Zum Inhalt der Seite

Der Wert eines Lebens

[Kirito-centric]
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Postlude: The protector


 

_________________________________________
 


 

Postlude: The protector
 

_________________________________________
 


 

Aincrad, 56. Ebene, 17.08.2024, 03:41 Uhr
 

Die Front zählte zweiunddreißig Tote. Elf Frontkämpfer und einundzwanzig Mitglieder von Laughing Coffin. Neunundreißig Frontkämpfer hatten überlebt und elf rote Spieler von Laughing Coffin waren von der Front in das schwarze Gefängnis auf der ersten Ebene geschickt worden. Das waren die Fakten. Asuna seufzte und gestattete sich einen Moment der Schwäche, als sie ihren Blick über die anderen Spieler kreisen ließ, die ein behelfsmäßiges Lager außerhalb des Labyrinths errichtet hatten. Asuna hatte Fakten immer gemocht. In der Schule, noch bevor sie Gefangene von SAO geworden war, waren Fakten etwas Unverrückbares gewesen. Etwas Beständiges, das ihr ein Gefühl von Sicherheit verliehen hatte. Doch in keinem einzigen Geschichtstest oder einer Mathematikklausur hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, was hinter diesen Fakten stand.
 

Hinter diesen Fakten stand ein Kampf auf Leben und Tod. Ein Hinterhalt, der den Angreifern fast selbst zum Verhängnis geworden wäre. Ein Massaker in einer virtuellen Welt, von dem kein Außenstehender etwas mitbekam. Und Angst. Verzweiflung, Wut, Ohnmacht. Schuld. Die Front wollte Gefangene machen und war der roten Gilde stattdessen selbst in die Falle gegangen, bis sie nur noch die Wahl zwischen töten und getötet werden hatten. Vielen Frontkämpfer war erst mitten im Kampf bewusst geworden, dass sie es nicht fertig brachten, einen anderen Menschen umzubringen. Und es war ihr Ende gewesen …
 

Erst als einige Spieler wie Kirito die Initiative ergriffen und getötet hatten, hatte die Front zu kämpfen begonnen. Doch jetzt … Wohin sie auch blickte, sah Asuna nur trostlose Gesichter. Manche vor Schmerz verzogen, andere von Angst entstellt und wieder andere starrten nur stur ins Nichts. Wäre das hier die Wirklichkeit, dann würde Asuna ihren Zustand als Schock, ja beinahe als Trauma bezeichnen, doch in dieser virtuellen Welt würde sich die Statusanzeige der Spieler nicht verändern, egal, was für seelische Schmerzen sie auch auszustehen hatten.
 

Sie selbst spürte all diese Gefühle und noch etwas anderes: Mitleid und Dankbarkeit. Es war eine merkwürdige Mischung und es verwirrte sie, beides gleichzeitig zu empfinden, doch sie musste nur an Kirito denken und die widersprüchlichen Gefühle keimten wieder in ihr auf. Kirito saß abseits von dem Großteil der Front. Er lehnte an einem großen Felsbrocken und hatte den Kopf in den Armen vergraben. Vor ihm stand Argo, die kleine Spielerin, die Asuna schon seit dem Anfang von SAO kannte, und redete leise auf ihn ein. Kirito zeigte nicht eine einzige Gefühlsregung. Er nickte an den passenden Stellen und antwortete in kurzen knappen Sätzen, doch seine wahren Gefühle schien er sorgfältig unter Verschluss zu halten.
 

Da war wieder dieser Moment … Dieser Moment, als das System ihre Bewegungen nach Beenden des Skills eingefroren hatte und sie sich plötzlich einem Angreifer gegenübersah, dessen Schlag sie getötet hätte, wenn er sie getroffen hätte. Und dann war da Kirito gewesen. Wie aus dem Nichts heraus. Und er hatte ihr das Leben gerettet. Er hatte ihr das Leben gerettet und gleichzeitig ihren Angreifer getötet. Was musste das für ein Gefühl gewesen sein? Zu wissen, dass in diesem Augenblick irgendwo das NerveGear das Urteil vollstreckte …
 

„Du hast keine Ahnung!“ Asuna schrak aus ihren Gedanken, als sie Kiritos Ausbruch vernahm. Er war aufgesprungen und überragte Argo um fast anderthalb Köpfe. Die kleine Spielerin entgegnete etwas, das Asuna nicht verstand. Kirito machte eine wüste Geste und Argo machte sich wutschnaubend von dannen.
 

