Schulter rüttelte. Schwerfällig öffnete ich die Augen. Es drehte sich noch immer alles und ich brauchte erneut ein paar Sekunden, um mich zu orientieren. Auto, Fenster, mein Haus, Kopfschmerzen. So langsam wie möglich versuchte ich meinen Schädel in Richtung der Stimme zu bewegen und musste feststellen, dass dort definitiv kein Taka saß. Wie zum Geier war ich in dem Wagen von diesem notgeilen Bock gelandet? Ich vernahm ein gequältes Stöhnen von der Rücksitzbank, welches eindeutig zu Ryo gehörte. Die Verarbeitung der Informationen war jedoch gerade wirklich zu viel für mich. Unter dem prüfenden Blick meines ungewollten Chauffeurs befreite ich mich mehr oder weniger galant von dem Gurt, öffnete die Beifahrertür und fiel direkt, wie ein nasser Sack, auf den kalten, harten Asphalt. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass ich oben herum völlig nackt war. Machte ja nichts. Ich fand mich innerlich schon damit ab, hier noch ein wenig auf dem Boden zu verweilen, als mich irgendjemand - für meinen Geschmack viel zu ruckartig - wieder in die Senkrechte beförderte.

„Wo sind deine Schlüssel?“ 'Irgendjemand' stellte sich als Akanishi heraus, welcher nun dazu verdammt war meinen Fels in der sich drehenden Brandung zu spielen. Selbst Schuld würde ich sagen und klammerte mich daher regelrecht an ihm fest. Wenigstens stellte er sich, im Gegensatz zum Boden, als wärmer heraus. Keine schlechte Alternative.

„Rechte Hosentasche“, nuschelte ich, während ich versuchte, diese Karussellfahrt zu überleben. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er endlich fertig mit dem Getatsche war und den Schlüssel gefunden hatte.

„Linksträger was?“, grinste mich der Idiot blöde an, während er mich zielgerichtet zur Haustür dirigierte und diese öffnete. In meinem Zustand fand ich den Spruch auch noch witzig und kicherte mir auf dem Weg einen ab.

„Enttäuscht?“, fragte ich immer noch belustigt, als wir das dunkle Haus betraten, obwohl es mich ziemliche Mühe kostete, halbwegs verständliche Worte über meine Lippen zu bringen.

„Nicht, wenn ich nochmal in die andere Seite fassen darf.“ Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als das Licht plötzlich anging und ich daher lieber schmerzerfüllt aufstöhnte. Mein armer Schädel. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie das Elend in ein paar Stunden aussehen würde.

„Kazuya?“ Meine Großmutter persönlich im Nachthemd und Kopfhaube. Das war mir sogar in meinem Suff peinlich. Ihr scheinbar nicht, denn sie kam freudestrahlend auf uns beide zugelaufen. "Dein Date für die Nacht?" Zumindest war ich nicht der Einzige, dem regelrecht das Gesicht einschlief. Akanishi schien wohl nicht mit einem solchen Kommentar in diesem Moment gerechnet zu haben, jedoch fing sich der Trottel leider viel zu schnell.

"Leider nur der Fahrer", antwortete er mit einer fast real klingenden Portion Bedauern und schenkte meiner Oma ein charmantes Lächeln. "Akanishi Jin."

"Was nicht ist, kann ja noch werden. Kamenashi Moriko. Schön, dich kennenzulernen." Ich wollte nur noch in ein tiefes, schwarzes Loch fallen oder in mein Bett, je nachdem. Leider schien mir meine Verwandtschaft den Wunsch zu verweigern, indem sie auch noch unnötige Gespräche mit diesem ungebetenen Gast anfing.

„Es ist wirklich nett von dir, dass du Kazuya nach Hause bringst. Hat er sein Hemd unterwegs verloren? So etwas passiert schon mal im Eifer des Gefechts, aber ihr solltet das wirklich nicht im öffentlichen Verkehr machen..."

„STOP! Er hat mich nur heim gefahren. Das war's", unterbrach ich lieber ihren Redeschwall, leider nur etwas zu laut für meinen eigenen Kopf, worauf ich erst einmal die Augen zusammen kniff, bevor ich leiser fortfuhr: „Mein Hemd ist...äh..." Verdammt, ich hatte nicht den blassesten Schimmer.

„Er hat es verbrannt", half mir Akanishi sichtlich amüsiert auf die Sprünge. Irgendwo in der Hinterstube dämmerte es bei mir oder auch nicht. Man, ich wollte nur noch ins Bett.

„Die Jugend heute." Oh bitte keinen Vortrag über ihre Kindheit. Das ertrug ich in meinem Zustand sicher nicht mehr.

„Ich muss dann auch wieder weiter Taxi spielen. Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen", rettete mich ausgerechnet Mr. 'Ich bespringe alles, was sich nicht wehren kann' aus dieser Misere.

„Ganz meinerseits. Kazuya wird sich, wenn er irgendwann wieder nüchtern ist, sicher gebührend für die Umstände revanchieren." Nein wird er nicht. Nie und nimmer.

„Das hoffe ich doch", antwortete dieser Blödsack auch noch und schenkte mir zum Abschied ein süffisantes Grinsen, auf welches ich nur mit den Augen rollen konnte. Nur über meine Leiche. Aber diesem Kerl traute ich es auch noch zu, sich daran zu vergehen, wenn er die Möglichkeit hätte.
 

„Trink das. Du kannst dir morgen keinen Kater erlauben. Da muss alles fit sein“, brachte mir meine Großmutter ein Glas mit einem verdächtig riechenden Inhalt, nachdem wir endlich allein waren und ich mich selbst sofort ins Bett verfrachtet hatte.

„Werde ich je wieder aufwachen, wenn ich das trinke?“ Ich war mehr als skeptisch.

„Die Chancen stehen gut.“ Na wenn das mal keine Aussichten waren.
 

***
 

Ich erwachte tatsächlich wieder. Nur, dass ich mir in diesem Moment wünschte, dass Gesöff hätte mich über den Jordan befördert. Erinnerungen kamen in mir hoch, welche ich am liebsten irgendwo begraben würde oder auskotzen, wie ich es gestern mit meinem Mageninhalt getan hatte. Ich sollte mich lieber bei Taka entschuldigen und danach die Stadt verlassen und mir neue Freunde suchen, welche die definitiv nichts mit Akanishi zu schaffen hatten. Plötzlich hatte die Variante Italien doch wieder ihren Reiz.

Ich hätte schon bei der Erwähnung von Ryo's „Bekannten“ wissen müssen, dass dieser Abend in einer Katastrophe enden würde. Warum musste die Welt nur solch ein verdammtes Dorf sein. Die wenigen Stunden zwischen Ryo's Ankündigung und dem tatsächlichen Erscheinen der beiden hatten nicht dazu beigetragen, mich seelisch auf Akanishis Anwesenheit vorzubereiten. Der Plan war sichtlich einfach gewesen: Den Kerl abwimmeln und ja nicht auffallen, bis er wieder weg war. Nun, über die Ausführung sollte man keine Worte mehr verlieren. Ich konnte nur von Glück reden, dass inzwischen Ferien waren und wenn die Schule im neuen Jahr begann, konnte man diesen Vorfall durchaus als verjährt betrachten. Leider befürchtete ich, dass mich mein neuer Mitschüler wohl nicht so leicht davon kommen ließ. Warum waren die Dinge nur so sehr aus dem Ruder gelaufen? Er hatte sämtliche Trümpfe in der Hand und nun definitiv ein Druckmittel. Ich machte mir erst gar keine Hoffnung, dass er es nicht einsetzen würde. Wie ich es doch hasste, wenn mein Leben nicht mehr nach Plan verlief.

Verzweifelt drehte ich mich auf meinem Bauch und presste meinen Kopf in eines der weichen Kissen, damit dieses jegliches Geräusch meines frustrierten Schreis dämpfte. Es half ein wenig. Ändern konnte ich an der beschissenen Situation leider nichts mehr. Es hieß abwarten. Noch zehn Tage bis die Schule wieder los ging. Bis dahin sollte ich jegliche Begegnung mit diesem Hammel vermeiden.

„Kazuya, bist du wach?“, ertönte die Stimme meiner Großmutter durch die geschlossene Tür. „Es ist schon nach zwölf. Vergiss deine Verabredung nicht.“

„Ja“, antwortete ich mehr oder weniger motiviert. Meine Lust auf dieses dumme Date hielt sich in Grenzen, aber vielleicht würde ein wenig Abwechslung nicht schaden. Ich hatte immerhin auch Bedürfnisse, welche ab und an gestillt werden wollten. Meine Konzentration litt unter zu wenig Sex und gerade jetzt konnte ich mir das nicht leisten.
 

***
 

Es war fünf nach drei und ich stand zitternd am vereinbarten Treffpunkt. Pünktlichkeit gehörte scheinbar schon einmal nicht zu den Tugenden meiner Verabredung. Meine Laune besserte sich dadurch nicht gerade. "Kazuya?" ich wollte schon drei Kreuze machen, dass sie es endlich geschafft hatte, jedoch blieb ich stocksteif vor Schreck stehen, als ich mich zu meiner Begleitung umdrehte. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Diese Zähne würde ich meinen Lebtag nicht vergessen.

"Zufälle gibt es", kicherte sie weiter und machte sich noch nicht einmal die Mühe, diese Trümmerbauten in ihrem Mund zu verstecken.

"Ja, der Wahnsinn." Ich konnte meine Begeisterung kaum im Zaum halten. Mir fielen die Worte meiner Oma wieder ein und ich beschloss spontan, dass die alte Frau dringend eine Brille bräuchte.

„Wenn ich damals an der Ampel gewusst hätte, dass du einfach nur zu schüchtern bist." Ja, schüchtern. So konnte man Selbstschutz auch bezeichnen. Ich nickte daher nur und war ihr jetzt schon dankbar, dass sie mir eine Ausrede für mein desinteressiertes Verhalten geboten hatte. Ich sah so vieles dahin schwinden. Mein Druck würde wohl noch etwas warten müssen. Ich beschloss, dass man so verzweifelt gar nicht sein konnte und schlenderte der begeisterten Trine lautlos hinterher. Was blieb mir auch anderes übrig? Meine Großmutter würde mich in der Luft vierteilen, wenn ich mich daneben benahm.

Der übliche Date-Marathon stand mir bevor und zwischendurch verspürte ich das spontane Bedürfnis,

wahlweise der Zahnfee oder mir die Kugel zu geben. Ich schaffte es erfolgreich, mir sämtliche Herrscherjahre der verschiedenen Shogunate vorzubeten, während wir unter der geschmückten Baumallee hindurch spazierten. Sogar die Herleitung der Thomson-Formel war besser, als dem sinnlosen Gebrabbel zuzuhören.

Als nächstes stand dieser dämliche Weihnachtsmannumzug auf dem Programm. Wir standen zwischen Hunderten von anderen sich anschmachtenden Pärchen. Wenn nicht diese Tatsache mir die Galle hoch kommen ließ, dann war es die, dass diese Schnepfe sich nun auch noch gewaltsam bei mir einhakte und mich regelrecht anstrahlte. Wenn sie doch nur ihren Mund geschlossen halten könnte. Wenigstens hatte auch dieser Horror irgendwann ein Ende.

Teilnahmslos schlurfte ich neben dem Mädchen her, welches ohne Unterlass immer weiter plapperte. Es war ja nicht so, als ob es ihr überhaupt auffallen würde, dass sie den Alleinunterhalter spielte. Wir waren gerade mit dem Essen fertig und Madame bestand auf einen weiteren Spaziergang. Die Gegend änderte sich und in mir stieg ein mulmiges Gefühl auf. Leider kannte ich die Nebenstraßen hier zu gut, um nicht zu verstehen was mir mein Date mit der Wahl der Örtlichkeit zu vermitteln versuchte. Wenn ich sie da nicht gleich bitter enttäuschte. So viel Alkohol gab es gar nicht, dass ich freiwillig auch nur einen Finger an sie legen würde. Das Viertel war berüchtigt für die Auswahl an diversen Stundenhotels und ich brauchte wohl niemandem zu erklären, was dort hinter geschlossenen Türen vonstatten ging. Ich selbst war in dieser Hinsicht kein Heiliger, aber heute würde ich genau diesen aus Eigenschutz mimen müssen. Ich überlegte angestrengt, wie ich mich aus dieser Situation heil herauswinden könnte, als ich plötzlich zwei bekannte Gestalten entdeckte, wie sie eines der nahe liegenden Gebäude verließen.

Der erste Gedanke, welcher mir kam, war, dass das Schicksal mal wieder seine Grausamkeit bewies. Von allen Menschen, welche ich jetzt noch weniger sehen wollte, als die reizende Zahnfee neben mir, war es Akanishi, welcher gerade in voller Pracht mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht die Straße hinunter stolzierte. Sowohl sein Gesichtsausdruck als auch seine Begleitung ließen wohl keinen Zweifel daran, dass er eines der Zimmer schon genutzt hatte. Ueda redete freudig auf ihn ein, bis er leider Gottes mich entdeckte, mir gleich darauf zuwinkte und Mr. 'Ich komm immer zum Zug' einfach über die Straße zerrte. Konnte es eigentlich noch schlimmer werden?

„Kame, was für eine Überraschung“, begrüßte mich mein Klassenkamerad freundlich, während ich es dringlichst vermied, Augenkontakt zu beiden herzustellen.

„Ja, was für eine Überraschung“, ertönte nun auch die tiefe Stimme des Älteren. Allein durch seinen belustigten Tonfall rutschte mir alles eine Etage tiefer. Ich versuchte seine Anwesenheit so gut es ging zu ignorieren und schenkte lieber Tatsuya ein hoffentlich überzeugendes Lachen.

„Ja, Zufälle gibt es“, erwiderte ich und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Panik würde mir auch nicht weiter helfen.

„Häufen sich in letzter Zeit. Was macht der Kopf?“ Blöder Arsch. Wie konnte ich auch nur zwei Sekunden davon ausgehen, dass ich vielleicht einmal Glück haben könnte und von dummen Sprüchen verschont wurde. Aber wenn er dachte, mich damit aus der Fassung zu bringen, hatte sich dieser eingebildete Affe schwer getäuscht.

„Alles bestens. Danke der Nachfrage“, antwortete ich und schenkte Akanishi ein scheinheiliges Lächeln, bevor ich mich lieber wieder dem verwirrten Ueda widmete. Ich versuchte, mir jeglichen Rückschlüsse an die vorangegangen Aktivitäten zwischen den beiden zu verbieten und glaubhaft herüber zu bringen, dass ich mich extrem über dieses Zusammentreffen freute.

„Und wer ist deine Begleitung?“, wechselte er zum Glück das Thema und blickte neugierig an mir vorbei. Ach du liebe Güte. Ich hatte mein Anhängsel völlig ausgeblendet. Zum Glück war das Weib damit beschäftigt gewesen, Maulaffen zwischen uns dreien hin und her zu starren und die ganze Glorie ihres Kiefers darzustellen. Ich wollte mich bitte sofort in Luft auflösen.

„Sein Date“, kicherte sie vergnügt.

„Blind Date“, berichtigte ich. Wenn schon, denn schon.

„Oh.“ Ja, mir würde an Tatsuyas Stelle auch nichts Nettes dazu einfallen.

„Blind Date? Ich hab eines nie verstanden. Muss man dafür vorher blind sein oder passiert das währenddessen?“, folgte sogleich Akanishis bissiger Kommentar, worauf er sich einen ordentlichen Hieb von Ueda in die Seite einfing. Etwas musste man dem Kerl jedoch lassen: Er war kreativ. Ich mochte seinen Humor, auch wenn eher die Hölle gefror, als dass ich ihm dies zeigen würde.

„In gewissen Situationen wäre beides ratsam“, argumentierte ich gelassen, da mein Date scheinbar nicht einmal verstand, dass es um sie persönlich ging. Eine schreckliche Melodie, welche sich als ihr Handyklingelton herausstellte, unterbrach jedoch diese interessante Konversation. Mit einer kleinen Entschuldigung nahm sie das Gespräch entgegen, während ich mir nur schwerlich ein erleichtertes Aufatmen verkniff. Ich hasste es, welche Wirkung schon alleine Akanishis Anwesenheit auf mich hatte. Es

fiel mir immer schwerer, mich und mein Handeln unter seinen starrenden Augen unter Kontrolle zu haben.

„Kazuya, es tut mir ja so leid, aber ich muss gehen.“ Halleluja. „Meine Katze…sie…der Notdienst hat sie abgeholt“, fuhr sie völlig aufgelöst fort. Wenn ich sie auch nur einen Funken leiden könnte, hätte ich sie in den Arm genommen, aber leider hatte es sich die gute Frau auf Lebzeiten mit mir verscherzt.

„Ich ruf dir ein Taxi“, bat ich also freundlicherweise an, damit ich so schnell wie möglich wieder meine Ruhe hatte.

„Keine Umstände. Gleich um die Ecke war ein Taxistand. Ich nehme mir einfach dort eins. Es tut mir wirklich leid. Ich ruf dich an.“ Und schon trabte sie davon. Das war der beste Augenblick von diesem gesamten Date. Ein erleichterter Seufzer kam mir über die Lippen. Wenn ich es jetzt noch schaffte, heil von den anderen beiden weg zukommen, würde ich dem da oben bis in alle Zeiten dankbar sein. Gott, ich brauchte dringend eine Zigarette und ein Glas guten Single Malt.

„Ich wusste gar nicht, dass es Notdienste für Katzen gibt“, gluckste Tatsuya vergnügt los. So sehr mich dieser Umstand ebenfalls amüsierte, wollte ich nur noch weg.

„Ich will euch nicht weiter aufhalten. Wir sehen uns spätestens in der Schule wieder“, verabschiedete ich mich mit einem kurzen Handzeichen und hoffte, dass es wirklich keine Sekunde eher etwas wurde.

„Man, Kame. Meinst du nicht, du könntest dich nicht mal einen Tag loseisen? Wir haben Ferien und Pi würde sich unglaublich freuen, wenn wir alle mal etwas zusammen machen. Gerade jetzt, wo die Truppe wieder komplett ist.“ Ich blickte Tatsuya etwas verwirrt an. Es war nicht unbedingt der Inhalt seiner Aussage, denn er hatte mich schon öfter zu irgendwelchem Quatsch überreden wollen, sondern der ernste Ton, welcher darin versteckt war. Ich fühlte mich regelrecht überfahren.

„Ähm, ja…klar. Ich melde mich bei dir.“ Mehr schaffte ich nicht hervorzubringen.

„Sehr gut, dann kannst du uns auch mehr über deine entzückende Freundin erzählen.“ Akanishi, wer sonst. Irgendwann würde ich mich nicht mehr zurückhalten können und diesem eingebildeten Wicht einfach eine runter hauen.
 

***
 

Die Feiertage waren nicht sonderlich aufregend gewesen. Ich besuchte meine beiden älteren Brüder in ihren perfekten Häusern, mit ihren perfekten Familien, während sie von ihren perfekten Jobs erzählten. Wiederum berichtete ich von meinen perfekten schulischen Leistungen und wir streichelten uns alle gegenseitig das Ego. Ich hatte schon immer das Gefühl gehabt, dass mir dieses ganze Gehabe schwerer von der Hand ging als meinen Geschwistern. Sie waren einfach, wie sie waren. Ich musste mich immer anstrengen, irgendwie in diese Fußstapfen zu passen, welche sie hinterließen. Denn genau das wurde vorausgesetzt und ich erfüllte zu gerne ihre Erwartungen. Es war einfacher, als von der Norm abzuweichen. Ich hasste Konfrontationen, welche das definitive Resultat aus dieser Abweichung gewesen wären.

Umso erleichterter war ich wieder in Tokio zu sein. So seltsam, wie meine Großmutter auch manchmal war, es war einfach angenehm mit ihr zusammen zu leben. Manchmal fragte ich mich, wie sie es geschafft hatte immer sie selbst in dieser Familie zu bleiben. Wir schienen beide nicht recht hinein passen zu wollen. Vielleicht verstanden wir uns aus diesem Grund so gut.

Die Tage plätscherten so dahin. Ich hatte wirklich vor, mich bei Tatsuya zu melden, nur fehlte mir die Motivation dazu. Ich konnte gut und gerne auf ein Treffen mit einer gewissen Person verzichten. So verbannte ich mein Handy in eine dunkle Ecke meines Zimmers und beschäftigte mich lieber mit schulischen Sachen. Die ersten Klausuren würden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Des weiteren gab es Organisatorisch noch genug zu tun. Ich stand auch während der Ferien in engem Mail-Kontakt mit dem Schulrat und dem Rektor. Es gab immer wieder Dinge, welche man nicht aufschieben konnte. Wenn ich vorher gewusste hätte, dass mir ein Blick in mein Mailfach die restlichen Ferien verderben würde, hätte ich es gelassen. Die Mail kam von Johnny persönlich. Eine Seltenheit, da er sonst eher über seine Hilfsgehilfen mit dem niederen Volk kommunizierte. Ich hatte schon ein mulmiges Gefühl, bevor ich das Dokument öffnete und es sollte mich auch nicht täuschen. Wie erstarrt las ich immer und immer wieder den einen Satz, als ob ich sich dadurch etwas an seiner Aussage ändern würde.

» Somit wird Akanishi die Neujahresrede vor den Schülern in der Aula am 03.01. um 9:00 Uhr halten.«

Ich war gelinde gesagt fassungslos, schockiert und…wütend. Ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, wann ich da letzte Mal dieses Gefühl in der Magengegend verspürt hatte. Dieser Bastard. Ich hatte kein Problem, wenn er dieses öffentliche Kasperletheater spielen wollte, aber das ging definitiv zu weit. Diese Rede fiel in mein Aufgabenbereich. Ich hatte das verdammte Ding seit zwei Monaten immer wieder überarbeitet und perfektioniert.

Ich konnte kaum atmen, während sich mein Magen immer wieder schmerzlich zusammen zog. Ich wusste,

dass ich verloren hatte. Johnny würde seine Meinung nicht ändern und ich würde nicht wie ein räudiger Hund vor ihm auf die Knie gehen und um diese Privilegien betteln. Sie standen mir verdammt noch mal zu! Mit einem lauten Knall fegte ich meine Leselampe vom Tisch. Ich musste dringend hier raus, bevor ich noch meine gesamte Zimmereinrichtung demolierte. Kurzerhand schnappte ich mir meine Jacke und stürmte regelrecht aus dem Haus, ohne den verwirrten Rufen meiner Großmutter Beachtung zu schenken.

Ich fand mich wenig später im GODZ wieder. Wo sollte ich auch sonst hin? Da mein Stammplatz besetzt war, blieb ich direkt bei der Bar hängen. Heute war dies durchaus praktischer.

„Oi Kamenashi. Heute ganz allein?“, begrüßte mich der Barkeeper und keine zwei Minuten später hatte ich schon das erste Bier vor der Nase. Ein guter Anfang, aber heute musste definitiv etwas stärkeres her.

„Vodka auf Eis. Mach gleich einen doppelten“, orderte ich schon mein nächstes Getränk, nachdem ich das Bier zur Hälfte in einem Zug geleert hatte.

„Schlechter Tag, was?“

„Ist gar kein Ausdruck“, bestätigte ich. Aus dem einen wurden drei und aus den dreien wurden fünf. Zwischendurch folgte noch eine Runde Tequila zur Abwechslung. Die erhoffte Wirkung blieb jedoch aus. Ich war immer noch geladen und wusste auch nicht, wie ich etwas an dieser Tatsache ändern konnte, was nicht den schmerzhaften und langsamen Mord an Akanishi Jin beinhaltete. Meine Laune hatte scheinbar auch alle anderen Gäste von mir ferngehalten, denn je rechts und links waren beide Stühle frei, während der restliche Teil des Clubs beinahe aus allen Nähten platzte. Nun, wie schon gesagt, bis jetzt.

„Was machst du denn hier?“ Oh, das Sprechen fiel mir schon nicht mehr so leicht wie gedacht. Vielleicht zeigte sich nun doch endlich die Wirkung des Alkohols.

„Mir wurde zugeflüstert, dass du dich hier professionell zu Grunde richtest und das ohne mich.“ Auch wenn Takas Worte wie ein Scherz klangen, so schwang doch Besorgnis in ihnen mit. Ich schenkte dem Barkeeper einen bösen Blick, worauf jener nur mit den Schultern zuckte. Ein anderer konnte es ja nicht gewesen sein.

„Also, was ist los?“, fragte mein bester Kumpel, während er mir mein Glas vor der Nase weg klaute und es bei sich bunkerte.

„Ich hasse ihn“, jammerte ich sofort los.

„Wen?“

„Akanishi!“ Wen den sonst?

„Jin? Was hat er dir getan?“ Also neben sexueller Belästigung, gemeiner Rufschädigung und dem Diebstahl meiner Rede gab es da nur noch eine Sache:

„Er existiert.“ Dagegen sollte nun wirklich mal etwas unternommen werden.

„Okay“, gab der Ältere lang gezogen von sich und schenkte mir einen verwirrten Blick. „Nur damit ich das richtig verstehe: Du sitzt hier und besäufst dich wegen eines anderen Kerls?“

Warum klang das aus seinem Mund so scheiße dämlich? Ich nickte dennoch. „Er treibt mich in den Wahnsinn“, rechtfertigte ich mein Verhalten und versuchte wieder an mein Glas heranzukommen.

„Bist du etwa verknallt?“, fragte Taka belustigt und konnte sich sein dümmliches Kichern nicht verkneifen.

„Was? Nein! Ich könnte diesen Blödarsch erwürgen, wenn das in Japan legal wäre.“ Wie kam der bitte auf so etwas?

„Dann hör auf, dich so zu benehmen. Einer von der Sorte reicht mir im Freundeskreis.“ Ich zog es vor, darauf nicht zu antworten, sondern lieber zu schmollen.

„So schlecht kann er nicht sein, wenn er dich nach Hause kutschiert, nachdem du mir das Auto vollgekotzt hast.“ Was hatte denn das eine mit dem anderen zu tun?

„Erinnere mich nicht daran. Du bist mein bester Freund! Du hast ihn gefälligst auch zu hassen, wenn ich das tue“, erwiderte ich weinerlich und exte endlich meinen Vodka.

„Als dein bester Freund habe ich genau jetzt eine Aufgabe und zwar deinen Arsch nach Hause zu schleifen, damit du deinen Rausch ausschläfst und dich nicht mehr wie ein Kleinkind benimmst. Und wehe du reiherst mir noch mal auf den Sitz.“

Ich hasste es, wenn er den Erwachsenen heraushängen ließ. Dagegen kam ich nie an. Es blieb mir gar nichts anderes übrig, als ihm brav Folge zu leisten. Diesmal blieb mein Mageninhalt sogar dort, wo er hingehörte.
 

TBC

Bis zum nächsten Kap

Wir freuen uns wie immer über Feedback ^^

Business, Booze & Bitches

Hallo ihr Lieben :)

Es geht endlich weiter. Wir bitten die etwas längere Wartezeit zu entschuldigen. Es ist zur Zeit alles etwas stressig ^^“

Vielen Dank an Arisa-Yuu, Astrido, Kamenashi_Kazuya, NishiNashi und Turtlenashi für die tollen Kommentare <3
 

Viel Spaß mit dem nächsten Kapitel
 


 

Kapitel 5 - Business, Booze & Bitches
 


 

Jin
 

Nachdem ich den rotzbesoffenen Kamenashi bei sich zu Hause abgeliefert hatte, war nun der nicht minder betrunkene Ryo an der Reihe. Zumindest die Fahrt war einfach zu bewerkstelligen, da er die ganze Zeit schlief. Leider tat er dies auch noch, nachdem wir in der Tiefgarage meiner Eltern angekommen waren und dachte gar nicht daran, aufzuwachen. Auch gezielte Kitzelattacken und spätere Schläge brachten die besoffene Strandhaubitze nicht dazu, die Augen aufzuschlagen. Genervt gab ich nach ein paar Minuten auf und sackte Ryo erneut an. Im schlafenden Zustand war er wenigstens nicht mehr ganz so schwer. Trotz allem konnte ich mir besseres auf meinem Rücken vorstellen - massierende Hände zum Beispiel. Ich konnte von Glück reden, dass sich der Fahrstuhl zu unserem Apartment nicht so weit vom Parkplatz entfernt befand. In unserem 100 qm Penthouse angelangt, verfrachtet ich Ryo sofort in die Badewanne um ihn abzuduschen. Kaltes Wasser wirkte immer wieder Wunder und so dauerte es nicht lange, bis der Depp röchelnd erwachte.

„Willst du mich umbringen?“, protestierte er sofort drauf los. Für mich waren Beschwerden das eindeutige Zeichen dafür, dass es ihm besser ging.

„Dafür gäbe es einfachere Methoden“, erwiderte ich und stellte die Brause ab. Ein gequältes Brummen ertönte und dann nichts mehr. Nett wie ich nun einmal war, half ich ihm aus der Wanne und reichte ihm ein Handtuch.

„Du bist echt der beste Kumpel, den man sich wünschen kann“, kam die ironische Bemerkung von Ryo.

„Beschwere dich noch. Ich hätte dich auch auf der Party liegen lassen können.“

„Dort wäre mir wenigstens die Dusche erspart geblieben“, meckerte er weiter wie ein Rohrspatz.

„War eh mal wieder nötig gewesen", merkte ich mit unschuldiger Miene an.

„Was soll das denn heißen?", fragte Ryo mit misstrauisch zusammen gekniffenen Augen.

„Nur, dass man dich schon langsam gerochen hat“, grinste ich und ergriff die Flucht, als Ryo mit dem Handtuch ausholte, um mich zu verprügeln.

Den restlichen Abend passierte nicht mehr viel. Ich schickte meinen Kumpel nur noch auf die Couch im Wohnzimmer zum Schlafen, nachdem ich ihn dazu gezwungen hatte, eine Kopfschmerztablette einzunehmen. Ich hatte nämlich keine Lust auf das Gejammer am nächsten Morgen. Ich selbst verkrümelte mich kurze Zeit später in mein altes Zimmer und fiel nach dem anstrengenden Abend wie tot ins Bett.
 

„Mein Kopf“, kam es weinerlich von meinem besten Kumpel, als er irgendwann von den Toten auferstanden war und in die Küche schlurfte, wo ich bereits bei meiner zweiten Tasse Kaffee saß. Vielleicht wären drei Tabletten ratsamer gewesen.

„Warum säufst du auch so viel Whiskey, wenn du ihn nicht verträgst?“

„Denkst du, ich will mein Gesicht vor einem Kind verlieren?“

„Kamenashi?“, erinnerte ich mich dunkel an ihre Debatte.

„Genau der halbe Hahn.“

„Minderjährig noch dazu“, wies ich meinen Kumpel mal daraufhin, dass das Wettsaufen nicht ganz legal gewesen war.

„Bist doch selbst noch grün hinter den Ohren.“

„Ich hatte nur ein halbes Bier, weil du mir die andere Hälfte weggetrunken hast und ich danach deinen versoffenen Hintern noch nach Hause chauffieren konnte. Ich würde mir deine Aussage noch einmal überlegen“, belehrte ich neunmalklug.

„Erspar mir deine Predigten“, stöhnte Ryo gequält. „Erzähl mir lieber, warum wir in deinem Elternhaus und nicht in deinem Apartment sind.“

„Ich hab noch keine Tiefgarage angemietet und würde mir nur ungern den teuren Wagen meiner Eltern aufbrechen oder zerkratzen lassen“, erklärte ich mein logisches Handeln. Meine Wohnung lag in einer nicht ganz so noblen Gegend, dafür war sie aber wesentlich zentrumsnaher.

„Seit wann bist du eigentlich so intelligent geworden?“, frotzelte mein Kumpel drauf los.

Ich zuckte nur mit den Schultern und zog es vor, nicht darauf zu antworten und stattdessen einen Schluck Kaffee zu trinken. Mit einem kratzborstigen Ryo sollte man sich besser nicht anlegen, vor allem nicht morgens.

„Deine Eltern sind mal wieder nicht da, oder?“, wechselte er nach einiger Zeit das Thema, als ich keine Antwort gab.

„Sind für drei Tage in Sapporo unterwegs.“

„Es läuft also immer noch alles glatt“, spielte Ryo auf das Unternehmen meiner Eltern an.

„Seit meines Amerikaaufenthaltes besser denn je.“

„Freut mich“, sagte mein Kumpel kurz angebunden und trank den restlichen Inhalt meiner Tasse aus.

„Ist es deine neue Mode, mir mein Trinken wegzunehmen?“, fragte ich und wunderte mich, ob das der Ausgleich dafür war, dass ich ihm seine potentiellen Ficks stahl.

„Ich handle nur praktisch“, kam es grinsend.

Wenig später verabschiedete sich mein Kumpel, um seinen Kater bei sich zu Hause auszukurieren, was natürlich keinesfalls mein Drängen verursacht hatte. Aber schließlich hatte ich wie jeder gutaussehende Mensch in Tokio am 24. Dezember ein Date.

Diesen Tag mit Ueda zu verbringen war wie immer sehr entspannend. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die mich auf Dauer nicht nervten, auch wenn seine Sexsucht bisweilen anstrengen konnte. Jedoch nahm er es mir nicht übel, wenn ich ihm einen Korb gab, also ließ es sich recht gut damit leben. Es war auch nicht unbedingt so, dass es der beste Sex meines Lebens mit ihm war. Das war nicht der Grund dafür, dass ich immer wieder mit ihm ins Bett stieg, sondern dass wir so wunderbar harmonierten. Es war gut und unkompliziert mit ihm. Ich hatte hinterher nicht zu befürchten, dass er mir mit einer Beziehung drohte oder in irgendeiner Weise eifersüchtig wäre, wenn ich jemand anderen hatte. Genau so konnte er jeden vögeln, den er wollte, solange dies mit Kondomen in Verbindung passierte.

„Ich hab ein Geschenk für dich“, sprach Tatsuya den ersten Satz seit wir das Lovehotel geentert hatten.

„Ich dachte, das hast du mir gerade gegeben“, grinste ich noch leicht weggetreten und atmete zufrieden den Duft ein, den seine Haut am Nacken verströmte. Der Parfumgeruch, der sich mit seinem natürlichen Geruch vermischte, wirkte wie ein Aphrodisiakum auf mich.

Ich erntete für meine Vermutung ein Kichern. „Nein, ein richtiges.“

„Einen Blowjob?“, mutmaßte ich, da man Sex mit resultierendem Orgasmus für beide Parteien auch nicht als wirkliches Geschenk betiteln konnte, da hatte er schon recht. Ein Geschenk war nur dann eines, wenn lediglich eine Partei etwas davon hatte. Für meine Antwort kassierte ich einen Schlag auf den Oberarm und ein fast schon überzeugendes Schmollen.

„Ich überlege es mir gleich wieder anders.“

„Das würdest du nicht wagen“, tat ich entsetzt und ebenso beleidigt. Auch wenn er die größeren Lippen von uns hatte, konnte ich immer noch den besseren Schmollmund ziehen.

Seine Schnute verwandelte sich in ein fieses Lächeln, als er in seinem Rucksack kramte und mir letztlich das versprochene Präsent überreichte.

„Deinem Grinsen nach zu urteilen kann es nur irgendetwas gemeines sein.“ Und tatsächlich sah ich mich, nachdem ich das Päckchen aufgemacht hatte, einem Cockring gegenüber. „Willst du in irgendeiner Weise damit andeuten, dass ich nicht lange genug durchhalte?“, fragte ich mit hochgezogener Augenbraue.

„Ist nur zu Vorsorge“, kicherte sich mein Sexpartner einen ab.

„Weil man sich in meinem Alter auch schon Sorgen darum machen muss“, gab ich augenrollend von mir.

„Jünger wirst du aber auch nicht.“ Für seine Frechheiten zeigte ich ihm die verbleibende Stunde, dass ich solche Hilfe sehr wohl nicht benötigte.
 

In letzter Zeit schien ich einen Magneten am Hintern zu haben, der dafür sorgte, Kamenashi permanent in meinem Umfeld zu haben. Und wie auch beim letzten Mal war das Kerlchen für eine Überraschung gut. Erst soff er wie ein Loch, dass er bald Ryo Konkurrenz machte und nun hatte er ein Weib an seinem Arm hängen. Die Richtung, die beide einschlugen, war unmissverständlich, da Ueda und ich aus eben jener kamen und uns bis vor wenigen Minuten noch in einem der vielen Stundenbetten gewälzt hatten.

Ich war sogar schon drauf und dran, ihn für seine Wahl zu beglückwünschen, als das Ungetüm plötzlich die Futterluke öffnete und die Pfeffis preis gab. Wenn ich mich nicht täuschte, gehörten solche Hauer unter polizeiliche Verwahrung. Gänzlich ungefährlich schien mir ihr Wolfsgebiss jedenfalls nicht zu sein. Artenschutz war noch die höflichste Umschreibung, die mir dafür in den Sinn kam. Blieb nur zu hoffen, dass Kamenashi das auch wusste - seinem verzweifelten Blick nach zu urteilen jedoch schon.

Natürlich musste ich nach den üblichen Begrüßungsfloskeln sofort nachhaken, woher die beiden sich kannten und Kamenashis Antwort des Blind-Dates erklärte alles. Kein Kerl, der bei Trost war, suchte sich freiwillig so ein Hasenzähnchen. Bugs Bunny war vielleicht im Fernsehen niedlich, aber vögeln würde ihn trotzdem keiner.
 

Ich verstand nicht, warum der Junge ständig auf der Flucht vor uns war und jede sich bietende Ausrede nutzte, um unsere Einladungen auszuschlagen. Was der Grund dafür war, war mir wahrhaftig schleierhaft. Auch Ueda vermochte mir darauf keine Antwort zu geben.

Als Kamenashi also das Weite gesucht hatte, beschlossen wir, den restlichen Tag mit Pi zu verbringen. Pi und ich waren wortwörtlich Sandkastenfreunde, da unsere Eltern Nachbarn waren und wir nebeneinander aufgewachsen waren. Auch wenn er gerade einmal ein Jahr jünger als ich war, fühlte ich mich doch verantwortlich für ihn. Für mich war er der jüngere Bruder, den ich nie gehabt hatte.

Nachdem ich mich so gut in die Kasei Academy eingelebt hatte, war für Tomos Eltern klar gewesen, dass er mir folgen würde – zumal ich schon immer so etwas wie sein persönlicher Bodyguard gewesen war. Dass ich dies auch in der Schule fortführte, stand außer Frage. Manches Mal war es bitter nötig gewesen. Tomo war gutaussehend, was offenbar ohnehin ein Aufnahmekriterium für diese Bildungseinrichtung darstellte. Für ihn war es aber mehr Fluch als Segen, da ihm jeder an die Wäsche wollte und er nicht gerade zur wehrhaften Sorte Mensch zählte. Ich hingegen schon und es hatte auch nicht lange gedauert, bis das jeder auf der Schule begriffen hatte.

Durch Tomo hatte ich Tatsuya kennen gelernt, weil beide in eine Klasse gingen und Pi auf Anhieb mit Uedas unkomplizierter Frohnatur zurecht kam.

„Jin? Bist du noch bei uns?“, holte mich Tomo aus meinen Gedanken zurück.

„Sorry“, lächelte ich entschuldigend, „ich habe nur gerade in Erinnerungen geschwelgt.“

„War ich diesmal so gut, ja?“, hakte Tatsuya süffisant grinsend nach.

„Nicht die Art Erinnerungen“, holte ich ihn von seinem hohen Ross runter. „Nur wie wir uns alle kennen gelernt haben.“

Scheinbar gefiel Pi meine Aussage, denn er fing auf einmal an, bis über beide Ohren zu strahlen.

„Er ist ja doch noch da.“

„Wer?“, fragte ich irritiert nach. Warum musste der Junge auch immer in Rätseln sprechen?

„Der Jin, den ich kennen gelernt habe.“

„Was soll das denn heißen?“

„Na ja, unter all dem Rumgehure und Gesaufe steckt doch noch der Softie.“

Ich wollte gerade zum Protest ansetzen, als mir Ueda zuvor kam: „Ey, bin ich vielleicht eine Hure?!“

„Ja“, erwiderten Pi und ich zeitgleich. Wir sahen uns kurz verdutzt an, bevor wir in Gelächter ausbrachen und Tatsuya schmollend die Arme verschränkte.

Auch wenn ich mich sonst nicht unbedingt meines Alters entsprechend benahm, genoss ich doch die Momente, in denen ich einfach nur ein Jugendlicher sein durfte.
 

Die Nachricht, die Schulrede halten zu müssen, ereilte mich nicht unbedingt überraschend aber nicht weniger verheerend. Ich hasste solche Aufgaben wie die Pest! Johnny wusste genau, dass es nicht zu meinen Talenten gehörte, mit Worten umzugehen. Da ich mich aber weder blamieren noch meine Deppenfreunde zu Rate ziehen konnte, blieb mir nur eine Option: Maru. Besagte Person war der typische Nerd, wie er im Buche stand - zumindest bevor Kamenashi auf der Bildfläche erschien - und der Ansprechpartner, wenn es um Aufgaben ging, bei denen man sein Hirn anstrengen musste. Da ich keine Lust und Zeit hatte, mich um solch einem Kram zu kümmern, durfte unser Superbrain ran. Als Gegenleistung stand er unter meinem Schutz und wurde nicht verprügelt oder auf andere Art und Weise ausgenutzt, auf die ich nicht näher eingehen wollte. Wobei ich dank seiner äußeren Erscheinung eh bezweifelte, dass jemand diesbezüglich Hand an ihn legen würde. Aber man wusste ja nie, was so für kranke Vorlieben existierten. Angewidert über meine eigenen Gedankengänge schüttelte ich den Kopf, um so möglichst schnell diese Bilder loszuwerden.

Ein kurzes Telefonat genügte, um mir Johnnys überaus lästige Aufgabe vom Halse zu schaffen. Noch heute Abend würde ich eine perfekte Rede in Händen halten. Ein Problem weniger, um das ich mir Sorgen machen musste. Von essentieller Bedeutung war es hingegen, eine Methode zu finden, Kamenashi ins Bett zu zerren. Mir war lange keine Person mehr untergekommen, bei der dies eine wirkliche Herausforderung gewesen wäre. Leider hatte ich dieses Jahr keine Zeit mehr, mir einen erfolgversprechenden Plan auszudenken, da sich das Unternehmen meiner Eltern nicht von allein am Leben hielt. Und so wurde selbst ein Treffen mit Koki und Junno zum Geschäftsessen. Schließlich war es für mich wichtig, über aktuelle Geschehnisse und Machtwechsel Bescheid zu wissen. Potentielle Partner für Kampagnen liefen einem selten per Zufall über den Weg. Aber da ich mich auf meine Freunde verlassen konnte, waren diese nicht untätig gewesen und hatten ihr Klientel über meine Aktivitäten in Amerika informiert, sodass diese sich nun die Finger und mit Sicherheit auch andere Körperteile nach mir lechzten. So war es nicht verwunderlich, dass ich zu Silvester diverse Einladungen zu hochkarätigen Festlichkeiten erhalten hatte. Koki und Junno nahmen mich zur erfolgversprechendsten mit und knüpften Kontakte, was das Zeug hielt. Die beiden hatten sich in meiner Abwesenheit wahrhaftig perfektioniert und glücklicherweise war es für mich kein Problem, an ihre Professionalität anzuknüpfen.

„Akanishi? Mir ist bereits viel über diesen Namen zu Ohren gekommen, aber noch nie habe ich der zugehörigen Person gegenübergestanden“, schwafelte sich eine angeschwipste, reiche Chefredakteurin einen dran lang.

„Ich hoffe doch nur gutes“, gab ich charmant zum Besten und erntete ein nervtötendes Lachen. Meine Güte, war die Alte schon abgefüllt. Schade, dass ich ihrem Beispiel nicht folgen konnte, solange ich Geschäftsbeziehungen arrangieren wollte.

Zwei Gläser Martini später und ich hatte ihre Visitenkarte und einen Termin für einen Artikel in Sack und Tüten. Auf zu neuen Ufern! Ich hatte viel aufzuholen und konnte mich nicht mit einem einzigen Weib zufrieden geben, was noch dazu die Absicht hatte, mich zu begrabschen. Grundsätzlich hatte ich nichts gegen solche Annäherungen, aber ab einem gewissen Alter war bei mir die Schmerzgrenze erreicht. Ich benötigte in etwa noch zwei Stunden, bevor ich drei weitere Aufträge an Land gezogen hatte. Das reichte mir fürs Erste und ich beschloss, endlich zum Feiern überzugehen. Meine Leute waren schon reichlich im Tee und ich tat gut daran, aufzuholen. Als Einziger nüchtern unter Betrunkenen zu sein, war nun wirklich keine Freude.

Das Ende des Jahres schloss ich im Vollrausch ab, wie es sich gehörte. Ich trank zwar nicht so viel, dass ich auf Händen und Füßen zum Taxistand kriechen musste, aber gerade aus laufen war auch nicht mehr machbar. Uns gegenseitig stützend liefen Junno, Koki und ich durch die Straßen Tokios und erfreuten uns an unserem schiefen Singsang. In solchen Momenten verspürte ich noch nicht einmal den Drang nach Sex. Es tat wirklich gut, wieder in der Heimatstadt zu sein, seine eigene Sprache zu sprechen und seine Freunde um sich zu haben. Da konnte kein noch so guter Fick heranreichen. Aber auch der schönste Moment ging einmal zu Ende und gegen 6 Uhr früh des neuen Jahres, beschlossen wir, es gut sein zu lassen, zu mir zu fahren und halb übereinander liegend auf meinem unverschämt großen Bett einzuschlafen. Auch wenn mir zu wenige Stunden Schlaf später nicht nur mein Kopf sondern auch sämtliche Knochen im Leib weh taten, so hatte es sich definitiv gelohnt.

„Durst“, krächzte Koki heiser.

„Bier ist im Kühlschrank“, gähnte ich und wünschte, ich könnte noch ein paar Stunden mehr schlafen, nur war dies mit meinem Brand kaum möglich.

„Ich kotz dich gleich voll, wenn du noch mal Alkohol erwähnst“, erwiderte ein nicht weniger verkaterter Blondschopf.

„Aber Bier ist kein Alk sondern ein Grundnahrungsmittel“, gab ich weise von mir.

„Der kann es nicht mal in diesem Zustand lassen, zu klugscheißern“, stöhnte Koki gequält, „oder hast du etwa keinen Schädel?“

„Frag nicht nach Sonnenschein“, ächzte ich und wühlte mich aus Gliedmaßen und Kissen hervor. Stehen war eine echte Herausforderung und beanspruchte all meine Konzentration, aber ich brauchte dringend etwas gegen meinen ausgedörrten Mund. Schwankend begab ich mich in die Küche und fand im Kühlschrank zum Glück noch eine Flasche Cola. Es dauerte nicht lange, bis die zwei Schnapsleichen sich zu mir gesellten und wie durstige Zombies nach Flüssigkeit gierten.

“Ich würde sagen, wir haben das neue Jahr gebührend empfangen", stellte Junno das Offensichtliche fest.

„Irgendwelche Vorsätze?", fragte Koki.

„Unbedingt mal nach Europa jetten. Die Weiber dort sollen wesentlich schneller zum Punkt kommen. Du?“, kam es von Junno.

„Meinen Führerschein machen, damit ich die Harley-Davidson von meinem Vater endlich fahren kann. Wie sieht's bei dir aus, Jin?“

„Kamenashi flach legen“, antwortete ich wie selbstverständlich.

„Ich finde, das sind alles gute Ziele“, grinste Koki zufrieden.

„Echt? Den Nerd?”, gab sich Junno nicht so leicht zufrieden.

„Ja, wieso?“

„Weiß nicht. Passt nicht ganz in dein sonstiges Beuteschema."

„Stimmt, er ist nicht das dämliche, leicht herumzukriegende Opfer", fing auch noch Koki an, beizupflichten.

„Und worauf willst du damit hinaus?", fragte ich leicht angenervt.

„Nur, dass er nicht ins Schema passt", grinste Koki und veranlasste mich zum Augenrollen.

Als ich die beiden Nervensägen von diesem heiklen Thema abbekommen und aus meiner Wohnung geschmissen hatte, legte ich mich noch einmal für ein paar Stunden aufs Ohr um meinen Rausch auszuschlafen.
 

Der dritte Erste stand vor der Tür und somit der erste Schultag im neuen Jahr sowie meine angefertigte Rede, die ich an einigen Stellen noch ausbessern musste. Maru fing an, zu schlampen. Kaum, dass ich für ein Austauschjahr weg war, wurde er nachlässig. Das konnte ich so nicht durchgehen lassen, sonst wurde das am Ende noch zur Gewohnheit. Für die Privilegien, die er genoss, musste er sich schon ein wenig mehr bemühen. Unser Gangsterrapper würde diese Aufgabe garantiert liebend gern übernehmen.

Die Aula war gut gefüllt, wie man das von braven Schäfchen zu erwarten hatte, als ich das Podium betrat. In erster Reihe befand sich Kamenashi, welcher mich aus hasserfüllten Augen anstarrte. Was auch immer dem über die Leber gelaufen war, ich heftete meinen Blick lieber auf Tatsuya. Dieser schaute bei weitem liebreizender und nicht so, als wenn er sich gleich mit ausgefahrenen Krallen auf mich stürzen wollte.

Nachdem Johnny mir das Okay gegeben hatte, laberte ich meinen Psalm herunter. Es gehörte nicht gerade zu meinen Lieblingsaufgaben, aber es fiel mir auch nicht schwer, Leute von mir zu überzeugen und als ich meine Rede mit den Worten "Ihr müsst nur immer euer Bestes geben und an euch glauben, dann könnt ihr alles schaffen" schloss, hingen alle förmlich an meinen Lippen. Johnny gab zähneknirschend seine Anerkennung bekannt und ich konnte mich endlich zu meinen Leuten gesellen und die anschließende Ansprache von unserem Direktor im Sitzen über mich ergehen lassen.
 

TBC

Wir freuen uns wie immer über Feedback

Unexpected Services

Da sind wir wieder und wünschen euch allen ein frohes (verschneites) Osterfest :)

Vielen dank wieder an alle fleißigen Kommischreiber <3 Ihr seid die Besten!!!!

Viel Spaß mit dem Kapitel ^__^
 

***
 

Kapitel 6 - Unexpected Services
 

Kame

 

Die Luft wurde allmählich stickiger, während sich der Wagon mit immer mehr Menschen füllte. Ich wäre schon vor zwei Stationen jede Wette eingegangen, dass es niemand der Wartenden mehr in die Bahn schaffen würde, aber die Oshiya leisteten ganze Arbeit, bis sie auch den Letzten hinter die sich schließende Tür gequetscht hatten.

Jeden Morgen waren es dieselben Gesichter und doch merkte man sich keines davon. Wie die meisten Menschen hatte ich meine Kopfhörer in den Ohren stecken und versuchte mich auf die lauten, eindringlichen Töne einer neuen Metalband zu konzentrieren, welche mir Taka empfohlen hatte. Die Bahn hielt, Menschen drückten sich nach draußen, neue Fahrgäste nach innen. Langsam wurde der Geruch hier drinnen unerträglich. Es mischte sich billiges Parfüm mit Aftershave und Haarspray. Eine Mutige hatte sogar einen Becher Kaffee bei sich, dessen Inhalt sich keine zwei Sekunden später über die Kleidung drei weiterer Leute ergoss. An ihrer Mimik war deutlich zu erkennen, wie begeistert sie über dieses Malheur waren.

Den nächsten Halt nutzte ich, um mich dem großen Fenster zuzuwenden. Ich lehnte meine Stirn gegen die kühle Scheibe, schloss meine Augen und versuchte die restlichen Körperteile, welche sich eng an mich pressten, zu ignorieren. Meine Hand klammerte sich an die Stange über mir, während die andere dafür sorgte, dass sich meine Schultasche nicht verabschiedete. Körperkontakt war in allen Bahnen um diese Uhrzeit unvermeidlich, Privatsphäre völlig unmöglich. Ich hasste es. Wie fast jeden Morgen verfluchte ich meine Großmutter für ihre seltsamen Erziehungsmaßnahmen.

Ich hatte schon lange aufgehört zu zählen, wie viele Hände mich an nicht gerade angenehmen Stellen jeden Tag streiften. Meist geschah dies unabsichtlich und war meinen Mitfahrern ebenso unangenehm wie mir selbst. Meist! Angeblich war der Mensch ja ein Gewohnheitstier, aber ich würde mich nie mit diesem ekelerregenden Gefühl abfinden, welches sich in mir ausbreitete, wenn wieder einmal eine Hand länger als nötig auf meinem Hintern verweilte. Vielleicht sollte ich froh sein, dass es nur mein Hinterteil war, dennoch war es erniedrigend. Ich versuchte, in der Spiegelung der Scheibe den Übeltäter auszumachen, aber in dem Gewirr aus Gesichtern war dies unmöglich. Ich biss mir auf die Lippe und versuchte mich so still wie möglich zu halten. Zu versuchen, sich aus der Misere herauszuwinden, beflügelte den Großteil der Grabscher meist nur noch. Das konnte ich aus Erfahrung sagen. Zum Glück waren es nur noch zwei Stationen.

Es war, als könnte ich immer noch die schmierige Pranke auf mir spüren, als ich schon längst auf dem Weg zum Schulgebäude war. Ich kämpfte den Drang, in die Dusche der Sporthalle zu hechten, nieder. Ich konnte mir nicht erlauben, mich am ersten Tag im neuen Jahr zu verspäten. Schon gar nicht, wenn Akanishi mir meinen Rang ablaufen wollte. Ich hatte mich an die naive Hoffnung geklammert, dass er seine Rede in den Sand setzen würde, denn er wirkte nicht gerade wie der Typ, welcher sich stundenlang mit komplizierten Formulierungen beschäftigte. Mein erster Weg führte mich direkt zu dem Kaffeeautomaten, damit ich mir wenigstens vor der anstehenden Versammlung meine Dosis beruhigendes Koffein gönnen konnte, doch schien heute wirklich jemand etwas gegen mich zu haben. Ein großes Schild mit dem Schriftzug 'defekt' prangte an der Maschine und ich musste mir mit aller Kraft einen gequälten Schreckensschrei unterdrücken. Das durfte doch nicht wahr sein. Der Tag war jetzt wirklich im Eimer. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen. Dachte ich zumindest, bis ich in der großen Aula saß und mir das Vergnügen zuteilwurde,  mir die geistigen Ergüsse von Akanishi anhören zu dürfen. Die Schülervertretung und Lehrer saßen in der ersten Reihe, aber ich brauchte mich auch gar nicht erst umdrehen, um zu bemerken, wie der dumme Pöbel regelrecht an den Lippen dieses Möchtegern-Ciceros hing. Ich musste zähneknirschend gestehen, dass er seine Ansprache gar nicht mal schlecht gestaltete. Es verstand sich natürlich von selbst, dass sie nichts im Gegensatz zu meiner war, aber überrascht war ich von seinen rhetorischen Fähigkeiten dennoch. Für Begeisterungstürme aus dem Publikum reichte es allemal. Platon-Junior grinste nur Siegessicher und machte Platz, damit sich noch unser Direktor äußern durfte.

„Nette Rede“, versuchte ich so beiläufig wie möglich zu flüstern, als sich Akanishi auf dem freien Stuhl schräg hinter mir niederließ, während Kitagawa das Mikrofon einstellte.

„Nur nett?“, schmunzelte dieser selbstsicher.

„Verbesserungswürdig.“ Als ob ich diesem eingebildeten Hammel noch mehr Triumphe geben würde.

„Dann sollte ich sie vielleicht das nächste Mal von dir schreiben lassen. Nakamaru scheint langsam nachzulassen.“ Mir klappte die Kieferleiste auf den Schoß bei dieser Dreistigkeit, mit welcher er auch noch zugab, sich nicht einmal selbst abgemüht zu haben. Das war doch wirklich die Höhe. Dieser …! Zum Glück fing in jenem Moment die Ansprache unseres Rektors an, welcher ich keine Sekunde lang folgen konnte. Ich war viel zu sauer, um mich noch auf irgendetwas konzentrieren zu können.

 

***

 

„Es ist nicht mal sieben.“ Taka setzte sich an den Tisch und schaute erst mein beinahe leeres Glas Whiskey und dann mich an. Wie immer war nicht ein Funken Vorwurf in seiner Stimme, höchstens Besorgnis.

„Und es ist nicht mein erstes.“ Ich war direkt von der Schule zum GODZ. Ab und an lohnte es sich doch, ein paar Wechselklamotten im Spint zu haben. Nach so einem Tag half nur noch Hochprozentiges.

"Verrätst du mir, was dir über die Leber gelaufen ist?"

"Nicht was. Wer", berichtigte ich ihn. Meine Laune sank sofort wieder auf den Nullpunkt bei dem Gedanken an diesen Blödhammel.

"Okay", gab der Schwarzhaarige langgezogen von sich und wartete scheinbar auf weitere Erklärungen, welche bereitwillig aus meinem Mund sprudelten. Verdammter Alkohol.

" ... und dieser aufgeblasene Gockel hatte sich noch nicht mal die Mühe gemacht, sie selbst zu schreiben", endete mein Gezeter und ich spülte die Erinnerung an diesen furchtbaren Tag mit dem letzten Schluck hinter. Bloß schnell Nachschub.

"Nur mal zum Verständnis: Du bist sauer, weil du nicht deine freie Zeit opfern musstest, um eine dämliche Rede zu schreiben, der sowieso keiner folgt." Manchmal hasste ich meinen besten Freund wirklich.

"Ich hatte sie schon fertig. Seit Wochen", stellte ich feierlich klar und hoffte wenigstens jetzt auf ein wenig mehr Mitgefühl. Taka schaute mich kurz verquer an und fing plötzlich an, in meinem Gesicht herumzutatschen.

"Fühlt sich echt an", stellte er darauf fest und grinste dümmlich.

"Haha, sehr witzig."

"Manchmal könnte man wirklich meinen, du wärst ein Roboter."

"Roboter trinken nicht so viel."

"Außer Bender, aber an dem sollte sich kein Schuljunge ein Beispiel nehmen." Wenn man es genau nahm, gab es da schon einige Gemeinsamkeiten, aber ich weitete dieses Thema lieber nicht weiter aus.

"Ja, ja Mama", erwiderte ich daher nur. Ich wusste, dass er Recht hatte. Selbstmitleid brachte mich auch kein Stück weiter.

