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Family Ties

Where will you go...
von
Koautor:  Crazychicken

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Einer gegen alle und alle gegen einen

Es war der Sonntagmorgen des 27. Mai 1810, den jeder anständige Mensch natürlich in der Kirche verbrachte. Auch Don Alejandro war einer von ihnen. Noch nie war er so froh gewesen, die Messe hinter sich gebracht zu haben, wie an diesem Morgen. Ihre Kirche war nicht sonderlich groß, fasste kaum 300 Leute, aber es waren genügend zugegen von ihren 350 Einwohnern. Die kleine Stadt hielt im Grunde zusammen wie Pech und Schwefel, so lange schon. Nachdem Edelmut und Hilfsbereitschaft schon fast der Vergangenheit angehört hatten. Direkt nach der Messe behielt der Padre die Bürgerlichen und Großgrundbesitzer noch in der Kirche. Ihrer aller Glück war, dass die Offiziere und Soldaten im Dienst waren und ohnehin sich nicht für die Kirche scherten, auch wenn sie die Regeln befolgten, meistens aus Angst vor der Strafe Gottes. All jene, die Unrecht begingen, mieden die Kirche sowieso wie der Teufel das Weihwasser. So war es natürlich für Don Alejandro die Möglichkeit, sich an fast die gesamte Stadt zu richten. Der Padre überließ ihm das Wort mit der Ankündigung, Don Vega möge zu ihnen allen sprechen, an einem Ort, der ihnen Schutz gebot. „Gestern abend, meine lieben Mitbürger, wurde mein Sohn Diego aus unlauterem Grund beim Abendmahl von Korruption und Hass heimgesucht. Die Armee fiel bei uns ein und er wurde nicht nur dazu gezwungen, mitzukommen, sondern ohne Grund geschlagen. Wo soll das alles noch hinführen, Leute? Hört mich an! Wir müssen Ihnen die Stirn bieten und sie bekämpfen! Ich wende mich also an euch, die Bürger dieser Stadt, die so etwas nicht stillschweigend hinnehmen dürfen, dass man weiterhin über unsere Köpfe hinweg entscheidet, was rechtens sein soll, denn nichts davon ist rechtens! Alle in dieser Stadt wissen, dass mein Sohn nichts Unrechtes getan hat. Wer leiht mir seine helfende Hand?“ Das entsetzende Schweigen in der Kirche, nachdem Don Alejandro so energisch und fordernd mit ihnen gesprochen hatte, ließ ihn verärgert weitere Worte an sie richten. „Ihr wollt also dabei zusehen, wie einer eurer Mitbürger so herablassend behandelt wird?! Wenn das so weiter geht, kann niemand hier mehr auch nur den Mund aufmachen, ohne bestraft zu werden! Wofür hat Zorro dann für uns eingestanden? Habt ihr kein schlechtes Gewissen, das zunichte zu machen, was er für uns erreicht hat? Zorro hat immer für die Menschen dieser Stadt gekämpft und dabei nicht nur einmal sein Blut vergossen!“ Es erzürnte ihn, was aber niemanden wunderte. „Ihr schweigt? Wäre das euer Sohn, würdet ihr auch zusehen? Und würde es sich um Zorro handeln, was würdet ihr dann tun?“ Nun sah man betretende Gesichter und eine junge Frau erhob sich. „Seid ihr denn alle blind? Wie könnt ihr einen guten Mann wie ihn so im Stich lassen?“ Sie ballte die Hände zu Fäusten, drehte sich herum und sprach ebenso energisch mit den Menschen, wie zuvor Alejandro. „War er nicht immer nett und freundlich zu allen? Gleichermaßen zu Mann, wie zu Frau und Kind? Wieso seid ihr so feige?“ Eine weitere Frau stand von ihrem Platz auf. „Männer! Ihr solltet diesem de la Cruz, der sich hier das Gesetz schimpft, die Stirn bieten! Wie kommt es, dass ihr vor einem fremden Landsmann kuscht? Sonst habt ihr auch ein großes Maul!“

Noch nie in ihrem Leben hatte Doña Catarina so etwas erlebt. Sie hätte nie geglaubt, dass ausgerechnet schwache Frauen sich für das Gute einsetzen würden. Also war ihre Tochter nicht die einzige dämliche Frau, die dergleichen Tat.

„Aber was sollen wir denn tun?“ Fragte ein junger Mann. „Mit ihnen verhandeln wird nichts bringen! Sollen wir die Waffen auf sie richten? Nicht viele hier sind wahre Edelmänner, die mit Waffen umzugehen wissen, wie beispielsweise die Armee! Sie werden einen nach dem anderen hinrichten! Hatten wir nicht genug Albträume in der Vergangenheit wegen diesem Kommandant Ramón? Warum sollen wir für einen einzigen Mann in den Tod rennen?“

„Es handelt sich dabei nur um den Anfang“, erwiderte Don Alejandro. „Gestern wurde nicht nur mein Sohn als Komplize von Zorro verhaftet, sondern auch Lolita Pulido! Eine ehrenvolle Dame, die zufällig die Verlobte meines Sohnes ist und ihn nächsten Monat heiraten sollte.“

Eine Bäuerin erhob sich. „Diego hat immer mit Lolita sehr großzügig bei uns gekauft und war immer nett zu allen. Ich würde ihm gerne helfen!“

„Ist es nicht lächerlich, dass nur Frauen hier den Schneid aufbringen, sich gegen diese Machenschaften aufzulehnen? Wo sind denn all die großkotzigen Männer, die sonst uns schwachen Frauen Befehle erteilen? Hah!“ Die Bürger befanden sich im Nu in einer aufgeregten Diskussion, die eher einem Streit glich, als einer solchen.

„Sogar Zorro scheint genug von diesem Kampf zu haben, ist es nicht so? Dieser Mann ist gescheit und jeder würde ihm folgen und sei es in den Tod. Aber selbst er weiß, wann die Sache aussichtslos ist.“

„Ja, weil ihr alle Dummköpfe seid. Wie könnt ihr nur denken, dass Zorro eine Frau in Not jemals im Stich lassen würde?“

„Nun ja, da gibt es einige Komplikationen, die ihn davon abhalten...“ Don Alejandro trat der Schweiß auf die Stirn, denn das zu erklären, in einer Kirche, unter Menschen, die wahrscheinlich in großer Anzahl ihr Leben einem einzigen Mann verdankten. Er konnte sicher sein, dass niemand von ihnen jemals ein Sterbenswort verraten hätte, aber trotzdem war für ihn immer noch so schwer, es direkt aussprechen.

„Was genau passiert denn jetzt?“ Fragte eine junge Frau. Sie war blond, genauso blond wie Lolita. Mit Locken, sehr wilden sogar. Jeder kannte sie. Ihre Stimme wirkte erregt und trotzdem versuchte sie, sachlich zu sein, aber sie zitterte. Nicht nur ihre Stimme, auch ihr gesamter Leib. Sie trug ein schlichtes Kleid, in Rosa, aber ihr Rosenkranz um den Hals ließ darauf schließen, dass sie reich war. Sie war allseits bekannt, weil sie in der Nachbarstadt sich der Verpflegung kleiner Kinder, die wegen unglücklichen Ereignissen Waisen geworden waren, verschrieben hatte. „Ich meine, was passiert mit Diego?“ Sie schien sich sehr dafür zu interessieren.

„Oh Gott, ihr Weiber. Kaum ist da ein reicher, gut aussehender Herr, entwickeln alle eine Schwäche für ihn. Und ich dachte, Zorro sei der Einzige, der hier alle möglichen Frauenherzen höher schlagen lässt“, meinte ein Mann missbilligend. „Bestimmt hat der junge Vega so mancher Frau schöne Augen gemacht, wenn sich alle in den Tod stürzen möchten für ihn.“

„So ein haarsträubender Unsinn! So etwas macht höchstens ihr anderen Holzköpfe! Er ist ein Edelmann, da macht man das nicht.“

„Don Alejandro, antworten Sie! Was hat der Gouverneur mit Diego vor?“

„So genau kann ich euch das nicht sagen, aber unsere Familien haben seit Jahrzehnten Differenzen. Er ist sehr erpicht darauf, mir das Leben zur Qual zu machen. Gehen wir also vom Schlimmsten aus, wo er mir ja bereits nahe gelegt hat, in Zukunft auf meinen Sohn zu verzichten.“

„Was regt ihr euch so auf? Ich bin überzeugt davon, dass Zorro auftauchen wird, um ihn aus dem Knast zu holen, oder Männer? Wir können wie gewohnt dabei zusehen.“ Kaum einer war der Meinung, sich die Finger schmutzig machen zu müssen, sie hatten ja Zorro, der würde wie immer brav seinen Kopf hinhalten. „Seid ihr total verrückt geworden?“ Warf Hanna, die zuvor genannte, hübsche Blondine ein. „Diego und Lolita wollten heiraten! Macht die Augen auf!“ Sie war wütend, auf die Blindheit der Leute, die eben doch nur für das kämpften, was ihnen besonders gefiel. „Juckt euch das nicht? Oder habt ihr es nicht verstanden? Der Mann, der sich all die Jahre für euch eingesetzt hat, das ist Diego! Wieso sonst sollte sie ihn zum Mann nehmen?“

„Das ist der lächerlichste Unsinn, der mir je mitgeteilt wurde!“ Stritt sich sofort ein weiterer Mann mit der jungen Schönheit.

