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El espadachín secreto

von

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The fair and honest Señorita

 

 

Erst kurz vor Tagesanbruch war es und ein dichter Nebel zog seinen Schleier über das schlafende Dorf. Die Hitze hatte sich über Nacht nicht verflüchtigt. Besonders wegen der heißen und feuchten Luft von der Nacht war sie bereits wach und erledigte alles Schweiß treibende zuerst. Die kastanienbraunen Haare waren zu einem schlichten Zopf gebunden und ihr Hosenanzug passte wie angegossen. Schon seit ihrem sechzehnten Lebensjahr arbeitete sie alleine in der Waffenschmiede ihres Vaters, der eines plötzlichen Todes gestorben war. Bevor es tagte, wollte sie die am meisten anstrengenden Tätigkeiten hinter sich haben und empfing noch keine Kunden. Da war das ohrenbetäubende Klopfen gegen die Schmiedentür selbstverständlich ein herber Schock. Immerzu hämmerte irgendwer gegen die Tür, obwohl noch nicht aufgesperrt war. Nur wegen des nervtötenden Geräuschs rief sie schließlich hinaus. „Ja doch! Ich komme!“

Eilend ging sie zur Tür, entriegelte und riss sie auf. „Wissen Sie nicht wie spät es ist? Es ist noch nicht geöffnet, Señor!“ Lange war es her, dass die junge Dame einen so barschen Ton an den Tag gelegt hatte, denn sie hatte sich verändert. Der ältere Mann mit dem dichten Bartwuchs sah sie beschwichtigend an.

„Entschuldigen Sie Señorita Alicia. Ich wollte einer der Ersten sein, damit ich auch als erstes rankomme. Es eilt müssen Sie wissen. Ich brauche dringend Ihre Hilfe.“ Der tiefstimmige Herr schloss die Tür hinter sich, denn er wollte nicht belauscht werden. „Es ist für einen guten Zweck! Ich will mich jetzt auch für die Gerechtigkeit einsetzen, so wie – nun ja, sie wissen schon, dieser Held Zorro. Deswegen möchte ich, dass Sie mir eine Fechtwaffe anfertigen. Das ist doch kein Problem, schätze ich? Dem jungen Vega haben Sie ja auch einen Degen gemacht, stimmt’s?“

Ganz große Klasse! Vielleicht hätte Diego es nicht gleich über die gesamte Plaza brüllen sollen!

Ihre Lippen verzogen sich zu einem lieben Lächeln. „Tapfere Männer wie Sie braucht dieses Land!“ Natürlich war Alicia skeptisch. Die Bauern forderten gerne alles Mögliche, aber selbst etwas tun, das machten nur die Seltensten. „Aber wen genau wollen Sie denn bekämpfen, Señor? Ist es nicht sehr ruhig da draußen? Sogar Zorro ist arbeitslos geworden.“ Direkt stimmte das nicht, denn die Armee hatte immer alle Hände voll zu tun, um das Land vor skrupellosen Banditos zu schützen. Aber er mischte sich nicht ein, solange das Militär seine Arbeit ordentlich machte. Sie auch nicht.

„Alicia! Ich bat Sie darum, mir einen Degen herzustellen. Können Sie es, oder nicht?“ Der Mann wollte nicht darüber reden, wofür genau er so etwas benötigte und das war immer mit Argwohn zu deuten. „Ich stelle keinem Bauer so etwas Gefährliches her, ohne den Anlass zu erfahren! Sonst schlagen sich einfache Leute hier bald die Köpfe ein! Es ist doch keine Rebellion gegen die Armee im Gange, oder?“

„Señorita!“ Jetzt wurde der Herr ungemütlich und griff sich das Mädchen am Kragen und schüttelte es einmal. „Sie machen mir eine Waffe! Ich zahle gut dafür! Hinterfragungen unerwünscht! Seien Sie lieber froh, wenn es Männer gibt, die Waffen benötigen, sonst würden Sie schon lange nichts mehr zu essen haben!“

Ihre kobaltblauen Augen funkelten gefährlich. „RAUS!“ Sie scheuerte dem Mann kräftig eine, gerade in dem Moment als die Tür erneut aufsprang.

„Hallo Alicia, tut mir leid, dass ich-“ Die Worte blieben dem jungen Mann im Halse stecken, als er die leicht angehobene junge Frau zusammen mit dem viel kräftigeren Kerl ausmachte und das ihrer Hand Klatschen ihn noch zucken ließ.  Ach du meine Güte…

„Wir waren noch nicht fertig, Vega! Komm später wieder! Es ist geschlossen! Das hier geht dich nichts an!“

„Wer wird sich denn gleich so aufregen?“ Beschwichtigend hob Diego die Hände, dabei ignorierte er geflissentlich den unhöflichen Tonfall des Bauern ihm gegenüber – wie gut dass er nicht kleinlich war so wie andere Menschen seines Standes –  und lief auf beide zu, legte ganz behutsam eine Hand auf den Oberarm des Größeren. „Jetzt lassen Sie erst einmal die Dame los!“

Aber jene Hand wurde sofort mit einem Ruck wieder gelöst und eine andere gegen seinen Brustkorb gestemmt und dem jungen Mann wurde ein deftiger Schubs verpasst, der ihn von den Socken haute. „Verzieh dich endlich!“

Jedes Mal aufs Neue musste man mitansehen, wie der junge Edelmann nicht für voll genommen wurde – wenn die nur wüssten, sie würden vor Angst schreiend vor ihm weglaufen…

„HEY! Sie können eine Frau doch nicht so behandeln!“

„Ach, und du willst was dagegen machen? Ich lasse mir doch nichts von einem halben Hemd sagen, was seine so genannte Freundin nicht einmal im Griff hat!“

Aber viel tun musste Diego danach gar nicht, da trat Alicia aus, sie nahm den direkten Weg gegen das Schienbein und platzierte einen zweiten Tritt direkt in seine Weichteile, was den Griff um ihren Kragen sofort löste.

„Da hast du, was du verdienst, du Scheusal!“

Natürlich musste ein junger Herr wie er einer Dame zu Hilfe eilen, so wenig sie diese Hilfe auch benötigte, wenigstens den Schein wahren sollte man.

Holla, die Waldfee, da bekommt man es ja mit der Angst zu tun. Selbst Lolita würde keinem Mann wagen dahin zu treten… Diese Erkenntnis war doch erschreckend, aber seit er klar darüber philosophieren konnte, fand er solche Frauen mehr als unterhaltsam. Es war also keine Frage mehr, ob er Alicia mochte oder nicht.

„Haben Sie sich etwa wehgetan?“ fragte Diego fürsorglich mit einem Lächeln und erhob sich. „Soll ich Ihnen helfen? Sie nach draußen begleiten?“

Jetzt tu doch nicht so freundlich…

„Ich brauch deine Hilfe nicht! Das büßt du mir, du elendes Weib! Ich komme später wieder, wenn dein Beschützer nicht mehr da ist!“ Der Sprechende krümmte sich und schleppte sich unter Schmerzen nach draußen.

Diego drehte den Kopf zur Tür und hörte noch draußen das leise Fluchen des Mannes. Wenige Männer konnten mit willensstarken Frauen umgehen, ohne einen Tobsuchtsanfall zu erleiden.

„Oh weh, er sinnt nach Rache! Sieht so aus, als muss ich etwas länger hier bleiben.“

„Blödsinn! Ich werde auch ein zweites Mal mit ihm fertig! Kein Grund sich Sorgen zu machen.“

Beide lächelten einander an und Alicia fiel daraufhin sofort etwas ein, deswegen rannte sie hektisch zu einer kleinen Ecke, wo sie die fertigen Waffenstücke platziert hatte und zog eine Waffe hervor. „Nicht schlecht, was?“ Stolz präsentierte sie Diego die von ihr hergestellte Waffe, um die er sie noch gebeten hatte und derjenige begutachtete schließlich das gute Stück mit einem bewundernden Blick.

„Gar nicht übel! Ganz und gar nicht! Die Waffe soll ein Geschenk sein, weißt du? Ich bedanke mich recht herzlich bei dir! Und bezahlen werde ich auch gleich.“ Diego holte unter seiner Weste einen Beutel Münzen hervor und Alicia stand im nächsten Moment mit offenem Mund da, zu groß war der Schock über die Summe. Sofort richtete sich ihr Blick mit dem gleichen ungläubigen Gesicht auf Diegos, dieser nickte nur zustimmend.

„Aber Señor“, sagte sie sanft aber bestimmt, „das ist viel zu viel Geld.“

„Ich kenne den Wert einer guten Waffe. Das hier ist eine.“

Der junge Mann legte den Beutel auf ihrem Tisch ab.

Überglücklich strahlte sie ihr Gegenüber an, am liebsten wäre die junge Frau ihm überstürzt um den Hals gefallen, aber sie wusste, was sich gehörte. Dennoch hatte sie ein Problem damit so viel Geld zu akzeptieren. „Ihr Vater wäre nicht so begeistert, wenn Sie sein Geld für so etwas ausgeben, da bin ich sicher. Die Hälfte tut es auch, oder?“

Diego ergriff gerade in dem Moment als sie nach dem Geldbeutel fassen wollte, höchstwahrscheinlich um ihn an ihn zurückzureichen, das Handgelenk der jungen Señorita und hielt sie so von ihrem Vorhaben ab.

„Nein!“ Der Blonde blieb konsequent und ließ auch nicht sofort ihr Handgelenk los, dabei blickte er mit seinen eisblauen Augen direkt in ihre kobaltblauen. Sofort schien das eisige Blau in das Meer von Kristallen einzudringen und sie gierig zu verspeisen. Alicia, deren Hand sich verkrampft hatte bei seinem festen aber schmerzfreien Griff, lockerte sich jetzt ein wenig. So direkt hatte sie ihm noch nie in die Augen gesehen und in dem Moment war es einfach um sie geschehen. Feststellend erkannte sie, dass seine Augen einfach unübertrefflich waren.

„Wenn du etwas brauchst, komm zu mir. Du bist mir der liebste Kunde.“ Wie unglaublich liebevoll sie in diesem Moment mit ihm sprach, bemerkte die Dame nicht.

Ein Schmunzeln huschte über Vegas Lippen – er verstand vollkommen, was sie damit ihm zu sagen versuchte. „Gerne. Bestimmt fällt mir auf dem Weg nach Hause noch etwas ein.“ Seine Stimme klang sanft und ein bisschen ertappte er sich doch, dass seine Augen und seine Stimme zweifellos in Flirtstimmung waren.

Ganz schnell raus hier, Diego, sonst geschieht ein Unglück…

Ihre Hand fiel kraftlos gegen ihre Seite, als Diego so jetzt aus heiterem Himmel losließ. Die Schmiedin umfasste ihr Handgelenk, was er gehalten hatte, und war noch zu fassungslos über diesen Moment als dass sie ein Wort an den jungen Mann richten könnte.

Alicia wirkte ein bisschen abwesend und er wedelte mit dem Degen vor ihrer Nase. „Du musst ihn mir einpacken, sonst wird dieser Naseweis nicht viel von seiner Geburtstagsüberraschung haben. Er soll ihn nämlich noch nicht zu Gesicht kriegen.“

Ihr Gesicht war feuerrot und ein bisschen erschrocken zuckte sie schon als Diego sich noch einmal mit einem Wunsch an sie wendete. „Oh, einpacken! Oh, mache ich! Sofort!“ Hektisch wurde die Dame und drehte sich herum, so ganz Herr ihrer Sinne war sie noch nicht, aber sie nahm den Degen schnell an sich, dabei drehte sie sich kaum wieder zu ihm herum und packte ihn sorgfältig ein.

