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Family Ties

Where will you go...
von
Koautor:  Crazychicken

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Prolog

Kalifornien, wir schreiben das Jahr 1810. Die spanische Regierung wurde durch Napoleon nennenswert geschwächt. Die Bürger befinden sich seither mit den französischen Truppen im Kleinkrieg.

Spanische Edelleute verlassen das Land. In der Tasche Übereignungsurkunden vom spanischen Herrscher, Don José I. für Land in Kalifornien.

Auf machten sie sich in die Zukunft, erhofften sich ein schöneres Leben, so wie einst Don Alejandro de la Vega, der mit seiner Frau Chiquita das Land besiedelte.

Kommandant Ramóns Tod erschütterte das spanische Festland und rief Leute auf den Plan. Aristokraten, machthungrig und mit der Sehnsucht auf Rache an denen, die ihnen geschadet hatten.

Noch ahnen unser Held und seine Gönner nichts von diesen Plänen. Doch dies sollte sich an diesem einen Tag ändern ...

Im Schatten der Verschwörung

In einem Verlies, weit unter dem Stadtgeschehen, erleuchtet einzig und alleine durch das lodernde Licht von Kerzen trafen sie sich zu ihrem nächtlichen Plausch. Diejenigen, die die Unterhaltung beiwohnten, nannten sich Freunde und würden keinen vom anderen verraten. Es roch überall nach Schnodder, Dreck, Ausscheidungen, Schweiß, Wein. Kein angenehmer Ort, aber die perfekte Möglichkeit, still und heimlich miteinander sich zu beraten. ­

„Dieser elende Bastard Zorro, sogar die Armee beschützt ihn!“ Hörte man eine kühle, tiefe Stimme sprechen. Sie gehörte einem älteren Mann, und er war umgeben von wesentlich jüngeren Kerlen, die noch lange nicht ergraut waren, so wie er. „Sprich, was du hast in Erfahrung bringen können, mein Freund“, verlangte er danach weiter.

„Der Schlüssel zum Problem Zorro ist doch ganz simpel“, verriet eine der schwarzen Gestalten, die kaum ein Licht beleuchtete, um sie weniger düster dreinschauen zu lassen. Man sah nicht ihre Züge, deswegen bleiben wir zu diesem Zeitpunkt sachlich.

Fünf an der Zahl waren zugegen. Zwei von ihnen würde man als ungeheuer gutaussehend bezeichnen. Edle Kleidung zierte sie zwar alle, doch ein junger Herr mit teurer grüner Samtjacke – gewiss ein reicher Don, nicht mehr – fiel sofort inmitten der älteren Herrn auf. Sowie ein Weiterer in einem weinroten Hemd aus feiner Seide gekleidet, mit einer altrosa farbenen Schleife verziert, übergestreift ein dunkelblaues Jackett. Die Älteren, fast alle entstammend dem niederen, spanischen Adel. Wahre Caballeros von aristokratischen Geblüt nannten sie sich. Doch ihr Blut war schwärzer als die tiefste Nacht.

„Nun! Spannt uns nicht länger auf die Folter, Don Luis!“ Forderte Don Antonio, der verdammt gutaussehende Junge mit der grünen Jacke, mit braungebrannter Haut, entstammend aus gutem Hause, jedoch nicht blaublütig, wie der junge Mann an seiner Seite, der sich Don Juan nannte.

„Die Bürger dieser Stadt!“ Verriet Don Luis mit einem geheimnisvollen Grinsen. Er bezweckte, nie unnötige Worte zu verschwenden.

„Aber keiner wird freiwillig reden! Ihr wisst doch, auf ihren Helden – pff – lassen sie nichts kommen!“ Spöttisch missbilligte einer der Dons – und zwar Don Antonio - die Handlungsweisen der einfachen Leute. Man schenkte ihnen etwas Geld und sie liebten ihn – lächerlich. Dieser Zorro solle ihnen nicht nur Geld gestohlen haben, sondern auch Armeegüter an sie verteilt haben. So etwas stand einem Mann von Stand nicht im Sinne, dieser war dazu verpflichtet, sich stets um seine eigenen Belange kümmern - versuchen sein Vermögen auszuweiten. Je mehr du hast, umso mehr kannst du dir kaufen. Auch die Gunst von Menschen. Ein jeder war käuflich. Geld bedeutete Macht, das wussten sie. Deswegen konnten sie einen gutherzigen Mann wie Zorro überhaupt nicht verstehen – ihr Glück war auch, dass sie nicht wussten, welchen Kreisen er entstammte, dann wären sie gewiss noch bestürzter.

„Nichts leichter, als das! Wir zwingen sie! Notfalls mit Gewalt!“ Don Luis war ein hartherziger, verbitterter alter Mann geworden, der auf die Liebe seiner Frau nicht angewiesen war. Sie hatte ihn geheiratet, weil er vermögend und guten Blutes war, nicht weil sie große Gefühle für ihn hegte, nein. Sie liebte ihre Kinder, aber niemals ihn. Wie könnte sie einen so erbarmungslosen Tyrannen von Mann auch lieben? Er erzog seine Kinder mit eiserner Hand, dabei benutzte er sogar Gegenstände, um sie zu züchtigen. Wenn sie nicht spurte, würde er auch sie verprügeln.

„Don Ricardo! Was sagt Ihr zu dem Thema? Die ganze Zeit schweigt Ihr!“ Wollte jetzt Don Juan mit verschränkten Armen wissen. „Und du, Antonio? Was ist dein Beweggrund?“ Stets schien der junge Mann wachsam und neugierig zu sein, wollte alles wissen, was es in Erfahrung zu bringen gab. Deswegen war er auch so manchem Menschen ein Dorn im Auge.

Zum Beispiel seinem Vater – umso verwunderter konnte man sein, dass er ihn mitgebracht hatte.

„Juan!“ Mahnte ihn sein Vater, Don Luis, doch sein Sohn drehte den Kopf beiseite und ihn zierte ein missmutiger Gesichtsausdruck, weil er es einfach hasste, wenn sein Vater ihm den Mund verbot. Er war alt genug, um sich eine ernsthafte Meinung bilden zu dürfen. Außerdem durfte er hinterfragen – nicht wahr? Ein Erwachsener musste immer den Dingen auf den Grund gehen und beurteilen, wenn er gerecht sein wollte. Was war falsch daran?

„Aber Juan, Kind! Die Liebe! Was denn sonst?“

Der Angesprochene ließ sich ungern Kind nennen, schluckte es jetzt aber, da es sich um einen Freund seines Vaters handelte und er keinen unnötigen Aufriss machen wollte. Sich unbeliebt machen, wollte er dann nicht, sonst misstraute man ihm und verriet ihm weniger.

Erschrocken zuckte der gut braungebrannte Mann und senkte den Blick. „Lasst mir wenigstens die Würde, es nicht beim Namen nennen zu müssen.“

„Mein Sohn hatte die glorreiche Idee, herauszufinden, wer ihm am meisten bedeutet. Und wir sind fündig geworden. Diese edle Dame, deren Reichtum man schon seit langer Zeit geraubt hat. Sie soll noch nächste Woche Don Diego Vega heiraten, um ihres Vaters Stand wieder herzustellen. Sie ist von edlem Geblüt, sagt man, aber eine Primadonna sondergleichen. Eigensinnig, starrsinnig und vorlaut. Trotzdem hat man ihr gestattet, einen Mann von Rang wie Don Diego zu heiraten – verflucht sei der reiche Bengel, mit seinem noch reicheren Vater!“ Die Worte von Ricardo hätten ebenso gut von seinem Sohn stammen können, denn er mochte Diego auch nicht so besonders. Das war sehr milde ausgedrückt. Wenn ihm etwas zustoßen würde, man durfte sicher sein, dass es ihm ein Lächeln entlocken würde.

„Nun denn – ich kläre euch auf, Männer“, sagte Don Luis mit einem siegreichen Lächeln. Gewiss war er vielleicht zu siegessicher, aber es bereitete ihm sichtbare Freude, diesen Plan zu entwerfen. Dabei schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe und konnte seinem Bruder zu neuem Wohlstand verhelfen. „Juan! Bring uns Wein! Pronto!“

Schnaubend sah der Junge seinen Vater an, wollte sich nicht beugen, doch die kalten Augen drangen so tief in ihn ein, dass es ihn ängstigte. Viele Male hatte sein Vater ihn mit der Peitsche geschlagen – leider auch jenseits der 20 Jahre. Er würde es noch heute tun, wenn er ihm nicht gehorchte. Gerade hasste er ihn, wieder einmal.

„Ja, Vater.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und der zweite junge Mann sah ihm nach, wie er zwar verärgert wirkte, aber doch tat, was man ihm aufgetragen hatte.

Erst als Don Juan außer Sichtweite war, wendete sich Don Antonio an den am meisten adeligen Mann von ihnen. Don Luis.

„Warum schickt Ihr Euren Sohn davon? Darf er diesen schmutzigen Plänen nicht beiwohnen?“ Lachte er.

„Mein Sohn ist – man verzeihe mir diese Worte – zu weich! Ihm würde einfallen uns am Ende zu verraten, nur um einem elenden Weib zu helfen! Er nennt sich selbst einen waschechten Caballero. Manchmal schlägt er sich mit anderen Männern, nur um Frauen in der Not zu helfen. Ich schäme mich für meinen eigenen Sohn. Irgendwann wird ihn einer umbringen, das schwöre ich. Und schuld sind immer die Frauen.“ Er schüttelte den Kopf, seufzend und griff sich an selbigen, als plagten ihn die größten Sorgen, dabei war sein Sohn nur eine Kopie für seinen längst, seit über 10 Jahren schon beerdigten, liebsten Sohn. Nur Idioten ließen sich für eine Frau töten, seinen Sohn zählte er zu diesen Dummköpfen.

„Zurück zum Wesentlichen! Man erzählt sich in der Stadt, so erfuhr ich, dass Zorro an dieser Dame sehr viel gelegen ist“, verriet Luis den Männern. „In den Berichten der Garrison von Los Angelés ist es schwarz auf weiß niedergeschrieben worden. Sobald die Dame in Gefahr schwebte, war dieser Zorro sofort zur Stelle. Gewiss hat sie sein Herz entflammt. Noch so ein erbärmlicher Kerl, den eine Frau schwächt. Dafür muss man ihn bestrafen!“ Don Luis lächelte zunächst zynisch, dann lachte er laut und finster auf.

 

Verärgert beschritt Don Juan den Weinkeller und machte sich Gedanken darum, was sein Vater diesmal wieder ausheckte. Zwar hatte er ihn davon geschickt, aber vorher hatte Don Ricardo genug Plappermaul bewiesen, dass Juan zumindest etwas ahnte. Es ging um eine Frau, er mutmaßte, dass er deswegen weggeschickt worden war. Weil der junge Mann Gewalt an Frauen verteufelte, sie auch nie selbst angewandt hätte. Was auch immer sie mit dieser armen Señorita vorhatten, es verhieß zweifelslos nichts Gutes. Denn seinem Vater konnte man gewiss alles an Gewalttaten zutrauen.

Die Umstände, die seither im Königshaus herrschten, beunruhigten ihn ebenso sehr, wie die Tatsache, des Abdankens eines gerechten Gouverneurs wie Arrilaga. Was hatte diesen Mann wohl bewogen, seinen Posten aufzugeben? Doch nicht etwa mit einem Mal die Liebe zu seiner Frau? Das eine schloss doch das andere nicht aus. Was würde nur aus Kalifornien werden, jetzt da sein Vater den Posten des Gouverneurs zeitweise begleitet?

Je mehr Juan darüber nachdachte, umso mehr sorgte er sich. Gerechtigkeit konnte man bei einem Mann wie seinem Vater nicht erwarten. Er war niemals fair, noch nicht einmal zu seiner eigenen Familie.

Seinen Sohn schlug er, seine Frau nannte er nutzloses Weib, manchmal wendete er auch Gewalt gegen sie an, um sie sich gefügig zu machen, sollte sie doch einmal den Mut aufbringen, ihm zu widersprechen. Auch seine junge Tochter, Luisa kämpfte gegen die Hartherzigkeit ihres eigenen Vaters an.

Vor sage und schreibe 6 Monaten waren sie hier eingetroffen. Man durfte davon träumen, dass sein Vater je über Familienverhältnisse gesprochen hatte. Juans Tante hatte ihm allerdings verraten, dass sie Verwandtschaft in Kalifornien hatten. Sein Vater behauptete trotzdem das Gegenteil. Gerade so, als wenn sie für ihn gar nicht existierten. Also sollte sein Sohn keinen Kontakt zu ihnen herstellen. Dieser hartherzige, verbitterte, alte Mann – er war für ihn nicht mehr als ein notwendiges Übel, Blutsverwandtschaft, die er sich nicht aussuchen konnte. Am liebsten wollte er Reißaus nehmen. Was sie alle wegen ihm erdulden mussten, war fast nicht mehr zu ertragen. Aufgrund dessen wäre er wohl auch nicht traurig, wenn sie jemand von ihrem Vater erlöste. Eine göttliche Fügung, die konnten sie alle gut gebrauchen. Darum fühlte sich Juan nicht einmal schlecht. Es gab Menschen, die hatten den Tod verdient. Sein Vater war einer davon.

Sie konnten nur hoffen, dass schleunigst eine Ablöse gefunden wurde, die Kalifornien vor dem Schlimmsten bewahrte. Oder dass Zorro, gerecht wie er ist, seine Klinge durch meinen Vater fahrenlässt, um sein Land zu beschützen, wie er es bei Ramón schon getan hat. Aber es war schon verdammt hartherzig, dem eigenen Vater den Tod zu wünschen, fehlen würde er ihm allerdings gewiss nicht. Dagegen ihn selbst töten, das wäre die Sünde schlechthin. Diese unsägliche Arbeit musste schon ein anderer für ihn verrichten.

Man erzählte sich von Los Angelés bis Madrid die Geschichten über den Rächer Zorro, der für seine Landesleute einstand. Den man als Gefahr für die spanische Krone bezeichnete, nur weil er es wagte, Gerechtigkeit für sein Land einzufordern. Das waren schon düstere Zeiten. Spanien war ein einziges Pulverfass. Wo auch immer man residierte, überall schlugen Kanonenkugeln ein. Das Heer verwüstete ganze Landstriche. Wer dort lebte, konnte nie sicher sein, dass sein trautes Heim nicht bald dem Erdboden gleich gemacht wurde. Deswegen hatten sich viele Dons nach Übersee auf und davon gemacht. Der König war auch sehr großzügig in der Landverteilung an seine adeligen Gefolgsleute. Je mehr sie erwirtschaften konnten, umso mehr Geld würde er am Ende einsacken. Auch ihr König war ein habgieriger Mann, so wie fast alle Reichen. Don Juan war in diesem Luxus aufgewachsen. Trotzdem bedeutete er ihm nicht sonderlich viel. Was ihm wirklich etwas bedeutete, war Freiheit. Diese besaß er nicht, er war der adelige Sohn eines mächtigen Mannes. Von ihm wurde verlangt präzise zu funktionieren. Gefühle zu haben war gänzlich untersagt. Jedoch so wie sein Vater werden, das wollte er beim besten Willen nicht. Viele Dinge ließ er sich nicht ansehen, wirkte oft kühl. Das wiederum hieß nicht, dass er keine Gefühle besaß. Das letzte Mal hatte er Gefühle gezeigt, als er erfahren hatte, dass sie tatsächlich Verwandtschaft in Kalifornien hatten. Leider mit dem bitteren Nachgeschmack, dass sein Vater ihnen nichts Gutes wünschte.

 

Noch, bevor die Hochzeit stattfinden konnte, mussten sie ihren Plan in die Tat umsetzen. Ihr Plan, die Gefühle des Mannes gegenüber der Señorita auszunutzen, war eigentlich nur ein Vorwand. Entschlossen hatten sie etwas völlig anderes. So waren sich die Herren teuflisch sicher, dass die Dame die wahre Identität von Zorro kannte. Man musste sie ihr nur entlocken. Sein Geheimnis machte ihn stark, sonst nichts. Eine Frau, die ihrem Helden treu ergeben war, dazu zu bringen, ihn am Ende an die Armee zu verkaufen, war kein Leichtes. Umso wichtiger sei es, dass sie zügig handelten. Die Zeit drängte, da der alte Don Alejandro seinem Sohn wohl mächtig Druck gemacht hatte. Noch diesen Monat – und davon war nicht mehr viel übrig – sollte die Hochzeit zwischen Diego und Lolita stattfinden. Sie wollten es wohl schleunigst über die Bühne bringen, ehe sie ihre Entscheidung bereuen könnte und entschloss, diese zu revidieren. Davor schien der alte Narr große Angst zu haben.

Man konnte nur erahnen, was die älteren Männer mit einem hübschen Ding wie Señorita Lolita vorhaben könnten, um sie zum Reden zu zwingen. Es fiel nur ein einziger Satz und der brannte sich in so manches Gedächtnis. Sie sei nichts wert, wenn sie bereits die Nacht mit einem Mann im Schlafgemach verbracht hatte. Ihr Druckmittel würde an dem Tag erlöschen, an dem sie Diego heiratete. Nur unverheiratet sei sie ihnen wirklich nützlich. Die treue Ergebenheit der Dame würden sie mit ihrem Vorhaben blitzartig beseitigen.

Natürlich schrie Juan nicht gerade herum, als er den Wein brachte, sondern verhielt sich leise, dabei belauschte er Fetzen des Gesprächs der Männer.

„Wird Don Diego nicht ein Problem darstellen, wenn Ihr einfach so seine Braut aus ihrem häuslichen Umfeld entführt? Er ist zwar ein Feigling, aber sein Vater besitzt so etwas wie Macht. Er könnte uns ziemlichen Ärger machen, oder nicht?“

„Du Einfaltspinsel“, lachte sein Vater, „du hast noch viel zu lernen, Sohn. Don Luis plant doch nicht, die Señorita zu entführen! Er wird lediglich die Armee zur Hazienda Pulido schicken, mit einem Haftbefehl. In den Berichten wurde sie namentlich als Komplizin von Zorro aufgeführt. Der Captain hat nur nichts gegen sie unternommen. Dafür wird Don Luis ihm auch ordentlich die Leviten lesen.“

Dieser Captain konnte einem leidtun. Wenn sein Vater jemandem die Leviten las, endete das nicht selten mit Schlägen. Menschen behandelte er niemals gut.

„Das wird Don Diego nicht schweigend hinnehmen“, konterte Antonio weiter. „Der tritt euch doch sofort auf die Füße! Er wird mit Geld ankommen und sie freikaufen.“

„Das kann er nur, wenn er sie auch findet.“ Jetzt lächelte Luis auf eine grausame Art und Weise. „Wir werden sie nicht in der Garrison festhalten. Wir bringen sie raus aus dieser Stadt. Denn so viel Macht den Vegas auch zugesprochen wird, sie können auch nur etwas unternehmen, wenn sie wissen, wo sie sich aufhält. Wir müssen uns nur genügend Zeit verschaffen, sie ordentlich verhören zu können. Glaubt mir, Freunde, sie wird singen lernen, wenn wir uns ein bisschen mit ihr beschäftigen. Ich habe meine Leute, auf die Verlass ist. Ausgehungerte Soldaten, die schon seit Jahren nichts Weibliches mehr gesehen haben. Geschweige denn angefasst. Der Rest obliegt deiner Fantasie, Antonio.“

Und was, wenn sie nicht reden würde? Diesen Gedanken verscheuchte Antonio in Windes Eile, sonst würde er auch noch weiche Knie kriegen. War Lolita so dumm?

 

Die nächtliche Stille hatte sich über die Stadt gelegt und lullte sie ein mit dem sanften Singen des Windes, der sein Lied leise pfiff. Es war ruhig, nirgendwo war auch nur im Ansatz etwas in Richtung Streit zu hören. Da war der Krach, den ein einzelner Mann mit einem Mal veranstaltete natürlich sofort über die gesamte Plaza zu hören.

„Das ist doch vollkommen unnötig! Zorro hat die Segel gestrichen! Und Ihre sogenannte Komplizin hat längst um diesen Mann vergessen. Sie ist auf dem besten Wege die Frau eines anderen Mannes zu werden. Wollen Sie einer Frau denn gar nichts gönnen?“ Seine Stimme tobte durch den kleinen Raum. Um ihn herum Akten. In der Nähe des Regals stand sein Tisch mit einem schlichten Stuhl, ausgestattet mit Schreibpapier, Tinte und einer Feder. In Mitte des Tisches eine Kerze, um auch spät nachts noch seine Arbeit verrichten zu können. Er war ein hart arbeitender, fleißiger Mann, der sich kaum eine Pause gönnte.

„Verbrecher müssen bestraft werden!“, stellte Don Luis richtig. „Egal, ob sie ihre Taten eingestellt haben. Ein Mann dieses Kalibers kann man nicht einfach so davon kommen lassen, Captain! Die Liste seiner Vergehen nimmt mehrere Seiten Papier ein. Wie können Sie da an mein Gewissen appellieren? Diese Frau hat einem Verbrecher zur Flucht verholfen. So steht es im Bericht geschrieben. Wissentlich hat Sie die spanische Armee getäuscht, als Sie hinter diesem Zorro her waren. Das ist kein Kavaliersdelikt, das wissen Sie genau. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Jekyll. Wir werden sie gut behandeln. Schließlich ist sie ja eine vornehme Dame. Wenn auch mit einem frechen Mund. Solange sie den nicht aufmacht, wird ihr nichts geschehen. Alles, was wir wollen, ist der Name des Mannes, der sich Zorro nennt. Dann kann er sich nicht mehr vor uns verstecken. Ich will sie gar nicht allzu lange festhalten. Nur verhören, mehr nicht.“

Dieser Mann, er hatte das Sagen. Mehr als Kommandant Ramón es gehabt hatte. Trotzdem bot der Rothaarige ihm resolut die Stirn.

„Bei aller Hochachtung, Exzellenz. Eine gefühlsgeleitete Frau, wie sie, ist nicht ernst zu nehmen. Woher wollen Sie wissen, dass sie wirklich um seine Identität weiß? Manche Frauen verlieben sich in ihren Held, ohne je sein wahres Gesicht gesehen zu haben.“

„Ich diskutiere nicht mit einem Offizier niederen Ranges über meine Vorhaben. Noch dazu einem, der nicht dem Adel entstammt. Ich befehle Ihnen nur, diese Frau zu verhaften und herzubringen. Dass ich ihnen den Grund erläutere, ist reines Wohlwollen! Verstanden, Captain? Nehmen Sie sich ein paar starke Männer. Nicht, dass sie noch zu fliehen versucht.“

„Das werde ich nicht!“

Draußen schlotterten einigen Kerlen die Knie, als sie die Worte des Captains hörten. Denn es war eine klare Befehlsverweigerung. Gegenüber dem Ranghöchsten im Land war das nicht gewagt, sondern selten dämlich. Sein Mut in allen Ehren, aber damit fiel er ganz gewaltig in Ungnade. Etwas, wovon man sich niemals erholte.

„Sie wollen meinen Befehl verweigern? Für eine dämliche Frau?“ Das machte Don Luis unglaublich wütend, deswegen nahm er die Peitsche und zog sie lang. Es knallte einmal, als er sie straffte.

Unbeeindruckt stand dieser Mann vor ihm, der rein gar nichts zu fürchten schien. Nicht seine eigene Bestrafung, den Verlust seiner Arbeit, seines Rangs, oder gar seines Lebens.

„Ich bringe Sie vor’s Kriegsgericht!“ Drohte Luis und erhoffte sich damit, sein Gegenüber in die Knie zu zwingen.

Das wäre wohl sein klares Todesurteil. Man bestrafte seine Offiziere doch sowieso stets so wie es einem beliebte. Noch ehe jemand in Spanien davon erfuhr, hätten sie ihn bereits hingerichtet.

„Nein, das verstehen Sie falsch. Ich lege mein Amt freiwillig nieder ...“

„WACHEN!“ Rief Don Luis. Gleich darauf stürmten vier Soldaten den Raum.

„Nehmt diesen Mann fest! Er hat gegen grundlegende Regeln verstoßen. Nicht nur einmal!“

„Aber Exzellenz. Er ist der fähigste Offizier weit und breit. Wir haben ihm viel zu verd-“

„Schweigt! Es ist ein Befehl! Sperrt ihn in eines der Gefängnisse und dann holt mir einen der anderen Stümper! Hoffentlich ist der dann umgänglicher und weiß, dass man einen Befehl des Gouverneurs Folge zu leisten hat.“

Weitere Widerworte würden nichts bringen, deswegen ließ er sich wohl auch ohne Weiteres abführen. Wie einen Verbrecher behandelten sie ihn.

Jekyll verfluchte den Tag, an dem dieser Tyrann die Tür sein Arbeitszimmer passiert hatte, um sich ihm vorzustellen. Schon damals, beim ersten Blick in seine barbarischen, kalten Augen, hatte der Captain geahnt, dass Gefahr im Verzug war. Von diesem Mann ging Unheil aus.

Nie hätte er zu glauben gewagt, dass er sich jemals wie ein Straftäter fühlen würde. Dabei musste er unweigerlich daran denken, wie man diesen Zorro immer behandelt hatte. Natürlich, er war ja ein Verbrecher, aber verdient hatte er es genauso wenig. Gerade in diesem Moment empfand er Sympathie für ihn. Leider würde es womöglich überhaupt nichts bringen, sich aufzulehnen. Aber er konnte diesem Scheusal in seinen grausamen Plänen schließlich nicht helfen. Dass Don Luis ihn sofort verhaften lassen würde, hätte Jekyll nie für möglich gehalten. Nie hatte er sich etwas zu Schulden kommen lassen. Bestimmt würde er bald wieder draußen sein und der König am Verstand des Mannes zweifeln. Als man ihm mitgeteilt hatte, dass er mehrmals gegen die Regeln verstoßen hatte, hatte er sich ernsthaft gefragt, inwiefern er das hatte. Es war nicht so, dass er Zorro die Hand geschüttelt und sich mit ihm verbrüdert hatte. Laufen lassen hatte er ihn, weil er ihnen zur Hilfe geeilt war. Genauso wie er Lolita damit hat durchkommen lassen, dass sie ihn in die falsche Richtung geschickt hatte. Das waren höchstens zwei nennenswerte Fehler, die er gemacht hatte. Die rechtfertigten noch lange nicht, ihn ins Gefängnis zu sperren. Auch eine einzige Befehlsverweigerung reichte dafür nicht aus. Aber Leute wie dieser Don Luis, die fanden gewiss ihren Weg, wenn sie jemanden nicht mochten. Und sei es, weil sie nun einmal als Ranghöchster des Landes galten. Nun denn, gemocht fühlte er sich nicht. Genau genommen tat das kaum einer hier. Oder? Außer Gonzales, aber den hätten sie als nicht zurechnungsfähig erklärt, weil er ja so naiv war.

 

Es war kaum zu glauben, was ein einzelner Mann an Unheil mit sich bringen konnte. Zwar war Don Carlos Pulido bei ihrem Gouverneur bereits vor Jahren in Ungnade gefallen. Aber an diesem Tag wünschte sich die Familie, er wäre Gouverneur geblieben. Denn sein Nachfolger, Don Luis de la Cruz schien noch bei weitem grausamer und tyrannischer zu sein, als Arrilaga. So fielen mehrere Soldaten bei ihnen ein, verschafften sich nahezu gewaltsam Zutritt zur Hazienda und wollten noch nicht einmal auf den Hausherrn warten. Sie verlangten von Doña Pulido, dass sie nach ihrer Tochter schickte, während einer der Soldaten es sich sogar im Salon gemütlich machte. Er legte seine dreckigen Stiefel auf ihren sauberen Tisch, was Doña Catarina sehr wütend machte. So viel Respektlosigkeit gegenüber ihrer Familie. Sie zählten nicht nur zu den vermögenderen Familien, sie waren vornehm, entstammten der Aristokratie. Davon merkte man gerade herzlich wenig. Sie wurden behandelt, wie heruntergekommene Landleute.

„Wenn Sie keine Mätzchen machen, wird Ihrer Tochter auch nichts Schlimmes widerfahren. Wir werden Sie ihrem Stand entsprechend behandeln, das verspreche ich“, sagte der Offizier, griff sich einen Apfel und biss hinein. „Wir haben nicht ewig Zeit, also holen Sie sie schon.“

Nur missmutig und mit erhobenem Haupt lief die Doña die Treppe hinauf. Auf dem Weg überlegte sie, was sie von Lolita wollen könnten. Am liebsten wollte sie diesen ungehobelten Kerlen verbieten, ihre Tochter zu sehen.

Oh, wenn Diego das wüsste ...

Auf dem Weg zu Lolitas Zimmer wank sie heimlich einen Indianer heran und trug ihm auf, sich zu sputen. Er solle auf dem schnellsten Weg zu den Vegas reiten, um sie zu informieren. Sie ahnte, dass etwas Schlimmes ihnen bevorstand. Obwohl sie noch nicht klar deutlich gemacht hatten, was sie genau wollten.

 

Unterdessen hatte sich Don Luis höchstpersönlich auf den Weg zu Don Alejandro Vega gemacht. Er wollte sich selbst vergewissern, dass alles so getan wurde, wie er sich das vorgestellt hatte. Nichts wollte er dem Zufall überlassen.

