Zum Inhalt der Seite

offsuit

Legend X Online
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Kapitel-Titel:
GF (MMO-Abkürzung) = Good Fight = Guter Kampf. Wird nach einem Spieler-gegen-Spieler-Kampf (PvP, Erklärung in den Fußnoten) oft von den beiden Spielern als Anerkennung des Gegners ausgesprochen. Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Event Quest - GF!

„Neue Nachricht von [Risuzu]-san.“

Ich erkannte, dass Risuzu-kun recherchiert hatte. Das Nachrichtensystem war beim Tutorial erklärt worden, also ging ich davon aus, dass er gestern noch keine Ahnung davon gehabt hatte. Aber dass er mich heute anschrieb, sprach doch dafür, dass er fleißig gelernt hatte. Ja, doch, ich war recht zufrieden mit ihm.

Sicherlich wollte Risuzu-kun fragen, ob ich gerade Zeit hatte. Ich rief also die Nachricht auf und: „Hast du gerade Zeit?“ Ich hatte einfach Skill.

„Wo bist du? Ich komm gleich vorbei, muss aber eben hier noch was erledigen!“, tippte ich auf der holografischen Tastatur, die vor mir erschien.

„Camellia, immer noch! Treffen wir uns an der Herberge?“, erreichte mich die Nachricht recht schnell. Risuzu-kun schien motiviert und das gefiel mir. Wenn ich ihm schon helfen sollte, dann sollte er sich aber auch reinhängen!

„Alles klar! Bis gleich, gib mir zehn Minuten!“

Aktuell befand ich mich in Crocus, der Hauptstadt der Region Spring Valley. Ich hatte ein paar Dinge zu erledigen gehabt und mich bei der Gelegenheit mit einem Kumpel verabredet, der in dieser Stadt seine Wohnung hatte. Crocus war definitiv eine schöne Stadt, sehr hell und bunt und fröhlich. Anders als Camellia, aber es gab einen großen Spielermarkt. Gut, einen großen Spielermarkt gab es auch in jeder anderen Hauptstadt. Auch in Camellia, hieß das.

Jedenfalls sah ich mich auf diesem großen Spielermarkt in Crocus um und suchte nach dem einen oder anderen Stück, das was für Risuzu-kun wäre. Schnell war was gefunden, vor allen Dingen gute Dolche, aerodynamischere Wurfmesser und stärkere Rüstung. Ich kaufte natürlich nicht das Allerbeste und Allerteuerste, aber da Risuzu-kun noch Anfänger war, würde dieses Equipment allein ihm einen riesigen Vorteil verschaffen, denn es war so schon weit über seinem Niveau.

Ich schickte Risuzu-kun eine kurze Nachricht, dass ich mich auf der Stelle nach Camellia begeben würde – Das ging über ein einfaches Teleportsystem – und machte mich also auf den Weg. Die Herberge war zwar schnell gefunden, aber von Risuzu-kun fehlte jegliche Spur. Wir hatten uns hier treffen wollen, warum war er also nicht da?

Wahrscheinlich, so sagte ich mir, hielt er nur einen kleinen Plausch mit jemandem. Er würde sicherlich gleich aufkreuzen, wenn ich kurz wartete. Trotzdem… Dieser Newbie war echt eine Klasse für sich. Geduldig stand ich also da, checkte mein Inventar und damit auch die Ausrüstung, die ich gerade neu für Risuzu-kun gekauft hatte, und stellte ein weiteres Mal mit Begeisterung fest, dass es wirklich ein guter Kauf gewesen war. Ich wartete also noch ein wenig länger, langsam nicht mehr ganz so geduldig, und beschloss also kurzerhand, Risuzu-kun eine neue Nachricht zu schreiben.

„Wo bist du? Hau rein!“

Nein, es klang gar nicht genervt. Gar nicht. Ich wusste ehrlich gesagt wirklich nicht, was oder wie Risuzu-kun jetzt war. Er zockte ein Kampfgame, hörte aber bei der Kampfeinführung nicht zu. Er bestellte mich her, kreuzte aber selbst nicht auf. Direkt angepisst war ich ja nicht von ihm, das weniger. Ich war zwar der bescheidenen Ansicht, dass man schon einige Kompetenzen – unter anderem in Selbstbeherrschung und Geduld – aufweisen musste um vernünftig mit ihm klarkommen zu können, aber gleichzeitig fand ich ihn irgendwie… interessant.