Was für ein wunderschöner Morgen, den erlebt man selten… Vergnügt lächelte sie ins Blaue hinein und reichte ihm dann mit einem freudestrahlenden Lächeln das Werkstück.

„Auf bald, Diego!“ Der Angesprochene nahm die Waffe entgegen und schmunzelte ebenfalls, jedoch ein ganzes Stück dezenter als das Mädchen.

„Wir sehen uns.“

Mit diesen Abschiedsworten, die ohne Zweifel ein baldiges Wiedersehen versprachen, drehte er sich herum und ging. Vor der Tür noch war er glücklich hergekommen zu sein und jetzt mit seinem Geschenk nach Hause zu können. Der wird ja Augen machen. Das letzte Florett hat er erfolgreich im Kampf gegen mich zerstört, weil er so wild damit umgesprungen ist. Er ist eben noch nicht feinfühlig genug für so etwas. Der hier wird bestimmt länger leben.

Bei ihr herrschen ganz andere Gefühle vor. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte ein Mann ihre Hand gehalten und dann noch so einer. Sie vermochte gar nicht zu verstehen, was genau gerade mit ihr von Statten gegangen war, aber das war ihr gerade auch einerlei. Die Freude, jedes Mal, wenn er ihre Schmiede betrat, war immer sehr groß. Wahrscheinlich war sie für ihn wie so viele Frauen, die seinen Weg kreuzten, bestimmt hatte er unheimlich viele Verehrerinnen, die so wie sie ihm zum Opfer gefallen waren. Welch ein Ärgernis. Und ausgerechnet die, die du magst, scheint überhaupt nichts zu kapieren…

 

Auf dem Weg durch die Stadt liefen zwei junge Edelmänner mindestens zweimal aneinander vorbei, ohne den jeweils anderen auf irgendeine Weise zu realisieren. Diego weil er immer noch mit Bestaunen seines Geschenkes beschäftigt war und Juan, weil er die einfachen Bauern beobachtete. Er befand sich auf dem Marktplatz und erkundschaftete die Stände. An jedem Stand ließ er ein paar Centaros. Natürlich schenkte er keinem etwas, das hätten sie wohl auch sicher nicht so berauschend gefunden – nein er kaufte, von jedem. Am Ende musste er seine Ausbeute in die Taverne bringen, wo er für die Nacht untergekommen war. Unter seinen Errungenschaften war auch Schmuck. Er besah ihn – nichts als Schrott, fand er. Ein edler Herr wie er kannte sich mit so etwas aus. Schmuck, gemacht aus Eisen, so etwas trugen die einfachen Leute. Höchstwahrscheinlich beleidigte er die Frau, die hinter der Theke stand auch, aber er ging lächelnd auf sie zu und hielt ihr eine Kette unter die Augen. „Ein Geschenk! Ich dachte, dieses Schmuckstück ziert Sie, Señorita.“

Erstaunt holte sie tief Luft, schmachtete den gut aussehenden Mann an und ließ sich sogleich die Kette anlegen. Er war ja erleichtert, dass sie ihren Ansprüchen genügte.

Jetzt schenke ich einer einfachen Frau schon Schmuck! Aber was soll ich denn damit? Ich kaufte es, weil die Leute das Geld bitternötig haben…

Juan begab sich kurz darauf zu seinem Zimmer und war froh, dass die Sonne nicht in dieses schien und er so von der Hitze ein wenig geschützt war. Er legte sich aufs Bett und dachte darüber nach, wie er als nächstes vorgehen sollte. Denn eines hatte er, Zeit.

Eine junge Frau, die hübsch ist, sollte doch keine Probleme damit haben, sich einen Mann zu angeln. Womöglich will sie das gar nicht. Es gibt seltsame Frauen. Ob sie wohl auch in den Bandit verliebt ist? Vielleicht plant sie ja mit ihm davon zu laufen. Das wäre ein gutes Theaterstück. Romeo und Julia vielleicht? Ach, das ist herrlich. Bestimmt werde ich Spaß haben, diesen Gauner ein wenig zu ärgern.

Im Großen und Ganzen wusste er ja noch nicht einmal, wie sie ausschaute und trotzdem wollte er um ihre Hand anhalten. Vater wäre begeistert. Oder auch nicht? Eine verarmte Adelige. Bestimmt würde er das wieder nicht gut finden. Da kann sie noch so edles Blut besitzen. Er hilft armen Leuten nur sehr ungern aus Miseren. Im schlimmsten Fall mag ich sie dann noch. Aber eine Frau, die sich widersetzt und anstrengend ist, das ist nichts für mich. Wenn ich zuhause bin, will ich meine Ruhe haben und kein aufmüpfiges Weib, was mir andauernd widerspricht.

 

Nicht nur Diego war in aller Frühe auf in die Stadt gefahren, lange vor der Mittagshitze. Auch zwei hübsche Damen waren gemeinsam unterwegs.

Beide hatten einen Mantel umgelegt, um ihre Haut vor den Sonnenstrahlen zu schützen.

Sogar in den frühen Morgenstunden waren die ersten Sonnenstrahlen etwas was sie nicht ausgesetzt sein wollten. Die Frühjahrssonne war fast noch tückischer als die im Sommer. Man neigte dazu, sie allzu schnell zu unterschätzen. Sogar einen Hut hatten sie aufgesetzt, weil sie auf dem Marktplatz zeitig einkaufen wollten. Immer noch hatten sie den Großteil ihrer Dienerschaft entlassen müssen, weil sie einfach nicht mehr das Geld dazu hatten, um sie bei sich zu beschäftigen. Gerne hätte Catarina eine erfahrene Frau eingestellt, die ein wachsames Auge auf ihre Tochter Lolita warf. Das Sorgenkind der Familie hatte ja schon so oft bewiesen, dass sie so manche Regel gerne brach. Dabei musste die Ältere eigentlich still sein, denn sie war keinen Deut besser. Schließlich war sie über zwanzig Jahre verheiratet und himmelte trotzdem Zorro so sehr an, dass sie behauptete, er würde ihr gehören. Doña Catarina hatte sowohl ihrer Tochter Lolita als auch Diego vertraut, dass sie sich anständig benahmen und sich ihrem Stand entsprechend zu beherrschen wussten. Vor allem vom ruhigen Diego war sie mehr als schockiert. Sie hatte diesem Feigling nicht zugetraut, dass er Hand an ihre Tochter legen könnte, dabei übertrieb sie natürlich maßlos in der Beschreibung, was genau vorgefallen war. In ihren Augen war es gefährlich, einen jungen Mann wie ihn einfach machen zu lassen, zu bauen auf seinen Edelmut, dass er sich schon zu zügeln wusste. Es war eine glatte Unverschämtheit, was er sich angemaßt hatte, eine Tochter aus gutem Hause mit einer solchen Respektlosigkeit zu behandeln. Statt endlich mal zur Potte zu kommen und anständig wie es sich gehörte um ihre Hand anzuhalten. Seitdem hatte die Hausherrin jeglichen Kontakt der Beiden unterbunden. Wenn der gnädige Herr Lolita wirklich liebte, dann würde er sich die Sache durch den Kopf gehen lassen und je mehr er sie vermisste, umso besser. Vielleicht wurde er dann endlich entscheidungsfreudiger. Catarina glaubte, dass es einfacher war einen jungen Mann seines Alters zu manipulieren, wenn sie ihm einfach gleich alles entsagte. Sollte er doch die Fassung verlieren vor Sehnsucht… Bis ihm keine andere Möglichkeit mehr blieb, als sie entweder ganz zu verlieren, oder endlich den Schneid aufzubringen, bei ihnen vorzusprechen. Aber von der schnellen Sorte war der Herr wahrlich nicht. Sie wusste auch nicht, was plötzlich in ihre Tochter gefahren war. Niemals hätte ihre Mutter für möglich gehalten, dass sie gerade bei Diego so etwas Dreistes mit sich machen lassen würde. Zwar hatte sie durchaus bemerkt, dass sich die beiden einander angenähert hatten, aber mit so etwas rechnete man doch nicht. Das war ihr noch nie untergekommen, so etwas Unverfrorenes von einem ruhigen Mann wie ihm. Dass Diego besser wusste, was sich gehörte, davon war die dunkelblonde Frau ausgegangen. Es waren wohl sämtliche Pferde mit ihm durchgegangen. Spaß konnte er sich gern woanders holen, aber nicht in ihrer Familie. Das duldete sie nicht. Leider war es nicht beim bloßen Ausschimpfen geblieben. Gleich am nächsten Tag hatte sie Alejandro auch gleich mitgeteilt, dass sich Diego unmöglich aufgeführt hätte und sie so etwas nicht mehr erleben möchte. Der war natürlich wie vom Donner gerührt. Seitdem herrschte wahre Eiszeit. Sie war sehr gespannt, wie lange der Gute das aushielt. Da hatte sie auch klipp und klar gesagt, sie hätte nichts dagegen, dass er Lolita heirate, aber davor wurde nicht genascht. Davon versprach sich die Adelige natürlich, dass der Herr endlich den Hintern hochbekam, aber bisher hatte er nichts dergleichen getan. Ihre Mutter verstand sowieso nicht, was in die Kinder gefahren war, so etwas heimlich zu tun. Natürlich sah Lolita auch gar nicht ein, auf ihre Mutter zu hören – so wie immer – da musste sie eben härtere Geschütze auffahren. Jetzt durfte sie eben gar nichts mehr. Nicht alleine von zuhause weg, so wie sie es gewohnt gewesen war – kurzum, es gab kaum eine Möglichkeit ihn irgendwo alleine zu treffen. Dem diesem Früchtchen traute sie durchaus zu, dass er sich nicht an das Verbot hielt. An sie heran gemacht hatte er sich schließlich auch, dazu fehlte ihm dann wohl nicht der Mut. So etwas konnte sie nicht durchgehen lassen, da musste sie doch handeln, oder? Für sie stand fest, dass so etwas kaum von ihrer Tochter ausgegangen war. Diese musste man ja eher schlagen und treten dazu, auch nur sich mit dem Gedanken anzufreunden, Diego zu akzeptieren. Es ergab für die Doña einfach keinerlei Sinn. Außer dass ihre Tochter wütend, eingeschnappt und verletzt gewesen war, weil Señor Zorro mit Abwesenheit glänzte und wohl nicht die großen Gefühle für sie hegte, wie sie zunächst geträumt hatte.

Hach diese romantische Jugend heutzutage.