„Ach, ist es das? Nur weil Sie Torfkopf das nicht begreifen? Zorro kann nichts unternehmen, denn der sitzt jetzt im Gefängnis!“ Sie faltete die Hände und sah Don Alejandro erweichend an. „Sagen Sie doch etwas dazu! Sie müssen es doch am besten wissen.“ Jeder Mann in der Kirche bemerkte sofort, dass es ausschließlich Frauen waren, die sich für den jungen Schönling interessierten. Wann auch immer sich jemand für Diego einsetzte, war er weiblich. Genauso war jeder im Raum diesem Zorro total verfallen. Die Frauen vergötterten ihn, die Männer verhießen ihn für gut und hilfreich. Sie feierten seine Schandtaten, obwohl es Verbrechen waren. „Nur für den Fall, dass es stimmt...  Was dann?“ Die Frage kam von einem alten Mann, kaum jünger als Don Alejandro selbst. Sie erschreckte jedermann so unendlich, dass kurz darauf eine entsetzliche Stille herrschte. Der Padre senkte das Haupt und holte tief Luft, ehe er an die Leute appellierte. „Die Gnade Gottes lehrt uns Gerechtigkeit. Don Luis de la Cruz praktiziert keine. Lasst mich euch eine Geschichte erzählen.“ Alles lauschte wie gebannt auf den Mann Gottes. Zumindest schenkte man ihm stets Gehör, immerhin lebten die meisten Menschen hier in der Furcht vor Gott, jedes mal, wenn er ihnen erneut eine Predigt gehalten hatte, um sie abzuschrecken. „In welche Unterkunft er sich auch wieder geflüchtet hatte, er verlangte nie etwas. Er bat darum. Manchmal war es ein Schluck Wasser. Oder ein Stück Brot. Aber am aller meisten war es die Bitte um Vergebung für seine Taten. Jedes Mal, wenn er durch die Tür zur Kirche schritt, hat er gebetet. Obwohl er stets maskiert war und niemals seine Maske abgelegt hätte, hätte ich den jungen Mann unser Tausenden wiederkannt. Er bezeichnete sich selbst als Feigling, der sich vor der Armee versteckt. Aber all das hat er nur getan, um EUCH, die um seine Identität wissen, zu beschützen. Er hätte es keinem freiwillig gesagt, oder ihn gar um Mithilfe gebeten. Trotzdem hat er all das immer für euch getan. Für euch, die jetzt tatenlos zu sehen. Vielleicht solltet ihr über euch alle nachdenken. Frauen, eure Gründe kann ich nicht gutheißen. MÄNNER, gebt euch einen Ruck und steht ein für all das Recht, was uns schon so lange entsagt wurde! Vor Gott sind alle gleich! Lasst also ab von euren Hang dazu Unterschiede zu machen. Denn auch er machte nie welche. Habt ihr überhaupt eine Ahnung wie adelig er ist? Welchem Stand er entstammt? Aus welchen Kreisen seine Familie stammte? Ihr habt das nie hinterfragt. Für euch ist Don Alejandro nur der Gutsherr, der mit seiner Frau aus Spanien kam. Einige dürften sich noch an sie erinnern, oder nicht? Eine gutherzige Frau. Genügsam. Sie verlangte nie viel. Manchmal verschenkte sie ihr letztes Hemd, um Bedürftigen zu helfen. Aber auch sie entstammte dem Adel. Was Don Alejandro euch sagen wollte. Sie ist eine de la Cruz. Und sie ist zusammen mit ihm davon gelaufen. Von Spanien nach Übersee. Unsere Exellenz, der Gouverneur wird nicht lange zaudern. Was er wirklich plant, ist Alejandro etwas wegzunehmen, was ihm wichtig ist. So wie er es damals auch getan hat. Er hat seine Frau schließlich gleich in ein anderes Land verschleppt. Dieser Mann dürstet nach Rache und die wird er gnadenlos verüben. Wenn also irgendwer von euch Diego auch so sehr schätzt wie ich, dann kämpft an meiner Seite mit Don Alejandro!“

„Dieser Mann hat nicht das Recht so etwas zu tun! Noch dazu der eigenen Familie so etwas abscheuliches anzutun! Wer weiß, wie er ihn behandelt? Wer von euch erklärt sich bereit, es herauszufinden?“ Fragte ein älterer Herr, der Don Alejandro auch durchaus schätzte. Auch wenn er seine Aufwiegelung gegen die Armee nicht unbedingt so sehr berauschend fand. „Wo sind die jungen Kerle, die mutig sind? Immer habt ihr euch über Diego lustig gemacht, zaudert aber selbst.“

„Na gut, ich mach’s!“ Stellte sich ein Rotschopf zur Verfügung, der allseits für seinen Übermut bekannt war, aber auch für seine gute Freundschaft zu Alejandros Sohn.

„Hill, bist du verrückt geworden? Bei deinem Glück bringen sie dich noch um!“

„Ach, so ein Unsinn! Ich lass mich schon nicht erwischen! Aber uns hat Zorro auch geholfen, also will ich ihm diesmal in seinem Kampf helfen!“

„Ach du meine Güte, Junge! Schon beim letzten Mal musstest du Hosen lassen!“ Einige Frauen lachten jetzt doch bei der kleinen Auseinandersetzung von Vater und Sohn. „Außerdem!“ Fügte er laut ein. „Es ist eine Schande, wie diese Spanier Lolita behandeln! Denen sollte einer Anstand einprügeln!“ „Ich glaube, ich helf dir!“ Meldete sich der Nächste, der sich natürlich auch ein bisschen wichtig machen wollte. Keiner der jungen Männer ließ sich gerne feige nennen und wollte schon gar nicht mit Diego verglichen werden, oder gar unter ihm stehen. Junge hitzköpfige Kerle gab es hier jedenfalls zur Genüge.

 

Der Padre war ein frommer Mann. Anders als die meisten Männer Gottes war er mehr als gnädig mit seinen Günstlingen. Nicht nur Zorro war einer von ihnen, auch die Familie der Pulido. Nicht viel weniger als zehn Jahre war es her, dass ein gewisser Carlo Pulido sich für ihn stark gemacht hatte. Damals war von Ramón kaum die Rede gewesen, aber auch zu der Zeit hatte die Armee sie alle unterdrückt, auch ihn und mit ihm die Kirche. Ein Händler hatte ihn damals eines Betrugs bezichtigt und die Armee war in eiserner Härte gegen ihn vorgegangen. Ihn, einen Mann Gottes. Das alleine war ungeheuerlich. Mitten auf der Plaza hatten sie ihm die Kleider vom Leib gerissen und ihn blutig geschlagen. Da hatte sich Carlos für ihn stark gemacht. Damals hätte noch nie jemand geglaubt, dass die verteidigenden Worte von Lolitas Vater so starke Konsequenzen hätten. Wer glaubte schon, dass ihnen der Mund verboten werden würde? Man hatte ihn beschuldigt, einem Gauner – ja so hatte man den Padre in dem Moment genannt – zu helfen. Sie konnten vielleicht seinen Körper schänden, jedoch nicht seine Seele. Er hätte sich von diesen Soldaten bis zum Tode verprügeln lassen, ohne auch nur die Miene zu verziehen. Zu hören, dass man eine Dame in Gewahrsam genommen hatte, nur weil man eine Hypothese aufstellte, sie könnte die Komplizin eines Banditen sein, schmerzte ihn unheimlich. Sein heimliches Wissen über Zorro machte es nicht leichter für ihn, die Füße still zu halten und Don Alejandro in seiner schweren Stunde alleine zu lassen, der ganz offensichtlich auch sehr genau wusste, um wen es sich bei Zorro handelte. Er hatte Augen im Kopf und kaum einer kannte seinen Sohn wohl besser, als er selbst. Die Tatsache, dass sogar der Padre bereit war mit ihnen in den Kampf zu ziehen, war es letztendlich, was den Bürgern ihren Stolz und auch ihren Mut zurückgab. Auch für ihn war der Zusammenhalt schön mit anzusehen, schließlich hatten sie damals nicht einmal gewagt, etwas gegen seine eigene Bestrafung zu tun, obwohl sie ihn alle schätzten. Nur Carlos hatte sich damals für ihn eingesetzt. Gerade hätte er jede Regel gebrochen, um Diego und Lolita zu helfen. Don Lucas schien reichlich besorgt um seinen Sohn, der sich bereit erklärt hatte, beim Hauptquartier und in der Garrison der Armee zu schnüffeln. Da war er doch froh zu wissen, dass ein paar Ältere auch den Schneid aufbrachten, sich seinem vorwitzigen Sohn anzuschließen. Ihm wäre wohler, wäre da eine Frau, am besten noch so eine wie Lolita, die das Temperament seines Sohnes etwas im Zaum halten konnte, aber solch ein Glück war ihnen nicht vergönnt. Sein Sohn folgte seinem Vater zwar ohne Wenn und Aber, trotzdem hatte sich bisher keine geeignete Frau für ihn gefunden. Im Gegensatz zu Don Alejandro glänzte er nicht mit dem größten Farmland, ebenso wenig mit Besitztümern. Zwar konnten sie nicht klagen, denn sie besaßen genug Fläche, um eine reichliche Ernte einzubringen, aber auch er musste sich an einen Geldverleiher wenden, sollte ihm eine Ernte ausfallen. Das könnte Don Alejandro so nie passieren. Sie waren gewiss beide Dons, man suchte sich aber niemals den Sohn eines armen Schluckers aus, um sich mit ihm zu verbinden. Alejandros Sohn hätte sich mit jeder Frau des ganzes Landes vermählen können, wenn er gewollt hatte. Und wen hatte er sich ausgesucht? Eine verarmte Familie, die noch weniger besaß, als Don Lucas eigene Familie. Wie gut, dass Alejandro – und vor allem wie großzügig – es duldete. Damit holte er die Familie der Pulido aus ihrer Misere mit einem Schlag wieder raus, ihnen würde es gewiss an nichts fehlen. Er selbst war froh, dass sein Sohn nicht mit der unzähmbaren Lolita anbändeln wollte. Von ihren finanziellen Schwierigkeiten ganz zu schweigen, war sie bestimmt eine gute Frau, aber sie hätten ein hartes Leben. Dieses kluge Kind verscherzte es sich natürlich nicht mit Diegos Vater und benahm sich an seiner Seite stets vorbildlich, deswegen durfte sie sich ja auf ein wundervolles Leben freuen. Jetzt zu erfahren, wie jemand den beiden einen Strich durch die Rechnung machte, war wie die eiskalte Dusche eines Eimers voll mit Wasser. Dass Diego Zorro sein sollte, der ihnen damals so tapfer geholfen und dafür fast gestorben wäre, ließ ihn seinem Sohn keine Steine in den Weg legen – man half einem Freund und sowohl Diego als auch sein Vater nannte er guten Freund.