„Soll ich dich fahren?“, fragte mich Taka nach einem kurzen Augenblick der Stille. So viel zum Thema Nachschub. Das würde wohl bis zu Hause warten müssen. Sicherlich hatte meine Großmutter auch gegen Wehleidigkeit einen Schnaps.

„Wäre toll.“ Ich umging die U-Bahn nur zu gerne, wenn sich mir die Gelegenheit bot. „Ich scheine heute einen Magneten für eklige Typen zu haben.“ Und damit meinte ich nicht nur diese Fummler.

"Hört das nie auf." Er klang resigniert und wirklich besorgt. Verdammter Mist.

"Ich scheine ihr Typ zu sein", versuchte ich das Ganze mit einem verschmitzten Lächeln herunter zuspielen, welches den Älteren leider kein bisschen zu überzeugen schien.

"Gott Kazu, das kann nicht ewig so weiter gehen. Was ist, wenn es einem der Widerlinge nicht reicht, dich nur anzutatschen?"

„Hör auf damit!“ Über so etwas wollte ich lieber gar nicht nachdenken. „Ich kann es nicht ändern“, versuchte ich das Thema abzuwiegeln, aber scheinbar hatte mein Kumpel da andere Pläne.

"Ich lass mir was einfallen", verkündete er schließlich ernst.

"Und was bitte?"

"Ich hab schon eine Idee."
 


 

Jin

 

Seit der Kotzgeschichte mit Kamenashi hatten Taka und ich Handynummern ausgetauscht. Als ich also einen Anruf von ihm spät abends des ersten Schultages erhielt, war ich nicht überrascht, zumal wir bereits während der Ferien öfter miteinander telefoniert hatten.

"Hey Jin. Wie geht's, Mann?"

"Schlechten Menschen geht es immer gut, das weißt du doch", grinste ich in den Hörer und machte es mir auf meiner Couch bequem, da ich nach einem Shooting für ein Magazin gerade erst in meinem Apartment angelangt war.

"Stell dich nicht immer als Arschloch dar, ich weiß genau, dass das nicht stimmt", wurde ich belehrt.

"Ob du das auch noch sagst, wenn ich jemanden umgelegt habe?", stichelte ich. Seit ich Kamenashi heimgefahren hatte, war ich für Taka so etwas wie der heilige Josef. Wenn er wüsste, dass ich seinen Schützling ins Bett kriegen wollte, würde er das sicherlich nicht mehr behaupten.

"Kommt auf die Umstände an", scherzte nun auch Taka. "Wenn es Notwehr war, würde ich dich bestimmt im Gefängnis besuchen."

"Wie großmütig von dir. Ich glaube eher, dass du das Kamenashi sagen solltest. Er scheint mich immer mehr zu hassen", schnitt ich mein neues Lieblingsthema an.

"Wieso das?", wurde mein Gesprächspartner hellhörig.

"Nur so ein Gefühl", beantwortete ich vage die Frage.

"Aber es muss doch einen Grund für deine Annahme geben", ließ er nicht locker.

"Ich denke, er fühlt sich in seiner Position als Schulsprecher bedroht", mutmaßte ich.

"Und hat er Grund dazu?" Ich merkte sofort an seiner Tonlage, dass Kamenashi der Faktor war, der unsere Freundschaft ganz schnell zum Ende bringen konnte, sollte ich unserem übereifrigen Schulsprecher ein Haar krümmen.

"Wenn es nach mir geht, kann er weiterhin seine Aufgabe behalten, aber unser Direktor nutzt mich gern als Aushängeschild für unsere Schule, also muss ich öfter seine Position übernehmen", stellte ich die Dinge klar.

Am anderen Ende war erst ein lang gezogenes Seufzen zu hören und dann ein Vorschlag, der mich innerlich jubeln ließ, weil er mein Problem Nr. Eins lösen könnte: "Ihr solltet wirklich mal miteinander reden. Da wir schon beim Thema sind: Der eigentliche Grund, warum ich dich anrufe, ist ein Gefallen, um den ich dich gerne bitten würde. Das ist vielleicht ein bisschen viel verlangt, aber ich würde mich sehr freuen, wenn du Kame täglich zur Schule fahren könntest. Er ist gezwungen, jeden Morgen mit der U-Bahn zu fahren und das ist mir schon länger ein Dorn im Auge, da manche Pendler etwas...na ja, sagen wir 'aufdringlich' werden und das frühmorgendliche Gedränge nutzen, um auf Tuchfühlung zu gehen und…"

"Was?", unterbrach ich ungläubig Takas Erzählung. Meine anfänglich perversen Fantasien, die in greifbare Nähe gerückt schienen, sollte ich den Vorschlag annehmen, waren bei den Ausführungen wie weggeblasen.

"Abartig oder? Ich kann keine Nacht mehr ruhig schlagen, seit mir Kame das erzählt hat."

"Hat jemand schon etwas Ernsteres versucht?", fragte ich und bemühte mich, den Klos im Hals herunterzuschlucken.

"Ich denke nicht. Erzählt hat er jedenfalls nichts dergleichen." Trotzdem war diese Information das alles andere als beruhigend.

"Na hoffentlich", murmelte ich und meinte, was ich sagte. Bei solchen Sachen war es wirklich vorbei mit lustig. Einmal ein Zeuge sexueller Belästigung zu werden, reichte bis an mein Lebensende. Ich wollte definitiv keine Wiederholung davon sehen. "Du kannst auf mich zählen. Ab morgen hat sich das Problem U-Bahn-Grabscher für Kame erledigt."

"Du hast Kame gesagt", lachte mich Taka berechtigterweise aus.

"Oh", sagte ich peinlich berührt. Ich sollte in Zukunft besser aufpassen, dass mir solch persönliche Anreden nicht mehr herausrutschten, aber diese Neuigkeiten hatten mich doch etwas aus dem Konzept gebracht.

"Ich werde es ihm nicht verraten", versicherte mir Taka noch immer grinsend, wurde jedoch sogleich wieder ernst. "Und danke dir dafür, du hast echt was gut bei mir."

"Kein Ding."

 

Auf was ich mich wirklich eingelassen hatte, erfuhr ich allerdings erst am nächsten Tag.

Pünktlich zehn Minuten bevor Kamenashi das Haus verlassen würde, um zur Bahn zu hechten, klingelte ich an der Haustür. Geöffnet wurde sie mir von einer strahlenden Moriko.

"Jin! Was machst du denn um diese Uhrzeit hier?"

"Ich wollte ihren Enkel abholen", erwiderte ich wahrheitsgemäß. "Obwohl man auch meinen könnte, dass er Ihr Sohn ist."

"Du kleiner Charmeur", kicherte sie wie ein junges Schulmädchen. "Aber wieso willst du ihn abholen?" Das war eine wirklich gute Frage, auf die ich natürlich nicht im Mindesten vorbereitet war.

"Lag auf dem Weg", gab ich als lausige Erklärung ab.

"So so, na dann komm mal rein. Kazuya dürfte gleich bereit sein." Ich tat wie geheißen und fühlte mich schlecht. Ich war kein besonders guter Lügner und einer netten, alten Dame die Taschen vollzuhauen, bereitete mir ein schlechtes Gewissen. Zumal ich den Eindruck hatte, dass sie mir kein Stück geglaubt hatte.

"Möchtest du einen Tee?", wurde ich gefragt, als wir in der Küche angelangt waren.

"Gerne", antwortete ich mit einiger Verzögerung, da ich mit Mustern beschäftigt war. Ich hatte in meinem Leben ja schon viel gesehen, aber eine Küche, die mehr Ähnlichkeit mit einem Kräutergarten für Hexen hatte, war mir noch nicht untergekommen. Die Regale quollen über mit Gewürzen und Tees und in einer Ecke standen Pflanzen, über deren Zweck ich lieber nicht so genau Bescheid wissen wollte. Ich konnte nur hoffen, dass Moriko mir keine Teemischung mit illegalen Inhaltsstoffen zubereitete oder dass mich heute keine Bullen filzen würden - je nachdem.

"Trink", forderte sie mich auf und betrachtete mich mit funkelnden Augen, als wäre ich irgendein Experiment, dessen Verlauf genau beobachtet werden musste. Ich bekam es langsam mit der Angst zu tun. Dafür wusste ich nun, warum Kamenashi so verquer war. Es bestand für mich kein Zweifel an der Verwandtschaft der beiden.

Der Tee war wider Erwarten jedoch hervorragend. Allerdings wusste ich nicht, ob mich das beruhigen sollte. Schließlich hatte ich keine Ahnung, ob man illegale Substanzen in jedem Fall herausschmecken konnte.

"Und schmeckt er dir?" Moriko sah mich noch immer so erwartungsvoll an, was mein mulmiges Gefühl nicht gerade minderte.

"Sehr gut, danke." Hoffentlich würde ich nicht gleich tot umfallen. Am Ende hatte Kamenashi seine Oma damit beauftragt, mich unauffällig aus dem Weg zu räumen, sollte ich es jemals wieder wagen, dieses Haus zu betreten. Zutrauen würde ich diesem Kerl mittlerweile alles.

"Jin, was ist die Quadratwurzel aus 121?"

"Elf", antwortete ich, ohne nachdenken zu müssen. Was war denn das für eine beknackte Frage?

"Es wirkt sogar noch besser als erwartet", murmelte sie und begann wie wild in einem Notizbuch herumzukritzeln.

Bevor ich fragen konnte, was genau sie mit ihrer letzten Aussage meinte, betrat der Grund meines Hierseins den Raum.

„Guten Morgen Oma.“ Es war das erste Mal, dass ich Kamenashi lächeln sah. Ich musste gestehen, dass er damit richtig anziehend aussah und mir das irgendwie gefiel. Natürlich bezog sich das auf rein sexueller Ebene, aber das verstand sich von selbst. Seine gute Laune hielt jedoch nur solange, bis er mich erblickte.

„Was zum Teufel willst du denn hier?“

"Dein neuer Freund wollte dich abholen“, antwortete schon Moriko für mich, bevor ich überhaupt ansetzen konnte.

„Der ist sicher nicht mein Freund“, ereiferte sich Rumpelstilzchen, wie ich ihn kurzerhand taufte, weiter.

„Ich weiß schon“, zwinkerte die alte Frau so zweideutig, dass Kamenashi sie kurze Zeit nur mit offenem Mund anstarren konnte.

„Oma! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich nicht schwul bin?

„Bi würde schon reichen“, beteiligte ich mich auch mal an der Diskussion, was Moriko erneut zum Kichern brachte.

"Lass uns fahren", zischte er wie ein Pfeifkessel, der kurz vor der Explosion stand und stürmte filmreif aus der Küche.

Ich trottete mit einem Seufzen hinterher, nachdem mir Moriko noch irgendwelche selbstgebackenen Plätzchen zugesteckt hatte.

 

"Kannst du mir verraten, was das soll?“, blökte mich Kamenashi von der Seite an, als wir in meinem Wagen saßen.

"Frag Taka, es war seine Schnapsidee, dich abzuholen."

„Was zur Hölle heckt ihr hinter meinem Rücken aus?“

Meine Geduld war wirklich langsam am Ende und das zum frühen Morgen. Auf solche Diskussionen hatte ich nämlich nicht die geringste Lust. „Weißt du was? Entweder du erträgst meine Gesellschaft und wirst kutschiert oder du lässt dich in der U-Bahn begrapschen, deine Entscheidung." Danach war endlich für eine Weile Ruhe im Karton. Natürlich hielt das nicht auf ewig, wäre ja zu schön gewesen.

"Fährst du mich dann auch wieder heim oder wie hast du dir das gedacht?", fragte er irgendwann auf halber Strecke.

"Kommt darauf an, ob wir zur selben Zeit Schluss haben. Ich warte sicher keine drei Stunden auf dich und du hast im Gegenzug bestimmt auch keine Lust, auf mich solange zu warten."

"Ich hab heute bis zur achten Stunde", kam es sogar mal recht gesittet von ihm.

"Dann kann ich wieder deinen Chauffeur spielen. Du könntest mir heute Nachmittag mal deinen Stundenplan für die restlichen Schultage zukommen lassen."

"Willst du das etwa jeden Tag fortsetzen?"

Ich antwortete mit einiger Verzögerung, weil ich vorher einen Blödarsch anhupen musste, der mir die Vorfahrt klauen wollte. "Taka wäre das jedenfalls sehr recht."

"Sag mal, wieso hast du eigentlich schon einen Führerschein? Du bist doch noch gar nicht volljährig."

"Stellst du eigentlich immer so viele Fragen?", stellte ich leicht genervt eine Gegenfrage. Der Junge konnte ganz schön anstrengend sein.

"Ich hab nur keine Lust, in illegale Machenschaften verwickelt zu werden", folgte die pampige Erklärung und Rumpelstilzchen verschränkte bockig seine Arme.

"Dann solltest du als erstes bei deiner Oma ausziehen."

"Lass gefälligst meine Oma da raus, sonst kannst du mich mal richtig kennen lernen!"

"Im Bett?", fragte ich hoffnungsvoll.

"Eher in der Folterkammer", schnaubte er ungehalten.

"Dass du eine sadistische Ader hast, war mir fast klar."

"Betrachte es als Warnung." Wie er sich so künstlich aufspielte, war beinahe niedlich. Als ob ich mich von dem Knurren eines Schoßhundes beeindrucken lassen würde.

"Klingt mehr nach Drohung. Aber wie heißt es so schön? Hunde, die bellen, beißen nicht."

"Du kannst es gerne darauf ankommen lassen."

"Ich liebe Herausforderungen", grinste ich. Und gegen ein wenig beißen hatte ich ohnehin nichts einzuwenden. Aber das behielt ich vorerst für mich, sonst würde Kamenashi am Ende schärfere Geschütze auffahren.
 

TBC

Wir freuen uns wie immer über Feedback

Bis zum nächsten Chap ~

Rich Tasks & Good Problems

Nach etwas längerer Wartezeit nun das neue Kap :)

Diesmal nur Kame :)
 

Viel Spaß beim Lesen
 


 

Kapitel 7 - Rich Tasks & Good Problems
 

Kame
 

Gegen jegliche Erwartung und natürliche Gesetzgebung schafften wir es tatsächlich, in einem Stück und ohne Schrammen an der Schule anzukommen. Wenn man die sonstigen Wirkungen verschiedener Teesorten meiner Großmutter bedachte, grenzte dies regelrecht an ein Wunder. Vielleicht war Akanishi auch nur durch weitaus stärkere Substanzen abgehärtet. Wundern würde es mich nicht, aber solange er nüchtern hinter dem Steuer verweilte, wenn ich in diesem Schlampenmagneten mitfahren musste, war es mir herzlichst egal, welche Dröhnung er sich in seiner Freizeit gab. Weniger gleichgültig waren mir jedoch die Blicke, welche auf uns lagen. Ich hatte kaum die Beifahrertür geöffnet und zum Aussteigen angesetzt, als auch schon sämtliche Gespräche auf dem Hof verstummten. Es fehlte nur noch eine verdammte Wüstenrose, welche über den Asphalt flog. Der Großteil meiner Mitschüler stand mit offenem Mund da, während ihr Spatzenhirn scheinbar versuchte, dass Gesehene zu verarbeiten. Mir wurde schmerzlich klar, dass ich einige Dinge nicht bedacht hatte. Zum einen war der Berufsverkehr um diese Uhrzeit auf den Straßen ebenso höllisch wie in den U-Bahnen, vielleicht nur mit etwas mehr Beinfreiheit. Wir hatten ungefähr doppelt so lange gebraucht, wie ich es sonst gewohnt war. Kein Wunder, dass es hier nur vor Schaulustigen wimmelte, immerhin würde die erste Stunde bald beginnen. Zum anderen: Wie konnte ich nur die Sensationsgeilheit dieser gelangweilten Gören vergessen? Ich sah es schon kommen: der Ex- Schulsprecher und sein Nachfolger auf gemeinsamen Pfaden. Wenn das mal keine Story für das Titelblatt der Schülerzeitung war.

„Wartest du auf irgendetwas?“, riss mich Akanishi aus meinen Gedanken, welchem es scheinbar überhaupt nicht auffiel, dass wir angegafft wurden wie die Paviane im Zoo. Ich krallte mich immer noch an der offenen Beifahrertür fest und wartete tatsächlich auf etwas. Dass nämlich mein verdammter Wecker jeden Moment klingelte und ich aus diesem Alptraum erwachte. Jedoch war das einzige, was demnächst klingeln würde, die Schulglocke und das, bevor ich auch nur eine meiner Aufgaben erfüllt hatte. Dieser Morgen wurde schlimmer und schlimmer und diesmal schien kein Licht am Ende des Tunnels. Ich sparte mir lieber eine Antwort und knallte diese dumme Tür endlich zu, um die Flucht nach vorn anzutreten.

„Danke für's mitnehmen, Jin! Klar, mach ich doch gerne“, hörte ich noch den trockenen Kommentar meines Fahrers. Ich hatte ihn nicht darum gebeten, unangemeldet am frühen Morgen in meiner Küche zu sitzen. Wenn er Dank wollte, sollte er sich den bei Taka holen. Von mir bekam er im Gehen nur einen Mittelfinger begleitet von einem Raunen, welches durch die Menge ging.

„Das deute ich mal als Angebot“, war das letzte, was ich vernahm, bevor ich um die Ecke bog. Irgendwann würde ich diesen Kerl umbringen. Die paar Jahre Haft waren es mir inzwischen wert.
 

Es gab viele Dinge, welche ich noch in den wenigen Jahren meiner Schulzeit erreichen wollte. Thema Nummer Eins des Tratsches zu sein, gehörte nicht dazu. Wenn jemand dachte, dass dies nur auf Mädchenschulen wirklich unschöne Ausmaße annehmen konnte, hatte scheinbar noch keinen Fuß in die Kaiseii Academy gesetzt. Ich würde noch wahnsinnig werden, wenn das Getuschel nicht bald aufhörte. So, wie ihre Blicke an mir klebten, war es nicht verwunderlich, wenn ich demnächst eine ausgeprägte Paranoia entwickeln würde. Während des Unterrichts war es beinahe unmöglich, sich zu konzentrieren, während sich meine Mitschüler um mich herum die Finger wund tippten, dümmlich kicherten und jeden produktiven Gedanken durch sekündliches Vibrieren ihrer Handys im Keim erstickten.

Wenn ich eine Hölle definieren müsste, wäre dies gerade meine Beschreibung dafür. Ich hasste negative Aufmerksamkeit und wessen Schuld war der ganze Schlamassel?

Ich blieb der Cafeteria fern und holte lieber meine versäumten Aufgaben nach, während ich die Gespräche der anderen im Großen und Ganzen ignorierte. Zumindest versuchte ich es.

„Ich hab‘ gehört, Jin wurde rausgeschmissen und lebt nun bei Kamenashi.“ Ich erhaschte den Blödsinn, bevor ich um die Ecke biegen konnte.

„Schwachsinn. Akanishi hat doch seine eigene Bude. Kamenashi wohnt bei ihm. Angeblich ist er obdachlos und Akanishi hat ihn aufgenommen.“ Es war immer wieder erstaunlich, was für ein Eigenleben Gerüchte entwickeln konnten. Ich erkannte die Stimmen nicht. Wahrscheinlich waren sie aus den jüngeren Jahrgängen. Das würde zumindest erklären, warum sie einen solchen Mist von sich gaben. Ich wusste nicht einmal, warum ich tatsächlich stehen geblieben war und meine Zeit mit diesem Tratsch verschwendete.

„Auch falsch“, mischte sich nun auch noch ein Dritter ein, welcher scheinbar den absoluten Durchblick hatte.

„Sie wohnen nicht zusammen, aber ich habe gehört, Ueda ist abgeschrieben und Kamenashi hat seinen Platz eingenommen.“ Ich brauchte zwei Sekunden, um den Sinn der Worte zu verstehen. Da fiel einem doch die imaginäre Stulle aus dem Hals.

„Unser Schulsprecher? Niemals, du verarscht uns doch.“

„Wenn ich es euch doch sage.“ Ich wollte gar nicht mehr hören. Ich machte kehrt. Das nahm Ausmaße an, welche mir ganz und gar nicht gefielen. Ich konnte mit dem Getuschel leben, aber ich würde mich nicht zu einer weiteren Bettgeschichte dieses Lüstlings degradieren lassen und was ich noch weniger brauchen konnte, waren Gerüchte über meine sexuelle Orientierung. Ich war auf meine weiße Weste angewiesen, doch seit Akanishi wieder an diese Schule ging, schien dies immer schwerer umzusetzen. Ich hatte nicht lange und hart an meinem perfekten Image gearbeitet, um es mir von einem verwöhnten, arroganten Wichtigtuer zerstören zu lassen. Langsam wurde es Zeit, etwas zu unternehmen.
 

Ich gehörte eigentlich nicht zu der Sorte impulsiver Menschen, welche kopflos handelten, aber scheinbar setzte mein Verstand gerne mal den einen oder anderen Augenblick aus, wenn es um Akanishi ging. Anders konnte ich mir nicht erklären, wie ich in Kitagawas Vorzimmer gelandet war und gerade um eine Audienz durch seine Sekretärin gebeten hatte. Ich musste von allen guten Geistern verlassen sein, mich wegen meiner eigenen Probleme in die Höhle des Löwen zu trauen. Bestimmte Situationen erforderten ultimative Maßnahmen und was konnte drastischer sein, als Kitagawa um Hilfe zu bitten? Ich konnte nur noch beten, einen Kopf zu besitzen, wenn der Rektor mit mir fertig war. Wenn dieser Mann etwas hasste, dann wegen Kleinigkeiten behelligt zu werden.

Das Telefon klingelte. Vielleicht hätte ich mein Testament vorher machen sollen.

"Du kannst jetzt rein", informierte mich die junge Frau hinter dem Schreibtisch und schenkte mir wie immer ein aufmunterndes Lächeln. Schwerfällig erhob ich mich und betrat das mir nur allzu bekannte Büro.

"Kamenashi." Wie üblich blickte der Rektor nicht einmal auf, als ich die Tür hinter mir schloss. Seine Stimme bewirkte immer wieder aufs Neue eine unangenehme Gänsehaut. Der Mann war mir einfach nur unheimlich, aber es half alles nichts. Nun gab es wirklich kein Zurück mehr.

"Was gibt es so dringendes, das es nicht bis zum wöchentlichen Bericht warten kann?" Die knöchrige Hand wies mir einen Platz zu, welchen ich nur zu gerne annahm. Ich atmete tief durch und suchte nach den richtigen Worten. Sachliche und fachliche Argumente würden hier besser zum Erfolg führen, als eine persönliche Hetzjagd.

„Nun im Grunde geht es genau darum“, griff ich mir freudig das Thema, welches Kitagawa freundlicher Weise angesprochen hatte. „Ich wollte nur klären, was noch in meinen Aufgabenbereich fällt und was nicht.“

Ich hatte seine Aufmerksamkeit. Ich wusste es in dem Moment, als seine Hand aufhörte, irgendetwas in irgendwelche Akten zu kritzeln. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, ehe der Alte endlich aufblickte und mich mit seinen trüben Augen musterte. Ich musste mich unweigerlich fragen, wie viele Jahre er schon auf dem Buckel hatte. Zumindest hatten sie ihn nicht gerade freundlicher gemacht.

„Was sollte sich an deinen Aufgaben geändert haben?“ Der Ton in seiner Stimme war lauernd, aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, sich noch weiter einschüchtern zu lassen.

„Nach Akanishis Rückkehr wäre es für mich gut zu wissen, welche Aufgaben ihm in Zukunft zufallen.“ Leider gelang es mir nicht, so neutral zu klingen, wie ich es gerne wollte. Mein Gegenüber lehnte sich in seinem riesigen Sessel zurück und musterte mich eine ganze Weile. Mir schwante Böses.

„Ich habe nicht vor, Jin mehr Verantwortung zu übertragen, als ich wirklich muss“, setzte der Rektor an, schien aber weiterhin zu überlegen, was er genau sagen wollte oder konnte. Eines war zumindest sicher: Kitagawa gehörte wohl nicht gerade zu dem großen Fankreis von Akanishi. „Im Gegenteil“, sprach der Alte weiter, "ich erwäge, deine zu erweitern. Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Punkt für uns. Wir brauchen bei der derzeitigen Wirtschaftslage jeden Sponsor, den wir kriegen können. Es missfällt mir, mich dabei voll und ganz auf Jin zu verlassen. Ich könnte besser schlafen, wenn ich jemand zuverlässiges an seiner Seite wüsste.“ Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Wenn man sich etwas mit Rhetorik auskannte, war es nicht schwer, zwischen den Zeilen zu lesen. Der Kauz dachte, endlich einen Verbündeten gefunden zu haben, einen Hammel, welcher bereitwillig den Spitzel spielte. Mein Ziel war es, endlich Ruhe vor diesem Störenfried zu finden und nicht noch mehr Zeit mit ihm zu verbringen.

„Ich bin eigentlich mit meinen jetzigen Aufgaben ganz zufrieden“, erwiderte ich und spürte, wie sich schon jetzt die Schlinge um meinen Hals zurrte. Es war ein ungleicher Kampf...

„Das war kein Vorschlag, den man zurückweist, Kamenashi“, und er gewann.

„Und wenn ich dennoch ablehne?“ Fragen kostete ja nichts.

„Der einzige Grund, warum Jin von mir an dieser Schule geduldet wird, ist, weil er uns Geld einbringt. Fällt auch nur einer unserer Sponsoren weg, müssen wir gezwungenermaßen Einsparungen vornehmen. Es wäre doch wirklich eine Schande, die neuen Clubs wieder schließen zu müssen.“ Er brauchte noch nicht einmal genauer erläutern, welche Clubs es treffen würde. Ich wusste, dass er nur einen meinte – meinen. Was blieb mir anderes übrig, als die weiße Flagge zu hissen? Er wusste, dass er mich hatte. Ich sah es an seinen Mundwinkeln, welche sich für den Bruchteil einer Sekunde nach oben zogen.

„Ich denke, wir sind uns einig.“ Ich brachte nur ein Nicken zustande und erhob mich. Bloß weg hier, bevor ich meine Haltung vergaß.

„Ach, und Kamenashi.“ Ruckartig blieb ich stehen und atmete tief durch, bevor ich mich wieder dem Rektor zuwendete. Egal, was jetzt kam, es konnte nicht mehr schlimmer werden.

„Wie ich hörte, willst du auf die Todai.“ Erneut bejahte ich die Aussage nur mit einer Kopfbewegung. Ich traute meiner Stimme nicht über den Weg und es war nicht ratsam, Kitagawa jetzt zu verärgern.

„Ein ambitioniertes Anliegen und ohne Empfehlung schwer zu realisieren. Ich bin durchaus gewillt, mich für dich einzusetzen, also enttäusche meine Erwartungen nicht.“ Er war sich seines Sieges gewiss. Am liebsten würde ich ihm gerade alles entgegen schreien, was mir durch den Kopf ging. Es erforderte meine gesamte Kraft, es nicht zu tun.

„Das werde ich nicht“, antwortete ich tonlos, ehe ich das Büro verließ.
 

Alles, was ich jetzt wollte, war Ruhe zum Nachdenken und Abstand von Akansihi. Beides würde wohl noch auf sich warten lassen, bis ich endlich zu Hause ankam.

Entgegen all meiner Erwartungen hatte er tatsächlich ausgeharrt und das, obwohl ich durch mein aufbauendes Gespräch mit unserem Rektor spät dran war. Ich ließ die dummen Kommentare schweigend über mich ergehen, während ich mich in das Auto setzte. Akanishi begriff zum Glück recht schnell, dass eine Konversation derzeitig wohl recht einseitig verlaufen würde und so schwiegen wir die Fahrt über. Ich starrte die meiste Zeit aus dem Fenster und versuchte meine Gedanken zu ordnen, was bei diesem schrecklichen Gejaule aus dem Radio gar nicht so einfach war. Ich musste mich beruhigen, denn jetzt war definitiv nicht der Zeitpunkt für weitere, überhastete Aktionen. Ich hatte ja gesehen, was diese brachten. Anstatt den Hammel endlich loszuwerden, durfte ich auch noch in meiner Freizeit sein Kindermädchen spielen. Ich hatte mir meine außerschulischen Aktivitäten dann doch etwas anders vorgestellt.

Ich seufzte erleichtert auf, als wir in meine Straße einbogen und anschließend vor dem Haus hielten.

„Dann bis morgen", verabschiedete sich Akanishi.

„Lässt sich wohl nicht vermeiden." Ich konnte gar nicht schnell genug aus der Karre und rein in mein Zuhause hechten. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Haustür, nachdem ich diese hinter mir zugeknallt hatte und atmete tief durch. Im Haus war alles ruhig. Sicher verweilte meine Großmutter bei einem ihrer unzähligen Spielabende. Konnte mir nur recht sein. Sofort, nachdem ich mir etwas Bequemeres übergezogen hatte, bediente ich mich an unserer gut gefüllten Bar im Wohnzimmer. Ich füllte mir das Whiskeyglas fast bis oben auf und schmiss mich auf die einladende Couch.

Nach dem ersten Schluck sah die Welt schon nicht mehr ganz so beschissen aus, nach dem zweiten gleich noch besser.

Ich konnte meinen Plan, nicht großartig aufzufallen und den Vorzeigeschüler zu spielen, gekonnt in die Tonne treten. Dafür verschwammen die Grenzen immer mehr zwischen meinen zwei Welten. Ich kam also nicht drum herum, Kitagawas Vorschlag in Erwägung zu ziehen. Dabei gab es nur ein Problem. Ich ging nicht davon aus, dass Akanishi so einfältig war, nicht zu bemerken, was Sache war, wenn ich mich plötzlich in seine Angelegenheiten einmischte. Ich konnte ihn schlecht anschwärzen, wenn er von meinen eigenen Leichen im Keller wusste. Ich brauchte etwas, vielleicht eine Schwachstelle, die ich nutzen konnte. Wohl oder übel würde ich mehr Informationen brauchen, welche er mir nicht bereitwillig vor die Füße werfen würde. Nun, ich musste ihn ja auch nicht persönlich befragen. Die Leute aus der Schule fielen flach, aber zum Glück gab es da noch einen, welcher perfekt diesen Zweck erfüllen konnte.

Ich war nicht sonderlich euphorisch, während ich die Telefonnummer in meinen Kontakten suchte und wählte. Taka würde mich lebendig häuten, wenn er von der Sache Wind bekäme. Der Plan war nicht perfekt, aber schien derzeit der einzige Ausweg zu sein.

"Nishikido." Im Hintergrund waren laute Geräusche zu vernehmen. Irgendjemand schien einen schlechten Tag zu haben und es gerade lautstark an einer anderen, armen Seele auszulassen. Hatte ich doch mal wieder den perfekten Zeitpunkt ausgesucht. An diesem Tag schien auch einfach nichts funktionieren zu wollen.

"Ryo…ähm, hi. Kame hier. Ich hoffe, ich störe nicht." Meine Stimme hatte einen seltsam hohen Klang. Gott, wahrscheinlich hörte ich mich an wie ein schüchternes Schulmädchen.

"Hey.“ Vielleicht bildete ich mir das nur ein, aber irgendwie schien der Ältere tatsächlich erfreut über meinen Anruf.

„Nein, störst überhaupt nicht. Die können hier auch zwei Sekunden auf mich verzichten. Was gibt's?", sprach Ryo weiter, während ich froh war, dass er mich nicht sehen konnte. Dann wollen wir mal.

"Ich hab mich gefragt, ob du vielleicht eine Ahnung hast, was so am Wochenende geht. Taka macht wieder sein Musikding und ich hab keine Lust, zu Hause zu sitzen." Zum Glück hatte ich mir den Text schon zurecht gelegt.

„Uh, das kann ich natürlich nicht zulassen, Kame-chan“

Ich kämpfte gegen den Drang, ihm deutlich zu machen, dass er sich sein „chan“ sonst wohin stecken konnte, immerhin war ich es, der ihn brauchte. Da käme es ungünstig, sich unbeliebt zu machen, bevor der ganze Spaß überhaupt begonnen hatte.

„Dann hab ich ja die richtige Nummer gewählt", antwortete ich stattdessen.

„Definitiv. Ich hoffe nur, du kannst die Konsequenzen auch händeln. Ich bin nicht umsonst das schwarze Schaf in unserer Familie. Samstag um 23 Uhr an der Shibuya Station und ..." Wieder brüllte jemand im Hintergrund. Scheinbar schien es diesmal direkt an Ryo gerichtet zu sein.

"Uhm, ich muss leider, Kame. Ich schick dir die Details per Mail. Wir sehen uns Samstag."

Bevor ich noch etwas erwidern konnte, vernahm ich schon das gleichmäßige Tuten. Das lief doch gut oder? Leider hatte ich nicht die leiseste Ahnung, auf was ich mich eingelassen hatte.
 

TBC ...
 

... dann mit Jin ^__^

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Sensation White

Kapitel 8 - Sensation White
 

Jin
 

Diese Woche war die reinste Katastrophe gewesen. Nicht nur, dass ich bei Kamenashi das Gefühl hatte, einen schweigenden Eisklotz zur Schule zu chauffieren, seine Abneigung mir gegenüber schien sich auch von Tag zu Tag zu steigern. Und ich fragte mich ernstlich, womit ich mir das verdiente! Warum ich mir das antat, wusste ich im Gegensatz sehr wohl. Ich war nun mal kein Unmensch und konnte den Gedanken nicht ertragen, wenn ein körperlich Schwächerer von alten Lustmolchen begrabscht wurde. Da stellten sich mir sämtliche Nackenhaare einzeln auf. Kamenashi schien es wohl ähnlich zu gehen, da er trotz seiner Feindseligkeit jeden früh an der Haustür auf mich wartete.
 

Neben Kamenashi hatte ich noch zwei weitere Shootings an der Backe, die an meinen Kräften zehrten. Bis zum Freitag war ich so erschöpft, dass ich es nicht einmal mehr fertig brachte, auf eine Party zu gehen. Stattdessen fiel ich nur noch in mein komfortables Bett und schlief den Schlaf der Gerechten.
 

Samstag konnte ich selbstverständlich nicht ebenso enden lassen. Erstens würde mich Koki einen Kopf kürzer machen, sollte ich nicht auf seiner Feier erscheinen und zweitens ließ das mein Ehrgefühl eines jungen Menschen nicht zu. Wochenenden zu Hause zu verbringen war nur etwas für alte Leute und solche ohne Freunde.
 

Es stand eine Schaumparty in einem angemieteten Club Downtown in Tokio an, mit dem Dresscode, komplett in weiß zu erscheinen. Koki war wirklich eine perverse Sau und seine lahme Ausrede á la Schaum ist weiß und daher wäre Kleidung in demselben Ton Pflicht, glaubte er sicher nicht einmal selbst. Da nicht nur Schaum weiß war, sondern auch Koks und allerhand Cocktails, gab es auch das in rauen Mengen zu erstehen. Zur Party waren jede Menge Schicksen und andere Leute geladen, die sich alle selbst zu wichtig nahmen. Als ich ankam, war Junno schon fleißig dabei, Weiber zu bezirzen und abzufüllen, während Koki wahrscheinlich in irgendeiner Ecke mit einer Puderzuckertüte wartete.

„Ich brauch was zu trinken“, wies ich die Bardame an und wurde nach meinen Wünschen gefragt,

„Wenn es möglich ist, einen Shot Vodka.“ Heute war ich ausnahmsweise mal nicht mit dem Auto, sondern mit der Bahn hier. Glücklicherweise hatte mir Koki im Anschluss zur Party einen Chauffeur organisiert, der mich wieder heimbringen würde, sodass ich mich zulaufen lassen konnte, sollte mir der Sinn danach stehen.

„Ich würde einen Pina Colada empfehlen“, säuselte die Bedienung und wollte wohl ihr Zeug an den Mann bringen. Da war ich aber eindeutig der falsche dafür.

„Und ich würde empfehlen, dass du mir meinen Vodka organisierst“, lächelte ich sie zuckersüß an und bekam ein paar Sekunden später endlich mein gewünschtes Getränk. Es war nicht meine Schuld, wenn Koki nicht mehr ganz knupser war und zu viel vom weißen Gesöff kaufte, dass keine Sau haben wollte. Sollte sie sich ruhig einen anderen Depp aussuchen, dem sie den Scheiß andrehen konnte.

Ich war froh, dass ich auf diesem Event ausnahmsweise keine Kontakte für das Geschäft knüpfen musste. Für die nächsten drei Monate war ich nämlich restlos ausgebucht mit diversen Shootings, Interviews und sogar einem Laufstegauftritt.

Als ich mir den Shot hinter die Binde gekippt hatte, mischte ich mich vorerst unters Volk und scannte, ob etwas Brauchbares für heute Nacht dabei war. Obwohl die Party schon eine Weile im Gang und entsprechend bevölkert war, konnte ich niemand ansprechendes ausmachen. Eine Schande! Seufzend näherte ich mich der Tanzfläche, nachdem ich den DJ noch angewiesen hatte, tanzbare Musik aufzulegen.
 

In Ermangelung eines Körpers stimulierte ich die mich umgebende Luft mit kreisenden Hüftbewegungen.

Was sich blöd anhörte, sah verdammt gut aus und es dauerte nicht lange, bis die ersten lüsternen Blicke auf mir lagen. Das veranlasste mich nur noch mehr, mich vollends gehen und vom Takt der Musik treiben zu lassen.

Junno hatte mich schon manches Mal damit aufgezogen, dass ich mit einer imaginären Gogostange tanze oder Trockenficken mit einer Unsichtbaren veranstalte. Das war jedoch der pure Neid, da er selbst immer aussah als hätte er einen epileptischen Anfall oder irgendein fieses Insekt in der Hose, was es dringend loszuwerden galt.

Als ich meinen Blick schweifen ließ, glaubte ich, Kamenashi unter den Anwesenden auszumachen. Ob das nun reines Wunschdenken oder Realität war, wusste ich nicht zu sagen. Trotz allem hatte ich einen Bezugspunkt gefunden, auf den ich mich fokussieren konnte. Für eine bestimmte Person zu tanzen, machte immer noch mehr Spaß als für sich selbst.

Unauffällig näherte ich mich besagtem Menschen und hatte inzwischen gut zu tun, niemanden dabei anzurempeln. Es war jedes Mal dasselbe Spiel mit den Feiglingen. Es musste erst irgendein Depp den Anfang machen, bevor sie sich andere trauten, die Tanzfläche zu entern.
 

Nachdem ich mich näher gekämpft hatte, stellte ich fest, dass ich mich nicht geirrt hatte. An der Wand gelehnt stand tatsächlich unser Schulstreber und starrte mit offenem Mund unmissverständlich auf meine Körpermitte - oder vielmehr auf das, was ich so aufreizend damit veranstaltete.
 

Dem DJ sei Dank setzte ein etwas ruhigeres Lied ein, sodass ich mich etwas befummeln konnte, ohne dass es wirkte, als wäre mir eine Kippe in die Unterhose gerutscht, die ich ausklopfen musste. Ich ließ meine Hände in südliche Gefilde wandern, nur um im nächsten Moment kehrt zu machen und meine Finger unter mein Hemd zu schieben. Dabei konnte ich beobachten, wie Kamenashis Mund weiter aufklappte und sich seine Augen weiteten. Es fehlte im Grunde nur noch der Sabberfaden.

Ich konnte gar nicht beschreiben, was für einen Heidenspaß es machte, ihm endlich diese Art von Reaktion zu entlocken.

Nach einigen Beats hielt ich es nicht länger aus und marschierte zu Kamenashi, um die Früchte meiner Saat zu ernten.

„Hi“, säuselte ich ihm gefährlich nahe ins Ohr, da ich meinen rechten Arm über seinem Kopf platzierte und mich zu ihm runter beugte. Zwar stand ich relativ dicht an ihm, berührte ihn aber noch nicht. Ich wollte zuerst das Wasser testen, in dem ich fischte. Es dauerte auch nicht lange, bis sich ein irritiertes Augenpaar in meines bohrte. Dieser intensive Blick aus den dunklen Iriden meines Gegenübers verpasste mir fast einen Ständer. Mir war es, als wäre es das erste Mal, dass Kamenashi keine Maske trug. Zu schade, dass es zu dunkel im Club war, um wirklich seine Emotionen ablesen zu können.
 

„Hi“, murmelte er immer noch leicht weggetreten, als realisiere er nicht ganz die Situation, in der er sich befand. Ein anzügliches Lächeln schlich sich auf meine Züge und ich beugte mich noch etwas mehr nach unten. Diese Lippen sahen einfach zu verlockend aus, um sie zu ignorieren. Uns trennten nur noch wenige Zentimeter und ich glaubte, seinen zittrigen Atem zu spüren, als auf einmal Ryo unsere traute Zweisamkeit unterbrach.

„Ich würde dir raten, deine Griffel von meinem Date zu nehmen.“ Der Schulstreber und Ryo hatten ein Date? Was zum Teufel hatte ich verpasst? Ich war tatsächlich zu verwirrt, sodass ich wie geheißen einen Schritt zurück trat und meinen Kumpel perplex anstarrte.

„Ryo!“, kam scheinbar auch Kamenashi wieder zu sich und warf sich zu meinem Entsetzen diesem regelrecht in die Arme. Jetzt war ich an der Reihe, die Szene mit offenem Mund zu verfolgen.

„Ich hab dir was zu trinken mitgebracht“, schmalzte er drauf los und überreichte Kamenashi einen Cocktail, den dieser nur zu gern annahm und fast in einem Zug zur Hälfte leerte.

„Danke“, erwiderte er lächelnd und veranlasste mich zum Augenrollen. Ich konnte kaum glauben, dass Ryo mit seiner scheinheiligen Tour ernsthaft versuchte, beim störrischen Schulsprecher zu landen. Mit seiner Süßholzraspelei würde er auf Granit beißen, sobald Kamenashi checkte, was mein Kumpel mit seiner Masche in Wahrheit bezweckte. Er würde mir fast schon leidtun, wenn meine Schadenfreude nicht überwiegen würde.

Das Klappergestell war mein Opfer und auch wenn ich Ryo nicht darüber unterrichtet hatte, hatte er trotzdem gefälligst die Finger von ihm zu lassen!

"Ich dachte, du bist nicht schwul", sagte ich an Kamenashi gewandt. Angesprochener zog seine Augenbrauen irritiert zusammen und schien nicht so recht den Grund meiner Aussage zu verstehen.

"Was meinst du?", hakte er in der Tat nach und ich unterdrückte ein triumphales Grinsen. Statt einer Antwort sah ich nur bedeutungsschwanger zu Ryo und drehte mich im Anschluss um, um Junno und Koki zu finden. Der Köder war gelegt, jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass angebissen wurde. Ryo kochte mit Sicherheit vor Wut. Kamenashi war nicht dämlich und verlangte wahrscheinlich eine Erklärung von meinem Kumpel. Ich wünschte ihm gedanklich maximale Erfolge dabei, sich da wieder herauszuwinden.
 

Ich für meinen Teil brauchte erst einmal einen neuen Drink, vielleicht auch um den Schock von eben zu verarbeiten. Es griff meinen Stolz an, dass Ryo es geschafft hatte, sich Kamenashi problemlos zu nähern und ich nicht. Andererseits versuchte ich auch nicht, die Kumpeltour abzuziehen, sondern spielte gleich mit offenen Karten. Ich fragte mich ohnehin, was sich Ryo davon versprach, wenn er doch nur auf das eine aus war. Es war für mich nämlich nur schwer vorstellbar, dass sein Interesse rein freundschaftlicher Natur war – dafür kannte ich ihn zu gut. Auch wenn ich damit ein mieses Kameradenschwein war, freute ich mich auf seine Niederlage.
 

An der Bar traf ich wie erhofft auf Koki und Junno.

„Sieht so dein Erfolg bei Kamenashi aus?“, fragte Koki mit unverhohlenem Spott. Ich stöhnte innerlich frustriert auf. War ja klar gewesen, dass den beiden die Szene nicht entgangen war.

„Alles Teil des Plans“, knurrte ich.

„Machst einen ganz schönen Aufriss nur um einen Fick“, merkte Blondie grinsend an.

„Was soll das jetzt wieder heißen?“ Langsam gingen mir diese versteckten Botschaften tierisch auf die Nüsse. Der Junge sollte Klartext reden, wenn er mir etwas mitteilen wollte!

„Ich kann mich nur nicht erinnern, dass du dich je so angestrengt hättest.“

„Es ist auch schon ewig nicht mehr nötig gewesen!“ Mussten die zwei mir noch zusätzlich Salz in die Wunde streuen? Offensichtlich schon, denn der Spott nahm kein Ende.

„Was sagt uns das jetzt?“ Am liebsten würde ich Junno sein gehässiges Grinsen vom Gesicht wischen.

„Dass Kamenashi eine harte Nuss ist?“

„Oder dass deine Fähigkeiten nachlassen.“ Koki stand gleich nach Junno auf der Liste der Leute, denen ich mal wieder Manieren einbläuen musste!

„Ey, wie kannst du das nur anzweifeln?“ Ich war wirklich entrüstet. Nur weil ein Kerl die heilige Jungfer spielte, lag das noch lange nicht an mir.

„Wann hast du das letzte Mal jemanden flach gelegt?“, fragte Junno lauernd.

„Deine Ehefrau zählt nicht“, fügte Koki noch hinzu, als ich gerade zu meiner Verteidigung ansetzen wollte. Dass sie Ueda als meine Frau bezeichneten, regte mich inzwischen gar nicht mehr auf, dafür, dass meine Quote zum Zug zu kommen in Frage gestellt wurde. Warum musste ich vor diesen Pappnasen überhaupt Rechenschaft ablegen?

„Vor drei Wochen“, gab ich zähneknirschend bekannt.

„Lass die 6-Wochen-Frist nicht verstreichen“, riet mir ein kichernder Junno. „Du weißt, dass du es ab da schwer haben wirst, neben deiner Ehefrau jemanden abzuschleppen.“

„Richtig, daher wäre es ratsam, sich nicht auf eine bestimmte Person zu versteifen“, pflichtete Koki klugscheißernd bei.

Manchmal hasste ich meine Freunde wirklich. Ernsthaft, wer brauchte da noch Feinde?

„Ich danke euch wirklich vielmals für eure Anteilnahme. Können wir jetzt endlich zum Feiern übergehen?“
 

***
 

Kame
 

Partys mit einem speziellen Dresscode waren mir schon immer ein Rätsel. Durch die Vorgaben der Gesellschaft und der aktuellen Mode rannte schon genug Einheitsbrei durch die Straße. Solche Veranstaltungen unterstützten dieses Klonfabrikschema nur noch mehr. Ich fühlte mich in den weißen Klamotten nicht unbedingt wohl, doch trugen sie ganz gut zu meiner Tarnung bei. Leider nicht gut genug, sonst wäre mir der Zwischenfall mit Akanishi erspart geblieben.

„Date?“, fragte ich mit gerunzelter Stirn, nach dessen gekonnten Abgang. Ryo zuckte nur mit den Schultern und grinste dümmlich.

„So nennt man eine Verabredung.“

„Mit der Intention, den anderen flachzulegen“, fügte ich argwöhnisch hinzu, da ich nicht davon ausging, dass dieser Zusatz dem Älteren unbekannt war. Ich traute dem Braten nicht, aber wahrscheinlich war ich wirklich paranoid.

„Hey, ich bin nicht Jin“, erwiderte Ryo leicht gekränkt und hob abwehrend die Arme. „Ich weiß mich zu benehmen. Außerdem hast du sein Gesicht gesehen. Göttlich.“ Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm glauben sollte. Andererseits war er Takas Cousin. Es gab eigentlich keinen Grund, es nicht zu tun.

Also nickte ich nur und widmete mich lieber dem Cocktail. Was würde ich gerade für einen guten Whiskey tun.

Ich wusste vorher, dass die Möglichkeit bestand, auf Akanishi zu treffen, nur hatte ich es nicht so erwartet. Ich musste irgendwie diese Bilder aus meinem Schädel bekommen und Alkohol war bekanntlich ein Allheilmittel.

„Danke Ryo, dass du mich vor diesen gemeingefährlichen Perversen gerettet hast“, holte mich mein Begleiter aus meinen Gedanken, bevor diese erneut eine gefährliche Richtung einschlagen konnten.

„Und ich dachte, ihr wärt Freunde?“ Die Frage brannte mir schon seit ihrem Zusammentreffen auf den Lippen. Anscheinend gab es da doch die ein oder andere Spannung zwischen den Beiden. Vielleicht war die Wahl sich an Nishikido zu hängen, doch nicht so verkehrt gewesen.

„Das heißt nicht, dass ich sein Benehmen gutheißen muss, oder?“, erklärte dieser plausibel.

Es war beruhigend, dass nicht jeder aus Akanishis Freundeskreis gehirnamputiert zu sein schien.

„Danke Ryo“, antwortete ich daher lächelnd und ich meinte es wirklich so. Wer wusste schon, was passiert wäre, wenn er nicht rechtzeitig aufgetaucht wäre. Oh Gott, und da waren sie wieder, diese Bilder und das Gefühl von seinem Atem auf meiner Haut. Irgendetwas zog sich unangenehm in meinem Magen zusammen.

„Immer wieder gern, Kleiner.“ Ich hörte die Worte kaum mehr, sondern nuschelte nur irgendetwas von 'eine rauchen gehen', ehe ich mich in Bewegung setzte.
 

Die Terrasse im Hinterhof war leer, was bei den Temperaturen draußen nicht unbedingt verwunderlich war. Drinnen herrschte kein Rauchverbot, also gab es keinen Grund, sich hier den Arsch abzufrieren. Genau der richtige Ort für mich und meinen Zustand.
 

Das Nikotin beruhigte meine Nerven und die frische Luft draußen half wieder, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Kälte machte mir nichts aus, denn ich spürte immer noch die verräterische Hitze in mir. Es war lange her, aber dieses Gefühl war mir leider noch allzu gut bekannt. Ich durfte nicht riskieren, dass der ganze Schlamassel wieder von vorne losging. Das hier war nicht Osaka. Hier ging es um etwas - meine verdammte Zukunft. Es würde ein Ding der Unmöglichkeit sein, die Gerüchte in der Schule in den Griff zu bekommen, wenn ich dasselbe nicht einmal mit meinen eigenen Hormonen schaffte. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, wer diese kleine Szene alles beobachtet hatte.

Noch mehr fürchtete ich mich jedoch davor, was Akanishi gesehen haben könnte. Ich brauchte einen Plan und das so schnell wie möglich.

„Entschuldige, hast du Feuer?" Ich drehte mich überrascht um und blickte in große braune Augen. Das hübsche Gesicht war von hellbraunen Locken umrandet.

"Uhm, natürlich." Eigentlich war ich nicht der Typ, der an so etwas wie Schicksal glaubte, aber es schien, als ob mir eine höhere Macht plötzlich alle Antworten auf einem Silbertablett servierte, verpackt in einem engen, weißen Minikleid. Der Abend würde definitiv doch noch interessant werden.

„Danke", lächelte sie freundlich, nachdem ich ihr die Zigarette angesteckt hatte und streckte mir ihre zierliche Hand entgegen, "Rina."

"Kazuya", erwiderte ich ebenso schmunzelnd.

„Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich dir hier draußen etwas Gesellschaft leiste.“ Ihre Stimme war ebenso süß, wie die Aussicht auf die kommende Nacht.

„Wie könnte ich.“ Schon allein, weil ich vor ihren Zähnen keine Angst haben musste, dass ich mich tödlich verletzten könnte. Sie waren perfekt, wie ihre ganze Erscheinung. Genau das, was ich jetzt brauchte.

„Gott sei Dank. Um ehrlich zu sein, ich hab dich raus gehen sehen und dachte mir ich nutze die Chance.“

Und nun war es an mir, meine zu nutzen, nur vielleicht nicht in der Kälte hier draußen. Auch wenn drinnen mein schlimmster Alptraum frei herum lief, so wäre es doch eine Schande, mir mein Zepter abzufrieren, bevor ich es überhaupt schwingen konnte. Daher schlug ich vor, diese ganze Kennenlernen-Scharade an die Bar zu verlegen. Wehe dieses unnötige Vorspiel würde nicht zum Erfolg führen.
 

Es gab nur eine Person in diesem Club, welche mir meinen Triumph jetzt noch zunichtemachen konnte, aber ich hatte nicht vor, mich diesem Individuum mehr als nötig zu nähern.

"Oi, Kame." Ich musste mich berichtigen. Es waren zwei. Zum Glück stellte Ryo, welcher gerade auf mich zu stürmte, das weitaus kleinere Übel dar. Der Ältere blickte erst mich, dann Rina und letztlich unsere ineinander verschlungenen Hände an. Es schien in seinem Hirn zu rattern. Sehr gut, jeder normale Kerl würde die Situation verstehen und sich verdünnisieren.

„Ich hab dich schon gesucht. Ich hab ein paar Leute getroffen, welche ich dir vorstellen wollte“, sprach er dennoch und ich wollte am liebsten meinen Schädel mit der nächsten Wand benutzen. Dann musste es wohl etwas direkter sein.

"Sorry, ich fürchte meine Aufmerksamkeit wird anderweitig benötigt", erklärte ich grinsend,

während ich auf seine Schulter klopfte, "verstehst schon."
 

Die Meute schien sich inzwischen komplett auf der Tanzfläche versammelt zu haben. Von der Decke flogen ohne Unterlass kleine Schaumwolken nach unten. Bei der Menge würde der gesamte Club in den folgenden Stunden völlig unter Wasser stehen, aber ich wollte mit dieser Diagnose lieber nicht die Massenorgie stören. Sie würden wohl auch kaum auf mich hören.

Mein Plan, Flüssigkeiten durch meine Kehle und nicht meine Kleidung aufzunehmen, wurde leider im Keim erstickt, als ich Akanishi und seine zwielichtigen Freunde an der Bar stehen saß. Ich stoppte abrupt, sodass Rina quasi in mich hinein rannte.

„Uhm, wie wäre es, wenn wir den Drink auf später verschieben und lieber ein kleines Bad nehmen?“, erklärte ich mit einem gewinnenden Lächeln und erntete ein begeistertes Nicken. Warum auch immer sich Fortuna entschieden hatte, einmal auf meiner Seite zu stehen, ich hoffte mein Glück würde noch eine Weile andauern.

Wir schlossen uns der Menge an. Ich war vielleicht kein Akanishi, welcher die Tanzfläche in seinen eigenen Poletable verwandelte, aber ich wusste durchaus nicht auszusehen, als hätte ich einen Anfall, wie die meisten Idioten hier. Vor allem nicht mit einer solchen Partnerin. Unsere Bewegungen passten sich perfekt aneinander an. Warum die Zeit mit Worten verschwenden, wenn man sich doch so viel besser kennen lernen konnte.
 

Meine Klamotten sogen sich langsam mit der Feuchtigkeit voll. Ich war froh, mich doch für eine Jeans entschieden zu haben. Wenigstens blieb so die untere Hälfte meines Körpers unentblößt, wenn sich schon mein Shirt der Transparenz zuwandte.

Ein bekanntes Gefühl breitete sich in mir aus. Es war dasselbe Kribbeln wie vorhin. Ich konnte nichts durch die grellen Lichter erkennen. Vielleicht bildete ich mir das alles auch nur ein, aber es schlich sich mir immer wieder der Gedanke ein, dass es diesmal Akanishi war, der mich beobachtete. Gott, ich sollte dringend etwas gegen diesen Zustand tun. Ich zog Rina noch etwas näher an mich. Das war besser. Kein Akanishi, sondern Brüste.

„Ich werde langsam durstig. Was hältst du davon, den Drink bei mir zu nehmen?“, wisperte sie mir ins Ohr, während in meinem Hirn kleine Engelchen sangen. Ich hatte es wirklich bitter nötig. Ich nickte nur und ließ mich von ihr einfach durch die Menge lotsen. Wenn es im Moment nicht gerade so etwas von unpassend wäre, würde ich mir selbst auf die Schulter klopfen. Irgendein Depp würde uns schon zusammen abhauen sehen und sämtliche Gerüchte wären passé. Morgen früh würden sich alle meine Probleme in Luft aufgelöst haben. Dann musste ich nur noch dafür sorgen, dass Akanishi dasselbe tat, aber alles nacheinander. Jetzt galt es erst einmal etwas für mich und meine durcheinander geratene Hormone zu tun.
 

TBC

Soggy Dreams

Kapitel 9 - Soggy Dreams
 


 

Jin
 

Kamenashi rauschte mit dem einzigen hübschen Mädel der gesamten Party ab, um sich wohl selbst zu beweisen, dass ihn das weibliche Geschlecht immer noch mehr anmachte als ich ihn. Und ich nutzte daraufhin die Gelegenheit erst Ryo auszulachen und mich danach bei Koki zu beschweren, dass nur hässliche Menschen geladen waren. Wie sollte ich bitte seinen und Junnos weisen Rat befolgen, jemand anderen als Ueda zu vögeln, wenn er mich nicht einmal dabei unterstützte? Und jemanden, der mir nicht gefiel, flach zu legen, hatte ich bei meinem eigenen Aussehen nun wirklich nicht nötig.

Mir blieben also nur zwei Optionen, um mein Wochensoll zu erfüllen: Ueda anzurufen und zu hoffen, dass er Zeit für mich hatte oder auf eine andere Party zu gehen und dort mein Glück zu versuchen. Die erste Variante befand ich bei weitem effizienter. So marschierte ich zur Garderobe, um mir mein Handy geben zu lassen. Ich war schon dabei, Tatsuyas Nummer aus meiner Kontaktliste zu suchen, als ich auf einmal selbst einen Anruf erhielt. Ein Blick auf den Namen zauberte mir ein monströses Lächeln auf die Lippen.

„Hallo, Jin am Apparat“, säuselte ich erfreut in die Sprechvorrichtung.

„Hey Jin, hier ist Kazuki. Ich hoffe, du erinnerst dich noch an mich.“ Weder konnte ich sein hübsches Gesicht noch seine erotische Stimme aus meinem Gedächtnis verbannen. Aber das würde ich ihm sicher so nicht mitteilen.

„Ich hatte schon vor zwei Wochen mit einem Anruf gerechnet“, seufzte ich theatralisch.