Risuzu-kun wirkte auf mich sehr individuell, irgendwie. Und das fand ich beeindruckend, allerdings auf eine ganz eigene Art und Weise. Und ob diese Weise heute positiv war, das würde ich noch für mich entscheiden.

„Risuzu-kun?“, schrieb ich etwa zwei Minuten später, weil ich ungeduldig geworden war und keine Antwort erhalten hatte. Ich wartete erneut und schrieb dann: „Wenn du nicht in den nächsten Minuten antwortest oder aufkreuzt, bin ich weg!“

Langsam reichte es mir. Langsam-… Ja, jetzt so langsam reichte es mir wirklich. So hatte ich da auch keinen Bock dran.

Und plötzlich ein heftiger Schock. Ich spürte einen Angriff von oben kommen, anders ausgedrückt: Da sprang jemand von dem Baum herunter, unter dem ich völlig ungeschützt stand.

Adrenalin fuhr durch meinen Körper, blitzschnell reagierte ich, zog mein Schwert und hielt es schützend vor mich – Zurecht, denn von oben blitzten mir zwei Dolche entgegen, die wohl ziemlich wehgetan hätten. Okay, weh tat in LXO eigentlich nichts, es kribbelte eher unangenehm.

Grinsend vor mir auf dem Boden kam natürlich wer auf? Mein liebster Problemfall Risuzu-kun. Der individuellste Newbie, der mir je begegnet war.

„Gute Reflexe“, meinte er bloß banalerweise und lächelte mich breit an.

„Virtuelle Kampfinstinkte“, erwiderte ich bloß und sah vermutlich nicht ganz so amüsiert aus, während ich mein Schwert wieder in der großen Scheide verschwinden ließ, die über meinen Rücken hing. Ich sagte mir brav, dass ich mich nicht aufregen würde. Und dann beschloss ich, dass es wohl besser war, wenn ich mir das gleich ein zweites Mal sagte.

„Du gehst gelassen mit der Situation um“, lächelte Risuzu-kun mich an.

„Du ebenso“, erwiderte ich fast zähneknirschend. Und was war es, das mich an dieser Situation zusätzlich irritierte? Selbst wenn Risuzu-kun ein ziemlicher Anfänger war, stand er in gewisser Weise mit mir auf einer Ebene. Er war echt ein Fall für sich.
 

Den Abend verbrachten Risuzu-kun und ich gemeinsam in Camellia. Ich deckte ihn zuallererst mit seiner neuen Ausrüstung ein und versicherte ihm, nachher mit ihm Kampftraining zu machen. Dann würde er noch genügend Zeit haben, alles zu testen und mit der Handhabung der neuen Waffen vertraut zu werden, was in LXO von größter Wichtigkeit war.

Mit den Worten „Aber erst einmal zeig ich dir die Stadt!“ führte ich ihn durch Camellia, bevor ich ihm das Dojo zeigte. Dort trainierten wir dann das allererste Mal zusammen. Sicherlich war es bei so einem wie Risuzu-kun auch sinnvoll, zuerst in einer geschlossenen Halle zu trainieren, bevor man ihn unvorbereitet auf Monster losließ – Beziehungsweise die Monster auf ihn. Alle anderen hatten dieses geschlossene Training schon absolviert, alle anderen, nur Risuzu-kun natürlich nicht. Denn wo machte man das? Genau, in meinem heißgeliebten Tutorial!

„Hast du die Skills schon ausprobiert?“, erkundigte ich mich also mit einem Lächeln, das allerdings auf der Stelle schwand, als Risuzu-kun mit einem nachdenklichen „Skills…?“ antwortete und mich mit großen Risuzu-kun-Augen ansah.

„Risuzu-kun.“ Das war die strenge Akuma-Lehrerstimme. Die benutzte ich bei ihm gewiss nicht zum ersten Mal.