 

Natürlich patrouillierte die Armee gerade jetzt besonders gründlich rund um das Gefängnis, um nicht zu riskieren, dass sie ihren guten Fang wieder verloren. Es war erschreckend, mit anzusehen, wie die ihre Kreise zogen und auch drei Wachposten direkt vor der Eingangspforte positioniert hatten.

„Denen scheint diese Sache verteufelt ernst zu sein. Wahrscheinlich würden sie auch jeden erschießen, der sich unerlaubt der Garrison nähert“, flüsterte einer der Älteren. Hill war aber trotzdem ungestüm genug, um es dennoch probieren zu wollen. „Bei einerr solchen Familie braucht es keine Feinde mehr.“

Der Kommentar traf den berühmten Nagel auf den Kopf, denn man könnte fast vermuten, dass der Gouverneur es tatsächlich ernst damit meinte, Alejandro seinen geliebten Sohn wegzunehmen.

„Ich habe die Befürchtung, dass es nicht beim bloßen Inhaftieren bleiben wird, Hill. Aber wir sollten nichts überstürzen. Es bringt uns allen nichts, wenn wir umgebracht werden.“

„Seht nur, da ist der Sargento! Vielleicht kann man sich ja ein bisschen nett mit dem unterhalten.“ Schnurstraks begab sich der Rotschopf zum Besagten und schockierte seine Kumpanen damit zutiefst, so direkt Interesse an dieser Sache zu bekunden, aber auch sie wussten, dass der korpulente Mann sehr leicht in Gespräche zu verwickeln war. „Schönen guten Morgen, Sargento! Hätten Sie wohl Lust und Zeit auf ein Schluck Wein?“ Jeder in dieser Stadt wusste, wie er funktionierte.

„Was, um diese Stunde? So bitter es ist, daran ist es überhaupt nicht zu denken! Wir müssen auf alles gefasst sein! Einen Überfall von Rebellen zum Beispiel.“

Dieser Satz alleine war schon aufschlussreich und verlangte sofort danach, nachzuhaken. „Warum sollte man die Garrison denn überfallen?“ Fragte Hill nach. „Der Gouverneur sagt, wir haben eine Truppe Abtrünnige inhaftiert. Wir müssen darauf gefasst sein, dass ihre Komplizen auftauchen – sogar von Zorro war die Rede.“ Im ersten Moment war zumindest erleichternd, dass sie nicht wussten, wo Zorro gerade festsaß. „Geben die denn niemals Ruhe? Und Sie arbeiten immer so hart. Für ein kleines Schlückchen wird wohl Zeit sein? Sie müssen nur dafür sorgen, dass Sie gut ersetzt werden.“

„Nein, das geht nicht!“ Blieb er hart, denn mit ihrem neuen Gouverneur war nicht zu spaßen, das wusste er leider und bedauerte doch sehr, dass er sich diesmal wohl strikt an die Regeln halten musste. „Wenn ich das wage, komme ich auch noch vors Kriegsgericht...“

„Das ist aber sehr rabiat, leider aber wohl bei einem kleinen Sargento üblich, nicht? Wollen Sie nicht selbst tätig werden und etwas Gutes tun? Vielleicht werden Sie dann endlich Leutnant.“

„Keine Alleingänge, ich habe die strikte Anweisung. Der Gouverneur ist...“ Gonzales war sichtlich nervös und beugte sich zu dem jungen Mann, um ihm ins Ohr zu flüstern.

 „...Ein riesengroßes Übel, das man beseitigen muss. Ich wünschte, dass Zorro davon wüsste und auf dem schnellsten Wege etwas unternimmt. Er würde an unseren zahlreichen Wachposten doch sowieso wieder vorbei kommen. Egal wie viele wir positioniert hätten, er wäre immer an uns vorbei gekommen. Leider nehme ich an, dass er die Stadt verlassen hat, weil er denkt, der Spuk sei vorbei. Wenn nur jemand ihn informieren könnte. Immerhin ist mein Vorgesetzter auch im Gefängnis.“

„Meinen Sie etwa Captain Jekyll?“

„Genau den! Aber ich kann überhaupt nichts tun! Wenn ich nur wüsste, wer dieser Zorro ist, ich würde ihn sofort um Hilfe bitten. Er würde, so wie er eben ist, sofort handeln.“

Die Situation drohte mit wenigen Worten ganz gewaltig zu eskalieren. Dem vorwitzigen Kerl konnte man zutrauen, dass er sich verplapperte, deswegen gingen seine Gefolgsmänner sofort ebenfalls zu Gonzales.

„Wir wissen aber nicht, wer Zorro ist“, sagte der eine, ergriff Hills Schulter und hielt ihn davon ab, einen Fehler zu begehen, wie sein Wissen gegenüber Gonzales preiszugeben. Das wäre gar nicht gut gewesen, so sehr er sich wünschte, Zorro würde auftauchen. Gonzales wirkte, als würde er einen längeren Moment brauchen, um nachzudenken. „Hmmmmm... Das stimmt wohl, aber ich kenne einen, der todsicher ganz genau weiß, wer Zorro ist. Vielleicht solltet ihr ihm davon berichten.“

Gebannt starrten die vier Männer an der Zahl den Sargento an, der sie auf die Folter spannte, wer das wohl sein könnte. „Ich habe den strikten Befehl, mich von Diego fernzuhalten. Aber ihr könnt mit ihm sprechen.“

 „Guter Witz! Wie denn? Der sitzt doch gerade in eurem Gefängnis. Wir können wohl kaum hinein spazieren und uns mit ihm unterhalten.“ Sie wurden Zeuge davon, wie Gonzales Augen sich weiteten, aber sie wussten nicht ganz wieso. Es schien ihn zu verblüffen ...

 

Am frühen Morgen schon ertönten die Klänge einer Violine und holte die Insassen des Gefängnisses aus ihrem Schlaf, der sie des Nachts doch heimgesucht hatte. Der Körper holte sich, was er brauchte, auch wenn keiner von ihnen sich diesem Schicksal gerne ergeben hatte.

„Schon wieder dieser Katzenjammer“, beschwerte sich der Gefängniswärter und wollte lieber doch ein wenig dösen, als dem Spiel dieses Instruments zu lauschen.

„Sie haben wohl überhaupt keinen Sinn für Ästhetik. Der Katzenjammer nennt sich Kunst.“  Im Gegensatz zu dem mosernden Nichtskenner, verstand Diego etwas davon. Ohne ihn spielen zu sehen, wusste er ganz genau, dass der junge Mann, der die Violine spielte, einen Sinn dafür hatte und sein Handwerk beherrschte, wie man es von kaum jemandem erwarten konnte, den man dazu gezwungen hatte, ein Instrument zu erlernen. Er selbst nannte sich kaum Pianist, aber auch er wusste zu spielen – bei weitem jedoch nicht so gut, wie der Andere, dem sie gerade lauschten, es verstand, seine Violine zu spielen. Was am Anfang noch sehr lieblich klang, endete ziemlich schnell in einer regelrechten Vergewaltigung der Violinen-Saiten.