„Ich wollte nur deine Vorfreude steigern“, lachte es am anderen Ende auf. „Du schuldest mir noch einen Beweis.“

„Jetzt sofort? Du musst wissen, ich stehe nur ungern bei jemandem in der Kreide.“

„Wo bist du denn?“ Ich nannte ihm die Adresse und ließ mir schon mal meinen Mantel geben. Ich hatte es im Gefühl, dass ich mich gleich auf den Weg zu meinem nächsten Fick machen würde. Und es war nicht Ueda, halleluja.

„Das ist nur drei Blocks von dem Club entfernt, aus dem ich gerade raus bin.“

„Wenn das mal kein Schicksal ist“, flötete ich. „Ich bin auch gerade am Gehen. Du kannst gerne zum Eingang vom Club kommen und ich organisiere uns währenddessen einen fahrbaren Untersatz.“

Nach seiner Zustimmung suchte ich Koki auf, der mir ja auch noch einen Chauffeur versprochen hatte.

Knapp 40 Minuten später befand ich mich mit der gepiercten Schönheit von der Party vor drei Wochen in meinem Apartment.

„Mach’s dir bequem“, riet ich meinem Gast und schälte mich nebenbei aus Mantel und Schuhen.

„Warum bist du eigentlich komplett weiß gekleidet? Bist du etwa ein Engel?“ Dieser rotzfreche Kerl versuchte ja nicht einmal, den Sarkasmus aus seiner Stimme zu verbannen. Gedanklich spielte ich bereits die eine oder andere Erziehungsmaßname für ihn durch.

„Finde es doch einfach heraus“, erwiderte ich schlicht und sah ungeduldig dabei zu, wie er sich die Schuhe aufband. Als er mir einen Blick von unten herauf in seine fast schwarzen Augen gewährte, fühlte ich mich unwillkürlich an die Szene mit Kamenashi erinnert, die noch nicht allzu lange vergangen war. Es war nicht exakt der gleiche Winkel, aber es reichte, um mich scharf wie Hulle zu machen und ich fühlte mich nicht mehr imstande, mich auch nur eine Sekunde länger zurückzuhalten. Kurzerhand zog ich ihn nach oben und schob ihn gegen die nächste Wand. Ich gab meinem Impuls nach und küsste ihn so, wie ich es mit Kamenashi vorgehabt hatte. Seine Reaktion war auch genau, wie ich es mir gewünscht hatte. Er empfing mich mit offenen Armen und seiner warmen Zunge, die meine ohne zu zögern umspielte. Ich drängte mich näher an Kazuki und ließ meine Hände zu seinen Hüften gleiten. Es kostete mich all meine Beherrschung, ihm nicht sofort die Klamotten vom Leib zu reißen und ihn im Flur zu nageln. Krampfhaft zügelte ich mein Verlangen und öffnete, wie ich hoffte, gesittet seine Hose, um meine Hand als nächstes darin verschwinden zu lassen. Das erschrockene Keuchen, was sich dank meiner Anstrengungen recht schnell in ein erregtes wandelte, war wie Musik in meinen Ohren Ob ich ihm sagen sollte, dass er einen Haufen Kohle verdienen würde, wenn er in einer Sex-Hotline arbeiten würde?

„Wollen wir das nicht lieber ins Schlafzimmer verlegen?“, versuchte er unter Stöhnen hervorzubringen.

„Sicher, dass du es noch so lange aushältst?“, grinste ich spöttisch gegen seinen Hals und verteilte im Anschluss - im Kontrast zu den rauen Bewegungen meiner Hand - hauchzarte Küsse auf der empfindlichen Haut.

„Oh Gott“, flüsterte er heiser und ich verkniff mir lieber den dummen Spruch, der mir zu diesem Kompliment einfiel. Stattdessen stellte ich das Vorspiel ein und hob ihn auf meine Arme. Mit schnellen Schritten war ich an seinem Wunschort angelangt und schmiss ihn aufs Bett, um ihm die restliche Nacht noch viel entzückendere Laute zu entlocken.
 

Montag kam für meinen Geschmack eindeutig zu schnell. Viel lieber hätte ich mich noch einen weiteren Tag mit Kazuki in den Kissen gewälzt. Entgegen meiner Erwartungen war er nicht sofort abgerauscht, sondern hatte noch ein paar Stunden am Sonntag in der Waagerechten mit mir verbracht. Da wir erst nachmittags erwacht waren, verabschiedete er sich in den späten Abendstunden von mir und hatte mir somit Gelegenheit gegeben, meinen Akku komplett zu füllen. Die nächste Schulwoche würde ich wohl ohne sexuelle Aktivitäten überstehen und trotzdem mit einem zufriedenen Grinsen durch die Welt laufen können.
 

Leider fror mir langsam mein Grinsen ein, da ich schon seit 5 Minuten fingertrommelnd im Auto saß und sich noch immer kein Kamenashi in mein Sichtfeld schob. Was zum Teufel trieb der Kerl heute so lange? Normalerweise war der die Pünktlichkeit in Person und ich konnte schon beinahe die Uhr nach ihm stellen, aber heute verspätete er sich offensichtlich. Seufzend stieg ich aus meinem Wagen und beschloss, noch eine zu rauchen. Ich würde Kamenashi weitere 5 Minuten gewähren und mich erst dann in die Drogenhölle vorwagen. Wer wusste schon, was die Oma mir wieder andrehen würde, sollte ich so mutig sein, ein weiteres Mal zu klingeln.
 

Ich hatte gerade erst den dritten Zug von meiner Kippe genommen, als ein eindeutig verschlafenes und zerwuscheltes Etwas aus der Haustür trat. Skeptisch hob ich eine Augenbraue und beobachtete, wie es auf dem Weg zu mir versuchte, Ordnung in sein unfertiges Erscheinungsbild zu bekommen.

„Du hast doch nicht etwa verpennt?“, fragte ich amüsiert, als Kamenashi neben mir zum Stehen kam.

„War ein schweißtreibendes Wochenende“, teilte er mir schnippisch mit. Seine kratzige Stimme, die verriet, dass er wirklich noch nicht sehr lange wach sein konnte, verharmloste jedoch seinen Tonfall. Mir war trotzdem klar, auf was oder vielmehr auf wen er anspielte. Er sollte also genau so viel Spaß gehabt haben wie ich. Dennoch schien er alles andere als entspannt zu sein. Vielleicht war das Mädel nicht gut im Bett gewesen, wobei ich das ehrlich gesagt bezweifelte. Auf der Tanzfläche hatten die zwei jedenfalls eine pornoreife Darstellung abgeliefert.

„Können wir?“, fragte ich, als ich fertig geraucht hatte und stieg schon mal auf der Fahrerseite ein.

„Du kannst mich gerne mal…“, hörte ich es murmeln, als er neben mir Platz nahm.

„Ficken?“, unterbrach ich ihn grinsend.

Den Blick, den ich im Anschluss kassierte, ließ mich sogleich abwehrend meine Hände heben. Der Kerl hatte es wirklich drauf, einen mit Blicken einzuschüchtern.
 

„War nur eine Frage“, lachte ich und startete lieber den Motor. Ich fragte mich wirklich, was für seine gereizte Stimmung verantwortlich war. Vielleicht hatte er keine Zeit mehr gehabt, um einen Kaffee zu trinken? Genau das fragte ich ihn und ich erhielt ein zustimmendes Knurren. Na, wenn das mal keine Möglichkeit für mich war, den strahlenden Helden zu mimen. Unterwegs zur Schule hielt ich an einem Konbini und versorgte ihn mit seinem heißgeliebten Getränk. Ich mochte vielleicht nicht viel über ihn wissen, aber ich war noch lange nicht zu blind, um zu sehen, wie er permanent in der Schule einen Becher mit dieser dampfenden Flüssigkeit in der Hand hielt

„Danke“, sagte er perplex und schien nicht so recht zu wissen, wie er mit meiner Gefälligkeit umgehen sollte. Vermutlich nahm er an, dass nur irgendeine böse Absicht dahinter stecken konnte. Ganz so abwegig wäre dieser Gedanke natürlich nicht, da ich durchaus vorhatte, ihn damit zahm zu kriegen. Ich hatte wahrhaftig keine Lust, tagtäglich eine tickende Zeitbombe zu kutschieren.
 

Kamenashi nippte gedankenverloren an seinem Getränk, während ich mich wieder in den Verkehr einfädelte. Wir schwiegen uns an, bis wir auf einmal an einem riesigen Poster von mir vorbei kamen, von dessen Anblick meinem Beifahrer zuerst der Mund aufklappte und dann ein ungläubiges „Was zum Teufel?“ entwich. Die Werbeagentur hatte mir zwar versprochen, das Plakat, auf dem ich oberkörperfrei und mit einem zu vermarktenden Erfrischungsgetränk zu sehen war, auf die gut besuchten Straßen Tokios zu platzieren, aber dass es so riesig sein würde, hatte ich nicht gedacht.

Ich beobachtete aus dem Augenwinkel, dass Kamenashi immer noch starrte. Einmal mehr hatte ich ein riesiges Grinsen auf meinen Lippen und fragte: „Möchtest du einen Abzug haben?“

„Ich bin nur fasziniert, was heutzutage alles mit Photoshop möglich ist.“ Der Kleine hatte wirklich Humor, aber so gar keine Ahnung, was er da laberte. Daher lachte ich nur und sagte nichts dazu. Er würde schon noch feststellen, dass es bei mir nichts gab, was retuschiert werden müsste.
 


 

Kame
 

Der Club war gut gefüllt. Ich suchte mir meinen Weg durch die Menge auf die Tanzfläche. Die Lichter flackerten passend zu der dröhnenden Musik. Der Beat nahm mich gefangen und ich stimmte jede meiner Bewegungen auf den Klang ein. Ich wollte einfach nur tanzen und alles um mich herum vergessen. Dies gelang mir sogar für einige Augenblicke, bis ich deutlich die Gegenwart eines zweiten Körpers spürte, welcher sich mir von hinten näherte. Ein paar fremde Hände legten sich auf meine Hüften und bewegten sich nach vorn. Zwischenzeitlich ließ sich der Unbekannte völlig auf meine Bewegungen ein. Seine Wärme schien auf mich überzugreifen und ein angenehmes Kribbeln zog hinab in meine Lenden.

Die Finger schlüpften fordernd unter mein Shirt, wo sie federleicht über meine Haut wanderten. Ich erinnerte mich nicht, je so empfindlich auf eine Berührung reagiert zu haben, aber ich konnte nicht anders, als mich sofort nach mehr zu sehnen. Ein Seufzen entfloh meinen Lippen. Die Musik und jeder Anwesende war vergessen. Alles, was nun noch zählte, war die namenlose Gestalt hinter mir und was sie mit mir anstellte.

Heiße Luft wurde gegen meinen Nacken gehaucht, bevor sich ein paar weiche Lippen diesem widmeten. Meine Begierde nahm sekündlich zu, während ich unter den talentierten Händen immer wieder erzitterte. Ich drückte mich näher an den fremden Körper, dessen eigene Erregung merklich zu spüren war.

In diesem Moment wurde mir allzu deutlich bewusste, wer dort hinter mir stand und ich konnte ein lautes Stöhnen nicht mehr unterdrücken: „Jin.“
 

Ich versuchte meine unregelmäßige Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen. Mein Herz hämmerte heftig gegen meinen Brustkorb, während ich in die Dunkelheit starrte. Die Realität war gerade nicht das Härteste in meinem Zimmer. Meine Körpermitte pochte unangenehm und verlangte schmerzlichst nach Aufmerksamkeit, welche ich nicht bereit war zu geben. Es war schon beschämend genug, von diesem Kerl zu träumen, aber so tief zu sinken, dass ich mir kurz danach einen runter holte, würde ich definitiv nicht. Gott, wie konnte das nur passieren. Gestern Nacht hatte ich noch verdammt guten Sex mit einem heißen Mädchen gehabt. Alles schien super nach Plan zu laufen und jetzt das! Frustriert setzte ich mich auf und fuhr mir durch die zerzausten Haare. Ich musste mich beruhigen. Es war nur ein Traum, nichts weiter. Eine kalte Dusche und Kaffee würden helfen. Zumindest dachte ich dies in meinem jugendlichen Leichtsinn. Ein Blick auf meinen Wecker und mir wurde das wahre Ausmaß der Katastrophe bewusst. Das Gerät zeigte 6:59 Uhr in seinen großen, rot leuchtenden Ziffern an. Klasse!

„Fuck“, entfuhr es mir lautstark, während ich meine Decke zurückwarf und panisch aus dem Bett krabbelte. Ein Blick aus meinem Fenster verriet mir, dass Akanishi leider pünktlich war, denn sein Wagen stand bereits vor unserem Haus. In Rekordzeit warf ich mir meine Uniform über und packte mit der Zahnbürste im Mund meine Sachen zusammen, ehe ich nach unten hechtete. Zum Glück hatte sich mein standfestes Problem bei der Hektik schneller erledigt, als ich erigo hätte deklinieren können.

„Warum hast du mich nicht geweckt?“, grüßte ich meine Großmutter nicht gerade freundlich, welche seelenruhig in der Küche saß und Gott weiß was in ihren Kessel schmiss. Sie blickte mich daraufhin nur geschockt an.

„Hast du verschlafen? Soll ich den Arzt rufen?“

„Was? Nein! Ich muss los“, erwiderte ich energisch, während ich meinen Mantel überwarf, in die Schuhe schlüpfte und nebenbei versuchte, meine restlichen Klamotten zu richten.

„Kazuya, dein Kaf...“, hörte ich noch, bevor ich die Haustür hinter mir zuschmiss und zu dem Menschen ins Auto steigen musste, den ich gerade am wenigsten sehen wollte.
 

Noch weniger wollte ich jedoch dieselbe Person in überdimensionaler Größe auf einem großen Kaufhaus aufblitzen sehen. Ich versuchte diesen Anblick auf dem restlichen Weg zur Schule halbwegs zu verarbeiten, was in meinem derzeitigen Zustand ein Ding der Unmöglichkeit darstellte. Warum wurde ich nur immer mit so viel Grausamkeit an einem Tag gestraft?

„Danke nochmal für den Kaffee“, verabschiedete ich mich hastig, nachdem wir auf dem üblichen Platz geparkt hatten. 'Und für das nette Bild, was sich in meine Netzhaut gebrannt hatte und von dort dringend wieder verschwinden musste', fügte ich in meinen Gedanken hinzu. Noch einen Traum der gleichen Art würde ich nicht überleben. Irgendetwas stimmte nicht mit mir und ich brauchte dringend Rat. Ich schrieb im Laufen Taka eine Nachricht, dass er sich eiligst bei mir melden sollte. Wozu waren denn sonst beste Freunde da.
 

Leider blieb während der gesamten Zeit mein Handy stumm und mein Hirn auf Sparflamme. Am Ende des Tages konnte ich mich an kein einziges Detail erinnern, welches uns von den Lehrern näher gebracht wurde. Wenn das so weiterging, konnte ich mich getrost von meinem 1,0 Durchschnitt verabschieden und gleich von sämtlichen Zukunftsplänen dazu. Seufzend wählte ich nun schon zum x-ten Mal die Nummer meines Kumpels, doch es antwortete mir immer nur diese dämliche Mailbox.

Ich seufzte erleichtert, als es endlich an der Zeit war, nach Hause zu fahren. Das einzige, was ich mir jetzt noch wünschte, war eine warme Dusche und mein Bett.

„Fertig?“, fragte mich Akanishi, welchen ich am Gebäudeeingang traf. Ich nickte nur zur Antwort und wir machten uns zu zweit auf den Weg zum Parkplatz.

„Kazuya?“ Ich blieb irritiert stehen. Nicht, dass es verwunderlich war, meinen Namen zu hören, aber eine weibliche Stimme auf dem Gelände zu vernehmen, war dann doch etwas seltsam. Ich drehte mich in die Richtung und bereute es im gleichen Moment, als ich den Ursprung erspähte.

„Bleibt mir heute auch gar nichts erspart“, zischte ich leise und wägte ab, was nun zu tun war. Umdrehen und sie einfach ignorieren, war vielleicht nicht die netteste Art, aber eine verlockende Alternative.

„Ist das nicht dein Blinddate?“ Wenigstens hatte ich keine Wahnvorstellungen, wenn der Ältere das Elend ebenfalls sehen konnte.

„Ich befürchte es. Wie ist sie hier hereingekommen?“

„Hat sich wahrscheinlich durch das Gitter gebissen.“

„Hoffentlich hat sie dabei ein paar ihrer Trümmer verloren.“ Wir grinsten uns gegenseitig wissend an, bevor mir plötzlich bewusst wurde, was hier soeben geschah. Scherzte ich gerade mit diesem Hammel? Wirklich? Ich brauchte unbedingt Schlaf, damit mein Hirn wieder funktionierte.
 

In der Zwischenzeit hatte besagtes Elend leider zu uns aufgeschlossen und strahlte mich förmlich an. Leider schien das Gatter am Tor nicht hart genug gewesen zu sein, denn alles war noch an seinem angestammten Platz.

„Hi“, erwiderte ich kühl und suchte in meinem Hinterstübchen nach ihrem Namen. Akiko? Makiko? Ich kam einfach nicht mehr darauf und ich bezweifelte, dass mir Akanishi in dieser Sache weiterhelfen konnte.

„Ich habe dich nicht erreicht und befürchtet, dein Telefon wäre kaputt“, fing sie auch schon an, ihre überflüssige Anwesenheit zu erklären. Wenn eine Wand in der Nähe gewesen wäre, hätte ich diese zu gerne mit meinem Schädel benutzt.

„Deswegen gehst du nicht ran und ich dachte kurzzeitig, du könntest mich nicht leiden“, fing Akanishi sogleich das Thema auf und schmunzelte idiotisch in meine Richtung. Ich war heute wirklich gestraft.

„Hättest du meine Rauchzeichen richtig gedeutet, wüsstest du das“, erwiderte ich bissig.

„Du schickst mir Rauchzeichen? Das ist so romantisch“, kam die e Antwort und mir wurde bewusst, dass ich immer noch nicht nachgeschlagen hatte, was die Mindeststrafe für Mord war.

„Das nächste Mal nehme ich lieber eine Briefbombe. Vielleicht verstehst du dann die Nachricht besser.“

Ich würde mich ja zu gerne weiter auf diese spannende Konversation konzentrieren, aber diese Zähne lenkten mich einfach ab. Es war wie ein Autounfall. Konnte sie uns nicht wenigstens mit geschlossener Futterluke angaffen?

„Was kann ich für dich tun?“, wandte ich mich also an unseren entzückenden Gast, welcher leicht überfordert mit der Gesamtsituation zu sein schien. Die Kapazität ihres Spatzenhirns war wohl an seine Grenzen gestoßen. Es fehlte eigentlich nur noch der Dampf, welcher durch ihre Ohren entwich.

„Ich…also ich wollte fragen, ob du heute Zeit hast. Deine Großmutter meinte, ich könnte dich hier finden und dass dein Nachmittag frei wäre.“ War ja klar, dass meine Oma hinter der Sache steckte. Wer brauchte schon Feinde, wenn man Familie hatte. Leider war natürlich dadurch meine sonst so typische Ausrede á la im Haushalt helfen und den guten Enkel spielen passé. Gerade heute musste mein Hirn auf Energiesparmodus geschaltet sein. Ich warf einen verzweifelten Blick auf Akanishi, während ich meine letzten, verbleibenden Zellen anstrengte.

„Ähm...“

„Leider ist er schon verabredet. Mit mir um genau zu sein“, rettete mich tatsächlich mein Mitschüler aus dieser prekären Lage. Ich konnte nicht anders, als ihn erneut skeptisch anzustarren. Irgendwas war hier doch im Busch.

„Oh, lässt sich das nicht verschieben?“, fragte sie und versuchte dabei scheinbar süß zu wirken, indem sie ihre Glubschen aufriss, als würde sie gleich vom Bus überfahren werden.

„Nein, es ist wichtig“, bestätigte ich und hatte das Gefühl gerade vom Regen in die Traufe zu wandern.

„Aber…“.

„Nichts aber. Hast du keinen Friseur, den du nerven kannst oder versuch es am besten gleich beim Kieferchirurgen“, fiel ihr Akanishi harsch ins Wort, welcher scheinbar gerade dabei war, seine Geduld zu verlieren. Ich biss mir dagegen beinahe schmerzhaft auf die Zunge, um nicht laut los zulachen. Ihr Gesicht war einfach göttlich. Es dauerte etwas, bis ich in Lage war, eine mehr oder weniger ernste Antwort zu geben.

„Tja, sorry. Ruf mich an“, brachte ich mit einigen verräterischen Glucksen von mir, während wir schon mal die Flucht antraten.

„Aber dein Telefon...“, war das letzte, was ich vernahm, ehe wir um die Ecke zum Parkplatz bogen. Ich für meinen Teil konnte nicht sagen, jemals so froh über die Tatsache gewesen zu sein, in dieser Karre zu sitzen. Ich atmete tief durch. Was für ein Tag.

„Danke für die Rettung“, bedankte ich mich nun schon wieder bei dem Älteren.

„Was krieg' ich dafür?“, kam die schlichte Antwort gefolgt von diesem typischen Grinsen in seinem Gesicht.

„Bitte?“ Ich wusste, an diesem ganzen Samaritergetue war etwas faul.

„Erst der Kaffee heute Morgen, dann das jetzt. Für meine Hilfe will ich entlohnt werden, immerhin gehöre ich nicht zur Wohlfahrt.“ Jetzt ging es aber los. Wovon träumte der Junge nachts? Okay, das wollte ich lieber nicht wissen.

„Du hast mir doch schon geholfen. Warum sollte ich dir jetzt noch was dafür geben“, wies ich ihn lieber auf diese Tatsache hin und zog gedanklich meinen Kopf schon aus seiner Schlinge.

„Oh, ich glaub, wenn wir uns beeilen, finden wir sie noch. Dann kannst du ihr bei ihrer Gebissreinigung helfen.“ Nur um ihn hineinzustecken und Akanishi fester zuziehen zu lassen. Das konnte doch nicht sein ernst sein. Da er gerade den Schlüssel in das Zündschloss steckte und den Motor startete, schien es ihm jedoch verflucht ernst zu sein.

„Warte!“, entgegnete ich panisch. „Was willst du?“

„Mhh…die Bank Akanishi akzeptiert nur Bezahlung in Naturalien.“ Ich starrte meinen Fahrer fassungslos an. Gab es eigentlich einen Moment, in welchem dieser notgeile Bock nicht an Sex dachte? Wahrscheinlich nicht. Noch schlimmer war allerdings die Tatsache, dass sich ein kleiner Teil von mir nicht einmal daran störte. Mutmaßlich jener, bei dem ich mich auch für diesen fantastischen Traum bedanken durfte.

„Vergiss es.“

„Meinst du, sie nimmt die U-Bahn oder den Bus?“, grinste Akanishi vergnüglich. Oh dieser Arsch. Ich konnte es nicht fassen, dass ich ernsthaft dabei war darüber nachzudenken oder noch bedenklicher, nachzugeben.

„Okay.“ Ich atmete tief durch. „Was…genau?“

„Ein Blowjob wäre okay…“

„Wenn du deinen Schwanz noch eine Weile behalten willst, solltest du meinem Mund damit nicht zu nahe kommen!“, fiel ich ihm sogleich ins Wort. Warum hatte ich auch gefragt.

„...aber ein wenig knutschen und fummeln wäre auch akzeptabel. Für den Anfang...“ Die Bilder von letzter Nacht tauchten vor meinem geistigen Auge auf. Der Gedanke, wie es wohl wäre, die Berührungen in der Realität zu spüren, verfestigte sich in meinen Kopf und wollte von dort nicht mehr weg. Ich schloss die Augen und versuchte meine sonst so zuverlässige Rationalität zurückzufinden, aber es war unmöglich. Ich war dabei, den gleichen Fehler erneut zu begehen und schaffte es einfach nicht, dagegen anzukommen.

„Nicht hier“, erwiderte ich irgendwann leise.

„War das ein 'Ja'?“ Seine Stimme klang ein wenig überrascht Ich hätte heute Morgen auch noch nicht gedacht, dass mein Tag damit enden würde, dass ich sämtliche guten Vorsätze über Bord warf und alles riskierte, wofür ich das letzte Jahr gearbeitet hatte

„Fahr los, bevor ich es mir anders überlege.“

Kiss Me

Kapitel 10 - Kiss Me
 

Jin
 

Kaum, dass ich Kamenashis Zustimmung vernahm, latschte ich das Gaspedal durch. Ich versuchte, meine Vorfreude zu zügeln und mich auf den Verkehr zu konzentrieren, was gar nicht so einfach war. Am liebsten hätte ich ihn an Ort und Stelle in die Sitze gedrückt und ihm das Hirn herausgevögelt. Stattdessen würde ich mich mit einer Knutscherei zufrieden geben müssen, die mehr Benzin ins Feuer goss als es löschte. Ich bezweifelte, dass er mehr als das erlauben würde. Ich glaubte noch nicht einmal daran, dass er sich befummeln lassen würde. Überhaupt wunderte ich mich, dass er meinem Vorschlag zugestimmt hatte. Seine Beweggründe waren mir momentan aber herzlich egal. Vorrang hatte meine zunehmende Libido. Als ich eine unbefahrene Seitenstraße erspähte, bog ich sofort ab. Kamenashi hatte mir nur zu verstehen gegeben, dass er unsere Abmachung nicht vor der Schule einlösen wollte und ich hielt es keine Sekunde länger aus. Zügig parkte ich in der nächstbesten Lücke und drehte mich mit einem atomaren Grinsen zu ihm.

„Deine Schonfrist ist abgelaufen“, wisperte ich, während ich mich zu ihm rüber lehnte. Ich bemerkte seinen hüpfenden Adamsapfel und lächelte noch etwas breiter. Nervosität würde ihn auch nicht retten.

„Warte!“, stoppte er plötzlich meine Annäherungsversuche und ich unterdrückte ein Augenrollen. Er hatte sich getäuscht, wenn er sich einbildete, dass ganze abblasen zu können. Die Ausnahme bildete hierbei mein Schwanz, aber diese Option hatte er ja bereits abgelehnt.

„Es bleibt bei der…Knutscherei, richtig?“ Es war beinahe niedlich, welch starke Probleme es ihm bereite, über unser Vorhaben lediglich zu sprechen.

„Wieso, hast du Angst, dich nicht beherrschen zu können?“ Für meinen Kommentar kassierte ich einen Hieb auf den Oberarm. „Etwas zärtlicher und es könnte mir gefallen“, strahlte ich ihn an.

„Ich hasse dich“, zischte er finster.

„Solange du deine Bezahlung einlöst, ist mir das egal.“ Als er darauf nichts mehr erwiderte, sondern nur noch versuchte, mich mit seinen Blicken zu erdolchen, überbrückte ich die letzte Distanz und küsste ihn. Ich legte meine Hand auf seine Hüfte und verfluchte gedanklich den dämlichen Schaltknüppel, welcher es verhinderte, dass ich ihn auf meinen Schoß ziehen konnte. Stattdessen begnügte ich mich damit, sein Hemd aus der Hose zu befreien und zeitgleich meine Zunge in seinen Mund wandern zu lassen. Es war das erste Mal, dass ich nah genug war, um seinen Geruch wahrzunehmen. Ich wusste nicht, was es war, aber es löste irgendetwas in mir aus, was mich dazu veranlasste, Kamenashi näher an mich zu ziehen und die harmlose Züngelei zu vertiefen. Mir war klar, dass ich nicht viel Zeit hatte, um ihn von mir und meinem Können zu überzeugen und so gab ich alles, was ich hatte, bevor er auch nur darüber nachdenken konnte, zu protestieren. Statt Protest schlug mir allerdings Verlangen entgegen. Ich hatte mit vielen Reaktionen gerechnet, aber nicht damit, dass mir der Kleinere seine Arme um den Hals legen würde, um – nicht wie erwartet mich zu erwürgen sondern - seine Hand in meine Haare zu krallen. Seine Geste sandte einen warmen Impuls direkt in meine Lenden und unsere Zungen umkreisten sich fordernder. Meine Finger hatten sich inzwischen ihren Weg unter den Stoff gebahnt und bewegten sich Kazuyas Wirbelsäule hinauf. Ich hörte ihn leise seufzen und verhinderte selbst nur mit Mühe ein Keuchen. Meine Körpermitte pochte mittlerweile unangenehm und ich ging jede Wette ein, dass es auch Mr. Hetero ähnlich ging. Verfluchte Kacke! Warum konnten wir gerade nicht in meinem Bett liegen? Dann würde ich…

“Kiss me“ drang auf einmal eine Stimme an mein Ohr und ich verlangsamte irritiert die wilde Knutscherei, um genauer zu lauschen. Trotz meines benebelten Hirns merkte ich bald, dass die Aufforderung von einem Song aus dem Radio stammte und ich grinste gegen die leicht geröteten Lippen. Wie passend. Auch Kamenashi schien langsam zu Sinnen zu kommen und öffnete ebenfalls seine Augen. Dass ich meine eigenen geschlossen hatte, war mir vorher gar nicht bewusst gewesen. Als erneut die Textzeile erklang, musste ich mich leider lachend von diesen verführerischen Lippen lösen. Selbst mein Gegenüber zog seine Mundwinkel nach oben.

„Du hörst, was die Dame singt“, versuchte ich ihn vom Weiterknutschen zu überzeugen, nachdem ich mich wieder beruhigt hatte.

„Und du weißt, dass ich meinen Teil der Abmachung hiermit erfüllt habe.“ Bestimmend drückte er mich von sich fort. Verdammt, ein Versuch war es zumindest wert gewesen. Unglücklicherweise hatte er auch noch Recht und ich gehörte zu den Menschen, die zu ihrem Wort standen.

„Ich werde dich sicher noch öfter retten“, gab ich nach und startete den Wagen. Fahren half, mich von der Beule in meiner Körpermitte abzulenken. Auch wenn es mir schwer fiel, kühlte ich mich mit dem Gedanken ab, dass ich heute einen verdammt großen Fortschritt in Bezug auf Mission Kamenashi gemacht hatte. Koki und Junno wären ja so stolz auf mich.
 

Nachdem ich Kamenashi abgesetzt hatte, fuhr ich zu meinem Apartment und fischte die Post aus meinem Briefkasten. Unter den vielen Rechnungen befanden sich zwei Auftragsangebote. Bei dem einen handelte es sich um ein Katalogshooting und bei dem anderen um einen TV-Werbespot. Erstaunt blieb ich auf halbem Wege vom Flur in mein Wohnzimmer stehen und konnte kaum glauben, was ich da las. Mittlerweile hatte ich schon so ziemlich alles gemacht, was es an Fotoshoots gab, aber zu einem Videodreh hatte ich nie ein Angebot bekommen. Das war wahrhaftig eine Premiere. Amerika war definitiv eine gute Investition gewesen. Allerdings würde ich dadurch noch weniger Freizeit haben. Seufzend ließ ich mich auf mein Sofa fallen und klärte die nächsten Minuten telefonisch meine neuesten Optionen ab. Natürlich sagte ich zu. Es war auch nicht so, dass ich eine großartige Wahl hatte, wollte ich mir und meinen Eltern weiterhin den gewohnten Lebensstandard gewährleisten und zeitgleich die Kaisei Academy finanzieren. Es gab Momente wie diesen, in denen ich mir wünschte, dass alles anders wäre. Dass ich ein normales Leben führte, mit normalen Freunden, mit denen ich auf eine normale Schule gehen konnte. Und dass alles nicht so verdammt beschissen wäre. Aber Momente wie diese gingen vorbei. Meistens dann, wenn ich mich mit Pi getroffen hatte. Ich wartete noch kurz, bis ich mich soweit im Griff hatte, dass ich mich mit ihm verabreden konnte und düste im Anschluss wieder los.

"Möchtest du einen Tee?", fragte mein Sandkastenfreund, als er mich in seine Wohnung gelassen hatte.

"Ich hätte lieber einen im Tee", murmelte ich verdrießlich.

"Autsch, was ist los bei dir?"

"Das Übliche", winkte ich ab und folgte ihm in die Küche.

"Schon wieder so viel los?", wollte Pi wissen, während er die Utensilien für den Tee heraus kramte. Ich setzte mich derweil auf einen der Barhocker und stützte meinen Kopf auf meine Hände.

"War es je anders?", fragte ich mit einem schiefen Grinsen und erntete ein mitleidiges Lächeln.

"Du solltest wirklich ab und an eine Pause einlegen."

"Mach ich doch."

"Partys und Ficken sind nicht gerade erholsam."

"Also nach dem Sex fühle ich mich immer sehr entspannt", grinste ich dreckig.

"Alles ins Lächerliche zu ziehen wird einen Zusammenbruch auch nicht vermeiden können.“

„Nun dramatisiere nicht gleich alles“, rollte ich mit den Augen. Mein Kumpel tat ja gerade so, als stünde ich kurz vor einem Herzinfarkt.

„Und verdreh nicht immer deine Augen“, wurde ich belehrt.

„Ja, Mama“, murmelte ich und ließ mir meine Tasse andrehen. Pi benahm sich heute aber auch wie eine überfürsorgliche Glucke. „Trink deinen Tee“, forderte er mich auf und setzte sich neben mich.

„Ja-ha.“ Ich tat lieber wie geheißen, da er mich immer noch mit seinen Argusaugen observierte. Es war ihm durchaus zuzutrauen, dass er mit einem Trichter nachhalf, sollte ich nicht gehorchen.

„Du wärst ein grausamer Vater“, murmelte ich nach einigem Stillschweigen.

„Ich weiß“, grinste er dreist. Seine Kinder taten mir jetzt schon leid. Seine Methode, Informationen aus mir herauszubekommen, hatte er über die Jahre, die wir uns kannten, perfektioniert. Er brauchte im Grunde nicht mehr zu tun, als mir Gelegenheit zu geben, mir die passenden Formulierungen im Kopf zurechtzulegen und mich darauf einzustellen, über Probleme zu reden. Beides zählte nicht zu meinen Stärken.

Ich seufzte tief, bevor ich zu sprechen begann: "In letzter Zeit wird mir alles zu viel. Und ich weiß nicht mal, woran es liegt, da sich ja nicht wirklich etwas geändert hat."

"Vielleicht stößt du nur langsam an deine Grenzen."

"Ich bin gerade mal 17 Jahre alt. Das wäre ein bisschen früh, findest du nicht auch?"

"Jin, wann hattest du deinen letzten freien Tag? Nicht nur von der Arbeit, sondern auch von allen Menschen."

"Du weißt genau, dass mir schnell langweilig wird, wenn ich allein bin", erwiderte ich ausweichend. Aber Tomo wusste auch so, dass ich in Wahrheit meinte, dass ich schlecht allein sein konnte. Allein zu sein, bedeutete, Zeit zum Nachdenken zu haben.

"Aber jeder braucht mal Zeit für sich selbst", beharrte er.

"Ich gehöre hiermit offiziell zur Ausnahme."

"Du hast wirklich verlernt, wie man abschaltet", seufzte er.

"Ich versteh nur nicht, warum du dich immer noch so aufopferst, wo das Unternehmen deiner Eltern doch wieder so gut läuft." Vielleicht war es doch keine allzu gute Idee gewesen, zu Tomo zu fahren. Ich bereute meinen Ausrutscher inzwischen.

"Ich hab mich einfach zu sehr an diesen Lebensstil gewöhnt. Das ist wie mit Sport: Nach einiger Zeit wird man süchtig und kann nicht mehr damit aufhören", erklärte ich nicht sonderlich überzeugend. Tomo glaubte mir verständlicherweise kein Wort und betrachtete mich skeptisch mit hochgezogenen Augenbrauen. Das Problem war nur, dass ich ihm nicht die Wahrheit sagen konnte. Er war derjenige, der am allerwenigsten von dem Grund für meine Arbeitswut erfahren durfte.
 

Kame
 

Keine absurden Träume. Genau genommen gar kein Schlaf, welcher diese hätte hervorrufen können. Die ganze Nacht schon lag ich wach und zerbrach mir den Kopf. Darüber, wie ich es überhaupt geschafft hatte, mich in diese brenzlige Lage zu bringen und noch mehr, wie ich je wieder aus ihr herauskommen sollte. Gegen fünf Uhr morgens war eines deutlich: Mein Wecker klingelte in 30 Minuten und brachte mich wieder einen Tag näher an mein Verderben heran, ohne, dass ich etwas dagegen unternahm. Warum? Weil ich es wollte. Das hatte mir der gestrige Tag anschaulich verdeutlicht. Ich konnte mir noch so sehr vorbeten, den Fehler niemals zu wiederholen, wenn ein Teil von mir - nicht unbedingt der rationellste aber dafür umso überzeugendere Teil - eben nach genau dem verlangte. Ich rannte lachend in eine eigens von mir bereitgestellte Kreissäge und freute mich auch noch darüber. Es war nicht unbedingt fair, Akanishi für meine eigene Fehlbarkeit die Schuld zu geben, aber es war dennoch die einfachste Lösung. Er war schließlich der Auslöser für diese Misere. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Nachgeben? Sicher nicht. So verzweifelt war ich definitiv nicht Der einzige vernünftige Ausweg, welcher mir einfallen wollte, war eine gehörige Portion Distanz zwischen uns zu bringen, aber es war ja leider nicht so, als hätte ich das nicht schon versucht. Es war zum Verzweifeln.

Mein Wecker rettete mich vor noch größeren Kopfschmerzen. Ich schleppte mich demotiviert in das Badezimmer. Die kalte Dusche brachte kaum einen erwünschten Effekt, ebenso wenig wie der Kaffee, der gerade vor meinen Augen erkaltete. In spätestens zehn Minuten würde Akanishi vor der Tür stehen und ich fühlte mich keineswegs in der Lage, ihm jetzt schon entgegen zu treten. Meine Großmutter wuselte durch die Küche und sorgte damit wenigstens für etwas Abwechslung.

„Deine Eltern haben lange nicht mehr angerufen“, bemerkte sie fast beiläufig. Der lauernde Tonfall entging mir jedoch nicht.

„Sie haben viel zu tun.“ Dieser ganze Scheiß in letzter Zeit hatte mich dermaßen abgelenkt, dass mir noch nicht einmal aufgefallen war, dass die beiden ihren wöchentlichen Anruf versäumt hatten.

„Das ist keine Entschuldigung.“ Vielleicht nicht in ihrer Welt. Es war immer das gleiche, wenn meine Eltern im Stress waren. Sie vergaßen alles, sogar ihre Kinder, aber dafür gab es ja Angestellte. Man gewöhnte sich daran, so wie an alles

„Ich muss los.“ Vom Regen in die Traufe. Akanishi wartete schon im Wagen, als ich wenig später das Haus verließ. Ich schluckte schwer, zwang mich aber, zu dem Wagen zu gehen. Plötzlich schien die Alternative U-Bahn doch verlockend und vor allem sicherer. Ich traute dem Älteren keine Sekunde und mir nach dem Vorfall gestern noch weniger.

„Morgen“, grüßte ich ihn dennoch, auch wenn mein Tonfall meine Stimmung nicht gerade versteckte. Ich versuchte es auch gar nicht erst.

„Kein Guten Morgen Kuss?“ Ich brauchte ihn noch nicht einmal anzusehen. Ich konnte mir sein selbstgefälliges Grinsen auch so sehr gut vorstellen. Ich hatte es mir selbst eingebrockt.

„Wenn es ein 'guter' wäre“, erwiderte ich trocken und wartete sehnsüchtig, dass der Idiot endlich los fuhr, was er zum Glück auch wenig später tat. Ich konzentrierte mich auf die Umgebung und beobachtete, wie die eifrigen Arbeitsdrohnen emsig zu ihren Jobs eilten. Im Moment wäre ich lieber einer unter ihnen, als hier im Wagen zu sitzen. Akanishis Anwesenheit machte mich wahnsinnig. Meine Hände waren schwitzig, in meinem Magen rumorte es, während ich nervös auf meinem Sitz herum rutschte und versuchte jeden Gedanken an gestern zu verdrängen. Ich wusste nicht, wie ich die nächsten Tage ohne irgendeine weitere Dummheit überleben sollte.

„Du brauchst mich heute Nachmittag nicht fahren. Ich will noch trainieren.“ Eine spontane Idee, aber die Bewegung würde mir gut tun. Es hatte mir schon immer geholfen, meinen Kopf frei zubekommen.

„Okay“, kam die schlichte Antwort, ehe sich erneut Stille in dem Wagen ausbreitete. Ich blieb dem Speisesaal fern und entkam somit jeglicher weiterer Konfrontation, abgesehen einem von Yamapis berüchtigten Vorträgen zum Thema, wie wichtig doch eine ausgewogene und regelmäßige Ernährung wäre.

„Gerade als Sportler solltest du das wissen“, endete er seinen Monolog und ich musste schmunzelnd eine gewisse Ähnlichkeit zu meiner Großmutter feststellen.

„Es wird nicht zur Gewohnheit werden“, versprach ich hoffentlich überzeugend genug. Ein überfürsorglicher Pi, welcher sich an meine Fersen heftete, konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen.

„Kamenashi?“, rettete mich einer meiner Mitschüler, welcher plötzlich im Türrahmen erschien. „Kitagawa will dich sehen.“ Der Tag wurde einfach nicht besser. Aber wenn der Teufel rief, mussten seine Schergen springen.

„Ich komme sofort.“ Ich blickte Yamapi entschuldigend an. Wenigstens hatte ich nun eine gute Ausrede, ihm zu entkommen.

„Kannst du mir einen Gefallen tun?“, fragte ich mit samtweicher Stimme.

„Klar“, antwortete mein Gegenüber leicht verwirrt.

„Kannst du Akansihi sagen, er braucht morgen früh keinen Umweg machen. Ich fahr…ähm mit meiner Großmutter.“ Gott, was für eine peinliche Lüge, aber mir fiel auf die schnelle nichts Besseres ein.

„Kein Problem.“ Wenigstens funktionierte mein Plan einmal, auch wenn ich eigentlich ungern Yamapi mit hineinziehen wollte.

„Sie wollten mich sehen“, begrüßte ich den Alten, der wie immer hinter seinem riesigen Schreibtisch saß und auf äußerst beschäftigt machte. Diesmal musste ich auch nur eine halbe Stunde vor dem Büro hocken, um meine Audienz zu erhalten. So demonstrierte dieses Fossil seine Überlegenheit.

„Ah, Kamenashi. Setz dich.“ Ich tat wie befohlen und wartete, was folgen würde. Nach dem letzten aufbauenden Gespräch konnte es nichts Gutes sein.

„Am Wochenende ist eine Wohltätigkeitsveranstaltung im Hilton. Das gute an solchen Schosen ist, dass die Portemonnaies der Herrschaften sowieso locker sitzen. Ich werde ebenso wie Akanishi anwesend sein, um die Interessen der Schule zu vertreten und neue Gelder aufzutreiben. Dein Name wird ebenfalls auf der Liste stehen. Ich gehe davon aus, du weißt, was von dir erwartet wird?“ Allzu deutlich. Verständlicherweise hielt sich meine Begeisterung in Grenzen. Ich würde sogar lieber das Wochenende mit den Pilzen meiner Großmutter verbringen, als Akanishis Babysitter zu spielen. Dass dieser Abend kein gutes Ende nehmen würde, war mir schon jetzt klar. Kitagawa leider nicht, denn dieser schaute ziemlich zufrieden drein, als ich auf seine Frage nur zustimmend nickte.

„Sehr gut. Ich werde dich beobachten. Vergiss nicht, eine Hand wäscht die andere.“ Wie könnte ich. Die restlichen Formalitäten übernahm die junge Sekretärin. Kitagawa verschwendete niemals Zeit mit solchen Banalitäten. Ich hatte mir meinen Samstagabend doch etwas anders vorgestellt. Vielleicht ein Besuch im GODZ, zwei oder drei gute Whiskeys und ein nettes Mädchen, welches mich für eine Nacht den ganzen Mist vergessen ließ. Stattdessen durfte ich nun auch ein weiteres Wochenende mit diesem verwöhnten Hammel verbringen. Soviel zum Thema Distanz.
 

Nur noch wenige Schüler waren auf dem Gelände, als ich das Hauptgebäude verließ. Ein paar Nachsitzer und die Clubverantwortlichen waren um diese Zeit anwesend, während die anderen schon ihre Freizeit genossen. Ich überlegte dennoch, noch kurz einen Abstecher in die Turnhalle zu machen, aber eine bekannte Stimme hielt mich davon ab.

„Hey, Schuljunge.“

„Ryo? Was machst du denn hier?“ Ich ging auf den älteren zu, welcher am Eingang gegen seinen Wagen lehnte.

„Ich war zufällig in der Nähe und dachte, ich schau mal, welchen Musterschüler ich heute verderben darf“, erwiderte der Älter schelmisch, was mich ebenfalls zum Schmunzeln brachte.

„Ich fürchte bei den meisten kommst du da zu spät.“

„Dich wohl eingeschlossen.“ Darauf ging ich lieber nicht näher ein.

„Wenn du Jin suchst, wirst du wohl bei ihm zu Hause mehr Erfolg haben“, antwortete ich stattdessen.

„Ich hab doch schon dich gefunden. Lust auf einen Drink? Ich will ja nichts sagen, aber du siehst aus, als ob du was Starkes vertragen könntest.“ Aber hallo. Am besten Apothekenalkohol, damit das Elend gleich ein Ende findet. Diese Gedanken sollte ich wohl lieber für mich behalten. Aber seine Idee klang dennoch verlockend.

„Mindestens zwei und ich bin dabei“ Morgen würde sowieso das Mannschaftstraining anstehen. Es würde mich nicht umbringen, einen Tag zu warten.

„Aller guten Dinge sind drei. Na komm, wir fahren zu mir. Ich fürchte, in der deiner Kluft schmeißen sie uns aus jeder Bar wieder heraus.“
 

Ryos Apartment war kleiner, als ich es mir vorgestellt hatte. Es bestand aus einem großen Wohnraum, welcher eine winzige Kochnische aufzuweisen hatte. Ich vermutete mal, dass diese sowieso nicht oft genutzt wurde. Zwei Türen waren an der linken Seite zu sehen. Ich ging schwer davon aus, dass eine davon zum Bad und die andere ins Schlafzimmer führten. Wenn man allerdings die Wohngegend mit in Betracht zog, musste die Bleibe dennoch eine ordentliche Stange Geld kosten. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen, dass ich noch nicht einmal wusste, womit Takas Cousin überhaupt seine Brötchen verdiente.

„Single Malt oder Bourbon?“, holte er mich jedoch aus meinen Gedanken und sah mich abwartend an.

„Ist die Frage ernst gemeint?“

„Es gibt tatsächlich Menschen, die das Gepanschte mögen.“ Solche Leute würde ich niemals verstehen können.

„Menschen ohne Geschmack“, gab ich meine Meinung zu diesem Thema kund und ließ mich auf dem kleinen Zweisitzer nieder.

„Und Jin“, fügte Ryo grinsend hinzu und hielt mir ein beträchtlich gefülltes Glas hin. Genau das, was ich jetzt brauchte.

„Sag ich ja, kein Geschmack.“ Ich hoffte, damit konnte ich jedes weitere Gespräch über diesen Idioten regelrecht vom Tisch fegen. Mein Saufkumpan zog fragend eine Augenbraue nach oben, schwieg aber weiter zu dem Thema, wofür ich ihm wirklich dankbar war.

„Hast du was von Taka gehört? Er scheint wie vom Erdboden verschluckt“, startete ich eine Konversation in eine andere Richtung. Vielleicht würde ja sein Cousin dieses seltsame Verhalten erklären.

„Nicht viel. Scheint wohl äußerst beschäftigt zu sein“, zerstörte er jedoch sogleich meine Hoffnung auf Erleuchtung.

„Hmpf“, grummelte ich wenig begeistert, „scheinbar sogar zu beschäftigt, um auf eine der zahlreichen Nachrichten zu antworten.“ Ich spülte meinen Frust mit dem Whiskey hinunter, welcher wirklich gut war. Nicht zu rauchig, nicht zu stark. Genau, wie ich ihn mochte.

„Schreib einfach mir. Ich werde immer antworten.“

„Gut zu wissen. Vielleicht werde ich das sogar.“ Ich nahm noch einen Schluck und lehnte mich entspannt zurück. Seltsam, dass ausgerechnet Ryo sich in den letzten Wochen zu einem wirklich guten Freund entwickelt hatte. Wir kannten uns schon eine Weile, aber mehr als oberflächliche Gespräche waren nie zustande gekommen. Vielleicht sollte ich mich darüber wundern, aber im Moment tat es einfach nur gut, jemanden zu haben, der irgendwie normal war. Ab dem dritten Glas breitete sich eine wohlige Wärme in mir aus. Der Schlafmangel machte sich bemerkbar, denn die Wirkung des Alkohols stellte sich schneller ein, als es sonst der Fall war. Ich hatte es zwischen dem Nachschenken tatsächlich geschafft, ihn nach seiner Arbeit zu fragen. Während Ryo erzählte, schweiften meine Gedanken schon wieder zu der Person, an welche ich gerade am wenigsten denken wollte. Scheinbar arbeiteten beide im gleichen Entertainment-Bereich. Anders als Akanishi jedoch hielt sich der Ältere mit kleineren Aufträgen und Spots über Wasser.

„Also kennt ihr euch durch die Arbeit?“ Wo mein plötzliches Interesse herkam, konnte ich selbst nicht sagen, aber ich leerte erst einmal mein Glas, um damit klar zukommen. Egal, was ich tat, egal mit wem ich sprach, immer schlich sich dieses arrogante Arschloch in meinem Kopf ein. Er musste ja noch nicht einmal körperlich anwesend sein, um mir auf die Nerven zu gehen.

„Ja. Ist eine ganze Weile her. Wir hatten früher öfter gemeinsame Projekte. Da freundet man sich schnell an, auch wenn es nicht immer einfach ist.“

„Wie meinst du das?“ Der Alkohol sprach aus mir. Definitiv! Anders konnte ich mir mein Interesse nicht erklären.

„Du kennst ihn doch. Ihm fällt alles zu, wofür andere schwer arbeiten müssen. Das Leben ist halt nicht immer fair. Schon gar nicht, wenn man immerzu mit Akanishi verglichen wird “ Es erschreckte mich beinahe, wie verbittert Ryo klang, aber ich konnte dieses Gefühl nur allzu sehr nachvollziehen.

„Darauf trink ich“, prostete ich dem Älteren zu, um die Stimmung etwas zu heben, welcher gleich mit einstimmte. Je weiter sich die Flasche leerte, umso mehr verlor ich sämtliches Zeitgefühl. Meine Knochen fühlten sich unglaublich schwer an und ich kuschelte mich selbst immer mehr in die kleine Couch. Nebenher liefen sinnlose Sendungen im Fernseher. Ich befürchtete zwischenzeitlich kurz eingeschlafen zu sein, denn irgendetwas rüttelte an mir und holte mich in die Realität zurück.

„Hey, Kleiner. Aufwachen“, hörte ich die beruhigende Stimme des anderen und öffnete träge die Augen. Ich hätte schwören können, sie nur für einen Augenblick geschlossen zu haben. Die letzten Tage forderten doch ihren Tribut.

„Du kannst hier schlafen. Ich fahr dich morgen zur Schule.“ Ich brachte nur ein Nicken zustande und ließ Ryo mir helfen aufzustehen. Wenige Augenblicke spürte ich den weichen Futon unter meinen Füßen und ließ mich begeistert drauf nieder, ehe mich erneut die wohlige Dunkelheit umfing.
 

TBC

Wir freuen uns (wie immer) über Feedback jeder Art :)

Every Pawn Is A Potential Queen

Kapitel 11 - Every pawn is a potential queen
 

Jin
 

Ich war beinahe so etwas wie erstaunt, dass sich Kamenashi nach gestern noch traute, in mein Auto einzusteigen. Die Freude darüber löste sich allerdings auf, als mich Tomo in der Pause abfing und mir die Botschaft überbrachte. Kamenashi würde also mit seiner Oma fahren, dass ich nicht lache. So eine seltendämliche Ausrede hatte ich lange nicht mehr gehört. Die gute Frau konnte von Glück reden, wenn sie eine Machete fand, um sich aus dem Pflanzendickicht in ihrer Küche hervorzukämpfen.

„Was genau läuft da eigentlich zwischen euch?“, brachte Pi zur Sprache, nachdem er mich über Kamenashis Plan in Kenntnis gesetzt hatte.

„Nicht hier“, murmelte ich und befürchtete, dass es ohnehin schon ein Fehler gewesen war, solche Dinge auf dem gefüllten Schulflur zu besprechen. Augen und Ohren waren überall und wer weiß, wer bereits alles sein Urteil über Kamenashi und mich gebildet hatte. Nicht, dass mich Gerüchte aus der Ruhe bringen würden, aber hier ging es eben auch nicht um meine Sichtweise Johnny schätzte es gar nicht, wenn über mögliche Affären innerhalb der Schulmauern gemunkelt wurde. Ich war froh, dass er wenigstens Tatsuya inzwischen duldete. Daher lotste ich meinen besten Kumpel zu einem unbevölkerten Platz, um seine Neugier zu stillen.

„Also?“, fragte er, sobald wir ungestört waren.

„Was genau willst du denn wissen?“

„Warum ihr gemeinsam zur Schule fahrt, für den Anfang.“

„Hat sich so ergeben“, zuckte ich mit den Schultern. „Du spielst sonst nicht grundlos den Samariter…außer bei mir natürlich“, fügte Tomo mit einem kleinen Grinsen an. Seine Augen begannen auf einmal mit einer Erkenntnis zu leuchten, die mir so gar nicht gefiel.

„Du magst ihn doch nicht etwa?“ Welche Schlüsse der Junge manchmal zog, war mir unverständlich. Ich wusste nur, dass er nicht eher aufhören würde, zu nerven, bis ich ihm eine plausible Antwort geliefert hatte.

"Er würde ohne mich Gefahr laufen, U-Bahn-Grabschern zum Opfer zu fallen", fasste ich die ganze Schose zusammen.

"Du magst ihn also wirklich", lächelte Tomo seltsam zufrieden.

"Unsinn. Du solltest am besten wissen, wie ich dazu stehe." Meine Worte taten mir sofort leid, als ich sah, wie sie Tomos Grinsen vom Gesicht vertrieben. Ich wollte ihn nur ungern an vergangene Vorkommnisse erinnern, aber noch weniger wollte ich mir fantasierte Gefühle andichten lassen. Ich hatte schließlich einen Ruf zu verlieren.

"Red' dir das nur als einzigen Grund ein", brummte er. Ich zog es vor, darauf nicht mehr zu antworten. Die kurze Pause war ohnehin fast vorbei und ich begab mich zur letzten Stunde für den heutigen Tag.
 

Am nächsten Morgen parkte ich pünktlich zehn vor sieben Uhr vor Kamenashis Haus. Wollten wir doch mal sehen, wie viel an seiner Ausrede wirklich dran war. Es dauerte nicht lange, bis mir die Tür von Moriko geöffnet wurde.

"Guten Morgen, Jin. Wolltest du Kazuya abholen?" Ich bejahte einfach mal ihre Frage. Laut meiner Theorie hatte sie eh keine Ahnung von dem, was Kamenashi gestern behauptet hatte.

"Er ist letzte Nacht nicht heimgekommen. Ich hatte gedacht, dass er dir Bescheid geben würde", seufzte sie. Nicht heimgekommen, Bescheid geben? Nun war ich wirklich verwirrt. Offensichtlich merkte das auch Moriko und bugsierte mich in die Küche, um mich auf einen Stuhl zu drücken. Kurze Zeit später hatte ich mal wieder eine Tasse mit dampfendem Inhalt, über den ich lieber nichts wusste, vor mir stehen. Von den Brownies, die sie im Anschluss servierte, wollte ich noch weniger die Inhaltsstoffe kennen.

"Er hatte nicht erwähnt, dass er woanders übernachten würde, sonst hätte ich ihn von dort abholen können...wo auch immer das ist", sagte ich mit meiner unschuldigsten Miene und hoffte, dass sie meine Wissenslücken füllen würde.

"Es ist wirklich ärgerlich, dass du jetzt völlig umsonst hierher gefahren bist. Ich werde Kazuya ins Gewissen reden!" Mich würde wirklich brennend interessieren, bei wem er übernachtet hatte. Taka konnte es nicht sein, da er mit seiner Band gerade für drei Tage auf Tour war.

"Das ist wirklich nicht nötig", winkte ich ab und fügte lächelnd an: "Außerdem ist ein Besuch bei Ihnen nie vertane Zeit." Meine Worte entlockten ihr wie üblich ein amüsiertes Lachen.

"Du bist wirklich was Spezielles."

"Ich hoffe doch, das ist positiv gemeint", grinste ich und nach einem bestätigendem Nicken fuhr ich fort: "Sie wissen nicht zufällig, bei wem Kazuya gestern war?" Es war das erste Mal, dass ich seinen Vornamen aussprach. Erstaunlich, wie leicht er mir über die Zunge gerollt war. Ich fragte mich unwillkürlich, ob es mir nicht nur beim Namen leicht fiel, ihn in den Mund zu nehmen. Aber die Diskussion dieser Frage sollte ich wirklich an anderer Stelle fortführen

"Er sagte bei einem Freund. Den Namen hat er nicht erwähnt." Schade aber auch. Ich war verdammt neugierig, mit wem er neben Taka seine Freizeit verbrachte. Pi oder Tatsuya konnte ich mir nicht so recht vorstellen, aber wer blieb sonst? Eine Frage, die mir Moriko definitiv nicht beantworten konnte. Also verabschiedete ich mich, nachdem ich brav den Kräutertee ausgetrunken und mir die Brownies hatte einpacken lassen und machte mich auf den Weg zur Schule. Dort angelangt erwartete mich gleich eine unangenehme Aufgabe: Ich musste ins Sekretariat. Das konnte nur weitere nervige Pflichten darstellen.