Entweder war er genauso ein Feigling, oder einfach gar nicht so vernarrt in Lolita, als dass er unmaskiert sich mal auf gefährliche Pfade begeben hätte. Jeder in dieser Stadt würde den erstbesten Mann für Zorro halten, sollte er die Pulidos besuchen, um vor Lolita niederzuknien. Trotzdem hatte sie etwas Dergleichen sicher erwartet. Um ehrlich zu sein, es war eine romantische Illusion, auf die ihre Tochter wohl ernsthaft gebaut hatte. Aber ein Mann wie Zorro, der hatte sicher Gefallen daran, der ein oder anderen Dame den Kopf zu verdrehen. Inklusive ihrer Wenigkeit, wofür sie sich ehrlich gesagt doch entsetzlich schämte, ganz anders als ihre Illusionistin von Tochter. Die Gram musste groß sein, dass sie sich sogar von Diego küssen ließ und sich nicht einmal wehrte – und das hatte sie allzu deutlich gesehen. Seine frechen Lippen hatten nämlich länger als eine Sekunde auf Lolitas gelegen. Eigentlich fand sie es ja positiv, dass dieser Weiberheld eben nicht bei ihnen aufgetaucht war. Die Vorstellung, ihre Tochter an einen Bandit zu verlieren fand sie dann doch nicht so gut. Eine Einstellung, die sie mit ihrem Mann Carlos teilte, der Diego am Ende eben doch besser gefunden hatte, weil er wenig Ärger bedeutete. Er neigte keiner Gefahr zu, würde nicht eines plötzlichen Heldentodes sterben. Zorros Leben hatte stets am seidenen Faden gehangen.  Sie alle wollten nur ein glückliches und zufriedenes Leben führen, ohne Gefahren, ohne Ängste aushalten zu müssen.

Catarinas Hand schlang sich um Lolitas Handgelenk, als sie auch nur den Anschein machen wollte, sich ein bisschen mehr von ihr zu entfernen. Die Tatsache, dass Diego Vega nicht weit von ihnen entfernt auszumachen war, trug mächtig dazu bei, dass sie ihre Tochter ganz besonders fest hielt, von der sie schon wusste, dass sie am liebsten hingerannt wäre.

„Benimm dich! Du rennst mir nicht zu ihm hin, verstanden? Eine Dame rennt doch nicht hinter einem Mann her! Der Mann rennt gefälligst hinter der Frau her und macht ihr anständig den Hof, so wie es sich gehört. Und damit meine ich nicht, dir Worte ins Ohr zu hauchen und dich zu irgendwas zu verführen.“ Lolita wusste ganz genau, was ihre Mutter damit sagen wollte. Es war seine Aufgabe, zu ihnen zu kommen. Noch nicht einmal auf dem Markt war es ihr nun erlaubt, sich ihm anzunähern, dabei war es doch harmlos gewesen – oder? Sie verstand die Engstirnigkeit ihrer Mutter kein bisschen, ebenso wenig wie ihre Strenge, die sie jetzt bewies. Auf der anderen Seite wusste auch Lolita, dass man keinem Mann nachrannte, das hatte sie bisher auch nie für notwendig gehalten. Er war immer ganz brav hinter ihr her gerannt und hatte alles für sie getan. Diese undankbare Aufgabe, das Warten.

Willst du uns jetzt etwa ignorieren? Oh bitte! Ist er jetzt allen Ernstes beleidigt? Was geht nur in diesem Kerl vor? Das kann nicht sein Ernst sein!

Ganz genau sah die Blondine, dass ihr Jugendfreund den Blick auf sie gerichtet hatte und wie er gleich darauf die Arme verschränkte. Was leider vielsagend war.

Ich kann es nicht fassen! Was für Machtspielchen treibt ihr miteinander? Und wieso soll ich darunter leiden? Jetzt beweg dich gefälligst hierher! Wenigstens grüßen kannst du wohl, oder? Und ich dachte wirklich, du hast all deinen Stolz verloren, als du in deine Rolle geschlüpft bist. Anscheinend aber doch nicht. Wieso fällt dir ausgerechnet jetzt ein, Stolz zu besitzen? Würde?

Aus der Tavernentür kam Gonzales, der beide Damen ebenfalls sichtete und ihnen mit einem Handgruß einen guten Morgen wünschen wollte, während Diego weiter bockig nur zu ihnen rüber starrte, was er dann auch bemerkte. „Du hier? Ist es nicht ein bisschen zeitig für dich um in der Stadt zu sein? Stimmt was nicht zwischen euch?“

„Ich bin verärgert!“

Gonzales verstand nichts von dieser Materie und schon gar nichts davon, was in Diegos Kopf war, obwohl er es gerne gewusst hätte. „Verärgert?“

„Ich kann nicht ausstehen, wenn man mich unter Druck setzt. Und gerade das wird hier auch gespielt. Aber nicht mit mir, da beißen die mir aber auf Granit. Wer bin ich denn?“

Gut Miene zu bösem Spiel nannte es sich, lächelnd zu Doña Pulido und ihrer Tochter hinzusehen und ihnen einen schlichten Handgruß zu schenken.

„Muss ich das verstehen?“

„Doña Pulido möchte die Sache vorantreiben, indem Sie uns beide beeinflussen“, erklärte Diego. „Ihnen dauert unsere Freundschaft zu lange. Sie wollen lieber, dass wir hurtig den Bund der Ehe eingehen. Deswegen dürfen wir uns jetzt höchstens auf 100 Meter entfernen ansehen. Toll was? Wären wir irgendwelche Bauernkinder würden wir des Abends einfach davon laufen, uns leidenschaftlich im Heu lieben und erst dann heiraten, wenn ein Unglück passiert ist. Aber wir sind in den Genuss gekommen, leider einen guten Namen zu besitzen, dessen Ehre zu wahren ist.“

„Davon verstehe ich nichts, aber nicht jeder Bauer benimmt sich so ungebührlich. Das muss ich widerlegen, denn ich würde so etwas keinem Mädchen antun. Denk doch nur an die Ehre der Señorita.“

„Mann und Frau ist nicht vergönnt, eine schlichte Freundschaft  zueinander zu pflegen. Nein, wo denken wir hin? Ihnen ist vorbestimmt, entweder gar nichts zu pflegen oder zu heiraten. Waren Sie je mit einer Frau einfach nur befreundet? Ich leider schon ein Dutzend Mal.“ Es klang, als würde Diego das überhaupt nicht jucken, aber ehrlich gesagt war es ihm lästig. Rechtfertigungen für so etwas. Nur leider ist es nicht so einfach wie es aussieht. Ich wünschte mir gerade einfach, dass ein anderer die Dreckarbeit macht, um ihre Hand anzuhalten, dann kann ich eingreifen. Aber so. Die Leute würden doch sonst was denken. Turteltäubchen spielen können wir auch nicht in der Öffentlichkeit. Das käme viel zu unerwartet. Sogar ihre Mutter war total entsetzt und erbost. Wenigstens weiß ich jetzt, dass man mir NICHTS zutraut. Rein gar nichts. Schneller ist nicht gleich besser. Wahrscheinlich denkt ihre Mutter tatsächlich, dass man mich erpressen kann. Es ist nichts anderes. Entweder du heiratest sie, oder du tust gar nichts mit ihr.

Gonzales hörte das bis aufs Äußerste genervte Seufzen, was er von Diego bekam. „Freundschaft? Darüber würde ich mir aber Gedanken machen. So etwas geschieht doch sicher nicht grundlos! Du hast doch nicht etwa irgendetwas bei ihr probiert, oder?“ Aus heiterem Himmel, ihnen den direkten Kontakt zueinander zu verbieten, sah den Pulidos gar nicht ähnlich. „Vielleicht solltest du dich einfach endlich einmal trauen“, flüsterte er in Diegos Ohr.

„Es geht nicht ums Trauen – das sind schlichte Machtspiele.“

„Ich glaube, dass es Lolita sehr beeindrucken würde, wenn du mal ein bisschen Mut hättest. Das wollte sie ja immer.“

Es ärgerte Diego, jetzt umso mehr. „Wenn Sie mir nicht zuhören, Sergeant Gonzales, können Sie es auch lassen, so zu tun als würden Sie es.“ Der junge Mann drehte um und ließ Gonzales stehen, der so überhaupt nicht verstand, worauf Don Alejandros Sohn hinaus wollte. Dieser lief zwar seines Weges, aber Gonzales stürzte ihm hinterher. „Was meinst du damit denn schon wieder? Ich habe dir doch zugehört.“

„Aber anscheinend nichts verstanden.“ Wenn man Diego zugehört hatte, wieso zum Teufel sagte er immer noch, ihm würde der Mut fehlen? Es ging hier um etwas völlig Anderes. „Es geht darum, dass unsere Freundschaft geduldet war, solange es den Anschein machte, dass sie in einer Heirat endet. Anscheinend fürchtet sich ihre Mutter davor, dass ich mich nicht an Abmachungen halte. Das ist eine haltlose Unterstellung. Sie bestraft mich, indem sie uns den Kontakt untersagt. Ich soll nämlich nur brav tun, was die Herrschaften wollen. Das gefällt mir nicht.“ Immer noch hatte Diego die Arme verschränkt und beobachtete die beiden Frauen aus den Augenwinkeln. Ohne näher heranzugehen, sah er auch ihre Versuche ihm Blicke zu schenken. Er fragte sich dabei die ganze Zeit, wie verzweifelt sie werden musste, dass sie aus ihrem Gefängnis ausbrach, um sich hemmungslos in seine Arme zu stürzen. Bisher war sie jedenfalls brav, das war sehr schade.

„Manchmal muss man auch ein bisschen von seinem Stolz einbüßen, wenn es die Liebe zu einer Dame erfordert. Bisher glaubte ich eigentlich, dass sie dir wichtig wäre. Ist dem nicht so?“

„Wirke ich gleichgültig?“

„Andernfalls würdest du etwas unternehmen. Vermisst du sie nicht?“

Furchtbar… ich vermisse sie furchtbar. Aber hinrennen? Jetzt sofort? Niemals.

Als Antwort bekam der Sergeant Schweigen, was ihn seufzen ließ. „Und was machst du, wenn Zorro auftaucht, um sie zu seiner zu machen? Zuschauen?“ Es gab nichts Schlimmeres in dieser Welt, als diese Vorstellung in seinem Sinn. Er schätzte, was der Bandit getan hatte, aber es wäre schrecklich, Diego leiden zu sehen. Wenn er jetzt noch kühl war, dann doch nur, weil er nicht mit dem Rücken zur Wand stand.

Die Frage klang lustig, deswegen entkam dem Angesprochenen auch sogleich ein Lachen. „Ich halte Zorro nicht für dämlich. Sollte er auftauchen, wird die Armee ihn doch sofort festnehmen. Und das nur für eine Frau. So blöd ist kein Mann.“

„Ach, darauf baust du? Na dann unterschätze nicht die Macht der Gefühle. Bisher war Lolita diesem Bandit wichtig genug, dass er immer zu ihrer Rettung eilte.“

Davon will ich jetzt so gar nichts hören, das weiß ich selbst.

Ein klein wenig zu beschwichtigen wäre nun ganz gut. „Das sehe ich anders. Er ist zu jedermanns Rettung geeilt, sollte es auch nur im Ansatz nach Ungerechtigkeit stinken.“ Natürlich war das eine Ausrede, ein bisschen Gesicht wahren war sicherlich nicht verkehrt.

Zu ihrem Leidwesen mussten sie mitansehen, wie ein junger und gut aussehender Herr sich den beiden Damen näherte, was aber Diego nicht aus der Ruhe brachte, ganz im Gegenzug Gonzales, der sofort einen schockierten Gesichtsausdruck annahm. Seine Augen erfassten die des Mannes, der zwar noch nicht wusste, wie Lolita aussah, aber das vielleicht dummerweise gleich spitzbekam. Immer noch fand er diese Idee nicht gut und für einen Moment wollte er seinen vorlauten Mund aufmachen. Aber in der Vergangenheit hatte er sehr viel Ärger bekommen. Es ging hier gerade schließlich darum Zorro in eine Falle zu locken – aber er konnte das einfach nicht gutheißen!