Wann auch immer ich Kummer habe, Diego, spiele ich auf meiner Geige. Das beruhigt mich immer ungemein. Allerdings halte ich wenig von ruhiger Musik. Wenn ich spiele, klingt es immer, als bringe ich mein Instrument grausam um die Ecke ...

 

(An dieser Stelle empfehle ich den Genuss von David Garrett – Lose yourself. Das trifft es ziemlich)

 

Wahrscheinlich spielte Juan lieber auf der Violine als die Aufträge seines Vaters auszuführen. Bestimmt ging ihm gerade wieder irgendetwas gegen den Strich. Bei einem Mann wie Don Luis wunderte ihn das aber auch gar nicht, denn er trug seinem Sohn fast ständig seine hässlichen Aufträge auf. Nur bei ihm war er selbst erschienen, um Don Alejandro den Tag zu ruinieren.

Diego stellte sich vor allem die Frage, ob Luis wohl seine Pläne dem eigenen Sohn verriet, oder sie eher vor ihm geheim hielt. Im Grunde konnte sich der Blonde kaum vorstellen, dass Don Luis ehrlich zu seinem eigenen Sohn war, immerhin hatte dieser Mann all die Jahre die Existenz von Diegos Familie geheim gehalten. Mittlerweile wussten sie, dass Don Luis sich davor fürchtete, welche Flöhe Diego seinem Sohn in den Kopf setzen könnte. Zum Beispiel, ihm klarzumachen, wie schrecklich sein eigener Vater wohl war. Juan war zutiefst unglücklich über die Machenschaften seines Vaters, aber man konnte nicht von ihm erwarten, dass er selbst gegen ihn kämpfte – dafür bin ich ja da.

Es machte Diego auch nicht viel aus, diesen Mann zu ärgern, so groß waren seine Verbundenheitsgefühle gegenüber diesem Mann nicht. Mochte sein, dass er sein Vetter war, aber auch mit einer Blutsverwandtschaft schreckte er nicht davor zurück, nicht nur seinen Stolz zu verletzen, sondern ihn auch zu züchtigen. Die paar Schläge in seinem eigenen Zuhause waren erst der Anfang gewesen, darüber war sich Diego sehrwohl im Klaren. Er fragte sich, was ihm noch blühen würde. Wie weit Luis gewillt war zu gehen. Welche Grenzen er überschreiten würde in seinem Rachefeldzug gegen seinen Vater. Er hatte es ja selbst gehört. Don Luis‘ Plan war, Alejandro seinen Sohn nicht zurückzubringen.

Wird er mich aufhängen und mir einen schnellen Tod bescheren, oder wird er sogar so weit gehen, mich möglichst brutal hinzurichten? Vielleicht erschlägt er mich, das dauert schön lange.

Natürlich wusste er, dass man diesem Mann am besten alles zutraute. Umso schlimmer war seine Gefangenschaft. Er würde sich wehren, egal was kommen möge. Dann, wenn sie kamen, um ihn abzuholen, würde er kämpfen und wenn er sie alle umbrachte, inklusive Don Luis selbst. Wenn er überhaupt wagen würde, selbst Hand an ihn zu legen. Diesen Mut sprach er ihm nämlich nicht zu. Er war ein riesengroßer Feigling, der sogar einen direkten Konflikt mit Zorro bisher vermieden hatte. Immer, wenn er in Erscheinung getreten war, hatte er sich feige irgendwo verschanzt, von wo er seine Befehle erteilt hatte. Immer hatte er andere geschickt, die seine Drecksarbeit verrichteten. Aber eines hatte er ihnen verboten, ihn direkt zu erschießen. Wie großzügig von diesem Mann. Das schloss Schmerzen zufügen leider nicht aus. Das war ihnen erlaubt, ihn umzubringen nicht. Aus irgendeinem Grund war er scharf darauf, ihn lebendig zu kriegen. Nun hatte er ihn, ohne es zu ahnen, oder? Es wäre für Don Luis wohl wie ein Festtag, sollte er jemals herausbekommen, wer dieser Maskierte wirklich war. Das wäre doch als würde Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. Dann hatte er sogar einen legalen Grund, ihn umzubringen. Gerade glaubte er, dass er diese Sache hier nicht so ohne Weiteres rechtfertigen konnte. Aber, was wenn er etwas ahnte und bloß mit ihm spielte?

Kaum hatte Diego diesen Gedanken gehegt, da öffnete sich die Eingangstür und mehrere Soldaten, der Magistrado und der Gouverneur betraten den Raum. „Es stinkt wirklich entsetztlich! Ich werde mich im Hintergrund halten“, entschloss er und hielt sich ein Tuch vor die Nase.

Natürlich dachten beide, dass sie den Captain als besonders fluchtgefährdet einschätzten und kamen, um ihn abzuholen, aber man würdigte ihn keines Blickes und der Gefängniswärter schloss Diegos Zelle auf.

„Ich hoffe, die Nacht war einigermaßen angenehm.“

„Jeder Misthaufen wäre angenehmer“, konnte sich Diego kaum verkneifen zu sagen und überblickte die Lage. Es war eine ganze Horde Soldaten bei ihm – fürchtete er ihn tatsächlich so sehr? Das war kaum zu glauben, immerhin war er doch der harmloseste Zeitgenosse weit und breit, oder? Es war beängstigend und er fürchtete doch den Umstand, er könnte etwas ahnen. Dass man Diego diese Furcht ansah, konnte man nicht sagen, er verzog nicht die Miene und war noch nie so furchtlos gewesen, wie gerade. Er wollte diesem Ungeheuer von Mensch seine Angst nicht zeigen, denn auch er besaß so etwas, was sich Stolz nannte – der war gerade jetzt sehr ausgeprägt.

„Wie bedauerlich, dass dem so ist“, sagte er kühl. „Nur für den Fall, dass du dir vor Angst in die Hose machen willst, du Feigling! Und deswegen auf die Idee kommst, vor mir zu flüchten, du musst keine Angst haben. Ein paar schlichte Fragen, dann lasse ich dich nach Hause gehen, Diego. Ich persönlich habe nichts gegen dich, du hast mir ja nichts getan, nicht wahr?“ Seine Worte waren voller Spott und Ironie, obwohl er beides natürlich verbarg. Keiner sollte auf die Idee kommen, dass es ihm Vergnügen bereitete.

Jekyll hatte den Gouverneur von seiner Schokoladenseite kennen gelernt, man durfte ihm nicht trauen. Wenn er so etwas schon sagte, dann handelte es sich um Fragen, die man nicht beantworten konnte. Er war aufgestanden und beobachtete das Geschehen mit Interesse.

„Wie ich sehe, haben Sie reges Interesse daran, wie ich mich mit Diego unterhalte. Das ist auch unterhaltsam für mich. Sie haben sich doch nicht etwa beide angefreundet? Das wäre keine so gute Idee. Don Alejandro ist ein Verbrecher. Mit seinem Sohn sich anzufreunden wäre also auch ein Verbrechen. Wollen Sie doch nicht etwa, ehemaliger Captain?“

Missmutig besah ihn der rothaarige Mann, dabei schwenkte sein Blick zur Seite und strafte den älteren Mann mit Ignoranz.

„Wer behauptet diesen Unfug, dass mein Vater ein Verbrecher sei? Das ist eine reine Farce!“

„Oh, wer das behauptet? Das weißt du nicht, Diego? Berichte behaupten das!  Ein gewisser Leutnant Gabriel hat in einen Bericht geschrieben, dass Don Alejandro diesem Verbrecher Zorro Unterschlupf gewährt hat. Noch am selben Tag soll dieser Bandit auch bei den Pulidos seinen Unterschlupf gefunden haben, zumindest behauptet Sargento Gonzales das in einem seiner Berichte. Das ist aber längst nicht alles. Viele Spuren führen zu deinem Zuhause, Diego. Ich halte das für keinen Zufall. Andere Spuren wiederum führen zu einer blonden Schönheit, die wir alle allzu gut kennen. Wenn du ein braver Junge bist, wird keinem etwas widerfahren, mein Ehrenwort darauf.“ Es war kaum Platz für fünf in der Zelle, deswegen zerrten sie ihn grob aus ebendieser und nutzten den Platz direkt vor der Zelle. Dabei klatschte die Peitsche in Don Luis Hand auf und ab und er begrinste Diego hämisch. „Wenn du fliehst, lasse ich deinen alten, gebrechlichen Vater einsperren und aufs Brutalste auspeitschen. Du weißt, dass er das kaum überleben würde. Bist du also ein guter Sohn und nimmst seine Strafe auf dich?“

„Einem ehemaligem Leutnant, dem man offiziell nachgewiesen hat, dass er in Korruptionen verwickelt gewesen ist, schenkt man also mehr Glauben, als einem ehrenhaften Mann, wie meinem Vater?“ Verbalisierte Diego äußerst erbost darüber.

 „Oh, ich schenke diesem Mann Glauben. Er war schließlich nicht der Einzigste mit diesem Verdacht.“

„Ein Verdacht?? Ist das Ihr Ernst? Sie bezeichnen meinen Vater als einen Verbrecher wegen eines Verdachts?“ Ungläubig richtete Diego diese Worte an den Gouverneur, der weiterhin nur hämisches Grinsen für Alejandros Sohn übrig hatte.