"Guten Morgen", flötete die junge Frau hinter dem Schreibtisch. Vermutlich war ihre Freundlichkeit nur eine Methode, mich gnädig zu stimmen für das, was sie mir zu sagen hatte. "Wir haben ab heute einen neuen Schüler. Er heißt Miura Haruma und ist der Sohn eines japanischen Botschafters, welcher kurzfristig umziehen musste. Ich würde dich normalerweise nicht mit dieser Sache behelligen, aber Kamenashi ist noch nicht aufgetaucht..." Ich beschloss, ihren Monolog zu unterbrechen, bevor das noch ausartete und fragte mich zeitgleich, warum sie nicht einfach dessen Stellvertretung dafür beauftragt hatte. Aber so, wie sie mich aus funkelnden Augen musterte, lag die Antwort im Grund klar auf der Hand. Weiber…

"Kamenashi ist beim Arzt. Er fühlte sich gestern nach der Schule bereits unwohl. Hat denn seine Großmutter nicht angerufen?" Johnnys Tippse schluckte die Lüge, welche sie mit Sicherheit sogleich weiterleitete. Man, dafür war mir der Kerl echt was schuldig und vor allem für den Dreck, den ich dank seiner Abwesenheit erledigen durfte: Einen mit großer Wahrscheinlichkeit aufgeblasenen Botschaftersohn willkommen heißen. Dadurch, dass unser Schulsprecher Verspätung hatte, geisterte der Schnösel bereits irgendwo herum. Wenigstens würde es nicht allzu schwer werden, den Neuen zu finden. Frischlinge waren dafür bekannt, schnell einen Streit vom Zaun zu brechen oder selbst in einen zu geraten, wenn sie niemand gleich zu Beginn an die Hand nahm. Wie erwartet kostete es mich keine fünf Minuten, das neue Gesicht auszumachen. Der Depp war gerade munter dabei, eines der wichtigsten Gesetze zu brechen: Eine Person, die unter meinem Schutz stand, zu bedrängen. Maru gehörte nicht unbedingt zur Crème de la Crème meiner Truppe, war aber dennoch ein Teil davon. Niemand durfte ihm ein Haar krümmen außer mir persönlich. Diese Privilegien zu missachten machte mich verdammt ungehalten - Frischling oder nicht. Mit schnellen Schritten war ich beim Geschehen, um zu verhindern, dass Maru sein Geld geklaut wurde. Dabei sollte man eigentlich meinen, dass an einer Privatschule jeder genug davon hatte.

"Oi!", fuhr ich den Neuling an und zog ihn am Nacken zurück. "Was glaubst du, was das hier wird?" Für einen kurzen Augenblick schaute mich das zugegebenermaßen recht hübsche Bürschchen geschockt an, bevor er sich fing und mich selbstgefällig von oben bis unten betrachtete.

"Weißt du überhaupt, wen du vor dir hast?", plusterte er sich künstlich auf.

"Mir herzlich egal. Innerhalb des Schulgeländes herrschen ein paar Regeln - meine. Dazu gehört vor allem, die Finger von meinen Leuten zu lassen." Und Gnade ihm Gott, sollte er sich nicht daran halten.

"So eine Behandlung lass ich mir von einem Landstreicher wie dir nicht bieten. Ich geh jetzt zu Kitagawa und..."

"Ich sag dir das nur einmal, also hör gut zu", zischte ich mit gesenkter Stimme und packte ihn am Kragen, um den Kleineren auf Augenhöhe zu ziehen. "In dieser Schule ziehe ich die Fäden. Johnny wird dir nicht helfen. Also würde ich dir raten, dich an meine Spielregeln zu halten, solltest du nicht die Konsequenzen spüren wollen. Und glaub mir, das würdest du nicht wollen." Eigentlich wollte ich ihm meine Hausordnung nicht vor versammelter Mannschaft vorlesen, aber sein Verhalten hatte mir keine andere Wahl gelassen. Wenn der Knirps zum Rektor gerannt wäre, hätte ich mir eine Pfeife anbrennen können. Ganz offensichtlich hatte er nicht mit einem Ausbruch von meiner Seite gerechnet. Er schaute mich jedenfalls mit aufgerissenen Augen an und öffnete und schloss den Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen, ohne ein Wort herauszubringen.

"Hast du mich verstanden?", fragte ich und ließ von ihm ab. Im Grunde war das eine rein rhetorische Frage, da mir seine Reaktion bereits die Antwort gegeben hatte. Ich erntete ein Nicken und drehte mich zufrieden zu Maru, welcher immer noch stocksteif gegen die Wand gepresst stand. "Sorry, dass ich nicht eher eingreifen konnte. Alles okay bei dir?"

"Geht schon", quäkte er heiser und schälte sich endlich mal vom Gemäuer. So ein Trubel zum frühen Morgen war wahrlich nichts für mich. Nach einem prüfenden Blick stellte ich fest, dass er keine Verletzungen aufwies. Damit war die Sache für mich gegessen. Sollte der neue Idiot sich doch selbst zurecht finden. Dank seiner Aktion hatte er sich sämtliche Sympathiepunkte bei mir verspielt. Außerdem hatte ich meine gute Tat für heute damit rein und irgendeiner würde ihm schon die Regeln einbläuen. Als ich mich zum Gehen wandte, konnte ich Kamenashi unter der Traube Schaulustiger ausmachen. Der verlorene Sohn hatte also in einem Stück nach Hause zurück gefunden. Besser spät als nie oder wie war das?

Der Schultag verlief bis zur Mittagspause glücklicherweise unspektakulär. Noch so einen Aufstand hätte ich auch nicht gebrauchen können. Im Speisesaal hatten sich bereits alle versammelt bis auf Kamenashi, welcher uns seit Tagen wie die Pest mied. Ich fragte mich, ob es immer noch an unserer Knutschaktion lag, was reichlich dämlich wäre. Als ob ich ihn mitten auf dem Esstisch nageln würde. Obwohl die Vorstellung natürlich was hatte. "...noch ein paar Stunden und ich kann die Prüfung machen und dann endlich mit der Praxis beginnen", drangen Kokis Worte an meine Ohren, als ich mich mit einem Tablett bewaffnet näherte.

"Also bist zumindest du bei deinem Vorsatz ein Stück weiter gekommen", sprach Junno und nickte anerkennend.

"Hey, Jin. Wie sieht's denn da bei dir aus?" Kaum, dass mich die beiden entdeckten, machten sie sich lustig über mich. Ich hätte sie definitiv nicht über meine Pläne informieren sollen.

"Läuft." Das musste reichen. Ich hatte keine Lust, diese Sache im Beisein von Pi und Ueda zu besprechen. Offenbar dachte aber nur ich so.

"Ah, deswegen sehe ich ihn an deinen Hacken kleben. Wo hast du ihn versteckt? So klein, dass er in deine Unterhose passt, ist er nun auch wieder nicht", lachte Junno. Blöder Penner.

"Wahrscheinlich hast du ihn mit deiner Art vergrault", warf mir Koki scherzhaft vor. Wobei ich mich fragte, ob er damit gar nicht mal so falsch lag.

"Könnten wir das Thema wohl ein anderes Mal bequatschen?", fragte ich genervt und widmete mich demonstrativ meinem Essen.

"Uuuh, haben wir etwa einen wunden Punkt getroffen?"

"Ich werde dir gleich einen wunden Punkt verschaffen, wenn du nicht aufhörst zu sticheln." Ernsthaft, wie alt waren die beiden? Zwölf? Manchmal konnte ich kaum glauben, dass wir zu dritt erfolgreich die Geschäfte unserer Eltern unterstützten. Bis zum Ende unserer Nahrungsaufnahme hielten sich die Zwei tatsächlich zurück und ließen auch mal Tomo und Tatsuya zu Wort kommen. Als wir alle fertig waren, packte ich die Brownies aus. Moriko hatte mir so viel mitgegeben, dass ich unmöglich alle allein essen konnte.

"Hat die dir Ueda gebacken?", feixte Junno dümmlich.

"Sehe ich aus wie sein Koch?", fragte erwähnte Person entsetzt.

"Nein, aber wie seine Frau", lachte Koki so, als hätte er einen wahnsinnig tollen, neuen Witz zum Besten gegeben.

"Du hattest auch schon bessere Sprüche", sagte Pi und ließ mich damit über beide Ohren grinsen. Der Kleine könnte wirklich mein Bruder sein. Nebeneinander aufzuwachsen kam dem Ganzen wohl sehr nahe.

"Stellt nicht immer so dumme Fragen, sondern esst einfach. Ich bin selten in Geberlaune." Ich würde den Teufel tun und der neugierigen Bande den Ursprungsort der Brownies verraten. Da konnte ich mir auch gleich selbst ins Bein schießen.

"Irgendwie schmecken die eigenartig", sinnierte Koki und kaute nachdenklich auf dem Gebäck herum. Ich stützte mich auf meine Ellbogen und beugte mich weiter über den Tisch, um ihn genauer zu betrachten.

"Eigenartig im Sinne von...?", fragte ich und war gespannt, was der Experte zu sagen hatte.

"Ich kann es nicht genau deuten...Kann ich mir einen mitnehmen und ihn untersuchen lassen?" Hatte ich es doch gewusst! Am Ende war das wirklich eine neue Art Hash-Brownies.

"Nimm nur mit. Ich würde es selbst gern wissen." Nach meinen Worten ließen alle ihren Nachtisch fallen.

"Deswegen isst du keinen davon", mutmaßte Junno und starrte mich anschließend anklagend an. "Heißt das, wir nehmen hier gerade Drogen zu uns?", zischte auch Ueda fassungslos.

"Ich nehme an, du hast schon weitaus andere Sachen geschluckt", zuckte ich unbeeindruckt die Schultern. "Die waren aber wenigstens nicht bewusstseinserweiternd."

"Krieg dich wieder ein, ich wette da ist nichts Schlimmes drin. Immerhin stammen sie von Kamenashis Oma." Toll, nun hatte ich es doch beichten müssen. Die Verarbeitung der Information brauchte wohl eine Weile, aber als es geschah, fingen alle der Reihe nach an wissend zu grinsen. Oh Jesus, was hatte ich nur wieder angerichtet.
 

***
 

Kame
 

Es war eine ungewohnte Wärme, welche mich weckte, gepaart von einem Gewicht unbekannter Herkunft. Schläfrig versuchte ich mich näher an die Wärmequelle zu pressen und wieder einzuschlafen, doch irgendein Gefühl nagte an mir, dass hier etwas nicht stimmte und ließ mir keine Ruhe. Es traf mich wie der Blitz, was an dieser gesamten Szene grundlegend falsch war. Ich riss die Augen auf und blinzelte verwirrt. Nicht mein Zimmer und definitiv nicht mein Bett. Warmer Atem traf auf meine Halsbeuge und sorgte für ein Kribbeln auf meiner Haut. Ryo. Wer sollte es auch sonst sein? Das Kribbeln wurde stärker und wenn ich nicht gleich etwas dagegen unternahm, würde ich bald ein Problem haben, welches ich nicht erklären wollte. Ich wollte gar nicht wissen, wie wir in diese Lage gekommen waren, noch wohin meine Klamotten verschwunden waren, denn zu meiner Verwunderung musste ich feststellen, nur noch meine Shorts zu tragen. Ich konnte mich nicht erinnern, mich ausgezogen zu haben. Doch vor dem ersten Kaffee war meine Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, sowieso eingeschränkt. Ich versuchte den Arm, welchen Ryo um mich geschlungen hatte, vorsichtig zu entfernen, ohne ihn zu wecken. Doch es war zwecklos, da dieser scheinbar an mir festgewachsen schien.

„Mensch Ryo, ich bin nicht dein verdammtes Kuscheltier", seufzte ich frustriert. Langsam wurde es kritisch.

„Ich weiß." Beinahe hätte ich vor Schreck aufgeschrien. Warum war der Depp wach und warum zur Hölle unternahm er nichts gegen diese prekäre Liegeposition?

„Dann lass mich los", zische ich ungehalten und versuchte mich aus der engen Umarmung zu winden.

„Kratzbürstig am Morgen was?", feixte der Ältere, aber ließ mich tatsächlich gehen. So schnell wie ich konnte, krabbelte ich aus dem Bett und hielt Ausschau nach meiner Schuluniform. Es war mir nicht geheuer, weiterhin halbnackt hier herumzutanzen.

„Wo sind meine Sachen?"

„Hab sie dort hinten irgendwo hingelegt", antwortete der Ältere und schob sich wenig motiviert aus dem Bett. „Du?"

„Wer sonst oder wolltest du in den Klamotten schlafen?" Okay, das klang plausibel, aber ich bekam dennoch das flaue Gefühl in meiner Magengegend nicht weg. Ein Blick auf die Uhr genügte und auch das war vergessen.

„Shit!"
 

Sobald ich das Schulgelände erreichte, musste ich jedoch feststellen, dass ich scheinbar nicht nur meine Pflichten versäumt hatte. Auf dem Schulhof herrschte ein regelrechter Tumult. Der Ursprung war mir noch ein Rätsel, wenn auch der Urheber nicht völlig unbekannt. Akanishi stand – zu meiner unglaublichen Überraschung – mal wieder im Mittelpunkt des Geschehens. Leider mussten Nachforschungen, was zum Geier hier vor sich ging, bis nach dem ersten Stundenblock warten, aber wie ich diese Tratschtanten kannte, würde ich schon währenddessen mehr oder weniger wahre Details erfahren. Die Klingel ertönte und ich ließ mich von der Masse in das Hauptgebäude schwemmen. Mittagspause und ich war verwirrter als zuvor. Unwissenheit war doch ein Segen, da man seine grauen Zellen gar nicht erst anstrengen musste, um Zusammenhänge zu verstehen. Die Verbindung aus neuem Schüler, Maru und Akanishi war schon undurchsichtig genug, ließ sich aber schnell klären. Unerklärlich blieb jedoch die offizielle Entschuldigung für meine verspätete Ankunft heute Morgen. Meinen „Retter“ würde ich sicherlich nicht über seine Gründe ausfragen. Wenn er mir nicht ans Bein pissen wollte, gab es nur eine andere Sache, welche diese plötzliche Nettigkeit hervorrief. Und diese galt es unter allen Umständen zu vermeiden.

„Hey Nakamaru“, grüßte ich meinen Mitschüler, als ich den kleinen Raum betrat. Ich wusste doch, dass ich ihn hier finden würde.

„Kamenashi, Lust auf eine Partie?“, lächelte dieser und wies auf das Schachbrett vor ihm. „Gern.“ Ich nahm ihm gegenüber Platz und wartete ab, bis Maru das Spiel eröffnete, ehe ich das Gespräch auf die gewünschte Fährte lenkte. Um den Schein zu wahren, übte ich mich in Geduld, bis der dritte Zug von mir beendet wurde.

„Ich habe gehört, du hattest heute Morgen ein paar Probleme.“ Ich versuchte, meine Stimme so gleichgültig wie möglich klingen zu lassen.

„Das Übliche, wenn ein Neuer die Regeln noch nicht versteht.“ Ich nickte und gab vor zu verstehen, was er mir damit mitteilen wollte. Mir hatte nie jemand von irgendwelchen Regeln erzählt, aber ich musste mich auch nicht an meinem ersten Tag mit Akanishi auseinandersetzen. Ich tätigte meinen nächsten Zug und erkannte, dass diese Partie wohl an meinen Gegner gehen würde. Mein letztes Spiel war eine Weile her. Maru war Vorsitzender des Schachclubs und äußerst begabt. Wenn ich nicht mit anderen Sachen ausgelastet wäre, würden wir sicher fast täglich hier hocken. Es war schwer, einen ebenbürtigen Partner in dieser Schule zu finden.

„Und nun kennt er sie?“ Ich wollte ja nicht zu neugierig wirken, aber ohne dämliches Nachhaken schien er mir leider nichts zu erzählen. Hätte ich mir auch denken können. Er war nicht gerade als gesprächig bekannt.

„Sollte er, wenn er weitere Konfrontationen mit Akanishi vermeiden will“, erklärte mir Nakamaru, als ob er gerade versuchte, irgendwelche natürlichen Gesetzmäßigkeiten einem Grundschüler zu erläutern.

„Und Kitagawa lässt das zu?“ Ich konnte mir schwerlich vorstellen, dass unser Herr Rektor einen zweiten Diktator neben sich in diesen heiligen Hallen duldete. Mein Gegenüber musterte mich daraufhin nachdenklich und schien abzuwägen, was und wie viel er erzählen konnte oder durfte.

„Jin ist keiner von den Bösen, Kamenashi“, fing er schließlich an. Von den Guten ebenso wenig, aber ich wollte Maru nicht unterbrechen. „Er hat mir geholfen, wie er es immer tut.“ Er blickte beim Sprechen nicht mehr von dem Schachbrett auf, aber ich konnte deutlich hören, wie ernst er es meinte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Akanishi jemals jemanden - außer sich selbst - helfen würde.

"Wie das?", fragte ich daher nach. Nun hatte ich es doch geschafft das Nakamaru seine Aufmerksamkeit von dem Schachbrett abwendete. Erneut schien er sich nicht sicher, was er tun sollte, entschied sich aber nach dem Schlagen einer meiner Bauern, doch zu antworten.

„An meiner alten Schule war ich nicht gerade beliebt. Es wurde so schlimm, dass meine Eltern beschlossen, einen Wechsel zu veranlassen. Ich hatte wenig Hoffnung, dass es hier besser werden würde. Doch Jin bot mir eine Übereinkunft an und ich nutzte diese, um endlich meine Ruhe zu haben.“ Mit Sicherheit im Tausch gegen jegliche Arbeiten, bei welchen Akanishi sein nicht vorhandenes Gehirn anstrengen müsste. Oh ja, wir sollten ihm einen Heiligenschein verpassen und in Mutter Theresa umbenennen. Ich verkniff mir lieber mein Kommentar, denn Maru schien seine festgefahrene Meinung über sein Idol wohl demnächst nicht ändern zu wollen.

„Schachmatt", lächelte er mich irgendwann fröhlich an.

„Du weißt schon, dass ich dich gewinnen lassen habe", grinste ich zurück. Zum Teil stimmte diese Aussage sogar. Ich musste meine Konzentration auf andere Dinge legen.

„In deinen Träumen, Kamenashi Aber ich gebe dir gern eine Revanche." Wenn er wüsste, wovon meine Träume handelten...

„Ein anderes Mal vielleicht." Ich hatte erst einmal alles, was ich wollte.
 

Eine Begegnung mit dem Neuen ließ auch nicht lange auf sich warten. Ein wirkliches Herzchen, wie sich herausstellte, welches sich für das Zentrum des Universums hielt. Zumindest dahingehend hatte er einiges mit Akanishi gemeinsam. Ich versuchte erst gar nicht, mich für mein Versäumnis zu entschuldigen, nachdem er klar gemacht hatte, was er von mir und dieser Schule hielt. Sammelbecken für unterprivilegierten Dreck, welcher zufällig zu Geld gekommen war, lautete, soweit ich mich erinnern konnte, seine Wortwahl. Das Positive an einem Botschaftersohn war, dass er genauso schnell verschwand, wie er gekommen war. Bis dahin würde ich ihm einfach aus dem Weg gehen. Ich hatte schon so genug eigene Probleme. Akanishi und der kommende Samstag zum Beispiel. Keine Ahnung, wie ich das überleben sollte oder ob der Herr von seinem Glück überhaupt wusste. Johnny redete bei diesem Thema immer in Rätseln. Hauptsache ich machte meinen Job. Mehr bräuchte mich nicht zu interessieren. Fünf Minuten vor dem Stundenbeginn hatte ich es wieder an meinen Platz geschafft und bereitete mich auf zwei Stunden japanische Geschichte vor, als plötzlich eine Tüte mit undefinierbarem Grünzeug auf meinen Tisch geworfen wurde.

„Du klaust Essen aus der Kantine?“, fragte ich Pi, welcher mich mit verschränkten Armen anstarrte.

„Ja, und ich stopfe es dir höchstpersönlich in den Mund, wenn du nicht freiwillig isst.“ Er klang, als wäre er wirklich nicht zum Scherzen aufgelegt. Ueda zuckte nur mit den Schultern und nahm auf seinem Stuhl Platz.

„Uhm danke“, erwiderte ich und beäugte die seltsame Auswahl.

„Das nächste Mal sitzt du wieder mit am Tisch oder du wirst es bereuen“, sprach unsere Glucke weiter. Es fehlte bloß noch das Wedeln mit dem Zeigefinger und die Szene wäre perfekt.

„Ja, Mama.“ Es war wirklich rührend, wie Yamapi sich um jeden sorgte, aber solange sich Akanishi im Speisesaal herumtrieb, war mein Appetit sowieso nicht vorhanden.

„Denke nicht, ich zerre dich nicht selbst dort hin“, drohte er mir noch, bevor auch er seinen Platz aufsuchte. Fantastisch, jetzt musste ich schon versuchen, mich vor zwei Leuten zu verstecken.

Nach dem Unterricht verließ ich gerade das Gebäude, als ich auch schon Nummer eins ausmachte. Langsam entwickelte ich einen regelrechten Radar, was Akanishi anbelangte. Vielleicht war das aber auch gar nicht so unpraktisch, wenn man die derzeitige Situation mal in Betracht zog. Eher erstaunt war ich, Ryo neben ihm zu erblicken – schon wieder!

„Die meisten sind froh, wenn sie nach ihrem Abschluss keine Schule mehr betreten müssen“, begrüßte ich den Älteren und versuchte einfach die Anwesenheit meines persönlichen Alptraumes zu ignorieren.

„In Ermangelung eines Abschlusses kann man diese Regel nicht auf Ryo anwenden“, gab Akanishi natürlich seinen ungebetenen Kommentar zum Besten, da er wohl nicht gewillt war, es mir gleich zu tun.

„Halt die Klappe, Jin. Kame, du hast das bei mir vergessen. Dachte, du könntest es vielleicht gebrauchen“, wandte sich Nishikido an mich und überreichte mir mein Handy. Oh, mir war die Abwesenheit meines Mobiltelefons noch nicht einmal aufgefallen.

„Danke. Du hättest dir nicht extra die Mühe machen müssen, her zu kommen.“ Obwohl ich wahrscheinlich heute Abend kollabiert wäre, wenn ich den Verlust spätestens bemerkt hätte.

„War sowieso in der Nähe. Soll ich dich heimfahren?“ Ich würde zu gerne zusagen, schon allein, weil Akanishi aussah, als hätte er gerade auf eine Zitrone gebissen. Da schien jemanden wohl irgendetwas nicht zu passen.

„Ich würde sofort ‚ja‘ sagen, aber ich hab noch Training. Trotzdem danke“, antwortete ich und versuchte nun, extra viel Bedauern in meine Stimme zu legen.

„Kein Problem. Ich ruf dich an.“ Ryo verabschiedete sich mit einem Winken von uns beiden und zog von dannen. Etwas unschlüssig stand ich nun da. Mein Fluchtreflex schlug voll aus, aber egal, wie ich es drehte, wenigstens seine Hilfe musste ich anerkennen. Besser ich brachte es gleich hinter mich.

„Danke für die Deckung heute Morgen.“

„Du kennst ja den Preis.“ Und wie ich diesen kannte. Ich konnte mir ein ironisches Lächeln nur schwer verkneifen. Das Schlimme daran war, das ein Teil von mir die „Zahlung“ nur zu gerne umsetzen wollte. Zum Glück war Selbstbeherrschung eine der wenigen Tugenden, die ich wirklich perfektioniert hatte.

„Nur ein Tipp. Du solltest Vorkasse verlangen“, konterte ich schelmisches und zwinkerte dem Älteren zu, bevor ich mich auf den Weg in Richtung Sporthalle machte. Früher oder später würde einer von uns nachgeben. Es war nur eine Frage der Zeit und diese spielte gegen mich.

Submitting To The Devil

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Mastering The Art Of Dealing With The Enemy

Kapitel 13 - Mastering The Art Of Dealing With The Enemy
 

Jin
 

Nachdem Kamenashi das Weite gesucht hatte, war ich die nächsten Stunden völlig weggetreten, unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. So, als wäre ich komplett betrunken, ohne jedoch einen Tropfen Alkohol gesehen zu haben.

Es war nicht so, dass es der beste Sex meines Lebens gewesen wäre - jedenfalls nicht auf technischer Ebene. Es gab sowohl Weiber als auch Kerle, die von ihrem Können her in die Pornoindustrie gepasst hätten und mir das Vaterunser rauf und runter geblasen hatten. Bei dem Knirps war es mehr seine Art gewesen. Sein Stöhnen hatte mich scharf wie eine Peperoni gemacht und seine willenlose Auslieferung hatte mich komplett zum Durchdrehen gebracht. Dagegen kam keine noch so perfekte Professionalität an. Seine Rohheit hatte all meine Nervenzellen zum Vibrieren gebracht und auch lange nach dem vollzogenen Akt lag ich noch völlig neben mir in meinem Bett. Keine Ahnung wie ich mein Versprechen, dies nicht zu wiederholen, einhalten sollte.

Zumindest die nächste Woche würde ich mich daran halten können, da mein Laufstegauftritt für die New Yorker Fashion Week bevorstand. Danach musste wohl wieder Ueda dran glauben.
 

Exakt sieben Tage später landete ich in Tokio. New York war der Wahnsinn gewesen. Dank meiner Stadt war ich an Metropolen gewöhnt, aber dennoch war alles komplett fremdartig gewesen und lief nach anderen Mustern ab. Es war kein Vergleich zum relaxten Los Angeles gewesen.

Trotzdem hatte ich großen Spaß daran gehabt, die Mode meiner Eltern zu laufen.

Während der Woche in New York hatte ich allerdings auch jede Menge Zeit zum Nachdenken gehabt und mir war die große Frage nach dem Warum gekommen. So sehr ich auch von meinem guten Aussehen und meinen Fähigkeiten überzeugt war, wusste ich doch, dass sie nicht der Grund für Kamenashis Sindeswandel gewesen waren. Warum also ließ er lieber zu, dass ich ihn flach legte als jemand anderes auf dem Event im Hilton? Seine abrupte Umentscheidung kam mir nicht ganz koscher vor. Mich beschlich das ungute Gefühl, dass Johnny damit zu tun hatte. Ich konnte mir nur keinen richtigen Reim darauf machen, aber ich war erpicht darauf, die Wahrheit herauszufinden.

Wieder in der Schule zurück, hielt ich mich fern von Kamenashi. Ich ignorierte ihn bei jedem zufälligen Aufeinandertreffen so gut es ging und sah nicht einmal in seine Richtung. Wenn ich meinem Problem aus dem Weg ging, lief ich auch nicht Gefahr schwach zu werden. Ich hatte befürchtet, dass es mir schwerer fallen würde, aber meine Taktik funktionierte erstaunlich gut.

Leider wurde mein grandioser Plan von Kamenashi selbst in einer Pause vereitelt. War bislang immer er es gewesen, der mich wie die Pest mied, steuerte er nun völlig freiwillig auf mich zu. Keine Chance, sich irgendwo zu verstecken. Die Masse der Schüler drückte mich geradewegs zu ihm hin.

„Akanishi, wir müssen reden.“ Das war definitiv eine Aussage, die ich des öfteren nach erfolgreichen, nächtlichen Streifzügen zu hören bekam. Allerdings hatte ich sie nicht aus dem Mund von dem Knirps erwartet.

„Wenn du das sagst“, erwiderte ich und ließ mich widerwillig von ihm in ein leerstehendes Klassenzimmer lotsen.

„Das mit uns geht so nicht weiter“, fing er düster an und mein Magen krampfte sich unangenehm zusammen. Ich hätte nicht erwartet, dass er unsere gemeinsame Nacht je zur Sprache bringen würde. „Du kannst nicht ernsthaft erwarten, dass ich dein Verhalten auf ewig so hinnehme.“ Nicht? Das würde es aber wesentlich angenehmer für mich gestalten. Oder störte es ihn etwa, dass ich keine Anstalten unternahm, das Versprechen zu brechen?

„Ab sofort erledigst du deine Pflichten!“, befahl er im Feldwebelton und knallte mir einen Stapel Papier gegen die Brust.

„Schulsachen?“, fragte ich völlig perplex und fühlte mich im falschen Film.

„Ich mach die Arbeit für Kitagawa nicht länger allein“, bestätigte er meine Vermutung, dass er wirklich über etwas so profanes wie Schule redete.

„Hast du lange für die Rede geübt?“, rutschte es mir grinsend heraus.

„Im Gegensatz zu dir liegt mir das im Blut“, erwiderte er schnippisch und stolzierte von dannen.

„Und wie hast du dir die Zusammenarbeit vorgestellt?“, rief ich hinterher und zweifelte im gleichen Moment an meinem Verstand. Seit wann zog ich es in Erwägung, solche Aufgaben zu übernehmen? Der Sex mit Kamenashi hatte offensichtlich wichtiges in meinem Gehirn durcheinander gerüttelt.

„Wer sagt etwas von Zusammenarbeit? Du hast so einiges nachzuholen und ich werde mich dadurch für ein paar Tage zurücklehnen können. Ach, und wage es ja nicht, Maru diese Aufgabe aufs Auge zu drücken!“ Weg war er und ließ mich über solche Dreistigkeit nach Luft schnappend zurück.

Das schrie eindeutig nach einem Gegenschlag. Keiner durfte einen Akanishi so behandeln. Auch nicht, wenn er seine Hüften verdammt sexy schwingen konnte. So langsam fragte ich mich, wer von uns beiden der echte Don Juan war.
 

Es war nicht so, dass ich mir nach einem schweren Schul- und Arbeitstag gewissenhaft Kamenashis Unterlagen durchlas. Jedoch hatte er leider recht. Nur aus anderen Gründen als die, die er aufgeführt hatte. Ein Pakt mit Johnny war es, der mich dazu brachte. Ein falsches Wort vom Schulsprecher an den Diktator und ich war geliefert und mit mir Pi. Und das Wohl von Tomo ging immer noch vor meinem Ego, meiner Sexsucht und dem Drang, nervige Leute zu verprügeln. Wie sehr die Abmachung am seidenen Faden hing, wurde mir nur einige Tage später klar gemacht.
 

Es passierte in der Mittagspause. Koki, Junno und ich hatten uns gerade zu Kamenashi an den Tisch gesetzt, welcher offensichtlich nicht sehr begeistert von unserer Gesellschaft war und ich wollte ansetzen, zu fragen, wo denn der Rest ab blieb, als aufeinmal ein aufgelöster Ueda neben mir zum Stehen kam.

"Jin! Gut, dass du hier bist. Du musst dringend was unternehmen! Pi ist zu Johnny geschickt worden."

Es dauerte keine Sekunde, bis ich reagierte. Wenn die Gefahr bestand, dass es Tomo ans Leder ging, schaltete mein Organismus sofort auf Autopilot. Ich konnte meine Reaktionen dann nicht mehr steuern und bemerkte nur am lauten Knallen, dass ich wohl meinen Stuhl beim Losstürzen umriss.

Meine Umgebung nahm ich erst wieder war, als ich bereits in Johnnys Büro gestürmt war und Gott sei

Dank einen unversehrten Pi vorfand.

"Was soll das?", donnerte ich ohne Umschweife los. Und es war eine berechtigte Frage, da der alte Sack und ich schließlich die Abmachung hatten, dass er seine senilen Drecksfinger von meinem Schützling ließ.

"Ich führe gerade ein Gespräch mit Yamashita Tomohisa."

"Das war nicht die Antwort auf meine Frage." Ich stand kurz vor der Explosion und das wusste dieser elende Kinderschänder ganz genau. Es war nur nicht klug, mich so bewusst zu provozieren. Durch meinen momentanen Mangel an Sex und den stressigen letzten Wochen war meine Laune ohnehin grenzwertig. Johnnys Aktion war nur der Tropfen, der das Fass jeden Augenblick zum Überlaufen bringen konnte.

"Ich bin der Ansicht, dass du deine Aufgaben in letzter Zeit etwas vernachlässigst. Ich dachte, ich sollte dich noch einmal an unsere Abmachung und der Konsequenzen bei Nichteinhaltung erinnern."

Oh, dieses miese Schwein! Er wusste ganz genau, dass er mich damit in der Hand hatte. Ich würde niemals zulassen, dass er Tomo auch nur ein Haar krümmte und wenn nötig über Leichen gehen, um das zu verhindern.

"Das hättest du mir auch einfach sagen können, ohne Tomo her zu zitieren." Arschloch.

"Dann wäre meine Aufforderung aber bei weitem nicht so wichtig genommen worden", lächelte er herablassend und ignorierte gekonnt meine beleidigende Anrede.

"Was willst du?", fragte ich müde. Ich hatte es so satt, von der Gunst dieses Schmierlappens

abhängig zu sein. Aber mich selbst zu verkaufen war immer noch um Welten besser als zuzulassen, dass Tomo sexuell belästigt wurde.

"Das sollten wir unter vier Augen besprechen", sagte er und scheuchte Pi wie eine lästige Fliege mit einer wedelnden Handbewegung aus dem Zimmer. Allein dafür hätte ich ihm am liebsten eine geklebt. Respekt vor dem Alter hin oder her.

Mein bester Kumpel schenkte mir noch einen verwirrten und zeitgleich besorgten Blick, bevor er Johnnys Aufforderung zögernd Folge leistete. Pi hatte nicht den blassesten Dunst, was hier gerade vor sich ging und welchen Pakt ich damals mit dem Bösen geschlossen hatte, nur damit er auch in meiner Abwesenheit verschont wurde. Und bei diesem Nichtwissen wäre es geblieben, wenn dieser elende Penner nicht so eine Show abgezogen hätte. Ich wusste nicht, wie ich mich diesmal noch herausreden sollte.

Sobald wir allein waren, setzte ich mich auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch und schaute den Rektor abwartend an.

„Die Tatsache, dass du deiner Tätigkeit als Schulsprecher entbunden bist, heißt nicht, dass du deine sonstige Aufgaben vernachlässigen darfst“, fing er umständlich an zu erklären. So etwas Ähnliches hatte ich ja bereits von Kamenashi mitgeteilt bekommen. Allmählich begann ich, Zusammenhänge zu ziehen. Was zur Hölle ging zwischen dem Rektor und dem Knirps ab?

„Soll heißen?“

„Das bedeutet, dass du bei Öffentlichkeitsangelegenheiten der Schule mit Kamenashi zusammen arbeiten sollst, was ich bereits in der Neujahransprache vermittelt habe. Des Weiteren reicht es nicht, auf Veranstaltungen nur anwesend zu sein, sondern auch aktiv um Sponsoren zu werben. Muss ich dir das wirklich alles von Grundauf erklären?“

„Wie viele Deals haben Sie eigentlich noch laufen?“, fragte ich ins Blaue. War ich eventuell nicht der Einzige, der sich verkauft hatte? Johnny traute ich es zu, dass er Kamenashi eine fette Villa mit Ausblick aufs Meer versprochen hatte, nur damit dieser wer weiß was für Fäden im Hintergrund für den Wichser zog.

„Nebensächlich. Ich verlange außerdem, dass du deine Finger von Kamenashi lässt. Glaube ja nicht, dass es mir entgangen ist, dass ihr gemeinsam das Event verlassen habt. Sollte mir irgendetwas zu Ohren kommen, ist der Deal geplatzt, verstanden?“

Ich nickte auf die Forderungen nur zähneknirschend. Ich hatte keine großartige Wahl, wollte ich Tomo weiterhin sicher wissen.

„Dann kannst du jetzt gehen.“

Nichts lieber als das.

Auf dem menschenleeren Flur wartete Tomo bereits auf mich.

„Hey“, sagte ich und wusste nicht, was ich noch hinzufügen sollte. Johnnys Szene war mehr als eindeutig gewesen und meine Ausreden würden ihn nicht länger abspeisen können.

„Du erledigst also irgendwelche Drecksarbeiten für den Mistkerl, damit er mir nicht noch mal an die Wäsche geht. Hab ich das richtig verstanden?“

Ich nickte daraufhin nur niedergeschlagen. Mir fiel nichts Passendes als Antwort ein, schließlich hatte ich ihn in dieser Sache monatelang belogen. Eine Entschuldigung kam mir an dieser Stelle nur wie eine leere Phrase vor.

„Jetzt habe ich wenigstens meine Antwort, warum du weiterhin wie ein Blöder ackerst. Kein sehr schönes Gefühl zu wissen, dass man die Verantwortung für die Überlastung des besten Freundes trägt. Du bist wie ein Bruder für mich Jin! Glaubst du, ich kann das einfach so hinnehmen, dass deine Augenringe immer dunkler werden und zu wissen, dass das alles meine Schuld ist?“

„Hey, was für Augenringe?!“, fragte ich entrüstet. Ich war der Meinung, dass ich die gut genug abgedeckt hatte. Ein Blick in Pis wütende Augen ließ mich schlagartig wieder ernst werden.

„Ich mach das alles freiwillig. Kein Grund, sich schlecht zu fühlen, okay?“

„Du hättest mich wenigstens in Kenntnis setzen können. Warum die Lügen?“ Ich zuckte nur mit den Schultern. All die Zeit hatte es einen Sinn gehabt, es vor Tomo geheim zu halten. Ich wollte den Kleinen doch nur beschützen, aber scheinbar hatte ich den Zeitpunkt verpasst, in dem er erwachsen geworden war. Nun war es zu spät, diesen Fehler zu korrigieren.

Tomo atmete laut aus und fuhr sich mit den Fingern durch die dunkle Mähne. Ich stand daneben wie ein begossener Pudel.

„Ich muss jetzt erst mal für eine Weile allein sein, okay?“ Wieder nickte ich nur zur Antwort und spürte einen riesigen Knoten im Herzen.

„Okay“, wiederholte er, drehte sich um und ließ mich stehen. Das war neu. Es war noch nie vorgekommen, dass Pi und ich auf so eine Art und Weise auseinander gegangen waren. Wir hatten des Öfteren gestritten, waren wegen der dämlichsten Sachen beleidigt oder sauer aufeinander. Aber das....das fühlte sich richtig mies an. Ich hatte sein Vertrauen missbraucht und nun blieb mir nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass er wieder auf mich zukam. Mir war nach kotzen zumute.

Ich hob meinen Blick vom Boden, auf den ich schon die ganze Zeit gestarrt hatte und sah Kamenashi mit undefinierbarem Gesichtsausdruck ein paar Meter entfernt stehen.

„Kannst du dich um Pi kümmern? Er sollte gerade nicht allein sein und mich will er nicht sehen“, bat ich und fügte noch ein leises „Bitte“ hinzu, bevor ich an ihm vorbei ging und mein Zeug aus der Kantine schnappte. Die anderen und ihre Fragen ignorierte ich stur. Ich wollte mit niemandem mehr reden und nur noch hier weg. Der beschissenste Tag meines Lebens fand gerade statt und den wollte ich ganze bestimmt nicht in der Schule verbringen. Mir fiel nur ein einziger Ort ein, an dem ich es jetzt aushalten würde und genau dorthin würde ich mich schnellstens begeben.
 


 

Kame
 

Ich hätte mir keinen besseren Zeitpunkt für die dümmste Aktion meines Lebens heraussuchen können. Wenigstens war das Glück einmal auf meiner Seite. Ich hatte große Mühe mir einen Ausruf der Freude zu verkneifen, als ich am Montag erfuhr, dass Jin die gesamte Woche durch Abwesenheit glänzen würde. Dieser schwebte lieber über die Laufstege von New York, als sich am Unterricht zu beteiligen. Allemal besser als durch meine Gedanken. Ich war wirklich guter Dinge, dass es von nun an bergauf gehen würde. Mein Kopf fühlte sich seltsam befreit an. Endlich war es mir wieder möglich, mich auf weitaus wichtigere Punkte zu konzentrieren. Vielleicht hätte das Unausweichliche schon viel früher geschehen sollen.

Akanishi schien sich zumindest derzeit an sein Wort zu halten. Weder seine zwielichtigen Freunde noch Pi oder Ueda bedachten mich mit seltsamen Blicken oder unangebrachten Kommentaren. Ich konnte nur hoffen, dass es auch so blieb.

Es überraschte mich nicht sonderlich, als ich während der Mittagpause eine Aufforderung erhielt, mich nach dem regulären Unterricht im Zimmer des Rektors einzufinden. Ich hatte mich gar nicht erst der Illusion hingegeben, dass das samstägliche Event sowie unser gemeinsamer Abgang unkommentiert bleiben würden. Dazu kannte ich Kitagawa inzwischen zu gut. Mental auf jedwede Wendung des kommenden Gesprächs vorbereitet, wartete ich nach der letzten Stunde vor Johnnys Büro, bis ich endlich aufgerufen wurde. Es gehörte einfach zu der Masche des Alten, einen ewig schmoren zu lassen, bis er seine Audienz gewährte. Wenn man so oft mit dem Direktor zu tun hatte wie ich, war diese Schose schnell durchschaut. Das machte jedoch ein Zusammentreffen mit dem alten Kauz auch nicht angenehmer.

„Ah Kamenashi, setz dich.“ Ich kam der Aufforderung gehorsam nach und wunderte mich selbst über meine anhaltende, innerliche Ruhe. Scheinbar hatte Akanishi, oder eher ein nicht unwichtiger Teil von ihm, wahre Wunder bewirkt.

Entweder musste Johnny heute noch wichtigere Termine wahrnehmen oder ihm ist es bewusst geworden, dass er nicht mehr alle Zeit der Welt besaß. Zumindest kam er eher untypisch direkt auf den Punkt, was mir durchaus recht war. Besser wir brachten diesen Akt schnell hinter uns.

„Ich war mit dir am Samstag sehr zufrieden. Du bist vielen wichtigen Personen positiv aufgefallen. Morita Amida überlegt sogar, zukünftig einige unserer Sportclubs zu finanzieren“, startete er einen nahezu endlosen Monolog über die weiteren Geschehnisse. Ich hörte aufmerksam zu, konnte mich aber nur noch dunkel an Morita oder die weiteren, liquiden Herrschaften erinnern. Genau genommen war meine Erinnerung an alles, was vor unserem „Beglückungsprogramm“ geschehen ist, eher verschwommen. Die Kunst bestand darin, sich genau dies nicht anmerken zu lassen. Also nickte ich immerzu brav und gab den einen oder anderen intelligenten Kommentar zu Kitagawas weiteren Plänen ab, bis dieser eine längere stilistische Pause einlegte, um wohl für das eigentliche Thema den richtigen Einstieg zu finden.

„Nun zu Akanishi“, setzte Johnny an, redlich bemüht, nicht so interessiert zu klingen, wie er es wahrscheinlich war. „Er hat sich benommen, nehme ich an?“

„Soweit ich das beurteilen kann, ja“, antwortete ich wahrheitsgemäß und verbarg meine Belustigung über die etwas bizarre Situation. Vor mehr als einem Jahr wäre ich noch vor Panik vom Stuhl gefallen, doch ich hatte meine Lektion in Osaka gelernt und wusste, was auf mich zukam. Je eher ich die Sache in den Griff bekam umso besser.

„Nun, wie sollte es auch anders sein, immerhin hast du deine Aufgabe sehr ernst genommen. Er hatte wohl nicht einmal auf dem Weg nach Hause die Gelegenheit, vom Pfad der Tugend abzukommen, nicht wahr?“, versuchte mein Gegenüber, mich weiter aus der Reserve zu locken, doch ich hatte den gesamten Sonntag damit verbracht, mir alle Antworten bereit zu legen.

„Das kann ich nur bedingt beurteilen. Er hat mich vor meinem Haus abgesetzt. Was dann geschah, entzieht sich meiner Kenntnis“, erläuterte ich neutral und erwiderte den starren Blick des Alten. Es war nichts weiter als ein Test. Kitagawa wollte wissen, ob er mir weiter trauen konnte. Ob ich noch immer auf seiner Seite stand oder mich dem „Feind“ angeschlossen hatte.

„Wie überaus zuvorkommend von ihm. Ihr scheint euch gut zu verstehen.“ Wenn dieser Greis wüsste, wie gut wir uns verstanden hatten, würde er wahrscheinlich einen Infarkt erleiden. Es war fast schon schade, dass er nie davon erfahren würde. Sein Gesicht hätte ich nur zu gern gesehen.

„Wir dulden einander und ich habe nicht vor, diese Beziehung in irgendeiner Art und Weise zu vertiefen“, erklärte ich beinahe frenetisch, sodass ich mir für einen kurzen Moment unschlüssig war, wen in diesem Raum ich eigentlich überzeugen wollte.

„Das freut mich zu hören“, antwortete Johnny und schien meinen Worten tatsächlich Glauben zu schenken.
 

Arbeitsanweisungen von Johnny Kitagawa waren stets zu befolgen, wenn man unerfreuliche Konsequenzen vermeiden wollte. Die erste Weisung nach diesem Treffen war es, eine Übersicht der schulischen Tätigkeiten der letzten Wochen von Akanishi anzufertigen. Diese Aufgabe stellte sich als nicht gerade umfangreich heraus, da der Herr an keinem der Meetings teilnahm oder sich in sonst einer Weise einbrachte. Der Rektor schien wenig erfreut, als ich ihm die Aufstellung überbrachte. Ich konnte seinen Unmut zum ersten Mal nachvollziehen, denn so sehr ich es auch hasste, meine Position teilen zu müssen, noch mehr verachtete ich Menschen, die dann andere ihre Drecksarbeit erledigen ließen. Und ich dachte keine Sekunde länger daran, Akanishi weiterhin diesen Gefallen zu erweisen. Bedauerlicherweise konnte ich nicht ahnen, welche Katastrophe ein Blatt Papier in den Händen des Rektors anrichten konnte.

Meine Ansprache an Akanishi hatte anscheinend ihre Wirkung nicht verfehlt. Tatsächlich informierte mich die Vorzimmerdame des Teufels, dass zumindest ein winziger Bruchteil der Arbeit von niemand anderem als seiner selbsternannten Hoheit persönlich erledigt wurde.

Zufrieden mit mir und der Welt entschied ich, auch Pis Worten Folge zu leisten und mich mal wieder in der Mittagspause blicken zu lassen. Ich hatte mich kaum an einem der freien Tische niedergelassen, als schon Akanishi inklusive seines Gesindes den Speisesaal betrat. Ich war gerade dabei meine Entscheidung zu bereuen, als die Show auch schon startete.

Mit offenem Mund starrte ich der Staubwolke hinterher, welche von Akanishi übrig geblieben war. Ueda wirkte noch immer aufgewühlt, als er sich langsam an dem Tisch niederließ. Angestrengt versuchte ich, einen Sinn in dieser Aktion zu erkennen. So untypisch war es nun auch nicht, dass jemand zu Kitagawa zitiert wurde, auch wenn ich Pi wirklich bedauerte. Mit dem Alten war in den letzten Tagen nicht unbedingt gut Kirschen essen. Fragend blickte ich von einem zum anderen, aber eine Erklärung erhielt ich nicht. Die gesamte Gruppe hüllte sich verdächtig in betretenes Schweigen.

Ich wartete, bis mein Gehen nicht auf meine Neugier zurückzuführen war und verabschiedete mich unter dem Vorwand, dass es in wenigen Minuten zum Unterricht klingeln würde. Mir war klar, dass ich nicht gerade in Kitagawas Büro stürmen konnte, um herauszufinden, was hier vor sich ging, aber ich hatte Hoffnung, wenigstens von Pi oder, wenn es gar nicht anders ging, von Akanishi persönlich eine Erklärung zu erhalten. Dass mir beide schließlich in die Arme laufen würden, kam dann doch unerwartet.

„Kannst du dich um Pi kümmern? Er sollte gerade nicht allein sein und mich will er nicht sehen.“ Stumm verfolgte ich den Abgang des Älteren. Der Ton in seiner Stimme versetzte mir einen Stich und ich war für eine Sekunde versucht, ihm entgegen seiner Bitte zu folgen. Zum Glück arbeite beim Hirn schnell genug, um dies zu verhindern. Mit einem Seufzen nahm ich also die Verfolgung meines Klassenkameraden auf.

Es dauerte nicht sonderlich lange, bis ich Yamapi in der Nähe der Sportanlagen auf einer der Treppen sitzend sah. Der Unterricht hatte bereits begonnen, sodass wir weit und breit die einzigen auf dem Gelände waren.

„Hier.“ Ich hielt ihm eine dampfende Dose Kakao vor die Nase, welche ich auf dem Weg aus einem der Automaten gezogen hatte. Wenn Pi etwas aufheiterte, waren es Süßigkeiten. Da ich diese jedoch nicht zur Hand hatte, musste der Kakao eben reichen.

„Danke.“ Mein Gegenüber versuchte mich kläglich anzulächeln und schnappte sich die Dose, um sich sofort die Hände daran zu wärmen. Obwohl wir uns beide bei den Temperaturen wahrscheinlich den Tod holen würden, setzte ich mich neben Tomo und wartete geduldig, bis dieser wofür auch immer bereit war.

„Ich will nicht, dass du Ärger bekommst, weil du wegen mir schwänzt“, nuschelte es irgendwann neben mir leise, sodass ich Probleme hatte, die Worte überhaupt zu verstehen.

„Mach dir mal keine Gedanken. Ich hab uns beide abgemeldet. Ich kann dich doch nicht unbeaufsichtigt lassen, wenn dir plötzlich schlecht wird. Was wäre ich für ein Schulsprecher“, erklärte grinsend und war selbst etwas stolz darauf, so schnell geschaltet zu haben, als ich beinahe die Sekretärin auf dem Flur umgerannt hatte.

„Als ob das jemand glauben würde. Vor...dem Besuch beim Rektor ging es mir noch prächtig.“ Mir entging sein Stocken nicht, jedoch konnte ich es auch nicht richtig einordnen. Was zur Hölle war hier nur los?

„Gerade das macht es glaubhaft. Die Wirkung hat Kitagawa auf jeden. Ich ziehe es auch vor, ihm mit möglichst nüchternen Magen zu treffen.“

„Ach deswegen isst du nie gescheit.“ Und da war es, ein kleines Lächeln.

„Ich hoffe, mein Geheimnis ist bei dir sicher.“ Ich zwinkerte Pi verschwörerisch zu und erntete darauf ein bestätigendes Nicken, gefolgt von einem verhaltenen Kichern.

„Hat Jin dich geschickt?“, fragte er nach einer kurzen Stille.

„Er macht sich Sorgen“, antworte ich und versuchte erst gar nicht, es zu leugnen. Ich hatte immer noch die Tatsache zu verdauen, dass Akanishi in der Lage war, sich um jemand anderen zu sorgen, als um sich selbst.

„Pft, er sollte lieber mal an sich denken. Für wen hält er sich, einfach über Köpfe anderer hinweg zu entscheiden?“ Mir lagen so einige Antworten auf der Zunge: Mister Universum, Don Juan, Casanova oder die Antwort auf einfach alles, aber das behielt ich lieber für mich und wartete weiter darauf, dass mir endlich mal jemand die Zusammenhänge erklärt.

„Es ging los, als ich gerade frisch hier angenommen wurde. Ich war so froh, auf die gleiche Schule wie Jin gehen zu können. Ich hatte ein paar Probleme mit dem Stoff, aber Johnny war immer freundlich zu mir ….“ Bei den Worten zogen sich meine Gedärme schmerzhaft zusammen. Etwas hatte ich in der Zeit hier gelernt. Kitagawa war niemals nett, es sei denn, er verfolgte ein genaues Ziel. Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob ich die Geschichte wirklich hören wollte.

„Er bat mich oft zu sich, um mit mir darüber zu reden und eine Lösung zu finden. Am Anfang war ich ihm dankbar, nur irgendwann wurde es seltsam. Er stellte persönliche Fragen und kam dabei immer näher. Es ist nichts passiert. Hier und da nur eine Berührung, aber es war mir unangenehm. Deshalb habe ich Jin davon erzählt.

Ich konnte seine Definition von „nichts“ nicht unbedingt teilen. Kein Wunder, dass Akanishi so ausgerastet war.

„Dann hörte es einfach auf. Ich hatte mir nichts dabei gedacht. Wenn ich gewusst hätte...Ich hätte niemals zugelassen, dass er sich so von Johnny abhängig macht.“

Mit einem Mal ergab alles Sinn. Die Aufsicht, die Nachweise über die Arbeiten von Akanishi und die Reaktion von Kitagawa auf den übersichtlichen Bericht. Der Alte hatte Angst die Kontrolle zu verlieren. So widerlich seine Methoden auch waren, ich kam nicht umhin, meinen Hut vor der Genialität des alten Kauzes zu ziehen. Es war schon beeindruckend, wie er uns alle an der kurzen Leine hielt.

„Dabei hat er schon genug mit dem Unternehmen seiner Eltern zu tun. Jeder hat seine Grenzen und ich will verdammt nochmal nicht schuld sein, wenn er seine erreicht“, sprudelte es weiter aus Pi heraus, während ich das Puzzle Stück für Stück zusammensetzte. Eine Antwort fehlte jedoch noch. Warum Yamashita Tomohisa? In dieser Schule wimmelte es gerade vor hübschen Jungs. Warum ausgerechnet er? Lag es einfach am speziellen Geschmack des Rektors oder war Akanishi von Anfang an das Ziel?

„Ich werde versuchen, ihm einen Teil abzunehmen, ohne dass es Kitagawa merkt“, schlug ich gedankenverloren vor, ohne auch nur darüber nachzudenken.

„Wirklich?“ Es lag so viel Hoffnung in seiner Stimme, dass mir ganz mulmig wurde. Auf was hatte ich mich da nur wieder eingelassen?

„Versprochen.“
 

Ich hatte Yamapi erfolgreich überredet, den Rest des Tages einfach blau zu machen und nach Hause zu gehen. Es hätte sowieso nichts gebracht, wenn er gedankenverloren in den verbleibenden Stunden gehockt hätte. Es war beinahe verlockend, es ihm gleich zu tun, aber wie immer siegte meine Vernunft.

„Kamanashi!“ Ich war gerade dabei, von einem Raum zum nächsten zu pendeln, als ich meinen Namen vernahm und Matsumoto Jun auf mich zu sprinten sah. „Hast du es schon gehört?“, sprudelte es sofort aufgeregt aus ihm heraus, als er mich erreichte.

Jun war einer der ersten, welcher sich dem Baseball Club anschloss. Er besaß nur mäßiges Talent, war aber sehr eifrig und motiviert dabei, sodass ich ihn dennoch in meine engere Auswahl aufgenommen hatte.

„Was gehört?“

„Der Sportplatz und die Turnhalle sind bis auf weiteres für die Fußballer reserviert. Durchgehend!“

„Was?“

Ich ließ mich von ihm zu dem Aushang bringen, welcher definitiv vor ein paar Stunden noch nicht vorhanden war. Ungläubig starrte ich auf die Verlautbarung, welche besagte, dass das Training des Fußball-Clubs mit sofortiger Wirkung Vorrang hatte. Grund war irgendein wichtiges Qualifikationsspiel. Alle anderen Clubs wurden um Verständnis gebeten, welches ich nur bedingt aufbringen konnte. Wie sollten wir für die Schulmeisterschaften im nächsten Jahr trainieren, wenn wir keinen Platz hatten. Einen schlechten Scherz konnte ich ausschließen, da Kitagawas Unterschrift diesen Schwachsinn legitimierte.

Ich hatte den Drang dringend etwas zu zertrümmern, versuchte mich aber intensiv atmend unter Kontrolle zu halten.

„Ich werde mich darum kümmern“, versprach ich Jun, welcher selbst alles andere als glücklich wirkte. Zuerst aber brauchte ich mehr Informationen, um herauszufinden, wem ich meinen Schläger über den Schädel zu ziehen hatte.

Wie sich herausstellte, handelte es sich tatsächlich nicht um einen persönlichen Rachefeldzug des Rektors, da nicht nur der Baseball-Club von der Bevorzugung des Fußballteams betroffen war, sondern alle Sportclubs, welche den Sportplatz der Schule nutzten. Es herrschte allgemeine Unruhe unter den Schülern, aber keiner traute sich, öffentlich der Entscheidung zu widersprechen. Nur ein Name wurde hin und wieder verhalten gemurmelt: Miura Haruma. Zufälliger Weise wurden eben dieser vor wenigen Tagen zum Teamkapitän und Clubpräsidenten gewählt. Unter dem Vorwand, die Termine für die nächste Woche koordinieren zu wollen, gewährte mir Kitagawas Sekretärin Einblick in den Kalender des alten Kauzes. Ich war nicht verwundert, darin einen persönlichen Termin mit Miura kurz vor der Änderung der Trainingszeiten zu finden. Anscheinend besaß unser Botschafterkind etwas, was Kitagawa wollte. Wenn sich dieser Wichtigtuer jedoch einbildete, mir das einzige nehmen zu können, was diese Hölle erträglich machte, hatte er sich definitiv geirrt.
 

Wer auch immer auf die Idee kam, ein Klassenleitertreffen auf einen Freitagabend nach Schulschluss zu legen, gehörte in der Regel eingesperrt, aber heute kam mir diese Entscheidung entgegen. Es wurde Zeit, etwas gegen die neue Plage in dieser Schule zu unternehmen, aber vorher brauchte ich Informationen. Wenn der Kerl so eine große Nummer war und in Johnnys Gunst stand, konnte es nicht schaden, ein paar Verbündete zu haben. Und ich wusste auch schon, wer mir die nötigen Informationen beschaffen konnte.

Ich beendete das Meeting früher als gewöhnlich, damit mir genügend Zeit blieb, meinen Plan in die Tat umzusetzen.

„Tatsuya, ich müsste noch etwas mit dir besprechen.“ Der Angesprochene hielt sogleich beim Packen seiner Sachen inne und ein anzügliches Lächeln huschte über sein Gesicht. „Immer zu Diensten."

Ich hielt es für besser zu warten, bis alle anderen das Zimmer verlassen hatten. Anscheinend verstand mein Gegenüber recht schnell, dass ich ihn nicht zum „Spaß“ um eine Unterredung gebeten hatte.

"Was ist los?", fragte dieser schließlich ernst, als wir endlich alleine waren.

„Miura Haruma. Was weißt du über ihn?“

"Nicht viel. Irgendein Sohn irgendeines Botschafters. Verdammt scharf, aber nicht unbedingt ein Sonnenschein", kam sofort die Antwort, welche mir leider nicht viel nutzte.
 

"Ich brauche deine Hilfe. Kannst du dich unauffällig umhören? Wenn ich Fragen stelle ...“

"… dann wollen die Leute wissen, warum. Bei mir meinen sie, die Antwort bereits zu wissen", beendete Tatsuya meinen Satz und lächelte mich verschmitzt an. Ich nahm mir vor, zukünftig mein Gegenüber nicht zu unterschätzen. Er mochte unkonventionelle Moralvorstellungen haben, aber er war nicht auf den Kopf gefallen. "Was bekomme ich dafür?" Die Frage kam nicht gerade überraschend, denn ein Gefallen an dieser Schule war niemals umsonst. Es sei denn, man fragte Yamapi.

"Es gibt nicht viel, was ich dir anbieten könnte." Zumindest nichts, was über meiner Gürtellinie lag. Aber anscheinend hatte mein Gegenüber seinen spendablen Tag.