Mit zehn einfachen Soldaten im Rücken klopfte er gegen die Eingangstüre. Eine dicke Dame öffnete ihm und sah sofort, dass es sich um hohen Besuch handelte. Die weiße, edle Uniform, gewiss hatte sie eine solche schon einmal gesehen. Als sie den Gouverneur bei sich zu Hause versteckt hatten nämlich.

„Sie wünschen?“ Fragte sie höflich und der Angesprochene drückte sogleich die Tür auf. „Wir wollen zum Hausherrn! Führ uns unverzüglich zu ihm!“ Forderte er barsch und unfreundlich, schritt hindurch und seine Soldaten folgten ihm. Maria hatte kaum eine Chance, sie davon abzuhalten.

Geschwind huschte sie an ihnen vorbei, den Flur entlang und sie folgten ihr mit gemächlichen Schritten. Letztlich machte sie bei einer Tür halt und klopfte. Sie wurde hereingebeten.

„Don Alejandro, der Gouv-“

Zu mehr war die Frau nicht gekommen, da stießen sie die Tür weiter auf und stürmten hinein. Sofort richteten sich die zehn Gewehre auf die am Tisch sitzenden Leute.

Erschrocken über diese unverschämte Aktion sahen sie in die Verläufe der Gewehre.

„Ich konnte sie nicht abhalten, Herr!“ Entschuldigte sich Maria bei ihrem Schirmherrn. Dieser nickte nur und wollte es ihr verzeihen. Sie konnte schließlich nichts dafür.

„Was verschafft uns die Ehre, dieses hohen Besuchs?“ Fragte Don Alejandro wenig erfreut über die durchgreifende Handlung der Soldaten. Waren sie denn Verbrechern gleich? Die Gewehre richteten sich besonders auf den Hausherrn, was Diego missmutig mit ansah. Es fiel dem jungen Mann schwer, nicht aufzuspringen und einen Schrei von sich zu geben, was ihnen einfiele, seinen Vater zu bedrohen.

„Wir kassieren Zorros Komplizen, seine Gefolgsleute ein!“ Lächelte Don Luis de la Cruz direkt in Diegos Gesicht.

„Deswegen bedroht Ihr meinen Vater mit Gewehren? Ist das nicht ein bisschen drastisch für einen alten Mann?“ Die Sache gefiel ihm nicht. Schon gar nicht, dass man ihn so offen anprangerte.

Langsam schritt Don Luis in den Raum und belächelte den aufsässigen Sohn von Alejandro hämisch. „Um deinen Vater geht es überhaupt nicht. Ich lasse lediglich auf ihn zielen, damit du nicht fliehst. Berichten zufolge, ist Zorro mehr als einmal in dieses Haus geflüchtet, wo ihm Unterschlupf gewährt wurde. Deinem Vater wird nichts widerfahren, wenn du ein artiger Junge bist und bereitwillig mitkommst!“

„Aber der Junge hat überhaupt nichts verbrochen!“ Warf Maria verzweifelt in den Raum, wurde allerdings daran gehindert, in den Raum zu kommen.

„Sie halten sich da raus! Verschwinden Sie gefälligst in die Küche!“

Einer der Männer schwang die Peitsche und die Frau wurde getroffen, woraufhin sie mit einem Aufkreischen zu Boden sackte.

„Maria!“ Jetzt war Diego doch aufgesprungen, entrüstet und mit einem nicht gerade wenig rebellischen Gesichtsausdruck. „Warum schlagt ihr eine arme Köchin? Wisst Ihr nicht, was Anstand ist? Ich dulde nicht, dass jemand sie schlägt!“

Fünf Gewehre richteten sich auf den jungen Mann. „Nur nicht zimperlich mit ihm! Ergreift ihn!“

Kaum, dass er den Befehl erteilt hatte, näherten sich die fünf Soldaten dem jungen Don, einer verpasste ihm einen Hieb mit der Feuerbüchse in seine Bauchgegend, ein anderer schlug ihm seine Schusswaffe ins Gesicht. Die anderen Drei schnappten den taumelnden Mann und legten ihm augenblicklich Fesseln an.

„Ich werde mich darüber beschweren, dass Sie in mein Haus eingedrungen sind und so respektlos mit meinem Sohn umgehen. Er wird ganz gewiss nicht fliehen! Ihn zu schlagen, dafür besteht kein Grund!“

„Diesbezüglich können wir uns nicht sicher sein“, lächelte Don Luis, während Diego noch immer um Luft rang und wohl fast zusammen brach bei den starken Hieben der Männer. Besonders der in die Magengegend machte ihm zu schaffen. „Euer Sohn ist wahrlich ein Schwächling, Don Alejandro. Eine Schande. Trotzdem werde ich ihn hart bestrafen müssen, immerhin hat er mit Zorro gemeinsame Sache gemacht.“

Welch milde Anschuldigung für den wahren Zorro, aber sie würden jetzt gewiss kein Wort dagegen einwenden, dass er ein schwacher Mann war. Auch wenn Maria es fast zerriss, nicht etwas zu sagen und zu tun. In ihren Augen standen die Tränen und sie war gleichermaßen bestürzt, als auch in absoluter Verzweiflung, zu sehen, wie wenig sich Diego wehrte. Sie wünschte sich, er würde sich wehren. Die Klinge holen, irgendetwas, was besser zu ihm passte, als den Feigling zu markieren.

„Wir werde ALLE Komplizen von Zorro ausfindig machen, um sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen.“ Die Soldaten entfernten Diego gewaltsam aus dem Zimmer, dabei warf er noch kurz ein Lächeln – was sie fast noch mehr bestürzte, denn ihm trat Blut aus dem Mundwinkel - zu Maria ins Gesicht. Trotzdem hatte er geschafft noch zu lächeln. „Keine Sorge, der Verdacht wir sich als haltlos erweisen, so wie immer. Es bringt jedoch nichts, gegen sie anzukämpfen, damit würde ich nur noch mehr Verdacht erregen. Ich bin bald wieder da. Schließlich feiern wir ja bald eine Hochzeit.“

„Hahahahaha! Träumer!“ Schallte es aus dem Raum, wo Don Alejandro immer noch von des Gouverneurs Soldaten in Schach gehalten wurde. „Gemütliches Heim, Alejandro! Du bist also wirklich zu großen Wohlstand gekommen“, sagte er und ließ sich dann neben Alejandro auf einem Stuhl nieder, als wolle er mit einem alten Freund ein Glas Wein trinken. „Wie schade, dass dein Sohn so etwas Dummes getan hat. Dein Leben könnte so schön verlaufen. Ab jetzt wirst du auf deinen geliebten Sohn verzichten müssen. Mit gerechte Strafe meinte ich natürlich, dass ich ihn hänge. Den Frauen lasse ich eine milde Strafe zukommen. Die werde ich auspeitschen, brandmarken und für ihren Zorro bluten lassen.“ Ein wahnsinniges, grausames Lächeln spiegelte sich auf Luis Lippen wieder. „Sie werden ihn dafür hassen, ganz gewiss, wenn wir mit ihnen fertig sind.“

„Du hast dich kein bisschen verhindert. Immer noch denkst du, Frauen zu schlagen, sei irgendeine Gerechtigkeit.“

„Und du, Alejandro warst schon vor fast dreißig Jahren närrisch.“

Don Luis wank einen der restlichen Soldaten zu sich. „Nehmt euch einen zweiten Mann, dann durchsucht die Hazienda. Alles, was von großen Wert ist, nehmen wir mit.“

„Damit wirst du niemals durchkommen!“

„Nicht? Ich bin der Gouverneur. Wenn ich möchte, hast du morgen kein Dach mehr über dem Kopf, alter Narr.“

 

Von oben hörte der kleine Bernardo die Unterredung der Erwachsenen. Für ihn gab es nicht lange nachzudenken. Sie wollten Diego verhaften, wahrscheinlich würden sie auch sein Zimmer durchsuchen. Also sprintete er in dessen Zimmer und begab sich in den geheimen Unterschlupf von Zorro, den man nur als eben solchen erkennen würde, weil sein Pferd dort untergebracht war.

Als er die dunklen Gänge passiert hatte, sah er das weiße Pferd, was es sich gemütlich gemacht hatte und gleich den aufgeregten Jungen sichtete. Er regte sich und der Junge atmete einmal ein und aus. „Viento, mein Freund! Ich weiß, es kommt ein bisschen plötzlich! Aber hier kannst du nicht bleiben.“ Sachte strich Bernardo über das Fell des weißen Pferdes, was so schnell ritt wie der Wind. Deswegen verdiente es seinen Namen wohl auch. Bisher hatte kein anderer Mensch es geritten, außer Diego – Zorro.

„Sei nett zu mir, okay?“ Bernardo streichelte es eine Weile. „Du wirst mich doch nicht abwerfen, oder?“ Diego hatte ihn gewarnt, er würde nie einen anderen Reiter dulden, er hatte ihn förmlich dazu abgerichtet, nur ihn zu tragen.

Die beiden sahen einander in die Augen und das Pferd schnaubte aufsässig, trotzdem stieg Bernardo in den Steigbügel. Sofort wurde das Pferd nervös und drehte sich einmal mit dem Jungen. „Ruhig! Ruhig! Wir tun das für Diego“, flüsterte er und das Pferd wieherte einmal. Es bockte weitaus weniger als erwartet, als es den Namen hörte. „Trag mich so schnell wie der Wind weg von hier! Wir dürfen uns nicht erwischen lassen.“ Sie passierten die Höhle und er trat der Zosse in die Flanken, woraufhin es mit einem kleinen Aufschwung los preschte. 

Die Komplizin

Die abgelegenen Orte, an denen sie sich trafen, waren jene dunkle Ecken, die in Richtung Hafen führten. Das heruntergekommene Gesindel traf sich dort. Räuber, Banditen, Aufständische. Don Juan und Don Antonio passten per se schon wegen ihres Aussehens nicht an diese Orte. Trotzdem befanden sie sich gerade an so einem.

Bisher hatte Juan geschwiegen, war seines Weges gelaufen und Antonio folgte ihm. Es war mittlerweile tiefste Nacht.

Bald hatte der um 2 Jahre ältere Genosse keine Lust mehr diesen düsteren Pfad entlang zu wandern. Deswegen blieb er stehen und warf einen grimmigen Blick auf Juan, der weiter seines Weges schritt.

„Und wie weit gedenkst du zu gehen? Willst du mir nicht endlich verraten, was du mit mir zu bereden hast?“

Beide hatten sich in Spanien kennen gelernt. Aber seit geraumer Zeit schien es Antonio, dass Juan sich verändert hatte. Um genau zu sein, in etwa seit der Zeit, dass sie wieder in Kalifornien an Land gingen. Ihre beiden Väter hatten ihre Söhne natürlich mitgebracht, um sich von ihnen unterstützen zu lassen. Beide waren schließlich um die 60 Jahre alt. Das war schon ein stattliches Alter.

Juan blieb jetzt stehen, drehte sich jedoch nicht gleich herum. Man musste sich sein Verhalten auf der Zunge zergehen lassen, denn er war kein Mann, der gerne vorausging. In der Regel wollte er lieber hinter Leuten gehen, dann konnten sie ihm weniger in den Rücken fallen. Es gab sehr wenige Menschen auf dieser Welt, denen dieser junge Mann Vertrauen entgegenbringen konnte. Schon so oft war er enttäuscht worden. Das durfte aber keinen wundern, denn er entstammte einer spanischen Adelsfamilie und war in der Großstadt aufgewachsen. Freunde hatte er nie welche gehabt, da es ihm nicht gewährt war, allzu oft die Gemächer ihrer großen Hazienda zu verlassen. Als Kind hatte er seine Zeit mit lernen gefristet, so wie sein restliches Leben. Kaum, dass er alt genug war – um genau zu sein 13 Jahre alt – hatte man ihn zur Militärakademie geschickt, ohne ihn vorher überhaupt gefragt zu haben, ob er es wollte. Man hatte das für ihn entschieden. Unter richtigen Männern war es als Heranwachsender keineswegs schön. Immerzu wurde man boshaft geärgert.

„Willst du mich anschweigen?“ Fragte Antonio jetzt zornig, erst dann drehte sich Juan herum und erschreckte ihn zutiefst mit seinem mürrischen Gesichtsausdruck und den anschließenden Worten.

„Du wirst mir jetzt auf der Stelle sagen, was du gegen Diego Vega hast! Was soll der Aufstand gegen ihn? Es würde dich wenig kümmern, wenn ihm etwas zustoßen würde! Was hat er dir getan? Lass ihn gefälligst in Ruhe!“ Mit einem einzigen Satz vermochte Juan seine Emotionen zu offenbaren, was für einen Mann niemals von Vorteil war. Er sollte seine Gefühle nicht so herausschreien. Das würde er irgendwann bereuen. Doch Juan konnte sie gerade nicht zurückhalten. Die Sorge, dass einer seiner Freunde dem Satan verfallen war, ließ ihn vorschnell und unklug handeln.

Was hatte seinen Freund nur geritten? Antonio verstand den Jüngeren sowieso nur bedingt. Der Fakt, dass er in der Tat Diego nicht ausstehen konnte, war kaum zu leugnen. Dennoch wurmte es ihn unglaublich, dass man ihn damit konfrontierte. Männer seines Schlages sprachen nicht über ihre Gefühle. Seine Abneigung gegenüber Diego war aber leider rein emotionell. Sie waren sich nie auf der Freundesebene begegnet, sondern gleich auf Kriegspfaden. Für ihn war Diego der aalglatte Sohn eines reichen Papis, der es ihm ermöglichte, zu tun, wonach ihm beliebte. Kurzum, Antonio fand gleich mehrere Gründe, ihn zu verabscheuen. Hochwohlgeboren glaubte mit Geld alles zu bekommen – auch das Herz einer Frau. Das machte ihn schier wahnsinnig. Nachdem Lolita ihn mit fadenscheinigen Gründen abgewiesen hatte, wie ihr Herz stimme dem nicht zu, sich gleich im Anschluss mit diesem Fatzke zu verloben, stieß ihm ziemlich bitter auf. Dieser faule, nichts taugende Feigling!

Einen kleinen Moment starrte Antonio zu Boden, ihn zierten boshafte Gesichtszüge, während er an diesen reichen Bengel dachte. Es stimmte – er wünschte Diego bestimmt kein schönes Leben und würde sich daran erfreuen, wenn die Armee ihn aus Versehen abknallte. Aber das hieß nicht, dass er aktiv gegen ihn vorging. Alles, was er tat, war glückliche Umstände erhoffen, über die er sich gewiss freute. Trotzdem überspannte Juan den Bogen. So weit waren sie noch lange nicht, dass er sich gegenüber einem jüngeren Mann rechtfertigen musste.

Antonio verstand Juan sowieso nicht, aber dass man ihm unterstellte, er wollte sich mit Vega anlegen, fand er ziemlich anmaßend.

„Ich komme nicht so ganz mit!“ Verriet Antonio Juan in leicht ärgerlichem Ton. „Nichts habe ich gegen den“, spie er unbeherrscht aus, trotzdem leugnete er und versuchte, seine Gefühlswelt wieder unter Kontrolle zu bringen, weshalb er sich auf die Lippe biss. „Was interessiert dich dieser reiche Schnösel eigentlich?“ Konterte der Schwarzhaarige nach einem Moment sachlich und frei von Emotion, was einen verblüffen konnte, weil er zunächst sehr barsch auf die Frage reagiert hatte. Dafür, dass dieser Kerl ihn gehörig auf die Nerven ging mit seinem elenden Schotter, blieb er einfach zu ruhig. Was hatte er auch zu befürchten? Weshalb sich allzu sehr aufregen? Mit seinen Worten drehte Antonio geschickt den Spieß herum und warf die Frage zurück an den Anderen. Denn was ihn ritt, konnte er den anderen genauso gut fragen. Anscheinend kannte Juan seine Gefühle gegenüber Diego ja, wieso also ergriff er Partei für ihn? Gleiches Recht für sie beide.

Das nannte man wohl Auseinandersetzung. Wenigstens haute man ihm nicht gleich aufs Maul. Trotzdem konnte Juan nicht zulassen, dass Antonio einen Fehler beging. Wenn der Adelige dachte, im Recht zu sein, dann konnte er äußerst beharrlich in seiner Meinung sein. Nicht selten versuchte er sie, den Anderen dann aufzudrücken. In diesem Fall, seine Meinung über Diego.

Ein Blinder merkte, dass Antonio viel verärgerter war, als er zugab.

„Stell dich nicht dumm! Das glaube ich dir nicht! Meinst du, ich sei blind? Du hegst einen Groll gegen Diego! Ich will wissen wieso! Mich interessiert einfach, wieso du meinen Vater mit Informationen über Diegos Braut versorgt hast, simpel oder nicht? Die Beiden wollten bald heiraten.“

„Anscheinend bist du ja doch blind!“ Antwortete Antonio auf Juans plötzliche Kaltschnäuzigkeit. Bisher hatte er ihn als sehr gefühlvollen Menschen kennen gelernt. Weitaus gefühlvoller als ihn selbst. Sogar Don Luis hatte es bestätigt, dass sein Sohn ungeheuer weich war. „Ist es nicht offensichtlich, was mich bewegt hat? Ich muss dir doch nicht jedes Detail auf die Nase binden! Ist es nicht schlimm genug, dass dein Vater mich deswegen aufzieht? Weil ich mich von einer Frau verspotten ließ?“

„Und deswegen wünschst du Diego natürlich nichts Gutes, weil ihm zufällig der Vorzug gegeben wurde? Bist du denn von Sinnen?“ Jetzt gingen die Pferde mit Juan durch und er versenkte seine Rechte in Antonios Gesicht, um ihn zur Vernunft zu bringen. Dann griff er sich dessen Hemdkragen und schüttelte ihn, was Antonio wider Erwartens mit sich machen ließ und dabei den Kopf zur Seite drehte, weil er ihm nicht in die Augen sehen wollte. Der Don wusste selbst, dass dies nicht richtig war.

„Bist du denn kein Ehrenmann? Wenn du einen Konflikt austragen willst, geh zu ihm und forderte ihn zu einem Duell heraus! Und hör auf hinterhältige Spielchen zu treiben! Du weißt, ich hasse das! Damit unterstützt du meinen Vater in seinen Intrigen!“ Juan war außer sich und donnerte seinen so genannten Freund gegen den nächstgelegenen Baum. Gerade wollte er ihm Schmerzen zufügen. „Hast du denn eine Ahnung, was mein Vater mit dieser armen Frau tun wird? Wenn sie dir wichtig wäre, würdest du sie davor bewahren und sie nicht ans Messer liefern!“

Juan war so voller Feuer, so hatte Antonio ihn bisher nie erlebt. Nur wegen einer Frau? Oder nicht eher wegen Diego? Es verwirrte ihn.

„Ein bisschen Schläge schadet dieser Frau nicht“, sagte er kühl, griff dann aber nach den Händen, die sein Hemd zerwühlten. „Warum bist du bei dem Thema so gefühlsduselig?“ Die Worte schmetterten Juan ins Gesicht, peitschten ihn wie ein eiskalter Wind. Sofort weiteten sich seine Augen, als ihm bewusst wurde, wie emotional er gerade gestrickt war. Er wusste nicht, inwiefern er Antonio vertrauen konnte, um ihm die Wahrheit zu sagen.

Bisher hatte er das Ganze vor seinem Vater verheimlicht. Hatte sich hinter seinem Rücken mit Diego getroffen und sich mit ihm unterhalten. Gefühlsgeleitet wie er war, hatte er sich versucht mit ihm anzufreunden, mit dem Wissen, dass sein eigener Vater nicht wollte, dass sie aufeinandertrafen – oder am schlimmsten, sie sich auch noch verstehen könnten. Im Ansatz konnte sich Juan denken, was sein Vater dagegen haben könnte. Die Art und Weise wie Diego sich verhielt, wie er von bestimmten Dingen zu reden pflegte ... Obwohl sie sich noch nicht lange kannten, fühlte er sich dem jungen Mann verbunden. Mehr als seinem Vater.

Juan ließ Antonio los, wandte sich mit einem resignierenden Seufzen von ihm ab.

„Keine Frau verdient es, geschlagen zu werden. Wenn dein Vater deine Mutter schlägt, was fühlst du dann?“ Der Körper des 21-jährigen zitterte wie Espenlaub, als er das sagte. „Hat sie es dann in deinen Augen auch verdient?“ Mehrere Gründe hatten dazu geführt, dass er sich abwandte, am meisten jedoch die Tränen in seinen Augen, als er von Müttern sprach. Welcher Sohn sah es denn bitteschön gerne, wenn man seine Mutter schlug? War er wirklich so kaltherzig? Das hätte Juan nie für möglich gehalten.

„Was? Um Gottes willen! Mein Vater schlägt meine Mutter nicht. Dazu hat er keinen Grund, weil sie weiß, wie man sich zu benehmen hat. Lolita hingegen – sie muss das noch lernen. Wenn sie mich heiraten würde, würde sie dieses Verhalten schnell ablegen. Glaub mir. So jemandem wie Don Diego Vega wird das höchstens Kopfschmerzen bereiten. Eigentlich sollte ich darüber lachen, aber es ist einfach nicht lustig.“

Kaum ein Mensch auf dieser Welt konnte wissen, wie es dem Aristokraten in diesem Moment ging. „Ich kann nicht glauben, dass das dein Ernst ist.“

„Das Kompliment gebe ich gern zurück, Juan. Woran liegt deine Sympathie für Diego, wie du ihn so schön beim Vornamen nennst, wie einen engen Freund? Du kannst es mir sagen. Du kannst dich beruhigen. Ich will ihn nicht fertig machen, dafür sind andere da.“ Ein bitteres Lächeln war in Antonios Gesicht getreten, weil es nun einmal die Wahrheit war. Es gab viele Menschen um sie herum, die Diego abgrundtief hassten. Vor allem die Leute seines Vaters würden es gerne sehen, die Familie Vega in ihrem Einfluss zu stürzen.

„Ich werde jeden umbringen, der ihn anfasst.“

„Dann solltest du mit deinem eigenen Vater anfangen.“

Bei ihren Eltern wusste er, was sie antrieb, bei Antonio war er noch bei weitem nicht so weit. Er konnte nur mutmaßen, das gefiel ihm nicht. Er wollte alles genau wissen. Wissbegierig wie er war, trotzdem war es erleichternd, zu wissen, dass sein Freund sich nicht auf Diego stürzen wollte, um ihn bei der ersten sich bietenden Gelegenheit niederzumetzeln.

Sein Vater war für ihn hoffnungslos verloren. Die Klaue des Teufels hatte ihn bereits erreicht, seit vielen Jahren, dessen Herz mit eisiger Kälte erfüllt. Das Flammenmeer der Unterwelt hatte ihn erreicht und sein schwarzes Herz brannte lichterloh.

„Seine Mutter war eine de la Cruz“, flüsterte Juan jetzt, er wagte kaum es laut auszusprechen. In ihm wuchs die Hoffnung, dass man ihn nun besser verstand.

In dem Moment spürte er einen kalten Windstoß in seinem Rücken, der passender kaum sein konnte, denn ihm war sowieso kalt.

 

Nichts ahnend öffnete Lolita ihrer Mutter die Tür.

„Kind, ein Offizier wünscht dich zu sprechen. Was hast du ausgefressen, Mädchen?“ Ihre Mutter war sichtlich besorgt und Lolita konnte sich gar nicht vorstellen, was sie verbrochen haben sollte. „Bestimmt handelt es sich nur um einen Höflichkeitsbesuch.“

„Ich weiß nicht! Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Sei nicht voreilig mit dem Mundwerk.“ Doña Catarina kannte ihre vorwitzige Tochter, doch diese lächelte jetzt ganz souverän. „Keine Sorge, ich bin vorsichtig.“

Als Señorita Lolita die Tür zum Salon passierte, war sie dicht gefolgt von ihrer Mutter, die fast nicht widerstehen konnte, die Hand ihrer Tochter in ihre zu nehmen, weil sie sie beschützen wollte. Aber ihre Tochter war flink darin, sich dem Offizier zu nähern, der so ungebührlich die Füße auf ihrem Wohnzimmertisch hatte.

„Sie wünschen?“ Ihre Stimme klang ziemlich aufgewühlt, aber sie versuchte doch noch die Höflichkeitsform zu wahren. Ihre Mutter hatte wohl nicht gewagt, dem Flegel von Offizier höflich um Respekt zu bitten. „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie unseren Tisch nicht ruinieren würden, Señor.“

Sofort schnellten die Augen zu der blonden, hübschen Dame, die viel energischer in ihrem Auftreten schien, als ihre Mutter.

„Oh, welch Wohltat für meine Augen.“ Der Mann nahm seine Stiefel vom Tisch und richtete sich die Kleidung, sowie seine Haare. Lolita blieb unbeeindruckt und schenkte ihm ihren durchdringenden, verachtenden Blick. Sie konnte nicht verbergen, dass sie Offiziere seiner Art nicht gerade mochte. „Señorita, Sie sind ja noch schöner, als man Sie mir vorgestellt hat. Ich bin Leutnant Verdugo. Es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen, auch wenn der Grund hierfür kein schöner ist.“ Man griff Lolitas Hand, und zwar nicht sonderlich zaghaft. Sie unterband den Versuch des schmierigen Mannes, ihre Hand küssen zu können.

„Welcher unsägliche Grund führt Euch zu uns?“

„Der Gouverneur trug mir auf, Eure Wenigkeit zu bitten, mitzukommen.“

Doña Catarina mischte sich jetzt in das Gespräch ihrer Tochter und dem widerlichen Kerl ein. „Meiner Tochter ist nicht erlaubt, mit Männern nach Einbruch der Dunkelheit ohne Begleitschutz zu verkehren! Auch nicht, wenn es sich hierbei um einen Offizier handelt, Señor!“

Leutnant Verdugo erhob die Hand, daraufhin richtete sich ein Gewehr auf Lolitas Mutter und ein zweites auf Lolita selbst.

„Ihr bedroht zwei Frauen, deren männlicher Schutz außer Haus ist?“ Entrüstung klang aus der Stimme von Lolita.

„Wir führen nur Befehle aus. Die besagen, dass Ihr mit uns kommen werdet, Señorita, egal was Eure Mutter auch dagegen einzuwenden hat. Ihr seid bereits alt genug, um vom Militär zur Rechenschaft gezogen zu werden.“

„Haben Sie keinen Anstand? Sie ist eine unverheiratete Dame!“ Wandte Catarina weiterhin tapfer ein, doch einer der Soldaten lächelte jetzt und ergriff ihr Kinn. „Wer wird denn gleich so biestig sein? Ich schätze, Ihre Tochter kann sich sehr gut alleine verteidigen, ein großes Mundwerk hat sie ja schon des Öfteren bewiesen.“

„Nehmen Sie Ihre Hände von mir, oder ich schreie!“

„Oh, schreien Sie, das ist wie Musik in meinen Ohren!“ Der Soldat schien Frauen wie die Doña ganz gern zu haben, jedenfalls sahen seine Augen sie gierig an.

„Wofür soll ich zur Rechenschaft gezogen werden?“ Fragte Lolita den Offizier und versuchte damit, ihre Mutter davon abzuhalten, sich mit den Soldaten anzulegen. Es waren zu viele und sie hatten nur eine einzige Waffe, die sie einsetzen könnten. Die war aber auch nicht in nächster Nähe.

„Ach, das weißt du nicht? Wir verhaften heute alle Leute, die es je gewagt haben, Zorro Unterschlupf zu gewähren.“

Damit hatte er Lolita wohl eiskalt erwischt, denn er sah für einen Moment die Furcht in ihren hellblauen Augen aufleuchten.

„Das ist doch lächerlich“, sagte sie, aber der Mann lächelte unverschämt und ergriff jetzt auch ihr Kinn und zog es zu sich heran.

„Ist es das? Wollt Ihr sagen, der Captain hat Lügenmärchen in seine Berichte geschrieben? Eure Liaison mit diesem Banditen ist wohl auch erstunken und erlogen, was? Und?“ Etwas Anrüchiges leuchtete in den Augen des Mannes auf, als er seine Frage stellte. „Wie weit seid ihr gegangen?“

Die Frage stand ihm nicht zu, egal ob sie angemessen gewesen sein sollte oder nicht. Eine Frau von Ehre sollte eine solche Frage niemals beantworten, doch Lolita war gewillt, noch weiter zu gehen. Ihre schallende Ohrfeige hallte im Raum wider, gleich darauf stockte Catarina der Atem. Das war jedoch das einzige Geräusch, was daraufhin ertönt war, dann beängstigende Stille. Lolitas Augen funkelten temperamentvoll und sie warf ihm einen verachtenden Blick zu.

„Was seid Ihr für ein Unhold, mir eine derart dreiste Frage zu stellen?“ Noch nicht einmal Leutnant Gabriel hatte sie je ins Gesicht geschlagen.