„Es stehen viele aufschlussreiche Dinge in den Berichten. Die Armee war sehr fleissig im Sammeln sämtlicher Informationen über Zorro. Genauso wie er mit seinen Taten. Und der von allen geschätzte Captain Jekyll hat auch bis zuletzt alles in seinen Berichten festgehalten. Leider hat er sich geweigert, einen ihm aufgetragenen Befehl zu meinem Bedauern auszuführen, deswegen musste ich ihn ins Gefängnis stecken. Der Magistrado hält 10 Peitschenhiebe für die Mithilfe von Don Alejandro für angemessen. Ein alter, gebrechlicher Mann wie er würde die kaum einfach so wegstecken. Deswegen sehen wir davon ab, sie ihm zu verpassen. Wir nehmen stattdessen dich!“

Die Gesichtsfarbe des jungen Mannes entwich ihm und kalter Schweiß lief ihm über selbiges.

„Sie wissen, dass das eine Farce ist! Magistrado! Mein Vater hat sich nie einem Verbrechen schuldig gemacht! Nicht ein einziges Mal ist Zorro bei ihm untergekrochen! Dafür gab es nicht die geringsten Indizien! Und ich hätte gewiss bemerkt, hätte er solches getan!“ Diego war wütend, aber auch verzweifelt, obwohl er die zehn Hiebe bestimmt wegstecken würde, wie all die Verletzungen, die ihm in den fünf Jahren zugefügt worden waren. Trotzdem musste er wenigstens den Schein waren und durfte froh sein, dass sie sich nicht an seinem alten Vater vergriffen.

Bis zuletzt hatte Diego Haltung gewahrt und sich seine Sehnsucht nach einer Flucht nicht ansehen lassen, auch nicht als er aus der Zelle gerissen worden war. Er wusste, Don Luis würde allzu gerne sehen, dass er einen Fluchtversuch unternahm, um sich dann doch seinen Vater vorknöpfen zu können. Er war nicht dumm und wusste, Widerwehr war in diesem Fall gerade nicht angebracht. Nach diesem Gespräch würde er sich wohl doch genauer überlegen, ob er so etwas riskieren wollte. Nicht, ohne vorher mit Bernardo gesprochen zu haben, der seinen Vater in Sicherheit bringen konnte. So ohne weiteres wollte er nicht riskieren, dass seinem geliebten Vater etwas zustoßen würde, wenn er damit beschäftigt war, hinter Lolita herzurennen, weil er eben doch nicht anders konnte, als ihr zu Hilfe zu eilen.

„Gestattet mir eine Frage! Warum ich das hier erdulden muss, ist mir klar, aber was hat meine Verlobte verbrochen, dass man sie einsperren will? Und vor allem, wo ist sie?“

„Weit weg! Bestimmt willst du ihre Strafe auch noch gerne auf dich nehmen? Aber es tut mir außerordentlich Leid, es gibt keine Strafe. Wir unterhalten uns nur mit deiner Verlobten. Mehr nicht!“

So ganz konnte Diego das nicht glauben, aber er hoffte doch, dass sie die Wahrheit sagten. Natürlich verrieten sie ihm nicht, wo sie war. Das hätte ihn auch gewundert.

„Wie schön er schon bescheid weiß! Anscheinend hat irgendein Plappermaul es ihm erzählt. Ich frage mich, wer das gewesen sein könnte?“ Lachte der Magistrado und wies einen der Soldaten an, Diego den Oberkörper blank zu legen, dass sie endlich anfangen konnten. Einem anderen drückte er die Peitsche in die Hand, was diesen noch blass werden ließ, da er so etwas noch nie gemacht hatte und wohl auch keinen großen Wert darauf legte.

Man riss Diego grob sein Hemd vom Leib und er atmete unruhiger, ließ sich aber ansonsten nichts anmerken. Captain Jekyll wirkte wesentlich angespannter, als er das Ganze beobachtete und die Eisenstäbe fest im Griff hielt.

Die Ungerechtigkeit, die ihnen hier zuteilwurde, er wollte sich gerne gegen diese auflehnen, aber weitere Worte würden das Ganze nur noch verschlimmern, so hatte er das Gefühl. Außerdem hatte er die Spitze ihm gegenüber sehr genau vernommen. Wer sonst, außer ihm hatte die Möglichkeit gehabt, Diego in Kenntnis zu setzen, dass man Lolita verhaften wollte?

Die Peitsche schwang natürlich sofort durch die Luft. Diego zuckte nicht einmal, aber ihm war auch bewusst, wieso ...

 

Ganz anders als Gonzales, der nach der Aufklärung über Diegos Gefangennahme, natürlich nach seinem Freund wenigstens schauen wollte. Er schaute durch das Gefängnisfenster und sah mehr, als ihm lieb war. Im Gegensatz zu Jekyll hatte er so etwas noch nie direkt beobachtet und sah nicht, wie milde die Strafe war. Der junge Soldat gab sich keine sonderliche Mühe, kräftig zuzuschlagen. Durch die Entfernung sah er auch nicht, welche Spuren die Hiebe hinterließen, Jekyll jedoch sehr genau. Er schwieg Stille und ließ es geschehen ...

Sie waren gerade mal stark genug gewesen, dass sie leichte rote Streifen hinterließen und gewiss genug Strafe waren. Für seinen Geschmack jedoch mehr als unverdient, ihn so zu verprügeln. Unbeeindruckt ließ der Gouverneur den Soldat alle zehn Hiebe ausführen, nur um am Ende ein nachdenkliches „mhmmm“ von sich zu geben.

„Ich glaube das Wort Auspeitschen muss man genauer definieren. Auspeitschen sollst du ihn, nicht streicheln!“ 

Er ging hin und entriss dem jungen Soldaten die Peitsche. Nicht nur, dass er jung war, er hatte als Kind zusammen mit Diego gespielt und konnte ihm einfach nicht solche Schmerzen zufügen. Obwohl sie Männer waren, fand er es ungerecht, ihn überhaupt zu schlagen. Aber richtig schlagen? Er wurde beiseite geschubst und er bedauerte dann doch, dass er nicht richtig zugeschlagen hatte, als jetzt der Gouverneur zum ersten Schlag ausholte. Die Peitsche schnitt kräftig die Luft und diesmal blieb Diego nicht still, als er den ersten Peitschenhieb erdulden musste. Man hörte sein deutliches, kleines Keuchen, auch weil er auf diesen nicht gefasst gewesen war. Diesmal bildete sich kein schlichter Streifen, sondern eine dicke Blutspur, aus welcher die rote Flüssigkeit quellte.

Der junge Mann hatte beide Hände gegen die Mauer gepresst, so fest er konnte. Dabei wurde sein Körper beim Schlag mehr in Richtung Mauer befördert.

 Es war nicht so, dass der Gouverneur die Hiebe schnell hinter sich brachte. Nein, er genoss sie in vollen Zügen. Zu urteilen nach seinem bösartigen Lächeln und seinen noch gehässigeren Worten, die anschließend folgten. „Glaub mir, nichts bereitet mir größere Freude als den Sohn meines Erzfeindes körperlich zu misshandeln! Es wird mir das größte Vergnügen sein, dich am Boden kriechen zu sehen! Mit jedem Schlag, treffe ich deinen Vater mitten ins Herz!“

Der nächste Schlag kam. Und der dritte, der vierte. Die Beteiligten konnten schon nach dem vierten nicht mehr hinsehen und wandten die Blicke ab. Sogar der robuste Captain Jekyll konnte es nicht mehr mit ansehen und wendete seinen Blick ab, wo er dann die entsetzten Augen von Gonzales erblicken konnte, aber mit keinem Wort etwas sagte. Beide sahen sich in die Augen. Stellten fest, wie sehr es sie schmerzte. Jeder Hieb war zu hören, ebenso Diegos Stimme, gedämpft zwar, aber trotzdem war deutlich, dass die Schmerzen massiv sein mussten. Nicht nur, dass sie die Peitsche durch die Luft sausen hörten, das leise Wimmern war ebenfalls zu vernehmen. Dennoch hielt er sich tapfer und es blieb bei diesen kleinen Lauten. So viel eisernen Willen hätten wohl beide Diego nicht zugetraut. Jeder hätte damit gerechnet, dass nicht nur Blut floss, sondern auch Tränen. Das war der gleiche Mann, der Gabriel mit seinen Schreien nach dem Vater den letzten Nerv gekostet hatte. Sie beide wussten jetzt, dass das Ganze eher eine Schauspieleinlage gewesen war, um Gabriel ein bisschen zu ärgern. Er konnte wie ein richtiger Mann einstecken – und ertrug es lange, ehe er die ersten Anzeichen von Schwäche zeigte und man ihn doch hochzerren musste, damit er nicht umfiel, denn er sackte fast zusammen. Aber dem Gouverneur schienen die blutigen Stellen, die er ihm beibrachte, nicht auszureichen. Er wurde zornig und schrie ihm entgegen. „Los schrei!“ Dabei prügelte er immer härter auf Diego ein, welcher sich jetzt sogar kräftig auf die Lippen biss, um ihm den Gefallen nicht zu tun. Dabei brachten die brutalen Schläge ihn fast zur Bewusstlosigkeit. Auch nach dem zehnten Schlag, der den alten Mann total verausgabt hatte und ihn hecheln ließ, wie sonst nur Hunde in der Hitze, hatte Diego nicht ein einziges Mal geschrien ...