"Mir hingegen fällt da eine ganze Menge ein, aber sagen wir, ich habe etwas gut bei dir."

Conspiracy

Kapitel 14 - Conspiracy
 


 

Jin
 

Schlaf hatte sich in den letzten Jahren zur Mangelware entwickelt. Im Normalfall waren dafür jedoch meine Jobs verantwortlich. Diesmal lag ich seit geschlagenen zwei Stunden in meinem Bett und konnte partout nicht einschlafen. Meine Gedanken kreisten noch immer um die Geschehnisse, welche während der Mittagspause stattgefunden hatten. Ich fragte mich, wie ich mich bei Tomo entschuldigen sollte. Dass ich Bockmist gebaut hatte, war mir schmerzhaft bewusst, aber zu ändern war es nicht mehr. Der Grund, warum ich so selten log war, dass man sich früher oder später selbst in seinen Märchen verstrickte oder jemand anderweitig die Wahrheit herausfand. Ich war Schuldgefühle nicht gewohnt und dementsprechend schwer fiel es mir, damit umzugehen. Ich konnte nur hoffen, dass ich meinen besten Kumpel wieder gnädig stimmen konnte. Gefrustet drehte ich mich auf den Bauch und vergrub mein Gesicht im Kissen.
 

Am nächsten Morgen wagte ich kaum den Blick in den Spiegel. Es würde zur Herausforderung werden, die von Tomo kritisierten Augenringe ausreichend abzudecken. Seufzend machte ich mich ans Werk. Heute Nachmittag hatte ich ein Shooting und sollte mich zumindest so weit in einen Menschen verwandelt haben, dass mir die Stylisten keinen kompletten Eimer mit Farbe ins Gesicht schütten mussten.
 

In der Schule angekommen suchte ich als erstes den Menschen auf, den ich seit Tagen gemieden hatte: Kamenashi. Da er an den Kaffeeautomaten nicht zu finden war, blieb nur noch die Bibliothek übrig. Dort saß er auch tatsächlich über einen Stapel Papier gebeugt.

„Wie geht es Tomo?“, fragte ich, als ich mich ihm gegenüber niedergelassen hatte.

Kamenashi ließ sich zum Glück nicht so lange bitten wie der alte Schmierlappen von Rektor, sondern sah augenblicklich auf. Seinen Blick konnte ich wie so oft nicht deuten und sein anfängliches Schweigen ließ meine hart erarbeitete Neutralität beinahe kippen.

„Ich konnte ihm die Tabletten noch rechtzeitig abnehmen“, seufzte er tief und schaute mich mit ernster Miene an. Mir rutschte mein Herz gleich eine Etage tiefer und wahrscheinlich entgleisten meine Gesichtszüge ebenfalls in diese Richtung. Ein angedeutetes Lächeln von dem Knirps machte mir klar, dass ich ihm soeben auf den Leim gegangen war. Wirklich witzig.

„Keine Sorge, er ist wohlauf und wird dich auch nicht steinigen.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, murmelte ich und beschloss, das Treffen zu beenden. Ich hatte meine Antwort erhalten. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass Kamenashi recht behalten würde.

„Ich hab hier noch Unterlagen für dich“, sagte ich, überreichte ihm meine Gedanken und Ideen zur letzten Agenda und stand auf. Da ich die Nacht ohnehin nicht schlafen konnte, hatte ich sie dafür genutzt. Inzwischen genügte eine vage Andeutung von egal wem und mein Pakt mit der Ausgeburt des Bösen wäre passé. Ich musste mich noch mehr ins Zeug legen, um Pi zu schützen und wenn ich mich mit stinklangweiligen Protokollen über die unwichtigsten Dinge diesseits der Himmelssphäre auseinandersetzen musste, würde es eben so sein. Hauptsache, alle hielten die Fresse, sonst würde ich notfalls mit Gewalt bei jedem einzeln dafür sorgen, dass niemand Johnny etwas falsches erzählte.

„Und danke noch mal“, fügte ich an und sah zu, dass ich weg von ihm kam, bevor ich noch Dummheiten begann. Kamenashis Nähe würde mein Versprechen ihm gegenüber ganz schnell brechen lassen. Zurückhaltung war eine Tugend, die mir nicht zu Eigen war und seit der Nacht mit ihm wollte ich ihn nur noch mehr.
 

Auf dem Schulflur hielt ich Ausschau nach Tomo, konnte ihn aber unter der Traube Schüler nicht ausmachen. Ich seufzte leise und fragte mich, ob er wohl noch sauer auf mich war oder ob seine Wut über Nacht verraucht war. Gedankenverloren schlenderte ich den Gang entlang und bekam nicht mir, dass sich jemand an meine Fersen heftete. Erst ein lautes Räuspern ließ mich zusammenzucken und in allerletzter Sekunde konnte ich verhindern, dass sich ein Schrei aus meiner Kehle löste. Mein Herz!

„Jesus fucking Christ“, fluchte ich auf Englisch und sah dem Verursacher meiner Beinahe-Attacke ins Antlitz. Der Teufel persönlich, welcher auf den Namen Kamenashi Kazuya hörte, stand neben mir und schenkte mir eines seiner seltenen Lächeln.

„Was ist?“, fragte ich mit einer viel zu hohen Stimme. Ich hustete schnell, um die Sache in den Griff zu bekommen.

„Ich wollte dich fragen, ob du heute wieder meinen Chauffeur spielen würdest.“

„Wieso der plötzliche Sinneswandel?“ Noch bis eben hätte ich geschworen, dass er lieber mit der Zahnfee ein weiteres Date verbringen würde, als noch einmal einen Fuß in mein Auto zu setzen.

„Wegen eines Oberleitungsschadens“, folgte die aufschlussreiche Erklärung.

„In deinem Hirn oder wie?“, fragte ich grinsend.

„Als Experte auf diesem Gebiet solltest du dich ja bestens auskennen“, konterte er wie immer gelassen.

„Bei dir kenne ich mich inzwischen mit ganz anderen Dingen aus.“ Dass meine Gedanken mein Blut schneller in Wallung brachte, als gut für mich war, ignorierte ich gekonnt.

„Wie auch immer. Es gab einen Unfall und die Leitungen meiner Linie sind runter gekommen. Bis zum späten Nachmittag fährt keine Bahn.“

Aus den Augenwinkeln sah ich Tomo hinter Kamenashi auftauchen und ich vergaß alles, was ich sagen wollte. „Ich fahr dich“, murmelte ich weggetreten und beobachtete, wie mein hoffentlich noch bester Kumpel auf uns zukam.

„Hey Kame“, lächelte Pi und begrüßte auch mich. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob er mir gegenüber kühler war oder nicht.

Unser Schulsprecher blickte verstohlen zwischen uns beiden hin und her und ich stand kurz vorm Durchdrehen. Diese Ungewissheit hielt ja kein Mensch aus.

„Wollen wir?“, fragte Tomo an Kamenashi gewandt und ich hatte das Gefühl, als würde mir etwas zwischen den Fingern entgleiten.

„Wir reden später, Jin“, verabschiedete er sich und ließ mich einfach stehen. Ich konnte ihm wieder einmal nur hinterherstarren und mich fragen, ob seine Aussage als positiv oder negativ zu werten war. Dass er noch mit mir reden wollte, war eher etwas Gutes. Es sei denn, er wollte mir die Freundschaft kündigen und diese unangenehme Sache aufschieben. Erschrocken über mich selbst schüttelte ich den Kopf. Ich hatte schon Gedankengänge wie eine Frau. Dabei war es sonst nicht meine Art, alles zu analysieren. Aber was zur Hölle war das gerade gewesen? Ich sah, wie die beiden hinter der nächsten Abbiegung verschwanden und beschloss, dass Wurzeln zu schlagen keine Alternative war.
 

Bis zur nächsten Unterrichtseinheit war ich ein seelisches Wrack. Die Unsicherheit nagte an mir und über Nacht war ich offenbar zum Weichei mutiert, dass ich mir so einen Kopf machte. Was sollte schon passieren? Es handelte sich immer noch um Pi, meinen ältesten Freund, der mir näher als jede andere Person in meinem Leben stand. Er würde mich nicht in die Wüste schicken. Gefrustet stöhnte ich auf und zog damit die ungeteilte Aufmerksamkeit der Klasse auf mich. Ich saß noch immer im Unterricht und mein kleiner Ausbruch war somit nicht unbemerkt geblieben. Ich war eindeutig durchgedreht.

„Alles in Ordnung bei Ihnen, Akanishi?“, sprach mich zu allem Überfluss auch noch unser Lehrer auf meinen Fauxpas an.

„Ganz wunderbar“, presste ich hervor und rang mir ein Lächeln ab. Der Unterricht wurde fortgesetzt und ich knallte meinen Kopf auf die Tischplatte. Die restliche Schulstunde konnte ich auch nutzen, um Schlaf nachzuholen. Wahrscheinlich war ich deshalb so neben der Spur.
 

Noch nie im Leben war ich so unmotiviert gewesen, mich zur Raubtierfütterung in den Speisesaal zu begeben. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete und ich wollte es schon gar nicht mehr herausfinden. Tomo hatte mich während der Pausen nicht aufgesucht und ich malte mir im Kopf die schlimmsten Szenarien aus. An der Eingangstür fing er mich ab und ich schluckte den dicken Kloß hinunter. Die Stunde der Wahrheit war gekommen.

„Können wir kurz reden?“. Ich nickte stumm auf die Frage und folgte ihm. Etwas abseits von den Massen der Schüler blieben wir stehen.

„Ich bin dir nicht mehr böse.“ Ein spitzbübisches Lächeln schlich sich auf seine Züge und meine Augen wurden groß wie Teller.

„…und das konntest du mir nicht schon heute Morgen mitteilen?“ Ich war fassungslos. So bösartig hätte ich Tomo nicht eingeschätzt. Das war einfach zu viel für mich.

„Ich dachte, es ist nur fair, wenn ich dich auch ein bisschen im Unklaren lasse.“ Das…verdammt, dagegen konnte ich nichts einwenden. Leider lag er damit im recht.

„Du hast wahrhaft grausame Erziehungsmethoden.“

„Ich weiß. Verheimliche mir bitte nie wieder so etwas, okay?“

„Versprochen. Ich habe meine Lektion gelernt.“

„Gut. Dann darfst du mich jetzt umarmen. Ich weiß doch, dass du schon die ganze Zeit darauf lauerst.“

Ich grinste breit von einem Ohr zum anderen. Für Pi war ich viel zu offensichtlich. Vermutlich hatten mich meine scharrenden Hufe verraten.

Das Angebot nahm ich natürlich ohne zu zögern an und schloss ihn fest in meine Arme.

„Hab dich lieb Kleiner.“

Tomo war die einzige Person, bei der ich fähig war, sentimental zu werden. Ich war mehr als froh, dass ich mit ihm wieder im Reinen war.
 

Mitte der nächsten Woche bat mich Tatsuya um eine Privataudienz. Meine Vorfreude auf das kommende Treffen ließ mich unruhig auf meinem Sitz hin und her rutschen, sodass mich Junno und Koki mit genervten Seitenblicken bedachten. Ich konnte es kaum erwarten, dass es zur Mittagspause läuten würde. Als es endlich geschah, rannte ich schnurstracks zum verabredeten Treffpunkt. Unser geheimes Kellerverlies, wie wir den Heizungsraum liebevoll getauft hatten, hatten wir eine halbe Ewigkeit nicht genutzt. In unseren ersten Jahren an der Schule hatten wir vermutet, dass Johnny ungehorsame Schüler hier zur Räson brachte. Dass er dafür keinen anderen Ort als sein Büro nutzte, wurde uns erst später klar.

Als ich die Tür hinter mir schloss und an einigen Heizungsrohren vorbeigegangen war, erspähte ich bereits einen wartenden Ueda. Sein ernster Gesichtsausdruck erstickte meine Libido jedoch im Keim. Seine wachen Augen verhießen eher Kriegsplanung als die Aussicht auf ein Schäferstündchen.

„Okay, was hast du angestellt?“, fragte ich und verschränkte meine Arme vor der Brust.

„Die richtigere Frage wäre eher, was ich nicht vollbracht habe.“

Die nächsten Minuten schilderte er mir die Unterhaltung, die er letzte Woche mit Kamenashi geführt hatte sowie seine eher fruchtlosen Nachforschungen, die er im Bezug auf Miura Haruma angestellt hatte.

„Ich habe mich auch mit ihm unterhalten und er ist definitiv kein Top.“

„Bist du dir sicher?“

„Absolut. Meine Avancen sind komplett auf Granit gestoßen. Er wüsste nicht, wie man jemanden gegen die nächste Wand nagelt, selbst wenn man ihm Hammer und Nagel zur Verfügung stellt.“

Ich grinste bei Uedas anschaulichen Verdeutlichung der Situation. Und ich vertraute seiner guten Menschenkenntnis. Wenn er sagte, dass das Bübchen ein Bottom war, war er auch einer.

„Und er ist nicht einfach nur hetero?“, hakte ich zur Sicherheit trotzdem nach.

„Ich bitte dich. Unterhalte dich nur fünf Minuten mit ihm. Alles an ihm schreit nach einem Finger in seinem Arsch.“

„Bleibt nur die Frage: Warum sollte ich das tun?“

„Weil ich jede Wette eingehe, dass die Bevorzugung des Fußballclubs nur der Anfang ist. Er mag zwar im Bett der Unterlegene sein, aber er ist ein verzogenes Einzelkind, das es gewohnt ist, seinen Willen zu bekommen. Und ich sage dir das eine: Er will mit allen Mitteln die Herrschaft erlangen.“

„Wozu die Mühe? Der ist doch eh bald wieder von der Bildfläche verschwunden.“

„Das ist die eine Sache, die ich nicht verstehe.“

„Und das macht dich stutzig“, schlussfolgerte ich. Wenn Tatsuya Gefahr witterte, war das immer berechtigt. Der Jüngere war ein Meister darin, Intrigen zu spinnen und dementsprechend in der Lage, solche bereits weit im Voraus zu erkennen.

„Irgendwas ist im Umbruch und ich hasse es, es nicht deuten zu können. Aber wenn der Idiot es schafft, die Macht zu erlangen und dich damit vom Thron zu stoßen, sind unsere schönen Tage an der Schule gezählt.“

Von der Warte hatte ich es noch gar nicht betrachtet. Überhaupt hatte ich keinen Gedanken an mögliche Gefahren verschwendet. Viel zu sehr war ich mit meinen Jobs und Tomos Sicherheit beschäftigt gewesen, als dass mir Unstimmigkeiten aufgefallen wären. Am Ende war es gar nicht Kamenashi gewesen, mit dem Johnny einen Deal abgeschlossen hatte sondern dieses verzogene Botschaftersöhnchen? Die Konsequenzen dessen wollte ich mir gar nicht erst ausmalen.

„Wir brauchen mehr Infos über ihn und was er vor hat. Bist du dabei?“

„Morgen wird er humpeln“, sagte ich entschlossen und wollte bereits in die Schlacht ziehen, als ich von Ueda zurückgehalten wurde.

„Reden, Jin. Nicht nur vögeln“, ermahnte er mich.

„Sie reden alle, wenn ich meine Ermittlungsmethoden anwende.“
 

Als allererstes musste ich den Schnösel finden. Wie ich ihn zum Singen bringen würde, würde ich improvisieren müssen. Pläne zu schmieden war nicht meine Stärke, also versuchte ich es gar nicht erst. Irgendetwas würde mir schon einfallen.

Der Speisesaal war um die Uhrzeit natürlich gut bevölkert, doch ich hatte Glück: Das Bübchen beanspruchte im hinteren Teil des Raumes einen kompletten Tisch ganz für sich allein. Offenbar duldete er keine Präsenz neben seiner eigenen. Es wurde höchste Zeit, dies zu ändern!

Ich schnappte mir den Stuhl neben ihm und ließ mich schwungvoll darauf nieder.

„Was geht, Alter?“

Miura drehte seinen Kopf langsam zu mir und zog eine seiner perfekt gezupften Augenbrauen in die Höhe.

„Kennen wir uns?“, kam es in arrogantem Ton. Jetzt galt es, Ruhe zu bewahren und ihn nicht daran zu erinnern, dass ich der 'Landstreicher' war, der ihm vor einiger Zeit die Leviten gelesen hatte.

„Noch nicht, aber das lässt sich ändern.“ Ich strahlte ihn mit dem charmantesten Lächeln an, dass ich aufbringen konnte.

„Ich wüsste nicht, wieso ich das wollen würde“, sagte er und drehte sich wieder seinem Essen zu. Jetzt seinen Kopf zu nehmen und in seinen Teller Nudeln zu drücken, war eine verlockende Vorstellung, aber ich konnte mich beherrschen. Stattdessen griff ich zwischen seine Beine und drückte gerade so fest zu, dass es noch nicht schmerzte.

„Dann lassen wir eben die Floskeln und gehen gleich zum spannenden Teil über“, plauderte ich fröhlich.

Seine Stäbchen krachten ebenso wie sein Kiefer zu Boden. Den Anblick seiner weit aufgerissenen Augen sog ich voller Vergnügen in mich auf.

„Lass das gefälligst.“ Von seinem gebieterischen Ton war nichts mehr zu hören. Es fiel ihm sichtlich schwer, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen.

„Halte mich doch ab“, sagte ich und rieb mit etwas weniger Druck über seine empfindlichste Stelle. „Aber ich glaube, du willst gar nicht, dass ich aufhöre.“

Ich stützte mich vollends auf Tatsuyas Aussage und betete, dass dieser mit seiner Theorie recht behielt.

„Fuck“, entwich es ihm zittrig.

„Na, na, doch nicht hier vor allen Leuten. Was sollen deine Mitschüler sonst von dir denken?“

„Was willst du?“, fragte er mit gesenkter Stimme.

„Dich“, flüsterte ich ihm gefährlich nahe ins Ohr.

Miura drehte seinen hochroten Kopf wieder zu mir und suchte irgendetwas in meinem Gesicht. Vielleicht nahm er an, dass ich ihn nur verarschen wollte.

Er knabberte auf seiner Unterlippe herum und überlegte einige Sekunden, bevor er sprach: „Wann?“

Ding, ding, Jackpot! Ich nahm mir vor, Uedas Menschenkenntnis nie wieder in Frage zu stellen und ihn später dafür zu belobigen. Ich konnte kaum glauben, dass der Kleinere tatsächlich so tickte. Von seiner herrischen Art blieb nichts übrig, wenn man ihn nur mit noch mehr Dominanz nieder warf.

„Freitag bin ich frei“, raunte ich und hatte schnell meinen Terminkalender im Kopf abgerufen. Dass ich heute und morgen gar keine Zeit hatte, war mir erst unterwegs in den Sinn gekommen.

„Ich melde mich wieder bei dir“, sagte ich und stand auf. Auf dem Weg nach draußen schnappte ich mir noch Obst, da ich fast die gesamte Mittagspause für diesen Deppen vertrödelt hatte. Für ein richtiges Essen hatte ich keine Gelegenheit mehr. Ich textete Ueda die neueste Entwicklung aufs Handy und begab mich zur nächsten Unterrichtsstunde.
 

Kame
 

Ich war überzeugt davon, dass Ueda schon seine Mittel und Wege hatte, an Informationen zu kommen, jedoch wollte ich mich nicht gänzlich auf seine Hilfe verlassen. Wozu gab es das Internet und Google wusste bekanntlich ja auf jede Frage eine Antwort. Ein Poltern riss mich aus meinen Gedanken Das Knallen von Schubladen und Schranktüren folgte. Anscheinend war meine Großmutter mal wieder dabei, eines Ihrer Rezepte auszuprobieren. Ein guter Grund, im Zimmer zu bleiben und sich nicht den gemeingefährlichen Dämpfen auszusetzen, welche wahrscheinlich bereits die Küche vernebelten. Vorsichtshalber öffnete ich noch ein Fenster. Man konnte nie achtsam genug sein.

Meine nachmittägliche Recherche hatte leider mehr Fragen als Antworten geliefert. Es war nicht ungewöhnlich, dass ich mich in der Mittagspause im Sekretariat der Schule aufhielt. Inzwischen kannte ich die Abläufe der meisten Lehrer und Angestellten in- und auswendig. Einmal in der Woche traf sich unsere Vorzimmerdame mit einer Freundin zum Lunch. Es war also der perfekte Zeitpunkt, um einen Blick in die Akte von Miura Haruma zu werfen, ohne, dass unerwünschte Fragen aufkamen. Ich tat so, als wäre ich in die Zeitplanung der nächsten Woche vertieft, während sich die Kaffeetippse endlich anzog und mit einer gemurmelten Entschuldigung verabschiedete. Ihren Rechner versperrte sie wie immer nicht. Wahrscheinlich war Ihr Hirn nicht in der Lage, eine Kombination von mehr als zwei Tasten auf einmal umzusetzen. Ein Passwort war daher völlig überflüssig. Wenige Klicks später und die Akte lag geöffnet auf dem Bildschirm. Der Anblick entlockte mir jedoch nur ein enttäuschtes Seufzen. Jeder, der diese Seiten in die Finger bekam, würde annehmen, dass Miura ein Bilderbuchschüler, nahezu ein Heiliger, war. Ein Kind, wie es sich jede Mutter wünschte. Ich erkannte jedoch sofort die Wahrheit. Das einzige, was in dieser Akte der Wahrheit entsprach, waren die persönlichen Daten sowie die Adressen der zuletzt besuchten Schulen. Jemand hatte sich definitiv viel Mühe gegeben, unserem Botschaftersohn eine weiße Weste zu verpassen. Ich wusste, wovon ich sprach, denn meine Schulakte sah exakt gleich aus.

Meine Hoffnung lag nun vollständig auf dem World Wide Web. Doch auch hier war die Ausbeute überraschend gering. Es gab keine großartigen Aktivitäten auf diversen, sozialen Netzwerken oder Berichte über Skandale. Sein Vater war Botschafter und positioniert in China. Ein wichtiges Tier im Zusammenhang mit der ökonomischen Annäherung zwischen unseren beiden Ländern, jedoch waren keine Details über seine Tätigkeiten zu finden. Über die Mutter gab es noch weniger. Entweder sie war bereits verstorben oder hielt sich völlig vom öffentlichen Leben fern. Frustriert gab ich auf und grübelte über eine Alternative nach. Die Akte musste der Schlüssel sein und ich kannte nur eine Person, welche in der Lage war, dieses Rätsel zu lösen.
 

Es war nicht sonderlich schwer, Maru in der Mittagspause ausfindig zu machen Unser Nerd hielt sich in der Regel von der Mensa fern und verbrachte seine Pause lieber in Ruhe mit seinem Laptop oder einem guten Schachspiel. Da mir für letzteres die Zeit fehlte, war ich froh, ihn im Computerkabinett anzutreffen.

„Hey, Nakamaru, was macht das nächste Level“, begrüßte ich meinen Mitschüler freundlich und nahm neben diesem Platz.

„Es ist schwerer als gedacht, aber machbar“, erwiderte Maru mit festen Blick auf den Bildschirm, nur um den Laptop zwei Sekunden später zusammenzuklappen. „Was kann ich für dich tun?“

„Ich muss dich um einen Gefallen bitten, aber ich fürchte, die gesamte Angelegenheit ist nicht ganz legal.“

Verständlicherweise war er am Anfang nicht sehr begeistert von der Sache, aber spätestens als ich erwähnte, dass es sich um Miura Haruma handelte, waren alle Zweifel ausgeräumt. Anscheinend war unser Liebchen mit Maru des Öfteren zusammengestoßen, wodurch sich Miura nicht unbedingt beliebter machte. Da mir spontan keine bessere Erklärung für mein Interesse an dieser Akte einfiel, schob ich alles auf meine Intuition, aber Nakamaru zog keines meiner Worte in Zweifel.
 

Nachdem dieser Teil erledigt war, musste ich mich nun dem unangenehmen Part stellen. Ich hatte Matsumoto mein Wort gegeben, die Sache mit unseren Trainingszeiten zu klären und dachte auch daran, es zu halten.

"Ich hatte mich schon gefragt, wann du hier auftauchen würdest", begrüße mich der Rektor ohne lange Umschweife. Mir wurde bei diesem selbstgefälligen Ton regelrecht schlecht. Ich brauchte mein Anliegen noch nicht einmal zu schildern, um zu wissen, dass mich Kitagawa erneut an den Eiern gepackt hatte und seine Macht sichtlich genoss.

"Ich wäre eher gekommen, aber einige Arbeiten haben Vorrang", antwortete ich ruhig und übergab die Papiere in meiner Hand, bevor ich sie vor Wut noch zerknüllte.

„Gut zu wissen, dass du deine Prioritäten nicht vergessen hast." Ich schwieg hierauf lieber und beobachtete den alten Knochen, wie er jedes einzelne Blatt kontrollierte. "Jin hat sich also gefangen." Der Ton in seiner Stimme war schwer zu deuten. Keine Ahnung, ob er zufrieden war oder lieber weiter mit Akanishi auf dem Kriegsfuß gestanden hätte.

"Es scheint so", erwiderte ich kühl und versuchte meine Gelassenheit aufrecht zu erhalten. Ich musste ruhig bleiben. Alles war so unauffällig untergebracht, dass Kitagawa den Braten unmöglich riechen konnte.

Akanishis Namen hier und da unterzumogeln, war nicht weiter schwierig. Ich beschränkte mich auf einfache, belanglose Dinge, die man ihm tatsächlich zutrauen konnte und fügte diese seinen Berichten hinzu. Niemand würde von Akanishi verlangen, sich an alle Details zu erinnern. Auch ging ich nicht davon aus, dass er sich je einen Bericht nachträglich durchlas, sodass er auch nie von meiner Erweiterungen erfahren würde. Es war nicht viel, aber es reichte, um mein Versprechen gegenüber Yamapi zu erfüllen.

„Sehr gut. Hoffen wir einmal, dass es so bleibt“, erlöste mich Kitagawa endlich und legte den Stapel beiseite, um ein weiteres Blatt zu greifen und mir entgegen zu halten. "Die Welt besteht immer aus einem Geben und Nehmen, Kamenashi. Ich möchte nicht, dass du denkst, ich hätte es vergessen." Die Worte an sich waren nett, aber in ihnen steckte sicherlich keine gute Absicht. Es war eine weitere Drohung und eine Erinnerung, meinen Platz in diesem Spiel nicht zu vergessen Trotzdem konnte ich meine Neugier nicht zügeln und schnappte mir den Wisch sogleich. Es handelte sich tatsächlich um eine Ausnahmeregelung für den Baseball-Club. Wir durften unsere Trainingszeiten behalten und erhielten für diesen Zeitraum uneingeschränkten Zugang zur Turnhalle sowie dem Trainingsplatz. Und das, ohne betteln zu müssen. Ich konnte es kaum glauben, aber hier stand es schwarz auf weiß – unterschrieben durch Kitagawa persönlich.

"Selbstverständlich. Ich danke Ihnen."

"Oh nein, Kamenashi, ich danke dir."
 

Meine Laune besserte sich zusehends, nachdem der Bescheid offiziell verkündet wurde und ich wieder etwas hatte, auf das ich mich am Ende des Tages freuen konnte. Der Großteil der Mannschaft hatte sich bereits umgezogen und lief die ersten Runden zur Aufwärmung. Nur noch Jun war anwesend und damit beschäftigt, seine Sachen in den Spint zu verstauen.

„Wie hast du das nur geschafft? Ich dachte wirklich, wir wären Geschichte. Was nützt ein neuer Sportclub, wenn er keinen Platz zum Trainieren hat? Wahnsinn.“ Begeistert schlug er die Spinttür zu und strahlte mich regelrecht an.

„Ich sagte doch, ich kümmere mich darum“, antwortete ich mit einem zufriedenen Lächeln. Ich konnte es kaum erwarten, endlich wieder auf dem Feld zu stehen und wenigstens für ein paar Stunden den ganzen Mist zu vergessen.

„Es muss wirklich Vorteile haben, der Schulsprecher zu sein. Kein anderer hat es gewagt, sich gegen die neue Regelung zu stellen.“ In Matsumotos Stimme schwang echte Bewunderung mit, aber er kannte ja auch nur einen Teil der Geschichte.

„Es kann seine Vorzüge haben.“ Wenn man bereit war, den Preis dafür zu zahlen.

Ich war mir vollkommen darüber im Klaren, dass ich mir mit meiner Aktion nicht nur Freunde gemacht hatte. Bisher kam keine negative Reaktion von den anderen Clubs, jedoch hatte mir eine Begegnung mit Miura deutlich gezeigt, dass ich mir einen definitiven Feind geschaffen hatte. Einen, den es nicht zu unterschätzen galt, wenn er wirklich in Kitagawas Gunst stand. Wenn aber alles nach Plan lief, würde sich auch dieses Problem bald in Luft auflösen.
 

Donnerstag machte ich mich nach dem Unterricht auf in Richtung Bibliothek. Da ein Klassenzimmer nicht unbedingt der geeignetste Ort war, unser Vorhaben zu besprechen, hatten Ueda und ich entschlossen, das Meeting auf die frühen Abendstunden zu legen, wenn die meisten Schüler bereits freudig den Heimweg antraten. Zu meiner Verwunderung war jedoch der hinterste Tisch bereits belegt. Noch mehr erstaunte mich allerdings durch wen. Akanishi saß mit beiden Füßen auf dem Tisch da und blätterte gelangweilt in einem Buch. Allein sein Anblick versetzte mich in Alarmbereitschaft und nur mit Mühe konnte ich meinen Fluchtreflex unterdrücken. Es fiel leichter, mich unter Kontrolle zu halten, wenn wir weiterhin einen gesunden Abstand zueinander hielten. Das hatte mir die letzte Autofahrt eingehend verdeutlicht. Zwar waren Akanishis Fahrdienste immer noch besser, als den kilometerlangen Heimweg zu Fuß zu bestreiten, aber dennoch kam mir die Strecke unendlich lang vor. Gebetsmühlenartig versuchte ich mir einzubläuen, dass ES eine einmalige Sache war und ICH keine Wiederholung brauchte. Dem entgegen standen die Bilder dieser Nacht, welche vor meinem inneren Auge in einer Dauerschleife liefen und meine körperlichen Reaktionen hierauf. Ich befürchtete, dieser notgeile Hammel müsste irgendwann nur noch einmal mit dem Finger schnippen und meine hart erkämpfe Selbstbeherrschung würde sich für immer in Luft auflösen. Es war daher eindeutig ratsam, möglichst wenig Zeit in dessen Gegenwart zu verbringen. Bedauerlicherweise war es für eine Flucht zu spät, da mich der Ältere bereits entdeckt hatte und mich mit einem Handzeichen begrüßte.

„Hast du dich verlaufen? Die Bücher hier bestehen hauptsächlich aus Wörtern und nicht aus Bildern, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest.“ Ich konnte mir meinen Kommentar nicht verkneifen, dabei würde es mich wirklich brennend interessieren, was Akanishi um diese Zeit hier verloren hatte.

„Das Kamasutra war in der Kinderabteilung nicht zu finden und da dachte ich mir, ich versuche hier mal mein Glück“, antwortete mein Gegenüber gelassen.

„Das wirst du hier auch nicht finden - höchstens eine Anleitung für spirituelle Enthaltsamkeit.“

„Da kennt sich aber einer aus.“

„Ah, da seid ihr ja“, kündigte Tatsuya sein Kommen schon von weitem an, sodass ich meine weiteren Kommentare lieber herunterschluckte und meinen Mitschüler begrüßte. Sein 'ihr' war mir keinesfalls entgangen. Die Anwesenheit von Akanishi war also kein purer Zufall. Hätte ich mir auch gleich denken können.

„Ich habe Jin dazu gebeten, da wir ein kleines Problem haben. Meine Avancen sind bei Miura leider auf wenig Resonanz gestoßen, da ich, nun ja, nicht gerade sein bevorzugter Typ bin“, erklärte Tatsuya das Dasein dieses Hammels sachlich, als ob er über das Wetter reden würde. Dass man auch ohne seinen Schwanz zu benutzen, an Informationen kommen konnte, behielt ich lieber für mich. Ich wusste, auf was ich mich einließ, als ich Ueda um Hilfe bat. Es war nicht der richtige Zeitpunkt für moralische Vorhaltungen.

„Was Tatsuya meint, ist, dass unser Botschaftersöhnchen nicht gern selbst die Gans stopft sondern sich lieber stopfen lässt“, erläutere er überflüssigerweise und grinste dümmlich.

„Danke für die anschauliche Erklärung, aber ich habe das Dilemma schon beim ersten Mal verstanden.“

"Oh, ich wollt nur sicher gehen, da du dich ja auf dem Gebiet nicht auskennst, oder?" Würde ich nicht erst denken, sondern direkt handeln, hätte meine Faust gerade Bekanntschaft mit dieser überheblichen Visage gemacht.

"Ach und da du der Experte bist, hast du dich natürlich völlig selbstlos freiwillig gemeldet", antwortete ich stattdessen und suchte mir einen Platz weit weg von dem Älteren.

"Was tut man nicht alles für seine Freunde."

Ein Räuspern hielt mich von einer weiteren Erwiderung ab. „Seid Ihr jetzt fertig?“, fragte Tatsuya als er sich unserer Aufmerksamkeit sicher war und blickte erst Jin, dann mich fragend an. Etwas lag in diesem Blick, was mir ganz und gar nicht gefiel. Ich musste mich dringend in Zurückhaltung üben, wenn ich wollte, dass unser Geheimnis auch eines blieb.

„Wie weit seid Ihr?“, versuchte ich daher das Thema wieder auf den eigentlichen Sachverhalt zu lenken.

„Unser Botschaftersöhnchen scheint nicht gerade gesprächig zu sein, aber Jin hat morgen ein Date mit ihm. Vielleicht taut er in privater Atmosphäre etwas auf“, erläuterte mir Ueda den bisherigen Plan, welcher mir spontane Magenkrämpfe bescherte. Ich fragte mich ernsthaft, was zum Teufel mit mir los war. Es konnte mir doch egal sein, in wen Akanishi seinen Schwanz sonst noch steckte. Wenn seine Aktivitäten auch noch meinen Plänen zu Gute kamen, war es umso besser. Ich versuchte daher, dieses flaue Gefühl gänzlich zu ignorieren und mich lieber auf unser Vorhaben zu konzentrieren. Akanishi selbst schien zumindest von seinem Part darin begeistert zu sein.

Während der Ältere sich mal wieder mit seinem Können beweihräucherte, erblickte ich zum Glück eine Gestalt, die sich suchend umsah.

„Nakamaru“, rief ich dankbar aus und winkte unseren Nerd heran.

„Wie viel sind eigentlich noch zu der Party eingeladen?“ Ich ignorierte Akanishis Kommentar völlig und wandte mich lieber Tatsuya zu, welcher ebenfalls leicht überrascht wirkte.

„Ich habe mir Miuras Akte angeschaut. Irgendetwas stimmte nicht, also habe ich Nakamaru gebeten, mal etwas nachzuforschen“, erklärte ich seine Gegenwart und nickte dem Neuankömmling aufmunternd zu. Nakamaru schien sich nicht gerade wohl in seiner Haut zu fühlen, ließ sich jedoch räuspernd auf dem Platz neben mir nieder.

„Auf den ersten Blick wirkte alles normal, jedoch machte mich das Eintrittsdatum in die Kaisei Akademie stutzig,“ startete er seine Ausführungen. „Laut Akte war Miura Haruma bereits einen Monat vor seinem ersten Auftauchen hier angemeldet. Eine Notiz für eine Beurlaubung oder sonstige Umstände konnte ich nicht finden. Ich habe mich daher…ähm…ich habe auf die Server seiner alten Schule zugegriffen und bin tatsächlich fündig geworden. Laut den E-Mails des Rektors wurde Miura wegen untragbaren Benehmens fristlos suspendiert. Die Schule befürchtete eine Rufschädigung.“

„Und dazu gab es keinen Vermerk?“, fragte Ueda verwundert.

„Nein, die Akte ist völlig sauber“, antwortete ich nachdenklich. „Es ist davon auszugehen, dass Kitagawa von den Umständen wusste und Miura dennoch aufnahm.“

„Und nachträglich die Akte 'optimierte', sodass niemand Fragen stellt,“ führte Tatsuya meinen Gedanken weiter. „Aber warum?“

Unsere Blicke wanderten zu Akanishi, der siegessicher grinste. „In zwei Tagen sind wir schlauer. Wenn ich mit ihm fertig bin, wird er schon singen wie ein Vögelchen.“ Wenigstens war einer von uns von seiner Rolle in diesem Theater überzeugt.

„Nun mal angenommen, er plaudert. Was nützt euch das ohne Beweise?“, gab unser Nerd zu bedenken und lag damit gar nicht mal so falsch.

„Nakamaru hat recht. Es wäre hilfreich, etwas in der Hand zu haben“, pflichtete ich ihm bei.

„Ich kann euch gern ein Bild schicken, von dem, was ich so alles in der Hand halten werde.“ Zum ersten Mal hatte Akanishi auf seine Art etwas Sinnvolles eingeworfen. Tatsuya grinste mich verschwörerisch an. Wahrscheinlich hatte er gerade ganz ähnliche Gedanken. „Sag mal, Jin“, säuselte er verführerisch, „was hältst du von einem eigenen Sex-Tape?“
 

Der gesamte Freitag war für den Arsch. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren. Immer wieder tauchte unser Plan für den heutigen Abend in meinem Kopf auf. So wenig mir die Sache auch gefiel, ein Zurück gab es nicht. Da ich keinesfalls heute Abend zu hause hocken wollte, um mir vorzustellen, wie viel Spaß Akanishi gerade haben würde, verabredete ich mich kurzerhand mit Taka. Ein wenig Abwechslung würde mir gut tun und ich sah meinen besten Kumpel derzeit wirklich zu wenig.

Im GODZ war schon eine ganze Menge los, aber ein kurzer, geübter Blick des Barkeepers und schon stand unser Stammtisch wieder zur Verfügung. Seufzend orderte ich mir schon einmal Getränke und ließ mich nieder. Ein Bier und zwei Kurze später erschien Taka endlich und entschuldigte sich pflichtbewusst gefühlte 100 Mal für seine Verspätung. Anscheinend gab es terminliche Schwierigkeiten mit dem Aufnahmestudio ihrer ersten richtigen CD. Der Kleine war so aufgeregt, dass er nicht aufhörte zu erzählen, während ich an meinem zweiten Bier nippte und versuchte, brav zuzuhören. Es tat gut, sich zur Abwechslung mal mit etwas zu beschäftigen, was nichts mit Akanishi oder Schule oder Akanishis Aktivitäten nach der Schule zu tun hatte. Auweia, und da waren wir wieder beim Thema. Um diese Zeit steckte er sicher voll und ganz in seiner Aufgabe – im wahrsten Sinne. Wahrscheinlich gefiel es diesem sexgeilen Bock auch noch. Wundern täte es mich nicht. Noch weniger als meine eigenen Gedanken mochte ich die Bilder, die vor meinem geistigen Auge auftauchten. Jedes Detail seines Körpers schien sich regelrecht in mein Hirn gebrannt zu haben, sodass meine Fantasie nur noch mehr beflügelt wurde.

„Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“, holte mich Taka zurück in die Realität und blickte mich vorwurfsvoll an.

„Äh ja klar, CD, Tonstudio, alles unwissende Vollidioten“, versuchte ich mich herauszureden, erntete jedoch nur einen weiteren skeptischen Blick.

„Was ist los?“

„Gar nichts“, antwortete ich etwas zu schnell und ertränkte meinen Frust lieber direkt im nächsten Shot. Das Zeug könnte mir langsam den Gefallen tun und anfangen zu wirken.

„Wie viel hattest du davon schon“, ging die Fragerunde weiter. Waren wir bei 'Wer wird Millionär'? Die Antwort war ganz klar: „Eindeutig nicht genug.“

„Scheiß Tag, was?“

„Scheiß Leben trifft es eher.“ Oh je, vielleicht sollte ich doch aufhören zu trinken. Ich befürchtete, wo dieser semi-depressive Schwall herkam, lauerte noch eine ganze Menge mehr.

„Geht das auch etwas genauer?“, bohrte Taka natürlich nach. “Stress in der Schule?“ Wenn er darunter das Herausekeln von ahnungslosen Mitschülern mit Hilfe von moralisch zweifelhaften Mitteln meinte, könnte Stress eine durchaus logische Erklärung sein. Jedoch bezweifelte ich, dass Taka – gut, wie er nun einmal war – für unser Vorhaben Verständnis aufbringen würde. Ich schüttelte daher einfach den Kopf und gab dem Barkeeper zu verstehen, dass die nächste Runde fällig wurde.

„Wenn das so ist, dann: Wer ist sie?“

„Was?“

„Kerle betrinken sich zu 99% wegen Frauen. Also, wer ist sie?“ Ich konnte nicht anders, als meinen besten Kumpel fassungslos anzustarren.

Wo der Mann recht hatte. Nur handelte es sich leider nicht um eine Frau sondern um die Ausgeburt der Hölle. Mir wurde urplötzlich klar, dass ich mir hier allen ernstes die Lichter ausblasen wollte, nur weil Akanishi selbiges gerade bei einem anderen Kerl tat. Konnte mein Leben eigentlich schlimmer werden? Per Handzeichen orderte ich sofort die nächste Runde, um diese Erkenntnis direkt zu ersäufen.

„Wenn es so einfach wäre“, seufzte ich deprimiert und suchte meinen Trost in einem großen Schluck Bier. „Können wir bitte das Thema wechseln?!“

Taka schien bemerkt zu haben, dass es keinen Sinn hatte, weiter nachzuhaken und nickte nur kurz, bevor er zum nächsten Punkt auf seiner mentalen Liste kam.

„Hast du schon Pläne für deinen Geburtstag? Kommen deine Eltern?“ Ich wünschte, wir wären bei Akanishi geblieben. Ich war kein sonderlicher Fan von Geburtstagen – am wenigsten von meinem eigenen.

„Nein, sie wollten. Dann hat sich jedoch irgendeine Konferenz ergeben, an welcher sie teilnehmen müssen.“ Taka schaute mich betroffen an, als wäre es das Ende der Welt, diesen Tag nicht mit seiner Familie zu verbringen. Gut, er war auch nicht in meiner aufgewachsen. Es gab immer wichtigere Dinge, die nun mal Vorrang hatten. Geld verdiente sich nicht von alleine. Ich war es von klein auf gewöhnt, diesbezüglich Abstriche machen zu müssen.

„Und deine Oma? Macht sie was?“, ging die Fragerei weiter. So langsam beschlich mich ein ungutes Gefühl.

„Sie wollte, aber ich hab gedroht, ihren Garten abzufackeln, wenn sie es wagen würde“, versuchte ich daher, sämtliche seltsame Ideen im Kein zu ersticken. Ein Blick auf Uhr verriet mir, dass es mittlerweile kurz nach 23 Uhr war. Ob Akansihi bereits gegangen war? Vielleicht gab es auch einfach eine zweite Runde. Die Belohnung für die Redseligkeit von Miura. Allein bei dem Gedanken wurde mir erneut ganz anders.

„Kazuya“, holte mich die Stimme meines besten Kumpels mal wieder zurück, welcher mich mit seinem Hundewelpenblick taxierte. Ach ja, Geburtstag. Ich sollte wirklich aufhören, andauernd abzuschweifen.

„Ich weiß nicht, was das ganze Gewese soll. Warum sollte man feiern, dass man schon wieder ein Jahr älter wird?“, machte ich etwas heftiger als beabsichtigt meinen Standpunkt klar und hoffte, auch dieses Thema schnellstens beenden zu können.

„Du klingst wie ein 80-Jähriger.“

„Ich war halt schon immer reif für mein Alter.“

Operation Bunny

Kapitel 15 - Operation Bunny
 


 

Jin
 

Die Straßen Shibuyas waren Freitag abends gut gefüllt mit gackernden Teenagern, genervten Angestellten, die von ihren anstrengenden Chefs flüchteten, Müttern, die neben überquellenden Einkaufstüten ihre plärrenden Bälger in Kinderwagen vor sich herschoben und Touristen, die ungläubig starrten, als wären sie auf einem weit entfernten Planeten gelandet.

Während ich mich durch die brodelnde Menge schob und krampfhaft meinen Rucksack umklammert hielt, kamen mir zum ersten Mal Zweifel am bevorstehenden Unterfangen. Ich konnte mich nicht erinnern, beim Vögeln je andere Missionen als bloße Befriedigung oder die Festigung von Geschäftsbeziehungen gehabt zu haben. Jemanden flach zu legen, um an Informationen zu gelangen, war ein völlig neues Gebiet, auf das ich mich begab. Dementsprechend angespannt war ich, als ich das Love Hotel betrat, in dem ich mich mit Miura verabredet hatte.

Der Botschaftersohn war nicht auf den Kopf gefallen. Auch wenn ich es ungern zugab, aber Koki hatte damals recht gehabt, als er behauptete, dass ich nur naive Dummchen abschleppte. Bei meinen gewöhnlichen Bettbekanntschaften musste ich mich nicht groß anstrengen, damit diese alles für mich taten. Ich bezweifelte, dass es diesmal ähnlich einfach werden würde.

Unser Zimmer für den Abend hatte ich im Voraus gebucht, damit ich noch Gelegenheit hatte, eher einzuchecken und die Kamera zu installieren, bevor mein Opfer aufkreuzte.

Nachdem ich die nötigen Vorbereitungen getroffen hatte, begab ich mich nach unten, um draußen noch eine zu rauchen und auf mein Date zu warten.

Was hatte der kleine Scheißer bloß geplant? Bereits am ersten Tag an der Academy hatte er Stunk gemacht und nun operierte er offenbar im Geheimen an seinem Aufstieg. Wir wussten nur, dass sein Vater in China sein Unwesen trieb, seine Schulakte allem Anschein nach geschönt wurde und er in Johnnys Gunst stand, was niemals ein gutes Zeichen war. Mich beschlich das ungute Gefühl, dass er vorhatte, sich in unserer Schule dauerhaft einzunisten. Wozu sonst sollte er so viel Aufwand betreiben? Um lediglich Mitschüler bloßzustellen, hätte er weiterhin Brieftaschen klauen können.

Ich musste den Deppen einlullen und auf meine Seite ziehen, um sein eigentliches Vorhaben zu erfahren. Keine einfache Angelegenheit. Zur besseren Umsetzung hatte ich einige Alkoholflaschen besorgt und Gnade ihm Gott, der Idiot tat einen auf Nichttrinker.
 

Ein paar Minuten vergingen, bis sich das zarte Reh aus der Masse an Leuten hervorschob und neben mir zum Stehen kam.

„Sorry für die Verspätung“, entschuldigte er sich leicht gehetzt.

„Steigert nur die Vorfreude“, zwinkerte ich und drückte die Zigarette aus. „Wollen wir?“

Sein Nicken deutete ich als Ja und betrat als erstes die kleine Eingangshalle. Wie es sich für ein Hotel dieser Art gehörte, war alles unter Verschluss und nicht einmal der Rezeptionist war zu sehen. Lediglich die Hände konnte man erspähen. Der Rest der Person war von verdunkeltem Glas verdeckt. Ich konnte mir definitiv angenehmere Arbeitsplätze vorstellen.

„Den Schlüssel habe ich schon geholt“, informierte ich Miura und ging den mir vertrauten Gang zu unserem Zimmer für die nächsten Stunden entlang. Tatsächlich kannte ich mich hier gut aus, da ich des Öfteren mit Ueda oder dem Aufriss der Nacht hier eingekehrt war.

Ich schloss die Tür auf und betete zu allem, was mir heilig war, dass der hässliche rosa Plüschhase mit der eingebauten Kamera auf dem Nachtschrank nicht auffallen würde.

„Mach's dir bequem“, riet ich meinem schweigenden Gegenüber und schälte mich schon mal aus allen unnötigen Klamotten. Besser ich ging gleich zur Tat über, bevor ich noch mehr verbale Glanzleistungen von mir gab. Scheinbar teilte Miura nicht meine Meinung, als er seine Jacke ordentlich aufgehängt hatte und fragte: „Warum ausgerechnet ich?“

Weil du blöd genug warst, mir auf den Sack zu gehen.

„Was meinst du?“

„Du könntest doch jeden an der Schule haben.“ Das Bübchen trat mir gegenüber und musterte mich mit seinen forschenden Augen. Ich wusste nicht zu sagen, wonach er auf der Suche war. Alles, was ich momentan wollte, war mich mit ihm die Waagerechte zu begeben und nur noch Stöhnen aus seinem Mund zu vernehmen. Aber allem Anschein nach war das Verhör in vollem Gange.

„Wahrscheinlich. Aber wer sagt, dass ich das will?“

„Macht mich das zu jemand Besonderen?“

Auf jeden Fall zu jemanden, der besonders geistreiche Fragen stellte. Wenn das so weiter ging, bereute ich meine Kaufentscheidung von vorhin. Hätte ich mal lieber zum Vodka statt zum Prosecco gegriffen.

Ich hätte es schon am Mittwoch ahnen müssen. Ihn rumzubekommen war viel zu einfach gewesen. Kein Kerl mit so einem Ego ließ sich ohne Wenn und Aber besteigen. Kamenashi war diesbezüglich das Paradebeispiel.

„Ich lasse mich nicht mit jedem ein“, antwortete ich diplomatisch.

„Du weichst meiner Frage aus“, durchschaute er mich sofort. Ich grinste schief und zuckte mit den Schultern. Es war wohl besser die Diplomatie über den Haufen zu werfen und gleich in Gefechtsstation zu gehen.

„Was soll ich sagen? Ich fand dich schon an deinem ersten Tag an der Schule scharf und wollte dich ins Bett kriegen und vor zwei Tagen konnte ich dem Drang nicht länger widerstehen. Wie dir vielleicht aufgefallen ist, gehöre ich nicht zu den geduldigsten Menschen.“

„Ist mir nicht entgangen“, lächelte nun auch er. „Was hast du sonst noch geplant außer mich zu ficken?“

„Kamenashi brechen“, antwortete ich aus einem Impuls heraus und biss mir gleich darauf auf die Zunge. Er hatte mich mit seinem beiläufigen Ton eiskalt erwischt und ich hatte nicht nachgedacht, was meine Worte bewirken könnten.

„Dahingehend haben wir zumindest ein gemeinsames Vorhaben.“ Ich versuchte, nicht erleichtert aufzuatmen. Das hätte auch in die Hose gehen können. Irgendwie hatte ich mir die ganze Aktion zu einfach vorgestellt. Es wurde Zeit, Abhilfe zu schaffen.

„Ich hab uns was mitgebracht“, sagte ich und zog zwei Flaschen Prosecco aus meinem Rucksack. „Ich hoffe, du magst es spritzig.“

Statt zur Flasche griff er mir beherzt in den Schritt, sodass ich Mühe hatte, mir mein Aufjaulen zu verkneifen.

„Das ist die Rache für das letzte Mal und dafür, dass du mich an meinem ersten Tag so bloßgestellt hast.“

Verdammt, er hatte mich also doch nicht vergessen. Ich zischte wehleidig eine Entschuldigung und er ließ glücklicherweise von mir ab. Für so ein zartes Wesen konnte er verdammt fest zufassen.

„Entschuldigung akzeptiert. Lass uns auf unseren gemeinsamen Feind anstoßen.“ Der Kerl hatte eindeutig nicht mehr alle Zacken in der Krone. Mit Wahnsinnigen zu verhandeln war wie Topfschlagen im Minenfeld. Man wusste nie, welche Handlung die Bombe zünden könnte.

Nachdem wir uns zugeprostet hatten, begaben wir uns endlich auf mein vertrautes Terrain dem Bett.

„Was hast du eigentlich gegen Kamenashi?“, fragte ich, um der ganzen Schose hoffentlich näher zu kommen. Diese vorgetäuschte Gemeinsamkeit und der Alkohol mussten reichen, um endlich sein Vorhaben in Erfahrung zu bringen. Das endlose Gerede strengte mich an.

„Nichts effektives. Und du?“

War klar gewesen, dass eine Gegenfrage kommen würde. Aber hierfür brauchte ich noch nicht einmal zu lügen: „Mir geht es gegen den Strich, dass er versucht, meine Leute auf seine Seite zu ziehen.“

„Warum hast du es soweit kommen lassen?“, fragte er und trank zu meiner Freude einen großen Schluck aus der Flasche.

„Ich war ein Jahr lang in Amerika und in meiner Abwesenheit hatte er genug Zeit gehabt, mir meine Freunde auszuspannen.“

Miura nickte nachdenklich und schien mir Glauben zu schenken. Dass Kamenashi und ich uns nicht leiden konnten, war für jeden offensichtlich. Zum Glück hatte ich aufgehört, seinen Chauffeur zu spielen, bevor der Botschaftersohn aufkreuzte. Sonst wäre die Story nicht sonderlich glaubhaft. Nachdem der Depp noch einen Hieb aus der Flasche genommen hatte, nahm ich sie ihm ab und trank selbst davon. Ich brauchte dringend Alkohol, um den Abend zu überstehen. Intrigen und falsche Spielchen waren Uedas und Junnos Stärke. Ich musste mir extrem viel Mühe geben, mich weder zu verplappern noch in abstrusen Geschichten zu verstricken.

„Es geht dir aber nicht nur um deine Freunde, oder?“

Es ging mir vor allem um Kamenashis Arsch, aber das musste ich für mich behalten, sollte der Plan aufgehen.

„Vor Amerika war ich der Schulsprecher“, gab ich zu. Das Gespräch entwickelte sich allmählich zu meinen Ungunsten. Dass ich mich mit meinen Aussagen auf dünnem Eis bewegte, war mir klar, wohl aber notwendig, um sein Vertrauen zu gewinnen. Ich konnte nur hoffen, dass er redselig wurde, sobald er mehr gesoffen hatte und ich nicht mehr zu viel preisgeben musste. Auffordernd hielt ich ihm den Prosecco unter die Nase.

„Willst du die Position zurück?“, fragte er lauernd. Die einzige Position, die ich mir momentan wünschte, war eine liegende.

„Nicht wirklich. War mir immer zu viel Arbeit. Ich will nur Kamenashi loswerden.“ Ich entzog ihm erneut die Flasche, deren Inhalt beträchtlich abgenommen hatte und platzierte meine Lippen für einen kurzen Kuss auf Miuras Hals. „Dass ich dich scharf finde, war im Übrigen nicht gelogen.“

„Ihn loszuwerden lässt sich einrichten“, murmelte er mit etwas trägerer Stimme. Der Alkohol fing endlich an, seine erste Wirkung zu zeigen.

Ich schaute dem Bonzenkind in die Augen und fragte: „Wie das?“

„Mein Vater ist ein einflussreicher Mann“, kam die vage Aussage.

„Er ist nicht zufällig Mitglied der Yakuza und lässt Kamenashis Leiche in Einzelteilen verschwinden?“, grinste ich amüsiert.

„Nein“, lachte er. „Aber ein Botschafter, der in China ist Und die Chinesen kennen sich mit giftigen Tränken aus.“ Kamenashis Oma auch. Die gute Frau konnte denen wahrscheinlich noch einiges beibringen.

„Einen Mord möchte ich nicht unbedingt auf meinem Gewissen lasten haben“, scherzte ich und trank den letzten Schluck vom Prosecco aus.

„Nachschub?“, fragte ich und angelte nach der zweiten Pulle.

Neben mir raschelte es und ich spürte Miuras Körperwärme plötzlich ganz deutlich. Sein Kopf legte sich auf meine Schulter und er schaute mir dabei zu, wie ich den Korken entfernte und den ersten Schluck trank. Wortlos reichte ich ihm im Anschluss den Alkohol und war doch etwas erstaunt, dass der Kleine recht viel zu vertragen schien. Ueda hätte es bei der Menge längst ausgeknockt.

„Du bist für deine Freunde eine Art Bodyguard oder?“ Sein Kopf entfernte sich. Stattdessen lehnte er sich mit seinem Körper leicht gegen mich, sodass mir ganz schwummrig wurde.

„Sie stehen unter meinem Schutz, ja.“ Ich hoffte inständig, dass die Fragerunde bald vorbei war. Noch hatte ich keine nennenswerte Information zu seinem eigentlichen Aufenthaltsgrund an der Kaisei Academy erfahren. Dafür wusste er mehr über mich als gut war. Ich war heilfroh, dass nur Ueda sich die Aufzeichnungen ansehen würde.

„Und dafür hast du einen Pakt mit Kitagawa geschlossen.“ Mir lief es bei seinen Worten eiskalt den Rücken hinunter und ich sah ihn mit großen Augen an. Woher wusste er das? Ich öffnete den Mund, um zu einer Erwiderung anzusetzen, als Miura von selbst weitersprach: „Ich bin nicht dumm, Jin. Du sagtest zwar, dass Johnny mir nicht helfen wird, weil du die Fäden ziehst, aber mittlerweile halte ich selbst einige davon in der Hand. Man muss dem Rektor nur entgegen kommen, nicht wahr?“

Ich starrte ihn noch immer an und presste meine Lippen zu einem blutleeren Strich zusammen. Dieser kleine Penner hatte das System schneller durchschaut als ich hätte ahnen können.

„Ja“, antwortete ich tonlos. Was der Preis für das Wohl meiner Leute war, wusste ich besser als jeder andere.

Mein Date nickte wieder einmal verstehend, als würden sich die Informationen in seinem Kopf zu einem schlüssigen Bild zusammensetzen.

„Also geht es dir nur darum, dass du und deine Gefolgschaft Ruhe vor unserem Schulleiter haben.“

„Und ein paar Privilegien genießen“, fügte ich hinzu.

„Ich denke, wir kommen ins Geschäft“, lächelte der Jüngere und setzte zufrieden die Flasche an seine Lippen. Mir wurde erst in diesem Moment bewusst, dass wir schon die gesamte Zeit in Verhandlungen standen und ich scheinbar einen Vertrag bekommen hatte.

„Was ist dein Plan?“, fragte ich und beobachtete entzückt, wie er sich langsam erhob und sich rittlings auf meinen Schoß setzte.

„Alle Nebenbuhler vom Spielfeld entfernen.“ Ganz offensichtlich betrachtete er mich nicht länger als einen davon. Mir wurde soeben klar, dass ich haarscharf einer Hinrichtung entgangen war.

„Und dann was?“, fragte ich und legte meine Hände auf seine Oberschenkel.

„Die Weltherrschaft“, wisperte er in mein Ohr und brachte mich zum Lachen.