„Gott steh mir bei!“ flüsterte er und zog damit eigentlich nur die Aufmerksamkeit Diegos auf sich.

„Was ist los?“

Ertappt zuckte der dickere und schielte ängstlich zu Diego hinüber. „Nichts, nichts!“

Nach nichts sieht das nicht aus! Was macht dich jetzt schon wieder so nervös?

Es war ja so, dass Gonzales schnell nervös wurde… Er sah zu dem Älteren und folgte dessen Blick, da fiel ihm der junge Mann auch auf. Seiner Kleidung zur Folge hatte er Geld im Übermaß – schlimmer wahrscheinlich noch.

„Kennen Sie den Mann? Er scheint mir neu in der Stadt zu sein.“ So wie immer versuchte Diego natürlich etwas aus Gonzales herauszubekommen.

Da stinkt etwas, drei Meilen gegen den Wind…

 

Juan ging seines Weges. Die beiden edel gekleideten Leute waren ihm zwar aufgefallen, aber in dem Moment war es nicht so, dass man ihm genügend Beschreibungen überlassen hätte, dass er Lolita spielend leicht erkannt hätte. Sie fiel ihm auf, anhand ihrer etwas vornehmeren Kleidung, ebenfalls dass sie mit ihrer Mutter unterwegs war. Lolita hatte ihn ebenfalls gesehen und machte artig Platz, damit er an ihnen vorbei konnte. Es waren flüchtige Blicke, die sie teilten – aber großes Interesse wirkte anders. Er muss neu in der Stadt sein. Reich sieht er aus…

Neutrale Gedanken, aber ihre Mutter strahlte gleich übers ganze Gesicht. „Ein edel aussehender Herr, findest du nicht, Lolita? Und jetzt freundlich lächeln.“

Ich glaube es nicht…

Die Tochter kannte ihre Mutter und wusste, was sie ihr damit mitteilen wollte. Sie sollte den Herrn Anlächeln, ihr gutes Aussehen würde den Rest machen. Meinte sie es so?

Jetzt, nachdem man es so gesagt hatte, versuchte Lolita den Blick des Mannes zu meiden, damit sie ihm ja nicht auffiel.

„Diego starrt immer noch in unsere Richtung“, frohlockte Catarina, „vielleicht solltest du ein bisschen mit dem jungen Mann flirten? Vielleicht gibt ihm das einen Ansporn.“

Bitte was? Das kann ja nicht ihr Ernst sein! Das mache ich ganz bestimmt nicht. Das erlaubst du mir also? Es ist unglaublich… Aus Liebe einen Mann küssen, verbietest du, aber fremde Männer bezirzen ist plötzlich okay. Ich fange an zu verstehen, wie du Papa herumbekommen hast. Bestimmt war er furchtbar verzweifelt, weil du mit ihm spieltest, indem du ihn erst angeflirtet hast und dann hast du ihn wie Luft behandelt, damit er dich erobern kann.

Lolita spürte, wie ihre Mutter ihr Handgelenk fester ergriff und sie anschließend hinter sich herzog, direkt in die Richtung des Mannes.

„Guten Morgen, Señor! Ich habe Sie hier noch nie gesehen“, suchte sie sofort das Gespräch mit dem Mann, während sich Lolita entsetzlich für ihre aufdringliche Mutter schämte. „Seid Ihr auf der Durchreise, oder plant Ihr länger in dieser Stadt zu bleiben?“ fragte sie und Juan, der sich jetzt angesprochen fühlte, nahm seinen Hut ab und verbeugte sich vornehm, was man sonst nur am spanischen Hofe zu sehen bekam. „Einen wunderschönen guten Morgen, die Damen! Ich bin geschäftlich hier, werde allerdings eine ganze Weile in dieser Ortschaft bleiben. Mein Name ist Juan de la Cruz! Dürfte ich die ihren Namen erfahren? Ist die reizende junge Dame Eure Tochter, Señora?“

„Oh gewiss!“ Doña Catarina lachte hinter vorgehaltener Hand und nahm Lolitas Schultern und schob sie direkt vor sich. „Mein Name ist Doña Catalina Pulido“, sagte sie und sofort regte sich etwas in Juans Gesicht, ein klein wenig Überraschung spiegelte sich in seinen Augen wider.

Ich kann mein Glück kaum fassen…

Diese Stadt war klein und hatte kaum 500 Bewohner, da war es natürlich nur eine Frage der Zeit, dass sie sich begegnen würden.

„Das hier ist meine Tochter, Señorita Lolita Pulido“, stellte sie ihre Tochter auch gleich vor – und das ganz besonders gewitzt, indem sie gleich offenbarte, dass sie ledig war.

Kann sich bitte ein Loch auftun und ich werde verschluckt, bitte!!

Lolitas Blick ging zu Boden und Juan wunderte sich darüber doch ein wenig. So zurückhaltend habe ich mir die Dame nicht vorgestellt…

„Freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Señorita Lolita“, sprach Juan sofort in einem äußerst charmanten Ton und ergriff die Hand der jungen Schönheit, welcher sofort die Luft im Hals stecken blieb, als seine Hand ihre ganz vorsichtig und sanft in seine nahm und unweigerlich ihre Augen hochschnellten und auf seine attraktiven Smaragde trafen. Gut aussehend, charmant und wohl auf den ersten Blick liebenswert. Jetzt falle nicht auf so etwas herein! Er scheint edler Herkunft zu sein. Sie sind alle gleich. Nett, zuvorkommend, charmant.

„Die Freude ist ganz meinerseits“, sagte sie höflich und beobachtete ihn ganz genau. Am liebsten wollte sie auf der Stelle ihre Hand wegziehen, aber ihre Mutter würde sie für solch ungebührliches Verhalten sicher bestrafen, wenn sie schon wollte, dass sie Diego zur Weisglut brachten.

Das wird ihn kaum jucken, Mama. Für wie einfältig hältst du ihn?

Es kam wie es kommen muss, der galante Herr küsste ihren Handrücken, für eine zehntel Sekunde vielleicht, aber es war ihr mehr als unangenehm, dass Diego anscheinend zusah. Sofort nahm sie ihre Hand runter und wollte ihm nicht mehr als notwendig zu nahe kommen.

Diego glaubte, ihn tritt ein Pferd. Die Unverschämtheit, mit der Lolitas Mutter einen fremden, edlen Herrn anredete, schockierte ihn ja beinahe. Nicht nur das, sie präsentierte ihre Tochter wie eine Kuh auf dem Basar. Sie schreckte wohl vor gar nichts zurück, um ihn zu ärgern. Er fühlte sich geärgert, sehr sogar. Das war doch alles gegen ihn gerichtet. Damit wollte sie ihn nur unter Druck setzen.

„Ich glaube, ich platze gleich.“ Die Art und Weise wie Mütter ihre Töchter an den Mann zu bringen versuchten, hatte ihn schon immer angewidert. So ähnlich hatte man auch ihm Mädchen vorgestellt, die Hoffnung der Mütter hatte er in deren Augen gesehen. Catarina stellte Lolita mit dem Stolz einer Edeldame vor, das entging ihm zweifellos.

„Hast du was gesagt, Diego?“ fragte Gonzales stichelnd, denn bis eben hatte Diego den Gleichgültigen gespielt, jetzt wollte er schon platzen? Das war amüsant.

Einen Teufel würde er tun, sich einzumischen. Lolita verstand es sehr gut, Männer abblitzen zu lassen, die ihr nicht zusagten. Seine Freundin lebte die Überzeugung, eines Tages aus Liebe zu heiraten und das Wissen, dass sie ein Leben an seiner Seite wünschte, ließen ihn ruhig genug bleiben, um nicht vor Zorn aufzuschreien. Aber man sah ihm zumindest an, dass es ihn nicht kalt ließ.

„Hätten Sie wohl Lust uns des Weges zu begleiten, Señor? Edle Männer trifft man bei uns eher selten.“

„Mit Vorliebe, meine Damen.“

Ihre Mutter ist wirklich verzweifelt…Wenn sie schon einen Wildfremden direkt auf der Straße anspricht…

Lolitas Gesicht sah nicht aus, als wenn sie besonders begeistert war. Es stimmte also, dass sie nicht den Wunsch hatte, möglichst bald in den Hafen der Ehe einzulaufen. Für einen kleinen Moment tat es ihm sogar Leid, dass er dieses Spiel spielte.

So unglückliche blaue Augen. Sollte ich wohl ein schlechtes Gewissen haben, so mit ihr zu spielen?

Juan lächelte und sagte sich, dass er wenigstens ehrlich bleiben sollte. Keine Lügen. Aber sein Vorhaben stand immer noch. Er würde sich ihrer annehmen und es ihr nicht leicht machen, ihn abzuweisen. Aber ein bisschen erhoffte er sich das. Enttäuscht wäre der Edelmann, wenn sie es ihm am Ende doch einfach machen würde. Bestimmt wünscht sie sich schon jetzt, dass ihr Held auftaucht, um sie zu erretten? Ich darf es jetzt keinesfalls überstürzen…

 

Die Tage zogen ins Land wie der erste Frühjahrssturm. Wirbelte Staub auf, endete in einem heftigen Regenguss und hinterließ nichts als Chaos und Dreck. Aber ein Gutes hatte es. Kühlte erhitzte Gemüter ein wenig ab. Brachte einige Leute wieder zu Verstand. Aber die heftige Gerüchte Glut die zu lodern begann breitete sich aus wie ein Lauffeuer.

Wer die Gerüchte wie Salz in die Wunde streute war offensichtlich. Weder Gonzales, noch Jekyll mussten viel tun, ebenso wenig wie der junge Juan de la Cruz. Alles lief wie geschmiert und in einer Selbstverständlichkeit ab, dass sie am Verstand der guten Dame zweifelten. Von der Amtsstube, wenn sich gerade einmal die Gelegenheit bot, beobachteten Sie Doña Pulido, die in den höchsten Tönen von dem Fremden schwärmte. Sie könnte ihre Tochter auch gleich einem Wolf zum Fraß vorwerfen, jedenfalls machte sie den Eindruck, sich nicht allzu sehr zu sorgen.

Mehrere von den jungen Damen kamen mit Juan selbst ins Gespräch und auch sie mussten erkennen, dass er ein feiner Herr war, der durch seine Wohlerzogenheit glänzte, wie andere mit frisch gewachsten Schuhen. Bald behandelten die Frauen ihn wie einen regelrechten Fürsten. Mit Diego wurde nie so umgesprungen, wobei es ihm nicht weniger zustand, als dem jungen Aristokraten. Nicht viel Zeit verging, da wussten alle Mütter von reichen Töchtern, wie vornehm der Herr wirklich war, wie viel Geld er besaß und das allerschlimmste, dass er nicht nur der Sohn eines Dons war, sondern sein Name tatsächlich gutes Blut versprach. Den Namen De la Cruz hatte man in der Vergangenheit schon einmal gehört, was aber nur die Ältesten des Dorfs wussten.