Einen Moment lang zögerte Asuna, doch schließlich machte sie einen Schritt auf ihn zu. Möglicherweise war es nicht die beste Idee, ihn jetzt ebenfalls zu überfallen, aber sie konnte ihn auch nicht alleine lassen, wenn es so offensichtlich war, dass er sich quälte. Entschlossen machte sie einen weiteren Schritt. Und noch einen. Erst als sie nur noch ein paar Meter von ihm entfernt war, hielt sie inne. Kirito hatte ihr den Rücken zugekehrt.
 

„Verschwinde, Argo“, sagte er, als er ihre Anwesenheit endlich zur Kenntnis nahm. „Ich bin nicht Argo“, antwortete Asuna. Kirito verkrampfte sich. „Lass mich allein, Asuna. Bitte …“ Seine Stimme, die eben noch voller Wut gewesen war, klang von einem Schlag auf den anderen gebrochen. Bitte … Das Wort war voller Hilflosigkeit. Er bat sie darum, allein zu sein und gleichzeitig hörte sie aus seinen Worten den verzweifelten Wunsch, dass irgendjemand bei ihm war.
 

„Du bist schon zu lange allein“, sagte sie schließlich. Kirito zuckte lediglich mit den Schultern. „Ich weiß, dass du das nicht wirklich willst, Kirito“, fuhr sie fort. „Wenn dir alles und jeder egal wäre, würdest du nie zu den Bosskämpfen auftauchen. Wenn es dir wirklich egal wäre, dann wärst du der Front nicht zur Hilfe gekommen. Die Menschen sind dir nicht gleichgültig und auch der Front bist du nicht gleichgültig. Sie verlassen sich auf dich.“ Der Junge vor ihr stieß ein kehliges Lachen aus, das eine Mischung aus Spott und Unglauben war. „Sie hassen mich“, stellte er nüchtern fest. „Und trotzdem bist du hier“, schnitt ihm Asuna das Wort ab. Einen Moment schwieg er. Sie wussten beide, dass er keine Erklärung hatte.
 

„Und wofür? Für zweiunddreißig Tote? Dafür, dass PoH entkommen ist?“ Asuna zuckte zusammen. „Was?“, flüsterte sie. „Er ist fort“, erwiderte Kirito, „Argo hat es mir eben gesagt. Er wird Leute um sich scharen, er wird ihnen den Gedanken in den Kopf setzen, dass der wahre Sieger nur derjenige ist, der das Spiel beherrscht. Der andere beherrscht. Er wird weiter morden und all das hier wird umsonst gewesen sein.“ „Es ist nicht umsonst!“, rief Asuna und wusste zugleich nicht, warum sie sich so sicher war. „Nein?“, fragte Kirito. „River ist vor meinen Augen gestorben und ich konnte nichts – nichts! – tun, um ihn zu retten. Wofür also war das, wenn wir nicht mal unsere eigenen Leute beschützen können!“
 

Sie schwiegen beide. Zum ersten Mal wurde Asuna bewusst, dass auch Kirito, der sonst immer so gelassen, ja fast kontrolliert war, Angst hatte. Immer war er derjenige gewesen, der alles im Griff hatte, ab und an etwas zu risikobereit vielleicht, aber doch immer wissend, was zu tun war. Jetzt bröckelte seine sorgsam aufgebaute Maske von ihm ab.
 

„Erinnerst du dich an den Bosskampf auf der ersten Ebene?“, fragte Asuna in die Stille hinein. „Ich dachte, ich muss sterben. Ich wollte nicht von diesem Spiel beherrscht werden, aber ich habe geglaubt es wenigstens versuchen zu müssen. Als Diabel gestorben ist, habe ich die Hoffnung verloren, aber er wollte, dass wir kämpfen, auch, wenn er wusste, dass er sterben würde. Im Gegensatz zu mir hast du nicht aufgegeben. Du hast gekämpft. Du hast dich ans Leben geklammert und gekämpft. Wenn du gefallen bist, bist du wieder aufgestanden. Du hast weiter gemacht. Immer und immer wieder. Aber, wenn du jetzt aufgibst, dann ist der Tod unserer Gefährten wirklich sinnlos.“
 

Die Anspannung in Kiritos Körper löste sich ein wenig. Sie merkte wie sein Blick über die zerklüfteten Felsen zum Eingang des Labyrinths wanderte. Über die Spieler hinweg und dann den Horizont entlang fuhr. Er dachte lange über ihre Worte nach. Asuna gab ihm Zeit. Kirito war immer stark. Manchmal musste auch er sich einen Augenblick der Schwäche gestatten. Außerdem … wenn Kirito jetzt aufgab, dann würde auch ihre Entschlossenheit wanken.
 