„Ich glaube, da hat unser Diktator Johnny etwas dagegen“, grinste ich. Wir waren uns immer noch gefährlich nahe und diese Nähe begann, meine Sinne zu vernebeln. Was hatte ich noch vorgehabt? Ich wusste es nicht mehr genau, aber an Miuras Ohrläppchen zu knabbern war bestimmt eines meiner Vorhaben gewesen.

„Nicht, wenn ich die besseren Trümpfe in der Hand halte“, sagte er und lehnte sich etwas in meinem Schoß zurück. Der Abstand half, mir wieder meiner Aufgabe bewusst zu werden. Alkohol und körperliche Nähe halfen nicht unbedingt dabei, einen klaren Kopf zu behalten

„Die da wären?“ Ich hoffte inständig, dass ich nicht zu neugierig wirkte und genug Vertrauen aufgebaut hatte, dass er endlich einmal mit der Sprache herausrückte. Der Botschaftersohn musterte mich einmal mehr aus seinen Argusaugen, bevor er sprach: „Geld und Einfluss. Mein Vater sitzt im Komitee für ein internationales Austauschprogramm und leitet die Auswahl der Schulen in Japan. Wenn Kitagawa will, dass die Kaisei Academy daran teilnimmt, sollte er also lieber nett zu mir sein.“

Bingo! Das erklärte wirklich einiges. Und fuck, waren wir am Arsch, wenn dieser Schnösel all seine Wünsche durchdrückte und das würde er. Daran bestand kein Zweifel. Wenn Johnnys Schule ausgewählt wurde, hätte er genug Kohle, sodass er nicht länger auf mich oder Kamenashi angewiesen war. Die reinste Katastrophe!

„Dann hab ich mit dir wohl einen guten Fang gemacht“, schnurrte ich und lächelte ihn schelmisch an. Ich setzte auf meine kümmerlichen schauspielerischen Fähigkeiten und spielte das eben vernommene herunter. Miura schien weiterhin zu glauben, dass wir jetzt Verbündete waren oder er konnte besser Emotionen verbergen als ich und ich hatte bald ein Messer im Rücken stecken.

„Du ahnst noch gar nicht wie sehr“, flüsterte er und rollte seine Hüften aufreizend gegen meine Lenden.

Die Sprechstunde war hiermit offiziell beendet und das Auge des dummen Stofftiers dokumentierte sämtliche Sauereien, die wir die verbleibende Zeit vollzogen.
 

***
 

Sonntagabend erhielt ich einen Anruf von Taka. Der Kerl hatte sich die letzte Zeit äußerst rar gemacht und ich war dementsprechend überrascht, wieder von ihm zu hören.

„Was geht?“, fragte ich und schloss die Tür zu meinem Apartment auf.

„Alles und nichts. Zu viel um alles am Telefon zu besprechen. Hast du Zeit? Ich bin in der Nähe deiner Wohnung.“

„Gerade zu Hause angekommen“, erwiderte ich und versuchte nebenbei meine Schuhe auszuziehen.

„Super, dann bis gleich.“

Ich legte auf und begab mich ins Bad, um mir zumindest die gröbsten Reste vom Make-Up abzuwaschen. Das war mit Abstand der schlimmste Teil von Shootings. Die Pampe, die einem ins Gesicht geschmiert wurde, haftete wie Beton und ließ sich bestenfalls mit einer Drahtbürste abkratzen. Da mir meine zarte Haut zu wichtig war, musste teurer Make-Up-Entferner herhalten.

Nachdem ich mir noch bequeme Klamotten übergeworfen hatte, klingelte es auch schon.

Wenig später saßen Taka und ich mit Bier auf meiner Couch und ich lauschte seinen Erzählungen über die kurze wohl aber sehr erfolgreiche Tour und die anschließenden Aufnahmen im Tonstudio.

„Wie viele BHs habt ihr gesammelt?“, fragte ich, während er Luft holte.

„Noch nicht annähernd genug“, grinste er. „Aber das wird noch.“

„Darauf trinken wir“, sagte ich und stieß mit ihm an. Taka sah trotz seiner Worte mehr als zufrieden aus. Scheinbar entwickelte sich die Idee mit der Vorband extrem gut und sie hatten bereits die nächste Tournee an Land gezogen.

„Wir müssen das noch gebürtig feiern, das ist dir hoffentlich bewusst.“

„Ehrlich gesagt steht die nächste Party bereits fest und ich bräuchte deine Hilfe.“

„Logisch“, meinte ich und sah ihn erwartungsvoll an.

„Kazuyas Geburtstag steht bevor“, sagte er und mir entwich ein leises „Oh“, da ich nicht an die Art Party gedacht hatte.

„Ich denke, dass größte Geschenk, was ich ihm da machen kann, ist nicht aufzutauchen.“

„Habt ihr euch immer noch nicht ausgesprochen?“, fragte er entsetzt.

Ich verkniff mir sämtliche nicht jugendfreie Antworten, die mir dazu einfielen.

„Ganz so kann man das nicht sagen“, nuschelte ich und trank von meinem Bier. In Takas Augen war ein großes Fragezeichen zu sehen und ich überlegte fieberhaft, wie ich mich gescheit herauswinden konnte.

„Ich denke, wir haben uns auf einen Waffenstillstand geeinigt“, sagte ich und zuckte mit den Schultern. Die letzten Tage waren extrem ruhig gewesen, wenn man mal von unserem kurzen Ränkespiel absah. Es war schwer zu sagen, wo wir gerade standen.

„Wie hat er es dann bisher in deinem Auto ausgehalten?“, lachte Taka und ich musste sofort an unsere Knutschaktion zurückdenken.

„Er lässt sich nicht mehr von mir abholen“, antwortete ich wahrheitsgemäß und wünschte mich weit weg. Vor unangenehmen Situationen zu flüchten hatte ich perfektioniert. Nur funktionierte das in der eigenen Wohnung so schlecht.

„Wieso denn das?“

„War seine eigene Entscheidung, aber den Grund hat er mir nicht mitgeteilt.“ Das stimmte sogar. Er hatte sich zwar tausend Ausreden einfallen lassen, aber doch nie den Hintergrund. Natürlich war er mir bewusst, aber von Kamenashi hatte ich ihn nicht erfahren.

„Ich versteh ihn echt nicht. Da lässt er sich also lieber von fremden Pendlern begrabschen...“ Das fand er anscheinend immer noch besser als von bekannten Mitschülern. Ich zog es vor, darauf nicht zu reagieren.

„Du kommst aber trotzdem zur Party oder?“, fragte er nach einer Weile in die Stille hinein.

Ich wusste, dass mir Taka keine Wahl lassen würde, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, also nickte ich nur stumm.

„Cool. Du könntest mir noch helfen und Leute von seiner Schule einladen. Außer zu dir habe ich zu niemandem Kontakt.“

„Geht klar.“ Auf was hatte ich mich nun schon wieder eingelassen? Meinen Plan, Kamenashi fern zu bleiben hatte ich hiermit offiziell zunichte gemacht.
 

Kame
 

Ich brachte dieses Wochenende und den wohl schlimmsten Kater meines Lebens erfolgreich hinter mich. Es konnte nur noch bergauf gehen. Ueda informierte mich kurz via E-Mail, dass alles glatt gelaufen war. Akanishi schien seine Aufgabe mit Bravur gemeistert zu haben, während ich mich in Selbstmitleid ertränkte. Dieser Tiefpunkt hatte mich zumindest in das Hier und Jetzt zurückbefördert, denn so konnte es auf Dauer nicht weitergehen. Zuerst galt es jedoch das Problem „Miura“ zu beseitigen. Erst danach hatte ich die Ruhe, mich mit meinem eigenen auseinanderzusetzen.

„Kazuya“, stürmte Ueada auf mich zu, nachdem es endlich zur Pause geklingelt hatte. Ich machte mich schon einmal auf das Schlimmste gefasst. Wahrscheinlich würde mir mein Mitschüler gleich von seinen grandiosen Entdeckungen auf dem Video erzählen.

„Kannst du mir einen Gefallen tun?“, fragte Tatsuya und hielt mir zu meinem Erstaunen einen USB-Stick unter die Nase. „Ich weiß nicht, wann ich dazu komme, mir das Material anzusehen. Meine Cousine bekommt Ihr erstes Balg und macht daraus ein reinstes Drama. Ich hab schon das ganze Wochenende im Krankenhaus verbracht, ohne dass irgendetwas passiert ist. Und ich möchte das nicht Nakamaru anvertrauen.“

Unschlüssig blickte ich den Speicher an und wünschte mich gerade verdammt weit weg. Ich konnte seine Bitte schlecht ablehnen, immerhin war das Ganze auf meinem Mist gewachsen. Auch würde Ueda den Grund wissen wollen und ich konnte ihm schwerlich sagen, dass ich befürchtete, etwas zu viel Gefallen an dem zu finden, was sich auf diesem Stick befand – wenn man Miuras Anwesenheit mal außen vor ließ.

„Klar“, entgegnete ich daher heiser und nahm das verfluchte Ding an mich. Das konnte ja was werden.

„Danke. Bist meine Rettung.“
 

***
 

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich endlich durchringen konnte, den USB Stick an meinen Rechner zu schließen. Es war beinahe lustig, wie viele wichtige Dinge einem einfielen, wenn man sich vor etwas Unliebsamen drücken wollte. Hausaufgaben, Unterlagen für die Klassensprecher oder die eigene Unordnung schienen auf einmal viel bedeutsamer. Auf der anderen Seite musste ich warten, bis meine Großmutter zu Bett ging. Nicht auszudenken, wenn sie hier unangemeldet herein platzte, während ich das Material sichtete. Ihre Vermutungen wären dann wohl ein für alle Mal bestätigt.

Ich vergewisserte mich, dass es überall im Haus dunkel war, bevor ich das Video startete. Am Anfang war nicht viel zu erkennen. Das Bild wurde von diversen Wacklern gestört, da Akanishi wohl dabei war, das Plüschtier zu platzieren. Auf die Kürze der Zeit haben wir nichts besseres finden können. Ein Wunder das dieses hässliche Vieh nicht aufgefallen war.

Man sah, wie Akanishi das Zimmer wieder verließ. Die Beleuchtung war gut und der Ton funktionierte ebenfalls. Wenigstens war das Vieh sein Geld wert. Ich spulte vor, bis Akanishi zurückkehrte - dieses Mal mit Miura im Schlepptau. Tief durchatmend versuchte ich mich für das Unvermeidliche zu rüsten. Zur Sicherheit hatte ich mir bereits einen Whiskey eingegossen. Ich hatte so eine Ahnung, etwas Starkes gebrauchen zu können.

Es überraschte mich nicht sonderlich, dass unser Botschaftersohn nicht sofort willig die Beine breit machte und alles ausplauderte, doch Akanishi blieb in seiner Rolle - etwas zu überzeugend für meinen Geschmack. Ich fragte mich, wie viel Wahrheit wohl in seinen Worten mitschwang, denn seine Antworten erfolgten ohne Zögern oder langes Überlegen.

"Mich brechen, huh", wisperte ich zu mir selbst und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Das wollen wir doch mal sehen. Akanishi lag mit seiner Strategie goldrichtig, das musste man ihm lassen und Miura ging ihm komplett auf dem Leim. Ich lernte genau zwei Dinge: Zum einen meinte es Miura Haruma wirklich ernst. Sein Hass gegen mich war verdammt echt. Zum anderen war auch Akanishi nicht zu unterschätzen. Er hatte ein Talent dafür, andere in seinen Bann zu ziehen.

Ich brauchte mir gar nicht erst einreden, besser dran zu sein als Miura. Akanishi wusste genug über mich. Was jedoch keinen Sinn ergab, war, dass er von diesem Wissen keinen Gebrauch machte. An seinem Gewissen konnte es schwerlich liegen, immerhin hatte er bei unserem Botschaftersohn keine Hemmungen. Ich verstand es einfach nicht. Er hatte die beste Ausgangslage, um mich fertig zu machen und tat es einfach nicht. Ich konnte mir so viel den Kopf zerbrechen und doch erschlossen sich mir die Beweggründe des Älteren nicht.
 

Ich stoppte das Video bevor es zu der eigentlichen Action kam. Ich brauchte dringend einen freien Kopf, um zu überlegen, was der nächste Schritt war. Wir kannten nun Kitagawas Plan. Das hatte der alte Gauner geschickt durchdacht. Die inländische Wirtschaft stagnierte seit Jahren und das Geld saß nicht mehr so locker wie früher. Scheinbar hatte er genug davon, vor etwaigen Sponsoren zu buckeln und sich auf Schüler wie Akanishi zu verlassen, welche die Schule über Wasser hielten. Das Kapital lag im Ausland. Wenn der Plan Erfolg hatte, brauchte sich Kitagawa um die Finanzen keine Sorgen mehr zu machen. Akanishi wäre überflüssig und Miura würde dafür sorgen, dass ich es auch wurde. Wir mussten handeln, sonst sah es für uns alle extrem düster aus.
 

Ich brachte schnell Ueda auf den aktuellen Stand. Wir würden in den nächsten Tagen unser weiteres Vorgehen erörtern, wenn Tatsuya die Zeit fand. Bis dahin sollte ich versuchen, mehr Details in Erfahrung zu bringen.
 

Unschlüssig blickte ich auf das Standbild vor mir. Ich musste mir dieses Video nicht weiter ansehen - zumindest vorerst. Wer wusste schon, ob wir das Material überhaupt verwenden können. Sobald Kitagawa den Verdacht hatte, dass einer von uns da drin hing, wären wir am Arsch. Dennoch konnte ich mich nicht aufraffen, das Fenster zu schließen und den Rechner einfach runterzufahren.

Seufzend klickte ich doch wieder auf "Play". Besser jetzt als später. Einfacher würde es sicher nicht werden. Die beiden boten eine gute Show, was zum Großteil an Akanishi lag. Wenn ihn Kitagawa rauswarf, konnte er immer noch in die Pornoindustrie einsteigen. Unweigerlich fragte ich mich, wie wir wohl zusammen aussahen. Ich spülte die aufkommenden Bilder mit dem letzten Schluck Whiskey herunter und ermahnte mich zur Objektivität. Es ging hier nicht um mich oder gar um Akanishi, sondern allein um Miura. Ich konzentrierte mich daher ganz und gar auf ihn und notierte mir einige Zeiten, die sich gut für einen Schnitt eignen würden.

Erleichtert atmete ich auf, als die Beiden ihr Date endlich hinter sich gebracht hatten. Trotz aller Sachlichkeit pochte meine Körpermitte schmerzlich. Es waren vor allem Akanshis Laute, die mich kein bisschen kalt ließen. Der Bezug zur Realität machte es nur noch schwerer. Ich verfluchte mich innerlich, zum Teil für meine dämliche Bedingung und zum anderen für meine eigene Schwäche, während meine Hand in meiner Hose verschwand und meinem Schwanz die ersehnte Aufmerksamkeit schenkte.
 

***
 

Kitagawa als Informationsquelle zu nutzen, war eine heikle Angelegenheit. Man musste auf der Hut sein, damit der alte Sack nicht mitbekam, dass irgendetwas faul war. Der bestbewährte Weg war es, ihm einfach das Reden zu überlassen und genauestens zuzuhören. Alles Wissenswerte lag stets zwischen den Zeilen.

"Und warum sollte mich das interessieren?", fragte der Alte mürrisch, während mich sein Blick warnend taxierte. 'Was belästigst du mich mit so einer Scheiße', schien dieser zu sagen.

Nun, mein Vorwand war wirklich nicht der optimale, aber besser als gar nichts.

"Die Vertreter der Clubs haben sich mit einer offiziellen Beschwerde an mich, ihren Schulsprecher, gewandt, den ich gemäß Protokoll nun weitergebe." Ich übertrieb etwas, da es sich nur um den Leichtathletik Club handelte, welcher an mich herangetreten war.

"Zur Kenntnis genommen. Noch etwas?" Die Laune des Rektors war auch schon mal besser. So sah niemand aus, der bereits ausgesorgt hatte. Es bestand also durchaus Hoffnung.

"Einige meinten, dass sie ihre Eltern informieren, wenn nicht bald eine Lösung gefunden würde", log ich ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Ich musste Kitagawa etwas Drastisches vorsetzen, damit er den Köder schluckte. "Ich dachte, dass sollten Sie wissen."

Ich sah etwas in seinen Augen aufblitzen und verkniff mir mit größter Mühe ein triumphales Grinsen.

"Ich will am Freitag Lösungsansätze auf meinem Tisch liegen haben, die aber das Sondertraining des Fußballteams berücksichtigen. Die Mannschaft braucht die Zeit, sich auf diesen Wettbewerb vorzubereiten." Der Alte klang, als hätte er auf etwas Saures gebissen und verriet mir damit alles, was ich wissen musste.

"Natürlich." Ich wollte gerade zum Gehen ansetzen, doch der Rektor hielt mich mit einer Handbewegung auf.

"Jetzt, wo wir schon einmal beim Thema sind. Nächste Woche findet ein Kongress über Jugend und Sport statt. Ich werde an dem abendlichen Empfang teilnehmen und würde es begrüßen, wenn du ebenfalls anwesend wärst."

"Selbstverständlich." Ich traute mich nicht zu fragen, ob auch Akanishi da sein würde.

Da es hier weniger um Matratzensport ging, hätte der Ältere nicht sonderlich viel beizutragen. Dennoch war er das Aushängeschild unserer Schule. Mir blieb wohl nichts anderes übrig als abzuwarten oder ihn selbst zu fragen.
 

***
 

„Du hast vielleicht Nerven, einfach so zu Johnny zu gehen.“ Ueda wirkte leicht geschockt. Ich hatte die Gunst der Stunde nach dem Meeting mit den Club-Vorsitzenden sowie Klassensprechern genutzt, meinen Mitschüler über meine Entdeckungen zu informieren.

„Wer nichts wagt…“, antwortete ich gelassen, „immerhin wissen wir jetzt, dass der Deal noch lange nicht unter Dach und Fach ist. Kitagawa versucht weiterhin, Sponsoren auf seine Seite zu ziehen. Selbst wenn er nur auf Nummer sicher geht, heißt das, dass wir noch Zeit haben.“

„Die wir auch brauchen werden. Miura macht nicht den Anschein, es uns leicht machen zu wollen.“ Ich konnte Tatsuya nur zustimmen. Bisher verhielt sich der Botschaftersohn ruhig. Das würde jedoch nicht so bleiben.

„Hast du schon mit Jin gesprochen?“

„Nein, ich hielt es für angebracht, weiterhin die Distanz zu wahren, jetzt wo Miura denkt, einen Verbündeten gefunden zu haben.“ Zumindest entsprach dies zum Teil der Wahrheit. Der sicherste Platz für mich war nach wie vor sehr weit weg von Akanishi. Da kam mir diese Ausrede gerade gelegen.

„Hier.“ Ich reichte Tatsuya den USB Stick samt meiner Aufzeichnungen. „Vielleicht findest du noch etwas Brauchbares.

„Und? Gute Show?“, feixte der Klassensprecher und nahm das verfluchte Ding an sich. Wenigstens musste ich jetzt nicht mehr mit der Gewissheit leben, einen verdammten Porno mit Akanishi als Hauptdarsteller zu Hause zu haben.

„Wenn man darauf steht“, antwortete ich ausweichend. Ich spürte, wie meine Wangen anfingen zu glühen. Zum Glück war das Licht in dem Raum nicht das Beste. Ich sollte mir am Wochenende wirklich mal wieder etwas aufreißen. Etwas mit Brüsten und so wenig Ähnlichkeit mit Akanishi wie möglich.

„Egal, was wir jetzt tun, Kitagawa darf auf keinen Fall Wind davon kriegen“, seufzte ich resignierend. Ich konnte es auf den Tod nicht ausstehen, in einer gedanklichen Sackgasse zu landen.

„Ja, der Alte wäre nicht begeistert, wenn man ihm seinen Goldesel wegnimmt. Aber wie sollen wir dann unser Problem loswerden?“ Ueda schien ähnlich ratlos zu sein Miura war eine harte Nuss, dass musste man ihm lassen.

„Die Lösung muss in seiner Vergangenheit liegen. Wir müssen wissen, was der genaue Grund für seine Suspendierung war. Aber ich gehe nicht davon aus, dass er dies ebenso bereitwillig ausplaudert.“

„Ich rede mit Jin. Er kann den Fatzke am besten einschätzen. Vielleicht hat er eine Idee.“ Wenn auch widerwillig stimmte ich meinem Gegenüber zu. Akanishi hatte die besten Chancen von uns allen.
 

***
 

Samstag, der 23. Februar. Am liebsten hätte ich diesen Tag für immer aus dem Kalender verbannt. Seit heute Morgen klingelte das Telefon ununterbrochen. Lediglich über den Anruf meiner Eltern freute ich mich wirklich. Bei dem Rest bedankte ich mich brav, wie man es erwartete und tat gerührt über die Aufmerksamkeiten, welche mir übersandt wurden. Die meisten Umschläge enthielten Schecks von fernen Verwandten oder Freunden der Familie. Wer Geld besaß, verschenkte eben dieses. Von meinen Brüdern erhielt ich ein Montblanc Füller Set und sehr teuer aussehende Krawattennadeln. Von beidem besaß ich schon mehr als ich jemals gebrauchen könnte.

Meine Oma beschränkte sich auf eine selbstgebackene monströse Torte. Sie versicherte mir glaubhaft, nur legale Zutaten aus dem Supermarkt benutzt zu haben. Über dieses Geschenk freute ich mich am meisten. Es war das erste Mal, dass ich eine selbstgemachte Torte erhielt. Meine Eltern hatten stets eine Konditorei beauftragt. Ich war gerade dabei, mir ein weiteres Stück hineinzustopfen, als es an der Tür klingelte.

Meine Oma kam im Schlepptau mit Taka zurück, welcher mir ohne Umwege direkt um den Hals fiel und ein „Happy Birthday“ krächzte.

„Was willst du denn hier?“, war das Erste, was mir dazu einfiel.

„Es freut mich auch, dich zu sehen, Kazu“, seufzte Taka und ließ sich auf einem der Küchenstühle nieder.

Meine Großmutter nutzte gleich die Gelegenheit, dem Sänger ein Stück Torte vorzusetzen und sich grinsend zu verkrümeln. Okay, die beiden steckten unter einer Decke, sodass ich nun offiziell Angst bekam.

„Kann man das ohne Bedenken essen?“ Misstrauisch stocherte mein bester Kumpel in dem Berg aus Sahnecreme herum.

„Diesmal schon, aber gewöhne dich lieber nicht dran.“ Ich befürchtete, das nächste Backwerk meiner Großmutter würde wieder mehr Nebenwirkungen als ein paar zusätzliche Kilos auf den Hüften haben.

„Du hast mir meine Frage nicht beantwortet. Was willst du hier?“, hakte ich nochmals nach.

„Dich abholen“, bestätigte der Ältere mein flaues Gefühl im Magen.

„Und wohin soll‘s gehen?“

„Zu deiner Geburtstagsparty“, strahlte mein Kumpel, während ich ihn am liebsten erwürgen würde.

„Du willst mich verarschen?!“

„Jetzt hab dich mal nicht so. Es sind nur die Band und ein paar Leute im Godz. Alles im engsten Kreis. Also beweg deinen Arsch, zieh dich um und los geht’s.“ Wenn ich etwas über Taka gelernt hatte, war es, dass er keinen Widerspruch duldete, sobald er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Lustlos erhob ich mich und schlürfte in mein Zimmer. Wenn ich etwas noch mehr hasste als Geburtstage, dann waren es Überraschungspartys.
 

Im Godz angekommen traf mich beinahe der Schlag.

„Eng ist für dich auch ein dehnbarer Begriff, was?“ stellte ich geschockt fest. Die Bude war brechend voll. Klar, als Stammgast hier lernte man den einen oder anderen kennen, aber ich hätte nicht damit gerecht, diese Leute heute hier anzutreffen. Kaum hatten wir den Club betreten, rannten auch schon die ersten gratulierend auf mich zu. Ich war mit der Gesamtsituation völlig überfordert und Hilfe von meinem besten Kumpel war auch nicht zu erwarten. Dieser lächelte nur zufrieden und winkte Ryo heran, der ebenfalls gerade angekommen war und mich direkt in seine Arme schloss. Ich brauchte dringend etwas zu trinken, wenn ich dieses ganze Getatsche ertragen sollte.

Als hätte ich einen Sensor entwickelt, fiel mein nächster Blick direkt auf Akanishi, welcher sich gerade prächtig mit Monsterzahn unterhielt. Was zum Geier machten die beiden hier? Für einen Moment war ich überzeugt, in meinem Bett zu liegen und zu träumen. Das würde zumindest einiges erklären.

„Was will der hier?“, flüsterte ich Taka zu und deutete unmissverständlich in Akanishis Richtung.

„Ich hab ihn eingeladen“, kam die knappe Antwort. Keine weitere Erklärung. Vielen Dank auch Das Godz war für mich einer der wenigen Zufluchtsorte, an denen ich der Realität und meinen Problemen entkommen konnte. Nun stand eines von denen nur wenige Meter von mir entfernt. Entweder würde ich aus diesem Alptraum demnächst aufwachen oder mir derb die Kante geben müssen.

Leider gestaltete sich Zweiteres verdammt schwierig. Es war beinahe unmöglich, an die Bar zu kommen, da ich alle drei Meter aufgehalten wurde. Ich schwor mir, Taka niemals zu verziehen.

„Oi Kazu, nette Party“, grinste mich Ryo breit an und reichte mir ein Bier. Mein Retter des Tages. Nüchtern würde ich diesen Abend niemals überleben.

Es war wie ein wahr gewordener Alptraum: Hasenzähnchen und Akanishi gemeinsam, die mir auf die Nerven gingen. Und das gerade heute. Da sollte sich nochmal einer wundern, warum ich Geburtstage nicht ausstehen konnte. Wäre Taka mir vorhin nicht schmerzhaft auf den Fuß getreten, hätte ich das Ganze für eine boshafte Ausgeburt meiner Fantasie gehalten.

„Nicht auf meinem Mist gewachsen“, antwortete ich wahrheitsgemäß und stürzte das erste Drittel der Flasche direkt hinter.

„Das gilt wohl auch für die Gästeliste oder bist du seit neuestem so dicke mit Jin?“ Der lauernde Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören. Waren die Beiden nicht Freunde? Scheinbar hatte ich irgendetwas verpasst, denn Ryo schien ebenso wenig begeistert von Akanishis Anwesenheit wie ich.

„Nee, Taka hat ihn eingeladen, aber ich weiß echt nicht, warum er gekommen ist.“

„Ich schon“, erwiderte der Ältere giftig.

"Ah ja?" Wenn er beabsichtigte, mein Interesse zu wecken, hatte er vollen Erfolg. Vielleicht hatte Ryo die Antwort auf meine Fragen, immerhin kannte er Akanishi besser. "Erleuchte mich."

"Ich hätte es dir schon früher sagen sollen, aber Jin ist mein Kumpel. Es gehört sich nicht, die eigenen Freunde zu verpfeifen Ich mag dich, Kazu. Daher werde ich nicht länger untätig zusehen“, fing er bedeutungsschwanger an. Mein Gott, was hatte Akanishi vor? Mich umbringen? Vielleicht sollte ich keine Getränke von ihm anrühren. Nicht, dass er doch noch Gefallen an Miuras Idee, mich zu vergiften, gefunden hat.

"Nun rück‘ schon damit raus", forderte ich ungeduldig.

"Jin prahlt seit Wochen damit, dich ins Bett kriegen zu wollen. Anscheinend will er heute zur Tat schreiten." Der Ältere sprach in einem ernsten Ton, als würde er das Ende der Welt verkünden.

"Eh?", war meine einzige Reaktion auf dieses Gefasel. Das ergab alles überhaupt keinen Sinn.

"Ich weiß, aber er zeigt sein wahres Ich immer erst, wenn er bereits hatte, was er wollte. Er will unbedingt der Erste sein, der dich geknackt hat", redete Ryo einfach weiter, während sich über meinem Schädel hunderte Fragezeichen bildeten. Hätte er mir das alles vor ein paar Wochen erzählt, hätte ich ihm vermutlich geglaubt. Jetzt fragte ich mich jedoch, wer hier gerade sein wahres Gesicht zeigte. Warum sollte Akanishi etwas erzielen wollen, was er bereits hatte? Wenn er gewollt hätte, wüssten seine beknackten Freunde längst, dass er nicht der erste war und Kamenashi Kazuya darauf stand, in den Arsch gefickt zu werden. Aber Akanshi hielt sich aus unerfindlichen Gründen an seine Abmachung, was im kompletten Kontrast zu dem Schwachsinn stand, den mir Ryo gerade auftischte.

"Und warum warnst du mich?", fragte ich und versuchte, nicht zu misstrauisch zu wirken.

"Ich will nicht, dass du auf ihn hereinfällst. Ich weiß, du tickst nicht so, aber Jin kann verdammt überzeugend sein." Das konnte er, im Gegensatz zu meinem Gegenüber. Langsam beschlich mich ein wirklich ungutes Gefühl.

Ich fragte mich, was Ryo bezweckte. Dass Akanishi schlecht da stand? Als ob der das nicht allein schaffen würde. Erst jetzt fiel mir auf, dass Ryo bereits seit Wochen über seinen Kumpel herzog. Irgendetwas musste zwischen den Beiden vorgefallen sein. Eigentlich ging es mich ja nichts an, aber meine Neugierde war geweckt. Da ich nicht davon ausging, von meinem Gesprächspartner eine objektive Aussage zu erhalten, beschloss ich, einfach bei Gelegenheit die andere Partei auszuquetschen. Vielleicht würde ich dann auch in Erfahrung bringen, was mein Mitschüler hier wirklich zu suchen hatte.

Ich beendete möglichst unauffällig das Gespräch und schlug mich zunächst zur Bar durch und anschließend bewaffnet mit etwas stärkerem als Bier in die Menge. Es wäre zu auffällig, direkt zu Akanishi zu rennen und immerhin war dies meine Party. Ein wenig Spaß sei auch mir gegönnt.

Blow My Mind

Kapitel 16 - Blow My Mind
 


 

Jin
 

Das Godz war eine finstere Metalkneipe mit noch fieseren Gestalten darin. Allen voran ein bekanntes Gesicht oder vielmehr Gebiss stellte sich mir in den Weg. Kamenashis Blind-Date war nun wirklich die letzte Person, welche ich auf der Feier vermutet hatte. Noch schlimmer als das war die Tatsache, dass sie sofort erfreut auf mich zugestürzt kam.

„Hey, dich kenne ich doch!“, strahlte sie mich an und ich bemühte mich angestrengt, nicht zu auffällig auf ihre Zähne zu starren. Meine Güte, die kam an ihr Pfirsichkompott wahrscheinlich auch ohne Dosenöffner ran.

„Das wage ich zu bezweifeln“, erwiderte ich trocken.

„Doch, ich kann mich erinnern, dich neben Kazuya gesehen zu haben.“ Zum Glück nicht in Kazuya, aber das behielt ich doch besser für mich.

„Wenn du mich wirklich kennen würdest, wüsstest du, dass du auf einer Party nicht eher mit mir sprechen darfst, bis du mir ein Bier gebracht hast.“ Ich war gespannt, wie lange es brauchte, bis ich sie weg geekelt hatte. Und wer zur Hölle hatte sie bloß eingeladen?

Als ich mich an ihrem Kiefer sattgesehen hatte, ließ ich meinen Blick wandern. Das Mädel konnte einem fast schon leidtun. Wäre sie nicht so von Mutter Natur mit ihren Hauern gestraft worden, hätte sie durchaus Potential.

„Du bist gemein“, schmollte sie und versuchte wohl, Mitleid bei mir zu erwecken. Die Trine war verdammt hartnäckig und offensichtlich auch Masochistin. Jedes normale Weib hätte mir längst eine geklebt oder auf dem Absatz kehrt gemacht. Wahrscheinlich war sie derartige Reaktionen bereits gewohnt.

„Ich wurde nicht von dir bezahlt, nett zu dir zu sein. Wo bleibt mein Bier?“

Endlich erreichte ich mein Ziel, da sie nach einem weiteren fassungslosen Öffnen ihres Mundes tatsächlich abrauschte. Erleichtert schaute ich in die Runde und konnte nirgends das Geburtstagskind ausmachen. Vermutlich schleppte ihn Taka bald an, da auch der Sänger noch nicht anwesend war. Unter den restlichen Gästen kannte ich niemanden und so begab ich mich zur Bar.
 

Unterwegs traf ich dann leider doch auf ein bekanntes Gesicht. Ryo hatte mir gerade noch gefehlt. In letzter Zeit ging er mir aus bislang unerfindlichen Gründen auf den Sack. Ich gehörte nicht zu den Menschen, die stundenlang alles reflektierten und so blieb mir immer nur ein schaler Nachgeschmack nach jeder Begegnung mit dem Älteren.

„Hey Jin, altes Haus. Was machst du denn hier?“, fragte er breit lächelnd.

„Dasselbe wie du, nehme ich an.“ Was machte man wohl auf einer Geburtstagsparty? Ryo konnte manchmal auch dämliche Fragen stellen.

„Da hast du recht“, lachte er. „Allerdings mit dem Unterschied, dass du keinen Erfolg haben wirst.“

„Hä?“, fragte ich verwirrt. Nur noch wenige Meter trennten mich von der Bar und meinem geliebten Bier. Was war daran nicht machbar?

„Du wirst es nicht schaffen, Kazuya vor mir flach zu legen“, klärte er mich auf. Darum ging es ihm also, so ein Idiot. Ich biss mir auf die Zunge, um nicht mit der Wahrheit herauszuplatzen.

„Was macht dich da so sicher?“, fragte ich, obwohl ich ihm viel lieber aufs Brot geschmiert hätte, welche Körperteile von mir bereits in Kamenashi gesteckt hatten. Zu schade, dass ich den Erfolg stillschweigend genießen musste. Aber Versprechen war Versprechen.

„Weil er keine Aufschneider leiden kann.“ Als ob Sympathie eine Voraussetzung für Sex wäre. Ich fragte mich unwillkürlich, seit wann der Kleinere so viel Unsinn erzählte.

„Lügner noch viel weniger.“

„Pfft, so schlau ist er nicht, dass er bemerkt, was ich mit meiner Freundschaft bezwecke, bis er mir bereits in die Falle gegangen ist“, gab Ryo selbstgefällig zum Besten. Ich konnte nicht anders, als laut loszulachen.

„Kamenashi ist vieles, aber ganz sicher nicht einfältig“, gab ich gönnerhaft einen Tipp. Dass Ryo sich sämtliche Hirnzellen mit Whiskey abgetötet hatte, wurde langsam zu einem Verdacht von mir.

„Du wirst ihn trotzdem nicht ins Bett bekommen“, zischte er angefressen.

„Das Thema langweilt mich. Ich geh jetzt was trinken. Viel Erfolg noch mit deinem Plan“, verabschiedete ich mich. Ich wusste nicht genau warum, aber Ryos Art drückte meine Stimmung. Vielleicht lag es daran, dass ich Unaufrichtigkeit verachtete. Andererseits hatten mich seine Methoden, Leute ins Bett zu bekommen, nie gestört. Sollte Tomo recht gehabt haben, als er behauptete, dass ich Kamenashi mochte? Eine gruselige Vorstellung, aber bei meinen Reaktionen war es nicht mehr so abwegig. Ich brauchte wirklich dringend etwas zu trinken, zumal ich von der bloßen Vorstellung, was Ryo mit dem Knirps vorhatte, Bauchschmerzen bekam.
 

Die Kneipe war nicht sonderlich groß, aber die Theke bot ein üppiges Angebot diverser Spirituosen. Ich ließ mich auf einem der Hocker nieder und hatte einmal mehr Gelegenheit, mich über Kamenashi zu wundern Ganz offensichtlich spielte er uns allen den Musterschüler nur vor und das mit solch einer Überzeugung, dass ich mich fragte, was noch für Geheimnisse unter der rauen Schale lauerten.

„Jin? Wie zum Teufel verschlägt es dich in so einen Schuppen?“, erklangen überraschte Worte vom Barkeeper. Ich schaute zur Tür vom Lager, die soeben aufgeschwungen war und sah mich mit einem alten Bekannten konfrontiert.

„Das gleiche könnte ich dich fragen, Miyavi. Ich hatte erwartet, dass du dich endlich vom Tellerwäscher zum Rockstar entwickelt hättest.“ Miyavi war ein begnadeter Gitarrist, den ich damals beim Open Mic kennen gelernt hatte. Er hatte davon fantasiert, irgendwann auf den großen Bühnen zu spielen.

„Ich helfe nur meinem Kumpel aus, dem die Bar gehört, weil ihm heute die Bude von so vielen zwielichtigen Gestalten eingerannt wird. Ich hatte nur nicht erwartet, dass ihr König anwesend sein würde“, sprach er und ging daran, mir ein Bier zu zapfen.

„Du bist also immer noch das gleiche Miststück“, grinste ich und freute mich wirklich, den ersten anständigen Menschen auf der Party anzutreffen.

„Worauf du Gift nehmen kannst. Außerdem habe ich vor einigen Wochen einen Vertrag bei einem Indielabel unterschrieben.“

„Ist nicht wahr?!“, platzte es aus mir heraus. Der wollte mich doch verarschen! Ich konnte mich noch daran erinnern, wie er mich voll gejammert hatte, dass keinen seine verrückten Songs interessierten.

„Oh doch“, flötete er und überreichte mir mein Glas. „Aber es war ein steiniger Weg, die Produzenten von mir zu überzeugen. Im Musikgeschäft ist nicht nur Aussehen sondern vor allem Können wichtig. Wenn ich mich für deine Branche entschieden hätte, könntest du dich warm anziehen. Aber so glotzt einen deine penetrante Visage von sämtlichen Magazinen aus an.“

„An meinen Anblick wirst du dich gewöhnen müssen“, lachte ich und stieß mit dem Deppen an. „Weißt du, was deinen Erfolg problematisch machen wird? Das Radio kann man abschalten, um dein stümperhaftes Gitarrengeschrammel nicht ertragen zu müssen.“

„Und du bist dasselbe Arschloch geblieben“, erwiderte er mein vorheriges Kompliment ebenso charmant und strahlte mich breit an.

Ich beobachtete, wie sich Miyavis Grinsen langsam zu einer Grimasse verwandelte. „Oh Gott, da kommt die Zahnfee des Grauens. Wegen der Tussnelda hatte ich mich vorhin ins Lager verzogen“, flüsterte er gehetzt.

Natürlich wusste ich sofort, von wem er sprach. Besagte Zahnfee hatte scheinbar neuen Mut gefasst und sich genähert. Ich drehte mich zu ihr, als sie sich neben mich an die Theke gesellte und deutete unmissverständlich auf mein Glas: „Siehst du, so läuft das. Er gibt mir ein Bier und ich unterhalte mich nett mit ihm.“

„Immer wieder erstaunlich, wie du das Wort 'nett' definierst“, hörte ich Miyavi murmeln und ich bemühte mich, mein ernstes Gesicht zu wahren.

„Aber er ist doch auch der Barkeeper“, gab sie den ersten intelligenten Kommentar zum besten.

Ich wollte zu einer Erwiderung ansetzen, als das Stimmengewirr der Meute an Lautstärke gewann. Das Geburtstagskind war zusammen mit Taka eingetroffen – und Ryo klebte sogleich an Kamenashi wie ich entnervt feststellen musste. Da war Bugs Bunny ja noch angenehmer. Ich konnte die Show, die mein Kumpel abzog, kaum noch ertragen. Ich hatte es im Urin, dass ich heute noch viel mehr Alkohol gebrauchen würde.

Krüppelzähnchen wurde plötzlich ganz aufgeregt und bekam leuchtende Augen, als auch sie sah, wer eingetroffen war. Ich seufzte und kippte mir den Rest meines Biers hinter die Binde. Manchmal fragte ich mich, wie blöd Menschen sein konnten. Schnallte sie nicht, dass sie weder bei Kamenashi noch mir eine Chance hatte? Bevor sie sich noch mehr blamierte und weiter falsche Hoffnungen machte, beschloss ich, ihr zumindest in der Hinsicht den Zahn zu ziehen.

Da ich keinen blassen Schimmer hatte, wie ihr Name war, stupste ich sie an, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Erwartungsvoll schaute sie mich an und ich seufzte auf. Ich sollte mich ganz einfach nicht mehr von ihrem Gebiss ablenken lassen und stur in ihre Augen starren. Die waren wenigstens hübsch geschminkt.

„Normalerweise ist mir das Elend anderer egal, aber du wirst mir jetzt doch zu lästig, also frag ich dich: Meinst du den Scheiß wirklich Ernst?“

Ihrem entgeisterten Gaffen nach zu urteilen, was wie üblich nicht mit geschlossenem Mund geschah, raffte sie nicht, worauf ich hinaus wollte. „Erst Kame, jetzt mich. Du solltest nicht über das Ziel hinausschießen“, sagte ich und sie zog entrüstet einen Schmollmund.

„Willst du damit sagen, dass ich nicht hübsch genug für euch bin?“, fragte sie weinerlich und bekam wässrige Augen. Oh Gott, bitte nicht. Wenn die Trine jetzt hier losflennte, würde ich ihr das Bierglas über den Schädel ziehen.

„Das hat mit dem Aussehen nichts zu tun.“ Ich versuchte krampfhaft, mir eine plausible Erklärung aus den Fingern zu saugen.

„Sondern?“, hakte sie logischerweise nach.

„Mit der Anordnung gewisser...Umstände“, faselte ich und schiffte umständlich um den eigentlichen Grund herum. Ich konnte ihr ja schlecht direkt sagen, dass ihre Zähne das ausschlaggebende Argument waren. Ausnahmsweise rettete mich Ryo aus der brenzligen Lage, als dieser sich zur Bar gesellte.

„Machst du dir was für heute Abend klar?“, fragte der Kleinere mit einem gehässigen Seitenblick auf das Hohlbrot neben mir und orderte zwei Bier. Ich war doch wirklich nur von Deppen umgeben.

„Ich denke, du kennst mich gut genug, um das zu wissen.“

„Wohl wahr“, sagte er und fügte, bevor er sich wieder zu dem Knirps begab, hinzu: „Und ich hole mir jetzt, was mir zusteht.“ Dieses miese Schwein. Zähneknirschend beobachtete ich ihn bei seinem Abgang und hätte ihm statt Blicken am liebsten den Krug hinterher geworfen. Die Vorstellung, wie er taumelnd zu Boden ging, hatte wirklich etwas für sich.

Eine Hand an meinem Arm unterbrach mich bei meinen Mordgedanken und ich drehte mich wieder zur Zahnfee.

„Wer war denn das?“, fragte sie mit etwas zu viel Interesse für meinen Geschmack. Die Frau hatte absolut keine Vorstellung davon, wer in ihrer Liga spielte.

„Nein, nein und nochmals nein. Auch Ryo sollte nicht auf deiner Liste potentieller Partner stehen“, versuchte ich ihr wie bei einem Kleinkind einzubläuen und fügte, als ich Maru unter den Gästen erspähte, hinzu: „Aber ich kenne da jemanden, der zu dir passt. Komm mit!“

Ich schnappte mir ihre schmale Hand und zerrte sie quer durch den Verschlag, bis ich bei meinem Klassenkameraden ankam. Eine kurze Vorstellungsrunde später, in der ich endlich mal erfuhr, dass sie Keiko hieß, hatte ich sie an den Mann gebracht. Beide waren verzweifelt genug, um sich auf Anhieb sympathisch zu finden. Die zwei zischten nach einigen Höflichkeitsminuten gemeinsam ab zur Bar und ich war zufrieden mit mir selbst. Ein Problem weniger, um das ich mich kümmern musste.

„Kannst du Maru so wenig leiden, dass du ihm das Hasenzähnchen andrehst?“, fragte Kamenashi, welcher plötzlich neben mir aufgetaucht war.

„Ganz im Gegenteil. Maru kennt Sex nur von Hentais und hat es bitter nötig. Und außerdem sind seine Eltern Zahnärzte. Da lässt sich bestimmt was richten...im wahrsten Sinne des Wortes“, grinste ich verschwörerisch.

„Oh, bevor ich es vergesse: dein Geschenk“, sagte ich und überreichte Kamenashi eine Flatratekarte für Starbucks, für die ich das Mädel hinter der Theke mehr als nur ein wenig bezirzen musste. Im Normalfall erhielt man solche Karten nur unter dem Ladentisch und selbst dann nur als hartgesottener Stammkunde, der wohlüberlegt ausgesucht wurde gegen eine weitere milde Spende. Ein großzügige Finanzspritze meinerseits und der plastischen Verdeutlichung dessen, was ich unter dem Satz „nur unter dem Ladentisch“ wirklich verstand, hielt ich die Karte in meinen Händen.

Kamenashis ungläubiges Gesicht war mir Dank genug und als sich ein kleines Lächeln auf seinen sonst so harten Zügen abzeichnete, war ich regelrecht entzückt. Er sah unglaublich gut aus, wenn er seinen Mund dafür nutzte.

„Danke“, hauchte er und ich konnte den Drang, ihn zu umarmen, nicht länger widerstehen.

„Ich hatte erst ein anderes Geschenk im Sinn gehabt“, flüsterte ich ihm ins Ohr. Mir entging keinesfalls der leichte Schauer, der ihn durchfuhr, was mich nur mutiger werden ließ. „Ein Blowjob, aber du willst ja, dass das zwischen uns eine einmalige Sache bleibt.“

Mit einem engelsgleichen Grinsen begegnete ich ihm, als ich mich von ihm gelöst hatte und ihm auf Armlänge gegenüber stand.

Das perplexe Gesicht im Anschluss machte mich ganz wuschig.

„Bar?“, fragte ich den etwas überforderten Schulsprecher und erhielt ein weggetretenes Nicken zur Antwort.

Meine Laune besserte sich zusehends, da ich Kame in Sicherheit vor Ryo wusste und erst recht, als ich Taka an der Theke entdeckte.

Mittlerweile mussten wir uns durch eine beachtliche Menschenmenge drängen. Ich ging jede Wette ein, dass der Knirps nur die Hälfte der Gäste kannte. Taka hatte den Rahmen einer normalen Party deutlich gesprengt.

„Hey, Jin!“, begrüßte er mich überschwänglich. Da hatte aber jemand schon einen sitzen.

„Hallo auch“, sagte ich und stellte mich neben ihn.

„Bist du heute mit dem Auto hier?“ Als Antwort orderte ich mir mein nächstes Bier und grinste Taka breit an.

„Super! Wir haben beide keinen Fahrdienst, lass uns volllaufen!“ Wenn das mal keine gute Ansage war, wusste ich auch nicht weiter. Ich ließ mir neues Bier geben und stieß mit dem quirligen Kerlchen an, welcher die Party mehr zu genießen schien als das Geburtstagskind.

Aus den Lautsprechern erklang auf einmal ein Song von One Ok Rock. Miyavi grinste breit und die Meute begann zu grölen. Ich kannte die Lieder der Band mittlerweile recht gut, da dessen Sänger es selbstverständlich nicht versäumt hatte, mir ihre eigens gepresste CD unterzujubeln.

Einige der umstehenden Leute begannen zu fachsimpeln und ich kam nicht umhin, Takas gesangliches Talent anzuerkennen.
 


 

Kame
 

Die Party war im vollen Gange. Ich verabschiedete mich irgendwann unauffällig von der Bar, während die anderen gerade über diverse Gesangstechniken philosophierten. Ich fragte mich ernsthaft woher Akanishi so viel darüber wusste. Ob die Gitarre in seiner Bude doch mehr war als eine schicke Dekoration? Ich versuchte mir seine Singstimme vorzustellen, doch das einzige, was mein Kopf zustande brachte, war eine weitere wispernde Version seines Blowjob-Angebotes.
 

Ich trieb ziellos durch die Menge und stoppte hier und da für ein kurzes Gespräch. Nach einem Plausch mit Maru überließ ich ihn wieder völlig den Fängen der Zahnfee, welche mich überheblich angrinste und anschließend ihre eingehende Mandeluntersuchung fortsetzte. Dies gehörte definitiv zu den Dingen, welche ich in meinem Leben niemals sehen wollte.

Immer wieder schweifte mein Blick zu Akanishi, welcher sich gerade köstlich über einen Kommentar von Taka zu amüsieren schien. Ich wurde aus diesem Kerl einfach nicht schlau. Wollte er mich vorhin nur verarschen? Auch wenn es gar nicht so abwegig war, konnte oder wollte ich nicht daran glauben.

Dieser Zwischenfall brachte mich vollends aus dem Konzept. Akanishis kleiner Porno hatte mich zwar angemacht, jedoch war dies kein Vergleich zu seiner Wirkung auf mich in der Realität. Allein die Erinnerung an seine Nähe, dem heißen Atem an meinem Ohr sorgte dafür, dass meine Lenden erneut verräterisch zu kribbeln begangen. Ich brauchte dringend etwas frische Luft oder ich würde hier mit einem Mordsständer durch die Gegend laufen. Da vor dem Club immer noch eine Menge Trubel herrschte, schlüpfte ich durch den Seiteneingang in eine der kleinen Nebengassen.
 

Kaum draußen angekommen bereute ich es, nicht wenigstens meine Jacke mitgenommen zu haben. Fröstelnd fischte ich eine Zigarette aus meiner Hosentasche und genoss die Ruhe und das Nikotin, während ich die kleine Plastikkarte mit dem Starbucks-Logo betrachtete. Ich dachte immer, diese Flatrate-Karten wären ein Mythos. Ich hatte zumindest noch nie eine gesehen. Es musste Akanishi wirklich Mühe gekostet haben, um hieran zu kommen. Warum tat er das? Wozu noch der Aufwand? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er wirklich auf eine Wiederholung aus war. Auf der anderen Seite war seine zweite „Geschenkidee“ eine regelrechte Einladung.

„Hier steckst du“, riss mich Ryos Stimme aus meinen Gedanken. Schnell verstaute ich die Karte wieder in meiner Hose und deutete auf die Kippe in meiner Hand.

„War dringend nötig.“

„Das hättest du auch drin tun können, ohne dir dabei alles abzufrieren.“ Man hörte sofort, dass der Ältere schon einiges intus hatte. Spätestens sein Schwanken verriet ihn endgültig.

„Hier ist es diskreter“, antwortete ich schlicht. Immerhin waren zu meinem Leidwesen einige meiner Mitschüler anwesend, welche nicht unbedingt etwas von meiner kleinen Sucht erfahren mussten. Das war wohl auch der Grund, warum ich mich mit dem Alkohol zurückhielt, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünschte, als mir die Lichter auszublasen. Alternativ könnte das natürlich auch Akanishi übernehmen. Ich befürchtete nur, Ryo wäre nicht sonderlich begeistert, wenn ich ihm dies eröffnete.

Der Ältere wankte bedrohlich in meine Richtung. Nach hinten ausweichen konnte ich nicht, da ich mich bereits an der Mauer befand. Eine Seite war durch eine Mülltonne blockiert und bot daher auch wenige Fluchtmöglichkeiten. Gerade wollte ich mich etwas mehr nach rechts bewegen, als mir Ryo mit seinem Arm den Weg versperrte.

„Wo willst du denn hin?“, säuselte er grinsend und lehnte sich regelrecht gegen mich. Was zum...? Panik stieg in mir auf. Ich konnte es grundsätzlich überhaupt nicht leiden, wenn andere Menschen ungefragt in meine Wohlfühlzone eindrangen. Akanishi war hierbei wohl die sprichwörtliche Ausnahme, welche diese Regel bestätigte.

„Was soll das werden, Ryo?“ So besoffen konnte er doch gar nicht sein, dass er mich mit einem seiner Weiber verwechselte. Ich versuchte mich seiner Nähe zu entwinden, ohne dabei grob zu werden. Wenn er jedoch so weitermachte, würde ich nicht davor zurückschrecken.

„Was denn? Bei Jin hat es dich doch auch nicht gestört, obwohl ich dich vor ihm gewarnt habe.“ Sein Gesicht befand sich nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt Dem Geruch nach zu urteilen war der Trottel wirklich nicht mehr Herr seiner Sinne. Selbst in einer Destille duftete es angenehmer. Entschlossen stemmte ich meine Arme nach vorn und stieß Ryo mit einiger Kraft von mir. Dieser schwankte unkoordiniert und versuchte verzweifelt sein Gleichgewicht wiederzufinden. Das jahrelange Baseballtraining machte sich gerade in solchen Situationen durchaus bezahlt. Ich nutzte sogleich seine momentane Verwirrung und brachte genügend Abstand zwischen uns.

„Was soll der Scheiß?“, forderte ich mit verschränkten Armen eine Erklärung für das Verhalten meines Kumpels.

„Das sollte ich dich fragen Ich bin dir nicht gut genug und diesen Arsch lässt du ran“, lallte mein Gegenüber und versuchte mich trotzig zu fokussieren.

„Du hast zu viel getrunken“, erwiderte ich seufzend. Was hätte ich auch sonst sagen sollen, ohne mich zu verraten. „Vielleicht solltest du lieber nach Hause…“

„Das kann nicht dein ernst sein“, fiel mir Ryo brüllend ins Wort. Gott, wenn er so weiter machte, bekamen alle im Club etwas von dieser semi-dramatischen Szene mit.

„Du hast ihn gehört“, ertönte eine unbekannte, tiefe Stimme direkt hinter mir. „Zieh Leine.“

Ryo blickte erst den Unbekannten und dann mich ungläubig an und schien für einen Moment zu überlegen, ob er es mit dem Fremden aufnehmen sollte. Zum Glück entschied er sich dagegen.

„Du wirst schon sehen, was du davon hast“, zischte er und zog tatsächlich von dannen.

„Netter Zeitgenosse“, murmelte mein Helfer trocken. „Miyavi.“

„Kazuya. Er hat einfach einen über den Durst getrunken“, verteidigte ich meinen Kumpel, jedoch fragte ich mich selbst, ob dies der einzige Grund für Ryos Benehmen war. Bereits seit unserer Ankunft hatte er sich mehr als seltsam verhalten. „Und was ist schon eine Party ohne Drama.“

„Wo du recht hast“, pflichtete mir der andere bei. „Du bist der Ehrengast, oder?“

„Und du der Barkeeper.“

„Dann haben wir ja alles geklärt“, grinste Miyavi einnehmend. Ich mochte den Kerl auf der Stelle.

„Und als Barkeeper wäre es unverantwortlich, dich hier ohne ein Getränk stehen zu lassen. Warte einen Moment.“ Und schon war er verschwunden, nur um wenig später mit einer Kiste voller Flaschen aufzutauchen. Wahrscheinlich wollte er von Anfang an Nachschub holen und traf dabei auf das kleine Szenario. „Hier“, meinte mein Helfer freundlich und hielt mir eine Flasche Sake entgegen, die ich dankbar annahm.

„Ich muss dann wieder. Der Rest hat leider auch Durst.“
 

Wenig später war ich wieder allein und vertrieb mir die Zeit mit einer zweiten Kippe und meiner geschenkten Flasche. Ich versuchte nicht weiter über Ryos seltsames Verhalten nachzudenken. Leider schwenkte mein Hirn alternativ direkt zu Akanishi. Langsam machte mir das wirklich Angst. Ich hasste meine eigene Schwäche, aber die Worte meines Mitschülers hatten sich regelrecht in mein Hirn gebrannt. Auch der Sake half nicht gerade dabei, einen kühlen Kopf zu bewahren sondern katapultierte mich direkt in die „Scheiß doch drauf“-Phase. Achtlos entsorgte ich den Rest meiner Kippe, nahm noch einen großen Schluck aus der Flasche und bahnte mir anschließend meinen Weg zurück durch die Menge. Zwischenzeitlich waren die anderen wohl weiter gewandert, denn ich konnte kein bekanntes Gesicht an der Bar ausmachen. Ich brauchte ein wenig, um den Älteren in der Masse zu finden Die schummrige Beleuchtung war dabei auch keine große Hilfe. Ich fing bereits an, an meinem Vorhaben zu zweifeln, als ich ihn endlich – lässig an einer Wand gelehnt und rauchend – entdeckte.

"Was macht Taka?", erkundigte ich mich nach meinem Kumpel und drücke Akanishi direkt die Sakeflasche in die Hand. Wenn ich das wirklich durchziehen wollte, durfte niemand etwas bemerken.

"Hat definitiv einen über den Durst getrunken. Ich möchte morgen früh nicht mit ihm tauschen."

"Und der Rest?"

"Feiert und säuft würde ich sagen." Gut, es war also unwahrscheinlich, dass uns irgendwer von Bedeutung vermissen würde. Ich atmete tief durch und blickte in Richtung des Ausgangs. Wie weit war es zu dem nächsten Hotel? Fünf Minuten? Zehn? Wir könnten in einer Stunde wieder hier sein.

"Weißt du, rein technisch gesehen wäre es kein Bestandteil meiner Bedingung." Ich konnte an Akanishis Grinsen erkennen, dass er sofort wusste, wovon ich sprach.

"Was spricht dann dagegen?" Alles und dennoch konnte ich nicht anders.

Changes

Kapitel 17 - Changes
 


 

Jin
 

Ein Love Hotel war um diese Uhrzeit die einzige Option, wollten wir nicht in einer schummrigen Gasse enden. In Shinjuku gab es einige davon, auch wenn ich mich in diesem Viertel wenig auskannte. Shibuya und Roppongi waren meine gewohnten Anlaufstellen, was Partys anbelangte. So ließ ich mich von Kamenashi in eines lotsen, da er des öfteren seinen Rausch in einem dieser Etablissements ausgeschlafen hatte, wenn längst keine Bahnen mehr fuhren.

Im Zimmer angelangt schaute er sich nach allen Seiten um und inspizierte insbesondere die Nischen und Winkel

„Nach was bestimmten auf der Suche?“, fragte ich mit einem Stirnrunzeln.

„Kameras“, folgte die schlichte Antwort und ich musste mir mein Lachen verkneifen.

„Keine Bange, ich drehe nicht noch ein Sextape“, versprach ich, auch wenn die Vorstellung durchaus verlockend war.

„Ich will nur sichergehen. Inzwischen hast du ja Übung.“ Er stemmte seine Hände in die Hüften und sah mich eindringlich an.