Doch Risuzu-kun lachte bloß auf und meinte locker und mit einem amüsierten Grinsen: „Ich konnte nicht widerstehen! Sorry, Akuma-san! Ich habe die Skills schon ausprobiert, ja.“

Heute wohl ganz der Scherzkeksi. Aber… obwohl ich eigentlich genervt sein wollte – Wirklich, ich wollte genervt sein! – schaffte ich es nicht ganz. Risuzu-kun war ziemlich selbstbewusst und das gefiel mir. Er meinte es ja auch gar nicht böse.

Wir führten noch ein wenig üblichen Smalltalk, bevor ich dann mit gezogenem Heavy Blade meinte: „Greif mich an!“

Risuzu-kun schien zu zögern. Seine dunklen Augen wirkten unsicher, obwohl seine Hand schon in der Stellung war, seine Wurfmesser einzusetzen. Er blickte mir in die Augen, als wartete er auf eine Erlaubnis.

Irgendwie war er ja ein knuffiger Newbie. Ich musste ein wenig lächeln. Ich sollte ihm besser gut zureden, meinte also locker: „Komm schon, greif mich einfach an! Ich verteidige auch nur, keine- Hah-…!“

Risuzu-kun hatte es wirklich drauf. Geblufft hatte er, der Kleine! Einfach geblufft! Er hatte bloß getan, als sei er unsicher, um mich aus der Defensive zu locken. Und sobald er sein Ziel erreicht hatte, hatte er mich mit einem im wahrsten Sinne des Wortes pfeilschnellen Wurfmesserskill angegriffen. Glücklicherweise hatte ich mich schnell genug mit meinem Schwert, das für mich Waffe und Schild zugleich war, schützen können.

„Das war nicht fair!“, grinste ich bloß, erkannte diese taktische Überlegung jedoch an.

„Wer hat denn gesagt, dass ich fair sein soll?“, war seine provozierende Antwort, ganz auf diese freche Risuzu-kun Art.

Daraufhin beantwortete ich diese rhetorische Frage mit einem: „Niemand. Das war gut, Risuzu-kun, sehr gut sogar. Damit habe ich nicht gerechnet.“

„Ich weiß. Deswegen habe ich es ja auch getan.“

Er hatte es wirklich drauf, so bestätigte ich mir erneut. Auf jeden Fall hatte er verstanden, wie man sich gerade zu Anfang mit seinem Kampfstil beweisen konnte, denn gerade für Anfänger waren Dolche und Wurfmesser wohl eine Herausforderung, weil die leichte Rüstung eine niedrige Verteidigung bedeutete.

Das war verdammt clever gewesen… Unglaublich! Ich war schwer beeindruckt von Risuzu-kun. Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut, nachdem er sich am ersten Tag so hervorstechend planlos präsentiert hatte. War das etwa auch nur geblufft gewesen?

Wobei, nein. Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Niemand würde in einem Kampfgame seine Skills nicht lernen und auf der Straße schlafen, in der Hoffnung, dass ein anderer Spieler, den man dann verarschen konnte, ihn aufgabelte. Diese ganze Situation war zu natürlich und vor allen Dingen authentisch gewesen.

Trotzdem steckte Risuzu-kun ganz offenbar voller Überraschungen. Ich war wirklich gespannt darauf, ihn und diese besonderen Eigenheiten besser kennenzulernen.

„Was soll ich sagen, Risuzu-kun…“, seufzte ich schließlich mit einem fast frechen Grinsen. „Ich will mehr davon sehen! Du legst die Messlatte immer höher.“
 

Das Training verlief doch sehr gut, allerdings waren Risuzu-kuns virtuelle Instinkte noch sehr ungereift. Das einzuschätzen war eine meiner leichtesten Übungen. Sonst hatte ich schließlich immer Heavy Player als Trainingspartner beziehungsweise als Gegner im PvP¹, und der Unterschied zwischen Heavy Player und Risuzu-kun war in etwa so groß wie der zwischen LXO und Tetris.