„Etwas an dieser Sache behagt mir nicht. Wir wissen überhaupt nicht, unter welchem Antrieb der junge Herr in die Stadt gekommen ist. Ich würde Sie bitten, Gonzales, die Sache ein bisschen besser im Auge zu behalten. Schnappen Sie sich einen jungen Soldaten und stellen Sie ihn ab, um ein Auge auf die Familie zu haben. Ich möchte nicht, dass irgendwem etwas zustößt. Einfach so einem Fremden zu vertrauen. Ihn ins Haus einzuladen. Das ist äußerst töricht. Was wenn der junge Mann lügt? Das wäre ja immerhin möglich, oder nicht? Was gibt uns die Garantie, dass er am Ende auch Wort hält? Er könnte genauso gut eine Rechnung mit Zorro offen haben und ihn am Ende töten.“

„Das fällt Ihnen jetzt ganz plötzlich ein? Ich war von Anfang an nicht begeistert von der Idee, aber nie hört jemand auf mich. Aber ich bin froh zu hören, dass Sie noch so viel Altruismus besitzen, sich um einen Bandit zu sorgen.“

„Blödsinn! Um diesen Bandit muss sich keiner sorgen! Ich sorge mich eher um das Wohl einer Dame!“ fuhr Jekyll seinen Untermann an und dieser zuckte.

„Habe nie etwas gesagt! Entschuldigen Sie!“

Wie man es drehte und wendete, auch wenn er es leugnete, er war besorgt um denjenigen, mit dem dieser Juan ein Gefecht führen wollte.

Und Gonzales – der hatte einfach nur Mitleid mit Lolita, die so benutzt wurde, um ihn zu fangen. Hoffentlich doch fiel sie nicht auch noch auf den Scharlatan herein. Bestimmt war er, Sergeant Gonzales, der Einzige hier – sogar sehr offensichtlich – der diesen Juan überhaupt nicht mochte…

Die ruhige Zeit verschaffte ihnen Spielraum, auch für Nachforschungen. Die Räuber rund um ihr kleines Dorf waren nicht sonderlich zahlreich. Nur ab und zu versuchten sie sich an reichen Familien, um sie zu bestehlen. Man hatte alles ziemlich gut im Griff und vielleicht war es sogar die Langeweile, oder gar die ausgestandene Hitze, die ihr Gehirn so weich gekocht hatte. Dass sie zu so etwas griffen für ein bisschen Spaß.

Wenigstens hielt sich der Bandit an Abmachungen. Gewarnt hatte man ihn – es ja nie wieder zu wagen, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen.

Auch am heutigen Tag noch hatte Jekyll genau in Erinnerung, wie Zorro auf diesen Vorschlag reagiert hatte. Mit dem dreisten Grinsen eines Lausejungen. Solange Ihr Eure Arbeit gut macht, Jekyll, sehe ich mich nicht dazu gezwungen mich irgendwo einzumischen. Ich vertraue Euch und Eurem Edelmut. Ich bin nicht dafür da,  um Ärger zu machen, sondern um diesen zu verhindern. Ich überlasse Euch die Stadt und die Sorge um all ihre Belange. Sollte mir aber Unlauteres zu Ohren kommen, dürfen Sie mit meiner Wenigkeit erneut rechnen.

Frech war der Kerl ja schon immer gewesen, mit dem Charme eines Flegels aber den idealistischen Absichten eines nach Gerechtigkeit sinnenden Edelmannes.  Er schien einsichtig zu sein und hielt sich brav daran. Er hatte Zorro ziehen, nicht nach ihm suchen – kurzum ihn zufrieden sein lassen. Weil es zu diesem Zeitpunkt das Beste gewesen war.

Aber nun, was wenn es so weit war? Wenn man ihnen berichtete, er sei aufgetaucht? Das entschied man dann aus guten Gewissen heraus.

 

Durch die Gerüchteküche mit ihrem salzigen Beigeschmack gab es kaum ein Ohr, was die Ereignisse nicht gehört hatte. Aber man traf auch auf taube Ohren, die sich nicht um so etwas scherten – dem Anschein nach. Aber es brodelte ganz gewaltig im Bauch des jungen Mannes. Er ließ sich nichts anmerken, jedenfalls hielt er sich für so schlau. Dennoch gab es Menschen, die sehr wohl den Zorn in der sonst eher besonnenen Person bemerkten. Zum Beispiel an der Art und Weise wie er heute auf sein Pferd aufstieg und mit welchem Eifer er dieses zum Galopp brachte, statt sich wie gewohnt Zeit zu lassen.

 

Don Juan war bei den Pulidos zum Frühstück, zum Mittagessen und sogar zum Abendessen. Kaum eine ruhige Minute hatte man noch im eigenen Haus. Nahezu ständig hielt die Hausherrin ihre Tochter dazu an, dem jungen Mann doch die Zeit zu versüßen.

Wie wäre es mit ihm den Tag zu versalzen, Mutter?

Allein der Umstand, dass sie es so gesagt hatte, ließ die Mutter auf Granit beißen. Zwar war Lolita nett zu ihm, mehr jedoch nicht. Genauso wie er bisher immer nur nett zu ihr gewesen war – ein wahrer Edelmann. Nicht selten lag ihre Mutter ihr in den Ohren, sie solle doch nicht töricht sein und sich den Mann mal etwas genauer ansehen, vielleicht wäre ja eine Partie möglich. Zwar hatte es Tage gedauert, aber irgendwann platzte die junge Dame.

„Was soll denn dieser Unfug? Willst du dich vielleicht über uns lustig machen? Verbietest mir, auch nur auf 10 Schritt entfernt ein Wort mit Diego zu wechseln und nun so etwas! Schickst mich ohne Begleitung mit diesem FREMDEN in die Stadt! Keine Frage ist er galant, aber reicht es nun nicht langsam mal? Auch wenn du es so empfindest, er ist kein stück edler als Diego! Das ist deine Traumwelt!“ Sie verschränkte die Arme und wirkte bockig. „Ich werde doch nicht mit diesem Mann flirten, nur weil er dir so gut gefällt! Mach nur so weiter und eines Tages stürze ich mich aus dem Fenster!“

„Du bist ja nicht bei Trost, Kind. Willst du mir etwa drohen? Vorsicht, junge Dame! Wir haben hier das Sagen, das scheinst du wieder einmal zu vergessen!“

„Genieße du doch die Gesellschaft von dem Herrn und am besten bitte ihn gleich um ein bisschen Geld – das ist doch im Grunde alles was dich interessiert! Ich bin auf meinem Zimmer!“ Wutentbrannt drehte sich die impulsive Tochter herum und stampfte die Treppe hinauf, ließ der besorgten Mutter nur ein Seufzen aus der Kehle entspringen.

„Wie bitte? Hast du jetzt komplett den Verstand verloren? Ich bin besorgt um dich, Tochter!“ Doña Catarina stand auf und starrte ihrer wütenden Tochter nach, von welcher sie Unrecht ihr gegenüber empfand. „Du bist im Grunde selbst schuld! Hättest du von Anfang an auf mich gehört, wäre Diego nie auf dumme Ideen gekommen! Weil du dich einfach nie benehmen kannst, deswegen hat auch er sich nicht benommen! Was glaubst du eigentlich, was die Leute von uns denken? Wir sind zum Gespött aller geworden! Sich einem Bandit in die Arme zu werfen, ist eine Sache, aber aus Trotz am Ende auch noch den Sohn von unserem Freund Alejandro so zu beleidigen, geht schlichtweg zu weit, junge Dame! Ihn so auszunutzen!“

Es war ein böses Missverständnis und wohl wollte ihre Mutter ihr Dinge entlocken, die sie nicht bereit war ihr zu sagen. Wie beispielsweise wie lange schon dieses Spiel gespielt worden war. Jedenfalls hatte es den Anschein, dass sie ihr sowieso nie glauben würde.

Aber im Affekt ihrer grenzenlosen Wut drehte sie sich herum.

„Komm mir nicht so, Mutter! Diese Nichtigkeit wird von jedermann aufgebauscht! Absolut gar nichts ist gewesen! Nichts! Nada!“ Lolita gestikulierte wild mit den Armen von der Treppe aus. Es wurde so laut im Haus, dass die beiden Diener, die noch draußen für sie arbeiten alles mitbekamen, inklusive der Nachbarschaft, die natürlich sofort lange Ohren machte. Es war ja sonst viel zu ruhig in dieser Gegend. „Wenn du zur Abwechslung mal die Augen aufmachen würdest, die wie gewöhnlich Zorro anhimmelten, hättest du vielleicht etwas eher bemerkt, was in deiner Tochter vor sich geht. Aber nein! Wer im Glashaus sitzt, sollte nie mit Steinen werfen! DU bist Zorro genauso in die Arme gesprungen! Das finde ich viel schlimmer! Als verheiratete Frau noch so etwas zu tun! Sei lieber froh, dass dir Vater anscheinend genügend Liebe entgegen bringt, um dir das nicht ewig nachzutragen! Im Gegensatz zu dir sprang ich Zorro niemals in die Arme, als Diego in der Nähe war! Das könnte ich ihm nie antun!“

Mal davon abgesehen, dass das sowieso nie möglich gewesen wäre, hätte ich das nie getan… Gott, armer Papa…

„Du unverschämtes Mädchen! Du wirst endlich gehorchen!“ Mehr fiel der jungen Mutter daraufhin auch nicht mehr ein, sie war zu entsetzt, dass ihre Tochter wie immer kein Blatt vor den Mund nahm.

 

Don Carlos war außer Haus, deswegen saß Catarina mit ihren Sorgen kaum eine halbe Stunde später im Salon und genehmigte sich einen Schluck Wein, weil sie sonst all das kaum ertragen hätte. Dieses halsstarrige Mädchen mit ihrem unbändigenden vorlauten Mundwerk. Noch nie hatte sie so etwas erlebt, dass eine Tochter so mit ihrer Mutter sprach. Bestraft fühlte sie sich, mit einem so ungehorsamen Mädchen, wo sie doch alle nur das Beste für sie wollten. Sie war undankbar, schließlich hatten sie ihre eigensinnige Tochter noch lange nicht aufgegeben. Beim sich Betrinken, kam ihr Diener und beäugte Catarina kritisch und dann besorgt. Es war noch früh am Abend, kurz vor dem Abendessen und sie wollte sich betrinken. Das gehörte sich auch nicht für eine Frau.

Entspannt saß sie da nach den ersten zwei Gläsern Wein, als Don Juan gerade in Begleitung von einer der Dienerschaft  in den Warteraum geleitet wurde. Er wurde auf Catarinas Anweisung hin  daraufhin vorgelassen. Höflich hatte er seinen Hut erneut abgenommen. „Doña Catarina, Teuerste“, sprach er die Hausherrin an, bedachte ihre Hand mit einem Kuss beim Niederknien und gab sich wirklich die allerhöchste Mühe, die ein Mann sich machen konnte, um der Mutter zu gefallen. Diesmal wollte er mehr tun, als Zeit mit der Familie verbringen. Seinen Plan vorwärts bringen. Wie es sich gehörte, wollte er seine Aufwartung machen, erst bei der Mutter der Dame, dann bei der Dame selbst. Schon ganz zu Anfang hatte er bemerkt, dass alle Entscheidungen von der Frau im Haus ausgingen, die lediglich ihre Pläne dem Mann mitteilte und er diese nur noch einmal absegnete. Genau so eine Frau wollte der junge Herr eigentlich überhaupt nicht für sich gewinnen. Da würde er bald Reißaus nehmen.