„Dann geh sicher. Ich trink derweil was aus unserer erbeuteten Flasche.“ Es war seine eigene Schuld, wenn er die Zeit lieber vertrödelte, mich zu verdächtigen, als seinen versprochenen Blowjob einzulösen. Ich kramte die Flasche hervor und setzte mich aufs Bett. Ein dezentes Déjà-vu-Gefühl stieg in mir auf, dabei hatte Kamenashi außer seiner herrischen Art nichts mit Miura gemeinsam. Ein Seufzen erklang und er gesellte sich neben mich. Offensichtlich hatte er alle Ecken des Zimmers erkundet

„Zufrieden?“, fragte ich amüsiert und reichte ihm den Sake.

„Solange ich mich nicht demnächst auf irgendwelchen Pornoseiten wiederfinde.“

„Das Video würde ich nur in meiner Privatsammlung aufbewahren“, schwor ich und fragte mich zeitgleich, wie oft er sich wohl die Zeit nahm, um sich Pornos reinzuziehen Er war mindestens ein genau so schlimmer Workaholic wie ich. Wie so oft begegnete ich seinem ungläubigen Blick und lächelte ihn breit an. Ob ihm bewusst war, dass wir diesen Abend mehr miteinander geredet hatten als die ganzen Wochen, die wir uns kannten,

zusammengerechnet?

„Dein Wort in Gottes Ohr“, murmelte er und nahm einen kräftigen Hieb. Der konsumierte Alkohol schien ihm bislang nichts anzuhaben. Ganz offensichtlich trank er des öfteren einen über den Durst. Zumindest dahingehend hatten wir etwas gemeinsam.

Ich bekam die Flasche in die Hand gedrückt, nachdem Kamenashi sich erhoben hatte und ins Bad begab. Auf die Art konnte man mir auch mitteilen, dass mein Auftritt kurz bevor stand Jacke und Schuhe hatte ich bereits von mir geworfen und so hatte ich nichts mehr zu tun, außer mich am Sake gütlich zu tun und zu warten, dass der Knirps wieder zum Vorschein kam. Aufgeregt war ich kein bisschen, obwohl es ewig her war, dass ich jemandem diesen Gefallen erwiesen hatte. Ich vertraute wie so oft auf meine natürliche Begabung und darauf, dass der Kleinere wieder abgehen würde wie das letzte Mal. Alles andere war ein Kinderspiel.

Zum Vorschein kam Kamenashi wie Mutter Natur ihn schuf, was mir ein fettes Grinsen auf die Lippen zauberte.

„Mit Vorspiel hältst du dich auch nicht auf, was?“, fragte ich und stellte die Flasche auf den Nachtschrank.

„Ich wusste nicht, dass du Vorbereitung fürs Blasen brauchst.“ Mit diesen Worten brachte er mich nun vollends zum Lachen.

Der Jüngere setzte sich auf die Bettkante und schaute mich erwartungsvoll an. Dieser Kerl war wirklich unmöglich. Ob er seine Weiber auch so behandelte? Wenn er jedoch glaubte, mich mit dieser Pose erniedrigen zu können, täuschte er sich gewaltig. Ich ging ohne zu zögern vor ihm auf die Knie und spreizte seine Beine ein wenig mehr. Ich schenkte ihm noch einen Blick von unten herauf zu, bevor ich mich über seinen Schwanz beugte und meinen Lippen darüber schloss.

Hiermit erhielt ich endlich die Auflösung des quälenden Rätsels, ob es mir schwer fallen würde, ihn in den Mund zu nehmen oder nicht. Die Antwort lautete ganz klar nein. Ich nahm einen stetigen Rhythmus auf, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes gemacht. Kames Atmung wurde mit der Zeit lauter und hektischer und ich beobachtete aus halb geschlossenen Augen, dass er sich auf seine Ellbogen hinab begab und irgendwann ganz hinlegte.

Ich beschloss, einen Schritt weiter zu gehen. Ohne mein Tun einzustellen, fischte ich eine Tube Gleitcreme aus meiner Hosentasche. Meine Hand stahl sich unbemerkt von Kazuya zwischen seine Beine und erst als sich einer meiner Finger in die verlockende Enge versenkte, vernahm ich ein zittriges Keuchen von ihm. Seine Reaktion ließ auch mich kurz innehalten um Atem zu holen, den ich wohl zwischenzeitlich angehalten hatte.

„Jin“, seufzte der Kleinere und vergrub seine Hände in meinen Haaren. Ermutigt durch diese Geste schob ich meinen Finger tiefer in ihn und begann stärker zu saugen. Ich wäre ein Lügner, würde ich behaupten, dass mich das alles kein bisschen scharf machte. Nur leider lagen meine Prioritäten ausnahmsweise nicht auf mir sondern auf der Person, die soeben ihren Kopf zur Seite drehte und eines dieser Stöhnen von sich gab, von denen ich einfach nicht genug bekam. Ich konnte mich nicht erinnern, dass ich es je so erregend fand, jemanden vor mir zum Orgasmus zu bekommen. Ich wusste nur, dass es verdammt schwierig werden würde, dies umzusetzen.

Es war mir schleierhaft, wie der Kerl so viel Selbstbeherrschung aufbringen konnte und nicht selbst den Takt vorgab, aber ich war froh darüber. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich vollends auf mein Tun Anhand der Laute, die er von sich gab, lernte ich, dass er es liebte, wenn ich meine Zunge fordernder gegen den Schaft rieb und sanfter die Spitze umkreiste, während mein Finger den Punkt ertastete, der den

Jüngeren Sterne sehen ließ.

Meine Körpermitte pochte inzwischen unangenehm nach Aufmerksamkeit und ich konnte dem Drang nicht länger widerstehen. Mit ungelenken Bewegungen zog ich mir meine Hose so weit von den Hüften, dass ich bequem meine Erektion umfassen konnte.

Ich war noch nie der Gebertyp gewesen und so nahm ich alles, was ich bekommen konnte: Kazuyas erregtes Stöhnen, die heiße Wand, die meinen Finger umschloss und meine eigene Hand, die mehr meinen Schwanz umklammert hielt, als sich bewegte, nur damit ich nicht vor dem Kleineren kam.

Sein stärker werdendes Zittern verriet mir, dass es nicht mehr lange dauern würde und tatsächlich konnte ich nur wenig später seinen warmen Saft schmecken.
 

Mein Puls ging in einer gefährlich hohen Frequenz und mein Atem war ähnlich unkontrolliert wie der von Kame. Ich genehmigte mir einen ordentlichen Schluck von unserer Sakeflasche, bevor ich mich neben ihn legte und mir wieder meines eigenen Problems bewusst wurde, das ich kurzzeitig vergessen hatte. Ich hatte es im Gefühl, dass der Knirps keine große Lust haben würde, sich darum zu kümmern. Aber ein Versuch war es allemal wert.

„Spritzt du deinen Weibern eigentlich auch ohne Vorwarnung in den Mund?“, fragte ich und drehte mich auf die Seite, um ihn betrachten zu können.

„Und steckst du jedem ungefragt deinen Finger in den Arsch?“ Träge schaute auch er mich an und krabbelte etwas mehr aufs Bett, um mit mir auf Augenhöhe zu sein. Im Anschluss verharrte er jedoch regungslos. Alle Energie schien aus ihm herausgeflossen zu sein.

„Touché“, grinste ich. „Aber deinem Stöhnen nach zu urteilen, stehst du darauf, wenn ich in dir bin.“ Mutig lehnte ich mich über seinen erhitzten Körper und ging das Risiko ein, Schläge zu kassieren.

„Fick dich“, murmelte er mit wenig Überzeugungskraft. Scheinbar war er kurz nach dem Orgasmus zu keiner schnippischen Erwiderung fähig.

„Du wolltest mich sagen oder?“, wisperte ich und näherte mich seinen Lippen bis auf wenige Zentimeter. Seine durchdringenden Augen legten sich fest auf meine und sein Gesicht zeigte eine ganze Palette an Emotionen, die sonst hinter seiner Maske verborgen lagen. Das war der beste Moment von allen. Schon beim letzten Sex machte mich diese Situation mehr an als der eigentliche Akt. Sein ganzes Wesen schrie danach, vereinnahmt zu werden und ich konnte und wollte mich nicht zügeln. Hungrig versiegelte ich unsere Münder und in meinem Hirn explodierten sämtliche Synapsen in einem leuchtenden Feuerwerk. Von Widerstand war nichts zu spüren und nur wenige Sekunden später machte er in einer mehr als eindeutigen Einladung Raum für mich. Mein Herzschlag gewann an Schnelligkeit, während ich der stummen Aufforderung Folge leistete und mich zwischen seinen gespreizten Beinen positionierte.

„Du hast noch zu viel an“, stellte er das Offensichtliche fest und ging daran, mich erst von meinem Shirt zu befreien und mir im Anschluss die Hose samt Unterwäsche von den Beinen zu ziehen.

„Kondome sind in der rechten Hosentasche“, nuschelte ich gegen die verführerischen Lippen und angelte blind nach der Tube Gleitcreme, die sich noch in der Nähe befinden musste. Mein Mund wanderte hinab zu Kames Kiefer und weiter zu seiner wild pochenden Halsschlagader. Ich sog seinen betörenden Duft in mich auf, der mich ganz benommen machte und stöhnte im nächsten Moment überrascht auf.

„Fuck“, entwich es mir zittrig, als ich seine Hand an meiner Körpermitte spürte. Und verdammt, ich war schon so lange steinhart, dass ich vermutlich nicht lange durchhalten würde.

Kazuya kam wohl zu einem ähnlichen Schluss, da er mir schnell das Kondom überstreifte und mir das Gleitgel wegschnappte, um mich notdürftig damit einzureiben.

„Los“, forderte er mich in schon wieder energischerem Tonfall auf und ich schob mich ohne Zurückhaltung in ihn. Unter mir erklang ein schmerzerfülltes Zischen und ich hielt inne, um mich zu vergewissern, dass alles okay war.

„Mach weiter“, erklang es abgehackt und mir kamen Zweifel, dass die Vorbereitung von vorhin als solche zu bezeichnen war. Bevor ich meine Bedenken äußern konnte, zog er mich für einen Kuss zu sich und ich vergaß alles um mich herum.

Kames Stöhnen wandelte sich kurze Zeit später in ein lustvolles und ich war nur noch imstande, ihn mit meinen animalischen Instinkten zur Kenntnis zu nehmen. Denken wurde überflüssig. Alles, was ich wahrnahm, war sein erregtes Keuchen, sein betörender Duft, seine Hände, die sich an meinem Hintern und an meiner Schulter festkrallten und seine Bauchmuskeln, die sich bei jeder meiner Bewegungen anspannten.

Ich verlor mich völlig in ihm und als er ein Bein um meine Hüfte legte, war es um mich geschehen.
 

Hinterher wusste ich nicht mehr zu sagen, wie oft ich noch in ihn stieß. Ich konnte mich nur noch erinnern, dass ich halbwegs auf ihm kollabierte und angestrengt versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Seine Finger spielten mit meinen Haaren im Nacken und ich fühlte mich so entspannt wie lange nicht mehr. All die Anstrengungen und Entbehrungen der letzten Wochen waren vergessen. Wenn Kame immer diese Wirkung auf mich hatte, musste ich zusehen, dass wir öfter miteinander ins Bett gingen. Mir fiel erst jetzt wieder ein, dass ich eine seiner Bedingungen gebrochen hatte. Aber zum Sex gehörten zum Glück immer zwei und er selbst war es gewesen, der dem Geburtstagsgeschenk der anderen Art zugestimmt hatte.

Nachdem sich meine Atmung normalisiert hatte, rollte ich mich von Kame runter und kramte nach Papiertüchern, um uns zu säubern. Ich war so müde, dass ich jeden Augenblick einnicken würde. Schläfrig betrachtete ich ihn von der Seite und stellte fest, dass auch er nicht munterer wirkte.

Mit der letzten verbleibenden Energie zog ich ihn an mich und schlang meine Arme um ihn, bevor ich einschlief.
 

Als ich erwachte, wusste ich im ersten Moment nicht, wo ich war. Verwirrt schlug ich die Augen auf und blickte auf eine nackte Schulter. Meine Hand lag auf einer ebenfalls unbekleideten Hüfte und allgemein befand ich mich viel zu nah an einem Körper. Es war nichts Neues für mich, neben einem One-Night-Stand aufzuwachen. Aber für gewöhnlich verbrachte ich die Nacht auf meiner Seite des Bettes und ging im Schlaf nicht auf Tuchfühlung. Die Erinnerungen an den gestrigen Abend kamen zurück und ich wusste, wer sich in meinen Armen befand. Kamenashi rührte sich im Schlaf und als hätte ich eine heiße Herdplatte berührt, zuckte ich zurück und begab mich in einen Sicherheitsabstand von einem halben Meter. Ein paar Zentimeter mehr und ich wäre vom Bett gefallen.

Was zur Hölle war hier los? Wieso waren wir überhaupt noch hier? Der Plan war gewesen, sich für ein bis zwei Stunden zu vergnügen und sich danach wieder ins Godz zu schleichen und nicht eine Nachtschicht in einem Love Hotel einzulegen. Unauffällig ging anders. Scheinbar war ich gestern nicht der einzige gewesen, der total erschöpft gewesen ist, sonst hätte mich Kamenashi sicherlich aus den Federn geprügelt.

Ächzend schaufelte ich mich unter zerwühlten Decken und Laken hervor und versuchte so wenig Lärm wie möglich zu machen, als ich mich ins Bad begab. Ich hatte keine Ahnung wie spät es war. Ich konnte nur hoffen, dass ich noch genug Zeit hatte, bis mein Termin für heute anstand. Menschen, die Interviews auf einen Sonntag legten, gehörten kastriert. Allerdings würde sie selbst das nicht davon abhalten, mich zu quälen. Fragen für dämliche Modezeitschriften zu beantworten war so angenehm wie eine Zahnsteinentfernung – es bereitete mir körperliche Schmerzen. Der einzige Wermutstropfen war, dass ich mich dafür nicht stylen musste.

Zurück im Zimmer fand ich Kamenashi noch immer schlafend vor. Ich konnte mir nicht erklären warum, aber der Anblick seines zerzausten Haarschopfes, der halb unter einem Kissen vergraben lag, brachte mich zum Schmunzeln.

Ich riss mich los von dem Bild, zog mich an und warf einen Blick auf mein Handy. Die Zeitanzeige von 09:12 ließ mich erleichtert aufatmen. Da es in dem Raum keine Fenster gab, durch die man die Zeit bestimmen konnte, hätte es auch schon locker vier Stunden später sein können.

Unschlüssig betrachtete ich wieder den schlafenden Körper vor mir. Ich hätte mich gern unauffällig aus dem Staub gemacht, aber wir mussten bezahlen und das ging nicht, wenn einer von uns noch den Raum belegte. Seufzend setzte ich mich auf die Bettkante und stieß ihn leicht an der Schulter an. Ein unzufriedenes Grummeln ließ mich grinsen. Ich hätte nicht gedacht, dass es Momente gab, in denen so ein Miesepeter wie Kamenashi niedlich sein konnte.

„Aufstehen“, rief ich und ein gefrustetes Stöhnen war zu hören.

„Wie spät?“, nuschelte es undeutlich.

„Vermutlich 9.000 Yen.“ Mit einem Schlag drehte sich der Knirps auf den Rücken und war hellwach.

„Wir haben verpennt?“ Seine Entrüstung klang beinahe wie eine Schelte. Soweit ich mich aber erinnern konnte, hatte ich ihn gestern nicht bewusstlos geschlagen. Maximal ins Delirium gevögelt, aber deswegen war es noch lange nicht meine alleinige Schuld, dass wir über die Stränge geschlagen hatten. Hoffentlich war Taka zu besoffen gewesen, um noch zu bemerken, dass das Geburtstagskind abhanden gekommen war. Ich mochte mir nicht ausmalen, wie er reagieren würde, wenn er erfuhr, dass ich seinen Schützling genagelt hatte. Nun schon zum zweiten Mal. Der Gedanke an den Sex und die Sicht auf den nackten Oberkörper von Kamenashi brachten mein Blut dazu, die Zirkulation in zentraleren Regionen zu konzentrieren.

„Wir sollten los.“ Die Alternative wäre, erneut über ihn herzufallen, aber der Anblick seiner erzürnten Augen verriet mir, dass das eine verdammt schlechte Idee war.

Wortlos erhob sich der Kleinere und verbarrikadierte sich im Bad. Vorbei war es mit seiner Zutraulichkeit. Irgendwie erinnerte er mich an eine Katze. Wenn sie etwas wollte, konnte sie zahm sein und dich mit ihrer Art um den kleinen Finger wickeln und wenn sie hatte, was sie wollte, fuhr sie die Krallen aus. Ähnlich verhielt es sich mit dem Knirps. Wenn er sich seine Dosis an Sex bei mir abgeholt hatte, bekam ich wieder seine kalte Schulter zu spüren.

Wenige Minuten später hatte es der Schulsprecher geschafft, sich in ein respektables Wesen zu verwandeln, mit dem man sich unbesorgt auf die Straße trauen konnte.

In der Lobby stellte ich mich der unangenehmen Aufgabe: Dem Bezahlen.

„Hat etwas länger gedauert“, scherzte ich leichthin und erntete einen bösen Blick vom Schulsprecher.

„Das ist kein Problem“, erklang die höfliche Stimme hinter der verdunkelten Plexiglasscheibe. Es wurde erst dann zum Problem, wenn man nicht das nötige Kleingeld für diesen Ausrutscher dabei hatte, schon klar.

Ich sah, wie Kamenashi Geldscheine aus seiner Brieftasche kramte und meinte: „Lass stecken, Mann. Ich hab dich eingeladen.“ Fehlte noch, das der Knirps für meinen Fauxpas drauf zahlte.

Nachdem die Unannehmlichkeit erledigt war, befanden wir uns an der frischen Luft und wussten wohl beide nicht so recht, wie wir uns verabschieden sollten.

„Dann sehen wir uns morgen“, hörte ich mich sagen. Unser Blickkontakt fühlte sich mehr als seltsam an. Im Tageslicht und weg vom Ort des Geschehens fühlte sich die Ernüchterung tonnenschwer an. Der Zauber der Nacht war endgültig vorbei und mir wurde einmal mehr klar, dass wir beide unsere Abmachung in den Wind geblasen hatten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ganz offensichtlich dachte nicht nur ich so. Von Kamenashi war nicht der übliche Schieß-mich-tot-Ausdruck zu sehen und ich selbst hatte keinen Dunst, wie ich schaute. Vermutlich so wie ich mich fühlte: Verwirrt. Den Abend musste ich zweifelsfrei erst einmal verarbeiten.
 

***
 

Kame
 

Unschlüssig blickte ich zu Akanishi. Ich hielt mich generell für sehr wortgewandt, aber mir wollte einfach keine passende Verabschiedung einfallen. Vielleicht war mein Hirn von den Aktivitäten dieser Nacht noch vernebelt. „Machs gut und danke für den Blowjob mit Post-Sex. Können wir gern mal wiederholen?“ kam wohl kaum in Frage.

„Dann sehen wir uns morgen“, übernahm mein Mitschüler die leidige Aufgabe. Ebenfalls nicht gerade einfallsreich, aber immerhin schaffte er es, Worte aneinanderzureihen.

Ein Nicken und eine gemurmelte Verabschiedung meinerseits später trennten sich unsere Wege demonstrativ in entgegengesetzte Richtungen. Leider bedeutete dies für mich, einen Umweg von mindestens 30 Minuten latschen zu dürfen, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass der Ältere sonderlich erpicht darauf war, bis zur nächsten Bahnstation – oder wohin er auch immer ging – verfolgt zu werden.

Ich versuchte erst gar nicht, über ein ‚Warum‘ nachzudenken und noch weniger wollte ich mich mit etwaigen Konsequenzen auseinandersetzen. Die Realität würde schon noch früh genug auf mich einprasseln.

Mit ein wenig Glück hatte Akanishi ganze Arbeit geleistet und mir den letzten Funken Verstand herausgevögelt. Das würde zumindest vieles in Zukunft leichter machen.
 

Die Straßen füllten sich langsam, da die Läden in absehbarer Zeit öffnen würden. Ich beschleunigte meinen Schritt umgehend. Das letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, war es, mich durch die Massen an kaufwütigen Menschen zu quetschen.

Das mir allzu bekannte grün-weiße Logo ließ mich jedoch innehalten. Sofort tastete meine Hand nach der Karte, welche sich noch immer in meiner Tasche befand. Jetzt war doch ein guter Zeitpunkt gekommen, herauszufinden, ob mich Akanishi einfach nur verarschte oder die Karte tatsächlich echt war. Zu meiner Verwunderung wurde diese ohne Beanstandungen akzeptiert. Beide Mitarbeiterinnen tuschelten ohne Unterlass und inspizierten mich neugierig, aber ich erhielt meinen Kaffee ohne Probleme. Wenn es Akanishis Absicht war, mich zu beeindrucken, hatte er es tatsächlich geschafft. Aber wozu jetzt noch so viel Aufwand betreiben? Ich wurde aus diesem Kerl einfach nicht schlau.

In der U-Bahn traute ich mich das erste Mal, einen Blick auf mein Handy zu werfen. Allerdings hatte ich nicht eine verpasste Nachricht. Vielleicht war meine Hoffnung doch nicht vollends vergebens, dass unsere nächtliche Aktion trotz der unfreiwilligen Übernachtung unentdeckt blieb. Realistisch, wie ich nun mal war, konnte ich daran kaum glauben. Zur Not musste eine Erklärung her, die sowohl meine als auch Jins Abwesenheit erklärte. Da er mich schon einmal im Vollsuff heimkutschiert hatte, war es naheliegend, dass er auch ein zweites Mal den Samariter spielte. Sonderlich begeistern tat mich diese Ausrede nicht, aber definitiv besser als nichts.

Gott sei Dank fand ich das Haus bei meiner Ankunft leer vor. Ich hatte keine große Lust, zu erklären, wo oder mit wem ich meine Nacht verbracht hatte und die Neugier meiner Großmutter zu befriedigen. Mich in meinem Zimmer zu verschanzen und an die Zimmerdecke zu starren, war allemal besser.
 

Ich ließ den gestrigen Abend Revue passieren. Akanishi hatte mich völlig den Auftritt von Ryo vergessen lassen. Ich fragte mich ernsthaft, was das sollte. Der Ältere benahm sich schon seit geraumer Zeit seltsam, aber gestern war der absolute Höhepunkt gewesen. Ob er etwas ahnte oder schlimmer noch, etwas wusste? Aber woher? Es war ja nicht so, als ob ich es mit Akanishi in aller Öffentlichkeit getrieben hatte und der gestrige Zwischenfall ereignete sich erst nach Ryos Ansage.

Ich kam zu dem Ergebnis, dass er wohl doch nur zu viel gesoffen hatte, auch wenn das ungute Gefühl nicht verschwinden wollte.

Zum Glück rettete mich das Klingeln meines Handys vor weiteren Grübeleien. Takas grinsende Visage zeigte sich auf meinem Display. Ich konnte mich nicht ewig vor den Konsequenzen der gestrigen Nacht drücken. Besser gleich mit dem kleineren Übel beginnen.

„Was eine Nacht“, seufzte mein Kumpel sogleich gequält ins Telefon, nachdem ich den Anruf entgegen genommen hatte.

„Da sagst du was“, antwortete ich ausweichend und schickte ein paar Stoßgebete an wen auch immer. Schaden konnte es ja nicht.

„Gott, ich hab‘ so viel gesoffen, dass ich nicht einmal weiß, wie ich nach Hause gekommen bin. Du hast mich nicht zufällig hier abgeladen.“ Nur schwerlich konnte ich ein erleichtertes Aufatmen unterdrücken.

„Ich fürchte nicht. Als ich gegangen bin, warst du noch schwer mit trinken beschäftigt und wirktest nicht, als ob du sobald damit aufhören wolltest.“

„Gute Freunde sorgen dann eigentlich dafür, dass man aufhört“

„Tut mir leid, ich war selber alles andere als nüchtern. Akanishi hat mich sogar zur Sicherheit zum nächsten Taxistand begleitet.“ Ich hasste es, neben der gesamten Welt auch noch meinen besten Freund belügen zu müssen, doch die Wahrheit zu sagen, wäre viel fataler. Dennoch war es stets zu empfehlen, so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben, immerhin gab es sicher den einen oder anderen Zeugen, welcher mich mit Akanishi gesehen hatte. Der einzige Nachteil an der Geschichte war, dass ich meinem Mitschüler einmal mehr den Stempel des strahlenden Helden aufdrückte und Taka noch in seiner Meinung bestärkte.

„Ihr versteht euch also besser“, bestätigte er mir meinen Verdacht sogleich. Ja, zumindest beim Sex verstanden wir uns blendend, aber auch dies blieb lieber unausgesprochen.

„Ich weiß nicht. Wir kommen miteinander klar, denke ich.“ Das Thema Akanishi mit meinem besten Freund zu erörtern, war nicht gerade angenehm, aber Taka schien damit gar nicht wieder aufhören zu wollen.

„Es wurde Zeit, dass auch du bemerkst, dass er eigentlich nur ein netter Kerl ist.“

Auweia, wenn sich mein bester Kumpel da nicht gewaltig täuschte. Manchmal war er einfach zu naiv für diese Welt, jedoch hatte ich es langsam satt, mich für meine Meinung über Akanishi rechtfertigen zu müssen.

„Vielleicht“, antwortete ich daher vage. Wie nett Akanishi in Wirklichkeit war, würde sich demnächst noch zeigen.

Taka jammerte mir noch einige Minuten die Ohren voll, bis er beschloss, es noch einmal mit einer Mütze Schlaf zu probieren. Für einen angehenden Rockstar war mein Kumpel verdammt zimperlich. Den restlichen Tag lenkte ich mich gekonnt mit Arbeit ab. Es gab genügend für die kommenden Tage vorzubereiten, vor allem, wenn man auch noch den Part von Akanishi übernehmen musste.
 

Am Montag ging der ganze Irrsinn wieder von vorne los, jedoch war ich dieses Mal weniger nervös, als nach unserer ersten Nacht. Ich durfte mir dennoch keine Fehler mehr erlauben, wenn ich wollte, dass mein Geheimnis auch eines blieb. Zu meinem Leidwesen schaffte es Akanishi jedes Mal aufs Neue, dass ich meine Grundsätze außer Acht ließ und unvorsichtig wurde. Bisher hielt mein Mitschüler aber aus unerfindlichen Gründen weiterhin die Klappe.

Ich versuchte mich von meiner Nemesis soweit es ging fernzuhalten. Nicht nur, dass wir immerhin den Schein vor Miura wahren mussten, ich wusste langsam nicht mehr, wie ich mich in der Gegenwart des Älteren verhalten sollte. Irgendetwas hatte sich verändert. Ich konnte es nicht in Worte fassen, aber es bereitete mir Kopfschmerzen. Jedoch musste ich die Analyse dieses Problems auf später verschieben, da gerade ein anderes um die Ecke bog und mich nicht gerade sanft zur Seite stieß. Ich hatte alle Mühe das Gleichgewicht zu behalten.

„Pass doch auf, wo du hinläufst“, fauchte Miura, während seine Gefolgschaft anfing zu kichern. Unser Botschaftersohn scharte also langsam ein Heer hinter sich. Es war nicht verwunderlich, dass ein Großteil davon zu dem Fußballclub gehörte und mir aufgrund der jüngsten Ereignisse nicht gerade positiv gesinnt war. Einschüchtern ließ ich mich von diesen hirnlosen Idioten hingegen noch lange nicht.

„Vielleicht solltest du dir lieber eine Brille zulegen“, erwiderte ich und richtet desinteressiert meine Uniform.

„Wie war das?“

„Und offensichtlich auch ein Hörgerät“, fügte ich hinzu und konnte mir ein herausforderndes Lächeln nicht verkneifen. Ich wusste, es war nicht gerade schlau, meinen Mitschüler noch mehr zu reizen, aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. Schweigen breitete sich aus und ich sah, wie sich Miuras Gesicht vor Wut verkrampfte. Seinem Blick war deutlich zu entnehmen, dass er nichts lieber täte, als mich zu vermöbeln, doch wagte er es nicht, in aller Öffentlichkeit Hand an mich zu legen. Nicht einmal unser Botschaftersohn wollte Kitagawas Zorn riskieren.

„Du hast dich mit dem falschen angelegt, Kamenashi“, zischte mein Gegenüber und versuchte wohl, mich mit seinem Gebärden einzuschüchtern.

„Soll das etwa eine Drohung sein?“

„Das wirst du schon sehen.“

„Kann es kaum erwarten“ Miura trollte sich und sein Gesindel folgte tuschelnd. Diese Runde ging definitiv an mich, aber vielleicht wäre es schlauer, zukünftig nicht unbedingt zu spät und allein den Heimweg anzutreten.
 

Der restliche Schultag verging ohne weitere Zwischenfälle. Ich war gerade dabei, meine Bücher in den Spind zu verstauen, als hinter mir ein Schatten auftauchte. Gewappnet eines der Werke als Waffe zu missbrauchen, fuhr ich ruckartig herum, nur um festzustellen, dass der vermeintliche Angreifer lediglich Ueda war, welcher mich amüsiert anlächelte.

„So schreckhaft heute?“ neckte er mich sogleich.

„Schleich dich halt nicht so an“, antwortete ich trocken und knalle meine Spindtür zu.

„Ich hab gehört, du hattest heute einen kleinen Zusammenstoß mit unserem neuen Freund“, kam mein Klassenkamerad direkt zum Punkt. Eine Sache, die ich wirklich an ihm schätze.

„Ließ sich leider nicht vermeiden. Ich fürchte, ich arbeite mich auf seiner Opferliste langsam aber stetig nach oben.“

„Ich will dir ja nicht deine Hoffnung nehmen, aber die Konkurrenz hast du wohl spätestens heute hinter dir gelassen.“ So sah es wohl aus. Wir sollten uns wirklich mit unserem Plan beeilen, sonst würde ich noch klein gehackt im Diplomatengepäck transportiert und auf einem Acker in China verscharrt werden. Das Miura nicht zum Gegenschlag ausholte, war sehr unwahrscheinlich.

„Wer kann, der kann“, versuchte ich dennoch gelassen zu wirken. So gern ich unseren Klassensprecher auch um mich hatte, wollte ich heute nur noch in einem Stück zu Hause ankommen. Leider war es nicht gerade leicht, Tatsuya abzuschütteln

„Verfolgst du mich?“, fragte ich schmunzelnd, nachdem er mit mir das Schulgelände verließ und keine Anstalten machte, seinen Heimweg einzuschlagen, sondern mir weiterhin hinterher trabte.

„Ich dachte, du könntest vielleicht Personenschutz gebrauchen“, erklärte mein Klassenkamerad sein Verhalten.

„Ich bin gerührt. Nimm es mir nicht übel, aber eine besonders abschreckende Wirkung hast du nicht gerade.“

„Das ist auch gut so. Dann bin ich halt nur ein ungebetener Zeuge.“

„Tu, was du nicht lassen kannst“, gab ich auf und wurde das ungute Gefühl nicht los, dass mehr hinter dem Samaritertum des anderen lag. Schweigend liefen wir die Straße in Richtung der nächstgelegenen Bahn-Station. Meine Begleitung schien nach den richtigen Worte suchen, um seine wahre Intention zu enthüllen. Da sich bereits eine Ahnung in mein Bewusstsein schlich, um was es ging, dachte ich gar nicht daran, es ihm leicht zu machen.

„Kann ich dich etwas fragen?“, brach Ueda nach der nächsten Kreuzung die Stille und blieb demonstrativ stehen. Wahrscheinlich wurde ihm bewusst, dass es nur noch wenige Meter bis zum Eingang waren.

„Klar.“ Solange er keine vernünftige Antwort erwartete.

„Was läuft zwischen Jin und dir?“ Wusste ich es doch. Wenn Akanishi doch geplappert hatte, wusste ich wenigstens, wer heute als erster zerstückelt würde.

„Was meinst du?“, fragte ich entgegen meiner inneren Anspannung ruhig und mimte die Unwissenheit in Person.

„Du weißt genau, was ich meine.“ Anstatt zu antworten, blickte ich Ueda nur weiter fragend an. Sollte er sich doch die Zähne ausbeißen.

„Beleidige nicht meine Intelligenz, Kazuya.“ Jegliche Freundlichkeit war aus seiner Stimme verschwunden. „Ihr fahrt zusammen zur Schule, er geht zu deiner Geburtstagsparty – allein, und du schreibst seine Berichte für Johnny. Also, habt ihr was am Laufen? Ja oder Nein?“ Da hatte jemand seine Hausaufgaben gemacht.

„Woher…?“, stammelte ich völlig überfahren und versuchte meine Gedanken zu ordnen, damit ich ja keinen Fehler beging.

„Das mit der Party oder die Berichte?“

„Die Berichte. Ich war extrem gewissenhaft.“

„Zu sehr. Wenn man Jin gut genug kennt, weiß man, dass er sich niemals die Mühe gemacht hätte“, erklärte Ueda sachlich und mit wurde spontan schlecht. Fehlte nur noch, dass Kitagawa dahinter kam und ich konnte mich gleich begraben.

„Akanishi weiß nichts davon. Pi hatte mich gebeten, ihm etwas Arbeit abzunehmen.“ Es brachte nichts, diesen Teil zu leugnen. „Was die Party angeht: er war nicht wegen mir dort, sondern weil ein gemeinsamer Kumpel ihn eingeladen hatte. Du solltest wissen, dass ich nicht in diese Richtung ticke. Da läuft also nichts und wird es auch zukünftig nicht.“ Die Lüge ging mir so leicht von den Lippen, dass ich sie mir selbst glauben würde, wären die Geschehnisse vom Wochenende nicht noch in allzu guter Erinnerung. Da zeigte es sich wieder: Übung machte den Meister. Sogar Tatsuya schien überzeugt zu sein.

„Du weißt schon, dass Jin das etwas anders sieht. Er gehört nicht gerade zu den Personen, die ein „Nein“ akzeptieren.“ Und ich nicht zu den Personen, die zu ihm nein sagen können. Passte doch perfekt.

„Sollte er aber“, antwortete ich stattdessen. Ich wollte dieses Thema nur noch hinter mich bringen und meine Ruhe haben.

„Sonst was?“

„Wird er dann schon sehen.“ Die Worte klangen härter, als ich es beabsichtigt hatte. Ich konnte deutlich sehen, dass Ueda diese als Drohung auffasste. Mir war es gleich, solange niemand dahinter kam, was wirklich Sache war.

„Du entschuldigst mich“, nutzte ich die Gunst der Stunde und trat die Flucht an. Diesmal folgte mir Ueda nicht.

F**k Titles

Kapitel 18 - F**k Titles
 


 

Jin
 

Montagmorgen unterrichtete mich Ueda über den Umstand, dass unsere bisherigen Bemühungen im Fall Miura wichtige Erkenntnisse geliefert hatten, uns aber nicht viel nutzten. Wir hatten nun den Beweis, dass der Scheißkerl eine Abmachung mit Johnny hatte, jedoch war dies mehr als legitim. Das reichte noch lange nicht, um ihn wieder loszuwerden.

Ueda und Kamenashi waren der Meinung, dass wir etwas mehr in Miuras Vergangenheit bohren mussten.

Ich war jedenfalls raus. Noch eine Runde mit dem Bonzenkind würde entweder er oder ich nicht unbeschadet überstehen. Außerdem bezweifelte ich stark, dass er von seiner dunklen Vergangenheit ebenso stolz berichten würde. Von einer Schule zu fliegen und zeitgleich eine reine Weste für eine neue Bildungseinrichtung zu erlangen war schon ein starkes Stück. Zweifelsohne war sein Daddy ein hohes Tier, das mit Sicherheit extrem angepisst über Sohnemanns Missetaten gewesen war. Ein Schandfleck, den er erfolgreich vertuscht hatte.

Aber ich wäre nicht Akanishi Jin, wenn ich nicht eine Möglichkeit kennen würde, Geheimnisse zutage zu fördern.
 

„Denkst du, dass du den Schulsprecher damit herumkriegen kannst?“, grinste Koki schadenfroh und auch Junno lächelte mich zuckersüß an. Ab und an hasste ich meine Kumpel wirklich.

„Hier geht es um mehr, als Kamenashi zu beeindrucken“, verdrehte ich die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war.

Ich hatte die beiden soeben in die Mission Botschaftersohn eingeweiht und erntete wie üblich nichts als Spott und Häme.

„Haben wir verstanden“, lenkte Junno ernst ein. „Wenn wir keine Möglichkeit finden, den Schaumschläger abzusägen, wird selbiges dir blühen und unsere Ära der Macht neigt sich dem Ende entgegen.“

Ich nickte auf die Zusammenfassung zustimmend. Genau so sah es aus und damit verdammt düster.

„Aber du musst zugeben, dass das trotzdem eine wunderbare Gelegenheit ist, bei Kamenashi zu punkten.“

„Ja, ganz wunderbar“, zischte ich genervt.

„All deine Aufmerksamkeit liegt aktuell auf dem zarten Reh, so kennen wir dich gar nicht.“ Wenn die beiden jetzt wie Pi anfingen, würde ich mir die Kugel geben. Was war an meinen Interessen nur so unterhaltsam? Ich verstand meine Freunde einfach nicht.

„Zugegeben, er hat einen niedlichen Hintern. Das sieht man sogar trotz der hässlichen Uniform, aber...“, fing Koki an zu erzählen, wurde jedoch von Junno unterbrochen: „Du solltest ihn auf dem Spielfeld sehen, wenn dir sein Arsch zusagt. Dort kannst du ihn in voller Pracht begutachten.“ Jetzt ging es aber los! Waren die zwei komplett gestört oder was?

„Hier wird keiner irgendwelche Ärsche beobachten“, stellte ich vehement klar. „Außer ich und zwar euch beide im Moment.“

„Ist das etwa Eifersucht?“, lachte Koki vergnügt.

„Dass wir das noch erleben dürfen“, stieg Junno auf den Blödsinn ein und veranlasste mich zum neuerlichen Augenrollen.

„Was ist nun?“, fragte ich ungeduldig. Ich hatte heute noch wichtigere Sachen zu erledigen, als mich verspotten zu lassen.

„Du weißt, dass du auf uns zählen kannst. Wir lassen unsere Kontakte spielen und im Handumdrehen hast du die nötigen Infos, was genau Miura auf seiner alten Schule verzapft hat“, versicherte mir Koki.

„Gut“, entgegnete ich erleichtert. Koki und Junno waren die richtigen für den Job. Die beiden hatten Kontakte in ganz Japan verstreut, die sie wegen krummer Geschichten befragen konnte. Irgendetwas Extremes musste vorgefallen sein, sonst wäre er nicht gleich suspendiert worden, schon gar nicht bei so einem einflussreichen Vater. Das Ganze musste ein stärkeres Vergehen gewesen sein, als Mitschüler zu beklauen.

Ich war wirklich gespannt, was die zwei Experten herausfinden würden.
 

Am Mittwoch hatten wir nach Unterrichtsschluss ein erneutes Treffen bezüglich Miura vereinbart. Ich schlüpfte ungesehen in die Bibliothek und schloss lautlos die Tür hinter mir. Niemand durfte von unserem geheimen Abkommen Wind bekommen oder wir wären alle geliefert.

Ueda saß bereits auf einem der Stühle. Von Kamenashi fehlte noch jede Spur.

„Hi“, grüßte ich ihn und setzte mich ihm gegenüber.

„Hey Jin“, strahlte mich der Jüngere erfreut an. In den letzten Wochen hatten wir uns kaum gesehen, wie mir sträflich bewusst wurde. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, wenn ich ihn zu lange vernachlässigte. Glücklicherweise war Tatsuya kein Kind von Traurigkeit und in der Lage, sich Ersatz zu besorgen.

„Sorry, dass ich momentan kaum Zeit für dich hatte“, entschuldigte ich mich trotzdem reumütig.

„Kein Ding. Kamenashi lenkt dich zu sehr ab, nicht wahr?“ Fing er jetzt auch noch damit an?

„Wie meinst du das?“

„Ich bin nicht blind, Jin. Pi wundert sich auch schon, was zwischen euch läuft.“ Und Koki und Junno ebenfalls. Damit wären dann wohl alle meine Freunde damit beschäftigt, sich um mein Seelenheil zu sorgen. Ich war beinahe gerührt.

„Außer einer feindlichen Grundstimmung läuft nichts.“

„Das ist auch nur eine Umschreibung für eine Empfindung. Zumindest seid ihr euch nicht egal.“

Verdammt. Auf eine solche Gesprächsebene sollte ich mich wirklich nicht mit ihm begeben. Der Jüngere hatte die deutlich besseren Antennen für Gefühle.

„Erzählst du mir freiwillig, was ich verpasst habe oder muss ich es auf die harte Methode herausfinden?“. Sein spitzbübisches Grinsen ließ mich in Schweiß ausbrechen. Alarmstufe Rot! Ich war ein verdammt beschissener Schauspieler aber ich würde den Teufel tun und ihm verraten, was genau ich mit dem Schulsprecher in meiner Freizeit trieb.

„Es gibt nicht viel zu erzählen. Kamenashi und ich mussten gemeinsam einige Dinge für Johnny drehen. Da kommt man sich schon mal in die Quere“, erzählte ich die Halbwahrheit.

„Eure Spannungen sind fast greifbar.“ Ich zuckte darauf nur mit den Schultern. Was sollte ich hierauf auch antworten?

„Hallo“, erklang die Stimme des Schulsprechers und mir lief es kalt den Rücken herunter. Wie lange war er schon im Raum und noch viel wichtiger war die Frage: wie viel hatte er mitbekommen?

Zumindest ließ er sich nichts anmerken, falls er etwas von unserem Gespräch vernommen hatte.

Seit den letzten Wochen redete ich mich nur noch um Kopf und Kragen. Ich hasste es, zwischen den Stühlen zu sitzen. Und wofür der ganze Aufriss? Für eine gemeinsame Nacht mit dem Schulsprecher…okay, zwei. Und nun wurde ich von allen Seiten belagert. Hätte ich gewusst, was die Fickerei mit dem Knirps für Konsequenzen nach sich ziehen würde, hätte ich es vermutlich gelassen. Andererseits war es verdammt gut gewesen. Vor allem der letzte Samstag war mehr als heiß gewesen. Die Erinnerungen daran liefen des Öfteren in meinem Kopf wie ein Film ab. Kame unter mir, seine Körperhitze die auf mich übersprang, Finger, die sich an mir festklammerten, sein unregelmäßiger Atem, der die Stille des Hotelzimmers durchbrach und dieses Gesicht, so voller Emotionen, dass mir selbst die verwaschene Rückblende daran beinahe ein sichtbares Problem zwischen meinen Beinen verpasste.

„Jin?“, holte mich Uedas Stimme in die Realität zurück

„Hier bin ich“, reagierte ich dümmlich.

„Den Eindruck habe ich nicht“, murmelte er verdrießlich.

„Sorry“, meinte ich. Die Tagträume sollte ich definitiv auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.

„Ihr wollt sicher den neuesten Stand der Ermittlungen wissen“, fing ich umständlich an. „Koki und Junno habe ich am Montag für die Nachforschungen mit ins Boot geholt, da ich kaum glaube, dass die Pissnelke von Botschaftersohn mir freiwillig die Details zu seinem Rausschmiss kundtun wird.“ Hierbei schaute ich zu Tatsuya, der mich gebeten hatte, dies in Erfahrung zu bringen.

Ich zögerte, mehr als nötig vor Kamenashi preiszugeben. Immerhin sollte dieser nicht wissen, was meine Freunde für Verbindungen in die illegale Welt hatten.

„Die beiden sind an der Sache dran. Ich denke, bis spätestens Anfang nächster Woche können wir mit brauchbaren Ergebnissen rechnen“ Ein Seitenblick von Ueda genügte und ich wusste, dass er verstanden hatte, was ich auszusprechen nicht in der Lage war.

„Mittlerweile wissen recht viele Leute von unserem Vorhaben“, merkte Kamenashi mit einer guten Portion Vorwurf in seiner Stimme an.

„Nur Leute, denen wir vertrauen“, sprang Ueda zur Verteidigung ein. Guter Junge.

Unser Schulsprecher schien über die Entwicklung alles andere als begeistert zu sein, aber da musste er durch. Ich konnte Miura nicht noch mehr ausquetschen, ohne verdächtig zu wirken und Koki und Junno waren in der Lage, ganz ohne die Befragung des Bübchens an unser Ziel zu gelangen.

Junno hatte bereits angedeutet, dass er einen Informanten gefunden hatte, dem der Name Miura Haruma ein Begriff war. Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass wir die Offenbarungen zu unserem Vorteil nutzen konnten.

„Also heißt es jetzt abwarten?“, vergewisserte sich Kamenashi.

„Ja, es sei denn, Maru hat noch etwas in Erfahrung gebracht?“ Kamenashi schüttelte auf Uedas Frage nur den Kopf.

„Gut, dann hören wir uns, sobald es etwas Neues gibt. Ich muss jetzt auch wieder los“, sagte der Schulsprecher und stand auf.

„Jin“, hielt mich Ueda mit einem ermahnenden Tonfall zurück, als auch ich mich erhob. Verdammt, ich hatte gehofft, einem neuerlichen Verhör zu entgehen. Aber meine Fickbeziehung konnte extrem hartnäckig sein. Seufzend setzte ich mich wieder hin.

„Du willst nicht darüber reden, oder?“, fragte Ueda, als der Knirps außer Hörweite war.

Nicht dürfen, war der passendere Ausdruck. Als Antwort schwieg ich nur. Jede weitere Erwiderung würde mich nur noch mehr verraten.

„Mir ist es im Grunde egal, mit wem du deine Freizeit verbringst, aber Kamenashi? Man, sei bloß vorsichtig. Ich will nicht, dass du dich in irgendetwas verrennst.“

„Was soll das denn heißen?“, konnte ich mir die neugierige Frage nicht verkneifen.

Ueda seufzte, als könne er meine Naivität nicht fassen und fuhr fort: „Kamenashi spielt in unserer Liga, okay? Ihn willst du nicht zum Feind haben. Und wenn doch, weißt du ja nun, was das für Konsequenzen nach sich zieht.“

„Ich dachte, wir arbeiten zusammen“, entgegnete ich verwirrt. Ich hieß nicht Miura und hatte nicht vor, Kamenashi in die Quere zu kommen, solange er selbiges bei mir vermied.

„Ich rede nicht von dem, was in der Schule oder für Johnny passiert.“ Irritiert zog ich meine Augenbrauen zusammen. Ich schnallte nicht, was er mir mitteilen wollte und erntete ein Augenrollen.

„Okay, dann erkläre ich es in deiner Sprache: Du willst ihn ficken und setzt alles daran, dies zu schaffen, richtig?“ Oh Gott, ich saß in Teufels Küche. Ich biss mir schmerzhaft auf die Lippe, was ihm Antwort genug zu sein schien. „Wusste ich es doch. Übertreib es nicht, Jin. Wenn Kamenashi sich in die Ecke gedrängt fühlt, könntest du ziemlich böse eins rein gewürgt bekommen. Du siehst, wozu er fähig ist. Ich will nicht mit ansehen, wie er all seine Register zieht und dich von der Bildfläche verschwinden lässt, wenn du ihm zu nahe trittst.“

Solche Ratschläge kamen eindeutig zu spät. Konnte ich mich jetzt glücklich schätzen, dass der Schulsprecher eine Schwäche für mich hatte? Denn wäre es nicht so gewesen, müsste ich laut Uedas Meinung längst unter der Erde liegen.
 

Viel zu spät hatte mich der alte Knacker informiert, dass ich zu einem neuerlichen Event für die Schule geladen war. Ich würde meine Hand ins Feuer dafür legen, dass dies pure Absicht war. So senil war selbst er noch nicht. Ich hatte ihn förmlich vor mir sehen können, wie er den Stift im Anschlag gehabt hatte, mit dem er jeden Moment bereit gewesen wäre, meinen Namen auf die rote Liste zu setzen, hätte ich es gewagt, die Einladung auszuschlagen.

Dank dieses Saftsacks musste ich einen wichtigen Termin canceln. Auftraggebern kurzfristig abzusagen war eine sichere Methode, sie auf ewig zu vergraulen.

Das schrie nach einem Gegenschlag. Mir war bewusst, dass ich mich nicht den Sponsoren gegenüber daneben benehmen konnte, sonst wäre Pi am Arsch, aber das hieß noch lange nicht, dass ich mir alles gefallen lassen musste.

Eine Vodkaflasche befand sich in meiner Tasche und ich war mehr als gewillt, heute Abend davon Gebrauch zu machen.

Als ich den Kongresssaal betrat, sah ich mich einer Horde Anzugträger gegenüber, die ebenso vielversprechend aussahen wie der Name der Veranstaltung: Jugend und Sport. Die anwesenden Gäste waren von beiden Dingen weit entfernt. Lustlos schob ich mich durch die Reihen der feinen Herren im Zwirn und hielt nach Johnny Ausschau. Besser, ich brachte die übliche Ansprache gleich hinter mich und verzog mich dann, um mich wichtigen Idioten vorzustellen und so zu tun, als wäre unsere Schule eine gute Investition. Ich würde jedoch jedem hier davon abraten, den Fußballclub zu unterstützen, so viel stand fest.

„Ah, Jin“, entdeckte mich der alte Krauter als erstes und lächelte mich scheinheilig an. Neben ihm stand Kamenashi in einem Armani-Anzug, wie mein geschultes Auge sofort erkannte. Der Aufzug sah an ihm wesentlich besser aus als an mir. Er schien wie gemacht für Schlips und Kragen, wohingegen ich mir mehr wie ein Pinguin vorkam, der sich auf Eierschalen bewegte.

„Guten Abend“, würgte ich in einem freundlichen Ton hervor und hoffte, dass ich nicht gleich davon brechen musste.

„Ihr wisst ja, was eure Aufgabe ist“, hielt sich Johnny nicht erst lange mit der Abendplanung auf. Scheinbar hatte er heute noch Großes vor, da er sich, so schnell es seine gebrechlichen Beine erlaubten, davonmachte. Konnte mir nur recht sein.

Unauffällig holte ich meinen Vodka, der getarnt in einer Plastikflasche daherkam, aus meiner Tasche und genehmigte mir den ersten Schluck, sonst würde ich bald Amok laufen. Meine Gedanken drehten sich noch immer um den geplatzten Deal und Johnnys Anblick hatte es nicht gerade besser gemacht Unprofessionelles Verhalten sprach sich schneller herum als hart erarbeiteter Erfolg. Leider war das Kind bereits in den Brunnen gefallen und alles, was mir blieb, war zu hoffen, dass dies keine großen Wellen schlug.

„Tag auch“, grüßte ich Kamenashi, solange ich nüchtern und anständig war. Wenn ich mir auf dieser Veranstaltung die Lichter ausknipste, konnte ich für nichts mehr garantieren.

„Guten Abend“, folgte seine höfliche Entgegnung, welche mich spöttisch grinsen ließ. Nach unseren zwei Nächten und unserem Coup, Miura loszuwerden, war er immer noch in der Lage, so zu tun, als wären wir Todfeinde. Ich fragte mich, was er alles imstande war, mir vorzuspielen.

„Lust, von den Wichsern hier Geld abzuzocken?“ Meine Frage löste die leiseste Regung in seinem Gesicht aus: Bedenken. Oh ja, ich war heute auf Krawall gebürstet und Gnade Gott, einem dieser Pinsel sollte es einfallen, mich zu provozieren.
 

***
 

Kame
 

Ich hatte nicht erwartet, dass es ein Leichtes sein würde, Miura loszuwerden, nur langsam waren für meinen Geschmack zu viele Mitwissende involviert. Ueda und Maru waren unabdingbar, da ich es nie und nimmer allein geschafft hätte, diesen Wichtigtuer abzusägen. Akanishi stellte ein notwendiges Übel dar, was ich zu schlucken hatte, wenn ich an mein Ziel wollte. Seine zwielichtigen Freunde jedoch, denen ich keinen Zentimeter über den Weg traute, waren definitiv nicht vorgesehen.

Zu meinem Verdruss musste ich meinen Mitschülern recht geben. Ohne weitere Informationen kamen mir nicht voran. Trotzdem war ich alles andere als begeistert.

In Gedanken versunken lief ich über den verlassenen Hof und nahm die dunkle Gestalt, welche am Tor lehnte, gar nicht wahr.

„Hey Kame“, erschreckte mich Ryo beinahe zu Tode. Seit der Party hatten wir kein Wort miteinander gesprochen. Daher war ich doch verwundert, ihn hier zu sehen.

„Seit wann wartest du hier?“, fragte ich irritiert und hatte keine Ahnung, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte.

„Vielleicht eine Stunde, könnten auch zwei gewesen sein“, antwortete er zerknirscht. Wenigstens schien er ein schlechtes Gewissen zu haben. Recht so nach der Aktion.

„Du weißt schon, dass es so etwas wie Telefone gibt?“

„Ich hatte Angst, du würdest nicht rangehen“ Hast du Zeit? Wir könnten etwas trinken gehen.“ Unschlüssig blickte ich mich um. Vielleicht wurde ich wirklich paranoid, aber das letzte, was ich momentan benötigte, war es, dass mich Miura oder einer seiner Schergen in irgendeiner Bar erwischten. Lieber hielt ich den Ball für ein paar Tage flach und bot so wenig Angriffsfläche wie möglich. Wenn ich ehrlich war, hielt sich meine Lust, meine Freizeit mit Ryo zu verbringen, seit seinem Auftritt stark in Grenzen. Wer wusste schon, was sich wirklich in seinem Hirn abspielte.

„Heute ist es echt schlecht. Ich hab morgen einen harten Tag vor mir“, log ich.

„Okay, dann lass mich dich zumindest heimfahren“, bat mein Gegenüber geknickt.

Ich wusste nicht genau, warum ich letztendlich eingewilligt hatte. Vielleicht lag es an der Ungewissheit, welche an mir nagte, ob Nishikido tatsächlich von Akanishi und mir etwas ahnte. Die kurze Fahrt würde mich nicht umbringen und wie ein Psychopath sah Ryo nun wirklich nicht aus, auch wenn er anscheinend über einige bedenkliche Tendenzen verfügte

Es herrschte Stille während der Fahrt, jedoch war diese, anders als bei den Fahrten mit Akanishi, nicht angenehm, sondern eher erdrückend.

„Ich hoffe, ich hab dir die Party nicht vermiest?“, brach der Ältere irgendwann sein Schweigen und sah abwechselnd auf die Straße und zu mir.

Was sollte ich darauf antworten? Nein, alles war wieder bestens, nachdem ich mich von Akanishi vögeln lassen habe? Wohl eher nicht.

„Nichts, was sich nicht durch ausreichend Alkohol richten ließ“, erwiderte ich und heftete meinen Blick starr auf den Verkehr. Wenigstens einer im Fahrzeug sollte dauerhaft auf die anderen Fahrzeuge achten, wenn der Fahrer schon damit beschäftigt war, einen anzugaffen.

„Wow, du weißt, wie man einem ein schlechtes Gewissen machen kann“, seufzte Ryo schuldbewusst und konzentrierte sich zum Glück wieder auf das Fahren.

„Kame, ich …“.

„Mensch Ryo, ich bin nicht sauer, okay?“, fuhr ich ihm ins Wort und quälte mir sogar ein freundliches Lächeln ab.

„Okay“, erklang es kaum überzeugt. Erneutes Schweigen folgte, während wir durch die Stadt fuhren. Nur schwerlich konnte ich mir ein Aufatmen verkneifen, als der Wagen endlich in meine Straße einbog und vor meinem Haus hielt.

Gerade wollte ich mich abschnallen, als sich eine Hand auf die meine legte und mich an meinem Vorhaben hinderte. Blitzschnell hatte sich der Ältere zu mir über gebeugt und versperrte mir somit schon zum zweiten Mal in kürzester Zeit jegliche Fluchtmöglichkeit. Schwer schluckend erwiderte ich den direkten Blick des Älteren, welcher mir kalte Schauer über den Rücken jagte. Den Überraschungsmoment hatte Ryo definitiv auf seiner Seite.

„Tu mir einen Gefallen“, wisperte er, „halt dich soweit es geht fern von Jin.“

„Versuche ich jeden Tag“, krächzte ich leise zurück. Sogar meine Stimme hatte mich verlassen.

„Gut“, sprach er ernst und öffnete mit einer Hand meinen Gurt sowie mit der anderen die Beifahrertür, um sich anschließend wieder aufzurichten. „Ruf mich am Wochenende an, wenn du Lust hast, was zu machen.“

Verwirrt blinzelte ich und kam mir gerade vor, wie in einer der schlechten TV-Serien, welche sich meine Großmutter immer reinzog.

„Klar“, stammelte ich durcheinander und suchte mein Heil lieber in der Flucht. Vielleicht war es an der Zeit, Taka auf den Geisteszustand seines Cousins anzusprechen.
 

Einen weiteren Tag wartete ich vergebens auf Miuras Rache. Es war nicht gerade beruhigend, dass sein Gegenschlag offensichtlich reichlich Vorbereitung brauchte. Langsam kamen mir Zweifel, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, den Botschaftersohn zu reizen. Ändern konnte ich es jedoch auch nicht mehr. Zum Glück hielt die Woche genügend Beschäftigungen bereit, sodass ich kaum Zeit hatte, mich meinen paranoiden Wahnvorstellungen hinzugeben.

Ich warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und richtete meine Krawatte, bevor ich mich auf den Weg zu der Kongresshalle machte, wo die heutige Abendveranstaltung stattfand. Das Gebäude war nicht weit entfernt, was zumindest den Heimweg nach Betriebsschluss bei weitem erleichterte

Der Saal war schon gut gefüllt, da bereits seit dem Nachmittag Vorträge über die Förderung des Sports an Schulen gehalten wurden. Zum Glück hatte Kitagawa davon abgesehen, uns auch zu diesen einschläfernden Veranstaltungen zu schicken. Johnny gehörte selbstverständlich ebenfalls zu den Anwesenden. Ich atmete nochmals tief durch, bevor ich die letzten Meter überbrückte und mich zur Begrüßung verbeugte.

„Ah, zur richtigen Zeit wie immer“, begrüßte mich der Rektor mit einer übertriebenen Freundlichkeit, dass mir beinahe mein Abendessen wieder hochkam. „Hiraguchi, Sagomoto, darf ich Ihnen unseren Schulsprecher vorstellen. Kamenashi Kazuya, ein vielversprechender Schüler und zudem Kapitän des Baseball-Teams.“

„Ah, also ein perfektes Beispiel für den heutigen Abend“, sprach Sagomoto, ein älterer, dicklicher Herr, der sein Wissen über Sport wohl nur aus dem Fernsehen oder seiner Tageszeitung hatte.