„Du … du weißt nicht, wie es sich angefühlt hat.“ Er ballte die Hände zu Fäusten und Asuna sah wie er am ganzen Leib zu zittern begann. „Ich habe mich selbst verloren. Ich habe Griffin sterben sehen und River und kurz habe ich geglaubt, dass sie auch Klein umbringen. Ich … ich habe nicht mehr nachgedacht … ich wollte, dass es aufhört. Ich habe mich verloren und wusste doch genau, was passieren würde, wenn ich dem Spiel nachgab. Ich … ich hatte Angst. Ich wusste es und es war mir egal. Es fühlte sich nicht mal anders an, als ein Monster zu töten.“ Er hielt inne und erschrocken stellte Asuna fest, dass seine Stimme sich je länger er sprach verändert hatte. Kirito weinte.
 

Minutenlang hörte Asuna ihm schweigend zu, ohne sich vom Fleck zu bewegen. Letztlich war auch der stärkste Spieler nur ein Mensch. Ein Junge, wahrscheinlich nicht viel älter als sie selbst, der schlicht und ergreifend mit der Situation überfordert war.
 

„Sie hatten recht“, sagte Kirito irgendwann, „ich bin nicht anders, als sie. Ich wollte Leben beschützen und trotzdem habe ich getötet – genau, wie sie.“ Die Art, wie er sich mit diesen Worten selbst verurteilte, erschütterte sie bis ins Mark. Mit jedem einzelnen Wort versetzte er sich einen Peitschenhieb. Vielleicht wusste er nicht, dass gerade das ihn anders machte. Laughing Coffin tötete ohne einen einzigen Gedanken an ihre Opfer zu verschwenden, doch Kirito brachte der Gedanke, dass er sein Schwert gegen Spieler erhoben hatte, fast um den Verstand. Dabei hatte er so viele gerettet. Nur, weil Kirito getan hatte, was nötig gewesen war, hatten andere den Mut gefunden sich zu verteidigen. In seiner Art nicht aufzugeben und sich PoH und Johnny Black offen entgegen zu stellen, hatte er den anderen Frontkämpfern Hoffnung gegeben.
 

Er hatte sie alle gerettet. Er hatte ihr Leben gerettet. Auch, wenn er Spieler getötet hatte, was unleugbar falsch war, änderte es nichts an der Tatsache, dass er sie gerettet hatte. Kirito hatte den Wert eines jeden einzelnen Lebens erkannt. Das war der Grund, warum er sich quälte und auch, warum er immer versuchen würde andere zu retten. Denn ein Leben bot viel mehr, als rote Gilde je erkannt hatte. Ein Leben bot Freude, Leid, Freundschaft, Wut, Liebe, Hass, Abenteuer und seine ganz eigene Welt. Es jemanden zu nehmen war, als würde man der Welt selbst ein Stück entreißen und sie der vielen Möglichkeiten berauben, mit der ein einzelnes Leben sie verändern konnte. Selbst hier in dieser virtuellen Welt waren es doch die Menschen, die sie formten und es waren die Menschen, die lebten. Die Menschen, die ihr Leben miteinander teilten und einander beistanden.
 

„Es gibt verschiedene Arten jemanden zu beschützen“, sagte sie nach einer Ewigkeit, „du glaubst, dass du versagt hast und in einer gewissen Weise hast du das auch. Wir alle. Aber du hast uns auch beschützt, Kirito. Diesen Schmerz, den du fühlst … Willst du ihn jemand anderen aufbürden? Du hast dir all die Schuld aufgeladen und bist stark genug sie zu tragen. Nicht alle sind so stark. Ich kann nicht begreifen, wie furchtbar das für dich sein muss, weil ich es nicht selbst empfinde. Aber ich weiß, dass du mich beschützt hast. Nicht nur, weil du mein Leben gerettet hast, sondern weil du mir erspart hast diese Schuld zu tragen.“
 

Asuna sah, wie Kirito sich etwas entspannte. Der Kampf, den er die ganze Zeit gegen sich selbst ausgefochten hatte, schien endlich ein Ende zu finden. Dennoch wusste sie, dass er immer noch litt. Dass er sich immer dieser Qual aussetzen würde. Die Schuld einem anderen Menschen das Leben genommen zu haben, konnte man nicht tilgen, aber man konnte leben und damit fertig werden. Kirito war noch am Leben. Alle, die hier versammelt waren, lebten noch und Asuna wusste, dass sie es dafür verwenden mussten, um weiter zu kämpfen und endlich diesem Spiel zu entkommen. Nicht indem sie überlebt hatten, würde sich etwas ändern, sondern wenn sie wahrhaft lebten und ihr Ziel niemals aus den Augen verloren.
 