„Ihr adeligen Weiber denkt wohl, ihr könnt euch alles erlauben“, sagte er nach einem Moment des dämlichen Grinsens. „Nun, ich hoffe für Euch, meine Teuerste, dass Ihr euren Spaß mit dem Banditen hattet, damit es sich wenigstens lohnt, wegen ihm im Gefängnis zu landen. Ihr wisst, Frauen ergeht es an solchen Orten niemals sonderlich gut. Führt sie ab!“

Sein Arm schwang einmal zur Seite, worauf seine Soldaten sich an Doña Catarina vorbei drückten und dann einer jeweils links und rechts einen Arm ihrer Tochter griffen. Ihre Griffe schmerzten, aber sie verzog nicht die Miene. „Und selbst wenn es so wäre, geht es Euch überhaupt nichts an!“ Sie wusste, in ihrer Situation hätte sie lieber ihren vorlauten Mund gehalten, aber ihr Temperament ging mit ihr durch. „Mein Verlobter ist Don Diego Vega“, hauchte sie, „er wird Euch für diese Unverfrorenheit bestrafen.“

„Dass Zorro auftaucht, um dich zu retten, halte ich für wahrscheinlicher“, lachte er ihr dreckig ins Gesicht. „Immerhin war er ja blöd genug, dir zur Hilfe zu eilen. Aber bei einer Schönheit wie dir, wundert es mich nicht.“ Es widerstrebte ihr, mit diesen Männern zu gehen, aber wenn sie ihr jetzt schon wehtaten, nur indem sie sie ergriffen.

„Oh Gott, Kind.“ Es war ein Albtraum schlechthin für Doña Catarina. Ihr Mann Carlos war wer weiß wie lange weg und der Indianer doch bestimmt noch lange nicht bei den Vegas eingetroffen. Aber es war vorerst das Beste, wenn sie sich fügten. Egal wie haltlos diese Anschuldigungen waren. Diego würde schon dafür sorgen, dass ihre Tochter nicht mehr als nötig in einem dreckigen Gefängnis sein musste. Hoffentlich würde er diesmal so richtig männlich auf den Plan schlagen. Damit man ihn endlich ernst nahm. Sie tat das jedenfalls.

 

Der Nachrichtenüberbringer war in nicht allzu ferner Nähe zu hören.

Leute lasst euch sagen, die Uhr hat eben 1 Uhr geschlagen.

Es war bereits so spät und doch hatte der Captain bisher kein Auge zugetan. Er lauschte jedem noch so kleinen Geräusch und kam nicht zur Ruhe. Obwohl er nachdachte, hörte er alles. Auch die Gefängnistür und die Stimmen der Soldaten. „Beweg dich endlich! Oder willst du noch mehr Blessuren?“ Ungehobelter konnte man kaum mit der Person sprechen. Was zu allem Überfluss auch noch schockierend war, als sie ihn förmlich in die Zelle warfen, direkt neben dem Captain.

Anscheinend war ihr Gouverneur größenwahnsinnig. Er würde niemals damit durchkommen, Vegas Sohn ins Gefängnis zu sperren, wofür es noch nicht einmal einen ordentlichen Grund gab, oder? Genauso wenig wie bei ihm. Auch im Dunklen sah er sofort, welche Blessuren die Soldaten gemeint hatten. Kurz schenkte er Diego einen Seitenblick, einen mitleidigen. „Angenehmen Schlaf wünschen wir.“ Sie lachten und Diego verzog keine Miene, obwohl eine kalte, nasse Zelle bestimmt nicht das war, was er gewohnt war. Aber verärgert sah er dennoch aus, das sah der Captain. So böse dreinschauend kannte er ihn gar nicht.

Seine Hände ergriffen die kalten Gitterstäbe und hielten sich an ihnen fest. Als die Soldaten gegangen waren, rutschten sie entlang der Stäbe, als wollte er sie massieren. Er wies sich allerdings nur selbst an, ruhig zu bleiben. Tief Luft holend ließ er schließlich die Stäbe los und setzte sich auf das mickrige Bett, was auch noch entsetzlich stank. Mehr als er es in Erinnerung hatte, als er das letzte Mal in einem dieser Gefängnisse war. Wahrscheinlich hatten sie ihn in das Dreckigste geworfen.

„Was für ein Jammer.“

Der Captain beobachtete Diego, hatte bisher allerdings nichts gesagt.

„Und was ist bei Ihnen der Grund, Don Diego?“

Erst jetzt hatte er den Captain wirklich wahrgenommen, was wohl auch daran lag, dass er an der Augenbraue blutete und ihm das Blut bis über das Auge gerannt war.

„Guten Abend, Captain. Schlimmer kann diese Nacht wohl kaum werden. Was machen Sie hier?“ Natürlich hatte sich Diego zu ihm gewendet und konnte auch von der anderen Seite direkt in die Gefängniszelle schauen.

„Ich habe einen Befehl verweigert. Das war für unseren gerechten Gouverneur genug Grund, um mich einzusperren. Es bestürzt mich, Sie hier zu sehen. Das gefällt mir nicht.“ Er sah Diego traurig an. „Jetzt können wir nur hoffen, dass Zorro in Erscheinung tritt und diesem Wahnsinnigen eine gehörige Abreibung verpasst!“ Noch nie hatte er sich so sehr gewünscht, er würde kommen. Bisher hätte Jekyll auch nie geglaubt, dass es einmal wirklich notwendig sein würde, sich das zu wünschen. Geschweige denn, dass er tatsächlich diesen Wunsch hegen würde.

„Dazu müsste Zorro erst einmal davon erfahren.“ Eine sehr dumme Ausrede von jemandem, der gerade eingesperrt wurde und somit die Hände gebunden waren. Sein Blick ging nach unten.

„Das wird er gewiss. Deswegen sitzen wir ja hier.“

Verwirrt blickte Diego den Captain an. „Okay. Das verstehe ich nicht. Was hat das zu bedeuten? Man will Zorro in eine Falle locken?“

„Dieser Mann schreckt vor nichts zurück. Er will sich sogar Señorita Lolita vornehmen.“

Damit hatte er dem jungen Mann einen gehörigen Schrecken eingejagt. Erneut ergriffen die Hände die Gitterstäbe und rüttelten daran. Ein sehr sinnloses Unterfangen. Aber an irgendetwas musste er sich abreagieren, ehe er wieder bei Verstand sein konnte, um sich einen Plan zu überlegen. Die Gefängniswärter waren nie sonderlich helle, gewiss konnte man sie irgendwie überlisten.

„Ich verspüre nicht gerade große Lust, hier zu bleiben und Däumchen zu drehen, Captain.“

Auch das würde niemanden wundern, immerhin hatte er dem Mann gerade verraten, dass sie an seine Verlobte ranwollten.

Wenn nicht, blieb ihm noch Bernardo, der ganz bestimmt versuchen würde, ihn hier wieder rauszuboxen.

„Ich bin bereit, mit Ihnen zu kämpfen, falls Sie das vorhaben sollten. Augenblicklich gehöre ich nicht mehr zur Armee. Ich bin also ein freier Mensch.“

Diego ignorierte dieses Angebot erst einmal, auch wenn er es durchaus zu schätzen wusste. „Sie wissen nicht zufällig, was genau die mit Lolita vorhaben?“ Je mehr er wusste, umso besser. Das war stets seine Devise gewesen.

„Ursprünglich sollte es meine Aufgabe sein, sie zu verhaften.“

„Was soll sie denn verbrochen haben?“ Die Augen des Blondschopfes verzogen sich zu Schlitzen, als er ohne ihn mit einem Blick zu besehen, diese Frage stellte.

„Sie halten Lolita nicht nur für seine Geliebte, viel schlimmer noch, für seine Komplizin. Der Gouverneur vermutet, dass sie das Geheimnis von Zorro kennen könnte.“

„Unglaublich“, fiel Diego da nur ein und er schüttelte anschließend der Kopf. „Als wenn er so dumm wäre, es irgendwem zu verraten. Auch keiner hübschen Frau.“

„Sie wollten sie verhören, mehr weiß ich nicht. Vielleicht war ich ein wenig voreilig darin, diesen Befehl zu verweigern. Aber es erschien mir nicht richtig.“

Jekyll war auf ihn angesetzt worden, das wusste er. Obwohl dem so war, hatte Diego immer das Gefühl, er wäre fair gewesen. Dieser Mann war der Einzige, der niemals hinter ihm hergeritten war. Auf ihn geschossen hatte er auch nicht.

„Vielleicht hätten Sie Zorro mal etwas intensiver jagen sollen...“

„Dafür hätte ich meine Prinzipien über Bord werfen müssen.“

Bisher hatten sie nie die Zeit gehabt, sich auf irgendeine Art und Weise zu unterhalten. Nicht im Dienst, aber auch nicht in Zivil. Er hatte Jekyll gemieden wie die Stechmücken. Bei ihm hatte er immer das Gefühl gehabt, ein falsches Wort könne ihn verraten, anders als bei Gonzales, den könnte man fein hinters Licht führen.

 

Als der Indianer von der Hazienda der Vega Familie zurückkam, lagen Catarinas Nerven bereits blank. Dann teilte er ihr noch mit Bedauern mit, dass es ihm unmöglich gewesen sei, an Don Diego heranzukommen, da die Armee auch ihm einen Besuch abgestattet hatte, um ihn zu verhaften. Die Frau des Gutsherrn brach daraufhin in bitterlichen Tränen aus und sackte zu Boden. Im ersten Moment konnte sie einfach nicht begreifen, wie etwas so schnell sich in diesem Maße ändern konnte. Aus dem heiteren Himmel waren sie hergekommen und beschuldigten ihre Tochter, die Komplizin dieses Banditen zu sein, aber was sie noch viel mehr schockierte, war, Diego auch. Als wenn er irgendetwas riskiert hatte. Oder hatte er das vielleicht sogar? Das gesamte Verhalten der Kinder war ihr sowieso spanisch vorgekommen, aber Komplizen eines Banditen? Sie konnte es immer noch nicht glauben, dass sie dazu fähig wären, die gesamte Familie so hinters Licht zu führen. Nichtsdestotrotz, ein labiler Mensch wie Diego wäre gewiss eifersüchtig, wenn seine Wunschkandidatin sich in einen Banditen verliebte. Aber nicht ein einziges Mal hatte er so etwas wie Eifersucht an den Tag gelegt, dabei wusste Catarina, dass Diego eigentlich unsterblich in Lolita verliebt war. Immerhin hatte sie all seine Briefe immer abgefangen und zuerst gelesen, ehe sie sie ihrer Tochter überreichte. So manches Mal hatte sie einen Anfall des Schmachtens gehabt, wenn er ihr seine liebevollen Worte mitgeteilt hatte. Wahrscheinlich war ihm das auch zu anstrengend. Aber was wenn ... 

Die Männer der Gerechtigkeit hinter Gittern

Die Decke im Bett stank so ungeheuerlich, dass Diego es sich auf dem Boden gemütlich gemacht hatte. Er hatte ja viel Schlimmes in Spanien erlebt, aber in diesem Bett konnte er nicht liegen, ohne zu ersticken. Das hatte nichts damit zu tun, dass er dem Adel entstammte. In ihrem Pferdestall bekam er ja auch Luft, aber diese Zelle war um ein vielfaches Schlimmer. Verbrecher, die man hier eingesperrt hatte, hatten in diesem Bett gelegen, was wohl noch nie eine neue Decke gesehen hatte. Die reudigen Straßenköter, die sich vor dem fließenden Wasser fürchteten, hätte man ein Vollbad verpassen sollen, ehe man sie in die Zelle sperrte. Aber auf so etwas wurde bei Verbrechern keinen Wert gelegt. Mittlerweile hatte er sich seiner Lage ergeben, obwohl der Captain ihm nicht zuletzt das Angebot gemacht hatte, sich mit ihm gegen die Armee zu verbinden. Er resignierte nicht, sondern dachte nach und so sehr es ihm widerstrebte, er wartete ab. An Schlaf war nicht zu denken. Immer noch war Diego schleierhaft, wie dieser korrupte Kerl auf die Idee kam, ihn einzukassieren. Zwar hatte er von Zorros Komplizen gesprochen, aber es erschien ihm drastisch und zu weit hergeholt. Als wenn Luis de la Cruz nach einem Grund gesucht hätte, nur um ihn zu quälen. Jedoch wusste sich Diego nicht zu helfen, er hatte diesem Mann nichts Schlimmes getan. Zorro vielleicht, aber er?

Jekyll hatte ihn in Ruhe gelassen, als er nicht gerade redselig zu sein schien, aber ihn dennoch im Auge behalten. Bernardo könnte sich ruhig ein bisschen beeilen, aber was dann? Wenn er ihn befreite, konnte er Jekyll schlecht hier sich selbst überlassen. Wenn sie schon flohen, dann gemeinsam. Wie erklärte er ihm dann bitteschön, dass er nicht plante zu kämpfen?

Er musste hier weg. Kaum, dass er hier weg war, Zorro in Erscheinung treten zu lassen, wäre sehr verdächtig. Bisher schien der Captain von diesem Geheimnis wenig zu ahnen. Nie hatte er vorgehabt, jemals ein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren.

So langsam wurde Diego ungeduldig, stand auf und lief in seiner Zelle hin und her. Dass der Captain sich ein wenig Ruhe gönnte, hätte ihn nicht gewundert, aber er konnte hier doch jetzt nicht schlafen. Aber ihn stören wollte er auch nicht, indem er anfing zu plappern. Schließlich stieg er aufs Bett, da er ohnehin nicht darin liegen wollte und schaute aus der kleinen Luke, dem Gefängnisfensterchen. Draußen war weit und breit niemand zu sehen.

„Kann er sich nicht sputen? Ich will hier raus...“

Jekyll öffnete die Augen, als er Diegos Stimme hörte, denn wirklich schlafen tat er nicht. Wovon sprach der junge Kerl? Von seinem Vater vielleicht, der natürlich niemals stillschweigend dazu zusehen würde, dass man seinen Sohn länger als eine Nacht hier festhielt. Gerade jetzt erinnerte er sich an die Male, als sie Diego schon öfter verhaftet hatten. Zwar hatte Don Alejandro nie direkt auf der Matte gestanden, aber das lag wohl auch daran, dass sie ihn nie lange festhalten konnten. Dieses Mal, so war sich der Captain sicher, würde sein Aufenthalt länger dauern, wenn sie nicht vorher ausbrachen. Was konnte der alte Mann schon ausrichten? Er glaubte kaum, dass man ihn überhaupt anhören würde. Womöglich durfte er seinen Sohn nicht einmal sehen. Hätte er Kinder, würde ihn das sehr wütend machen. Alejandro war jedoch nicht mehr der Jüngste. Viel ausrichten könnte er kaum, vielleicht seine Macht spielen lassen, aber mehr? Das Gute an solchen Geschichten war, dass ein Adeliger sehr schnell frei kam, wenn er genug Geld vorzuweisen hatte. Um Geld ging es hier aber gewiss nicht. Hier waren höhere Mächte am Werk.

Aber jetzt erhob er sich von seinem Bett und sah zu Diego hinüber, als dieser gerade sich in Sicherheit wog und wohl nicht glaubte, dass er ihn beobachten könne. Deswegen hatte er wohl auch laut gedacht. Ihm gegenüber war Diego stets ernsthaft gewesen und hatte sich noch nie wie ein Vollidiot aufgeführt, was Gonzales ihm immer wieder gesagt hatte. Ihm gegenüber benahm er sich wie ein Mann, der wusste, wann er zu handeln hatte. So hatte er damals Diego gleich kennen gelernt. Ein guter Sohn, der sich zurückhielt, aber wenn man ihn höflich um Hilfe bat, er einem sofort helfen würde. Deswegen wollte er seine Hilfe dem jungen Don auch so gerne aufzwingen. Gerade war Diego nach außen hin vielleicht gefasst, aber als er ihn so von der Seite sah, hinausblickend aus dem Fenster, wusste er, dass es ihm gar nicht gut ging. Wahrscheinlich zerfraß ihn die Sorge um die Frau, die er liebte. Denn das tat er, das würde sogar jeder Blinde spüren. Auch jetzt schien Diego abzuwarten, dass Zorro sie befreite. Was sonst sollte er meinen, wer sich sputen sollte?

Der Captain stand auf und begab sich in die Ecke seiner Zelle. „Psst?“

Erschrocken sah Diego zu der Nachbarzelle, als man ihn an wisperte. „Was ist?“

Jekyll steckte seinen Kopf so weit zu den Eisenstäben hinüber wie möglich. Ein Kopfnicken zu Diego sagte ihm, er solle näher kommen.

Dieser sprang vom Bett und ging hinüber, so dass sie ihre Köpfe zusammen stecken konnten. Nie hätte Diego gedacht, sie würden einmal gemeinsame Sache machen. Er hielt ja viel von diesem Mann, aber mit ihm verbrüdert hatte er sich trotzdem nicht. „Machen Sie mit Zorro gemeinsame Sache?“ Flüsterte er, dabei zuckte Diego doch unglaublich und sah in die Augen des gerechten Mannes. Die Frage war erschreckend und daher kostete es ihn auch einiges an Selbstbeherrschung, den Schreck nicht zu zeigen. Alleine, dass er so etwas annahm, könnte man als gefährlich erachten, aber in ihrer gemeinsamen, misslichen Lage konnte sich Einiges ändern.

Anlügen wollte er ihn eigentlich nicht, das verdiente er nicht, aber die Wahrheit war gefährlich und er wollte seine Tarnung auch nicht so ohne Weiteres aufgeben.

„Überall wo Ungerechtigkeit herrscht ist Zorro zur Stelle“, flüsterte er knapp, dabei wollte er aber auch nicht bejahen. Dennoch waren Emotionen in seine Augen getreten. Er wollte nicht länger warten. Vielleicht war sein Bruder jetzt auf der Flucht und konnte nicht herkommen. „Wir können hier kaum offen sprechen, man könnte uns belauschen.“

„Das weiß ich. Der Grund, weshalb Sie hier sind, Don Diego. Hat er damit zu tun, dass Sie zufällig Mitwisser sind? Ich werde Sie gewiss nicht verraten, mein Wort darauf.“

„So ziemlich jeder in dieser Stadt hat mit diesem Banditen schon einmal gemeinsame Sache gemacht. Lassen Sie es mich so ausdrücken, zur Not frisst der Teufel Fliegen. Das Sprichwort kennen Sie sicher. Ich kann wenig ausrichten, ohne meinen Vater in sehr große Schwierigkeiten zu bringen. Deswegen habe ich mich immer ruhig verhalten, auch wenn ich die Schandtaten unseres Kommandanten nicht guthieß. Jetzt bin ich aber in sehr großer Sorge um Lolita. Ich muss etwas tun. Zorro hat ihr zwar immer geholfen, aber...“ Wie rechtfertigte er am besten, dass er diesmal wohl nicht kommen würde? „Wir wollten bald heiraten. Was für ein Mann wäre ich, wenn ich jetzt nicht selbst handeln würde? Ich bin aber noch nie aus einem Gefängnis ausgebrochen.“ Das war eine Lüge, zweifelsohne.

Theoretisch war es unklug, selbst auszubrechen, aber ihnen blieb kaum eine andere Wahl. „Ob man Gonzales ins Boot holen kann, was sagen Sie? Er ist ein guter Mensch und mein Freund. Wissen Sie, wo er steckt? Weiß er hiervon?“ Gerade hätte er jede helfende Hand ergriffen, die es ihm ermöglichte dieses Gefängnis hinter sich zu lassen.

„Ich könnte versuchen ihn rufen zu lassen, aber ich befürchte, dass man mir diesen Wunsch abschlägt. Der Gouverneur will mich vors Kriegsgericht bringen. Von so jemandem nimmt man keine Befehle mehr entgegen.“ Aber das hieß nicht, dass er es nicht probieren könnte.

Diego holte tief Luft, als Jekyll sagte, er solle vors Kriegsgericht. „Da kommen aber harte Zeiten auf Sie zu. Wie ich Sie kenne, wollen Sie natürlich kein Unrecht begehen. Es wäre bereits eines, wenn wir hier ausbrechen. Warum wollen Sie mir eigentlich helfen?“

„Das mit der Gerechtigkeit ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite betrachtet mag es vielleicht Unrecht sein, wenn wir aus dem Gefängnis ausbrechen. Auf der anderen jedoch ist es bereits Ungerechtigkeit, dass wir überhaupt hier sind. Die zivilen Obrigkeiten werden uns zwar anklagen, aber dann wissen wir wenigstens, wofür wir starben.“ Normalerweise war er sehr wortkarg, das hieß aber nicht, dass er nicht die Weisheit eines älteren Mannes mit sich brachte. Er hatte sie bisher nur immer für sich behalten. Viel reden, machte auch viele Schwierigkeiten.

Es lag nicht viel Hoffnung in Jekylls Stimme. Am liebsten wollte Diego ihm jetzt sagen, dass er so etwas nie zulassen würde. Dass Zorro ihn nie sterben ließe. Dass er alle Hebel in Bewegung setzen würde, um ihn davor zu bewahren, einen sinnlosen Tod zu sterben. So wie er jeden Menschen in dieser Stadt gerettet hatte, sollte er auch nur einen Funken Ungerechtigkeit in einer Gefangennahme sehen. So viele Menschen hatte Ramón versucht, hinzurichten – er hatte sie alle befreit und sich sein Grab immer tiefer geschaufelt. Man konnte von Glück sprechen, dass die Male, in denen er im Gefängnis war, am Ende ihn nicht das Leben gekostet hatten. Ramón hätte, wenn er die Wahrheit gewusst hätte, ihn mit Freuden aufgehängt. Von allen Rebellen hätte dieser Mann ihn wohl am liebsten verurteilt. Und er hätte es gewiss klug getan, ohne dass jemand etwas dagegen tun könnte, auf dem schnellsten Weg, mitten in der Nacht am besten.

Die Wahrheit hatte schon so viel Unheil mit sich gebracht. Vielleicht würde es Jekyll ja auch bestürzen. „Ich glaube nicht, dass der Herrgott im Himmel zulässt, dass Ihnen solch Böses widerfährt, guter Mann.“ Das war das Einzige, was er ihm gerade sagen konnte. Um ihn aufzumuntern, ihm Mut zu machen.

 

Die Gefängniskutsche wurde von zwei trabenden Pferden in Bewegung gesetzt. Sie bestand aus einem Frontteil, wo ein Kutscher sie lenkte und dem Hinterteil, der offen war. Eingesperrt hinter Holzstäben, ohne Sitzmöglichkeit. Sie hatten sie sich geschnappt, hinter sich her gezerrt und letztendlich in den Wagen geworfen wie ein Stück Vieh. Es war kein Stück mehr davon zu sehen, dass sie die Frau mit Würde behandeln würden. Wohin sie fuhren, wusste sie auch nicht. Die Fahrt führte sie über holprigen Weg, durch Wald und Gebirge. Den Weg kannte sie bereits, doch die Kutsche hielt nicht an, als sie in der Stadt waren. Mit Schrecken stellte Lolita fest, dass ihr Ziel nicht die Garrison war. Ohne etwas dagegen ausrichten zu können, ließen sie die Stadt hinter sich, die immer kleiner und kleiner wurde.

Ich hatte die ganze holprige Reise Zeit nachzudenken. Das gab mir einen kleinen Vorteil. Ich betete, dass er reichen würde ... Obwohl ich noch nicht einmal wusste, was sie mit mir vorhatten. Im Ansatz wusste ich, dass man mich aus der Stadt brachte, um in aller Seelenruhe sich mich vorzuknöpfen. Eine Komplizin hatten sie mich genannt. Der Umstand, dass Zorro der wohl am längsten Verfolgte Verbrecher war, ließ es mir schon Angst und Bange werden. Was würden sie wohl mit mir vorhaben? Würden sie tatsächlich meine Gründe hinterfragen? Oder mich gleich richten? Hoffentlich war meine Mutter dieses Mal auch so schlau würde auf dem schnellsten Weg die richtigen Personen alarmieren. Andererseits, war es so klug, wenn Diego davon erführe? Er war noch in jede Falle getappt – womöglich sogar bewusst. Bestimmt ging es ihnen darum, oder?

Dieser de la Cruz kannte die alten Berichte über Zorro. Schon von Anfang an hatte er sich sehr interessiert an ihm gezeigt. Sie wusste nicht einmal, warum genau. Er hatte ihn mit seinen Ungerechtigkeiten regelrecht aus der Reserve gelockt. Es war nur die Ruhe vor dem Sturm gewesen, oder? Eine ruhige Zeit, die sie alle hinters Licht geführt hatte. Ein jeder hatte an ihren Sieg geglaubt – und jetzt, so kurze Zeit später, waren sie aus ihren albernen Träumen erwacht, in denen alles gut werden würde ...

Sie war so dumm zu glauben, dass der Gouverneur Zorro wirklich fürchten könnte, da dieser glaubte, Zorro habe viele Verbündete, was ihn stark machte. Vielleicht war das auch der Grund, warum man sie des Nachts in einer Kutsche weg aus der Stadt brachte. Wie vielen anderen Menschen es wohl genauso erging? Sie war nicht so eingebildet zu glauben, dass sie die Einzige war. War das die Art dieses Mannes, Zorro anzugreifen. Weil er in einem direkten Gefecht nichts gegen ihn ausrichten könnte? Er hatte die Armee verstärkt und es zumindest auf direktem Wege versucht, vergeblich. Vielleicht waren sie auch zu siegessicher gewesen – sie alle, seine Anhänger, die ihn stets gefeiert hatten. Oder vielleicht waren sie beide schuld, weil sie nicht voneinander lassen konnten. Am Ende dachte dieser Kerl, sie sei ihm wichtig. Womit er dann leider goldrichtig lag. Sie hatte ein fürchterlich schlechtes Gewissen dabei. Zu wissen, dass sie einer seiner verheerendsten Schwachpunkte war. Wenn ihm etwas zustieß, dann war das gewiss ihr Verdienst. In ihrer Angst bereute sie sogar, dass sie seinen Heiratsantrag angenommen hatte. Während der Fahrt standen die Tränen in ihren Augen und sie hielt Todesängste aus um den Mann, den sie, bereits seit ihrer Jugend liebte.

 

Doña Catarina war bestürzt darüber, was ihr zugetragen worden war. Es hatte sie wertvolle 15 Minuten gekostet, bis sie sich in der Lage sah, selbst zu handeln. Zu gern schickte sie ihren Mann vor, gerade wenn ihr mal wieder etwas an ihrer Tochter nicht gepasst hatte. Gerade war er aber nicht da und sie wusste auch gar nicht, wann er zurückkehren würde. Ihr Mann hatte wegen der bevorstehenden Hochzeit seiner eigenen Tochter sehr viel zu tun. So tat sie etwas, was sie sonst nie getan hätte und auch jetzt sehr ungern tat. Sie ließ sich eine Kutsche bereit machen, doch anders als ihre Tochter ließ sie sich von einem Mann chauffieren. Es gehörte sich ja auch eigentlich nicht für eine Dame, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen, obwohl sie es durchaus konnte, hatte sie sich an diese Regel immer gehalten. Aber ihre Tochter war wild und hatte ihren eigenen Kopf. Sie hatte viele Jahre dieses Kind versucht anständig zu erziehen – in einigen Dingen war sie auch erfolgreich gewesen, allerdings nicht darin, dass eine Frau sich unter dem Mann stellen sollte. Sie hätte auch härtere Maßnahmen ergriffen, hätte sich ihre Tochter nicht wenigstens dem Anschein nach anständig benommen. Sie war vorzeigbar und niemals frech oder vorlaut gegenüber Don Alejandro. Also wusste diese Göre durchaus, was sich gehörte und all die Moralpredigten waren nicht umsonst gewesen. Gegenüber Diego hatte sie sich lange Zeit noch unmöglich aufgeführt, aber auch das war irgendwann abgeflaut.

Auch jetzt noch erinnerte sie sich daran, wie dieser falsche Herzog auftauchte und sich auch noch als Zorro ausgab. Das war höchstwahrscheinlich ein Wendepunkt in ihrer aller Leben gewesen, denn kaum, dass diese Sache passiert war, hatte sich das Verhalten ihrer Tochter erheblich geändert. Eine Tochter sollte immer auf die Weisheiten ihrer Mutter hören, das hatte sie noch gesagt, nachdem sie überglücklich gewesen war, dass Diego Lolita heil wieder zurückgebracht hatte. Zwar hatte das Mädchen lange geschwiegen, was ihre Rettung anging, aber sie alle wussten, dass nicht Diego sie gerettet hatte, aber trotzdem war er losgeritten, um sie nach Hause zu bringen. Ihre Tochter war ja nicht dumm, sie wusste seit diesem Tag ganz genau, dass auf Diego sehrwohl Verlass war. Das hatte er ihnen so oft bewiesen und sich wirklich Mühe gegeben. Auch jetzt baute Catarina noch auf ihn. Sie hatte sich nicht umsonst immer an ihn gewandt. Er war ja immerhin Alejandros Sohn und der fühlte sich in der Führerrolle immer am wohlsten. Meistens wiegelte er die ganze Stadt auf, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte. Die meisten Leute würden ihm auch folgen – bis kurz vor Diegos Rückkehr jedenfalls. Irgendwann war den Männern dieser Stadt aber der Mut abhanden gekommen, vor allem ihrem Mann. Darum war sie bis zuletzt froh gewesen, deswegen schätzte sie ja auch Diego als Mann so sehr. Er riskierte nicht besonders viel, das war in ihren Augen von Vorteil.

In einer guten halben Stunde hatte es die Kutsche bis zur Hazienda des Herrn Vega geschafft. Ein Bediensteter teilte der Doña mit, dass der Zeitpunkt für einen Besuch schier ungünstig war, doch Doña Catarina – ihrem Stand entsprechend – sah sich als wichtig und besonders an, ließ sich also nicht abspeisen. Sie forderte sofort, zu Don Alejandro vorgelassen zu werden, dagegen konnte derjenige wenig ausrichten, denn die Mutter der Verlobten vom Sohn des Hausherren mussten sie immer vorlassen, zumindest bis zum Wartebereich, gleich darauf berichtete man Don Alejandro von ihrem Besuch.

Zu ihrem Leidwesen fühlte sich der alte Herr gar nicht nach der Gesellschaft von Carlos Frau, die er oft nur stillschweigend ertrug, weil sie nun einmal bald zur Familie gehören würde. Die Art und Weise wie sie ihren Mann unterbutterte, missfiel ihm und er hoffte wirklich inständig, dass Diego es bei ihrer Tochter besser ergehen würde. Er hatte ihm auch lange in den Ohren gelegen, sich nicht alles von dieser Frau bieten zu lassen, weil man dann bald über ihn lachen würde. Er wusste, Diego war das einerlei, aber er hatte trotzdem versprochen, dass das keinesfalls der Fall sein würde. Zwar mit einem leicht gemeinen Unterton in der Stimme hatte er gescherzt darüber, dass sie ja immerhin wusste, dass er gefährlich sein konnte. Trotzdem wusste sein Vater natürlich, dass ohne diesen Umstand er wohl kaum gegen Lolita angekommen wäre, so wie er sich zuvor benommen hatte. Nichtsdestotrotz kannte auch Diego Mittel und Wege, sich eine Frau gefügig zu machen, was ihm jedoch wenig gefiel. Er wollte eine Frau, die sich von sich aus fügte, sich ihm also unterordnete. Was bei einer Frau wie Lolita jedoch wie ein immer währender Kampf sein würde. Ein bisschen glaubte Alejandro auch, dass genau das Diego gefiel – der Kampf um sie.

Aber gerade fühlte sich Alejandro eher nach sterben als nach einer anstrengenden Frau wie Catarina. Die auch noch über alle Maßen aufgelöst wirkte, als er sie endlich mit seiner Anwesenheit beglückte.

„Don Alejandro, es ist ganz schrecklich!“ Sagte sie den Tränen nahe und machte ihrem üblichen Dramaqueen Dasein alle Ehre. „Die Armee ist ins Haus eingefallen und hat Lolita einfach mitgenommen! Wegen einer schlichen Vermutung, sie sei Zorros Komplizin! Das ist doch ungeheuerlich! Diego muss schnellstmöglich etwas gegen diese Ungeheuerlichkeit unternehmen!“

Sie fiel mit der Tür förmlich ins Haus, das erschreckte den Don wie so oft ziemlich. Beinahe tat es ihm Leid um die aufgelöste Mutter, die sich natürlich um ihr Kind sorgte.

„Oh, so ganz Unrecht hat die Armee da sicherlich nicht.“ Es war keineswegs böse gemeint, deshalb seufzte er wohl am Ende auch so theatralisch.

Lolitas Mutter fand diese Art von Humor alles andere als lustig und ihre Mundwinkel verzogen sich empört nach unten. „Mir ist nicht nach scherzen zumute, Alejandro. Sie haben Lolita förmlich verschleppt! Wer weiß, was sie mit meiner armen Tochter machen?“ Sie schniefte und er glaubte ihr sogar, dass sie mehr als nur beunruhigt war. Er war ja auch beunruhigt über die Gefangennahme seines Sohnes, wogegen er natürlich plante vorzugehen. Er ließ sich das nicht gefallen.

„Beruhigen Sie sich erst einmal. Setzen Sie sich.“ Er brachte die Frau außer Fassung zur Sitzcouch im Salon und ließ ihr von Maria einen Tee zubereiten, der sie beruhigen sollte. So wenig er Catarina mochte, gerade tat es dem alten Mann leid, ihr mitteilen zu müssen, dass Diego außer Stande war, irgendetwas zu unternehmen und vor allem den Grund.

Er sagte ihr nicht sofort, dass sein Sohn inhaftiert worden war und wie groß auch seine Sorge war, weil er behutsam war und sie nicht gleich noch mehr aufwühlen wollte.

Erst als sie anscheinend etwas gefasster war, setzte er sie davon in Kenntnis, was ihm widerfahren war. „Sie müssen jetzt ganz tapfer sein. Unser Gouverneur ist ein eiskalter Mann, der vor nichts zurückschreckt. Mir scheint nicht einmal davor, willkürlich Menschen für etwas zu bezichtigen, was er nicht beweisen kann. Bei uns ist er auch gewesen, höchstpersönlich sogar, um meinen Sohn Diego abzuführen, wie einen Schwerverbrecher. Wir alle wissen doch, dass er nach außen hin harmlos ist.“

Catarina stockte sofort der Atem und sie konnte ein weiteres Schluchzen nicht unterbinden. „Das hört sich ja furchtbar an! Und Carlos reist in der Weltgeschichte um wegen so einer Belanglosigkeit, wie unsere Verwandtschaft! Wer soll mir dann jetzt helfen? Mein armes Kind.“

Gerade war die Doña nicht die starke Frau, die ihrem Mann die Leviten ließ, sondern die schwache Mutter, die um ihr Kind bangte. Das konnte der alte Mann sehr gut nachvollziehen.

„Ich werde die Leute in der Stadt zusammentrommeln und an ihre Hilfsbereitschaft appellieren. Wir können uns nicht alles gefallen lassen. Mein Sohn wurde grundlos verhaftet. Damit lasse ich ihn nicht durchkommen. Seine Gründe sind nicht rechtens, auch wenn er sich Gouverneur von Kalifornien nennen will, ist er das nur zeitweise, was er natürlich schamlos ausnutzt. Gerade hat er die besseren Karten, aber das Blatt kann sich ganz schnell wenden, glauben Sie mir. Eine ganze Stadt gegen sich aufzuwiegeln, sollte auch in seinem Sinne nicht sein.“

Mit diesem Versprechen konnte er der verzweifelten Frau zumindest Mut machen. „Allerdings gibt es da noch etwas, was Sie wissen sollten.“

Wissbegierig sah die Blondine den um so viele Jahre älteren Mann an. Die Jahre hatten ihn ruhiger werden lassen, denn ihr Mann und Alejandro hatten sich immer todesmutig für jedermann eingesetzt, ohne Rücksicht auf Verluste.

„Sicherlich ist es für Sie ein Schock, so davon zu erfahren. Aber Lolitas Besinnung und die meines Sohnes sind stimmig. Beide missbilligen Ungerechtigkeit. Warum wundert es Sie da so sehr, dass man ihr nachsagt, sie sei Zorros Komplizin? Jedes Kind in dieser Stadt weiß, dass sie eine Schwäche für ihn hat.“

Lolitas Mutter hörte so etwas natürlich nicht gerne trotzdem konnte sie die Augen davor nicht verschließen. „Ach, dieses dumme Kind! Todärgern könnte ich mich. Diesen Mann so anzuhimmeln. Aber auch ich bin ihm total verfallen. Trotzdem würde ich mich ihm doch nicht anschließen. Eine Frau sollte sich immer zurückhalten. Es tut mir Leid, wenn meine Tochter Ihren Sohn Diego vielleicht zu irgendetwas aufgewiegelt hat.“ Natürlich glaubte Catarina, dass ihre Tochter auf Diego eingewirkt haben könnte, etwas zu tun und er deswegen jetzt im Gefängnis sitzen musste.

„Mein Sohn benötigt dafür keine Frau.“ Don Alejandro wirkte ein klein wenig verstimmt, als er dies versuchte klarzustellen. „Er schafft es ganz alleine, sich in Schwierigkeiten zu bringen.“

„Oh bitte, Alejandro, Sie müssen nichts schönigen. Ich weiß, dass meine Tochter Ihrem Sohn mehr als einmal klargemacht hat, welche Art Mann sie mag. Bestimmt ist es so gewesen. Mir kam schon solange verdächtig vor, wie bereitwillig sie sich mit ihm hat verloben lassen. Gutes Aussehen war ihr noch nie wichtig, darauf kann man ihren Entschluss nicht schieben. Ebenso wenig war ihr Geld wichtig.“

Alejandro wusste nicht, wie er es ihr erklären sollte, aber er wollte auch nicht zu hart mit ihr ins Gericht gehen, das tat er ja noch nicht einmal bei Lolita, die lange Zeit seinen Sohn gequält hatte. Er verstand sie, denn auch er hatte, Diegos Verhalten nicht sonderlich berauschend gefunden, nachdem er ihn noch um seine Hilfe gebeten hatte.

„Lolitas Entschluss Diego zu heiraten, liegt daran, dass sie als junge Dame sich in ihn verliebt hat und einfach nicht verstehen konnte, wie er sich in den knapp drei Jahren so verändern konnte. Sie hat all ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben in ihn geleg, und ist dann so sehr enttäuscht wordent, so wie ich auch. Manchmal konnte man sich wirklich für meinen Sohn schämen. Deswegen mache ich ihr bestimmt keinen Vorwurf. Auch nicht für ihre Schwäche für Zorro, denn er war genau die Art von Mann, die sie sich in Diego gewünscht hatte. Ich weiß nicht, wann sie die Wahrheit herausgefunden hat, denn ich habe beide nie gefragt. Aber ich vermute, es war lange nachdem sie eingewilligt hatte. Die beiden sind befreundet, seit sie Kinder sind. Bestimmt war sie am Ende froh, dass er sich nicht aus dem Fenster hängt, wie sie sich am Anfang gewünscht hatte. Denn einmal habe ich sie alleine erwischt und sie danach gefragt. Zu sehen, wie Diego etwas schlimmes widerfährt, wäre das allerschlimmste für sie gewesen, auch wenn sie zu dem Zeitpunkt ihn nur gern hatte.“ Ihre Ehrlichkeit hatte ihn imponiert. Er hatte einfach wissen wollen, wie sie zu seinem Sohn stand, wenn sie die beiden schon verheiraten wollten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Vätern interessierte ihn das, ob sein Sohn glücklich war, obwohl er immer gelogen hatte, was das angeht. Das einzige, was er sich angeblich gewünscht hatte, war nicht von Lolita verabscheut zu werden, von geliebt werden, hatte er nie gesprochen. Es war ihm wahrscheinlich ein Leichtes, das zu behaupten, immerhin wusste er ja von ihren Gefühlen für Zorro. Wie man es dreht oder wendet, das war nun einmal er, da konnte er es gewiss besser ertragen.

„Ich bin froh, dass sie ihm jetzt die Gefühle entgegenbringt, die er sich insgeheim gewünscht hat, da bin ich mir sehr sicher. Seinen Vater kann er nicht anschwindeln. Es tut mir auch außerordentlich Leid, dass wir Ihnen nichts gesagt haben. Wir dachten, je weniger Menschen es wissen, desto weniger können uns gefährlich werden. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die falschen Leute davon erfahren.“ Er meinte es ja nicht böse, aber Frauen waren nun einmal Tratschweiber.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das einzig Berechenbare an Frauen ist, dass sie absolut unberechenbar sind.

Catarina verstand überhaupt nicht, was Diegos Vater ihr damit mitteilen wollte. „Ich glaube, ich verstehe nicht so recht, worauf Sie hinaus wollen. Was denn bitte erfahren?“ Auch jetzt hinterblickte die blonde Frau nicht das Offensichtliche, genauso wie ihre Tochter bis zuletzt sich dem Gedanken verschlossen hatte, dass Diego eben doch der junge Mann war, den sie vor fast 10 Jahren nach Spanien verabschiedet hatten.

„Um das zu verstehen, muss ich sagen, dass ich meinen Sohn um Mithilfe gebeten hatte. Ich beschwerte mich über die Umstände hier zulande und bat ihn darum, früher nachhause zu kommen.“

Ob Catarina jetzt verstand, was er damit mitteilen wollte, war sich Alejandro nicht sicher, aber aus ihm sprach auch sein schlechtes Gewissen. Nicht Lolita hatte irgendwen aufgewiegelt, das war er selbst gewesen. „Sie wissen doch bestimmt noch, wann Zorro das erste Mal hier aufgetaucht ist. Nicht? Das war nach Diegos Willkommensfeier.“

Don Alejandro konnte das Offensichtliche nicht einmal aussprechen.

Natürlich brachte der Mann Licht ins Dunkel, das sah man sofort in Catarinas Gesicht. Sie war blass geworden, als sie jetzt genau darüber nachdachte. Viele hatten gemunkelt, dass Zorro mit dem gleichen Schiff aus Spanien gekommen sein musste, wie Diego. Aber es war noch viel schlimmer ...

Die Doña hatte das Gefühl, in Ohnmacht fallen zu müssen. Sie hatte Diego für einfach zu handhaben empfunden. Ein braver Junge, der immer nur machte, was sich gehörte. Und da verpasste man ihr einen solchen Schock.

„Ich fürchte, ein Tee passt jetzt nicht, auf den Schock brauche ich einen Brandy.“

Diego hatte immer merkwürdig auf Fragen bezüglich Zorro reagiert, irgendwie ausweichend. Kein Wunder, wenn er ihn schon deckte. So etwas hatte sie sich schon gedacht, aber dass er selbst Zorro sein könnte – nein darauf wäre sie nie gekommen. Obwohl Carlos mehr als einmal erwähnt hatte, wie tapfer er als Junge gewesen sei. Sie wollte nicht noch so einen wilden Mann in ihrer Familie, der Kopf und Kragen riskierte, um seine Familie am Ende ins Unglück zu stürzen, weil er so weich war, dass er nicht wegschauen konnte.

„Ich hoffe, damit sind alle Missverständnisse geklärt.“

„Und dieses Luder hat immerzu geschwiegen. Nicht einmal ihrer Mutter hat sie davon erzählt.“

„Ach, das zeigt nur, wie treu ergeben sie ihm ist.“ Etwas, was Don Alejandro ziemlich begrüßte.

Die Wunschvorstellung von Männern. Dass die Frauen ihnen treu ergeben waren ... Auch Catarina hörte so etwas natürlich nicht gern, aber sie würde sich nie so offen darüber beschweren, wie zum Beispiel ihre Tochter.

Maria hatte das Gespräch mit angehört und brachte natürlich sofort einen Brandy, wie sie ihn verlangt hatte.

„Sollte ich herausfinden, dass die beiden irgendetwas vor der Ehe gemacht haben, gnade ihnen Gott“, sagte sie entrüstet und stürzte das Glas Brandy hektisch die Kehle hinab, was sich als Frau auch nicht wirklich schickte, aber sie war aufgebracht.

„Ich bezweifle dann doch, dass Diego so viel Mut hat, so etwas zu wagen. Maskiert oder unmaskiert nicht.“

Solch ein Satansbraten. Sie alle so anzuschwindeln ... Aber ihre Tochter war um keinen deut besser. Sich auch noch in einen solchen Unhold zu verlieben, dieses kleine Luder.

„Gleich morgen früh werde ich die Leute zusammen trommeln. Es gibt einen einzigen Ort in dieser Stadt, wo man ungestraft eine Sitzung abhalten kann, die auch verschwiegen abläuft.“

Beide Frauen sahen einander an und schienen sich zu fragen, wo das sein könnte. 

Einer gegen alle und alle gegen einen

Es war der Sonntagmorgen des 27. Mai 1810, den jeder anständige Mensch natürlich in der Kirche verbrachte. Auch Don Alejandro war einer von ihnen. Noch nie war er so froh gewesen, die Messe hinter sich gebracht zu haben, wie an diesem Morgen. Ihre Kirche war nicht sonderlich groß, fasste kaum 300 Leute, aber es waren genügend zugegen von ihren 350 Einwohnern. Die kleine Stadt hielt im Grunde zusammen wie Pech und Schwefel, so lange schon. Nachdem Edelmut und Hilfsbereitschaft schon fast der Vergangenheit angehört hatten. Direkt nach der Messe behielt der Padre die Bürgerlichen und Großgrundbesitzer noch in der Kirche. Ihrer aller Glück war, dass die Offiziere und Soldaten im Dienst waren und ohnehin sich nicht für die Kirche scherten, auch wenn sie die Regeln befolgten, meistens aus Angst vor der Strafe Gottes. All jene, die Unrecht begingen, mieden die Kirche sowieso wie der Teufel das Weihwasser. So war es natürlich für Don Alejandro die Möglichkeit, sich an fast die gesamte Stadt zu richten. Der Padre überließ ihm das Wort mit der Ankündigung, Don Vega möge zu ihnen allen sprechen, an einem Ort, der ihnen Schutz gebot. „Gestern abend, meine lieben Mitbürger, wurde mein Sohn Diego aus unlauterem Grund beim Abendmahl von Korruption und Hass heimgesucht. Die Armee fiel bei uns ein und er wurde nicht nur dazu gezwungen, mitzukommen, sondern ohne Grund geschlagen. Wo soll das alles noch hinführen, Leute? Hört mich an! Wir müssen Ihnen die Stirn bieten und sie bekämpfen! Ich wende mich also an euch, die Bürger dieser Stadt, die so etwas nicht stillschweigend hinnehmen dürfen, dass man weiterhin über unsere Köpfe hinweg entscheidet, was rechtens sein soll, denn nichts davon ist rechtens! Alle in dieser Stadt wissen, dass mein Sohn nichts Unrechtes getan hat. Wer leiht mir seine helfende Hand?“ Das entsetzende Schweigen in der Kirche, nachdem Don Alejandro so energisch und fordernd mit ihnen gesprochen hatte, ließ ihn verärgert weitere Worte an sie richten. „Ihr wollt also dabei zusehen, wie einer eurer Mitbürger so herablassend behandelt wird?! Wenn das so weiter geht, kann niemand hier mehr auch nur den Mund aufmachen, ohne bestraft zu werden! Wofür hat Zorro dann für uns eingestanden? Habt ihr kein schlechtes Gewissen, das zunichte zu machen, was er für uns erreicht hat? Zorro hat immer für die Menschen dieser Stadt gekämpft und dabei nicht nur einmal sein Blut vergossen!“ Es erzürnte ihn, was aber niemanden wunderte. „Ihr schweigt? Wäre das euer Sohn, würdet ihr auch zusehen? Und würde es sich um Zorro handeln, was würdet ihr dann tun?“ Nun sah man betretende Gesichter und eine junge Frau erhob sich. „Seid ihr denn alle blind? Wie könnt ihr einen guten Mann wie ihn so im Stich lassen?“ Sie ballte die Hände zu Fäusten, drehte sich herum und sprach ebenso energisch mit den Menschen, wie zuvor Alejandro. „War er nicht immer nett und freundlich zu allen? Gleichermaßen zu Mann, wie zu Frau und Kind? Wieso seid ihr so feige?“ Eine weitere Frau stand von ihrem Platz auf. „Männer! Ihr solltet diesem de la Cruz, der sich hier das Gesetz schimpft, die Stirn bieten! Wie kommt es, dass ihr vor einem fremden Landsmann kuscht? Sonst habt ihr auch ein großes Maul!“

Noch nie in ihrem Leben hatte Doña Catarina so etwas erlebt. Sie hätte nie geglaubt, dass ausgerechnet schwache Frauen sich für das Gute einsetzen würden. Also war ihre Tochter nicht die einzige dämliche Frau, die dergleichen Tat.

„Aber was sollen wir denn tun?“ Fragte ein junger Mann. „Mit ihnen verhandeln wird nichts bringen! Sollen wir die Waffen auf sie richten? Nicht viele hier sind wahre Edelmänner, die mit Waffen umzugehen wissen, wie beispielsweise die Armee! Sie werden einen nach dem anderen hinrichten! Hatten wir nicht genug Albträume in der Vergangenheit wegen diesem Kommandant Ramón? Warum sollen wir für einen einzigen Mann in den Tod rennen?“

„Es handelt sich dabei nur um den Anfang“, erwiderte Don Alejandro. „Gestern wurde nicht nur mein Sohn als Komplize von Zorro verhaftet, sondern auch Lolita Pulido! Eine ehrenvolle Dame, die zufällig die Verlobte meines Sohnes ist und ihn nächsten Monat heiraten sollte.“

Eine Bäuerin erhob sich. „Diego hat immer mit Lolita sehr großzügig bei uns gekauft und war immer nett zu allen. Ich würde ihm gerne helfen!“

„Ist es nicht lächerlich, dass nur Frauen hier den Schneid aufbringen, sich gegen diese Machenschaften aufzulehnen? Wo sind denn all die großkotzigen Männer, die sonst uns schwachen Frauen Befehle erteilen? Hah!“ Die Bürger befanden sich im Nu in einer aufgeregten Diskussion, die eher einem Streit glich, als einer solchen.

„Sogar Zorro scheint genug von diesem Kampf zu haben, ist es nicht so? Dieser Mann ist gescheit und jeder würde ihm folgen und sei es in den Tod. Aber selbst er weiß, wann die Sache aussichtslos ist.“

„Ja, weil ihr alle Dummköpfe seid. Wie könnt ihr nur denken, dass Zorro eine Frau in Not jemals im Stich lassen würde?“

„Nun ja, da gibt es einige Komplikationen, die ihn davon abhalten...“ Don Alejandro trat der Schweiß auf die Stirn, denn das zu erklären, in einer Kirche, unter Menschen, die wahrscheinlich in großer Anzahl ihr Leben einem einzigen Mann verdankten. Er konnte sicher sein, dass niemand von ihnen jemals ein Sterbenswort verraten hätte, aber trotzdem war für ihn immer noch so schwer, es direkt aussprechen.

„Was genau passiert denn jetzt?“ Fragte eine junge Frau. Sie war blond, genauso blond wie Lolita. Mit Locken, sehr wilden sogar. Jeder kannte sie. Ihre Stimme wirkte erregt und trotzdem versuchte sie, sachlich zu sein, aber sie zitterte. Nicht nur ihre Stimme, auch ihr gesamter Leib. Sie trug ein schlichtes Kleid, in Rosa, aber ihr Rosenkranz um den Hals ließ darauf schließen, dass sie reich war. Sie war allseits bekannt, weil sie in der Nachbarstadt sich der Verpflegung kleiner Kinder, die wegen unglücklichen Ereignissen Waisen geworden waren, verschrieben hatte. „Ich meine, was passiert mit Diego?“ Sie schien sich sehr dafür zu interessieren.

„Oh Gott, ihr Weiber. Kaum ist da ein reicher, gut aussehender Herr, entwickeln alle eine Schwäche für ihn. Und ich dachte, Zorro sei der Einzige, der hier alle möglichen Frauenherzen höher schlagen lässt“, meinte ein Mann missbilligend. „Bestimmt hat der junge Vega so mancher Frau schöne Augen gemacht, wenn sich alle in den Tod stürzen möchten für ihn.“

„So ein haarsträubender Unsinn! So etwas macht höchstens ihr anderen Holzköpfe! Er ist ein Edelmann, da macht man das nicht.“

„Don Alejandro, antworten Sie! Was hat der Gouverneur mit Diego vor?“

„So genau kann ich euch das nicht sagen, aber unsere Familien haben seit Jahrzehnten Differenzen. Er ist sehr erpicht darauf, mir das Leben zur Qual zu machen. Gehen wir also vom Schlimmsten aus, wo er mir ja bereits nahe gelegt hat, in Zukunft auf meinen Sohn zu verzichten.“

„Was regt ihr euch so auf? Ich bin überzeugt davon, dass Zorro auftauchen wird, um ihn aus dem Knast zu holen, oder Männer? Wir können wie gewohnt dabei zusehen.“ Kaum einer war der Meinung, sich die Finger schmutzig machen zu müssen, sie hatten ja Zorro, der würde wie immer brav seinen Kopf hinhalten. „Seid ihr total verrückt geworden?“ Warf Hanna, die zuvor genannte, hübsche Blondine ein. „Diego und Lolita wollten heiraten! Macht die Augen auf!“ Sie war wütend, auf die Blindheit der Leute, die eben doch nur für das kämpften, was ihnen besonders gefiel. „Juckt euch das nicht? Oder habt ihr es nicht verstanden? Der Mann, der sich all die Jahre für euch eingesetzt hat, das ist Diego! Wieso sonst sollte sie ihn zum Mann nehmen?“

„Das ist der lächerlichste Unsinn, der mir je mitgeteilt wurde!“ Stritt sich sofort ein weiterer Mann mit der jungen Schönheit.

„Ach, ist es das? Nur weil Sie Torfkopf das nicht begreifen? Zorro kann nichts unternehmen, denn der sitzt jetzt im Gefängnis!“ Sie faltete die Hände und sah Don Alejandro erweichend an. „Sagen Sie doch etwas dazu! Sie müssen es doch am besten wissen.“ Jeder Mann in der Kirche bemerkte sofort, dass es ausschließlich Frauen waren, die sich für den jungen Schönling interessierten. Wann auch immer sich jemand für Diego einsetzte, war er weiblich. Genauso war jeder im Raum diesem Zorro total verfallen. Die Frauen vergötterten ihn, die Männer verhießen ihn für gut und hilfreich. Sie feierten seine Schandtaten, obwohl es Verbrechen waren. „Nur für den Fall, dass es stimmt...  Was dann?“ Die Frage kam von einem alten Mann, kaum jünger als Don Alejandro selbst. Sie erschreckte jedermann so unendlich, dass kurz darauf eine entsetzliche Stille herrschte. Der Padre senkte das Haupt und holte tief Luft, ehe er an die Leute appellierte. „Die Gnade Gottes lehrt uns Gerechtigkeit. Don Luis de la Cruz praktiziert keine. Lasst mich euch eine Geschichte erzählen.“ Alles lauschte wie gebannt auf den Mann Gottes. Zumindest schenkte man ihm stets Gehör, immerhin lebten die meisten Menschen hier in der Furcht vor Gott, jedes mal, wenn er ihnen erneut eine Predigt gehalten hatte, um sie abzuschrecken. „In welche Unterkunft er sich auch wieder geflüchtet hatte, er verlangte nie etwas. Er bat darum. Manchmal war es ein Schluck Wasser. Oder ein Stück Brot. Aber am aller meisten war es die Bitte um Vergebung für seine Taten. Jedes Mal, wenn er durch die Tür zur Kirche schritt, hat er gebetet. Obwohl er stets maskiert war und niemals seine Maske abgelegt hätte, hätte ich den jungen Mann unser Tausenden wiederkannt. Er bezeichnete sich selbst als Feigling, der sich vor der Armee versteckt. Aber all das hat er nur getan, um EUCH, die um seine Identität wissen, zu beschützen. Er hätte es keinem freiwillig gesagt, oder ihn gar um Mithilfe gebeten. Trotzdem hat er all das immer für euch getan. Für euch, die jetzt tatenlos zu sehen. Vielleicht solltet ihr über euch alle nachdenken. Frauen, eure Gründe kann ich nicht gutheißen. MÄNNER, gebt euch einen Ruck und steht ein für all das Recht, was uns schon so lange entsagt wurde! Vor Gott sind alle gleich! Lasst also ab von euren Hang dazu Unterschiede zu machen. Denn auch er machte nie welche. Habt ihr überhaupt eine Ahnung wie adelig er ist? Welchem Stand er entstammt? Aus welchen Kreisen seine Familie stammte? Ihr habt das nie hinterfragt. Für euch ist Don Alejandro nur der Gutsherr, der mit seiner Frau aus Spanien kam. Einige dürften sich noch an sie erinnern, oder nicht? Eine gutherzige Frau. Genügsam. Sie verlangte nie viel. Manchmal verschenkte sie ihr letztes Hemd, um Bedürftigen zu helfen. Aber auch sie entstammte dem Adel. Was Don Alejandro euch sagen wollte. Sie ist eine de la Cruz. Und sie ist zusammen mit ihm davon gelaufen. Von Spanien nach Übersee. Unsere Exellenz, der Gouverneur wird nicht lange zaudern. Was er wirklich plant, ist Alejandro etwas wegzunehmen, was ihm wichtig ist. So wie er es damals auch getan hat. Er hat seine Frau schließlich gleich in ein anderes Land verschleppt. Dieser Mann dürstet nach Rache und die wird er gnadenlos verüben. Wenn also irgendwer von euch Diego auch so sehr schätzt wie ich, dann kämpft an meiner Seite mit Don Alejandro!“

„Dieser Mann hat nicht das Recht so etwas zu tun! Noch dazu der eigenen Familie so etwas abscheuliches anzutun! Wer weiß, wie er ihn behandelt? Wer von euch erklärt sich bereit, es herauszufinden?“ Fragte ein älterer Herr, der Don Alejandro auch durchaus schätzte. Auch wenn er seine Aufwiegelung gegen die Armee nicht unbedingt so sehr berauschend fand. „Wo sind die jungen Kerle, die mutig sind? Immer habt ihr euch über Diego lustig gemacht, zaudert aber selbst.“

„Na gut, ich mach’s!“ Stellte sich ein Rotschopf zur Verfügung, der allseits für seinen Übermut bekannt war, aber auch für seine gute Freundschaft zu Alejandros Sohn.

„Hill, bist du verrückt geworden? Bei deinem Glück bringen sie dich noch um!“

„Ach, so ein Unsinn! Ich lass mich schon nicht erwischen! Aber uns hat Zorro auch geholfen, also will ich ihm diesmal in seinem Kampf helfen!“

„Ach du meine Güte, Junge! Schon beim letzten Mal musstest du Hosen lassen!“ Einige Frauen lachten jetzt doch bei der kleinen Auseinandersetzung von Vater und Sohn. „Außerdem!“ Fügte er laut ein. „Es ist eine Schande, wie diese Spanier Lolita behandeln! Denen sollte einer Anstand einprügeln!“ „Ich glaube, ich helf dir!“ Meldete sich der Nächste, der sich natürlich auch ein bisschen wichtig machen wollte. Keiner der jungen Männer ließ sich gerne feige nennen und wollte schon gar nicht mit Diego verglichen werden, oder gar unter ihm stehen. Junge hitzköpfige Kerle gab es hier jedenfalls zur Genüge.