„Wie gefällt dir LXO bisher?“, erkundigte ich mich schließlich bei ihm, während ich das Menü vor mir öffnete und die eingegangenen Nachrichten checkte. Während des Kampftrainings hatte es zwei Benachrichtigungen gegeben. Ich checkte sie beide, während Risuzu-kun antwortete.

„Es ist sehr komplex“, meinte er nachdenklich, während er die Dolche wieder wegsteckte, „aber es macht unglaublich Spaß! Und die Grafik ist einfach genial! Alles ist so… echt!“

Ich muss ein wenig lachen, löste meinen Blick für einen Moment vom holografischen Menü und warf ihm ein Grinsen zu. „Natürlich ist es das. Virtual Reality, Risuzu-kun. Braucht aber lange Zeit, das so hinzukriegen, die Entwicklung so eines Spiels dauert ja schließlich Jahre.“

„Ja, da steckt viel Arbeit drin…“, seufzte Risuzu-kun nachdenklich.

In der Zwischenzeit hatte ich also gecheckt, was es so Neues von meinen Kontakten gab. „Oh hey, ein guter Freund schreibt… Er plant einen Run… Eine große High-Level-Instanz mit zwanzig Leuten. Sie haben schon fünfzehn Leute und er hält extra noch einen Platz für mich frei. Macht es dir was aus, wenn ich mitgehe?“

In diesem Augenblick traf eine neue Nachricht dieses Freundes ein: „Jetzt oder nie, Kuma! 19/20“

Ich hatte ihn mit der Antwort lange warten lassen. Was halt daran lag, dass ich die Frage gerade erst gelesen hatte.

„Instanz?“, wiederholte Risuzu-kun fragend und legte den Kopf leicht schief.

„Ja, das ist so…“ Zwar hatte ich sofort mit der Antwort angesetzt, aber so einfach war das dann doch wieder nicht. Wie erklärte man Instanz? „Also, das ist in LXO so… Ein Dungeon mit so… Mobs und Rätseln und Bossen und Aufgaben, den wir als Gruppe zu meistern versuchen. Da bekommt man halt viel Geld, Erfahrung und in Instanzen bekommt man auch sehr guten Loot². Wenn ich was Nettes für dich finde, bring ich’s mit. Je schwerer die Instanz, desto besser der Loot. Das lohnt sich auf jeden Fall! Wir gehen aber eine der hohen Instanzen, da kannst du nicht mit und die Gruppe ist eh schon voll, daher… würde ich dich dann ab jetzt allein lassen.“

Risuzu-kun nickte während der Erklärung immer wieder kurz, um mir zu zeigen, dass er verstand. „Das ist in Ordnung, geh nur mit!“, antwortete er schließlich und lächelte ein wenig. „Ich trainiere noch ein wenig oder schau mich in der Stadt um. Bei unserer Tour vorhin hab ich einige coole Dinge gesehen, die ich mir sowieso noch mal ansehen wollte.“

„Alles klar, du bist klasse, Risuzu-kun!“ Ich schickte meinem Kumpel schnell eine Voicemail, weil es schneller ging, als zu tippen und weil mir gerade einfach danach war. Ich drückte den Aufnahmebutton am Nachrichtenmenü und sprach: „Hey Chuzen, sorry, ich war gerade mit Training beschäftigt. Seid ihr schon an der Ini oder trefft ihr euch in Cosmea? Ich porte gleich zu euch, muss aber noch einen schnellen Abstecher in meine Wohnung machen, ich hab nämlich den Sockelstein besorgt, um den du mich gebeten hast. Den würde ich dir bei der Gelegenheit dann mitbringen. Summer Coast ist richtig, oder? Schreib mir bitte die Koords³, dann bin ich sofort da! Wir sehen uns!“

„Akuma-san?“, sprach Risuzu-kun mich an, nachdem ich die Voicemail abgeschickt hatte. „Was ist Cosmea?“

Schlimm war das! Wer beim Tutorial pennte, hatte echt keinen Plan von dem Game! Nicht mal das wusste er! Gott! Ich war zwar davon ausgegangen, ursprünglich, als ich mich eingeloggt hatte, dass ich diese Tutorial-Sache so ziemlich verkraftet hätte – Aber nein. Risuzu-kun schaffte mich immer noch.