„Jetzt zu meinen Fragen, Don Diego Vega“, wurde er jetzt förmlicher, nahm ihm in den Nackenhaaren und zog ihn hoch.

Diego keuchte leise vor Schmerz, auch jetzt spürte er die Peitsche noch deutlich, obgleich der Mann aufgehört hatte, ihn zu schlagen. Fast jede Faser seines Rückens schmerzte unheimlich und sein Körper erfasste ein unkontrollierbares Zittern.

Es machte nicht den Anschein, als wäre Diego noch in der Lage, allzu ausschweifende Unterhaltungen zu führen. Aber er ließ ihn nicht los und lächelte dann milde. „Wer ist dieser Zorro?“

„Kann – ich – nicht – sagen...“ Es war höchstens ein Krächzen, für mehr fehlte Diego die Kraft.

„Es wäre besser für alle Beteiligten, wenn du die Wahrheit sagst, Junge.“

Einen kurzen Moment der Stille genießend fragten sich alle, welche schlimmen Dinge er mit den Besagten planen könnte, um es so zu sagen. Genauso quälte sich ein jeder mit der Frage, ob Diego gerade log, oder wirklich nicht wusste, wer ER war.

„Wen wollen Sie denn noch quälen?“ Hauchte Diego, daraufhin kassierte er das boshafteste und tiefste Lachen in seinem gesamten Leben. Dieses hallte durch die engen Gefängnisgemächer und drang brutal in den Gehörgang aller ein.

„Hast du so wenig Fantasie?“

Die Grausamkeit, mit der er diese Frage stellte, ließ es ihm übel werden. Zum Glück war sein Gesicht gegen die Mauer gerichtet und Don Luis war es nicht vergönnt, einen Blick in Diegos Augen zu werfen. Diese leuchteten vor Zorn, aber auch vor Angst um seine Liebste. Er musste stark sein, sich nichts anmerken lassen. Das alles fiel ihm gerade ungeheuer schwer. Nett von Don Luis, ihn hochzuzerren, so konnten ihm wenigstens nicht doch die Beine wegsacken und er als grenzenloser Schwächling dastehen.

Wenn ihm nicht von den Schmerzen schon so elendig schlecht gewesen wäre, hätte er sich tatsächlich gefragt, seit wann er so weich war. Aber die Vorstellungen in seinem Kopf reichten, um ihn all seiner bewahrten Beherrschung zu berauben.

„Ich bin bereit alle Schuld auf mich zu nehmen.“

„Das ist aber langweilig.“ Don Luis ließ Diego los und dieses Mal konnten sie sicher sein, dass man keine großen Kraftreserven aufwenden musste, um ihn daran zu hindern, zu fliehen. Nicht weil es klüger war, sondern weil ihm bestimmt die Kraft für solches fehlte. Sofort rutschte er mit beiden Händen, die sich fest in die Mauer krallten, diese entlang Richtung Boden.

Die Arme des Älteren schlangen sich um Diegos geschundenen Körper und er flüsterte ihm nur eines zu: „Wenn du nicht redest, Lolita tut es bestimmt an dem Ort, an dem sie gerade ist, wenn man sie ein paar Männern zum Fraß vorwirft. Glaube mir, sie wird singen in den höchsten Tönen und ganz schnell ihren Sturkopf verwerfen. Genauso wie sie die Gefühle vergisst, die sie mal für diesen Kerl hatte. Es ist nur bedauerlich, dass es für sie am Ende auch unerträglich sein wird, ein Leben mit dir zu  teilen. Da kannst du dir sicher sein.“

Captain Jekyll hörte jedes Wort, auch wenn es überhaupt nicht für ihn bestimmt war. „Damit werden Sie nicht durchkommen!“

Dass er es wagte, auch nur ein Wort an den Gouverneur zu richten, war bereits mehr, als er je verlangt hätte. Leider konnte das die missliche Lage trotzdem in keiner Weise bessern. Gerade war es vorbei mit seiner eisernen Beherrschung und so viele verzweifelte Gedanken huschten ihm durch den Kopf. Alle davon lösten unkontrollierte Angst in ihm aus. Derartig große Angstgefühle hatte er noch nie in seinem gesamten Leben verspürt. Bisher hatte Diego immer geglaubt, dass er alles aushielt, zumindest hatte er sich das versucht einzureden. Aber die Vorstellungen in seinem Kopf waren mehr, als er dulden konnte, ehe seine eiserne Mauer in sich zusammen fiel. Auf nimmer Wiedersehen Verstand, herzlich willkommen Verzweiflung. Es fehlte nicht viel und er hätte in diesem Moment ohne großartig darüber nachdenken zu müssen, alles gestanden. Von Anfang bis Ende. Bei Don Luis würde das aber wahrscheinlich eher noch mehr Unheil über sie alle bringen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls würde ein Geständnis eher dazu führen, dass sie alle am Galgen hingen. Einschließlich Lolita und seinem Vater. Er war ja nicht einmal sicher, ob ihm jetzt noch einer Glauben schenken würde, oder es nicht eher so aussehen würde, als wenn er weiterhin alle Schuld auf sich nahm, um die Anderen zu beschützen. Seinen blonden Engel allen voran. Wenn er nur gewusst hätte, ob es Don Luis davon abbringen würde, einen nach dem anderen in seiner grausamen Härte zu behandeln, hätte er doch nicht geschwiegen.

„Lassen Sie sie bitte um Himmels Willen da raus. Sie hat mit all dem nichts zu tun.“ Das war ein Fakt, den es kaum zu leugnen galt. Luis ging es eigentlich nur um seinen Vater. Auf den hatte er es eigentlich abgesehen.

Die Stimme des jungen Mannes hatte einen verängstigten Nachklang, das gefiel dem Angesprochen gewaltig. Trotzdem reichte es ihm nicht, er wollte ihn richtig am Boden sehen. Ihn demütigen, seinen Stolz brechen.

„Das stimmt nicht ganz, mein lieber Diego.“ Nicht einmal das wollte dieser grausame Kerl ihm noch glauben.

„Für den einfältigen Sohn meines Schwagers noch einmal in aller Deutlichkeit. Indem ich dich quäle, treffe ich den Richtigen. Deinen Vater. Je mehr Schmerzen ich dir zufüge, umso mehr quäle ich ihn. Und Lolita, dein Engelchen ist genau das, was dir am meisten zusetzt. So tapfer hast du all meine Schläge eingesteckt. Respekt dafür, das schafft kaum einer, ohne umzufallen.“

Nicht, dass sein Neffe noch dachte, er wäre ihm gerne nahe. Er nahm ihn im Nacken und warf ihn mit einem kräftigen Schubs zurück in seine Zelle, die anschließend sofort abgesperrt wurde.

„Du meine Güte, soll er hier drin verrecken? Schicken Sie wenigstens einen, der seine Wunden behandelt!“ Jekyll konnte seinen elenden Mund nicht halten, als er das so sah. Es war seinem Temperament zu verdanken, aber auch seinem guten Herzen, was den jungen Mann doch bemitleidete. „Wenigstens das! In diesem Stall von einem Gefängnis stirbt er schneller, als Ihnen lieb ist.“

„Ich werde darüber nachdenken...“

Seine Stimme klang so kalt wie die Antarktis.

„Wir gehen.“ Dieser Anweisung wurde Folge geleistet, wenn auch nur widerwillig. Vor allem der junge Soldat warf Diego noch einen letzten Blick zu, den er allerdings nicht mitbekam, weil er mit dem Rücken zu ihm in der Gefängniszelle lag. Solch grausamer Tyrann, er glaubte, dass die Zeit mit Ramón wohl eher zu den Zeiten gehörte, wo es ihnen relativ gut gegangen war. Er hätte nie grundlos so etwas getan und doch hatten sie alle ihn als den abscheulichsten Kerl überhaupt empfunden. Außer natürlich der Leutnant, der hatte ihn gemocht, solange er ihn nicht bestrafte jedenfalls.

Gonzales war von den Anderen nicht bemerkt worden, trotzdem tauschte er noch kurz Blicke mit Jekyll aus, in denen er sie alle um Vergebung bat, dass er nicht eingeschritten war. Das hätte ihn womöglich allerdings alles gekostet. Seine Anstellung, sein Leben – einfach alles. Trotzdem fiel es ihm schwer, dabei zuzuschauen. Schon Ramón hatte er unbewusst in seiner Grausamkeit unterstützt. So einen Fehler wollte er eigentlich nie wieder begehen. „Was soll ich denn jetzt machen? Ich weiß doch auch nicht weiter. Wir wissen ja, wohin das führt, wenn man ihn verärgert.“

„Hauen Sie ab! Wenn er Sie hierbei erwischt, setzt es was! Das muss nicht sein! Kommen Sie, wenn schon später wieder, wenn er nicht um die Garrison herumschleicht!“ Jekyll wollte nicht, dass sie noch zu dritt hier in diesem Gefängnis saßen. „Bringen Sie in zehn Minuten wenigstens irgendetwas Brauchbares, um die Wunden vor dem Dreck hier drin zu schützen. In seiner aktuellen Verfassung, wäre eine Sepsis zweifellos tödlich“.