Obwohl Juan die Familie benutzte, um an Zorro herankommen zu können, hatte er sich überall umgehorcht, was die Pulidos anging – egal wie wenig er ernsthaft in diese Sippschaft einzuheiraten plante, war er wissbegierig, auch um sich angemessener verhalten zu können.

Don Carlos schien ihm wirklich nicht so besonders hell, was seine Geschäfte anging. Die Nachbarschaft hatte ihm mitgeteilt, dass er nicht sonderlich angesehen sei, weil der Hausherr sich horrende Summen von anderen Großgrundbesitzern geliehen haben sollte. Das war doch etwas, was man ausnutzen konnte. Er würde seine Hilfe anbieten und dafür Anerkennung und Dankbarkeit ernten. Außerdem konnte er die Eltern damit unter Druck setzen, wenn er ihnen schon half, dass sie ihm auch halfen. Nicht selten half er selbstlos, aber diesmal weil er sich etwas davon versprach. Dankbare Damen ließen sich besser beeinflussen. Je mehr er also von den Herrschaften wusste, umso besser konnte er agieren.

Beide saßen also im Salon und unterhielten sich zunächst über Belangloses. Auch Catarina zeigte Interesse an seiner Lebensgeschichte, vor allem seiner Abstammung und all die Dinge, die eine adelige Familie vor der Akzeptanz eines Herrn eben wissen wollte.

Juan erzählte Catarina vom schönen Spanien, ihrem großen Anwesen, das sie dort besessen hatten. Von den Weinreben, aber ebenso, dass er nach Kalifornien gekommen war, weil es dicht besiedelt war von edlen Familien, so wie die Ihre. Damit sammelte er sofort Pluspunkte, als er ihren guten Namen lobte. Catarina war einfältig genug, sich von Juan einlullen zu lassen, dass sie – er ging jedenfalls davon aus – wohl am liebsten selber mit ihm durchgebrannt wäre an stelle ihrer Tochter.

„Apropos, meine Familie. Vater ist General in Mexiko und brachte mich aus Spanien mit, damit ich ihn unterstützen kann. Er hätte zum Beispiel nichts dagegen, wenn ich schleunigst eine Verbindung einginge, mir also eine Frau vom gleichen Stand wie der Unsere suchen würde, Señora. Ich mag nicht um den heißen Brei reden, das ist nicht meine Art. Schon seit einigen Tagen ist mir aufgefallen, dass Eure Tochter ganz meinem Geschmack entspricht. Hättet Ihr wohl etwas dagegen, wenn ich Eure Tochter umwerben würde? Es wäre mir eine große Ehre“, sagte er zwar sachlich, legte sich aber auch gefühlsbetont die Hand auf die Brust. Dann nahm er erneut die Hand der Doña und setzte einen leichten Handkuss auf diese.

„Oh, damit rechnete ich jetzt nicht. Und ich möchte Sie auch nicht entmutigen, mein Herr.“ Versucht sich klug auszudrücken, überlegte sie, welche Umschreibung wohl nicht zu negativ war, um ihre Tochter zu beschreiben. „Lolita ist ein sehr schwieriges Mädchen, mit hohen Ansprüchen an ihren zukünftigen Gatten“, hörte man sie auch von draußen reden. „Sie ist nicht so einfach zu beeindrucken, aber meinen Segen habt Ihr, Don Juan. Seit auf der Hut und überstürzt nichts. Das wäre gar nicht gut. Gebt ihr bloß nicht das Gefühl über ihr Leben bestimmen zu wollen. Versucht aufmerksam zu sein, mein Herr. Wenn Ihr Euch geschickt anstellt, könnt Ihr vielleicht ihr Herz gewinnen. Lügen Sie meine Tochter um Himmels Willen nicht an, nur um den Anschein zu erwecken, sie sei das wunderbarste Wesen auf Erden. Gott bewahre. Weniger ist mehr. Mit etwas Geschick könnten wir vielleicht doch miteinander ins Geschäft kommen.“

 

Draußen vor der Tür hatten sie einen ungebetenen Gast, der gerade zur Tür herein kommen wollte, aber dann doch innehielt und kurz lauschte. Es schickte sich nicht, aber die Worte und wie sie gesagt wurden, wurmten die Person.

Ins Geschäft kommen, ja? Sind wir also wieder auf dem Basar?? Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass ich mich dafür einspannen lasse! Gott steh mir bei! Womit bin ich da bloß gestraft worden? Jetzt will dieser wildfremde Mann mich auch noch beeindrucken und ein GESCHÄFT mit meinen Eltern eingehen!!

Leider hatte sie auch seine Worte vernommen. Sie entsprach seinem Geschmack und sein Vater wünschte sich, dass er eine Verbindung einginge. Jede normale Frau wäre glücklich darüber, dass ein Mann sie als würdig ansah, aber nicht sie. Sie drehte sich um und entschied, nicht hinein zu gehen. Es würde nur erneut ein Streit vom Zaun brechen, weil sie wie immer nicht an sich halten würde im Gefecht gegen ihre Mutter.

 

Gerade als Lolita unbemerkt verschwinden wollte, trat Juan aus dem Salon heraus und bemerkte sie auf halbem Wege die Treppe hinauf. „Oh, Señorita!“ sprach er sie mit einem erfreuten Lächeln an und sie blieb stehen. Augen zusammen gekniffen, verfluchte sie die Situation. Auch sie wusste, dass sie nicht zu unhöflich sein sollte. Dieser Mann war nicht Leutnant Gabriel, der sie sich gefügig machen wollte. Er verdiente durchaus ein bisschen mehr Respekt, als sie damals an den Tag gelegt hatte.

„Buenos Noches, Señor Juan!“ entgegnete sie freundlich und er setzte das charmanteste Lächeln auf, was er einstudiert hatte. Dabei fühlte er sich selbst schlecht. „Würden Sie wohl mit mir einen kleinen Spaziergang im Garten machen, Señorita? Das würde meinen Tag so sehr versüßen.“

Keinen Hehl machte der Mann daraus, dass er Interesse an ihr bekunden wollte. Das gefiel ihr nicht, sollte es aber wohl. Am Ende meinte der Mann es ernst und verliebte sich in sie. Ich wünsche mir, dass mir das erspart bleibt… Verschmähte Männer sind alles andere als amüsant. Sie wusste aus der Vergangenheit, zu was das führen konnte. Trotzdem musste man auch einmal auf wahren Edelmut vertrauen und sie hoffte, dass sie in dem Fall nicht enttäuscht wurde. Ehrlichkeit, das war das Mindeste, was sie ihm entgegen bringen konnte. Sie würde nicht mit diesem Mann flirten – auch, wenn ihre Eltern es von ihr verlangen würden, nicht.

„Wenn Ihr wünscht, komme ich dem gerne nach. Aber nur kurz.“ Das war ihr Rettungsseil. Wenn sie dachte, es sei genug und er irgendwie aufdringlich werden sollte, konnte sie ihm dann davon laufen, weil sie eben gesagt hatte, nur kurz.

„Jeder Moment ist kostbar“, gab sich Juan als äußerst genügsam und das beeindruckte die junge Frau schon. Bisher hatte sie nur eine Person kennen gelernt, die sich mit wenig zufrieden gegeben hatte. Doch in einem solchen Moment an ihn zu denken, erschien ihr nicht richtig.

„Ich sage nur noch schnell meiner Mutter bescheid, damit sie weiß, wo wir uns aufhalten.“ Lolita war gescheit genug, sich ihren Trotzkopf jetzt nicht anmerken zu lassen. Als sie den Salon betrat und sich an die Tür lehnte, lächelte sie sogar, ohne das belauschte Gespräch in ihre Mimik mit einfließen zu lassen. „Don Juan wünscht sich mit mir im Garten spazieren zu gehen. Erlaubst du es mir?“

„Oh Kind, du wirst ja endlich vernünftig!“ Die Dame stand auf und schaute sich ihre bildschöne Tochter an, die sich absolut gar nichts anmerken ließ. Ihre Hände lagen auf den Schultern der Tochter. „Sei ein bisschen nett zu ihm, ja? Aber nicht zu viel, verstanden? Geize mit deinen Reizen! Nicht, dass er auch noch auf dumme Gedanken kommt. Das können wir uns in unserer augenblicklichen Situation nicht leisten. Wenn du ein liebes Mädchen bist, hilft er uns vielleicht.“

„Ich werde mich gut benehmen.“ Oh, und wie sie sich gut benehmen würde. Besser als ihre eigene Mutter. Ihr stand das Ganze bis zum Hals und sie drohte gerade zu ertrinken – keiner weit und breit, der sie rettete. Aber sie würde diese Sache schon meistern. Auf kluge Weise – und ihre Eltern würden nichts dagegen tun können – so wie das letzte Mal auch. Zugegeben, den Letzten hatte sie doch sehr vor den Kopf gestoßen – bei ihm hier würde sie sofort die ganze Wahrheit auspacken. Damit er gar nicht erst auf die Idee kam sich große Hoffnungen zu machen, das erleichterte ihm auch das Leben, oder?

 

Dass sie ihre Mutter um Erlaubnis fragte, wunderte den Don ein wenig, schließlich hatte man sie ihm als halsstarriges Mädchen beschrieben, was ihren eigenen Sturkopf auslebte und jetzt fragte sie um Erlaubnis?

Sie wollte nicht gestört werden, in ihrer Unterhaltung.

Eine lächelnde, ihn ansprechende Dame kam aus dem Salon und nickte ihm zu. „Wir dürfen.“

Beide gingen hinaus in den wunderschönen Rosengarten. Als sie noch ganz klein gewesen war, hatte ihr Vater für seine beiden Prinzessinnen all diese Blumen gezüchtet. Das ebenso schöne Wetter, verherrlichte den Anblick noch um ein Vielfaches.

Ich fühle mich wie eine Verräterin, nur indem ich hier mit einem anderen spaziere…

Am liebsten wollte es sofort aus ihr heraussprudeln wie aus einer Quelle. Juans Blicke erfassten die Rosensträucher und er schien den Ort ansprechend zu finden. Er ging ganz nah ran und beugte sich sogar über einen Strauch, um eine Prise des herrlichen Duftes zu nehmen.

„Wie schade, dass mein Vater Rosen nicht so ansprechend findet wie ich. Er käme nie auf die Idee, unseren Garten mit Rosen zu pflastern. Ich finde es sehr schön hier.“

Juan, der sich meistens in geschlossenen Räumen aufgehalten hatte, wenn er nicht gerade auf Banditen Jagd gewesen war, fand die Abwechslung dieses Zeitvertreibs wirklich alles andere als übel. Die Person an seiner Seite, sie war sympathischer als man sie ihm als Illusion in den Kopf gepflanzt hatte. Bestimmt wird sie auch missverstanden, wie so viele Menschen… Vielleicht sollte ich all das hier lassen und schleunigst verschwinden… Ihre Mutter scheint mir sehr erpicht darauf, sie an den Erstbesten zu verschachern. So wie die Herren gesagt haben. Mir tut dieses arme Ding eigentlich furchtbar leid…

Juan konnte sich zwar sehr gut verstellen, aber er hasste das Lügen. Egal, was er sagen würde, es würden keine Lügen sein. Was dachte ihre Mutter von ihm? Dass er Lügen brauchte, um eine Frau zu beeindrucken? Er war ein De la Cruz!

Ehe er von den Rosen abließ, brach er eine der Stängel entzwei und nahm sie hinfort, mit sich auf den Weg ins Ungewisse. Mit stolzem Blick, auf sie gerichteten Augen lief er mutig seines Weges, bis er schließlich direkt vor Lolita zum Stehen kam.

„Diese Rose trifft meine Wertschätzung ziemlich gut, deswegen möchte ich Sie euch gerne geben. Das nächste Mal, wenn ich zu Besuch bin, bringe ich einen richtigen Rosenstrauß mit, wie es sich gehört.“ Juan drückte die Rose, die er so weit abgebrochen hatte, dass keine Dornen übrig waren, in die linke Hand der Señorita, sah ihr dabei tief in die Augen und lächelte sie an. Auch ihre Augen wollten in diesem Moment nicht von seinen weichen, versanken in dem dunklen Grün, was wie ein Smaragd so intensiv glänzte, dass es sie einen Moment fassungslos machte. „Denn ich habe vor, nicht allzu bald davon zu gehen, dafür bin ich zu gern hier. Zunächst möchte ich hier einige Geschäfte abwiegeln. Dann werde ich mir ein Fleckchen Land aussuchen, um dort in Zukunft mit meiner Familie zu verweilen. Es würde mich freuen, wenn wir beide dort gemeinsam wohnen könnten.“ Seine Hand ergriff die von Lolita und sie war zutiefst bestürzt über seine Direktheit.

„Aber Señor.“ Ihr blieb alles weitere sofort im Hals stecken, denn in diesen grünen Augen steckte so viel Einsamkeit, aber auch so viel Hoffnung, dass sich diese Welt bessern möge… Das Mitleid hatte sie gepackt wie eine Lawine, die sie langsam aber sicher mitriss.

„Könnt Ihr Euch ein Leben mit mir nicht vorstellen? Also ich – ich mag Euch“, sagte er, vertiefte seine Blicke und versuchte wirklich sein Bestes, um bei ihr Eindruck zu schinden. „Es eilt nicht!  Wirklich, Ihr könnt alle Zeit der Welt von mir haben, ehe Ihr Euch entscheidet! Ich bin sehr geduldig, wenn ich eine Person mag. Und Euch mag ich wirklich sehr… Das ist mehr als die meisten Menschen bekommen, wenn sie heiraten. Ich bitte Euch, werdet meine Frau.“

Endgültig töten tat er sie als er  vor ihr auf die Knie ging. Eine hoffnungslose Romantikerin wie sie würde bei einer solchen Geste doch sofort schwach werden. Schon solange sehnte sie sich nach diesem Moment, nun war er da…

Gerade machte sie diese romantische Täuschung einfach nur traurig, so sehr dass sie es selbst kaum fasste, wie schnell die Tränen in ihre Augen traten. Juan war ein wirklich vorzüglicher Mann. Wären gewisse Dinge nicht passiert, sie wüsste nicht, ob sie nicht ja gesagt hätte. Doch gerade schnürte sich ihr die Kehle zu und sie bekam kaum Luft, machte nur zwei Versuche an Luft zu kommen.

Lolita wollte ihn nicht mehr ansehen und drehte den Kopf von ihm weg. Sie schloss die Augen und versuchte weiter wieder Luft zu bekommen, nur für einen einzigen Satz… „Es tut mir leid, aber das geht nicht…“

Juan wirkte im nächsten Moment verzweifelt, griff ihre Hände stärker. „Bitte trefft diese Entscheidung nicht übereilt!“

„Darum geht es nicht, Señor“, sagte sie leise, ihre Stimme zitterte dabei und wenig später auch ihr Körper. „Es geht nicht weil… Ihr seid ein toller Mann, ganz gewiss. Aber mir wurde in der Vergangenheit bereits das Herz gestohlen.“ Es kostete sie viel Überwindung, um diesen einen Satz zu sagen, aber er verdiente die Wahrheit. Noch kein Mann hatte sich so geschickt angestellt und war dabei so unglaublich zuvorkommend gewesen. Bestimmt würde er ihre Beweggründe verstehen, so galant er bis jetzt gewesen war. „Sehr früh schon. Grämt Euch nicht. Ein Mann wie Ihr es seid, wird bald eine gute Frau finden.“

Juan blinzelte, weil es ihn überraschte wie erfrischend ehrlich sie ihn abwies, aber sie irrte, zu glauben, er würde sich darüber allzu sehr grämen. Es gehörte nicht zu seinen größten Zielen, sich so bald wie möglich zu verheiraten – das war ein Wunsch, den sein Vater hegte. Ein Teil in ihm war wegen seines Stolzes trotzdem verletzt, anzuecken, der andere so unglaublich glücklich, dass sie ihn ablehnte – schließlich trieb er hier immer noch ein falsches Spiel. War mit dem festen Vorsatz, Zorro aus der Reserve zu locken, überhaupt erst hierher gekommen. Denn um ehrlich zu sein, es war ein Zweck, kein Ernst. Obwohl er keineswegs gelogen hatte und er schon lange die lange Reise, die Suche nach der großen, wahrhaften Liebe aufgegeben hatte und er in der Überzeugung lebte, wenn er heiratete, dann durfte er froh sein, wenn er die Frau ein bisschen mochte.

„Für Eure Ehrlichkeit danke ich Euch.“

Was muss das für ein glücklicher Mann sein? Wahrscheinlich weiß er es nicht einmal, wie glücklich er sich schätzen kann. Ich hoffe inständig, dass sie nicht diesen Bandit meint. Eine unglückliche Liebe, so etwas ist schrecklich für jede Frau. Ein solcher Mann hält nichts von festen Dingen. Sie sind glitschig wie ein Fisch und werden dir entgleiten. Und sie schwimmen gegen den Strom. Niemals mit ihm. Vorgaben hassen sie, leben nur nach eigenen Regeln.

„Welch ein Mann ist das? Der vermochte Eurer Herz für sich allein zu beanspruchen?“  Die Liebenswürdigkeit, mit der er sprach, verblüffte sie. Es musste ihn nicht kümmern. Aber es schien, als interessiere er sich tatsächlich dafür, gegen wen er verlor. Trotzdem wusste sie nicht, ob es klug war, einem Rivalen irgendwelche Namen zu sagen. Juan war ein Caballero, sagte man in der Stadt von ihm. Und die würden sich eiskalt mit einem anderen Ehrenmann duellieren.

„Ich war ein kleines Mädchen und er war so etwas wie mein Held. Schon seit ich denken kann, ist er der Einzige gewesen, den ich mir vorstellen konnte, jemals als Mann zu akzeptieren. Es tut mir Leid, Señor. Ich hoffe, meine Entscheidung stößt Euch nicht allzu sehr vor den Kopf.“ So ehrlich war sie noch zu keinem Menschen gewesen, außer zu der betreffenden Person selbst. Obwohl sie es nicht so gesagt hatte, aber ähnlich. Trotzdem war dieser Dummkopf nicht der erste Mann, der vor ihr niedergekniet hatte. Es schmerzte sie auch noch die nächsten Sekunden und in ihren Augen standen die Tränen.

„Anscheinend hat der Mann keine Augen im Kopf“, sagte Juan mit einem unverständlichen Seufzen, bei welchem er seine Hand auf Lolitas Wange platzierte und sanft darüber strich, „oder mit seinem Verstand ist etwas nicht in Ordnung, wenn er einer hübschen Dame solche Tränen beschert.“

Vom Patio aus hatte Doña Catarina die beiden Personen schon einen ganz langen Moment im Auge behalten und verstand zwar keine Worte, aber ihre Tochter schien ihr ernsthaft gerührt und sie wollte wahrhaftig schon frohlocken. Sie sah nur die Hand, die sich auf die Wange ihrer Tochter gelegt hatte und die nicht sofort hinweg geschlagen wurde, sondern noch ein bisschen auf ihr verweilen durfte. ­

Es war ein merkwürdiges Gefühl für Lolita, dass ein Mann wie dieser hier schlecht von Diego dachte und sie wegen ebenjenem versuchte zu trösten. Ihre Augen huschten etwas nach unten. Bewusst, dass sie diese Hand an ihrer Wange keineswegs dulden sollte, war ihr zwar, aber es war hart. Weil sie angenehm war. Das Gefühl war nicht dasselbe, denn die Hand von Diego löste ganz andere Dinge bei ihr aus, wenn er sie berührte. Um es auf den Punkt zu bringen, löste die Hand von Juan bei ihr nichts aus. NICHTS. Als ihr das bewusst wurde, bereute sie ihre Entscheidung nicht, ihn abgewiesen und ihm die Wahrheit gesagt zu haben. Vorsichtig nahm sie Juans Hand von ihrer Wange, hauchte ein zartes „tut mir Leid“ und konnte ihr schlechtes Gewissen kaum verbergen.

Anscheinend hatte die Dame seine Geste miss interpretiert und er wollte sich eigentlich dafür entschuldigen. In seiner Absicht war nicht gewesen sie zu beschämen, sondern ihr Trost zu spenden.

Für Juan war es ein Unding, wenn Männer Frauen unnötige Tränen bescherten. So ganz klar war ihm auch nicht, warum diese Tränen in ihren Augen standen. Er wollte sie auch wirklich nur trösten und nicht ihren schwachen Moment für sich ausnutzen, um mit ihr zu flirten und sie doch noch umzustimmen. In diesem Moment war es schier unmöglich, dass er dieses Ziel erreichte. Seine Art eine Frau zu einer Heirat zu zwingen, war es auch nicht – so etwas taten Männer, wie sein eigener Vater. Aber verletzte Frauen würden sich irgendwann rächen und darin lag die Chance begraben. So gerne wollte er Genaueres wissen, denn alles was Juan im Moment bekannt war, ist dass sie ihr Herz bereits verloren hatte. Und was war mit dem Mann, der dies verschuldete? Wusste er es nicht? Interessierte es ihn nicht?