Leider überwog aber gerade der kleine Zeitdruck, weil die Gruppe von neunzehn Mann bereits auf mich wartete und ich hatte noch Krams zu organisieren, wie ich Chuzen, meinem Kumpel, ja mitgeteilt hatte.

„Cosmea“, setzte ich also zu einer Erklärung an, „ist die Hauptstadt von Summer Coast. So wie Camellia für Winter Mountain. Cosmea liegt direkt am Meer. Total schöne Stadt! Wenn du mal virtuellen Urlaub machen willst, dann da!“ Das meinte ich völlig erst, virtueller Urlaub konnte mega toll sein! „Aber es ist meist voll, die ganzen Pros sind da. Anfänger sieht man kaum, weil es einfach verdammt teuer ist.“ Ich rieb meinen Daumen an Zeige- und Mittelfingerspitzen und sagte dazu: „Ohne Cash läuft in Cosmea rein gar nichts.“

„Ist das weit weg von hier?“, fragte Risuzu-kun weiter.

Als Antwort rief ich die holografische Weltkarte auf, die mehr oder weniger rautenförmig war und vier große Regionen anzeigte. Zeit für ein bisschen Topographie. „Hier im Norden“, begann ich und zeigte auf Winter Mountain, „sind wir. Das Symbol hier zeigt meinen Standort an. Da ist Camellia. Die Mitte des Kontinents ist in zwei Regionen aufgeteilt. Die nordwestliche Hälfte ist Autumn Forest. Diese Blüte hier ist die einer Chrysantheme. Sie markiert den Standort der gleichnamigen Hauptstadt Chrysanthemum. Diese Region hier, die südöstliche Seite, ist Spring Valley und hier ist Crocus.“ Dieses Mal deutete ich auf die Krokusblüte. „Und die Region ganz im Süden ist Summer Coast.“

„Und hier vorne“, führte Risuzu-kun die Erklärung weiter und zeigte auf die Blüte in letztgenannter Region, „ist dann Cosmea?“

„So sieht’s aus“, bestätigte ich nickend. „Aber, nimm’s mir nicht übel, ich muss echt los! Demnächst zeig ich dir mal noch ein bisschen mehr auf der Karte.“

„Sorry, ich wollte dich nicht aufhalten“, meinte Risuzu-kun sofort entschuldigend. „Dann viel Spaß in der Instanz!“

Ich erwiderte ein paar der üblichen Floskeln, bevor ich mich für heute von Risuzu-kun verabschiedete.
 

Chuzen erwartete mich bereits, als ich am Eingang der Instanz eintraf, dessen Koordinaten er mir auf meine Bitte hin gegeben hatte. Ich war etwas länger unterwegs gewesen als die anderen, die auf Chuzens Benachrichtigung, dass die Gruppe voll sei, hergekommen waren. Nur ein, zwei Leute waren wohl noch langsamer als ich.

Ich begrüßte Chuzen und die anderen High-Leveler, die bereits da waren. Den Großteil kannte ich, denn es gab wenige sehr starke Player und wenn man mal eine richtige Herausforderung, wie diese Instanz hier, meistern wollte, mussten sich diese starken Player zusammenschließen und dann kam es vor, dass man sich öfter über den Weg lief.

Chuzen hieß eigentlich Chukaze. Trotzdem nannte ich ihn Chuzen, weil es sich irgendwie so ergeben hatte. Mit der Zeit entwickelten sich Spitznamen halt. Ebenso nannte Chuzen mich meistens Kuma. Wenn er gut drauf war und mich mobben wollte, dann sagte er: „Du bist halt mein Bärchen.“

„Seit wann ziehst du Anfänger auf?“, erkundigte Chuzen sich bei mir, während ich in meinem Inventar nach dem Sockelstein suchte, den ich ihm mitgebracht hatte. „So kenne ich dich gar nicht.“

Ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen. Er hatte ja eigentlich Recht. Die Geduld fehlte in der Regel, aber oft auch die Zeit. Es gab für mich in LXO sicherlich Sinnvolleres zu tun, als einen Anfänger aufzuziehen. Aber dieses Mal tat ich es ausnahmsweise trotzdem. „Risuzu-kun ist ein spezieller Fall.“

„So?“ Ich sah, wie die Finger von Chuzens linker Hand über den Griff des Bogens trommelten, den er in beiden Händen hielt.