„Du hast eine ganz eigene Art mit Worten umzugehen, Asuna.“ Fast behutsam riss der Klang seiner Stimme sie aus den Gedanken, aber in jeder Silbe lag auch eine Wärme, die vorher nicht da gewesen war. Endlich drehte er sich zu ihr um. Auf seinem Gesicht war keine Spur von Tränen mehr zu finden. Nicht einmal seine Trauer richtig auszuleben gestattete diese Welt, doch etwas hatte sich in ihm verändert. Kirito wirkte ruhiger. Es war, als wäre etwas tief in ihm an seinen Platz gerückt und eiserner Entschlossenheit gewichen.
 

„Bevor er starb sagte River zu mir, dass ich es beenden soll. Ich bin mir nicht sicher, ob er Sword Art Online oder den Kampf gegen Laughing Coffin gemeint hat, aber seine Worte verbieten es mir, jetzt aufzugeben.“ Langsam zog Kirito die schwarze Klinge aus der Scheide, die quer über seinem Rücken hing, und deutete mit der Klinge in den Himmel. Irgendwo über uns befand sich die hundertste Ebene. Unser Tor in die Freiheit. „Ich werde es beenden.“, sagte der schwarze Schwertkämpfer, „ich schwöre, ich werde dieses Spiel beenden und dafür sorgen, dass alle, die ihr Leben gelassen, nicht umsonst gestorben sind! Ich werde Sword Art Online besiegen!“
 


 

ENDE
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Lieber Niklas, liebe Leser,

dies ist nun der Postlude und somit das Ende dieser kleinen Fanfiction. Zugegebener Maßen habe ich gegen Ende mal wieder meine philosophische Ader ausgelebt - aber das musste ich auch, um 1. dem Titel der FF treu zu bleiben und 2. mag ich die Idee total, dass Kirito aufgrund dieser Erfahrung schließlich den Entschluss fasst Sword Art Online auf jeden Fall zu beenden.

Noch ein Wort zu den Charakteren, die gestorben sind. Griffin und River. Wie viele andere auftauchende Charaktere sind diese keineswegs im Sword Art Online Universum zu finden, sondern entstammen meiner Fantasie. Besonders River mochte ich dabei sehr. Um das ganze aber authentisch darstellen zu können, musste jemand sterben (die angegebenen Daten der Toten und Gefangenen entsprechen den Tatsachen). Vor allem auch dafür, dass Kirito wirklich all dieses Gefühlschaos durchleben kann. Es durfte auch kein Charakter wie z.B. Klein sein, der ja im eigentlichen SAO überlebt. Da ich dem Original so treu wie nur irgend möglich folgen wollte, bin ich daher auf OCs ausgewichen.

Ich hoffe, das Lesen hat ein bisschen Spaß gemacht und natürlich würde ich mich über jegliches Lob oder Kritik freuen. :)

Alles Liebe
moony Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  L-San
2014-07-14T13:59:24+00:00 14.07.2014 15:59


Yo, moony! ;D


Ich kann es nicht fassen, ich bin schon am Ende angelangt und stehe nächste Woche vor der Qual der Wahl. ;D
Wie dem auch sei, ich komme mal auf den Punkt.
Das Ende hat mir besonders mit deiner philosophischen Ader gefallen.
Das Kapitel war ja mehr aus Asunas Sicht beschrieben, ne?
Zumindest hat sie hier die beobachtende Rolle eingenommen und uns Lesern eben ihre Eindrücke widergegeben.
Dafür hatte ich zumindest keinen starken Zugang zu dem Protagonisten.
Klar, ich verstehe vollkommen seine Trauer und so, auch wie er gegen Ende dann einen Entschluss fasst und SAO bekämpfen will.
Aber so wirklich hat er mich nicht erreichen können.
Das ist der wohl einzige Kritikpunkt, den ich habe.^^
Ah, und noch eine Kleinigkeit.
Man setzt eigentlich kein Komma bei Konstruktionen wie 'auch, wenn ...' oder 'selbst wenn'.
Ansonsten, gutes Kapitel!
Ich würde ich ja wirklich auf eine Fortsetzung freuen, aber so muss ich SAO mal lesen. ;D
Jetzt hast du mich erwischt. ;D


LG
L-San




Zurück