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Du bist nicht hier

Im Wandel der Jahreszeiten
von

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Frühling

Frühling
 

Als die Kälte schwindet, scheint es, der Wald erwache zum Leben. Der Schnee ist geschmolzen, die Bäume erhalten langsam ihr Blätterkleid zurück.

Dieser ewige Kreislauf der Natur rührt mich. Zum ersten Mal seit jenem Tag spüre ich, wie sich der Anflug eines echten Lächelns auf meine Lippen schleicht.

Obwohl es nicht lange währt, glaube ich, mich einen kleinen Schritt fortbewegt zu haben, fort von der Schwärze.

Aber ich will nicht fort von dir.
 

Ein kühler Luftzug überzeugt mich, meine Hände in den Jackentaschen zu vergraben.

Ich weiß, dass ich nicht hier sein sollte. Jeder sagt es mir. Es sind die Erinnerungen, die das Herz zerschneiden, in tausend winzige Einzelteile, die sich nur schwer wieder zusammensetzen lassen.

Nirgends brennen die Erinnerungen stärker als hier, in diesem Wald, entlang unseres Weges.

Doch das ist in Ordnung. Ich möchte dir so nah wie möglich sein.
 

Weißt du noch, als ich dich aus den Augen verlor? Genau an dieser Stelle? Du warst so in die Schönheit und den Duft der Natur vertieft, dass du nicht gemerkt hast, wie weit du dich von mir entferntest. Besorgt rief ich deinen Namen, bekam jedoch keine Antwort. Schon damals fürchtete ich, dich zu verlieren, wenngleich ich nie erahnen konnte, wie schmerzhaft sich der wahre Verlust Jahre später anfühlen sollte.

Ich lief einige Schritte vor, hielt Ausschau nach dir. Auf halbem Wege kamst du mir bereits entgegen. Es hatte keinen Sinn, dich zu tadeln, das wusste ich, und bei deinem vergnügten Gesichtsausdruck hätte ich es auch nicht gekonnt.

Lachend schloss ich dich in meine Arme. Deine Lebensfreude machte mich ganz.
 

Ich versuche, bei dem Gedanken zu lächeln, genau wie ich es zuvor seltsamerweise geschafft habe, aber von einem Moment auf den anderen gelingt es mir nicht mehr.

Wieder bricht mein Herz auf, blutet, zerfließt. Nach Luft schnappend bleibe ich stehen, kneife die Augen zusammen. Die Frage nach dem „Warum“ drängt sich ein weiteres Mal in den Vordergrund.

Warum bist du gegangen?

Es ist nicht meine Schuld. Natürlich nicht. Ich habe alles versucht, um dich am Leben zu halten. Aber letzten Endes waren deine Schmerzen zu unerträglich, als dass du wie sonst lächelnd durch den Tag schreiten konntest. Ich sah es in deinen Augen, in deinen schwerfälligen Bewegungen.

Trotz allem, trotz dem Wissen, dass ich mir nichts zuschulden kommen ließ, suche ich nach Fehlern, kratze an dem Schorf meiner Wunde wie ein Masochist.
 

Was wäre, wenn...

Was wäre, wenn ich noch gewartet hätte? Noch ein Jahr? Eines, zwei – was macht das schon für einen Unterschied? Vielleicht hättest du dich wieder erholt. Vielleicht, womöglich, eventuell.

Ein Schluchzen entfährt mir. Falls du mir für irgendetwas die Schuld geben möchtest – Es tut mir Leid.

Es tut mir so Leid.

Verlass mich nicht. Bleib bei mir.
 

Ich rufe dich.

Ich horche.

Der Wald bleibt still bis auf das Zwitschern der Vögel und das Rauschen der Blätter.

Ich werde verrückt, möchte ich sagen, bevor ich mir erneut vor Augen halte, dass mich niemand hören wird.

Es ist unser Weg, aber ich bin die einzige, die ihn noch geht.

Und in diesem Moment scheine ich es erstmals zu verinnerlichen.

Du bist nicht hier.

Du kommst nicht wieder.



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