„Um Himmels Willen, Diego, halt gefälligst durch! Wenn es einen Gott gibt, warum tut der nichts?“ Fragte sich der Sargento. Obwohl der junge Mann eher damit kämpfte nicht ohnmächtig zu werden, hatte er die Worte der Männer durchaus vernommen.

Schlimmer, als die Schmerzen zu erdulden, war die Angst in seinem Herzen. Gerade wollte er nichts sehnlicher, als dass Bernardo hierher kam, er ihm Anweisungen geben konnte alle Leute, die in Gefahr schwebten, weit wegzubringen. Dann konnte er endlich darüber nachdenken, wie sie beide es hier raus schafften. „VERDAMMTE SCHEIßE!“

Er brüllte unbeherrscht – sogar Flüche, die ihm sonst nie entkommen waren – weil er die Verzweiflung in sich jetzt einfach nicht mehr kontrollieren konnte. Bestimmt amüsierte sich jetzt dieser Dreckskerl von Gefängniswärter auch köstlich über ihn, dass es so mit ihm durch ging.

 

Gonzales hörte natürlich aufs Wort und ließ die Garrison weit hinter sich. Ganz in der Nähe der Plaza war sein Lieblingszufluchtsort. Wie viele Male hatte er dort mit Diego für einen lockeren Plausch gesessen? Schon wie oft hatte er ihm dann Dinge zugetragen, die ihn nichts angingen? Derartiges war unzählige Male passiert. Gerade jetzt, nachdem er so etwas gesehen hatte, wollte er sich am liebsten sinnlos besaufen. Er setzte sich nicht direkt zu der Bardame, um sich bedienen zu lassen, sondern in die hinterste Ecke, wo er sich ein bisschen unbeobachtet fühlte. Noch nie hatte er schweigend in einer einsamen Ecke gesessen, fast unsichtbar. Ganz ohne nach dem Wirt zu rufen. Mit keinem Ton verlangte er nach Bier, Wein, oder etwas kräftigem zu essen. Die Bedienung sah ihn zwar, wartete allerdings noch einen Moment, ehe sie sich auf den Weg zu Gonzales machte. „Kann ich Ihnen etwas bringen?“ Fragte sie ihn gleich im ersten Moment, als sie vor ihm stand, erstarrte dann aber zur Salzsäule, als sie die Tränen in seinen Augen sah. „Bier, Wein! Alles!“ Sagte er mit einer traurigen Stimme und sie machte auf dem Absatz kehrt, ohne zu fragen, ob er die Zeche wohl bezahlen konnte. Der Wirt hinter der Theke schaute sie mit seinen strafenden Augen an. „Wusstest du, dass Don Diego verhaftet wurde? Ich würde dem Sargento nicht so ohne weiteres etwas bringen. Nicht, dass er am Ende wieder nicht zahlen kann. Kunden, die kein Geld haben, sollten auch nicht bedient werden. Du weißt doch, dass er nie genügend Geld hat, um das zu verspeisen, was seinen riesen Wanst fasst. Jedes Mal hat er Diego um Geld angepumpt, der auch ganz brav alles bezahlt hat. Die Leute sagen, dass die Armee ihn nicht so ohne Weiteres gehen lassen wird. Er soll irgendwas mit Zorro zu tun gehabt haben, sagt man.“

„Du bist wirklich unverbesserlich! Der arme Mann hat geweint.“

„Ein Mann weint nicht. Das macht ihn mir auch nicht gerade sympathischer. Geh hin und frag ihn, wieviel Geld er bei sich trägt. Mehr, als er zahlen kann, bekommt er nicht von mir, Tochter!“

Sie drückte ihre Servier–Platte an ihre Brust und verstand nicht, wie ihr Vater so hartherzig sein konnte. Sie war auch ziemlich jung und hatte den Ernst des Lebens noch nicht begriffen. Menschen, die von der Gunst eines Reichen lebten, wie Gonzales verstanden das nicht - und Kinder, die immer genug zu essen bekamen, ebenfalls nicht. „Vielleicht sollte ich dich auch für das Essen, was du immer vertilgst, zahlen lassen. Dann würdest du es auch nicht so gierig verschlingen, wie unser guter Sargento immer! Wie er so schön sagte, Wein den man nicht bezahlen muss, schmeckt am besten.“

Die junge Dame fand ihre Arbeit äußerst unangenehm, dabei konnte sie froh sein, sich ihre eigenen Brötchen verdienen zu können und nicht mit 15 schon den erstbesten Mann vorgesetzt zu bekommen, den sie heiraten musste.

Statt Gonzales nach dem Geld zu fragen, setzte sie sich zu ihm. „Was bedrückt Sie, guter Mann?“

„Diese Welt, sie ist einfach nur schlecht und ungerecht!“ Schniefte er und hämmerte mit der Faust auf den Tisch, wie es sonst nur die Besoffenen taten, weil sie ihre Gefühle nicht kontrollieren konnten, aber der korpulente Mann benötigte keinen Alkohol, um so zu werden. Seinen Gefühlsausbruch verstand sie nicht, aber sie hatte ein großes Herz, was sie einfach steuerte und danach dürstete, anderen Menschen zu helfen. Wahrscheinlich war der Saloon der falsche Ort für sie. Sie hätte den Obdachlosen freie Unterkunft und freie Verpflegung gestattet, statt ihnen das letzte Hemd für ein Glas Wasser abzuknöpfen.

„Das stimmt, diese Welt ist schlecht. Aber was beschert Ihnen denn Tränen? Sie sind doch so ein robuster Mann!“

„Ich bin ein Feigling!“ Brüllte Gonzales verärgert von sich selbst über den Tisch und schockierte die Frau damit ein weiteres Mal. „Ich habe einfach dabei zugesehen, wie sie meinen Freund ohne besonderen Grund schlugen! Dieser gemeine Schuft von Gouverneur! Und ich hab keinen, den ich um Hilfe bitten kann! Kein Diego, dem ich alles erzählen kann! Der sitzt ja im Gefängnis und ich kann nicht einfach so zu ihm. Sie haben ihn behandelt wie den allerletzten Strauchdieb. Ihn, einen Mann seines Standes so zu behandeln, ist schändlich. Das hat es hier noch nie gegeben. Sogar Ramón und Gabriel hätte das nie gewagt. Die paar Faustschläge waren reine Lapalie. Dieser Mann ist der Teufel in Person. Soll er doch zurück in die Hölle gehen, der elende Hund!“

„Kein besonderer Grund? Einfach so? Das kann ich ja nicht glauben.“ Ihr Vater hatte gerade eben seiner Tochter erst eines dieser Gerüchte zugetragen, an welches sie sich natürlich sofort erinnerte. „Also die Leute würden wohl einige Gründe nennen können, warum man so etwas macht.“ Sie starrte in die Luft und sah ihn dabei nicht an, weil sie im Grunde log, wenn sie leugnete, etwas zu wissen. „Ich kann mir das alles nicht vorstellen. Diego und Zorro gemeinsame Sache.“

Sie schielte zu Gonzales und dieser schien von ihren Worten nicht sonderlich schockiert zu sein. „Glauben Sie den Unsinn etwa?“ Fragte sie jetzt aufgeregter und energischer. „Warum sollte ein Mann, wie Diego so etwas Dummes tun? Das könnte seinen Vater auch das letzte Hemd kosten, wenn er so etwas täte. Die Vegas haben doch so viel Geld, was man ihnen wegnehmen kann. Sie werden von Alejandro kaum viel Geld bekommen, wenn sie seinen Sohn schlecht behandeln.“

„Geld, immer nur Geld! Immer geht es nur darum!“ Gonzales hasste den Umstand, wie es immer nur um Geld ging und alles andere nichtig gemacht wurde.

Der Rothaarige schenkte der Wirtin einen weniger netten Blick. „Warum Diego das machen sollte? Sie scherzen wohl!“ Gonzales wollte der Dame am liebsten die Leviten lesen, und zwar gehörig. „Seit ich ihn kenne, hat er jede Art von Ungerechtigkeit verteufelt. Aber ihm hört nie einer zu, so wie mir. Diego ist mein Freund, ich lasse nichts auf ihn kommen. Verstanden? Er hat das ruhige Gemüt eines Schafs und könnte keiner Fliege etwas zuleide tun, meint man, trotzdem findet er all das, was hier vonstatten geht nicht gut. Jedes Mal, wenn er mal den Mund aufmacht, sind alle gleich schockiert.“

„Er ist wirklich Ihr Freund“, wunderte sie sich über ihre eigene Erkenntnis und wollte sich eigentlich darüber freuen, immerhin verteidigte er gerade alles, was der junge Mann tat.