„Wenn du Lust hast, können wir nach der Instanz noch was trinken gehen, dann erzähl ich dir alles“, schlug ich also vor. Etwa zeitgleich stieß ich also in meinem Menü auf den Sockelstein und tippte das Hologrammfeld zum Benutzen an, woraufhin sich der Stein vor mir visualisierte. Ich war der Einzige, der ihn direkt nach dem Visualisieren berühren konnte. Das verhinderte den direkten Diebstahl von Items. Ich nahm den Sockelstein also in die Hand und reichte ihn dann an Chuzen weiter. Ich erhielt eine Anfrage in einem Hologrammfenster, ob ich das Item wirklich Chuzen überlassen wollte und bestätigte mit dem Drücken auf ‚Ja‘. „Jetzt sind wir quitt.“

„Das sind wir“, gab er mit einem Schmunzeln zurück. „Danke dir, Kuma.“

„Keine Ursache.“ Man musste wissen, dass der Sockelstein meines Heavy Blades von Chuzen stammte. Er leuchtete rot und war in den Griff eingesetzt worden. Ich beobachtete Chuzen nun dabei, wie er seinen ehemaligen gelben Sockelstein gegen den grüne, den ich ihm gegeben hatte, austauschte. Die Farben, nebenbei, hatten nicht viel zu sagen. Es ging nur um die Eigenschaften des Steins, die einzig und allein durch die Itembeschreibung deutlich wurden. In der Regel verstärkten sie den Angriff, aber für verschiedene Waffentypen wurden natürlich auch verschiedene weitere Verstärkungen angeboten: Treffsicherheit, kritische Trefferrate, HP-Regeneration bei Treffern et cetera, et cetera, et cetera pp. Wahrscheinlich musste nicht extra gesagt werden, dass das echt High-Quality-Steine waren, die wir beide besaßen.

Da fiel mir doch noch was ein… „Ach ja, Chuzen… Hast du zufällig Dolchsockelsteine über?“

„Dolch?“, wiederholte Chuzen etwas verwirrt. „Du spielst doch nie mit den Dolchskills, wofür also die Steine?“

Er kannte mich gut und wusste, dass ich eigentlich durch und durch Heavyblader war. „Drei Mal darfst du raten – Für Risuzu-kun natürlich! Falls du mal Steine haben solltest, die sonst im Müll landen würden, gib sie besser mir.“

Chuzen hob überrascht die Augenbrauen. „Es ist dir also ernst mit deinem Anfänger-chan?“

„Das hab ich doch gesagt“, murrte ich leise.

Vermutlich ein wenig amüsiert über meine Reaktion schmunzelte Chuzen ein wenig. „Ich bin schon sehr gespannt darauf, was du später zu erzählen haben wirst.“

Jetzt belächelte der mich auch noch… Aber bei Chuzen regte ich mich über so was nicht auf. „Wie auch immer, Chukaze…“, sprach ich ihn bei seinem vollen Namen an. Das tat ich nie, es sei denn, ich wollte ihn aufziehen. Ich wies mit dem Kopf Richtung Instanzeneingang. „Wir sollten langsam.“

Die Gruppe war vollzählig. Chuzen, der als Gründer der Gruppe automatisch der Leiter war, solange er diesen Posten nicht abtrat, nickte mir zu und drückte mit der Hand freundschaftlich meine Schulter, bevor er sich zu den anderen wandte und die Gruppe zusammenrief.

Es war Zeit für ein wenig Action!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Fußnoten:
¹PvP (MMO-Abkürzung) = Player versus Player (engl.). Kampfmodus Spieler gegen Spieler
²Loot (Gamejargon): Beute, die der Gegner zurücklässt
³Koords (Abkürzung): Koordinaten Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück