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Krieg der Nacht

von

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Hochzeitspläne

Hochzeitspläne
 

Vor drei Jahren begann alles.  

Niemand hätte voraussehen können, was mich in den nächsten drei Jahren erwarten würde. Ich denke, ich hätte auch keinem geglaubt, der mir folgendes erzählen würde, was ich jetzt berichten werde.
 

„ Chrisi! Wie lange willst du noch in Bad bleiben, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!“, schrie ich mir fast schon die Seele aus den Leib. Mein Bruder ging mir langsam aber sicher auf die Nerven. Noch ein paar Minuten vergingen, bis endlich die Tür des Bades aufging.

„ Mach dir wegen den paar Minuten nicht gleich ins Hemd, Ruby! Und immer hin bin ich der Ältere, da habe ich nun mal das Recht, länger im Bad zubleiben.“, sagte Chris mit einem lockeren Ton in seiner Stimme. Christian gehörte mehr zu den Typen, die immer mit einer großen Klappe durch die Welt gingen. Er glaubte, er sei der Größte, er mit seinen schwarzen, kurzen gegelten Haaren und seinen schwarzen Ledersachen, die er immer, trug wenn er nach draußen ging, nur um dann mit seinen Kumpels abzuhängen und einen zu saufen. Er ging nicht mehr zur Schule.

Mum wollte, dass er studierte, genau wie sie Rechtanwalt wurde. Doch ihm war das egal. Mein gewehter Bruder besuchte das Studium auch nur, wenn Mum von ihren Geschäftsreisen wieder nach Hause kam. Bei dem Gedanken, er und Rechtsanwalt, konnte ich nur den Kopf schütteln. Niemals!

Meine Mum war oft nicht zu Hause, dafür hatten wir eine Haushalterin am Hals, die sich die ganze Zeit um unser Wohl kümmerte. Mir konnte es egal sein, solange sie sich nicht in mein Leben einmischte. Unsere Mum war wegen eines schweren Falls, der einen englischen Geschäftsmann und eine deutsche Firma betraf, in London zugange. Heute Abend würde sie zurück kommen, nach fast einem halben Jahr. Sie wollte uns jemanden vorstellen und uns was verkünden. Im Stillen konnte ich mir schon denken, was kommen würde. Sie hatte sich bestimmt einen Neuen gesucht. Was anderes konnte es ja gar nicht sein. Es wäre auch mal ein Wunder, wenn doch! Ich war gespannt, wie lange es diesmal halten würde.

Da nun das Badezimmer endlich mal frei war, besetzte ich es lieber schnell, bevor mein Bruder es wieder tat, weil ihm irgendwas einfiel, was an seinem Äußeren noch nicht perfekt war. Was konnte man bei seinem Outfit noch falsch machen? Meiner Meinung nach haute er sich eh immer viel zu viel Gel in die Haare. Als ob wir Frauen darauf stehen würden!?  Na gut, vielleicht die eine oder andere Puppe, mit der er manchmal rum rannte schon, aber sonst keine. Die hielt er sich eh nur für eine Weile warm und dann später servierte er sie eiskalt ab, wenn sie ihm zu langweilig wurde.

Langsam besah ich mich in Spiegel; fette Augenringe! Wann hört das endlich auf?

Seit einiger Zeit litt ich unter Altträumen, und daraufhin unter starkem Schlafentzug.

Es waren komische Altträume, sie fühlten sich realer an, als es die Träume, die ich bisher je hatte, so schon taten. Irgendetwas in mir sagte mir, dass all das, was ich den Träumen sah, schon einmal passiert war. War so was möglich, oder wurde ich durch den Schlafentzug einfach nur verrückt?

Na gut, ich sollte mich fertig machen. Brigitte meckerte auch schon rum. Wieso immer nur bei mir, bei meinem Bruder war es ihr wohl egal, oder was? Es brachte nichts, sich aufzuregen.

Nach einer geschlagener Stunde ging ich zur der kleinen Küche, wo Brigitte schon mit dem Essen auf mich wartete. Nachdem sie mir mit einem bösen Blick die Brötchen reichte, meinte sie plötzlich: „Bald werdet ihren euch an einen besseren Umgangston gewöhnen müssen! Vielleicht werdet ihr beide dann endlich einmal in euren Leben vernünftig, mit einer richtigen männlichen Erziehungsperson im Haushalt! Das hätte eure Mutter schon längst mal ändern sollen.“ Verdutzt guckte ich sie an.

„Was meinst du damit?“ War meine Frage darauf. „Genau das, was ich gesagt habe. Mehr wirst du ja heute Abend beim Essen erfahren. Und jetzt iss endlich, du bist wieder mal zu spät dran!“ Kam es nur noch von ihr und schon verließ sie die Küche mit einen Korb voller nasser Wäsche. Ich nahm ein Brötchen und verließ ebenfalls die Küche.

Meine Gedanken kreisten umher, also hatte ich mit meiner Vermutung Recht, es ist ein neuer Lover. Aber Brigitte weiß doch ganz genau, dass Beziehungen bei ihr immer nur ein paar Wochen hielten. Oder steckte etwa noch mehr dahinter? Nein, das konnte unmöglich sein. Mit schüttelndem Kopf lief ich den Flur entlang zu meinem Zimmer. Dort angekommen, nahm ich nur noch meinen Rucksack, achtete noch nicht mal darauf, ob alles drinnen war, was ich für den heutigen Tag brauchen würde, und verließ dann das Haus..
 

Langsam lief ich zum Bus. Warum sich beeilen, zu spät war ich eh schon dran.

Gerade mal an der Haltestelle angekommen, kam auch schon mein Bus. Ich wartete, bis er hielt, mit einer der Türen direkt vor meiner Nase, die Tür öffnete sich, ich stieg ein und nahm gleich bei den nächst besten Sitzbank Platz. Eine halbe Stunde mit dem Bus und dann noch mal 15 Minuten zur Fuß und ich war da. Immer hin pünktlich zur dritten Stunde. Ich steigerte mich. Sonst bin ich immer gerade mal zur vorletzten oder sogar nur zur letzten Stunde da.
 

„Ruby, du auch schon da? Wow, was ist denn mit dir los?“, grinste mich einer meiner wenigen guten Kontakte an dieser Schule hier an. Ich setzte mich neben ihn auf die Bank, schließlich war noch Pause. „Das könnte ich dich auch fragen, du meintest doch letztens, dass du gar nicht mehr kommen willst.“, gab ich nur noch zurück.

„Das hatte ich auch vor, aber mein geehrter Herr Vater hat mich persönlich heute früh hier abgesetzt.“ Bei diesem Gedanken konnte ich nicht anders als lauthalslos zu lachen.

„Lach‘ nicht so, das ist gar nicht so witzig. Wie wäre es, wenn deine Mum dich hier vor allen Leuten absetzen?“ Er warf mir noch einen bösen Blick zu. „Doch, es ist witzig! Meine Mum und mich persönlich hier absetzten, das glaubst du doch selber nicht?! Sie ist doch nie da!“ Das Klingeln zu der Schulglocke ertönte.

„Wir müssen!“ Er sprang auf und schnappte sich seine Tasche. „Ja, leider…“, stöhnte ich. Ich nahm mein Zeug und lief schweigsam hinter ihm her. Im großen Flur des Gebäudes angekommen, blieb er kurz stehen.

„Ähm, hast du heute Abend Zeit?“, fragte er und grinste dabei leicht. „Es ist Freitag und meine Band kommt heut Abend wiedermal zusammen, zum Proben.“

„Tut mir Leid, ein anderes Mal. Meine Mum kommt heute Abend wieder und will mit uns essen gehen.“ Mit einem entschuldigenden Lächeln winkte ich ihm zum Abschied noch kurz zu. Bis nächste Woche würden wir uns nicht mehr sehen.

„Dann bis nächste Woche.“, meinte er nur kurz und so trennten sich erst mal wieder unsere Wege. Ich drehte mich herum, überlegte kurz: //Ich habe jetzt Physik, oder doch nicht?// Seit einen Jahr bin ich nicht mehr wirklich in die Schule gegangen, immer nur für ein paar Stunden, wenn ich ausgeschlafen hatte, mehr oder weniger. Ich mehrte in meiner Tasche rum.

//Hier irgendwo muss doch der Stundenplan sein… Ha, da ist er ja! Ich habe Chemie. Ist doch eigentlich das gleiche, oder nicht?// Gedankenverloren suchte ich den Raum 210. In diesem Stockwerk war ich seit Beginn diesen Schuljahres nicht mehr, und das soll schon was heißen, da dieses ja bald vorbei sein würde.

„Lang nicht mehr gesehen, Fräulein Ruby. Zum Ende des Schuljahres kommen Sie wohl wieder mehr zum Unterricht, oder wie!“ Ich drehe mich um und erblickte unseren Chemielehrer.

„Guten Tag, Herr…äh…“ Ich blickte schnell auf den Zettel in meiner Hand.

„Herr Roman.“, meinte er nur knapp und deute auf die Tür. „Würden Sie bitten ins Zimmer gehen, die Stunde beginnt in wenigen Minuten!“ Darauf sagte ich nichts mehr, ging einfach rein.
 

Nach zwei Stunden hatte ich die Nase voll und packte meine Sachen zusammen.

Warum sollte ich mir meine Nerven mit den Idioten kaputt machen? Hat doch eh keinen Sinn.

Endlich Zuhause angekommen, fielen mir die Koffer im Flur auf. Sie war also schon wieder da. Super! Ich versuchte, mich möglichst leise in mein Zimmer zu bewegen, aber genau in diesem Moment kam meine Mutter aus der Küche hinaus. Wir blickten uns direkt in die Augen.

//Gleich gibt es Stress!// Doch der blieb aus, dafür musterte sie mich auf das Genauste.

„Du wirst langsam eine junge Frau! Aber Kind, müssen diese dunklen Kleider und diese schwarzen Augen wirklich sein?“, kam es von ihr. Verwirrt und erschrocken zugleich blickte ich sie an.

//Was ist denn mit der los?// Ein Lächeln zierte ihr Gesicht. Meine Mutter, genannt Susanne Dornhorn, war eine Frau, die für ihr Alter sehr jung wirkte. Obwohl sie schon 41 Jahre alt war, wirkte sie trotzdem mehr, als wäre sie gerade mal 25 oder so in der Richtung.

„Mum, was machst du den schon hier?“ Immer noch total verdutzt von ihrer Reaktion, stellte ich meinen Rucksack ab. Sie schaute auf ihre Armbanduhr und meinte daraufhin:

„Das könnte ich dich auch fragen, hast du denn nicht eigentlich Schule?“ Ertappt schaue ich zu Boden. Hätte es mir auch denken können, dass sowas noch kommt. Schnell schaute ich wieder in ihr Gesicht.

„Der Stundenplan hat sich geändert!“, entgegnete ich ihr rasch.

„So so, hat er das? Soll ich in der Schule anrufen und nachfragen?“ Sie hatte meinen kleine Lüge durchschaut, hätte mir was Besseres einfallen lassen müssen.

„Und, warum bist du nun zeitiger gegangen, beziehungsweise, wieso gehst du in letzter Zeit so unregelmäßig in die Schule? Glaubt ja nicht, ich wüsste von nichts! Hast du mal an deinen Abschluss gedacht? Sicher nicht, sonst würdest du solch einen Unsinn nicht machen!“ Sie wurde strenger und lauter im Ton. Sicher, hatte ich mir schon denken können, dass Brigitte alles unserer Mutter erzählt, schließlich ist sie dafür auch hier.

„Ich höre! Warum gehst du nicht in die Schule?“ Warum muss sie immer gleich so ungeduldig werden? Ist doch nicht zum aushalten!

„Ähm…“, kam es nun wirklich sehr geistreich von mir. Meine Mutter seufzte genervt.

„Es wird sich eh bald ändern.“, meinte sie nur knapp und ging an meiner verdutzten Persönlichkeit vorbei. Was meinte sie damit? Hatte Brigitte doch recht mit ihren Worten, oder ist das alles nur ein schlechter Scherz? Ich lief langsam in mein Zimmer und verriegelte die Tür, warf mich auf mein Bett und schlief ein.

Nach einem lauten Donnern an meiner Tür wurde ich langsam wieder wach, mein Blick fiel auf die Uhr. Das geplante Abendessen ist in fast einer Stunde. Ich richtete mich auf, streckte mich kurz, erhob mich dann und ging zur Tür.

„ Na endlich reagiert das Fräulein auch mal!“, sagte Brigitte mit einem scharfen und zugleich auch genervten Ton in der Stimme. Ich ignorierte ihre Worte und lief auf das Bad zu.

„Ihre Mutter  und Ihr Bruder warten bereits unten im Auto auf Sie. Beeilen Sie sich ein bisschen.“, rief sie mir genervt hinterher.

//Mensch, warum müssen die alle so einen Stress machen? Das hält doch echt keiner aus!// Ich sah in den Spiegel, meine Haare waren verstrubbelt und mein Kajal leicht verschmiert. Erst mal abschminken und Haare bürsten, dann wieder erneut Make-up auftragen. Nach etwa einer halben Stunde tapste ich langsam die Treppen runter zum Auto, wo mir meine Mutter einen bösen Blick zu warf.

„Tut mir Leid, ich bin eingeschlafen.“ Ich machte die linke Hintertür des Autos auf und ließ mich auf den Sitz nieder. Mein Bruder lachte leise auf, keine Ahnung warum. Vielleicht auch nur, weil es unsere Mutter tierisch nervte, also mein Verhalten. Hat sie Pech! Wenn sie in manchen Punkten eine bessere Mutter gewesen wäre, wäre ich vielleicht auch ein ganz anderer Mensch. Sie startete den Motor und los ging die Fahrt zum Restaurant.

Da war ich echt mal gespannt, was für eine wunderbare Nachricht meine Mum hatte und wer die Person war.

Wir fuhren von ‚Wilder Mann‘ hinunter in die Altstadt von Dresden, meine Mum bog in eine Tiefgarage ein und parkte dann, als sie endlich einen Parkplatz gefunden hatte, ein.

„So wir müssen hoch ins Restaurant ‚Rossini‘.“, meinte sie und schnallte sich ab und steckte den Autoschlüssel in ihre Tasche.

„Rossini?! Das ist doch im Hilton Hotel drin!“, kam der schlaue Kommentar von mir und mit erstauntem Blick blickte ich meine Mutter an. Das meinte sie doch nicht im Ernst?

„Tja Schwesterlein, wenn du weniger schlafen würdest, wüsstest du, das die gewehrte Person da eingecheckt hat und im Restaurant einen Tisch für uns reserviert hat.“, meinte darauf mein Bruder mit einem abwertenden Ton in der Stimme.

„Bäh! Ich brauche nun mal meinen Schönheitsschlaf! Solltest du auch mal machen, bist nicht gerade der Schönste.“, entgegnete ich ihm patzig und schnallte mich ebenfalls ab bevor ich mich verhob und ausstieg.

„Du weißt doch gar, nicht was wahre Schönheit ist, du mit deinem ganzen düsteren Müll.“ Ich versuchte, seine Worte nicht zu beachten, was wusste der schon?!

„Und außerdem ist dein Musikgeschmack der Schlechteste, den es auf der Welt gibt. Ich weiß gar nicht, wie man sich dieses Geschrei anhören kann, das sind noch nicht mal richtige Wörter.“, fing er nach kurzer Stille wieder an.

„Aber deine Musik, in der es nur um Sex und Saufen geht, ist besser oder was?“, kam es genervt von mir. //Kann er sich nicht jemand anderes suchen und mich in Ruhe lassen?//

„Immer noch besser als deine. Und, um noch mal auf das Thema ‚Schönheit‘ zurück zu kommen, du bist genauso eine missgeratene Person wie jeder andere aus deiner Szene.“ Okay, jetzt geht er mir gegen Strich, aber bevor ich was entgegensetzen konnte, ging meine Mutter dazwischen und meinte: „Jetzt ist Schluss ihr beiden! Wie alt seid ihr eigentlich?“, fragte sie uns. „Ihr benehmt euch wie kleine Kinder, müsst ihr euch ausgerechnet heute in die Wolle bekommen? Also wirklich! Benehmt euch jetzt, sonst kriegt ihr beide noch richtigen Stress mit mir! Ich habe ein für allemal die Nase voll! Ihr solltet echt mal lernen euch zu benehmen! Es wird höchste Zeit, dass ihr einen richtigen Vater bekommt, damit aus euch noch was Ordentliches wird. So kann es nicht weiter gehen!“ Bei den letzten Worten schrie sie fast schon. Ehe wir noch was erwidern konnten, drehte sie sich um und sagte, in einen etwas ruhigeren Ton, noch: „Lasst uns jetzt rein gehen, bevor ich mich ganz vergesse!“ Das waren ihre letzten Worte und dann lief sie vor. Ich und mein Bruder schauten uns nur verdutzt an.

„Das ist deine Schuld!“, sprach er plötzlich. In mir brannten langsam die Sicherungen durch.

//Meine Schuld? Meine Schuld?! Was bildete der sich ein? Er hat doch angefangen, also warum meine Schuld?// Ich machte einen Schritt auf ihn zu.

„Du hast angefangen! Na hör mal, was fällt dir ein?!“ Erbost stemmte ich meine Hände in meine Hüften. Er war eindeutig zu weit gegangen. Er lief unserer Mutter hinterher.

„Stimmt doch! Wenn du nicht zu spät dran gewesen wärst, dann wäre sie jetzt nicht so sauer. Und wir hätten mit dem Streit gar nicht erst angefangen, also ist es deine schuld!“, fing er wieder an. Sicher wäre es besser gewesen, dass ich nicht eingeschlafen wäre, aber hey, wenn ich müde bin und den ganzen Tag eh nicht zu tun habe?

„Du pennst auch bis in die Puppen, also brauchst du mir nicht so kommen! Wie oft hast du schon richtig scheiße gebaut? Mutter gibt dir Geld aus damit du studieren kannst und was machst du? Du fasst die Bücher noch nicht mal an. Gehst dafür lieber dein Gehirn wegsaufen. Du endest noch wie der Nichtsnutz von deinen Vater!“, schrie ich fast schon. Ja ich war richtig sauer.

„Mein Vater ist kein Nichtsnutz!“ Auch er klang richtig sauer.

„Doch! Was macht er schon den ganzen Tag? Immer wenn ich mit dir zu ihm fahre, stinkt die ganze Budde nach Alkohol und abgestandenem Zigarettenrauch. Arbeiten geht er auch nicht. Also was macht er schon den ganzen Tag lang…“ Es knallte und ich war ruhig. Er hat mir tatsächlich eine Ohrfeige geben. Ich schüttelte  meinen Kopf, ignorierte den Schmerz auf meiner rechten Gesichtshälfte und schrie weiter unbeirrt: „Ein Schläger wie der Vater bist du auch noch!“ Mit diesen Worten rannte ich unserer Mutter hinterher. Dieser Idiot kann mich mal, was fällt dem überhaupt ein? Das nächste mal kriegt er meine Faust zu spüren!

„Wo bleibt dein Bruder?“, frage sie mich ohne mich anzusehen. Ja, sie war immer noch sehr sauer auf uns.

„Keine Ahnung, kann mir doch egal sein.“, war meine ignorante Antwort. Und wieder vernahm ich einen genervten Seufzer. Hätte sie keine Kinder in die Welt gesetzt, dann hätte sie das Problem auch nicht.

„Geh schon mal hoch! Ich hol schnell deinen Bruder.“ Sie lief wieder zurück zum Auto.

Ich drückte den Knopf des Fahrstuhls, als ich auf einmal das Weinen eines Kindes hörte.

Ich sah mich um, von meiner Mutter war keine Spur mehr zu sehen. Langsam setzte ich mich in Bewegung. Weiter hinten, bei einer Reihe geparkter Autos, sah ich, wie sich da was bewegte und lief drauf zu. Doch als ich ankam, war nichts mehr zu sehen. //Habe ich Halluzinationen?//, dachte ich mir und mit Kopf schüttelnd lief ich zurück. Doch dann wurde es mit einem mal ganz dunkel.

//Ein Stromausfall? Na ganz große Klasse.// Und wieder hörte ich das weinende Kind. Was war hier denn bloß los? Erst mal rief ich leise nach meiner Mutter. Nichts war zu vernehmen.

Und noch mal: „Chris! Mum! Wo seid ihr?!“

Ich bekam keine Antwort. Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich versuchte, irgendwas zu erkennen, doch es war zu dunkel. Dann nach längerem Suchen in der Dunkelheit erblickte ich ein grünleuchtendes Schild. Da war also ein Notausgang!

Das Schluchzen des Kindes wurde immer lauter, hielt sich das Kind da auf, oder was dies wieder eine Einbildung? Ich rannte immer schneller drauf zu, doch hatte ich das Gefühl, dass sich dieses Schild immer weiter von mir entfernte, als dass ich näher kam. Ich legte noch einen Schritt zu und schloss für ein Moment meine Augen. Als ich sie wieder öffnete, war das Schild weg.

Es war auch auf einmal ganz ruhig.

Hinter mir rührte sich was.

„Hallo? Ist da jemand? Chris, Mum, seid ihr das?“ Ich bekam wieder keine Antwort, die Angst stieg weiter an. Ein Knarren auf den Boden war zu hören, irgendwas Großes musste hier rumlaufen. Hellgrüne Augen blitzten auf und ein lautes Knurren war zu hören und schon kam es mit einem Satz auf mich zu. Ich schrie so laut wie ich konnte.

Und mit einen mal befand ich mich wieder vor dem Fahrstuhl, alles war hell und meine Mutter stand vor mir und musterte mich besorgt, mein Bruder hielt die Fahrstuhltür auf.

„Ruby, du bist ja ganz blass, was ist denn mit dir los?“, fragte meine Mutter mit besorgtem Unterton in der Stimme. Ich blickte sie nur stumm an, unfähig nur irgendetwas zu sagen und ich spürte, wie ich am ganzen Leibe zitterte. Was war nur hier los, was war mit mir los? Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dies hier nur der Anfang sein würde. Aber der Anfang von was? Erneute Angst stieg in mir auf. Nervös schaue ich mich um, wobei mich meine Mutter verwundert anschaute. Erleichtert merkte ich, dass alles in Ordnung war. Ohne noch auf meine Mutter einzugehen, gehe zum Fahrstuhl, meine Mutter folgte mir schweigend.

Oben an gekommen, ging meine Mutter zum Ober und ließ uns zu den reservierten Tisch bringen, wo wir bereits von der geheimnisvollen Person erwartet wurden. Kein Wunder, schließlich kamen wir sehr spät.

Er stand auf und begrüßte meine Mutter mit einen Kuss auf die Lippen. War doch klar, wieder ein neuer Lover, wie sollte es auch anderes sein bei unserer Mutter. Seufzend setzte ich mich auf einen der vier Stühle zwischen meiner Mum und meinen Bruder.

Das Essen verlief so im Ganzen ganz ruhig, mein Bruder meinte, er würde immer fleißig seinem Studium nach gehen. Ja sicher! Ich selber stocherte nur in meinem Essen rum, Hunger hatte ich keinen und meine Gedanken waren bei dem Ereignis von gerade eben. Was war das nur gewesen, dieses Wesen welches da auf mich zugekommen war. Wieder seufzte ich, es gab keine logische Erklärung dafür. Ich musste mir das eingebildet haben, alles andere kann nicht wahr sein. Dieses Wesen war nur eine Einbildung von mir, mit Sicherheit! Wie soll das auch sonst gehen?! So was gab‘s doch schließlich nur im Märchen und in Gruselgeschichten. Und außerdem befand ich mich auch gleich danach wieder am Fahrstuhl, also musste dies ein böser Traum gewesen sein.

Mein Bruder stieß mir seinen Ellenbogen in meine Rippen. Böse schaute ich ihn an, fing er schon wieder an mit seinen Sticheleien? Warum konnte er es nicht einmal lassen? Doch dann sprach dieser Mann, dessen Namen ich mir nicht gemerkt oder ihn einfach als nicht wichtig erachtet hatte.

„Ich würde gerne auch ein bisschen was von dir hören!“ Erwartungsvoll schaute er mich an. Ich wusste gar nicht, wie reagieren ich sollte.

„Ähhh, ich…“, zu mehr war ich definitiv nicht fähig. Normalweise bin ich nicht so, ich weiß auch nicht warum, aber irgendwie ging es mir im Moment nicht gerade besonders gut.

„Was soll ich schon groß erzählen.“, meinte ich nur knapp darauf, es stimmte ja eigentlich auch. Ich hatte in meinem Leben noch nicht viel erreichen können, die Schule besuche ich auch nicht wirklich regelmäßig. Ich glaubte, dass er sowas wohl kaum gerne hören würde, beziehungsweise würde dies keinen guten ersten Eindruck von mir hinterlassen. Immer noch spürte ich seine erwartungsvollen Blicke auf mir. Mann, warum muss er es mich gleich zu Anfang so nerven?

„Stimmt, was soll sie dir schon groß erzählen, Niklas?“, grinste mein genialer Bruder und machte dabei einen abwinkende Handbewegung und sprach dann weiter: „Sie wurde von meiner Mum und meinen Dad adoptiert. Und wie zeigt sie ihre Dankbarkeit, indem sie nur Mist baut, meiner Mum den letzten Nerv raubt, ganz besonders jetzt nach der Scheidung meiner Eltern.“ Ein mich verachtender Ton war zu vernehmen. Ja, eindeutig! Ich und mein Bruder konnten uns noch nie leiden. Obwohl am Anfang mochte ich ihn schon gerne, aber mit der Zeit wurde seine Eifersucht zum Hass und so fing auch ich an, ihn zu hassen, Wortwörtlich. Und das mit der Adoption: Von meinen richtigen Eltern weiß man nichts, man hatte mich in einer Babyklappe gefunden. Ich lebte einige Zeit im Heim, bis ich adoptiert wurde und hier her kam.

„Adoptiert? Susanne, du hast mir nie erzählt, dass dein jüngstes Kind adoptiert ist?!“ Niklas wirkte etwas geschockt, dann zierte sein Gesicht ein leichtes Lächeln.

„Was für eine Herzensgüte, ein Kind aufzunehmen, welches von seinen richtigen Eltern im Stich gelassen wurde. Was für eine gute Frau.“, lobte er sie am Ende seiner kleinen Rede. Innerlich lachte ich leise auf. Ja, das lag wohl im Auge des Betrachters. Meine Mum räusperte sich kurz uns sprach zu Niklas gewandt: „Na ja, die Sache mit der Adoption war so: ich und mein Ex-Mann wollten ein zweites Kind, aber es hatte nie wirklich geklappt. So kamen wir auf die Idee, eines zu adoptieren. Es hat einige Zeit gedauert, der ganze amtliche Papierkram und so, aber dann haben wir sie endlich bekommen. Und das sie immer Unsinn baut, stimmt gar nicht. Was redest du da eigentlich, Christian?“ Sie lächelte. „Sie war so ein süßes kleines Mädchen, so unbekümmert mit einem strahlenden Lachen.“ Diesen Satz sprach sie mehr zu sich als zu Niklas.

„Wie war sie als Kind so?“, fragte Niklas, was nicht nur mich nervte, sondern auch meinen Bruder. Er schnaubte verächtlich und verdrehte genervt seine Augen.

„Können wir zu dem Thema kommen, weswegen wir hier sind.“, kam es nur knapp von ihm. Ich war seiner Meinung, denn auf  Kindergeschichten aus meinen Leben hatte ich gerade echt keine Lust. Am Ende musste ich vielleicht sogar selber noch was dazu sagen.

Meine Mutter seufzte wieder. Das Verhalten, dass von unserer Seite ausging, ging ihr sichtlich immer mehr auf die Nerven. Aber was will sie schon groß von pubertierenden Kindern erwarten.

„Also gut.“ Sie machte eine kleine Pause und schien zu überlegen. „Ihr seid alt genug und ich denke ihr werdet es dementsprechend gut auffassen können was ich euch gleich erzählen werde. Die Sache ist die: Ich und Niklas wollen und werden auch heiraten!“ War doch klar, dass sowas kommt. Na gut, es war ihre Entscheidung. Wenn sie es so haben wollte, bitte. Ich sah wieder zu ihr, in ihren Augen war Vorfreude zu sehen mit einem Lächeln erzähle sie auch schon weiter: „Niklas hat ein großes Haus auf einem sehr schönen Grundstück. Wir alle werden da einziehen. Werden Deutschland verlassen um in London ein neues Leben anzufangen.“ Was? Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke. Das war nicht ihr Ernst? Dass sie heiraten will verstehe ich noch, aber dass wir deswegen von hier weg müssen, damit sie glücklich wird… Warum kann sie uns nicht alleine hier lassen, warum müssen wir mit? Kaum hatte sie uns ihre Pläne erläutert, ging es auch schon los: „London!?“ Schnellte es auch meinen Mund. „Vergisst es! Niemals!“

„Was ist mit unseren Freunden? Mit meiner Freundin? Was soll ich ihr den erzählen?“, kam es geschockt von Christian und ich stutzte. Er hatte eine Freundin, seit wann denn? Aber er hatte Recht, was sollten wir ihnen erzählen.

„Ich werde nicht nach London gehen, vergesst es!“, protestierte ich. Warum?! Niklas brachte einige Argumente ein und versuchte, uns von dieser guten Idee zu überzeugen, doch bei uns stieß er genauso wie unsere Mutter nur auf Ablehnung.

„Ich bin 19 Jahre alt Mum! ich will nicht mit. Dann suche ich mir halt eine eigene Wohnung oder ziehe zu meinen Dad, damit habe ich kein Problem.“, fing mein Bruder mit seiner glorreichen Idee an. Verdammt! Warum war ich noch unter 18 Jahren, wieso musste ich gerademal 14 sein? Das ist nicht fair.

„Na gut, dann zieh‘ doch zu deinem Vater. Aber Ruby, du wirst dich wohl oder übel mit dieser Entscheidung abfinden und damit leben müssen.“ Der Gedultsfaden meiner Mum war definitiv gerissen, sie sah mich mit einem alles durchdringendem Blick an.

„Wir werden nach London gehen, ich habe von deinem Verhalten der letzten Jahre die Nase voll. Es reicht langsam.“ Sie versuchte mit aller Mühe sich nicht zu sehr im Ton zu vergreifen.

Ein lautes Nein von mir hatte gereicht und sie sprang auf:

„Ende dieses Schuljahres werden die Koffer gepackt, Anmeldeformelare habe ich bereits mit Niklas ausgefüllt. Du wirst ab dem nächsten Schuljahr auf ein Internat gehen!“, schrie sie beinahe schon. Mein Bruder grinste und murmelte irgendwas mit: „Hast du verdient!“, und fing dafür von mir gleich einen bösen Blick ein. Ich erhob mich ebenfalls und schrie:

„Ich werde meine Koffer nicht packen.“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und rannte davon.

„Wo willst du hin, komm sofort wieder her!“, rief sie mir noch nach, bis Niklas sie unterbrach und meinte, sie solle mir Bedenkzeit geben.



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