„Für Gefühle sollte man sich nicht entschuldigen müssen. Es ist nicht so, dass ich diese Entscheidung nicht nachvollziehen kann“, sagte Juan ruhig, aber in seine Augen war ebenfalls ein trauriger Schimmer erschienen. „Ich hege Sympathie für Euch, Señorita. Ihr seid eine hübsche und starke Frau, die für ihre Ideale kämpfen möchte. Zwar bin ich natürlich ein bisschen enttäuscht und ich beglückwünsche den Mann, den Ihr auserkoren habt, Euer Herz zu schenken. Hoffentlich hat er es verdient, ich wünsche Euch das jedenfalls. Auch, dass er Akzeptanz von Euren Eltern erfährt.“ Denn man verliebte sich sehr oft nicht in den Menschen, der am besten zu einem passte, sondern der einem gefiel. Dabei spielten viele Faktoren eine Rolle, selten Geld und Macht. Frauen neigten sowieso dazu, sich unglücklich zu verlieben. In einen Mann, der nicht zu ihnen passte, den die Familie nicht mochte. „Aber ein Teil meines Herzens ist noch mit der Trauer um eine andere Dame beschäftigt. Es war für meinen Vater ein erheblicher Schock, schließlich hatte er die Frau mir ja ausgesucht und das Wunder war geschehen, dass ich mir vorstellen konnte, sie tatsächlich im Frühjahr zu heiraten. Mein Vater lebt die Überzeugung, dass man um eine Frau nur trauern darf, wenn man sie auch wirklich geheiratet hat. Aber sie ist dramatisch ums Leben gekommen. Sofort nach der Beerdigung hat er angefangen wieder auf mich einzureden. Mein Vater möchte mich leider auf dem schnellsten Weg verheiraten, für einen guten Haushalt braucht es eben eine Frau und leider ist sie notwendig für Erben. Seine Sichtweise über Frauen ist sehr engstirnig. Für ihn existieren sie nur dafür, um Kinder in die Welt zu setzen und es dem Mann bequemer zu machen.“ Der junge Mann versuchte keine Schwäche zu zeigen, obwohl ihm zum Heulen zumute wäre, wenn er wieder daran dachte. „Ich trauere immer noch um meine Verlobte und ich werde das wohl auch noch eine Weile tun.“

Jetzt verstand die junge Dame die Traurigkeit, die sie schon zu Anfang in seinen smaragdgrünen Augen gesehen hatte. „Das klingt schrecklich. Ihr habt mein Mitgefühl.“ Schon der bloße Gedanke daran, so eine wichtige Person zu verlieren, erschütterte ihren Leib. „Sorgt Euch nicht. Er ist ein guter Mann.“ Um ihn zu beschreiben reichten Worte wie gut bei weitem nicht aus, aber sie wollte ihn nicht zu hoch loben. Angesichts des Faktors, dass sie von Diego sprach, nicht von Zorro.

„Die meisten Männer denken doch engstirnig über Frauen. Umso mehr heiße ich Euch zugute, dass Ihr anscheinend anders seid.“ Der Versuch ihn mit einem samtig weichen Lächeln zu bedenken war Lolita jedenfalls geglückt.

„Oh, Frauen wie Ihr es seid, gibt es nur selten. Die Meisten werden am Ende doch von einem Mann heimgesucht, der ihnen das Leben so schwer macht, dass sie es eines Tages aufgeben sich aufzulehnen.“ Frauen wie Lolita waren verpönt, nicht nur in Spanien. Hier wo es an der Tagesordnung war, dass auch Frauen hart arbeiteten – zumindest die Unterschicht war dafür bekannt – hier war sie schon ganz gut aufgehoben. In Spanien gab es zwar viele Caballeros, aber selten mit einem ehrlichen und liebenswerten Herzen. Die Männer dort kämpften für das schwache Geschlecht, wollten aber auch nie eine starke Frau, dann würden sie um ihre Männlichkeit fürchten müssen. Auch ihm passierte das so manches Mal, dass er sich heldenmütig für eine Dame einsetzte, die genauso gut selbst ihren Standpunkt hat klar machen können.

„Nun denn, eines noch! Ich schätze Euch sehr und wenn ich Euch schon nicht meine Frau werde nennen können, schlagt mir nicht die Bitte ab. Eine verständnisvolle, herzensgute Frau würde ich sehr gerne zu meinen Freunden zählen. Wäre es wohl zu vermessen zu fragen, ob wir uns unter diesem Aspekt trotzdem noch sehen könnten, Señorita?“

So etwas erlebte man nicht alle Tage. Da kam ein richtiger Caballero und fragte einen um eine Freundschaft. Bisher war der einzige männliche Freund, den sie je hatte, Diego gewesen. Diese Beziehung hatte sich mit der Zeit gewandelt und sie hätte nie zu glauben gewagt, dass ein zweiter Mann kommen könnte, dem sie mit freundschaftlichen Gefühlen zugewendet sein könnte. Es schickte sich allerdings überhaupt nicht, wenn sie dem jetzt zustimmte. Ihre Augen schimmerten traurig. „Meine Eltern werden das nicht gut heißen.“ Lolita hätte ein schlechtes Gewissen gegenüber Diego, der seit geraumer Zeit sie gerade einmal auf der Plaza aus großer Entfernung ansehen durfte, darüber hinaus würde der nächste Streit mit ihrer Familie ausbrechen. „Gerne würde ich Euch diese Bitte erfüllen. Der Freund, von dem ich sprach, auch ihn darf ich seit geraumer Zeit nicht mehr sehen. Das bringt das Alter eines Mädchens eben mit sich. Kaum hat sie das heiratsfähige Alter erreicht, muss sie sich geziemt benehmen. Ich bin nun einmal mit dem Los gestraft, eine Frau zu sein. Ob es mir gefällt oder nicht, auch ich muss mich manchmal an Regeln halten.“

Es war einfach unglaublich wie man Frauen an der kurzen Leine hält. Außerdem schienen ihre Eltern Freundschaften mit Männern nur zu dulden, wenn sie in einer Heirat endeten – das kam ihm bekannt vor. Bei ihm war es nicht anders. Befreundet sein durfte er nur mit den richtigen Menschen. Mit Adeligen, je reicher und einflussreicher umso besser. Normale Freunde konnte er sich nicht erlauben. Deswegen bin ich wohl auch aus diesem Gefängnis ausgebrochen und habe mich auf die weite Reise begeben. Weit genug weg von meinem Vater, als dass er mich kontrollieren könnte. Wenn ich mich hier mit normalen Menschen anfreunde, kräht kaum ein Hahn danach.

Es gäbe natürlich eine sehr einfache Möglichkeit, wie sie beide Freunde sein könnten, aber er war unsicher, ob es hierher passte, zu sagen, dass sie nur einen Mann heiraten musste. Es war nämlich alltäglich, dass verheiratete Frauen jede Menge guter Freunde besaßen, neben ihrem angetrauten Ehemann. Nur für eine Señorita schickte es sich nicht, als Señora pflegte man eben Beziehungen, auch mit den Freunden des Mannes.

Es besorgte ihn und gerne wollte er ihr beistehen. Auch gegen die Eltern. Aber man sollte sich in Familienangelegenheiten nur einmischen, wenn sie einen selbst betrafen. Das endete nicht selten in Blutvergießen. Es handelte sich eben um eine Adelsfamilie. Der Adel pflegte ja sich gegenseitig abzumurksen, wenn es ihm beliebte. Meistens entschuldigten sie es mit Beleidigung und Ehre. Ein Aristokrat fühlte sich leider sehr schnell in seiner Ehre verletzt.  Daraus erfolgten viele Duelle. Aber war er nicht auf der Suche nach einem Ehrenduell? Schon zu lang war sein letzter richtiger Kampf her.

„Ich finde es hart, einem Mädchen den langjährigen Freund zu verbieten. Verzeiht die anmaßende Frage, aber entstammt er nicht dem Adel, oder was hat Eure Familie gegen diese Freundschaft einzuwenden?“ Es war nun einmal so, dass aus Familienfreundschaften unter Aristokraten oder Großgrundbesitzern oft eine Heirat der beiden Familien resultierte.

Lolita hatte schon mitbekommen, dass Juan sehr interessiert und vor allem neugierig war. Es erschien ihr allerdings nicht ungehobelt. Die Frage war mehr als berechtigt und sie fragte sich ernsthaft, wie sie solch eine Frage am besten beantwortete. Der Anlass für die Untersagung war eben ein bisschen schmählich. Deshalb wendete sich ihr Gesicht auch von Don Juan ab, was den Schweregrad der Beantwortung seiner Frage verdeutlichte.  

Alles konnte Lolita Juan ja auch nicht sagen, vor allem um Diego in Schutz zu nehmen, denn sie wollte auf keinen Fall, dass er irgendetwas Anrüchiges von ihrem Freund dachte. Wenn sie die eine Sache wegließ, würde aber genau das der Fall sein. Sie fühlte sich wie in einer Zwickmühle. Am besten wäre, die Frage nicht zu beantworten, aber er war nett. Vielleicht ein bisschen zu nett. Lolita haderte mit sich, aber er hatte ihr Wesen gelobt, mit weniger unlauteren Mitteln als Gabriel und sprach ihr die feministische Ader nicht ganz ab. Man konnte ihm vertrauen? Natürlich würde Diego ihm nie vertrauen, er war vorsichtig und lachte sich ungern neue Freunde an. Sein Freundeskreis blieb weitestgehend gleich – wahrscheinlich sein Leben lang.

„Was soll ich sagen? Ich habe mich ungebührlich verhalten. Aber ich war verliebt in ihn und konnte mich nicht zügeln.“ Wahrscheinlich platzte ihr Gesicht aus allen Nähten und eine dicke Röte legte sich über es.

Verdutzt schauten Lolita die smaragdgrünen Augen an. „Ungebührlich?“ Wie viel ungebührlich konnte eine Frau wie sie wohl werden? Nachzufragen wie schlimm es gewesen war wäre unhöflich. Allzu große Schande traute er ihr nicht zu, immerhin wies sie eine Freundschaft gerade aus genau diesem Grund mehr oder weniger ab. Ob er nicht dem Adel entstammte hatte sie nicht direkt beantwortet, aber in diesem hübschen Gesicht steckte so viel Scham in dem Moment, dass er nur ganz leicht lächelte. „Was auch immer Ihr getan habt, wenn es aus Liebe passiert ist, solltet Ihr Euch dafür nicht so schämen. Männer benehmen sich wesentlich schlechter und tun alles aus Gelüsten und vielleicht noch schamloserem Triebverhalten. Ich werde nicht nachhaken, was genau zwischen euch gewesen ist, aber ich hoffe, dass Ihr es nie bereuen müsst.“ Juan versuchte nett zu sein und sie nicht zu verurteilen. Die Caballeros in Spanien, die sich mit Mädchen in der Taverne zum puren Spaß vergnügten, fand er anstößiger. Was konnte schon Schlimmes geschehen sein?

Obwohl Juan gesagt hatte, er werde nicht nachhaken, holte Lolita Luft und hatte das Bedürfnis ihre Ehre zu bewahren. „Wir küssten uns.“

Ihr Gegenüber blinzelte ein dutzend Mal bei ihrem fast ein wenig empörten Worten. Sie schien verärgert zu sein und er hatte ein Gespür dafür, weshalb.

Ein Kuss der aus Liebe geschieht ist rein und unschuldig, niemals mit Schuld behaftet! Kaum eine Frau erlebte ihren ersten Kuss mit dem Mann, den sie heiratete. Obwohl man ihnen alles verbot, die wenigsten hielten sich daran. Da musste man sie schon richtig in einen goldenen Käfig sperren. Aber auch das passierte ziemlich oft.

„Ich hoffe für Eure glückliche Zukunft und Euer Wohl, dass er kein Bauernsohn ist.“ Zwar hatten die Pulidos kaum noch Geld, aber ihrer Tochter erlauben einen ehrlosen Bauern zu heiraten, würden auch sie nicht, da gab Juan Brief und Siegel. Gerade war ja auch er da und sie würden alles dafür tun, dass er sie auch ja nahm. Ich hätte das nicht tun sollen. Hoffentlich ist er ein Ehrbarer Mann. Sonst MUSS sie mich am Ende dann doch noch heiraten, obwohl sie einen anderen liebt. Wie so viele adelige junge Damen in Spanien, die ins Unglück gestürzt werden. Und ich wäre schuld daran, dass sie niemals glücklich werden kann. 



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