„Das hoffe ich doch“, erwiderte ich höflich und gab bereitwillig Auskünfte über die Organisation der Clubs an unserer Schule Keine Frage, Kitagawa war auf weitere, finanzielle Unterstützung aus und seine beiden Opfer besaßen dafür das nötige Kleingeld.

Die nächste Gruppe betagter Herrschaften folgte und ich begann langsam zu befürchten, dass dies ein verflucht langer Abend werden würde. Die sonstigen Veranstaltungen wurden wenigstens durch die Töchter oder Ehefrauen der reichen Säcke aufgelockert, nur schienen diese kein sonderliches Interesse an diesem Symposium zu hegen. Daher war ich beinahe erleichtert, als Kitagawa plötzlich in seinem Satz innehielt, um kurz darauf Akanishis Namen zu rufen.

„Guten Abend“, begrüßte er Johnny honigsüß, welcher ihn von oben bis unten kritisch musterte. Anscheinend war der alte Knacker zufrieden mit dem, was er erblickte, denn er verabschiedete sich mit einem gehetzten „Ihr wisst ja, was eure Aufgabe ist“ zurück in die Menge.

Allein diese Geste bestätigte mir, dass der Deal mit dem Botschafter noch lange nicht spruchreif war. Kitagawa bereitete sich auf einen Fehlschlag vor, was mir insgeheim Hoffnungen machte, dass unser Plan, sollte er denn erfolgreich sein, keine zu hohen Wellen schlug.

„Tag auch“, riss mich Akanishi aus meinen Gedanken. Dieser stand immer noch mir gegenüber – jetzt jedoch mit einer Flasche Wasser in der Hand. Entweder war der Herr nicht mit der hier gereichten Sorte zufrieden oder er wollte das Friedhofsgemüse begießen. Wachsen würde da nur sicher nichts mehr.

„Guten Abend“, erwiderte ich seinen Gruß förmlich und erntete darauf ein spöttisches Grinsen. Was hatte er erwartet? Dass ich ihm zur Begrüßung um den Hals fallen würde? Kitagawa wäre sicher begeistert.

„Lust, von den Wichsern hier Geld abzuzocken?“

„Viel Erfolg dabei“, seufzte ich resigniert. In den letzten Minuten hatte ich bereits bemerkt, dass ein Großteil der Anwesenden bereits bei dem puren Gedanken an sportliche Aktivitäten einen Herzinfarkt bekam. Nicht unbedingt der beste Ausgangspunkt etwas zu verkaufen. Höchstens Ueda im Cheerleader Kostüm hätte vielleicht eine Chance.

„Klingt ja vielversprechend“, murmelte mein Mitschüler und hielt mir mit einem schiefen Lächeln die Flasche entgegen. Gerade wollte ich dankend ablehnen, da die Kellner nicht nur für die Deko bezahlt wurden, als mir der bekannte Geruch in die Nase wehte.

„Vodka? Das kann doch nicht dein ernst sein“, zischte ich leise. Besaß der Kerl wirklich keine funktionierende Gehirnzelle?

„Doch und wie“, bestätigte mir dieser meine Vermutung und nahm provokativ einen beachtlichen Hieb. Anscheinend war es diesem Arsch egal, dass er uns in Teufelsküche brachte. Mein Blick traf auf Johnnys, welcher uns fragend musterte, bevor er sich wieder seinem Gesprächspartner zuwandte.

„Pack das Ding weg“, fluchte ich leise. Wie hatte ich nur erwarten können, dass dieser Abend langweilig werden würde.

„Das hat mir auch noch keiner befohlen“, folgte sofort die süffisante Antwort, „wenn mich recht erinnere …“

„Halt die Klappe.“
 

Akanishi im Auge zu behalten gestaltete sich schwieriger als gedacht. Wenn er nicht gerade von einem Knacker zum anderen sprang, soff er vermutlich heimlich in einer dunklen Ecke oder direkt auf der Toilette. Während unzähliger Debatten über das Für und Wider diverser Sportarten versuchte ich, seinen ungefähren Pegel abzuschätzen. Seit ca. zehn Minuten fehlte jedoch von meinem Mitschüler jede Spur. Bei meinem Glück verging er sich gerade an einem der Kellner hinter der Theke.

Die Veranstaltung neigte sich dem Ende zu, sodass auch Kitagawa bereits mit dem Gedanken spielte, nach Hause zu fahren und uns somit huldvoll aus unseren Pflichten entließ. Immerhin war morgen ein Schultag und er wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass seine Schüler übermüdet im Unterricht saßen. Zumindest ließ er dies lautstark gegenüber der illustren Runde, in welcher er sich befand, verlauten.

Suchend eilte ich durch den Saal in der Hoffnung Akanishi oder das, was von ihm übrig war, vor irgendwem anders zu finden. Dieser hockte auf einem der ausgelagerten Stühle im hinteren Teil des Gebäudes, welcher glücklicherweise nicht für den Kongress genutzt wurde. Die Flasche war anscheinend bereits leer, da sich in einer Hand ein gefülltes Glas befand. Sein seliger Gesichtsausdruck und die hellbraune Färbung verrieten mir, dass es sich nicht um ein Softgetränk handelte.

Bevor mein Mitschüler reagieren konnte, brachte ich das Gesöff an mich, roch sicherheitshalber daran und exte den Inhalt, damit mein Gegenüber gar nicht erst auf die Idee kam, sich weiter die Lichter auszuschießen. Bei der Mischung wäre das definitiv der Fall gewesen, jedoch war dies genau das richtige nach einem solchen Abend.

Bedauerlicherweise war Akanishi wenig von meiner Fürsorge begeistert und beschwerte sich lautstark. In seinem Zustand wirkte er jedoch nur halb so bedrohlich.

„Wo hast du das her?“, unterbrach ich bestimmt seine Meckertiraden.

„Was weiß ich. Von irgendeiner Kellnerin oder so“, muffelte er zurück und schien besagte Dame zu suchen. Ich konnte mir den Grund lebhaft vorstellen.

„Die Party ist vorbei“, informierte ich ihn daher und packte kurzentschlossen seinen Arm, um ihn in die entgegengesetzte Richtung des Hauptsaals zu zerren. Es blieb nur der Hinterausgang, um den Älteren ungesehen aus dem Gebäude zu schleusen, da sich die weiteren Gäste wohl bei der Garderobe und somit direkt am Haupteingang befanden.

In der Seitenstraße angekommen wartete jedoch bereits die nächste Problematik. Was nun? Ich konnte Akanishi schwerlich in seinem Zustand alleine lassen. Die Taxis sammelten sich alle an der Hauptstraße, aber die Gefahr, Kitagawa in die Hände zu laufen, war zu groß.

Akanishi befreite sich indes von meinem Griff und blickte sich irritiert um.

„Was hast du nun vor? Mich in der dunklen Einfahrt missbrauchen?“

„Bring mich nicht in Versuchung“, erwiderte ich trocken. Eine rasche und einfache Lösung gab es, welche mir ganz und gar nicht gefiel. Das dreckige Grinsen meines Mitschülers im Übrigen auch nicht. Fragte sich, wer hier gleich wen missbrauchen würde.

„Da entlang“, gab ich mich seufzend geschlagen und marschierte los.

„Und wo soll es dann hingehen?“

„Zu mir“, murmelte ich und hoffte inständig, dass das kein weiterer Fehler war.

Jin Fizz & Kamekaze

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Life Sucks

Kapitel 20 - Life Sucks
 

Jin
 

Etwas stimmte nicht. Das war das Erste, was mir bewusst wurde, als ich Montagmorgen das Schulgelände betrat.

Verhaltenes Gemurmel war zu vernehmen und es war, als schwebe eine riesige Gewitterwolke über den Köpfen der Schüler. Zweifelsohne machte mal wieder ein Gerücht die Runde, doch diesmal schien es sich um mehr als belanglosen Tratsch zu handeln. Jemand wichtiges musste das Thema sein, andernfalls wäre die Stimmung eine bessere.

Zu meinem Unmut schnappte ich des Öfteren den Namen unseres Schulsprechers auf. Ich ahnte Schlimmes.

Ich beschleunigte meine Schritte, um ins Gebäude zu gelangen, als mir etwas von einer gefälschten Schulakte zu Ohren kam. Scheiße! Miura konnte doch unmöglich von unserem Vorhaben Wind bekommen haben und den Spieß nun umdrehen wollen. Fieberhaft suchte ich nach ihm, bis ich ihn endlich entdeckte.

Der Botschaftersohn stand von einigen seiner Anhänger umringt und sonnte sich in deren Aufmerksamkeit. Sein selbstgefälliges Lächeln genügte mir, um mich in dem Verdacht zu bestärken, dass er Schuld an der brodelnden Gerüchteküche hatte. Er hatte schließlich davon gesprochen, Kamenashi von seiner Position stürzen zu wollen. Offenbar war dies sein erster Zug. Aber solange ich als König auf dem Schachfeld regierte, würde ich niemanden dulden, der solch unüberlegte Angriffe startete.

Die Fanboys schob ich einfach beiseite und blieb nur eine Armlänge entfernt vor Miura stehen.

„Hi“, sagte ich und grinste ihn verschmitzt an. Seine Schergen verdünnisierten sich glücklicherweise nach einer kurzen Geste des Jüngeren.

„Hey“, lächelte auch er und schien sich wahrhaft über meine Anwesenheit zu freuen, während ich der Versuchung widerstand, ihm den Hals umzudrehen.

„Darf ich gratulieren?“, kam ich direkt zum Thema.

„Die Spiele haben begonnen.“

„Was hast du dir ausgedacht?“, fragte ich anerkennend und bemühte mich, ihm Wohlwollen statt Verachtung entgegen zu bringen.

„Nichts“, strahlte er noch immer begeistert. „Nur die Wahrheit.“

Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen. „Wovon sprichst du?“

„Dass Kamenashis Akte nicht so weiß ist, wie sie den Anschein macht. Er hat Dreck am Stecken und das nicht zu knapp.“

„Was genau?“, fragte ich schleppend. Diese Information erwischte mich eiskalt.

„Keine Ahnung“, lachte er. „Aber diese Bekanntmachung hat schon gereicht, um alle zu verunsichern. Den Rest übernehmen die Gerüchte.“ Miura hatte verdammt perfide Methoden, um an seine Ziele zu gelangen. Leider funktionierten sie hervorragend, da Kamenashi nicht zu den sozialfähigsten Mitschülern gehörte und Zweifel damit schnell gesät waren. Es wurde höchste Zeit, die Petze loszuwerden, bevor sie noch mehr Schaden anrichtete.

„Miura!“, ertönte plötzlich eine zornige Stimme und wir drehten uns zur Person, welche sich energisch durch die anderen Schüler schob. Ein wutschnaubender Schulsprecher baute sich vor uns auf, sodass ich es fast mit der Angst zu tun bekam. Noch nie hatte ich solch eine pure Emotion auf seinem Gesicht ausgemacht. Nicht einmal sein Ausdruck beim Sex konnte dabei mithalten.

„Ich habe dich gewarnt“, erwiderte Miura seelenruhig und grinste überheblich.

Kamenashi schien Worte für sinnlos zu befinden, als er einen weiteren Schritt auf uns zu kam und mit seiner Rechten ausholte. Reflexartig reagierte ich und fing seinen Arm im letzten Moment ab. Ein Raunen ging durch das Publikum, welches die Szene mit unverhohlener Neugier verfolgte.

„Bist du völlig übergeschnappt?“, zischte ich mit gesenkter Stimme und versuchte, an seine Vernunft zu appellieren. Offensichtlich hatte ich nur mäßigen Erfolg, da er mich einfach von sich stieß. Die nächste Amtshandlung passierte zu schnell, als dass ich fähig gewesen wäre, in irgendeiner Weise zu reagieren.

Seine Faust kollidierte mit solcher Wucht mit meinem Gesicht, dass ich eine formvollendete Pirouette drehte und nur mit Mühe einen Sturz verhinderte. Verdammt, konnte das Gerippe fest zuschlagen! Gedanklich machte ich mir eine Notiz, mich niemals wieder in den Weg eines erzürnten Pitchers zu stellen.

„Jin“, rief Miura bestürzt aus und eilte an meine Seite. Skeptisch betrachtete er meine Gesicht und murmelte: „Das sieht gar nicht gut aus.“ Klasse! Genau solche Worte wollte ein gefragtes Model hören. Die Schmerzen würde ich noch mindestens eine Woche spüren, so wie sich Kamenashi an mir ausgelassen hatte. Besagte Person schien selbst etwas überrascht von seinem Ausbruch zu sein und stand verloren und mit halb erhobenem Arm am Ort seiner Missetat. Die anderen Schüler schienen in Schockstarre verfallen zu sein. Offenbar konnte keiner so recht glauben, was gerade passiert war.

'Du siehst, wozu er fähig ist' hallten mir Uedas Worte durch meinen Kopf und ich grinste schief, während ich meinen malträtierten Kiefer massierte.

„Ich hoffe, meine Zähne fallen nicht demnächst aus, sonst schicke ich dir die Arztrechnung“, brummte ich und spuckte das Blut aus, was sich in meinem Mund sammelte.

„Damit hast du dir den ersten Schandfleck auf deiner weißen Weste gesichert“, kicherte das Bonzenkind.

Nur allmählich schien sich Kamenashi der Konsequenzen für seine Tat bewusst zu werden.

„Johnny wird begeistert sein“, sagte ich und hatte die zündende Idee. „Mitkommen“, befahl ich so fest ich mit meinen Blessuren konnte und packte den Schulsprecher am Arm, um ihn in Richtung Sekretariat zu zerren.

Miura nickte mir zum Abschied verständnisvoll zu und vermutete wohl, dass ich den Vorfall umgehend melden würde. Das war das reinste Desaster. Für so hitzköpfig hatte ich den Knirps gar nicht gehalten. Ich wusste offenbar so vieles nicht von ihm. Dass er den Musterschüler nur spielte, war mir von Anfang an klar gewesen, aber dass er das komplette Gegenteil war, hatte ich mir nicht träumen lassen.

Um uns herum bildete sich eine Gasse und ich fühlte mich wie beim Spießrutenlauf.

„Geht in eure Klassenzimmer!“, schnappte ich erbost und die Gaffer taten widerwillig wie geheißen. Wenigstens meine Reputation hatte unter der Szene nicht gelitten. Oder aber ich stellte sie in diesem Moment wieder her.

Als es zum Unterricht klingelte, verschwanden auch die letzten Schaulustigen und ich bog kurz vorm Sekretariat ab, um Kamenashi in den Keller zu schleifen.

„Lass mich los“, giftete er und war wohl aus seiner Trance erwacht.

„Damit du mich noch mal schlagen kannst? Vergiss es.“ Entnervt erreichte ich unser Verlies und bugsierte den Kleineren in den Heizungsraum. Mit verschränkten Armen lehnte ich mich gegen die Tür, sodass ich hoffentlich jegliche Fluchtversuche im Keim erstickte. Kamenashi funkelte mich noch immer böse an. Wäre ich nicht ebenfalls verdammt sauer gewesen, hätte ich mich über sein ausdrucksstarkes Gesicht gefreut.

Unser Blickduell hielt noch eine ganze Weile stand, bei dem keiner von uns beiden das Wort ergriff. Kamenashi erinnerte mich an einen Stier in der Arena und ich war das rote Tuch, das ihn zum Durchdrehen brachte.

Schließlich seufzte ich verdrossen und gab auf. Es war zwecklos mit diesem störrischen Kerl.

„Willst du mir noch mal eine reinhauen?“, fragte ich schelmisch.

„Was?“ Kamenashi war so perplex, dass er seine Wut für den Augenblick vergaß.

„Vielleicht geht’s dir danach besser.“

Ein Schnauben ertönte, gefolgt von einem fassungslosen Kopfschütteln. Dabei war ich in der Position für solche Reaktionen.

„Warum hast du dich gegen mich gestellt?“ Der verletzte Ausdruck in seiner Stimme irritierte mich.

„Das fragst du noch? Du kannst dem Typen doch nicht öffentlich den Krieg erklären! Hast du vergessen, was er gedroht hat?“

„Ich lass mich nicht von so einem Wichtigtuer einschüchtern!“

„Das ist so was von vorbei am Thema“, stöhnte ich frustriert. „Wir sind ihn bald wieder los und du reißt so eine Aktion.“

„Mein Ruf ist eh schon geschädigt“, erklang es bitter.

„Nach deiner Gewaltbereitschaft definitiv. Vorher waren es nur Gerüchte, nun haben alle den Beweis“, führte ich ihm vor Augen. „Hätten wir Miura nach Plan gekickt, hätte keiner mehr seinen Worten geglaubt.“

Daraufhin hatte Kamenashi nichts mehr entgegenzusetzen. Stattdessen starrte er mich schuldbewusst an. Ich war vielleicht eine Null im Spinnen von Intrigen, aber ich konnte die Reaktionen meiner Bauern durchaus einschätzen.

„Wir müssten eigentlich längst im Unterricht sitzen“, murmelte ich und wandte mich zum Gehen.

Soweit sollte ich allerdings nicht kommen, als mich Kamenashi nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag anfiel – diesmal jedoch nicht mit seiner Faust sondern seinem Mund. Verblüfft ließ ich mich von ihm gegen die Tür drücken und versuchte den stürmischen Kuss trotz schmerzendem Kiefer zu erwidern. Hätte ich geahnt, dass ich dem Jüngeren solch eine Resonanz entlocken konnte, hätte ich ihn schon längst zum Ausrasten gebracht. Nur die Tracht Prügel hätte ich gestrichen.

„Au“, nuschelte ich nach einer Weile gegen seine Lippen, als ich mich nur schweren Herzens von ihnen gelöst hatte. Zungenakrobatik war mit meiner Verletzung nicht gerade die klügste Aktivität.

„Wunden lecken hatte ich mir schmerzfreier vorgestellt.“

Kame schaute mich nur aus großen Augen an und erwiderte nichts. Behutsam nahm er meinen Kopf in seine Hände und drehte ihn zur Seite, um sein Werk eingehend zu betrachten.

„Sorry“, flüsterte er.

„Hm“, brummte ich nur. Eine Entschuldigung machte es nicht rückgängig. Mein Gesicht begann mit Sicherheit bereits anzuschwellen, zumindest fühlte es sich an, als würde es sich auf die Größe eines Medizinballs ausdehnen wollen. Hoffentlich konnten die Stylisten da etwas hin modellieren.

Noch immer standen wir uns verdammt nah gegenüber und Kamenashi schien nicht von mir abrücken zu wollen, auch wenn er seine Hände inzwischen aus der Gefahrenzone entfernt hatte.

Seine forschenden Augen betrachteten mich weiterhin. Die Situation begann, seltsam intim zu werden.

„Wir sollten...“ Ein Knacken gefolgt von einem Rauschen ertönte über unseren Köpfen und ich blickte erschrocken auf, um einen Lautsprecher zu entdecken. „Was zum...?“

„Akanishi Jin, bitte unverzüglich im Sekretariat einfinden!“

„Wieso zum Teufel haben wir im Keller Lautsprecher für Durchsagen?“
 

Widerwillig begab ich mich in die Höhle des Löwen. Der Grund für den Appell konnte ja nur das vorangegangene Ereignis sein, was sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben musste und auf die Diskussion hatte ich absolut keine Lust. Ich kam mir langsam vor wie in einem Theater ohne vorherige Proben und elend ausgestattet. Puppenspieler Johnny zog die Fäden und brachte mich gegen meinen Willen näher an den verhassten Schreibtisch, hinter dem er thronte.

„Hallo Jin, setz dich doch bitte“, süßholzraspelte er und versuchte wohl, dadurch eine angenehme Atmosphäre zu erzeugen.

Ich leistete der Aufforderung Folge und erwiderte nichts. Mein pochendes Gesicht sprach mit Sicherheit Bände.

„Mir ist zugetragen worden, dass du einer Gewalttat innerhalb des Schulgeländes zum Opfer gefallen bist.“ Das Wort Opfer klang aus seinem Mund wie Spott und Schadenfreude zugleich. Für den Sack war es wahrscheinlich eine Genugtuung, dass mich jemand in meine Schranken verwiesen hatte, wozu er selbst nur bedingt fähig war.

Ich schwieg weiterhin beharrlich und war gespannt, wann dem Alten der Geduldsfaden reißen würde.

„Magst du mir erzählen, wer dafür verantwortlich ist?“, fragte er, nachdem er vergeblich auf eine Antwort gewartet hatte und fuchtelte sich dabei mit der Hand vor seinem Gesicht herum.

„Wollen Sie nicht viel lieber von mir hören, dass eine gewisse Person nicht dafür die Verantwortung trägt? Immerhin scheint er wichtig zu sein, sonst hätten Sie ihn wohl kaum so bereitwillig aufgenommen und seine Akte gelöscht.“

Etwas bewegte sich in Johnnys Gesicht. Vielleicht war er überrascht, dass ich bereit war, Kamenashi zu decken oder aber, dass ich überhaupt Bescheid wusste.

Dass ich mit dem Feuer spielte, war mir bewusst. Ich konnte jedoch nicht länger zulassen, dass Johnny mir das Wasser abgrub und mehr und mehr seine Macht zurückerlangte. Es war Zeit für einen neuen Deal.

„Ich fürchte, ich kann dir nicht ganz folgen.“ Sein lauernder Tonfall würde mich einschüchtern, wüsste ich nicht, dass ich sein Interesse geweckt hatte.

„Entgegen aller Annahmen und Behauptungen bin ich nicht dumm. Ich weiß, dass ihr eine Abmachung habt und ich weiß ebenso, dass Kamenashi die perfekte Besetzung für den Posten des Schulsprechers ist. Wäre doch schade, wenn ich ihn wegen eines kleinen Ausrutschers an den Pranger stelle und er deswegen ersetzt werden muss. Stattdessen könnte ich dafür sorgen, dass sein Ruf wiederhergestellt wird – gegen eine kleine Gegenleistung, versteht sich.“

Johnny lehnte sich in seinem Sessel zurück und faltete die Hände auf seinem Schoß zusammen. „Was willst du also?“

„Ich will meine Freiheiten zurück und nicht länger mit Aufgaben belästigt werden, für die ich nicht geschaffen bin. Und ich will, dass unser kleines Abkommen bezüglich Kamenashi hinfällig ist und zwar ohne, dass unser ursprünglicher Deal davon in Mitleidenschaft gezogen wird.“

Der Alte nickte entlang meiner Forderungen und überlegte nicht lange. „Das klingt fair.“ Ich wusste, dass er so entgegenkommend war, weil er vorhatte, den Handel platzen zu lassen, sobald er Miura in Sack und Tüten hatte. Was er nicht wusste war, dass wir dagegen spielten.

„Gut“, sagte ich und musste mich zurückhalten, um nicht freudig durch das Büro zu hüpfen. Ich hatte meinen Freifahrtschein zum Vögeln des Schulsprechers bekommen und gleichzeitig Pis Sicherheit gewährleistet. Der Tag wurde allmählich besser.

„Für’s Protokoll: Die Verletzung in meinem Gesicht wurde nicht mutwillig herbeigeführt“, brachte ich die Farce zum Abschluss.

„Möchtest du das Ganze als Unfall deklarieren?“

„Ganz genau das möchte ich.“ Formalitäten, Formalitäten. Für den Rektor war es nur noch von Belang, die Vorkommnisse zu Papier zu bringen.

Jetzt musste ich mir allerdings einfallen lassen, wie ich Kamenashi wieder in einem guten Licht dastehen ließ ohne, dass Miura mich dafür steinigte. Das alles wurde wahrhaftig zu anstrengend. Wir mussten das Bonzenkind loswerden und zwar so schnell wie möglich.
 


 

„Das geht so nicht weiter. Wir brauchen Ergebnisse!“

„Ohhh, hast du etwa Angst um deinen Kazuya?“

Ich atmete tief durch und zählte in Gedanken langsam bis drei, um Kokis überhebliches Grinsen nicht mit Gewalt zu vertreiben. Ich hatte schon genug Schmerzen im Gesicht, da musste ich meine Hand nicht noch auf der Liste hinzufügen.

„Ich glaube eher um sein Porzellangesicht. Kamenashi hat ihn doch vermöbelt.“

Ich schloss die Augen und massierte meine Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger. Die Zwei gaben mir irgendwann noch den Rest. In der Mittagspause hatte ich sie um ein Gespräch gebeten, um die neuesten Erkenntnisse in Erfahrung zu bringen und wenn nötig Druck zu machen.

„Leute“, quengelte ich eher untypisch. „Mir tut so schon alles weh. Kopfschmerzen brauch ich nicht zusätzlich.“

„Sieht ziemlich übel aus“, bestätigte Junno, was ich auch ohne Spiegel wusste.

„Dem Jungen scheint der Sport gut zu tun. Wenn du ihn im Bett niederringen willst, solltest du langsam anfangen zu trainieren“, riet mir unser Drogendealer. Wie viel Kraft in unserem Schulsprecher wirklich steckte, hatte ich bereits am Donnerstag zu spüren bekommen. Der bloße Gedanke daran sandte ein Kribbeln direkt in meine Lendengegend.

„Was hast du dir eigentlich wegen Kamenashi überlegt?“

„Wieso?“

„Na, jetzt wäre doch die perfekte Gelegenheit, ihn zu erpressen, nachdem er dich geschlagen hat.“

Mir fiel es erst nach Junnos Worten wie Schuppen von den Augen, dass mir diese Option nicht im entferntesten in den Sinn gekommen war. Ich hatte ihn ohne zu Zögern vor Johnny in Schutz genommen und ihn damit vor einem Eintrag gerettet.

Was war mit mir los? Lag es daran, dass ich mein Ziel, ihn ins Bett zu bekommen, bereits mehrfach erreicht hatte? Oder schlimmer noch: Hatte ich ihn wirklich schon so sehr ins Herz geschlossen, dass ich solche Gefälligkeiten als selbstverständlich betrachtete? Mein Herz krampfte sich unangenehm zusammen. Solche Gedankengänge waren wirklich nichts für mich. Nicht, dass ich am Ende unter postsexuellen Hormonen litt wie eine Frau.

„Ich hatte noch keine Zeit, mir etwas einfallen zu lassen...“, erwiderte ich lahm.

„Hast du bei deinem Vorsatz überhaupt schon Fortschritte gemacht?“, wurde ich weiter gelöchert.

„Ich arbeite daran“, murmelte ich ausweichend. Die Neugier meiner Freunde brachte mich allmählich in eine Zwickmühle. Wollte ich weiterhin die Abmachung einhalten, würde ich mich Ende des Jahres geschlagen geben müssen und wie der letzte Depp dastehen. Mein Stolz war jetzt schon angeknackst. Die Abmachung in den Wind zu schlagen, kam allerdings erst recht nicht in Frage.

Koki und Junno schauten mich skeptisch an und wunderten sich wahrscheinlich, warum ich Kamenashi nicht 24 Stunden am Tag an den Hacken klebte, wenn ich ihn wirklich so sehr wollte, wie ich zum Jahreswechsel behauptet hatte.

„Wir haben übrigens den Grund für Miuras Verweis herausgefunden“, grinste Blondie wie eine 60-Watt-Birne und wechselte zum Glück endlich das Thema, als keine gescheite Reaktion mehr von mir folgte.

„Hättet ihr das nicht gleich sagen können?“ Ich war erleichtert und frustriert zugleich und ich hatte den Drang, ihre Köpfe zu nehmen und gegeneinander zu schlagen.

„Es macht viel mehr Spaß, dich erst zur Weißglut zu treiben.“

„Manchmal glaube ich, dass ich in meinem früheren Leben ein Verbrecher war und nun mit euch beiden bestraft werde.“

„So dankst du unsere Hilfe also.“ Junno verschränkte gespielt beleidigt seine Arme vor der Hühnerbrust.

„Echt mal“, ereiferte sich Giftzwerg Koki auch gleich. „Wenn wir bei Misserfolg des Plans nicht ebenfalls benachteiligt wären, könntest du jetzt zusehen, wo du Hilfe herbekommst.“

Ich rollte zur Antwort mit den Augen. Schließlich wusste ich, dass sie ihre Worte nicht ernst meinten und nur das letzte Wort haben wollten.

„Fein, fein, ihr hattet euren Spaß. Wärt ihr also so gütig, mich einzuweihen?“

Die beiden lächelten triumphal und ich hatte einmal mehr den Eindruck, dass sie Zwillinge waren, die im Kreißsaal aus Versehen getrennt wurden.

„Unser Botschaftersöhnchen hat es faustdick hinter den Ohren und könnte sogar Koki Konkurrenz machen.“

„Drogen?“, ächzte ich fassungslos.

„Der Kandidat hat 100 Punkte.“

„Er hat so einiges in Umlauf gebracht. In der Schule hätte er das wohl unterlassen sollen. Offenbar hatte er sich etwas zu sicher aufgrund seiner Stellung gefühlt. Dem Rektor seiner alten Schule war das aber scheißegal.“

„Als ihn jemand verpfiffen hatte, konnte auch Papi nichts mehr richten“, führte Junno fort.

„Ich habe ihn noch nicht mit Drogen handeln sehen“, lenkte ich ein.

„Wahrscheinlich wird er das in der Schule nicht mehr machen. Aber du weißt, was man sagt: Alte Laster wird man nur schwer los.“

„Ich fürchte, du musst noch mal ran, Jin.“ Koki und Junno schauten mich mitleidig an.

„Klasse“, seufzte ich. Das hatte mir gerade noch gefehlt.

Kame
 

Es dauerte nicht lange, da hatte auch meine Zeit geschlagen. Kaum dröhnte mein Name durch die Flure, verstummten alle Gespräche und es herrschte eine beängstigende Stille. Mitleidige Blicke folgten mir auf meinem Weg. Ich wusste, was sie sich fragten. Waren seine Tage als Schulsprecher gezählt? Höchstwahrscheinlich, denn ein tätlicher Übergriff einer Autoritätsperson war keinesfalls zu dulden. Was noch? Ein Verweis oder direkt eine Suspendierung? Das hing wohl davon ab, was Akanishi dem Rektor aufgetischt hatte. Wenn er mich ein für alle Mal loswerden wollte, war jetzt seine Stunde gekommen.

Meine Hand pulsierte schmerzvoll, als ich sie ballte. Jedes Mal, wenn ich auch nur für einen kleinen Moment die Kontrolle verlor, endete es in einem Desaster. Es war auf eine groteske Art belustigend, sich zum zweiten Mal vor einem Scherbenhaufen vorzufinden, der meine Zukunft sein sollte. Damals war ich so verzweifelt gewesen, dass ich alles getan hätte, nur um wieder in die Normalität zurückkehren zu dürfen. Komischerweise fehlte diese Angst nun völlig. Vielleicht war es einfacher, bereits zu wissen, was auf einem zukam. Egal, wie mein Leben nach diesem Gespräch aussah, ich hatte es selbst zu verantworten. Dieses Mal würde es niemanden geben, der die Schuld auf sich nahm.
 

Ich musste nicht einmal warten, sondern durfte direkt eintreten. Nach der obligatorischen Begrüßung ließ ich mich auf dem mir zu gewiesenen Stuhl nieder. Kitagawa nahm sich Zeit, mich eindringlich zu mustern. Viele Schüler knickten bereits jetzt nach wenigen Augenblicken ein, weil sie den anklagenden Blick nicht ertrugen oder sich vor Angst in die Hosen machten. Ich ließ die Tortur schweigend über mich ergehen und erwiderte störrisch den Blick des Alten. Wenn er glaubte, dass ich es ihm so leicht machen würde, hatte er sich getäuscht.

Zu dem gleichen Schluss kam dieser wohl auch und lehnte sich nun entspannt zurück.

„Ich stehe vor einem Problem und würde gern deine Meinung hören", fing er ruhig an und musterte mich aufmerksam. „Mir wurde durch einen Lehrer zugetragen, dass es auf dem Schulgelände zu einem tätlichen Zwischenfall kam. Involviert sollen ausgerechnet zwei Schüler in nicht ganz unbedeutenden Positionen sein. Doch keiner des Kollegiums hat etwas gesehen. Das vermeintliche Opfer behauptet, seine Verletzungen resultieren aus einem Unfall. Was würdest du an meiner Stelle tun?"

Ich hatte arge Probleme, weiterhin alle Regungen aus meinem Gesicht zu verbannen. Unfall? Wollte der mich verarschen? Ich hatte mit allem gerechnet, aber das traf mich völlig unvorbereitet. Wenn das eine Falle war, wusste ich nicht, was Kitagawa damit bezwecken wollte. Ein vollumfängliches Geständnis bekam er so jedenfalls nicht. Die andere Möglichkeit war, dass Akanishi tatsächlich diesen Unfug von sich gegeben hatte. Aber warum sollte er mich decken?

„Ich denke nicht, dass ich in der Position bin, das zu beurteilen", wich ich schließlich einer konkreten Antwort aus.

„Mhh, wie heißt es noch: wo kein Kläger, da kein Beklagter. Ohne Beweise kann ich schwerlich eine solche Anschuldigung in die Akte aufnehmen, nicht wahr?" Unschlüssig starrte ich den Rektor an und versuchte zu ergründen, ob das Ganze sein Ernst oder nur eines seiner Spielchen war.

„Oder möchtest du noch etwas hinzufügen, Kamenashi?"

„Nein", antwortete ich wahrheitsgemäß und konnte beobachten, wie daraufhin ein zufriedenes Lächeln auf dem runzligen Gesicht zum Vorschein kam.

„Gut, dann wäre das erledigt", verkündete der Alte und schloss die vor ihm liegende Akte.

Fassungslos war wohl die treffendste Beschreibung meines Zustandes. Mein Hirn versuchte krampfhaft das Geschehene zu verarbeiten. Definitiv hatte ich diese Begnadigung nicht Kitagawa zu verdanken.

Ich verpasste Akanishi also eine, nachdem ich ihn quasi beschuldigt hatte, mich erwartungsgemäß verraten zu haben und als Dank sorgte mein Mitschüler dafür, dass ich ungeschoren davonkam. Entweder ich war besser im Bett als ich selbst dachte oder aber Akanishi spielte sein eigenes Spiel. So oder so, Johnny schien äußerst zufrieden mit dem Ergebnis.

„Wir sollten nur sicherstellen, dass sich so etwas nicht wiederholt", holte mich dieser aus meinem Gedankenkarussell

„Selbstverständlich."

„Etwas anderes bereitet mir noch Sorgen", fuhr der Rektor fort. „Diese Gerüchte über dich können zu einem Problem werden. Man könnte fast meinen, jemand hat es auf dich abgesehen. Hast du jemanden in Verdacht?"

„Nein", log ich ohne zu zögern, „aber ich werde es in Erfahrung bringen.“

„Gut, ich gebe dir zwei Wochen. Wenn bis dahin das Gerede nicht aufhört, bin ich gezwungen, dem nachzugehen. Und das wollen wir beide nicht."

Was er eigentlich damit sagen wollte, war, dass ich am Arsch war und er aus dem Schlamassel fein rauskam, indem er den Unwissenden mimte. Darauf konnte ich gut und gern verzichten, was ich auch überschwänglich versicherte.

„Verhalte dich am besten ruhig und geh Akanishi aus dem Weg. Mehr Unfälle wären nicht gerade hilfreich." Was er nicht sagte.
 

Als ich zum ersten Mal an diesem Tag das Klassenzimmer betrat, verstummten jegliche Geräusche. Alle Blicke waren auf mich gerichtet und ließen mich das Ausmaß meiner Torheit erst richtig realisieren. Selbst der Lehrer unterbrach seinen Vortrag und musterte mich durchdringend. Ich musste mir dringend etwas einfallen lassen, wie ich dieses Desaster wieder gerade biegen konnte. Mit meiner hart trainierten, gleichgültigen Miene ging ich zu meinem Platz. Ich spürte, wie mich alle mit angehaltenem Atem anstarrten. Auch unser Lehrer brauchte einige Augenblicke, um aus seiner Starre zu erwachen, bis er sich letztendlich räusperte und mit dem Unterricht fortfuhr. Die Grabesstille wandelte sich allmählich in leises Tuscheln. Ich wusste nicht zu sagen, was schlimmer war.
 

Als die Stunde endlich zu Ende war, wartete ich, bis sich alle bequemten, endlich den Raum zu verlassen. Alle bis auf zwei. Ohne Umschweife baute sich Yamapi vor meinem Tisch auf und funkelte mich wütend an.

„Du hast ihn geschlagen", konfrontierte er mich entrüstet, während sich Tatsuya gegen den benachbarten Tisch lehnte und die Szene interessiert beobachtete. „Warum zur Hölle?"

„Ich weiß es nicht", erwiderte ich ehrlich, da ich tatsächlich keine Antwort auf diese Frage hatte. Irgendetwas war in meinem Hirn durchgeraucht, als ich ihn mit Miura stehen sah. Der triumphale Blick des Botschaftersohns hatte mir den Rest gegeben. Ich war der festen Überzeugung gewesen, dass Akanishi mich verraten hatte, auch wenn es im Nachhinein betrachtet keinen Sinn ergab. Ich neigte weder zu voreiligen Schlüssen noch zur Gewalt. Irgendetwas stimmte nicht mit mir.

„Ich wollte ihn nicht schlagen, aber irgendwie ist es passiert", fügte ich zerknirscht hinzu. Yamapis Züge wurden etwas freundlicher, auch wenn seine Mimik mir zu verstehen gab, dass er mir noch lange nicht verziehen hatte.

„Hmpf, das passt überhaupt nicht zu dir“, stellte er ruhig fest und suchte wohl selbst nach einer besseren Erklärung.

„Es tut mir Leid, Pi“, versicherte ich und senkte betroffen den Kopf. Ein wenig Läuterung zu zeigen, konnte immerhin nicht schaden. Ich bedauerte es wirklich, die Kontrolle verloren zu haben, vielleicht sogar ein wenig, dass es Akanishi getroffen hatte.

„Ich werde mal nachsehen, wie es ihm geht“, seufzte mein Klassenkamerad und ließ mich mit Ueda allein. Damit begann wohl das eigentliche Verhör.
 

„Du hattest wirklich nicht vor, Jin zu schlagen?“, fragte dieser sogleich ungläubig. Natürlich war es nicht ebenso einfach, Ueda von meiner Unschuld zu überzeugen.

„Wirklich nicht.“

„Miura dann also“, schlussfolgerte er sofort.

„Verdient hätte er es.“

„Was hat Kitagawa gesagt?“

„Ich stehe unter Beobachtung." Akanishis Part ließ ich lieber unter den Tisch fallen. Ich konnte mir selbst darauf keinen Reim machen, wie sollte ich es dann anderen erklären?

„Und das ist alles?", hakte mein Klassenkamerad berechtigterweise nach. Kitagawa schonte grundsätzlich niemanden, der gegen seine schönen Regeln verstieß.

„Vielleicht hatte er einen guten Tag", zuckte ich mit den Schultern. „Es wird nur nicht lange so bleiben, wenn wir nicht langsam etwas gegen Miura unternehmen.“ Noch so eine Aktion und ich war weg vom Fenster. Zwei Wochen waren ebenfalls ein knappes Zeitfenster. Ich wurde allmählich von allen Seiten an die Wand gedrängt und dieses Gefühl gefiel mir gar nicht.

Bei der Erwähnung unseres Feindes grinste zumindest Tatsuyas siegessicher.

„Koki und Junno haben etwas gefunden.“

„Wenigstens eine gute Nachricht.“
 

Das Treffen wurde auf Dienstagabend gelegt, sodass sich die Aufregung des Tages etwas legen konnte. Vielleicht hatten die anderen Angst, die Situation könnte eskalieren, wenn Akanishi und ich am selben Tag nochmals aufeinander trafen. Ich hatte nichts dagegen, da ich nur noch nach Hause und meine Ruhe wollte. Ein oder zwei Gläser Whisky und eine Menge Selbstmitleid klangen nach dem perfekten Plan. Vorher jedoch bedankte ich mich mit einer kurzen, sehr sachlichen Nachricht bei Akanishi. So viel Anstand musste sein, auch wenn mir seine Intention immer noch Rätsel aufgab.
 

Am nächsten Tag war ich zwar wieder geistig auf der Höhe, jedoch machte das die Gesamtsituation auch nicht besser. Eine zufriedenstellende Erklärung für mein Verhalten hatte ich bisher nicht gefunden. Ich hatte gelernt, mein Temperament zu kontrollieren, wenn es drauf ankam. Die Angst, alles noch einmal zu verlieren und der damit verbundene Druck haben mich wohl meine Vernunft vergessen lassen. Es brachte aber nichts, sich ewig darüber den Kopf zu zerbrechen. Nach vorn blicken und Miura loswerden, hieß die Devise. Dieser Gedanke brachte mich durch den Tag.

Die Entrüstung hatte sich gelegt und machte langsam einem ungesunden Misstrauen Platz. Jeder fragte sich, warum Kitagawa nichts unternahm. Die Gerüchte brodelten so hoch, dass ich mir beinahe wünschte, der alte Knacker hätte mich abgesägt.

Da ich mich nirgendwohin bewegen konnte, ohne dass mich unzählige Blicke verfolgten, verschanzte ich mich bereits eine Stunde vor der vereinbarten Zeit in der Bibliothek und suchte Ablenkung in dem einen oder anderen Schulbuch.

„Oi Kamenashi, was macht die Hand?", begrüßte mich Tanaka, welcher sich gefolgt von dem Rest zur vereinbarten Zeit in unserer abgeschiedenen Ecke einfand. Wenigstens war die Meute pünktlich. Ich nickte nur zur Begrüßung und sparte mir einen weiteren Kommentar, da dieser schon von Junnosuke übernommen wurde: „Sieht zumindest besser aus als Jins Visage.“

„Sehr witzig“, zischte dieser und ließ sich auf einen der freien Plätze mir gegenüber nieder. Schuldbewusst senkte ich den Blick und verstaute lieber meine Bücher. Er hatte zwar das Gröbste ganz gut abdecken können, jedoch war die Schwellung deutlich zu erkennen. Okay, ich hatte oft darüber nachgedacht, Akanishi etwas Verstand einzuprügeln, aber die tatsächlichen Ausmaße meiner Handlung zu sehen, stand auf einem ganz anderen Blatt. Ich hatte wirklich gute Arbeit geleistet und war nicht gerade stolz darauf.

Die Präsentation der „Errungenschaften“ unserer neuesten Gruppenmitglieder folgte auf dem Fuße. Ich wollte gar nicht wissen, wie die beiden an derartige Informationen gelangten, aber es brachte uns definitiv einen gewaltigen Schritt nach vorn. Im Gegensatz zu unserem Freund war ich ja ein unschuldiger Chorknabe. Nur hätte ich ihn nie für so dumm gehalten, öffentlich in einer Schule Drogen zu verkaufen. Ich hatte mit etwas weniger spektakulärem gerechnet, überrascht war ich dennoch nicht.

In wenigen Worten erörterte Tanaka anschließend den beknacktesten Plan, den ich jemals gehört hatte. Ueda schien ebenfalls noch nicht eingeweiht, denn in seinem Gesicht spiegelte sich völliges Unverständnis.

„Das kann nicht euer Ernst sein", sagte er fassungslos und ersparte mir somit die Arbeit.

„Hast du vielleicht eine bessere Idee? Immerhin sticht Jin ja in bekanntes Gewässer", gab Taguchi zu bedenken.

„Darum geht es nicht. Miura wird wohl kaum das Zeug allein nehmen. Was willst du machen, wenn er dir etwas anbietet?"

„Es nehmen", antwortete Akanishi ruhig.

„Hast du sie noch alle? Wer weiß, was der für eine Scheiße anbringt.“ Neugierig beobachtete ich die Szene. Tatsuya hatte plötzlich eine beängstigende Ähnlichkeit mit unserer Glucke Pi. Ich nahm nicht an, dass es sich um Akanishis ersten Drogenrausch und gewiss auch nicht um den letzten handelte, jedoch war der Plan nicht gerade ein Meisterstück. Jemanden zu ermutigen, Drogen unbekannter Herkunft zu konsumieren und ihn dann noch mit Miura allein zu lassen, war mehr, als ich von irgendjemandem verlangen konnte. Selbst wenn es sich hierbei um Akanishi handelte, welcher daran wohl auch noch seinen Spaß hätte.

„Kazuya, sag doch auch mal was“, holte mich Ueda zurück ins Geschehen. Alle Blicke waren auf mich geheftet. Super! Der Plan war in der Hinsicht zum Kotzen. Allein der Gedanke, die beiden nochmals bei ihren Schäferstündchen beobachten zu dürfen, bescherte mir Magenkrämpfe. Automatisch sah ich zu der Hauptrolle in diesem Stück und traf direkt seinen abwartenden Blick. Leider half mir das nicht gerade, eine Antwort oder besser noch, eine Alternative zu finden. So wenig, wie mir die Sache gefiel, ich brauchte eine schnelle Lösung, sonst wären meine Tage endgültig gezählt. Die Frage war nur: Was war ich bereit, hierfür zu opfern?

„Es könnte funktionieren, aber die Entscheidung liegt allein bei Akanishi“, antwortete ich schließlich und riss mich von den fesselnden Augen des Älteren los.

„Na, dann haben wir ja alles geklärt“, verkündete dieser und der Entschluss war somit gefallen.
 

Samstag war es soweit. Das zweite Date zwischen Akanishi und Miura würde stattfinden. Das Zimmer war gebucht und der dämliche Teddy stand bereit, damit erneut alle Beweise aufgenommen werden konnten.

Ich hatte mich zwischenzeitlich noch immer nicht mit dem Plan angefreundet, aber mir blieb keine andere Wahl. Da sich keiner meiner Mitschüler erbarmte, sich umzubringen oder wenigstens eine Schülerin der Nachbarschule zu schwängern, war ich zu meinem Leidwesen noch immer Gesprächsthema Nummer 1. Ich hielt mich die Woche an Kitagawas Vorgabe und machte mich nahezu unsichtbar. Keine leichte Aufgabe, wenn man die aktuelle Situation berücksichtigte. Akanishi und Miura aus dem Weg zu gehen, bedeutete gleichzeitig, die Pausen allein in den Unterrichtsräumen zu verbringen und zentrale Plätze wie den Hof oder die Cafeteria zu meiden. Ich kam mir langsam vor wie ein Geächteter. Auch wenn ich die Ruhe ab und an vorzog, war es doch ein beschissenes Gefühl, dazu gezwungen zu sein. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, aber der gesamte Irrsinn schlug mir allmählich auf das Gemüt. Wenigstens blieb es mir erspart, Miura und Akanishi in trauter Zweisamkeit erleben zu dürfen.
 

Kaum hatte ich das große Kaufhaus betreten, schrien mich die ersten motivierten Verkäufer nieder, welche ihre neuesten Angebote lautstark anpriesen. Ich versuchte ihre quietschigen Stimmen ebenso zu ignorieren wie die furchtbare Dudelmusik im Hintergrund. Online-Shopping war wirklich ein wahrer Segen. Kaum hatte ich mich bis zum 5. Stockwerk durchgeschlagen, nahm mich auch schon ein verzweifelter Taka in Empfang.

„Gott sei Dank bist du da. Ich halte das keine Minute länger allein aus."

„Das habe ich gehört." Eine entrüstete Naoko steckte ihren Kopf aus der Umkleide. Als sie mich entdeckte, fing sie jedoch an zu strahlen, wie eine 100-Watt Birne. „Hallo Kazuya."

„Schon fündig geworden?", erkundigte ich mich höflich und setzte mich auf einen der Hocker neben meinem besten Kumpel.

„Die engere Auswahl steht", verkündete Takas Cousine freudig und verschwand zurück in der Umkleide.

„Das ist ja auch erst das dritte Kaufhaus, in das sie mich schleppt."

„Du hast mein volles Mitgefühl", erwiderte ich grinsend und klopfte meinem Freund ermutigend auf die Schulter.

Naokos Schule veranstaltete heute Abend einen Ball für alle Mittelstufler. Mein Kumpel wurde zu seinem Glück nicht nur als Einkaufsberater nominiert, sondern durfte zudem noch Chauffeur und Aufsichtsperson spielen.

„Ihre Mutter trägt sich für den ganzen Mist ein und ich darf dann antreten", beschwerte er sich weiter. „Wie auch immer ich es schaffen soll, eine Horde pubertierender Teenager davon abzuhalten, sich gegenseitig zu bespringen.“

„Es wird schon nicht so schlimm. Wir können uns durchaus beherrschen“, versuchte ich meinen Kumpel aufzubauen, obwohl ich beim Thema „Beherrschung“ nicht das beste Paradebeispiel war.

„Du vielleicht, denn du bist ein verdammtes Alien. Genau wie deine Bonzen-Freunde, aber in der realen Welt haben die Kids nichts anderes mehr im Kopf.“

„Das klingt, als wärst du 100. Lässt deine Libido etwa schon nach?“

„Sehr witzig“, murmelte Taka beleidigt, „Ich hätte mein freien Wochenende nur lieber mal zum Schlafen genutzt. Du siehst auch etwas mitgenommen aus, wenn ich das mal anmerken darf."

„War einfach eine beschissene Woche“, antwortete ich schlicht und war froh, dass mir eine weitere Befragung erspart blieb, da Naoko gerade in einem knielangen, rosa Kleid mit einer beeindruckenden Menge an Glitzer aus der Umkleide trat.

„Ich denke, das ist es“, verkündete sie glücklich.

„Du siehst aus wie eine Hostess“, kommentierte Taka den Anblick wenig begeistert und erntete dafür einen Seitenhieb von mir.

„Hör nicht auf den alten Knacker. Du siehst toll aus, Na-chan“, warf ich schmunzelnd ein und bekam zum Ausgleich einen Tritt vor das Schienbein.

„Ich geb‘ dir gleich alten Knacker.“

Nachdem das Kleid gefunden war, folgte nun die Suche nach den passenden Schuhen. Gott, ich hasste einkaufen, aber was tat man nicht alles, um seinem besten Freund beizustehen. Zusammen trotteten wir Naoko und einer Verkäuferin hinterher.

„Schon Pläne für heute Abend?“, fragte Taka und versuchte sich zwischen zwei Regalen durchzuquetschen.

„Eigentlich nicht.“ Außer sämtliche Gedanken an Akanishi und Miura in viel Alkohol zu ertränken.

„Lust mitzukommen? Ich könnte Unterstützung und Naoko in diesem Fummel einen Bodyguard gebrauchen.“

„Sie wäre sicher begeistert“, gab ich zu bedenken und hoffte, so aus der Nummer herauszukommen. Mir reichten die Veranstaltungen, zu denen ich als Schulsprecher genötigt war, völlig aus.

„Ach was. NA-CHAN“, brüllte er durch den halben Laden, sodass sich alle Anwesenden entsetzt umdrehten. Ich überlegt spontan, ob ich gelenkig genug war, mich in einem der Schuhe zu verstecken.

„Was denn? Hast du was Passendes entdeckt?“, kam es in der selben Lautstärke zurück. Die Verwandtschaft war wirklich nicht zu leugnen.

„Ja, dein Date für heute Abend“, verkündete der Ältere stolz und schob mich vor sich. Das konnte ja was werden. Immerhin besaß Naoko so viel Anstand zu uns zu kommen und das Elend nicht weiter schreiend zu erörtern.

„Ich…wollte dich eigentlich fragen, aber du bist immer so beschäftigt und…Du musst natürlich nicht!“, stammelte sie mit hochrotem Kopf, dass es mir unmöglich war jetzt noch abzusagen. Und Taka, der Arsch, wusste das genau.

„Es wäre mir ein Vergnügen“, entgegnete ich charmant und setzte mein gewinnendes Lächeln ein. Dank Kitagawa lernte man schnell, jemanden um den Finger zu wickeln. Natürlich funktionierte es auch dieses Mal. Naoko gab ein begeistertes Fiepsen von sich und tobte direkt zu der Verkäuferin zurück.

„Jetzt weiß ich, wie du das mit den Weibern machst. Scheiße, ist das unheimlich. Selbst ich habe gerade das Bedürfnis, dich meiner Mutter vorzustellen.“ Taka klang wahrhaftig irritiert. Bislang war es auch nicht von Nöten gewesen, diese Rolle in seiner Gegenwart zu spielen.

„Ich kenne deine Mutter schon. Außerdem bin ich nun mal der perfekte Schwiegersohn“, erwiderte ich schulterzuckend

„Wenn du nicht gerade besoffen strippst und deine Sachen verbrennst.“ Oder mit Akanishi in die Kiste hüpfe.

„Das ist allein deinem schlechten Einfluss zu verdanken.“

„Pfft, als ob. Du warst schon davor verdorben bis ins Mark.“ Wenn er wüsste, wie recht er damit hatte. Nur war es weder der richtige Ort noch die beste Zeit dies zu vertiefen.

„Wenn wir schon beim Thema sind. Gibt es dort Alkohol?“, wich ich daher aus.
 

„Für wen hältst du mich? Der gefüllte Rucksack steht längst bereit“ Guter Mann!


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Kommentare zu dieser Fanfic (69)
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Von: abgemeldet
2016-06-19T14:52:56+00:00 19.06.2016 16:52
Uhh... Ich bin gespannt was Kame so verbrochen hat früher, würde mich ja mal echt interessieren!

Aber dieser Miura ist ja mal sowas von nervig... Auch wenn ich die Reaktion echt klasse fand, dass er dann statt ihn einfach Jin geschlagen hat~

Freue mich auf's nächste!
Von: abgemeldet
2016-03-12T19:40:22+00:00 12.03.2016 20:40
Ein super Titel~
Besonders wenn man gestern in ner Bar war und das erste was man auf der Karte sieht der Gin Fizz ist! xD

Und mit so einer Wende hab ich ja mal gar nicht gerechnet, aber auch mal nicht schlecht. Da hat es auch echt super gepasst, habt ihr echt klasse gemacht :D
Besonders weil Kames Oma ja mal wieder ALLES gerockt hat! Sie ist eindeutig der heimliche Star, ich find sie ja so klasse und wie sie hinter Kame steht.. hach <3
Ich bin ihr Fan lol

Macht weiter so<3
Von:  SKH_Ludwig_2
2016-03-10T07:45:46+00:00 10.03.2016 08:45
Morgen ^^
An sich ein tolles Kap^^
Aber ich mag die Rollenverteilung in dem Sinne einfach nicht x´D
Sry, kann das kaum lesen xDD Ich hoffe ihr seht es mir nach^^´´
Freu mich aufs Nächste^^
LG Kame
Antwort von:  Shoot_the_puppy
10.03.2016 09:22
Guten Morgen,

vielen Dank für dein Kommentar :)

Gar kein Problem, immerhin hat diesbezüglich jeder eine persönliche Präferenz. Wir haben uns jedoch gedacht, dass eine zu starre Rollenverteilung einfach nicht zu den Charakteren passt. Dafür haben sich beide zu eigensinnig entwickelt ^^“

Aber keine Angst: Weder wir, noch die beiden sind nun darauf festgefahren ;)

LG

Antwort von:  SKH_Ludwig_2
10.03.2016 09:52
Glaub ich xDD
Kein Problem :3
<3
Von:  SKH_Ludwig_2
2016-02-27T17:48:20+00:00 27.02.2016 18:48
Huhu^^
Jedes Kap ist immer wieder amüsant^^
Ich freue mich aufs Nächste^^
Weiter so!!!
LG
Von: abgemeldet
2016-02-15T21:57:11+00:00 15.02.2016 22:57
Also ich finde den Titel gut, mal was ganz anderes! *g*
Find es ja süß, wie Kame zum Ende doch 'weich' wird und diesmal selber den Retter spielt und Jin mitnimmt. Wird sicherlich lustig im nächsten Kapitel, was so ein betrunkener Jin macht.. Wenn er überhaupt noch zu etwas in der Lage ist.

Was den Miura angeht... Da bin ich echt sowas von gespannt, wie es mit dem weiter geht! ><
Ihr macht einen da nämlich echt neugierig, freu mich ja schon darauf zu erfahren, was Koki & Junno raus bekommen.

Däumchen hoch, war wieder echt klasse! :D
Von:  SKH_Ludwig_2
2016-01-30T10:46:03+00:00 30.01.2016 11:46
Das neue Kap war super^^
Freu mich sehr aufs nächste^^
LG
Von: abgemeldet
2016-01-30T09:41:53+00:00 30.01.2016 10:41
Endlich geschafft es zu lesen und es war mal wieder klasse! :)

Ich liebe euren Schreibstil einfach total und wie ihr die Charaktere darstellt. Das ist echt spitze!
Aber bin schon echt gespannt, wie sich das mit dem Miura noch entwickelt, fieber da ja total mit, besonders nach Kames... Nun ja.. Recht nettem Verhalten ihm gegenüber.

Freu mich auf's nächste.. Macht weiter so! ^^
Von:  SKH_Ludwig_2
2015-11-27T17:01:34+00:00 27.11.2015 18:01
Hey^^
Wieder ein Super Kap^^
Hat mir gut gefallen und natürlich bin ich gespannt aufs Nächste XD
LG
Von: abgemeldet
2015-11-27T14:24:58+00:00 27.11.2015 15:24
Perfektes Timing, wenn man im Büro nichts zu tun hat :D

Und Miyavis Auftritt war ja einfach mal göttlich!
Absolut unerwartet und absolut einprägsam. Seine Art, wie ihr ihn hier darstellt, ist einfach klasse!
Ich musste nun echt unwillkürlich grinsen, bei seiner kleinen Unterhaltung mit Kame xD
Ich hoffe, es bleibt nicht nur bei einem Gastauftritt ;D

Zu Ryo... Ja, also... Es machte ihn doch ziemlich unsympathisch und so ein wenig hab ich ja schon gerätselt, ob an seiner "Drohung" nicht was dran ist. Bin gespannt, ob ihr in die Richtung noch was geplant habt ^^'

War auf jeden Fall wieder sehr unterhaltsam!
Schönen ersten Advent :)
Von:  SKH_Ludwig_2
2015-09-10T03:46:00+00:00 10.09.2015 05:46
Uiii das liest man gern am Morgen xD
Kann gern weiter gehen^^
sry kurz.... hab nur mein Handy warte auf meinen Router xx
Lg


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