 

Der Padre war ein frommer Mann. Anders als die meisten Männer Gottes war er mehr als gnädig mit seinen Günstlingen. Nicht nur Zorro war einer von ihnen, auch die Familie der Pulido. Nicht viel weniger als zehn Jahre war es her, dass ein gewisser Carlo Pulido sich für ihn stark gemacht hatte. Damals war von Ramón kaum die Rede gewesen, aber auch zu der Zeit hatte die Armee sie alle unterdrückt, auch ihn und mit ihm die Kirche. Ein Händler hatte ihn damals eines Betrugs bezichtigt und die Armee war in eiserner Härte gegen ihn vorgegangen. Ihn, einen Mann Gottes. Das alleine war ungeheuerlich. Mitten auf der Plaza hatten sie ihm die Kleider vom Leib gerissen und ihn blutig geschlagen. Da hatte sich Carlos für ihn stark gemacht. Damals hätte noch nie jemand geglaubt, dass die verteidigenden Worte von Lolitas Vater so starke Konsequenzen hätten. Wer glaubte schon, dass ihnen der Mund verboten werden würde? Man hatte ihn beschuldigt, einem Gauner – ja so hatte man den Padre in dem Moment genannt – zu helfen. Sie konnten vielleicht seinen Körper schänden, jedoch nicht seine Seele. Er hätte sich von diesen Soldaten bis zum Tode verprügeln lassen, ohne auch nur die Miene zu verziehen. Zu hören, dass man eine Dame in Gewahrsam genommen hatte, nur weil man eine Hypothese aufstellte, sie könnte die Komplizin eines Banditen sein, schmerzte ihn unheimlich. Sein heimliches Wissen über Zorro machte es nicht leichter für ihn, die Füße still zu halten und Don Alejandro in seiner schweren Stunde alleine zu lassen, der ganz offensichtlich auch sehr genau wusste, um wen es sich bei Zorro handelte. Er hatte Augen im Kopf und kaum einer kannte seinen Sohn wohl besser, als er selbst. Die Tatsache, dass sogar der Padre bereit war mit ihnen in den Kampf zu ziehen, war es letztendlich, was den Bürgern ihren Stolz und auch ihren Mut zurückgab. Auch für ihn war der Zusammenhalt schön mit anzusehen, schließlich hatten sie damals nicht einmal gewagt, etwas gegen seine eigene Bestrafung zu tun, obwohl sie ihn alle schätzten. Nur Carlos hatte sich damals für ihn eingesetzt. Gerade hätte er jede Regel gebrochen, um Diego und Lolita zu helfen. Don Lucas schien reichlich besorgt um seinen Sohn, der sich bereit erklärt hatte, beim Hauptquartier und in der Garrison der Armee zu schnüffeln. Da war er doch froh zu wissen, dass ein paar Ältere auch den Schneid aufbrachten, sich seinem vorwitzigen Sohn anzuschließen. Ihm wäre wohler, wäre da eine Frau, am besten noch so eine wie Lolita, die das Temperament seines Sohnes etwas im Zaum halten konnte, aber solch ein Glück war ihnen nicht vergönnt. Sein Sohn folgte seinem Vater zwar ohne Wenn und Aber, trotzdem hatte sich bisher keine geeignete Frau für ihn gefunden. Im Gegensatz zu Don Alejandro glänzte er nicht mit dem größten Farmland, ebenso wenig mit Besitztümern. Zwar konnten sie nicht klagen, denn sie besaßen genug Fläche, um eine reichliche Ernte einzubringen, aber auch er musste sich an einen Geldverleiher wenden, sollte ihm eine Ernte ausfallen. Das könnte Don Alejandro so nie passieren. Sie waren gewiss beide Dons, man suchte sich aber niemals den Sohn eines armen Schluckers aus, um sich mit ihm zu verbinden. Alejandros Sohn hätte sich mit jeder Frau des ganzes Landes vermählen können, wenn er gewollt hatte. Und wen hatte er sich ausgesucht? Eine verarmte Familie, die noch weniger besaß, als Don Lucas eigene Familie. Wie gut, dass Alejandro – und vor allem wie großzügig – es duldete. Damit holte er die Familie der Pulido aus ihrer Misere mit einem Schlag wieder raus, ihnen würde es gewiss an nichts fehlen. Er selbst war froh, dass sein Sohn nicht mit der unzähmbaren Lolita anbändeln wollte. Von ihren finanziellen Schwierigkeiten ganz zu schweigen, war sie bestimmt eine gute Frau, aber sie hätten ein hartes Leben. Dieses kluge Kind verscherzte es sich natürlich nicht mit Diegos Vater und benahm sich an seiner Seite stets vorbildlich, deswegen durfte sie sich ja auf ein wundervolles Leben freuen. Jetzt zu erfahren, wie jemand den beiden einen Strich durch die Rechnung machte, war wie die eiskalte Dusche eines Eimers voll mit Wasser. Dass Diego Zorro sein sollte, der ihnen damals so tapfer geholfen und dafür fast gestorben wäre, ließ ihn seinem Sohn keine Steine in den Weg legen – man half einem Freund und sowohl Diego als auch sein Vater nannte er guten Freund.

 

Natürlich patrouillierte die Armee gerade jetzt besonders gründlich rund um das Gefängnis, um nicht zu riskieren, dass sie ihren guten Fang wieder verloren. Es war erschreckend, mit anzusehen, wie die ihre Kreise zogen und auch drei Wachposten direkt vor der Eingangspforte positioniert hatten.

„Denen scheint diese Sache verteufelt ernst zu sein. Wahrscheinlich würden sie auch jeden erschießen, der sich unerlaubt der Garrison nähert“, flüsterte einer der Älteren. Hill war aber trotzdem ungestüm genug, um es dennoch probieren zu wollen. „Bei einerr solchen Familie braucht es keine Feinde mehr.“

Der Kommentar traf den berühmten Nagel auf den Kopf, denn man könnte fast vermuten, dass der Gouverneur es tatsächlich ernst damit meinte, Alejandro seinen geliebten Sohn wegzunehmen.

„Ich habe die Befürchtung, dass es nicht beim bloßen Inhaftieren bleiben wird, Hill. Aber wir sollten nichts überstürzen. Es bringt uns allen nichts, wenn wir umgebracht werden.“

„Seht nur, da ist der Sargento! Vielleicht kann man sich ja ein bisschen nett mit dem unterhalten.“ Schnurstraks begab sich der Rotschopf zum Besagten und schockierte seine Kumpanen damit zutiefst, so direkt Interesse an dieser Sache zu bekunden, aber auch sie wussten, dass der korpulente Mann sehr leicht in Gespräche zu verwickeln war. „Schönen guten Morgen, Sargento! Hätten Sie wohl Lust und Zeit auf ein Schluck Wein?“ Jeder in dieser Stadt wusste, wie er funktionierte.

„Was, um diese Stunde? So bitter es ist, daran ist es überhaupt nicht zu denken! Wir müssen auf alles gefasst sein! Einen Überfall von Rebellen zum Beispiel.“

Dieser Satz alleine war schon aufschlussreich und verlangte sofort danach, nachzuhaken. „Warum sollte man die Garrison denn überfallen?“ Fragte Hill nach. „Der Gouverneur sagt, wir haben eine Truppe Abtrünnige inhaftiert. Wir müssen darauf gefasst sein, dass ihre Komplizen auftauchen – sogar von Zorro war die Rede.“ Im ersten Moment war zumindest erleichternd, dass sie nicht wussten, wo Zorro gerade festsaß. „Geben die denn niemals Ruhe? Und Sie arbeiten immer so hart. Für ein kleines Schlückchen wird wohl Zeit sein? Sie müssen nur dafür sorgen, dass Sie gut ersetzt werden.“

„Nein, das geht nicht!“ Blieb er hart, denn mit ihrem neuen Gouverneur war nicht zu spaßen, das wusste er leider und bedauerte doch sehr, dass er sich diesmal wohl strikt an die Regeln halten musste. „Wenn ich das wage, komme ich auch noch vors Kriegsgericht...“

„Das ist aber sehr rabiat, leider aber wohl bei einem kleinen Sargento üblich, nicht? Wollen Sie nicht selbst tätig werden und etwas Gutes tun? Vielleicht werden Sie dann endlich Leutnant.“

„Keine Alleingänge, ich habe die strikte Anweisung. Der Gouverneur ist...“ Gonzales war sichtlich nervös und beugte sich zu dem jungen Mann, um ihm ins Ohr zu flüstern.

 „...Ein riesengroßes Übel, das man beseitigen muss. Ich wünschte, dass Zorro davon wüsste und auf dem schnellsten Wege etwas unternimmt. Er würde an unseren zahlreichen Wachposten doch sowieso wieder vorbei kommen. Egal wie viele wir positioniert hätten, er wäre immer an uns vorbei gekommen. Leider nehme ich an, dass er die Stadt verlassen hat, weil er denkt, der Spuk sei vorbei. Wenn nur jemand ihn informieren könnte. Immerhin ist mein Vorgesetzter auch im Gefängnis.“

„Meinen Sie etwa Captain Jekyll?“

„Genau den! Aber ich kann überhaupt nichts tun! Wenn ich nur wüsste, wer dieser Zorro ist, ich würde ihn sofort um Hilfe bitten. Er würde, so wie er eben ist, sofort handeln.“

Die Situation drohte mit wenigen Worten ganz gewaltig zu eskalieren. Dem vorwitzigen Kerl konnte man zutrauen, dass er sich verplapperte, deswegen gingen seine Gefolgsmänner sofort ebenfalls zu Gonzales.

„Wir wissen aber nicht, wer Zorro ist“, sagte der eine, ergriff Hills Schulter und hielt ihn davon ab, einen Fehler zu begehen, wie sein Wissen gegenüber Gonzales preiszugeben. Das wäre gar nicht gut gewesen, so sehr er sich wünschte, Zorro würde auftauchen. Gonzales wirkte, als würde er einen längeren Moment brauchen, um nachzudenken. „Hmmmmm... Das stimmt wohl, aber ich kenne einen, der todsicher ganz genau weiß, wer Zorro ist. Vielleicht solltet ihr ihm davon berichten.“

Gebannt starrten die vier Männer an der Zahl den Sargento an, der sie auf die Folter spannte, wer das wohl sein könnte. „Ich habe den strikten Befehl, mich von Diego fernzuhalten. Aber ihr könnt mit ihm sprechen.“

 „Guter Witz! Wie denn? Der sitzt doch gerade in eurem Gefängnis. Wir können wohl kaum hinein spazieren und uns mit ihm unterhalten.“ Sie wurden Zeuge davon, wie Gonzales Augen sich weiteten, aber sie wussten nicht ganz wieso. Es schien ihn zu verblüffen ...

 

Am frühen Morgen schon ertönten die Klänge einer Violine und holte die Insassen des Gefängnisses aus ihrem Schlaf, der sie des Nachts doch heimgesucht hatte. Der Körper holte sich, was er brauchte, auch wenn keiner von ihnen sich diesem Schicksal gerne ergeben hatte.

„Schon wieder dieser Katzenjammer“, beschwerte sich der Gefängniswärter und wollte lieber doch ein wenig dösen, als dem Spiel dieses Instruments zu lauschen.

„Sie haben wohl überhaupt keinen Sinn für Ästhetik. Der Katzenjammer nennt sich Kunst.“  Im Gegensatz zu dem mosernden Nichtskenner, verstand Diego etwas davon. Ohne ihn spielen zu sehen, wusste er ganz genau, dass der junge Mann, der die Violine spielte, einen Sinn dafür hatte und sein Handwerk beherrschte, wie man es von kaum jemandem erwarten konnte, den man dazu gezwungen hatte, ein Instrument zu erlernen. Er selbst nannte sich kaum Pianist, aber auch er wusste zu spielen – bei weitem jedoch nicht so gut, wie der Andere, dem sie gerade lauschten, es verstand, seine Violine zu spielen. Was am Anfang noch sehr lieblich klang, endete ziemlich schnell in einer regelrechten Vergewaltigung der Violinen-Saiten.

Wann auch immer ich Kummer habe, Diego, spiele ich auf meiner Geige. Das beruhigt mich immer ungemein. Allerdings halte ich wenig von ruhiger Musik. Wenn ich spiele, klingt es immer, als bringe ich mein Instrument grausam um die Ecke ...

 

(An dieser Stelle empfehle ich den Genuss von David Garrett – Lose yourself. Das trifft es ziemlich)

 

Wahrscheinlich spielte Juan lieber auf der Violine als die Aufträge seines Vaters auszuführen. Bestimmt ging ihm gerade wieder irgendetwas gegen den Strich. Bei einem Mann wie Don Luis wunderte ihn das aber auch gar nicht, denn er trug seinem Sohn fast ständig seine hässlichen Aufträge auf. Nur bei ihm war er selbst erschienen, um Don Alejandro den Tag zu ruinieren.

Diego stellte sich vor allem die Frage, ob Luis wohl seine Pläne dem eigenen Sohn verriet, oder sie eher vor ihm geheim hielt. Im Grunde konnte sich der Blonde kaum vorstellen, dass Don Luis ehrlich zu seinem eigenen Sohn war, immerhin hatte dieser Mann all die Jahre die Existenz von Diegos Familie geheim gehalten. Mittlerweile wussten sie, dass Don Luis sich davor fürchtete, welche Flöhe Diego seinem Sohn in den Kopf setzen könnte. Zum Beispiel, ihm klarzumachen, wie schrecklich sein eigener Vater wohl war. Juan war zutiefst unglücklich über die Machenschaften seines Vaters, aber man konnte nicht von ihm erwarten, dass er selbst gegen ihn kämpfte – dafür bin ich ja da.

Es machte Diego auch nicht viel aus, diesen Mann zu ärgern, so groß waren seine Verbundenheitsgefühle gegenüber diesem Mann nicht. Mochte sein, dass er sein Vetter war, aber auch mit einer Blutsverwandtschaft schreckte er nicht davor zurück, nicht nur seinen Stolz zu verletzen, sondern ihn auch zu züchtigen. Die paar Schläge in seinem eigenen Zuhause waren erst der Anfang gewesen, darüber war sich Diego sehrwohl im Klaren. Er fragte sich, was ihm noch blühen würde. Wie weit Luis gewillt war zu gehen. Welche Grenzen er überschreiten würde in seinem Rachefeldzug gegen seinen Vater. Er hatte es ja selbst gehört. Don Luis‘ Plan war, Alejandro seinen Sohn nicht zurückzubringen.

Wird er mich aufhängen und mir einen schnellen Tod bescheren, oder wird er sogar so weit gehen, mich möglichst brutal hinzurichten? Vielleicht erschlägt er mich, das dauert schön lange.

Natürlich wusste er, dass man diesem Mann am besten alles zutraute. Umso schlimmer war seine Gefangenschaft. Er würde sich wehren, egal was kommen möge. Dann, wenn sie kamen, um ihn abzuholen, würde er kämpfen und wenn er sie alle umbrachte, inklusive Don Luis selbst. Wenn er überhaupt wagen würde, selbst Hand an ihn zu legen. Diesen Mut sprach er ihm nämlich nicht zu. Er war ein riesengroßer Feigling, der sogar einen direkten Konflikt mit Zorro bisher vermieden hatte. Immer, wenn er in Erscheinung getreten war, hatte er sich feige irgendwo verschanzt, von wo er seine Befehle erteilt hatte. Immer hatte er andere geschickt, die seine Drecksarbeit verrichteten. Aber eines hatte er ihnen verboten, ihn direkt zu erschießen. Wie großzügig von diesem Mann. Das schloss Schmerzen zufügen leider nicht aus. Das war ihnen erlaubt, ihn umzubringen nicht. Aus irgendeinem Grund war er scharf darauf, ihn lebendig zu kriegen. Nun hatte er ihn, ohne es zu ahnen, oder? Es wäre für Don Luis wohl wie ein Festtag, sollte er jemals herausbekommen, wer dieser Maskierte wirklich war. Das wäre doch als würde Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. Dann hatte er sogar einen legalen Grund, ihn umzubringen. Gerade glaubte er, dass er diese Sache hier nicht so ohne Weiteres rechtfertigen konnte. Aber, was wenn er etwas ahnte und bloß mit ihm spielte?

Kaum hatte Diego diesen Gedanken gehegt, da öffnete sich die Eingangstür und mehrere Soldaten, der Magistrado und der Gouverneur betraten den Raum. „Es stinkt wirklich entsetztlich! Ich werde mich im Hintergrund halten“, entschloss er und hielt sich ein Tuch vor die Nase.

Natürlich dachten beide, dass sie den Captain als besonders fluchtgefährdet einschätzten und kamen, um ihn abzuholen, aber man würdigte ihn keines Blickes und der Gefängniswärter schloss Diegos Zelle auf.

„Ich hoffe, die Nacht war einigermaßen angenehm.“

„Jeder Misthaufen wäre angenehmer“, konnte sich Diego kaum verkneifen zu sagen und überblickte die Lage. Es war eine ganze Horde Soldaten bei ihm – fürchtete er ihn tatsächlich so sehr? Das war kaum zu glauben, immerhin war er doch der harmloseste Zeitgenosse weit und breit, oder? Es war beängstigend und er fürchtete doch den Umstand, er könnte etwas ahnen. Dass man Diego diese Furcht ansah, konnte man nicht sagen, er verzog nicht die Miene und war noch nie so furchtlos gewesen, wie gerade. Er wollte diesem Ungeheuer von Mensch seine Angst nicht zeigen, denn auch er besaß so etwas, was sich Stolz nannte – der war gerade jetzt sehr ausgeprägt.

„Wie bedauerlich, dass dem so ist“, sagte er kühl. „Nur für den Fall, dass du dir vor Angst in die Hose machen willst, du Feigling! Und deswegen auf die Idee kommst, vor mir zu flüchten, du musst keine Angst haben. Ein paar schlichte Fragen, dann lasse ich dich nach Hause gehen, Diego. Ich persönlich habe nichts gegen dich, du hast mir ja nichts getan, nicht wahr?“ Seine Worte waren voller Spott und Ironie, obwohl er beides natürlich verbarg. Keiner sollte auf die Idee kommen, dass es ihm Vergnügen bereitete.

Jekyll hatte den Gouverneur von seiner Schokoladenseite kennen gelernt, man durfte ihm nicht trauen. Wenn er so etwas schon sagte, dann handelte es sich um Fragen, die man nicht beantworten konnte. Er war aufgestanden und beobachtete das Geschehen mit Interesse.

„Wie ich sehe, haben Sie reges Interesse daran, wie ich mich mit Diego unterhalte. Das ist auch unterhaltsam für mich. Sie haben sich doch nicht etwa beide angefreundet? Das wäre keine so gute Idee. Don Alejandro ist ein Verbrecher. Mit seinem Sohn sich anzufreunden wäre also auch ein Verbrechen. Wollen Sie doch nicht etwa, ehemaliger Captain?“

Missmutig besah ihn der rothaarige Mann, dabei schwenkte sein Blick zur Seite und strafte den älteren Mann mit Ignoranz.

„Wer behauptet diesen Unfug, dass mein Vater ein Verbrecher sei? Das ist eine reine Farce!“

„Oh, wer das behauptet? Das weißt du nicht, Diego? Berichte behaupten das!  Ein gewisser Leutnant Gabriel hat in einen Bericht geschrieben, dass Don Alejandro diesem Verbrecher Zorro Unterschlupf gewährt hat. Noch am selben Tag soll dieser Bandit auch bei den Pulidos seinen Unterschlupf gefunden haben, zumindest behauptet Sargento Gonzales das in einem seiner Berichte. Das ist aber längst nicht alles. Viele Spuren führen zu deinem Zuhause, Diego. Ich halte das für keinen Zufall. Andere Spuren wiederum führen zu einer blonden Schönheit, die wir alle allzu gut kennen. Wenn du ein braver Junge bist, wird keinem etwas widerfahren, mein Ehrenwort darauf.“ Es war kaum Platz für fünf in der Zelle, deswegen zerrten sie ihn grob aus ebendieser und nutzten den Platz direkt vor der Zelle. Dabei klatschte die Peitsche in Don Luis Hand auf und ab und er begrinste Diego hämisch. „Wenn du fliehst, lasse ich deinen alten, gebrechlichen Vater einsperren und aufs Brutalste auspeitschen. Du weißt, dass er das kaum überleben würde. Bist du also ein guter Sohn und nimmst seine Strafe auf dich?“

„Einem ehemaligem Leutnant, dem man offiziell nachgewiesen hat, dass er in Korruptionen verwickelt gewesen ist, schenkt man also mehr Glauben, als einem ehrenhaften Mann, wie meinem Vater?“ Verbalisierte Diego äußerst erbost darüber.

 „Oh, ich schenke diesem Mann Glauben. Er war schließlich nicht der Einzigste mit diesem Verdacht.“

„Ein Verdacht?? Ist das Ihr Ernst? Sie bezeichnen meinen Vater als einen Verbrecher wegen eines Verdachts?“ Ungläubig richtete Diego diese Worte an den Gouverneur, der weiterhin nur hämisches Grinsen für Alejandros Sohn übrig hatte.

„Es stehen viele aufschlussreiche Dinge in den Berichten. Die Armee war sehr fleissig im Sammeln sämtlicher Informationen über Zorro. Genauso wie er mit seinen Taten. Und der von allen geschätzte Captain Jekyll hat auch bis zuletzt alles in seinen Berichten festgehalten. Leider hat er sich geweigert, einen ihm aufgetragenen Befehl zu meinem Bedauern auszuführen, deswegen musste ich ihn ins Gefängnis stecken. Der Magistrado hält 10 Peitschenhiebe für die Mithilfe von Don Alejandro für angemessen. Ein alter, gebrechlicher Mann wie er würde die kaum einfach so wegstecken. Deswegen sehen wir davon ab, sie ihm zu verpassen. Wir nehmen stattdessen dich!“

Die Gesichtsfarbe des jungen Mannes entwich ihm und kalter Schweiß lief ihm über selbiges.

„Sie wissen, dass das eine Farce ist! Magistrado! Mein Vater hat sich nie einem Verbrechen schuldig gemacht! Nicht ein einziges Mal ist Zorro bei ihm untergekrochen! Dafür gab es nicht die geringsten Indizien! Und ich hätte gewiss bemerkt, hätte er solches getan!“ Diego war wütend, aber auch verzweifelt, obwohl er die zehn Hiebe bestimmt wegstecken würde, wie all die Verletzungen, die ihm in den fünf Jahren zugefügt worden waren. Trotzdem musste er wenigstens den Schein waren und durfte froh sein, dass sie sich nicht an seinem alten Vater vergriffen.

Bis zuletzt hatte Diego Haltung gewahrt und sich seine Sehnsucht nach einer Flucht nicht ansehen lassen, auch nicht als er aus der Zelle gerissen worden war. Er wusste, Don Luis würde allzu gerne sehen, dass er einen Fluchtversuch unternahm, um sich dann doch seinen Vater vorknöpfen zu können. Er war nicht dumm und wusste, Widerwehr war in diesem Fall gerade nicht angebracht. Nach diesem Gespräch würde er sich wohl doch genauer überlegen, ob er so etwas riskieren wollte. Nicht, ohne vorher mit Bernardo gesprochen zu haben, der seinen Vater in Sicherheit bringen konnte. So ohne weiteres wollte er nicht riskieren, dass seinem geliebten Vater etwas zustoßen würde, wenn er damit beschäftigt war, hinter Lolita herzurennen, weil er eben doch nicht anders konnte, als ihr zu Hilfe zu eilen.

„Gestattet mir eine Frage! Warum ich das hier erdulden muss, ist mir klar, aber was hat meine Verlobte verbrochen, dass man sie einsperren will? Und vor allem, wo ist sie?“

„Weit weg! Bestimmt willst du ihre Strafe auch noch gerne auf dich nehmen? Aber es tut mir außerordentlich Leid, es gibt keine Strafe. Wir unterhalten uns nur mit deiner Verlobten. Mehr nicht!“

So ganz konnte Diego das nicht glauben, aber er hoffte doch, dass sie die Wahrheit sagten. Natürlich verrieten sie ihm nicht, wo sie war. Das hätte ihn auch gewundert.

„Wie schön er schon bescheid weiß! Anscheinend hat irgendein Plappermaul es ihm erzählt. Ich frage mich, wer das gewesen sein könnte?“ Lachte der Magistrado und wies einen der Soldaten an, Diego den Oberkörper blank zu legen, dass sie endlich anfangen konnten. Einem anderen drückte er die Peitsche in die Hand, was diesen noch blass werden ließ, da er so etwas noch nie gemacht hatte und wohl auch keinen großen Wert darauf legte.

Man riss Diego grob sein Hemd vom Leib und er atmete unruhiger, ließ sich aber ansonsten nichts anmerken. Captain Jekyll wirkte wesentlich angespannter, als er das Ganze beobachtete und die Eisenstäbe fest im Griff hielt.

Die Ungerechtigkeit, die ihnen hier zuteilwurde, er wollte sich gerne gegen diese auflehnen, aber weitere Worte würden das Ganze nur noch verschlimmern, so hatte er das Gefühl. Außerdem hatte er die Spitze ihm gegenüber sehr genau vernommen. Wer sonst, außer ihm hatte die Möglichkeit gehabt, Diego in Kenntnis zu setzen, dass man Lolita verhaften wollte?

Die Peitsche schwang natürlich sofort durch die Luft. Diego zuckte nicht einmal, aber ihm war auch bewusst, wieso ...

 

Ganz anders als Gonzales, der nach der Aufklärung über Diegos Gefangennahme, natürlich nach seinem Freund wenigstens schauen wollte. Er schaute durch das Gefängnisfenster und sah mehr, als ihm lieb war. Im Gegensatz zu Jekyll hatte er so etwas noch nie direkt beobachtet und sah nicht, wie milde die Strafe war. Der junge Soldat gab sich keine sonderliche Mühe, kräftig zuzuschlagen. Durch die Entfernung sah er auch nicht, welche Spuren die Hiebe hinterließen, Jekyll jedoch sehr genau. Er schwieg Stille und ließ es geschehen ...

Sie waren gerade mal stark genug gewesen, dass sie leichte rote Streifen hinterließen und gewiss genug Strafe waren. Für seinen Geschmack jedoch mehr als unverdient, ihn so zu verprügeln. Unbeeindruckt ließ der Gouverneur den Soldat alle zehn Hiebe ausführen, nur um am Ende ein nachdenkliches „mhmmm“ von sich zu geben.

„Ich glaube das Wort Auspeitschen muss man genauer definieren. Auspeitschen sollst du ihn, nicht streicheln!“ 

Er ging hin und entriss dem jungen Soldaten die Peitsche. Nicht nur, dass er jung war, er hatte als Kind zusammen mit Diego gespielt und konnte ihm einfach nicht solche Schmerzen zufügen. Obwohl sie Männer waren, fand er es ungerecht, ihn überhaupt zu schlagen. Aber richtig schlagen? Er wurde beiseite geschubst und er bedauerte dann doch, dass er nicht richtig zugeschlagen hatte, als jetzt der Gouverneur zum ersten Schlag ausholte. Die Peitsche schnitt kräftig die Luft und diesmal blieb Diego nicht still, als er den ersten Peitschenhieb erdulden musste. Man hörte sein deutliches, kleines Keuchen, auch weil er auf diesen nicht gefasst gewesen war. Diesmal bildete sich kein schlichter Streifen, sondern eine dicke Blutspur, aus welcher die rote Flüssigkeit quellte.

Der junge Mann hatte beide Hände gegen die Mauer gepresst, so fest er konnte. Dabei wurde sein Körper beim Schlag mehr in Richtung Mauer befördert.

 Es war nicht so, dass der Gouverneur die Hiebe schnell hinter sich brachte. Nein, er genoss sie in vollen Zügen. Zu urteilen nach seinem bösartigen Lächeln und seinen noch gehässigeren Worten, die anschließend folgten. „Glaub mir, nichts bereitet mir größere Freude als den Sohn meines Erzfeindes körperlich zu misshandeln! Es wird mir das größte Vergnügen sein, dich am Boden kriechen zu sehen! Mit jedem Schlag, treffe ich deinen Vater mitten ins Herz!“

Der nächste Schlag kam. Und der dritte, der vierte. Die Beteiligten konnten schon nach dem vierten nicht mehr hinsehen und wandten die Blicke ab. Sogar der robuste Captain Jekyll konnte es nicht mehr mit ansehen und wendete seinen Blick ab, wo er dann die entsetzten Augen von Gonzales erblicken konnte, aber mit keinem Wort etwas sagte. Beide sahen sich in die Augen. Stellten fest, wie sehr es sie schmerzte. Jeder Hieb war zu hören, ebenso Diegos Stimme, gedämpft zwar, aber trotzdem war deutlich, dass die Schmerzen massiv sein mussten. Nicht nur, dass sie die Peitsche durch die Luft sausen hörten, das leise Wimmern war ebenfalls zu vernehmen. Dennoch hielt er sich tapfer und es blieb bei diesen kleinen Lauten. So viel eisernen Willen hätten wohl beide Diego nicht zugetraut. Jeder hätte damit gerechnet, dass nicht nur Blut floss, sondern auch Tränen. Das war der gleiche Mann, der Gabriel mit seinen Schreien nach dem Vater den letzten Nerv gekostet hatte. Sie beide wussten jetzt, dass das Ganze eher eine Schauspieleinlage gewesen war, um Gabriel ein bisschen zu ärgern. Er konnte wie ein richtiger Mann einstecken – und ertrug es lange, ehe er die ersten Anzeichen von Schwäche zeigte und man ihn doch hochzerren musste, damit er nicht umfiel, denn er sackte fast zusammen. Aber dem Gouverneur schienen die blutigen Stellen, die er ihm beibrachte, nicht auszureichen. Er wurde zornig und schrie ihm entgegen. „Los schrei!“ Dabei prügelte er immer härter auf Diego ein, welcher sich jetzt sogar kräftig auf die Lippen biss, um ihm den Gefallen nicht zu tun. Dabei brachten die brutalen Schläge ihn fast zur Bewusstlosigkeit. Auch nach dem zehnten Schlag, der den alten Mann total verausgabt hatte und ihn hecheln ließ, wie sonst nur Hunde in der Hitze, hatte Diego nicht ein einziges Mal geschrien ...

„Jetzt zu meinen Fragen, Don Diego Vega“, wurde er jetzt förmlicher, nahm ihm in den Nackenhaaren und zog ihn hoch.

Diego keuchte leise vor Schmerz, auch jetzt spürte er die Peitsche noch deutlich, obgleich der Mann aufgehört hatte, ihn zu schlagen. Fast jede Faser seines Rückens schmerzte unheimlich und sein Körper erfasste ein unkontrollierbares Zittern.

Es machte nicht den Anschein, als wäre Diego noch in der Lage, allzu ausschweifende Unterhaltungen zu führen. Aber er ließ ihn nicht los und lächelte dann milde. „Wer ist dieser Zorro?“

„Kann – ich – nicht – sagen...“ Es war höchstens ein Krächzen, für mehr fehlte Diego die Kraft.

„Es wäre besser für alle Beteiligten, wenn du die Wahrheit sagst, Junge.“

Einen kurzen Moment der Stille genießend fragten sich alle, welche schlimmen Dinge er mit den Besagten planen könnte, um es so zu sagen. Genauso quälte sich ein jeder mit der Frage, ob Diego gerade log, oder wirklich nicht wusste, wer ER war.

„Wen wollen Sie denn noch quälen?“ Hauchte Diego, daraufhin kassierte er das boshafteste und tiefste Lachen in seinem gesamten Leben. Dieses hallte durch die engen Gefängnisgemächer und drang brutal in den Gehörgang aller ein.

„Hast du so wenig Fantasie?“

Die Grausamkeit, mit der er diese Frage stellte, ließ es ihm übel werden. Zum Glück war sein Gesicht gegen die Mauer gerichtet und Don Luis war es nicht vergönnt, einen Blick in Diegos Augen zu werfen. Diese leuchteten vor Zorn, aber auch vor Angst um seine Liebste. Er musste stark sein, sich nichts anmerken lassen. Das alles fiel ihm gerade ungeheuer schwer. Nett von Don Luis, ihn hochzuzerren, so konnten ihm wenigstens nicht doch die Beine wegsacken und er als grenzenloser Schwächling dastehen.

Wenn ihm nicht von den Schmerzen schon so elendig schlecht gewesen wäre, hätte er sich tatsächlich gefragt, seit wann er so weich war. Aber die Vorstellungen in seinem Kopf reichten, um ihn all seiner bewahrten Beherrschung zu berauben.

„Ich bin bereit alle Schuld auf mich zu nehmen.“

„Das ist aber langweilig.“ Don Luis ließ Diego los und dieses Mal konnten sie sicher sein, dass man keine großen Kraftreserven aufwenden musste, um ihn daran zu hindern, zu fliehen. Nicht weil es klüger war, sondern weil ihm bestimmt die Kraft für solches fehlte. Sofort rutschte er mit beiden Händen, die sich fest in die Mauer krallten, diese entlang Richtung Boden.

Die Arme des Älteren schlangen sich um Diegos geschundenen Körper und er flüsterte ihm nur eines zu: „Wenn du nicht redest, Lolita tut es bestimmt an dem Ort, an dem sie gerade ist, wenn man sie ein paar Männern zum Fraß vorwirft. Glaube mir, sie wird singen in den höchsten Tönen und ganz schnell ihren Sturkopf verwerfen. Genauso wie sie die Gefühle vergisst, die sie mal für diesen Kerl hatte. Es ist nur bedauerlich, dass es für sie am Ende auch unerträglich sein wird, ein Leben mit dir zu  teilen. Da kannst du dir sicher sein.“

Captain Jekyll hörte jedes Wort, auch wenn es überhaupt nicht für ihn bestimmt war. „Damit werden Sie nicht durchkommen!“

Dass er es wagte, auch nur ein Wort an den Gouverneur zu richten, war bereits mehr, als er je verlangt hätte. Leider konnte das die missliche Lage trotzdem in keiner Weise bessern. Gerade war es vorbei mit seiner eisernen Beherrschung und so viele verzweifelte Gedanken huschten ihm durch den Kopf. Alle davon lösten unkontrollierte Angst in ihm aus. Derartig große Angstgefühle hatte er noch nie in seinem gesamten Leben verspürt. Bisher hatte Diego immer geglaubt, dass er alles aushielt, zumindest hatte er sich das versucht einzureden. Aber die Vorstellungen in seinem Kopf waren mehr, als er dulden konnte, ehe seine eiserne Mauer in sich zusammen fiel. Auf nimmer Wiedersehen Verstand, herzlich willkommen Verzweiflung. Es fehlte nicht viel und er hätte in diesem Moment ohne großartig darüber nachdenken zu müssen, alles gestanden. Von Anfang bis Ende. Bei Don Luis würde das aber wahrscheinlich eher noch mehr Unheil über sie alle bringen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls würde ein Geständnis eher dazu führen, dass sie alle am Galgen hingen. Einschließlich Lolita und seinem Vater. Er war ja nicht einmal sicher, ob ihm jetzt noch einer Glauben schenken würde, oder es nicht eher so aussehen würde, als wenn er weiterhin alle Schuld auf sich nahm, um die Anderen zu beschützen. Seinen blonden Engel allen voran. Wenn er nur gewusst hätte, ob es Don Luis davon abbringen würde, einen nach dem anderen in seiner grausamen Härte zu behandeln, hätte er doch nicht geschwiegen.

„Lassen Sie sie bitte um Himmels Willen da raus. Sie hat mit all dem nichts zu tun.“ Das war ein Fakt, den es kaum zu leugnen galt. Luis ging es eigentlich nur um seinen Vater. Auf den hatte er es eigentlich abgesehen.

Die Stimme des jungen Mannes hatte einen verängstigten Nachklang, das gefiel dem Angesprochen gewaltig. Trotzdem reichte es ihm nicht, er wollte ihn richtig am Boden sehen. Ihn demütigen, seinen Stolz brechen.

„Das stimmt nicht ganz, mein lieber Diego.“ Nicht einmal das wollte dieser grausame Kerl ihm noch glauben.

„Für den einfältigen Sohn meines Schwagers noch einmal in aller Deutlichkeit. Indem ich dich quäle, treffe ich den Richtigen. Deinen Vater. Je mehr Schmerzen ich dir zufüge, umso mehr quäle ich ihn. Und Lolita, dein Engelchen ist genau das, was dir am meisten zusetzt. So tapfer hast du all meine Schläge eingesteckt. Respekt dafür, das schafft kaum einer, ohne umzufallen.“

Nicht, dass sein Neffe noch dachte, er wäre ihm gerne nahe. Er nahm ihn im Nacken und warf ihn mit einem kräftigen Schubs zurück in seine Zelle, die anschließend sofort abgesperrt wurde.

„Du meine Güte, soll er hier drin verrecken? Schicken Sie wenigstens einen, der seine Wunden behandelt!“ Jekyll konnte seinen elenden Mund nicht halten, als er das so sah. Es war seinem Temperament zu verdanken, aber auch seinem guten Herzen, was den jungen Mann doch bemitleidete. „Wenigstens das! In diesem Stall von einem Gefängnis stirbt er schneller, als Ihnen lieb ist.“

„Ich werde darüber nachdenken...“

Seine Stimme klang so kalt wie die Antarktis.

„Wir gehen.“ Dieser Anweisung wurde Folge geleistet, wenn auch nur widerwillig. Vor allem der junge Soldat warf Diego noch einen letzten Blick zu, den er allerdings nicht mitbekam, weil er mit dem Rücken zu ihm in der Gefängniszelle lag. Solch grausamer Tyrann, er glaubte, dass die Zeit mit Ramón wohl eher zu den Zeiten gehörte, wo es ihnen relativ gut gegangen war. Er hätte nie grundlos so etwas getan und doch hatten sie alle ihn als den abscheulichsten Kerl überhaupt empfunden. Außer natürlich der Leutnant, der hatte ihn gemocht, solange er ihn nicht bestrafte jedenfalls.

Gonzales war von den Anderen nicht bemerkt worden, trotzdem tauschte er noch kurz Blicke mit Jekyll aus, in denen er sie alle um Vergebung bat, dass er nicht eingeschritten war. Das hätte ihn womöglich allerdings alles gekostet. Seine Anstellung, sein Leben – einfach alles. Trotzdem fiel es ihm schwer, dabei zuzuschauen. Schon Ramón hatte er unbewusst in seiner Grausamkeit unterstützt. So einen Fehler wollte er eigentlich nie wieder begehen. „Was soll ich denn jetzt machen? Ich weiß doch auch nicht weiter. Wir wissen ja, wohin das führt, wenn man ihn verärgert.“

„Hauen Sie ab! Wenn er Sie hierbei erwischt, setzt es was! Das muss nicht sein! Kommen Sie, wenn schon später wieder, wenn er nicht um die Garrison herumschleicht!“ Jekyll wollte nicht, dass sie noch zu dritt hier in diesem Gefängnis saßen. „Bringen Sie in zehn Minuten wenigstens irgendetwas Brauchbares, um die Wunden vor dem Dreck hier drin zu schützen. In seiner aktuellen Verfassung, wäre eine Sepsis zweifellos tödlich“.

„Um Himmels Willen, Diego, halt gefälligst durch! Wenn es einen Gott gibt, warum tut der nichts?“ Fragte sich der Sargento. Obwohl der junge Mann eher damit kämpfte nicht ohnmächtig zu werden, hatte er die Worte der Männer durchaus vernommen.

Schlimmer, als die Schmerzen zu erdulden, war die Angst in seinem Herzen. Gerade wollte er nichts sehnlicher, als dass Bernardo hierher kam, er ihm Anweisungen geben konnte alle Leute, die in Gefahr schwebten, weit wegzubringen. Dann konnte er endlich darüber nachdenken, wie sie beide es hier raus schafften. „VERDAMMTE SCHEIßE!“

Er brüllte unbeherrscht – sogar Flüche, die ihm sonst nie entkommen waren – weil er die Verzweiflung in sich jetzt einfach nicht mehr kontrollieren konnte. Bestimmt amüsierte sich jetzt dieser Dreckskerl von Gefängniswärter auch köstlich über ihn, dass es so mit ihm durch ging.

 

Gonzales hörte natürlich aufs Wort und ließ die Garrison weit hinter sich. Ganz in der Nähe der Plaza war sein Lieblingszufluchtsort. Wie viele Male hatte er dort mit Diego für einen lockeren Plausch gesessen? Schon wie oft hatte er ihm dann Dinge zugetragen, die ihn nichts angingen? Derartiges war unzählige Male passiert. Gerade jetzt, nachdem er so etwas gesehen hatte, wollte er sich am liebsten sinnlos besaufen. Er setzte sich nicht direkt zu der Bardame, um sich bedienen zu lassen, sondern in die hinterste Ecke, wo er sich ein bisschen unbeobachtet fühlte. Noch nie hatte er schweigend in einer einsamen Ecke gesessen, fast unsichtbar. Ganz ohne nach dem Wirt zu rufen. Mit keinem Ton verlangte er nach Bier, Wein, oder etwas kräftigem zu essen. Die Bedienung sah ihn zwar, wartete allerdings noch einen Moment, ehe sie sich auf den Weg zu Gonzales machte. „Kann ich Ihnen etwas bringen?“ Fragte sie ihn gleich im ersten Moment, als sie vor ihm stand, erstarrte dann aber zur Salzsäule, als sie die Tränen in seinen Augen sah. „Bier, Wein! Alles!“ Sagte er mit einer traurigen Stimme und sie machte auf dem Absatz kehrt, ohne zu fragen, ob er die Zeche wohl bezahlen konnte. Der Wirt hinter der Theke schaute sie mit seinen strafenden Augen an. „Wusstest du, dass Don Diego verhaftet wurde? Ich würde dem Sargento nicht so ohne weiteres etwas bringen. Nicht, dass er am Ende wieder nicht zahlen kann. Kunden, die kein Geld haben, sollten auch nicht bedient werden. Du weißt doch, dass er nie genügend Geld hat, um das zu verspeisen, was seinen riesen Wanst fasst. Jedes Mal hat er Diego um Geld angepumpt, der auch ganz brav alles bezahlt hat. Die Leute sagen, dass die Armee ihn nicht so ohne Weiteres gehen lassen wird. Er soll irgendwas mit Zorro zu tun gehabt haben, sagt man.“

„Du bist wirklich unverbesserlich! Der arme Mann hat geweint.“

„Ein Mann weint nicht. Das macht ihn mir auch nicht gerade sympathischer. Geh hin und frag ihn, wieviel Geld er bei sich trägt. Mehr, als er zahlen kann, bekommt er nicht von mir, Tochter!“

Sie drückte ihre Servier–Platte an ihre Brust und verstand nicht, wie ihr Vater so hartherzig sein konnte. Sie war auch ziemlich jung und hatte den Ernst des Lebens noch nicht begriffen. Menschen, die von der Gunst eines Reichen lebten, wie Gonzales verstanden das nicht - und Kinder, die immer genug zu essen bekamen, ebenfalls nicht. „Vielleicht sollte ich dich auch für das Essen, was du immer vertilgst, zahlen lassen. Dann würdest du es auch nicht so gierig verschlingen, wie unser guter Sargento immer! Wie er so schön sagte, Wein den man nicht bezahlen muss, schmeckt am besten.“

Die junge Dame fand ihre Arbeit äußerst unangenehm, dabei konnte sie froh sein, sich ihre eigenen Brötchen verdienen zu können und nicht mit 15 schon den erstbesten Mann vorgesetzt zu bekommen, den sie heiraten musste.

Statt Gonzales nach dem Geld zu fragen, setzte sie sich zu ihm. „Was bedrückt Sie, guter Mann?“

„Diese Welt, sie ist einfach nur schlecht und ungerecht!“ Schniefte er und hämmerte mit der Faust auf den Tisch, wie es sonst nur die Besoffenen taten, weil sie ihre Gefühle nicht kontrollieren konnten, aber der korpulente Mann benötigte keinen Alkohol, um so zu werden. Seinen Gefühlsausbruch verstand sie nicht, aber sie hatte ein großes Herz, was sie einfach steuerte und danach dürstete, anderen Menschen zu helfen. Wahrscheinlich war der Saloon der falsche Ort für sie. Sie hätte den Obdachlosen freie Unterkunft und freie Verpflegung gestattet, statt ihnen das letzte Hemd für ein Glas Wasser abzuknöpfen.

„Das stimmt, diese Welt ist schlecht. Aber was beschert Ihnen denn Tränen? Sie sind doch so ein robuster Mann!“

„Ich bin ein Feigling!“ Brüllte Gonzales verärgert von sich selbst über den Tisch und schockierte die Frau damit ein weiteres Mal. „Ich habe einfach dabei zugesehen, wie sie meinen Freund ohne besonderen Grund schlugen! Dieser gemeine Schuft von Gouverneur! Und ich hab keinen, den ich um Hilfe bitten kann! Kein Diego, dem ich alles erzählen kann! Der sitzt ja im Gefängnis und ich kann nicht einfach so zu ihm. Sie haben ihn behandelt wie den allerletzten Strauchdieb. Ihn, einen Mann seines Standes so zu behandeln, ist schändlich. Das hat es hier noch nie gegeben. Sogar Ramón und Gabriel hätte das nie gewagt. Die paar Faustschläge waren reine Lapalie. Dieser Mann ist der Teufel in Person. Soll er doch zurück in die Hölle gehen, der elende Hund!“

„Kein besonderer Grund? Einfach so? Das kann ich ja nicht glauben.“ Ihr Vater hatte gerade eben seiner Tochter erst eines dieser Gerüchte zugetragen, an welches sie sich natürlich sofort erinnerte. „Also die Leute würden wohl einige Gründe nennen können, warum man so etwas macht.“ Sie starrte in die Luft und sah ihn dabei nicht an, weil sie im Grunde log, wenn sie leugnete, etwas zu wissen. „Ich kann mir das alles nicht vorstellen. Diego und Zorro gemeinsame Sache.“

Sie schielte zu Gonzales und dieser schien von ihren Worten nicht sonderlich schockiert zu sein. „Glauben Sie den Unsinn etwa?“ Fragte sie jetzt aufgeregter und energischer. „Warum sollte ein Mann, wie Diego so etwas Dummes tun? Das könnte seinen Vater auch das letzte Hemd kosten, wenn er so etwas täte. Die Vegas haben doch so viel Geld, was man ihnen wegnehmen kann. Sie werden von Alejandro kaum viel Geld bekommen, wenn sie seinen Sohn schlecht behandeln.“

„Geld, immer nur Geld! Immer geht es nur darum!“ Gonzales hasste den Umstand, wie es immer nur um Geld ging und alles andere nichtig gemacht wurde.

Der Rothaarige schenkte der Wirtin einen weniger netten Blick. „Warum Diego das machen sollte? Sie scherzen wohl!“ Gonzales wollte der Dame am liebsten die Leviten lesen, und zwar gehörig. „Seit ich ihn kenne, hat er jede Art von Ungerechtigkeit verteufelt. Aber ihm hört nie einer zu, so wie mir. Diego ist mein Freund, ich lasse nichts auf ihn kommen. Verstanden? Er hat das ruhige Gemüt eines Schafs und könnte keiner Fliege etwas zuleide tun, meint man, trotzdem findet er all das, was hier vonstatten geht nicht gut. Jedes Mal, wenn er mal den Mund aufmacht, sind alle gleich schockiert.“

„Er ist wirklich Ihr Freund“, wunderte sie sich über ihre eigene Erkenntnis und wollte sich eigentlich darüber freuen, immerhin verteidigte er gerade alles, was der junge Mann tat.

„Mich stört auch so vieles und oft habe ich gehofft, Zorro möge auftauchen und dem ein Ende bereiten. Aber deswegen macht man keine gemeinsame Sache mit einem Banditen.“ Sie hatte sich herumgedreht und lehnte an der Tischkante. Dabei schaute sie zur Decke. „Wird man also bereits bestraft, wenn man auch nur je ein nettes Wort über Zorro übrig hatte, ja? Das ist ein Skandal.“

„Man wirft ihm eine Mittäterschaft vor, wo keine war. Das alles ist haarsträubender Unsinn.“

Beide, Gonzales, als auch die Wirtin waren Meister darin, sich selbst zu belügen. Sogar den jeweils anderen belogen sie nach Strich und Faden. In dieser Welt konnte man entweder lügen, oder man war dem Tode geweiht, so lief das eben. Auch Lolita beherrschte es zu lügen wie gedruckt. Das wurde ihnen allen sowieso seit dem ersten Tag beigebracht. Niemals zu sagen, was man wirklich dachte. Sie selbst war gerade in großer Sorge ausgebrochen. Nie hätte sie gesagt, dass sie Diego mochte, oder Gott bewahre sogar diesen Zorro. Den durfte man nicht gut finden. Das bekam einem überhaupt nicht.

Gerade in diesem Moment erinnerte sie sich an den Tag, als der Maskierte des Abends in die Taverne gestürzt war mit den Worten »schnell, versteck mich«. Sie hatte ihn schneller wie der Wind in der Küche in einem der Schränke versteckt, ohne auch nur einen Moment zu zögern. So lief das eben. Die an den Tischen speisenden Gäste hatten kein Wort darüber verloren, dass der Bandit dieses Abends zur Tür hereingefallen war wie ein Tornado. Auch als die Armee die gesamte Taverne drohte zu durchsuchen, leugneten sie noch, ihn gesehen zu haben. Man bilde sich all das ein, dass er in die Taverne gekommen war. Natürlich hatte er sich nicht lange in diesem Schrank aufgehalten und war doch entkommen. Wie er das gemacht hatte, konnte sie nicht sagen. Aber wo auch immer sie ihn gesucht hatten, war er nicht. Beide – sie und ihr Vater – sie hatten noch nie so viel Angst, dass man ihre Lüge entdeckte, wie an diesem Abend. Trotzdem fühlte es sich fast wie eine Art Pflicht an, ihm zu helfen. So wie ein Fluch.

„Es quält mich, so etwas mitansehen zu müssen. Aber ich bin doch nur ein dummer, kleiner Sargento, der kaum etwas mitzureden hat. Man hat mir ja sogar verschwiegen, dass man Diego verhaftet hat. Bestimmt wussten alle, dass ich das nicht gut finden würde. Die Bürger des Dorfs mussten es mir mitteilen. So wenig vertraut die Armee mir.“

Dass den jungen Sargento das noch so großartig wunderte, war der jungen Dame ein Rätsel.

„Wenn sie sich mehr anstrengen würden, wären Sie bestimmt schon lange Leutnant und hätten ein gewisses Mitspracherecht. Als Offizier kann man sich praktisch alles erlauben“, sagte sie mit leiser Stimme und dachte nur an diesen Gabriel. Der hatte alles erlangen können, was das Herz begehrt, bis zu einem gewissen Maß. Denn Lolita hatte er nie bekommen. Ach wie schade.

„Sie haben Recht, alles ist meine Schuld. Sogar jetzt kneife ich. Statt dem armen Diego zu helfen, den sie so sehr ausgepeitscht haben, dass er in die Zelle gefallen ist wie ein Sack Mehl.“

„Ausgepeitscht? Diego?? Don Diego?“ Die junge Frau drehte sich herum und schien doch ein bisschen bestürzt davon. „Leute wie Diego kommen in der Regel mit einer Geldstrafe davon, bei ihm ist doch so viel zu holen! Tot nützt er ihnen überhaupt nichts.“ „Der Gouverneur gehört selbst zu den Reichsten des Landes. Er hat ihn jedenfalls nicht geschont. Nachdem einer der Soldaten ihn zu lasch peitschte, hat er selbst Hand an ihn gelegt. Und ob er ihn ärztlich versorgen lässt, will er  sich noch überlegen.“

„Wie schlimm hat er ihn ausgepeitscht? Ist Diego jetzt etwa schwer verletzt in der Zelle?“

„So genau habe ich es nicht gesehen, aber es wäre sicher von Vorteil, wenn sich jemand um ihn kümmert.“

Die Frau warf die umgebundene Schürze von sich und stürzte zu ihrem Vater. „Wir müssen Diego helfen, ganz dringend!“

Ihr Vater sah sie kritisch an und wollte nichts davon hören. „Was redest du da, Kind? Wir halten uns fein aus den Problemen heraus. Wir haben nur die Taverne. Wovon sollen wir leben, wenn man sie uns wegnimmt?“

„Aber, ist er nicht einer unserer besten Kunden?“ Auch sie konnte schlau sein, wenn sie es musste. „Ich werde ihm helfen, auch wenn du es mir verbietest, Vater.“

Der alte Mann war entsetzt darüber, denn seine Tochter war alles, was ihm noch geblieben war, nachdem seine Frau ihm beim zweiten Kind verstorben war. Sie eilte hinter die Theke und holte eine Schüssel mit Salzwasser und einige Leinentücher, die sollten zumindest reichen, um das Schlimmste zu verhindern. „Gehen wir, Sargento!“

„A-Aber?“ Der Genannte machte sich immer noch halb ins Hemd, aber er hatte der robusten jungen Dame nichts entgegenzusetzen. Die Frauen hierzulande wurden auch immer eigenwilliger, fand er. Als hätte Lolita sie alle mit diesem Virus infiziert.

 

Die Musik war verstummt und seitdem herrschte eine eiserne Stille. Schon alleine deswegen hörte man jedes kleine Geräusch, was verursacht wurde. Die Gefängnistür, die geöffnet wurde. Das Klirren des Schlüssels, den unser Schussel Gonzales natürlich nicht an sich bringen konnte, ohne dass die Wache aus ihrem Schlummer erwachte.

„Was zum Teufel machen Sie hier, Gonzales? Wollten Sie mir gerade meinen Schlüssel klauen?“ Schnauzte man ihn an.

Er lächelte, als könnte er kein Wässerchen trüben. „Ich wollte Sie nur nicht wecken. Sie werden uns doch wohl nicht verpfeifen?“ Die Beteiligten blickten zur Zelle, wo immer noch Diego lag, regungslos wie eine Leiche.

„Lassen Sie uns wenigstens zu ihm gehen und nach ihm sehen! Ich habe jemandem mitgebracht, der ihn wenigstens notdürftig ein wenig versorgen kann! Sie finden diese Sache doch auch ungeheuerlich, oder?“

„Aber, unsere Exellenz. Er wird sehr wütend sein, wenn ich das mache.“

„Um Gottes Willen, und ich dachte, ich und Diego seien die größten Feiglinge im Land, aber da habe ich mich wohl getäuscht. Wie mutig ich wohl bin. Rücken Sie den Schlüssel raus, oder muss ich Gewalt anwenden?“ So viel Mut hatte man dem korpulenten Mann nicht zugetraut, deswegen schauten alle Personen auch sehr verdutzt drein, als er den Wachmann mit dem Schwert bedrohte. „Wirds bald?“ Auf diese Art zu reden hatte er sich durchaus ein wenig von seinem Hauptmann abgeschaut. Jekyll konnte genauso gnadenlos sein, vor allem mit der Stimme, hatte aber trotzdem das Herz am rechten Fleck.

„Er ist eben doch ein gutmütiger Kerl“, flüsterte Jekyll und lächelte nun.

„Dafür wird man Sie bestrafen, Gonzales!“ Der Wachmann schien aber friedlich zu sein und war gewillt, Gonzales in die Zelle zu lassen. Aber auch nur, weil er ihm nicht zutraute, dass sie Diego zur Flucht verhelfen würden. Das hatten sie auch nicht vor. Kaum, dass der Mann zur Zelle lief, stürzte die junge Frau bis zu den Gittern und schaute hinein. „So etwas Unmenschliches jemandem anzutun, der höchstens mal eine Kritik geäußert hat, aber sonst nie auffällig gewesen ist.“

Kaum war die Tür offen, kniete sie sich nieder und fasste äußerst vorsichtig an seinen Hals und überprüfte, ob er überhaupt noch lebte. Im ersten Augenblick war ihnen allen das nicht so ganz klar.

„Keine Sorge, Señorita, so schnell stirbt man nicht“, versuchte Jekyll sie zu beruhigen, da hatte sie seinen Puls aber schon gefunden.

„Ja, auch Diego nicht.“

So ganz fair war es nicht, so von dem jungen, tapferen Mann zu sprechen. „Seien Sie nicht so hart, gute Frau. Als der Gouverneur sich seiner angenommen hat, hat er ohne mit der Wimper zu zucken, seine Strafe eingesteckt und wollte sogar die für weitere Personen erdulden.“

„Unglaublich.“

Vorsichtig bettete sie ihn auf ihrem Schoß und er wusste wahrscheinlich nicht, ob es der Himmel oder die Hölle war, wo er sich befand. Für kurze Zeit musste er das Bewusstsein verloren haben. Ohne direkt gleich etwas zu sehen, wusste er natürlich sofort, dass es ein Frauenschoß sein musste, auf dem sein Kopf lag. Auf seine Nase war schon immer Verlass gewesen. Er sah jede Menge Stoff, von einem Kleid möglicherweise.

Die Augen funktionieren weniger gut, denn er hatte das Gefühl, unter Drogen zu stehen, einem Halluzinogen beispielsweise. Sein gesunder Menschenverstand verriet ihm, dass irgendwas ihn täuschte, trotzdem lösten seine Worte Verwunderung in allen aus, genauso wie Mitleid. „Lolita...“

Auch jetzt dachte er an nichts anderes, das konnte ihm auch kaum einer in einem solchen Moment vorwerfen. „Er fantasiert sogar schon“, hörte er die junge Frau sagen.

„Wahrscheinlich bin ich schon im Himmel“, mutmaßte der Blonde. Seine Stirn war triefend nass und auch der Rest seines Körpers war getränkt vom eigenen Schweiß, der in seinen Wunden brannte. Aber nichts von all dem war auch nur im Ansatz so schrecklich wie der Augenblick, als sie ihr Leinentuch ins Salzwasser tauchte und damit die Verletzungen abtupfte. Als der Mistkerl ihn ausgepeitscht hatte, hatte Diego weniger die Miene verzogen, als jetzt.

„Ja, ist gut, bleib liegen“, sagte sie verständnisvoll und hatte gar nicht vor, ihn noch mehr zu quälen. Vorsichtiger konnte sie ihn kaum abtupfen. „Das hier bringt alles nichts, wenn er nachher doch wieder im Dreck liegt. Gonzales, bringen Sie mir irgendetwas. Ein Hemd, ich muss ihm danach wenigstens wieder was anziehen. Er scheint gerade nicht die Kraft zu haben, um sich allzu viel zu bewegen. Wenn das zehn Peitschenhiebe waren, dann müssen die ziemlich brutal gewesen sein, so heftig wie seine Wunden bluten.“

All das wollte Diego eigentlich nicht hören und ihre mitleidige Stimme schon gar nicht.

„Kaum auszudenken, wie schlimm es wäre, hätten sie das mit meinem Vater gemacht.“

Die Dunkelhaarige stoppte in ihrer Bewegung und wollte sich so etwas auch gar nicht vorstellen. Ihr Vater und seiner waren in etwa im gleichen Alter.

„Was für ein schrecklicher Mann. Aber noch schrecklicher finde ich, dass Zorro in dem Fall machtlos ist.“ Obwohl sie mindestens genauso tapfer ihn versorgte, standen Tränen in ihren Augen, die sie sich einmal mit dem Handrücken wegwischte, als Gonzales sich gerade zum Gehen gewendet hatte, aber noch einmal zurückschaute, als er ihre Worte hörte.

Schon wieder. Warum denken das alle? Wieso glaubten sie nicht daran, dass er heldenmütig wie er immer gewesen war, hier auftauchen und ordentlich aufräumen würde? Gonzales jedenfalls glaubte immer noch daran, dass er auftauchen würde.

„Besser nicht darüber philosophieren“, murmelte Jekyll leise und lehnte sich gegen die Wand. Er hatte sich um so vieles Gedanken gemacht, aber auch er war Meister darin, die Augen vor Dingen zu verschließen, die ihm wenig gefallen hätten. Jedenfalls war es keine gute Idee, allzu lange hierzubleiben. Keiner von ihnen wusste, was diesem aalglatten Kerl noch einfallen würde. Wenn er schon einem Mann androhte, sich näher mit seiner Verlobten zu beschäftigen. Ja, er hatte es mitbekommen. Nichts wollte er lieber tun, als herausfinden, wo sie sich aufhielt, um mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Gerade wäre ihm sogar scheißegal, ob Diego am Ende selbst Zorro war. Es würde ihn kurz missmutig stimmen, weiter nichts. Seine Gefühle gegenüber diesen Dingen waren so im Sand verlaufen, wie seine Wut auf die Einmischung des Banditen, der am Ende doch nur für Gerechtigkeit sorgen wollte, wie er es bis zum Schluss immer beteuert hatte. In seiner Gegenwart hatte er auch nie etwas getan, was eine Bestrafung mittels des Galgen rechtfertigte.

Der Wachmann hatte die Arme verschränkt und starrte einfach nur in die Zelle, als wenn er ernsthaft befürchten wollte, sie würden Diego entführen. Dabei zeigte er nicht die geringste Emotion, anscheinend dauerte es ihm auch zu lange. „Bald fertig?“

„Halten Sie doch Ihren Mund. Sie sollte man auspeitschen.“

„Freches Stück! Warte nur ab, irgendwann wirst auch du unter der Fuchtel eines Mannes stehen und der wird dir deinen frechen Mund schon aberziehen!“ Sagte er entrüstet, aber sie ignorierte ihn.

„Ich muss hier weg.“

Zwar war Diegos Stimme kraftlos, aber er war fest entschlossen, zu wissen, was er tun wollte. Jetzt!

„Du musst erst einmal gar nichts, es sei denn, du willst schnellst möglich den Löffel abgeben.“ Sie bemerkte, dass Reden nichts brachte. Auch jetzt war er stur genug, seinen Willen durchsetzen zu wollen, das sah sie an seinem Gesichtsausdruck, der bockig wirkte. „Und ich habe immer geglaubt, dass Lolita der Einzige von euch Zweien ist, der sturer als jeder Esel ist.“

„Ich weiß nicht weiter.“ Sein Kopf fiel resignierend zur Seite und damit verwehrte er der Dame zumindest den direkten Blick in seine glasigen Augen. Er war verzweifelt, zum ersten Mal wusste er sich keinen Rat und ihm schien warten und Däumchen drehen, was man ihm schon einmal vorgeworfen hatte, keine Lösung. Er wollte aufspringen, losstürmen, wie ein Wilder zu ihr reiten und jeden bestrafen, der wagte, sie auch nur im Ansatz falsch anzufassen. Viel schlimmer als sein blinder Zorn, war aber auch die Schmach, dass er hier so nichtsnutzig am Boden lag und sich doch schwach fühlte. Sicher würde er sich erholen, aber die Zeit, um sich Ruhe zu gönnen, hatte er schon alleine innerlich nicht. „Dass dieses Scheusal es wagt, mir anzudrohen, unser Leben zu zerstören. Dafür möchte ich grausame Dinge mit ihm tun.“ Sogar jetzt hatte er seine Wortwahl im Griff, obwohl ihm auch weniger nette Worte eingefallen wären, um seine Abscheu kundzutun und zu verdeutlichen, dass man auch ihm eine Grenze überschritten hatte. Bestimmt war er niemand, der vorschnell den Wunsch verspürte, jemanden brutal zu ermorden, aber bei diesem Kerl fiel es ihm schwer, daran zu zweifeln, dass es eine gute Idee wäre, sie von ihm zu befreien. Dabei vergaß er fast, dass er zur Familie gehörte. Es war für sie alle ein Schock. Nicht nur für Diego, der sich wirklich fragte, wie dieser Mann einen Sohn wie Juan zustande gebracht hatte. In ihm steckte so viel Gutes, obwohl er immer noch die Überzeugung lebte, Blut sei dicker als Wasser. Davon wollte Diego gerade rein gar nichts mehr hören. Wenn man ihm den Mann auf dem Silbertablett serviert hätte, dann hätte er sicher schier unmenschliche Kräfte entwickelt, um ihm den Gnadenstoß doch noch zu verpassen, so schwach er gerade auch wirkte, sein Wille war ungebrochen.

 

Luisa war gerade in das Gemach ihres Bruders gekommen und bedachte ihn mit einer besorgten Miene.

„Du spielst wie ein Verrückter – schon wieder. Was ist denn bloß los?“

Der junge Mann hatte sich durch das Spielen nicht beruhigen können. Er starrte zu Boden und konnte immer noch nicht die Worte seines Freundes vergessen, die er letzte Nacht zu ihm gesagt hatte. Für Juan stand fest, dass er alle guten Menschen beschützen wollte. Er wusste auch, dass kein Weg daran vorbeiführte, dabei seinen eigenen Vater zu bekämpfen.

„Was unser Vater tut, gefällt mir nicht, Luisa. Ich denke sogar darüber nach, wie ich gegen ihn agieren kann. Ohne, dass er mich am Ende noch umbringt, wenn ich ihn verrate, ist das kaum möglich. Das quält mich eben. Wie würdest du es wohl finden, wenn wir gegeneinander kämpfen würden? Wärst du mir sehr böse, wenn ich dabei über unseren Vater urteile? Damit meine ich, ihn umzubringen.“ Normalerweise verschonte er seine kleine Schwester vor solchen Gedanken. Hatte sie tief in sich eingesperrt und misshandelte seine Violine lieber, als je darüber zu sprechen.

„Er ist ein grausamer, hartherziger Mann.“ Ihre Stimme war leise und bedrückt – ihre Wortwahl konnte man weit auslegen.

„Wärst du nicht enttäuscht von mir?“

Die Rotbraunhaarige Dame schritt zu ihrem Bruder und umarmte ihn. „Was redest du da bloß? Für mich wäre einfach schrecklich, wenn er dich dann wieder bestraft. Es gehört sich aber auch nicht, dem Vater den Tod zu wünschen. Wir sind beide schlimm“, sagte sie und drückte ihrem geliebten Bruder einen Kuss auf die Stirn, wofür sie sich komplett auf die Zehenspitzen stellen musste. „Tu mir den Gefallen und riskiert nicht zu viel. Ich habe fürchterliche Angst, wie er reagieren könnte, wenn er wüsste, dass wir zu den Vegas gefahren sind, über die er bisher nur hergezogen hat. Ich wünschte, wir hätten einen Vater wie Diego...“ Sie drückte ihre Kopf an Juans Brust und wollte nicht das schwache Mädchen sein, was weinte, da es unglücklich war. Aber ihr Vater bereitete ihr Sorgen, seit sie ein kleines Kind war. Wäre ihr Bruder nicht gewesen, hätte er bestimmt auch sie öfters geschlagen. Bisher hatte er das aber nie gewagt. Ihr Vater schien zu wissen, dass sein Sohn dann aus dem Kleister ginge.

„...Diego...“ Seinen Namen sprach Juan mit reichlich schlechtem Gewissen aus. „Mein Vater wird sich nie ändern. Er scheint alles zu hassen, was ein gutes Herz hat. Wahrscheinlich weil er selbst keines hat.“ So etwas vom eignen Vater zu sagen, er wusste, das war schlecht, aber leider war es die Wahrheit. „Du magst ihn, oder?“

„Er ist anders, als die Caballeros, die ich aus Spanien kenne, Bruderherz. Ich glaube, es gibt kaum eine Frau, die ihn nicht leiden kann. Nicht? Vater wird bestimmt ausrasten, wenn er erfährt, dass wir zur Hochzeit eingeladen wurden.“

Juan schob sanft seine Schwester von sich und ließ sich kraftlos aufs Bett fallen, wo er seinen Kopf mit beiden Händen stützte, diesen aber nach unten hängen ließ.

„Was hast du denn?“ Ihr Bruder redete ja auch nie, über nichts.

Gerade, als sie nachhaken wollte, klopfte es an der Tür. „Man, warum denn jetzt?“ Ärgerte sie sich und ging doch zur Tür. Als sie sie öffnete, stand ein dicker Mann mit einer roten Jacke in dieser. Auch sie als 18-jähriges Mädchen wusste, dass er Sargento sein musste. „Was wollen Sie hier?“ Luisa ging zwei Schritte zurück und brach nur nicht in Panik aus, weil ihr Bruder hinter ihr war.

Gonzales zog seinen Hut ab, so viel Höflichkeit hatte man ihm zuhause in seiner bäuerlichen Familie beigebracht.

„Oh, entschuldigen Sie, Señorita Luisa. Ist wohl Ihr Bruder in der Nähe? Ich bräuchte dringend ein Hemd zum Anziehen. Einer der Gefängnisinsassen hat kräftig Schläge eingesteckt und die Zelle ist das schlimmste Dreckloch. Sie haben ihm alles runtergerissen, er braucht dringend eins. Würden Sie wohl Ihren Bruder bitten, uns eins zu borgen?“

Juan hörte den jungen Sargento, obwohl er selbst noch jünger war. Eigentlich konnte er diesen ganz gut leiden.

„Natürlich – ich gebe Ihnen etwas. Was hat der arme Kerl verbrochen, dass mein Vater ihn schlagen ließ?“

Juan war zum Schrank gelaufen und nahm dort natürlich das erste Hemd, was er greifen konnte.

„Der Sohn von Alejandro hat per se nichts gemacht, aber sein Vater soll Zorro Unterschlupf gewährt haben, deswegen haben sie Diego verprü-“

„WAS?“ Das Hemd fiel ihm aus der Hand, es segelte gleitend zu Boden und er drehte sich rasch herum. Schockierte weit geöffnete, grüne Augen hatte der junge Aristokrat, die Gonzales emotional ansehen. „Ich kann es nicht fassen! Jetzt reicht es!“ Kurz drehte er sich herum, griff das nächste Hemd, was nicht auf den dreckigen Boden gefallen war und drückte es Luisa in die Hand. „Geh mit ihm und bring ihm das. Jetzt kann mein Vater was zu hören kriegen. Der hat jawohl den Verstand verloren. Ist ihm also wieder etwas Gemeines eingefallen, um Alejandro zu ärgern. Das mache ich nicht länger mit!“

„Juan...“ Aber sie konnte wenig tun, er war so wutentbrannt, dass er sofort mit großen Schritten aus der Tür geschritten war, er trampelte regelrecht. Zurück blieb sie mit dem Wissen, dass ihr Vater ein weiteres Mal Menschen Leid zufügte, aber sie verbot sich, nun in Tränen auszubrechen. „Nehmen Sie’s!“ Luisa drückte dem verdutzten Sargento das Kleidungsstück in die Hand und drehte sich herum. „Gehen Sie!“ Ihre Stimme war lauter geworden und Gonzales strich natürlich sofort verängstigt die Segel, als die junge Dame ihn so anfauchte. Es war keine Böswilligkeit, aber sie umfasste ihren Körper, der sich jetzt so kalt anfühlte. „Warum kann er sie nicht einfach in Ruhe lassen?“ Eines wusste sie. Dass sie Diego so nicht sehen wollte. es war schlimm genug, es sich vorzustellen, was ihr Vater mit ihm gemacht haben könnte. „Er soll auf der Stelle tot umfallen!“ Damit meinte sie natürlich ihren eigenen Vater. Dieser schreckliche Mann.

 

 

Entscheidungen

 

Seit der Auseinandersetzung mit Antonio hatte Juan schon geahnt, dass es schlimmer werden würde. Jetzt war er auf dem Weg zu seinem Vater, um sich mit ihm zu streiten, wie zuvor mit Antonio. Er war ein guter Freund, aber im Gegensatz zu einem Streit in einer Freundschaft, wog eine mit dem Vater viel mehr. Er war es mittlerweile einfach leid, immer nur zuzusehen. Das Fass war nun einmal übergeschwappt bei ihm, als er erfahren hatte, wie unmenschlich sein Vater sogar jemanden aus der Familie behandelte. Es durfte ihn beinahe nicht wundern, aber selbst ihn hatte er nicht halb tot geprügelt. Jetzt musste er aktiv werden und seinem Vater die Stirn bieten. Gerade in dem Moment war er so rasend, dass er sich zum ersten Mal nicht vor der Gewalt seines Vaters fürchtete. Er fühlte sich wie beflügelt, als wenn ihn die schwarzen Schwingen des Zorns gerade wie von selbst zum Zimmer seines Vaters schweben ließen. Kaum Kraft war von Nöten, um die wenigen Schritte zu ihm zu gehen, und die Tür mit einem Aufschrei aufzureißen.

Zwar hatte Juan genau das vorgehabt, zu schreien das mache ich nicht mehr mit! Trotzdem hielt er in seiner Bewegung inne und schwieg, als er die Stimme seines Vaters hörte, die sich mit einer zweiten Person unterhielt.

„Die halbe Stadt hat dieses Miststück zusammen geschrien, als man sie in die Kutsche zerrte. In der Umgebung öffneten sich die Fenster und jeder gaffte. Dumm nur, dass keiner den Mumm hat, sich mir entgegen zustellen. Sogar ihre Mutter hat tatenlos dabei zugesehen, wie man ihre Tochter abführte. So ist es mir zugetragen worden. Diego ist auch außer Gefecht, er kann uns bei unseren Plänen nicht mehr stören.“

„Was hast du mit ihm gemacht?“

Juan lauschte an der Tür, obwohl er sehr genau die Worte durch die verschlossene Tür verstand, seine Augen weiteten sich dabei ein wenig, denn es handelte sich bei der zweiten Person eindeutig um Don Esteban, dessen Stimme ehrfürchtig klang und sogar ein wenig zu zittern schien. Hatte sein Onkel Angst, was sein Vater mit Diego machen könnte, jetzt wo er ihn inhaftiert hatte?

„Dem habe ich die Tracht Prügel gegeben, die Don Alejandro ihm bisher nicht gegeben hat?“

Juans Leib zitterte in alles vernichtender Wut, als er die Worte von Don Luis hörte, denn durch die Tür sah er vielleicht nicht das gemeine Grinsen, aber es lag so zweifellos in seiner Stimme, dass er ihn am liebsten auf der Stelle das Grinsen aus dem Gesicht geprügelt hätte. Aber das Gespräch war zu interessant und er hoffte doch ein bisschen, dass sie mehr über ihre Pläne sprachen und er dann vielleicht ohne einen Konflikt auszulösen, gegen seinen Vater agieren konnte. Offen zu zeigen, dass er nicht auf seiner Seite war, gab seinem Vater den Vorteil, dass er wusste, woran er war. Ein überraschender Moment würde ihm viel mehr Steine in den Weg legen.

„Alejandro ist sehr angesehen in dieser Stadt. Ein Wort von ihm und wir haben die ganze Stadt gegen uns!“ Warnte Don Esteban seinen Bruder. „Seinen Sohn so zu demütigen, das lässt sein Vater nie auf sich sitzen.“

„Ich lasse ihn ja jetzt in Ruhe, aber er soll noch ein bisschen im Gefängnis schmoren. Du fährst auf schnellstem Wege voran nach Fortaleza del Diablo. Señorita Lolita Pulido habe ich dorthin bringen lassen, damit sie endlich redet. Ich möchte jedoch noch die Nacht abwarten, nur für den Fall, dass dieser Zorro dem Sohn von de la Vega wirklich zur Hilfe eilen sollte. Wobei ich eher glaube, dass er wie ein Teufel nach Lolita suchen wird. Nennen wir es innere Eingebung. Diego war nicht im Geringsten entsetzt darüber, dass ich ihn verhaften lasse. Mehr darüber, dass sein Vater Zorro geholfen haben soll. Weißt du, was ich denke?“

Juan blieb weiterhin mucksmäuschenstill vor der Tür stehen, obwohl er wusste, was er wissen musste, um etwas zu unternehmen. Die Gedanken seines Vaters über diese Sache waren aber viel zu Interesse weckend, als dass er nun gegangen wäre. Obwohl für ihn feststand, dass er Diego jetzt aus dem Gefängnis helfen würde, damit sein Cousin seiner Braut zur Hilfe eilen konnte, denn wenn ein Vater eine Frau verschleppen ließ, musste man sie schleunigst vor dem Schlimmsten bewahren.

„Spann mich nicht auf die Folter! Was denkst du?“

„Nicht Don Alejandro hat Zorro Unterschlupf gewährt, sondern Diego.“

„Wie kommst du denn nur auf die Idee? Jeder hier sagt, dass er Gefahr scheut. Zorro gilt aber als vom Militär am meisten gefürchteter und gesuchter Verbrecher. Jeder, der ihm hilft, kommt an den Strick! Zumindest hat der Kommandant das damals so angedroht. Wieso sollte Diego, der Sohn des Reichsten hierzulande, solch eine Gefahr eingehen? Er würde den Besitz seines Vaters und seinen eigenen an die Krone verlieren, wenn er sich gegen den König wendet. Und noch dazu mit dem Tode bestraft werden, wenn es ganz dicke kommt.“

„Oh, ich bin nicht einfältig, Esteban. Señorita Lolita ist der Schlüssel zu allem. Findest du es nicht auch seltsam, dass sie wie Pech und Schwefel zusammen hängen? Diese Frau liebt Zorro wie sonst keinen, das sagen jedenfalls die Leute. Trotzdem hat sie eingewilligt den verwöhnten Sohn von Alejandro zu ehelichen. Die Sache stinkt so gewaltig, dass ich schwören könnte, dass beide Zorro geholfen haben. Sonst wäre sie ihm nie so treu ergeben. Diego muss etwas für Zorro gemacht haben. Und wenn es nur ein warmes Bett für eine Mütze Schlaf war. Ich bin davon überzeugt.“

Das Wissen seines Vaters war gefährlich, er könnte Diego großen Ärger machen. Zum Glück hatte er ihn noch nicht ganz durchschaut, das hätte der Braunhaarige schrecklich gefunden, aber er machte sich auch so seine Gedanken.

Lolita ist auch nicht auf den Kopf gefallen. Sie weiß ganz genau, was sie tun muss, damit ihr Diego jeden Wunsch erfüllt. Sie müsste ihn nicht großartig bitten. Ein bittender Blick würde genügen. Aber jedermann hier scheint Diego auch zu unterschätzen. Er weiß sehrwohl, wie er eine Regel umgehen kann, ohne sie brechen zu müssen. Außerdem ist er nicht feige, sondern vorsichtig. Er ist schlauer als ihr Anderen, deswegen hast du ihn eingesperrt, Vater. Er könnte dir in die Quere kommen. Aber dir wird dein Lachen noch vergehen ...

Esteban war nicht so davon überzeugt und glaubte, dass Don Luis sich das alles zusammensponn, weil er es gerne so haben wollte. Dann könnte er Alejandros Sohn vielleicht sogar ernsthafte Schwierigkeiten machen. Er verstand es nicht, immerhin war er doch der Sohn ihrer Schwester. Don Luis schien alles egal zu sein, nur wichtig war ihm Don Alejandro. Zwar liebte er Alejandro auch nicht gerade, aber auf solche Ideen wäre er alleine nie gekommen. Er hatte vorgehabt, ihn zu besuchen und ihn zu überreden, dass ihnen ein Teil seines Vermögens zustand. So etwas vielleicht, aber ihm den Sohn wegnehmen und eine Freude dabei empfinden? Nein, das tat nur Don Luis. Sein Bruder war zum Fürchten. Trotzdem war er sein Bruder und er wollte ihn nicht fallen lassen. Ungeachtet der Tatsache, dass es vielleicht am besten gewesen wäre. Ihm gegenüber hatte sich Diego nie schlecht bekommen. Er war sogar kurz davor gewesen, ihm zu sagen, dass er zur Familie gehörte. Dagegen hatte sein Bruder aber etwas. Aufgrund dessen hatte er sich nicht getraut.

„Und was passiert nun genau mit Diegos Verlobter? Ich meine, was hast du mit ihr vor? Du willst sie doch nicht wirklich den Männern in der Festung zum Fraß vorwerfen? Du weißt doch, dass diese Soldaten kaum das Tageslicht sehen und dementsprechend auch kein Liebesleben besitzen. Es ist, als würde man sie den Löwen zum Fraß vorwerfen!“

„Blödsinn! So weit wird es nicht kommen, denn dieses Weib wird uns schon vorher liebend gerne Zorros Namen verraten.“

„Was wenn sie ihn überhaupt nicht kennt? Dann zerstören wir das Leben einer Nichtsahnenden.“

„Sie weiß, wer Zorro ist. Da bin ich mir genauso sicher, wie damit, dass Diego ihn weiß. Er hatte nur leider das Glück, keine Frau geworden zu sein. Ihn könnten wir wahrscheinlich zu Tode foltern – er erscheint mir nicht viel anders als sein Vater – und er würde nicht reden. Außerdem macht das bei einer Frau viel mehr Spaß. Ich fand es schon immer amüsanter, wenn eine Frau vor Angst wimmert.“

Juan konnte sich kaum beherrschen, als er seinen Vater so reden hörte. Dieses Schwein! Mehr konnte und wollte er nicht hören. Denn er hatte Wichtigeres zu tun, als vor der Tür stehen und den kranken Fantasien seines Vaters zu lauschen. Er musste zu Diego. Ihm sagen, wo er Lolita finden konnte. Nur das zählte gerade. Sein Vater würde ihn umbringen, wenn er davon erfuhr. Aber das war es dem jungen Mann dann auch wert. 

 

Immer wieder tauchte die tyrannische Visage des eigenen Vaters vor ihren Augen auf. Viel zu genau wusste sie, wie er aussah, wenn er jemanden verprügelte. In ihren Vorstellungen sah sie ihren Bruder, ebenso wie Diego, als beide von ihrem Vater bis zur Besinnungslosigkeit geprügelt wurden. Sie hielt sich die Wangen und versuchte, sich zu beruhigen. Die Erinnerungen an vergangene Tage, in denen sie ihren Vater so sehen musste, die Schreie, das Aufheulen der Jungenstimme, sie hatte es nicht vergessen. Juan war gerade mal 6 Jahre alt gewesen, als sein Vater angefangen hatte, ihn immer wieder zu schlagen, auch vor den Augen seiner kleinen Schwester und deren Mutter, die immer wieder „Hör doch endlich auf!“ ins Zimmer geschrien hatte und einmal sogar hingestürmt war, um ihr Kind zu beschützen. Dabei hatte er sie links und rechts so kräftig geohrfeigt, dass sie hingefallen war.

Sie alle hassten ihn, auch ihre Mutter hasste ihn. Schon so oft hatte sie entschlossen, mit ihren Kindern das Haus zu verlassen. Aber was konnte eine Frau ihres Alters schon alleine erreichen? Nur einmal hatte sie gewagt, vor ihrem Mann mit den Kindern eine Flucht zu versuchen, danach hatte er sie so verprügelt und ihr klargemacht, wo ihr Platz war, dass sie es nie mehr gewagt hatte. Diese Welt hatte einer alleinstehenden Frau wenig zu bieten, ohne dazugehörigen Mann. Schon in ihrer Kindheit war sie eher schwächlich gewesen, war angewiesen auf die Mithilfe eines Mannes, weil sie schwere Arbeit nicht verrichten konnte. Zum Kränklichsein kam dann auch noch die Tatsache, dass sie eben kein Mann war. Außerdem war es die Schande schlechthin den Mann zu verlassen. Nur einmal hatte sie es bis zum Schiff geschafft, danach hatte er sie tagsüber regelrecht eingesperrt und hatte immer eins der Kinder als Druckmittel bei sich, damit sie ja nicht aufmuckte.

Es dauerte eine ganze Weile, dass Luisa so gefasst war, dass sie aus dem Zimmer stürmte, welches Gonzales schon seit einer Weile verlassen hatte. Sie hielt ihr Kleid hoch, um besser die Treppe passieren zu können, ohne an ihrem langen Rock hängen zu bleiben. Ihr Vater hatte verboten, dass sie die Gemächer ohne Begleitschutz verließ, aber gerade scherte sie sich nicht um die Regeln ihres Vaters. Lolita hörte ja auch nur dann auf ihre Eltern, wenn sie gerade der Meinung war, sie hätten Recht. Ihr Vater hatte nie Recht! Stur wie sie gerade war, wollte auch sie sich nicht mehr länger alles gefallen und verbieten lassen. Kaum auf dem Hof steuerte sie auf die Garrison zu. Sie öffnete die Tür und sah die offene Zelle, deren Sicht durch Gonzales‘ Korpulenz jedoch weiträumig versperrt war.

„Ihr solltet schleunigst verschwinden. Wenn Don Luis erfährt, wer mir geholfen hat, wird er diejenigen bestrafen. Ich will euch aber keinen Ärger machen.“

Luisa hörte Diegos Stimme, obwohl sie ihn nicht sah, zerriss es ihr buchstäblich das Herz. So schwach hatte seine Stimme noch nie geklungen und schuld war nur ihr Vater.

„Das wird wohl kaum lange ein Geheimnis bleiben, Diego.“

Damit hatte die Dunkelhaarige natürlich Recht, denn Gonzales hatte den Wachmann ja gezwungen, die Zelle zu öffnen.

„Guten Morgen, Señores.“

Erschrocken drehte sich Gonzales zu der Stimme herum, ebenso wie der etwas ältere Gefängniswächter.

„Oh guten Morgen, Señorita Luisa!“ Schien der Mann mit den Schlüsseln sofort nur Augen für die 18-jährige Schönheit zu haben. Diese lächelte ihn strahlend wie die Sonne an, denn dass ihr Lächeln eine besondere Wirkung auf Männer hatte, das hatte sie bereits bemerkt.

„Mein Vater lässt sie hart schuften, kaum gönnt er Ihnen eine Pause. Sie tun mir Leid“, sagte sie, aber das war nur geheuchelt. „Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen eine Flasche Wein bringe? Würden Sie dann gemeinsam mit mir ein Schlückchen trinken?“

Für den Mann war es geradezu wie die Verlockung einer Schlange, der man kaum etwas entgegensetzen konnte. Den Rest gab sie ihm, als sie ihm mit ihren Händen über das Gesicht strich und ihm einen Kuss auf die Wange gab. So etwas Abscheuliches hatte sie noch nie getan, auch Diego sah es.

„Um Gottes Willen, was machst du denn, Luisa?“

„Ach, ich habe keine Lust mehr die brave Tochter zu sein.“ Sie lächelte ihn bezirzend an. „Das dürfen Sie meinem Vater aber auf keinen Fall sagen, in Ordnung? Genauso wenig wie sie diese Leute verraten dürfen. Wenn Sie nichts sagen, können Sie alles von mir haben.“

„LUISA!“ Kaum, dass Diego das ausgespieen hatte, verspürte er durch eine ruckartige Bewegung so starke Schmerzen, dass er aufkeuchte. Obwohl er aufspringen, hinrennen und Luisa von diesem ausgehungerten Kerl wegholen wollte, der natürlich gleich seine Hände um ihre Taille schlingen musste.

„Der Gouverneur bringt Sie um, wenn Sie seine Tochter falsch anfassen!“

„Beruhig dich! Du solltest dich nicht allzu viel bewegen“, sagte die Bedienung aus der Taverne und versuchte Diego zu beruhigen. Dieses Mädchen war ja ganz schön abgebrüht, musste sie zugeben. 

Immer noch lächelte sie liebenswürdig. Gegensätzlich zum dreckigen Grinsen des Wärters. Er nahm sie am Kinn und zog sie leicht an sich. „Ich nehm dich beim Wort! Solltest du mich reinlegen wollen, wirst du das bitter bereuen!“ Natürlich ließ er sich überreden, den Mund zu halten, wenn ihm die Kleine ein bisschen die Zeit versüßte. „Ich werde deinem Vater nichts sagen, aber dafür verlange ich auch ein bisschen etwas.“ Seine Hand landete schneller auf ihrem Gesäß, als sie schauen konnte.

 

Aber leider auch im falschen Moment ...

Gerade passierte Juan die Tür, um zu Diego zu gehen, als der Wärter seine dreckigen Finger nicht bei sich behalten konnte. So schnell hatten sich Juans Beine noch nie fortbewegt, ebenso wenig wie seine Faust noch nie so schnell ausgeholt hatte, um einem anderen Mann die Visage zu vermöbeln. „FINGER WEG VON MEINER SCHWESTER!“ Brüllte er, versenkte die Faust im Gesicht des Mannes und war so außer sich, dass er ihn gegen die nächste Wand beförderte.

„Aber Señor, sie hat sich mir regelrecht angeboten.“

„Wie bitte?“ Juan war entsetzt, blickte zu seiner Schwester, die beschämt den Blick zur Seite wendete, so dass er sofort wusste, dass an den Worten etwas dran sein musste.

„Du bist wohl verrückt geworden?“ Maulte er sie an, aber sie schwieg. Selbstverständlich verstand er nicht, was in sie gefahren war. „Hier unten hast du nichts verloren! Geh sofort wieder auf dein Zimmer!“ In dem Moment hatte Juan unbewusst den Tonfall, den sonst sein Vater an den Tag legte, wenn er wütend war, deswegen wich sie zurück.

„Aber Juan...“

„Ich will dich an solch einem Ort nicht sehen! Mach, dass du auf dein Zimmer verschwindest, Schwesterherz!“

„Das werde ich nicht!“ Lehnte sie sich gegen ihn auf und lief an ihm vorbei, nahm den direkten Weg zu Gonzales und schaute über seine Schulter. „Wie geht’s ihm?“

Die junge Dame, die Diego behandelt hatte, lächelte ihr entgegen. „Ihm wird es bald besser gehen, ganz bestimmt. Aber er soll sich ausruhen.“

Gonzales zog die junge Dame hoch. „Wir sollten jetzt schnell verschwinden, sonst erwischt man uns noch. Das wäre alles andere als gut.“

„Sie haben Recht.“ Die Dunkelhaarige erhob den Zeigefinger und sah Diego ernst an. „Komm nicht auf komische Ideen. Du musst dich schonen. Wenigstens für ein paar Tage. Ich weiß, wie wenig dir das gefällt.“

Man bemerkte an Diegos aufmüpfigem Gesicht und dem darauf folgenden Seufzen, dass er davon wenig hören wollte, aber dann zog Gonzales die Frau weg von ihm und so hatte er wenigstens seine Ruhe.

„Wie geht es dir wirklich?“ Fragte Luisa Diego und der bemühte sich um ein Lächeln.

„Wieso soll es mir schlecht gehen?“

„Weil mein Vater -“ Sie hatte das schlechte Gewissen, was ihr Vater haben sollte, so etwas zu tun. „Gonzales hat es uns gesagt.“

„Dass er nie den Mund halten kann!“ Auch Diego war wenig begeistert davon, Luisa hier unten zu sehen. „Wie du siehst, geht es mir gut. Du kannst hier nicht bleiben.“

„Genau, hör auf ihn! Und ich muss wieder abschließen, ansonsten massakriert mich dein Vater“, sagte der Wärter, zog die junge Frau zurück und schloss ab.

„Diego gehört nicht ins Gefängnis! Mein Vater hat den Verstand verloren.“

„Bitte, Señorita Luisa! Ich bekomme Ärger, wenn ich ihn rauslasse.“

Juan beobachtete Diego und seine Bewegungen, die ganz spärlichen, die ihm sofort wehtaten. Er war nicht so blind wie die anderen. Eigentlich hatte er vor, ihm zu sagen, wo Lolita war und ihn dann freizulassen, wofür sein Vater ihn bestimmt würd umbringen wollen, aber genau so hatte er es geplant. Leider musste er feststellen, dass in Diegos Zustand gerade an eine Flucht besser nicht zu denken war. Er würde nicht weit kommen, bis sie ihn wieder einfingen. Unter diesen Umständen konnte er aber auch wohl kaum sagen, wo Lolita sich aufhielt. Diego würde durchdrehen und das wäre im Augenblick gar nicht gut. Er wusste nicht, was er machen sollte und bekam deswegen einen Schweißausbruch.

„Komm, Luisa, bitte.“ Er nahm sie am Arm, merkte aber die Widerwehr. „Bitte komm jetzt! Ich kümmere mich darum. Ich will aber nicht, dass Vater auch noch wütend auf dich ist, weil du hier unten bist. Du weißt ja, er darf davon nichts wissen.“

Der junge Mann wollte, so wie immer, seine Schwester nur beschützen, das war doch schön mit anzusehen.

„Ich soll also dabei zusehen, wie mein Vater einen nach dem anderen zu Tode prügelt, ja?“ fuhr die junge Dame den Wärter an. „Und ihr Männer, was ist mit euch? Findet ihr das etwa gut, was er tut? Juan, sag doch was! Du wirst mir jawohl Recht geben, oder? Warst du nicht auf dem Weg zu ihm?“

Damit brachte sie ihren Bruder ziemlich in die Bredouille. Er wich ihrem Blick aus und zog damit mehr als nur ein Augenpaar auf sich.

„Jetzt schweig‘ mich nicht an! Du warst total wütend, als Gonzales uns davon erzählt hat.“

„Juan? Was hattest du vor?“

Diegos Frage ließ ihn kurz zucken, denn sie klang irgendwie ein bisschen ehrfürchtig. Diego traute ihm wohl einiges zu, leider.

„Ich will ihn anschreien ...“

„Und du meinst, dass das bei deinem Vater so viel bringt?“ Sein Cousin wollte Juan eigentlich nur klar machen, dass sein Vater das kaum beeindrucken konnte. „Ich weiß nicht, in welcher Traumwelt du da lebst, aber es ist gefährlich. Wenn du nicht bereit bist, weiter zu gehen, als ihn anzuschreien, wird er dich höchstens auslachen und danach seine Faust sonst wohin bei dir rammen. Oder er nimmt gleich die Peitsche.“

Es klang lächerlich, das wusste Juan selbst. Zwar neigte Diego dazu, vor ihm den Starken zu spielen, aber auch aus einiger Entfernung sah er, dass es ihm nicht sonderlich gut ging. Juan holte tief Luft und dann ging er zur Zelle, hielt sich an dieser Fest und streckte seinen Kopf so weit rein, wie er reinpasste. „Hör zu, Diego. Ich werde dafür sorgen, dass sie dich freilassen“, flüsterte er. „Ich hole dich da raus. Aber erst, wenn du auch in der Lage bist, zu fliehen.“ Es war kaum zu verhindern, dass Juan leicht bedrückt zu Boden schaute. „Es tut mir leid, dass du unseretwegen so viel Ärger am Hals hast. Ich will dir um jeden Preis helfen und ich muss mich dafür entschuldigen, dass es überhaupt erst so weit gekommen ist. Schon vorher hätte ich meinen Vater stoppen müssen.“

„Ach, und du glaubst, dass das ja so einfach ist?“ Ein bisschen klang Diego als wollte er Juan davon abbringen, sich in diese Sache einzumischen.

„Ich weiß nicht genau, warum er meinen Vater hasst, aber er tut es. Wenn du dich in diesen Streit einmischst, ich garantiere für nichts. So sehr wie er ihn hasst, würde er dir nie vergeben. Bist du dir auch sicher, dass du das erträgst? Und denk‘ an deine Schwester. Was ist mit ihr?“

„Die ist das Verhalten von Vater schon lange leid. So leid, dass sie ihm den Tod wünschst. Ihren Segen habe ich also. Mehr brauche ich nicht.“

„Ich warne dich, Juan! Dein Vater schreckt vor nichts zurück, das solltest du wissen! Noch nicht einmal davor, seinen Sohn zu töten. Ich will dich nicht sterben sehen.“ Wenn sich Diego einer Sache im klaren war, dann der Tatsache, dass Juan nicht fähig dazu war, seinen Vater umzubringen. Er müsste es aber, ansonsten würde sein Vater das nämlich mit ihm tun.

„Oh Gott, hör auf! Bitte sag‘ doch nicht so was!“ Luisa drehte sich herum und hielt die Hände vors Gesicht, aber sie wusste, dass Diego im Grunde Recht hatte.

„Du denkst, ich weiß das nicht? Ich weiß es! Meinem Vater bin ich egal.“ Ein zynisches Lächeln war auf Juans Gesicht erschienen. „Sogar dein Vater mag mich augenscheinlich mehr als mein eigener. Ihm bin ich nur wichtig, solange ich mache, was er mir befiehlt. Damit ist nun Schluss. Ich mache da nicht mehr mit. Da kannst du mich noch so sehr warnen. Er soll es nur wagen, noch mal Hand an dich zu legen, dann lernt er seinen Sohn ganz neu kennen, das schwöre ich.“ Es war wahrer Zorn in Juan, aber er zeigte nicht die andere Seite der Medaille. Diejenige, die sich von ihrem Vater verletzt fühlte – geliebt gefühlt hatte er sich ja noch nie.

Mit diesen Worten marschierte Juan hinaus, beim Vorbeigehen griff er Luisas Handgelenk und zog sie mit, auch wenn ihre Augen auf Diego blieben, bis sie durch die Tür verschwunden waren. Sie war zutiefst beunruhigt, das sah jeder.

 

„Heiliges Kanonenrohr!“ Seufzte Diego. „Eigentlich sollte ich mich darüber freuen, aber ich kann nicht.“ Er sah zu Jekyll und setzte sich auf das Bett, denn zu lange stehen löste in ihm gerade einen immensen Schwindel aus. „Wenn ich mich nur nicht so bescheiden fühlen würde . . .“

„Würdest du fliehen?“

„Würde ich.“

„Er ist ja ganz schön erpicht darauf, dir zu helfen. Da steckt doch mehr dahinter, oder?“ Es war eine Frage, die gerechtfertigt war, aber Diego schwieg und ließ nur seufzend den Kopf hängen, was sofort wieder ihn die Hand zu seinem Schulterblatt führen würde.

„Der hitzköpfige Idiot ist mein Cousin. Und im Wahn ist er nicht bei Verstand. Man soll ja im Zorn nicht kämpfen. Er könnte sich wahrscheinlich nicht zurückhalten. Aber kopflos handeln, ist nicht gut für ihn. Don Luis würde explodieren. Das will keiner. Damit will ich nicht sagen, dass Juan ein Schwächling ist, aber Mord ist immer schlecht. Und dann noch ein Mord am eigenen Vater. Total unnötig.“ Ein seichtes Grinsen erschien auf Diegos Gesicht. „So was ist eher was für einen Bandit wie Zorro. Der würde bestimmt mit Freuden dem Gouverneur ans Leder.“

„Und die ganze Stadt würde freudestrahlend dabei zusehen ...“

So etwas auch Jekylls Mund zu hören, ließ ihn doch überrascht dreinschauen und ihn beobachten.

„Irgendwie wird er es schon erfahren, oder weiß er es schon?“

„Tja, wer weiß?“

„Ich hoffe dieses Mädchen, das mit Gonzales gekommen ist, bekommt wirklich keinen Ärger.“

Beide schauten zum Gefängniswärter und hofften, dass er tatsächlich nicht plaudern würde. Er hatte sich wieder auf seinen Stuhl gesetzt und drehte Däumchen. Es musste wirklich die langweiligste Arbeit sein, die man sich vorstellen konnte. Wacheschieben.

„Ich hoffe, sie hält Wort, die Kleine.“

„Ekelhaft!“ Diego drehte sich herum und schaute aus dem Gefängnisfenster. Es gab wirklich abartige Männer auf dieser Welt. Wenn er sich den Mann so vorstellte und das, was Don Luis zu ihm gesagt hatte, wurde ihm ganz anders. Die Männer, von denen er gesprochen hatte, waren bestimmt genauso wie der Wärter.

„Haben Sie eine Ahnung, ob es irgendjemanden gibt, dem Don Luis vertraut, dem aber nicht zu trauen ist? Von Juan abgesehen ...“ Den wollte Diego nur sehr ungern für seine Ideen einspannen, zumal er ihn gerade mehr oder minder weggejagt hatte.

„Warum willst du das wissen?“

„Weil es mich wahnsinnig macht, nicht zu wissen, wo sie Lolita hingebracht haben ... Wir es aber nie erfahren, wenn wir nicht jemanden finden, der ihn aushorchen kann.“

„Er hat bestimmt seine Leute, die er eingeweiht hat. Aber ich kann dir auch nichts genaues sagen. Mir hat er jedenfalls nichts gesagt. Ich musste ja den Befehl verweigern. Wahrscheinlich wüsste ich mehr, wenn ich gespurt hätte.“

„Ich mache Ihnen keinen Vorwurf.“

„Zorro wird es bestimmt rausfinden, oder nicht?“

„Oh man ...“ Diego griff sich an die Stirn und seufzte resigniert. Jetzt konnte er ja wirklich nichts anderes tun, als hoffen, dass Bernardo kam und ihm auch gleich berichten konnte, was er herausgefunden hatte. Wenn er nicht auftauchte, dann war er vielleicht schon hinter den Übeltätern her, wieder einmal ganz im Alleingang. „Das darf alles nicht wahr sein ...“ Er müsste doch wissen, dass die Sache eine Nummer zu groß für ihn war. Er sollte herkommen, ihn befreien und alles weitere ihm überlassen. Aber dieses Kind ...

Jekyll hatte Diego die ganze Zeit beobachtet und je mehr er darüber nachdachte, umso mehr bestärkte sich sein Verdacht.

Was kann ich nur machen? Ich kann schlecht von Gonzales verlangen, dass er uns tatsächlich rauslässt. Das wird er nicht machen. Diego kann nicht fliehen, dazu ist er nicht im Stande, aber ich könnte ... Ich könnte verschwinden und mir Verbündete suchen ... Aber ist das auch wirklich eine gute Idee?

Natürlich wusste der Ältere, dass es keine gute Idee wäre, sich jetzt auch noch den Zorn dieses Mannes aufzuhalsen.

„Vielleicht wäre Beten mal wieder angebracht.“

„Was denn, beten?“ Diego sah Jekyll ein wenig stutzig an, lächelte dann aber. „So schlecht ist die Idee nicht einmal. Immerhin ist ja Sonntag.“

„Hmm?“ Verwirrt besah Jekyll den jungen Mann.

„Sagen Sie, Wärter! Würden Sie dafür sorgen, dass ein Mann Gottes uns besucht?  Wir würden gerne mit einem sprechen. Es ist Sonntag und ich bin nicht gewohnt, nicht zur Kirche zu können.“

„Ach Gottchen, ernsthaft? Du sitzt im Gefängnis, da kann dir auch Gott nicht helfen.“

„Es ist aber wichtig.“

„Also, weißt du was, Diego? Mir ist wichtig, dass du mich jetzt in Ruhe lässt.“

„HEY!“ Schrie Jekyll kurz darauf den Wärter an, der durch seine laute Stimme fast vom Stuhl gefallen wäre. „Tun Sie gefälligst, was er sagt! Ich würd nämlich auch gern beichten! Wer weiß, was uns noch bevorsteht!“

„Wo bin ich hier nur hingeraten? Jetzt fängt der Captain auch noch an, fromm zu werden. Das halte ich nicht aus“, jammerte er und beide begannen ihm richtig in den Ohren zu liegen, bis er tatsächlich nach dem Padre schicken ließ, nur um endlich zufrieden gelassen zu werden.

 

Früh am Morgen war es noch nicht so heiß.

Nachdem Bernardo Viento versteckt hatte, war er zurück in die Stadt geritten und hatte dort zusammen getrommelt, was er finden konnte. Nicht die Jungs, in seinem Alter, denn auch er war reifer und schlaue geworden. Er wusste, dass er Diego nicht helfen würde, wenn er im Alleingang handelte.

Er musste keine große Überredungskunst anwenden, um den Jungs klarzumachen, dass sie etwas unternehmen mussten.

Sie befanden sich auf dem Feld, auf einem, das besonders viele Heuballen rund herum hatte, so dass sie von neugierigen Blicken geschützt waren. Bald würde die Sonne so richtig brennen, bis dahin mussten sie dringend mit ihrer Unterredung fertig sein.

„Eigentlich sollte man Diego für seine Ammenmärchen ordentlich verprügeln. Trotzdem muss ich sagen, dass mich die Sache kein Stück wundert. Ich fand dieses Verhalten sowieso schon immer merkwürdig.“ Rico sagte es mit einem Lächeln in Bernardos Gesicht. „Und jetzt Kopf hoch! Ich bin sicher, dass die goldenen Tiger der gleichen Meinung sind, wie ich. Zorro hat uns ja auch schon so manches Mal geholfen. Wir müssen natürlich erst herausfinden, wie viele ihn bewachen. Allzu viele können es nicht sein, wenn dieser Kerl noch nicht dahinter gekommen ist, wer Zorro wirklich ist.“

„Ich werde mich umschauen und euch dann Bericht erstatten. Wenn ich etwas beherrsche, dann zu spionieren.“

„Rico! Aber eines ist mir suspekt! Wenn sie Diego für harmlos halten, warum sperren sie ihn zu diesen Verbrechern? Fürchten die sich vor der Liebe oder ist das grundsätzlich ein Feigling?“

„Wenn man Diegos Worten Glauben schenkt, lässt Don Luis immer andere für sich schuften“,erklärte Bernardo. „Er war auch immer hinter Barrikaden, wenn Zorro zuschlug. Fanden wir eigentlich eher amüsant.“

„Zorro kann aber gerade dem edlen Genossen keinen Besuch abstatten, um ihn mit seiner Klinge zu verzieren und ihm das Fürchten zu lehren, das müssen wir machen.“

„Dass man sich vor Diego so fürchten muss, hahaha!“ lachte einer der Jungs von Rico, was dieser aber ganz anders sah.

„Was gibt es da zu lachen? Witzig findest du es nur, weil du dich mit dem richtigen Schwertkampf nicht auskennst. Ich kenne nur sehr wenige, die auch nur im Geringsten so etwas wie eine klitzekleine Chance gegen ihn hätten. Wer ihm auch in Spanien das Fechten beigebracht hat, hat seine Sache gut gemacht.“ Rico verschränkte die Arme und schloss die Augen, wirkte einen Moment dadurch aber auch nachdenklich. „Den würde ich gern kennenlernen, bestimmt könnte er auch mir einiges beibringen. Aber erst einmal müssen wir einsetzen, was wir können. Nicht, Leute?“

„Auf uns kannst du immer zahlen!“ Der Braunhaarige war froh, solch gute Freunde zu haben, auf die Verlass war, auch wenn er sie nicht in unnötige Gefahr bringen wollte.

„Alejandro war immer fair und hat uns geholfen. Wir können seinen Sohn schlecht im Gefängnis schmoren lassen. Es ist einfach ungeheuerlich, was dieser Kerl sich erlaubt. Ihm gehört die gleiche Behandlung, wie Ramón. Aber wenn er sich verschanzt, wird an wohl nicht so leicht an ihn rankommen. Zu gerne würde ich mit diesem Ekel mal unter vier Augen unterhalten. Bestimmt würde er sich vor Angst gleich in die Hose machen, nicht, Bernardo?“

„Ich bin nicht sicher. Aber eine Horde Verbrecher können ihn bestimmt erschrecken. Und ein kleiner Zorro auch.“ Bernardo grinste, neigte allerdings auch dazu, sich wichtig zu machen und zu glauben, dass man ihn schon genauso fürchtete wie seinen Bruder.

„Was hat Diego sich bloß dabei gedacht, ausgerechnet dich mit ins Boot zu holen? Er hätte lieber zu mir kommen sollen.“

„Hey, willst du sagen, dass ich nicht ernstzunehmen bin, Rico? Ich bin doch kein kleines Kind mehr.“

„Na ja ... Auslegungssache.“

Ein bisschen wütend war Rico schon, dass Diego ihn so angelogen hatte. Obwohl alles dafür gesprochen hatte und sie sich wegen so einem Scheiß fast zerstritten hatten, hatte er ihn nie um Hilfe gebeten. Dieser Kerl und sein Stolz. Es war zum Mäusemelken.

 

Am späten Abend machten sich die goldenen Tiger und Bernardo auf in die Stadt und starteten ihren Lauschangriff. Es war dunkel und so entdeckte man sie nicht so einfach. Don Esteban war gerade dabei seine sieben Sachen zu packen, um sich auf die Reise zu machen, wie sein Bruder ihm aufgetragen hatte.

„Eine Kutsche. Was das wohl zu bedeuten hat?“ fragte ein blonder, stämmigerer Mann als Rico, mit einer tiefen Stimme, dessen Namen weiterhin unbekannt bleiben muss.

„Wohin der gute Don Esteban wohl will? Er schimpft sich selbst ein Caballero! Ich sehe aber nur einen riesengroßen Feigling, der die Macht seines Bruders fürchtet.“

„Wo ist Bernardo hingegangen?“

„Ich denke, er knöpft sich mal den Sohn von Luis vor.“

„Was denn? Don Juan? Der soll ja noch reicher als Diego sein.“

„Psst. Da ist auch Don Antonio! Den sollten wir uns vielleicht mal greifen. Was denkt ihr, Leute? Es würde mit dem Teufel zugehen, wenn er nichts wüsste.“

Die Stimmen flüsterten und blieben ungehört. Dann schlich Padre Filipe in seiner Kutte über die Plaza.

„Was will er denn hier?“ Sein sich immer wieder umschauen, war verdächtig genug. Als er dann auch noch seines Weges zur Garrison ging, umso mehr. Dort traf er sich mit Sargento Gonzales und jener brachte ihn in Windeseile in die Gefängnisgemächer.

„Muss man das verstehen? Ist unser Dickerchen denn jetzt korrupt geworden? Das ist äußerst gefährlich. Wenn Don Luis das spitz kriegt, wird er ihn hart bestrafen.“

„Einer unserer Informanten hat mir mitgeteilt, dass Don Luis sogar Captain Jekyll ins Gefängnis geworfen hat, weil er sich gegen einen dummen Auftrag aufgelehnt haben soll.“

„Der Captain ist so ziemlich der gehorsamste Offizier, den wir kennen. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Der Auftrag muss ja wirklich übel gewesen sein, dass der schon so weit geht“, sagte Rico und sie schlichen sich näher ran.

 

Don Antonio schleppte ziemlich viel Zeug nach unten. Proviant für die Reise. Als er auch seine Kleider zusammen packte, drehte er sich mit dem Rücken zum Fenster, wo gerade eine schwarz gekleidete Gestalt durch das Fenster sich herein hangelte, so leise wie eine Maus.

Diego hatte ihm mal gesagt, sich schwarz zu kleiden war eine Sache. Dann aber auch noch die absolute Finsternis zu wählen, um zuzuschlagen, gab einem nicht nur den Vorteil, dass die Leute sich furchtbar erschreckten, man wirkte auch im Wesentlichen bedrohlicher. Am liebsten schlug er nachts zu, denn die Dunkelheit erschreckte Menschen schon immer, nicht nur kleine Kinder. Sogar der stärkste Mann bekam es mit der Angst zu tun, wenn man ihm in den Rücken fiel. Genau so tat er es.

Antonio griff nach seinen Kleidern, als er etwas Spitzes direkt im Rücken fühlte. „Keine Bewegung, oder du bist ein toter Mann!“ hörte er eine Stimme hinter sich sprechen. Sofort zuckte der Schwarzhaarige und wagte gerade einmal einen leichten Blick nach hinten zu werfen.

„Was wollen Sie von mir? Unten sind jede Menge Soldaten! Wenn ich schreie, ergreifen diese Sie sofort, Zorro.“

„Ich bezweifle, dass Sie den Mut haben, auch nur den geringsten Laut von sich zu geben, Señor. Sie hatten ja noch nicht einmal den Mut dazu, einen harmlosen Mann wie Diego zu einem Duell zu fordern. Sie wollen nicht sterben.“ Der Schwarzgekleidete war sich damit absolut sicher, dass er sich Opfer richtig einschätzte. Durch das leichte Mondlicht durchs Fenster sah er die Schweißtropfen, die ihm über die Schläfen rannen.

„Ich will ihnen auch nur sehr ungern wehtun. Aber ich habe ein paar Fragen, die sie mir natürlich hoffentlich beantworten.“

Antonio hörte sehr ungern, wie feige er war, denn auch Juan hatte ihm gesagt, wie feige er seine Handlungen gefunden hatte.

Bernardo war versucht, seine Stimme so tief wie möglich klingen zu lassen, was dank seines jungen Alters nicht so einfach war. Auch ohne, dass man es ihm direkt sagte, wusste er, dass er jung klang. Allerdings bezweifelte er bei Antonio, dass er besonders schlau war.

„Und Sie glauben, dass ein maskierter Clown mich zum Reden bringen kann?“

Die Spitze des Degens drückte sich etwas mehr in den Rücken des 23-jährigen und dessen türkis farbenen Augen leuchteten einmal verärgert auf.

„Ich denke schon.“ Der Maskierte lächelte. „Also, wohin geht die Reise?“

„Nach Fortaleza del Diablo“, antwortete Antonio, der mittlerweile sich wie im Schweiß gebadet fühlte.

„Interessant. Das ist ganz schön weit weg.“

„Aber das ist doch nicht alles, was du von mir willst, oder?“

„Wo ist Don Diego Vega?“

Als wenn Antonio es geahnt hätte, wegen ihm war er eigentlich gekommen. Es kam dem jungen Mann jedoch schon spanisch vor, dass Zorro das noch nicht herausgefunden haben sollte.

„Dahin, wo man Verräter zunächst bringt. In eine Zelle natürlich. Ich dachte, so schlau bist du, Zorro?“

Bernardo bemerkte, dass er jetzt weniger ernst genommen wurde und bedrohte den Herrn weiter mit dem Schwert.

Antonio fragte sich wie jung er wirklich war und ob er wirklich bereit war einen Menschen zu töten. Aber die Angst schwand dahin, genauso wie der Schreck aus der Dunkelheit heraus angefallen zu werden.

„An deiner Stelle würde ich ganz schnell verschwinden, Kleiner! Denn dein Freund Diego wird gut bewacht. Es wird dir kaum möglich sein, ihn einfach so zu befreien. Außerdem ...“ Sein Gegenüber lachte tief und in einem sehr hämischen Ton. „Don Luis ist sehr feinfühlig mit seinen Feinden. Er würde dich in der Luft zerreißen. Aber du kannst gerne mit nach Fortaleza del Diablo kommen.  Das ist der Ort, wo Zorro eigentlich hingehört. Es ist ein Hochsicherheitstrakt für Volksverräter. Das wusstest du doch, oder Junge?“

Fortaleza del Diablo, die Teufelsfestung in Baja California. Sie befand sich viele Tagesritte nach Süden. Es war ein riesengroßes Gefängnis, das zur Verteidigung des spanischen Königreichs gegen Ende des 18. Jahrhunderts erbaut worden war. Ein verhasster Ort, barbarisch und grausam. Ein Ort für Rebellen, die gegen die spanische Krone agierten.

Das war alles, was Bernardo noch im Gedächtnis hatte.

Aber war Zorro wirklich ein Volksverräter. Darum hatte sich der Kleine nie genauere Gedanken gemacht. Wahrscheinlich schon, immerhin gehörte die spanische Armee ja zum spanischen Königreich. Das alles war für ihn ungeheuer schwer zu verstehen. Für ihn war Zorro immer der Held schlechthin gewesen.

Sollte die Armee jemals die wahre Identität von Zorro heraus finden, würde man ihn dort für viele Jahrzehnte einsperren. Man erzählte sich die schrecklichsten Geschichten über diesen Ort. Und Diego – er saß gerade im Gefängnis.

Ich darf mich von diesem Kerl auf keinen Fall unterkriegen lassen. Aber was wenn ich mich absichtlich schnappen lasse?



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Crazychicken
2017-07-19T13:32:14+00:00 19.07.2017 15:32
In dem Kapitel hast du so richtig Input gegeben.
Die Frauen O.o"
Alejandro, der die Wahrheit nicht aussprechen kann. Schon bei Catarina nicht. Wovor hat er denn Angst?! verraten zu werden?
Aber der Priester und du hast Hill eingebracht. Das kann nicht gut gehen. Er bringt sich ins Grab. Aber eines hast du richtig erkannt, ich glaube er ist mit Diego befreundet. Er ärgert ihn, das erinnert mich an Juans verhalten in Andreas FF xD dieses leichte Piesacken. Aber das ist nicht ernst zu nehmen, es ist nicht fies gemeint. ^^
Gonzales ist aber auch die Härte. Sitzt heulend im der Taverne. Gib der Tochter vom Wirt doch einen schönen Namen, dann kannst du sie auch benennen. ^^
Luisa ist sehr zurückhaltend und hat Angst. Solche Leute wachsen dann über sich hinaus, wenn sie es müssen xDDD Nicht wahr? Juan braucht ja auch einen großen Anlauf, bis er wirklich etwas macht. Aber wenn er einmal Kopf los wird, ist es zu spät. . . das weisst du ja.
Von:  Crazychicken
2017-06-11T21:55:48+00:00 11.06.2017 23:55
ich werde den Satz hier nie verstehen:
„Vielleicht hätten Sie Zorro mal etwas intensiver jagen sollen...“

Was meinte er damit? xD dass sie nicht im Gefängnis wären und Lolita nicht verschleppt, wenn er ihn geschnappt hätte?

das Kapitel geht aber gepfeffert vorwärts...

Antwort von:  MayAngel
12.06.2017 11:57
du hast es ganz genau richtig verstanden XD


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