„Mich stört auch so vieles und oft habe ich gehofft, Zorro möge auftauchen und dem ein Ende bereiten. Aber deswegen macht man keine gemeinsame Sache mit einem Banditen.“ Sie hatte sich herumgedreht und lehnte an der Tischkante. Dabei schaute sie zur Decke. „Wird man also bereits bestraft, wenn man auch nur je ein nettes Wort über Zorro übrig hatte, ja? Das ist ein Skandal.“

„Man wirft ihm eine Mittäterschaft vor, wo keine war. Das alles ist haarsträubender Unsinn.“

Beide, Gonzales, als auch die Wirtin waren Meister darin, sich selbst zu belügen. Sogar den jeweils anderen belogen sie nach Strich und Faden. In dieser Welt konnte man entweder lügen, oder man war dem Tode geweiht, so lief das eben. Auch Lolita beherrschte es zu lügen wie gedruckt. Das wurde ihnen allen sowieso seit dem ersten Tag beigebracht. Niemals zu sagen, was man wirklich dachte. Sie selbst war gerade in großer Sorge ausgebrochen. Nie hätte sie gesagt, dass sie Diego mochte, oder Gott bewahre sogar diesen Zorro. Den durfte man nicht gut finden. Das bekam einem überhaupt nicht.

Gerade in diesem Moment erinnerte sie sich an den Tag, als der Maskierte des Abends in die Taverne gestürzt war mit den Worten »schnell, versteck mich«. Sie hatte ihn schneller wie der Wind in der Küche in einem der Schränke versteckt, ohne auch nur einen Moment zu zögern. So lief das eben. Die an den Tischen speisenden Gäste hatten kein Wort darüber verloren, dass der Bandit dieses Abends zur Tür hereingefallen war wie ein Tornado. Auch als die Armee die gesamte Taverne drohte zu durchsuchen, leugneten sie noch, ihn gesehen zu haben. Man bilde sich all das ein, dass er in die Taverne gekommen war. Natürlich hatte er sich nicht lange in diesem Schrank aufgehalten und war doch entkommen. Wie er das gemacht hatte, konnte sie nicht sagen. Aber wo auch immer sie ihn gesucht hatten, war er nicht. Beide – sie und ihr Vater – sie hatten noch nie so viel Angst, dass man ihre Lüge entdeckte, wie an diesem Abend. Trotzdem fühlte es sich fast wie eine Art Pflicht an, ihm zu helfen. So wie ein Fluch.

„Es quält mich, so etwas mitansehen zu müssen. Aber ich bin doch nur ein dummer, kleiner Sargento, der kaum etwas mitzureden hat. Man hat mir ja sogar verschwiegen, dass man Diego verhaftet hat. Bestimmt wussten alle, dass ich das nicht gut finden würde. Die Bürger des Dorfs mussten es mir mitteilen. So wenig vertraut die Armee mir.“

Dass den jungen Sargento das noch so großartig wunderte, war der jungen Dame ein Rätsel.

„Wenn sie sich mehr anstrengen würden, wären Sie bestimmt schon lange Leutnant und hätten ein gewisses Mitspracherecht. Als Offizier kann man sich praktisch alles erlauben“, sagte sie mit leiser Stimme und dachte nur an diesen Gabriel. Der hatte alles erlangen können, was das Herz begehrt, bis zu einem gewissen Maß. Denn Lolita hatte er nie bekommen. Ach wie schade.

„Sie haben Recht, alles ist meine Schuld. Sogar jetzt kneife ich. Statt dem armen Diego zu helfen, den sie so sehr ausgepeitscht haben, dass er in die Zelle gefallen ist wie ein Sack Mehl.“

„Ausgepeitscht? Diego?? Don Diego?“ Die junge Frau drehte sich herum und schien doch ein bisschen bestürzt davon. „Leute wie Diego kommen in der Regel mit einer Geldstrafe davon, bei ihm ist doch so viel zu holen! Tot nützt er ihnen überhaupt nichts.“ „Der Gouverneur gehört selbst zu den Reichsten des Landes. Er hat ihn jedenfalls nicht geschont. Nachdem einer der Soldaten ihn zu lasch peitschte, hat er selbst Hand an ihn gelegt. Und ob er ihn ärztlich versorgen lässt, will er  sich noch überlegen.“

„Wie schlimm hat er ihn ausgepeitscht? Ist Diego jetzt etwa schwer verletzt in der Zelle?“

„So genau habe ich es nicht gesehen, aber es wäre sicher von Vorteil, wenn sich jemand um ihn kümmert.“

Die Frau warf die umgebundene Schürze von sich und stürzte zu ihrem Vater. „Wir müssen Diego helfen, ganz dringend!“

Ihr Vater sah sie kritisch an und wollte nichts davon hören. „Was redest du da, Kind? Wir halten uns fein aus den Problemen heraus. Wir haben nur die Taverne. Wovon sollen wir leben, wenn man sie uns wegnimmt?“

„Aber, ist er nicht einer unserer besten Kunden?“ Auch sie konnte schlau sein, wenn sie es musste. „Ich werde ihm helfen, auch wenn du es mir verbietest, Vater.“

Der alte Mann war entsetzt darüber, denn seine Tochter war alles, was ihm noch geblieben war, nachdem seine Frau ihm beim zweiten Kind verstorben war. Sie eilte hinter die Theke und holte eine Schüssel mit Salzwasser und einige Leinentücher, die sollten zumindest reichen, um das Schlimmste zu verhindern. „Gehen wir, Sargento!“

„A-Aber?“ Der Genannte machte sich immer noch halb ins Hemd, aber er hatte der robusten jungen Dame nichts entgegenzusetzen. Die Frauen hierzulande wurden auch immer eigenwilliger, fand er. Als hätte Lolita sie alle mit diesem Virus infiziert.

 

Die Musik war verstummt und seitdem herrschte eine eiserne Stille. Schon alleine deswegen hörte man jedes kleine Geräusch, was verursacht wurde. Die Gefängnistür, die geöffnet wurde. Das Klirren des Schlüssels, den unser Schussel Gonzales natürlich nicht an sich bringen konnte, ohne dass die Wache aus ihrem Schlummer erwachte.

„Was zum Teufel machen Sie hier, Gonzales? Wollten Sie mir gerade meinen Schlüssel klauen?“ Schnauzte man ihn an.

Er lächelte, als könnte er kein Wässerchen trüben. „Ich wollte Sie nur nicht wecken. Sie werden uns doch wohl nicht verpfeifen?“ Die Beteiligten blickten zur Zelle, wo immer noch Diego lag, regungslos wie eine Leiche.

„Lassen Sie uns wenigstens zu ihm gehen und nach ihm sehen! Ich habe jemandem mitgebracht, der ihn wenigstens notdürftig ein wenig versorgen kann! Sie finden diese Sache doch auch ungeheuerlich, oder?“

„Aber, unsere Exellenz. Er wird sehr wütend sein, wenn ich das mache.“

„Um Gottes Willen, und ich dachte, ich und Diego seien die größten Feiglinge im Land, aber da habe ich mich wohl getäuscht. Wie mutig ich wohl bin. Rücken Sie den Schlüssel raus, oder muss ich Gewalt anwenden?“ So viel Mut hatte man dem korpulenten Mann nicht zugetraut, deswegen schauten alle Personen auch sehr verdutzt drein, als er den Wachmann mit dem Schwert bedrohte. „Wirds bald?“ Auf diese Art zu reden hatte er sich durchaus ein wenig von seinem Hauptmann abgeschaut. Jekyll konnte genauso gnadenlos sein, vor allem mit der Stimme, hatte aber trotzdem das Herz am rechten Fleck.

„Er ist eben doch ein gutmütiger Kerl“, flüsterte Jekyll und lächelte nun.

„Dafür wird man Sie bestrafen, Gonzales!“ Der Wachmann schien aber friedlich zu sein und war gewillt, Gonzales in die Zelle zu lassen. Aber auch nur, weil er ihm nicht zutraute, dass sie Diego zur Flucht verhelfen würden. Das hatten sie auch nicht vor. Kaum, dass der Mann zur Zelle lief, stürzte die junge Frau bis zu den Gittern und schaute hinein. „So etwas Unmenschliches jemandem anzutun, der höchstens mal eine Kritik geäußert hat, aber sonst nie auffällig gewesen ist.“

Kaum war die Tür offen, kniete sie sich nieder und fasste äußerst vorsichtig an seinen Hals und überprüfte, ob er überhaupt noch lebte. Im ersten Augenblick war ihnen allen das nicht so ganz klar.

„Keine Sorge, Señorita, so schnell stirbt man nicht“, versuchte Jekyll sie zu beruhigen, da hatte sie seinen Puls aber schon gefunden.

„Ja, auch Diego nicht.“

So ganz fair war es nicht, so von dem jungen, tapferen Mann zu sprechen. „Seien Sie nicht so hart, gute Frau. Als der Gouverneur sich seiner angenommen hat, hat er ohne mit der Wimper zu zucken, seine Strafe eingesteckt und wollte sogar die für weitere Personen erdulden.“

„Unglaublich.“

Vorsichtig bettete sie ihn auf ihrem Schoß und er wusste wahrscheinlich nicht, ob es der Himmel oder die Hölle war, wo er sich befand. Für kurze Zeit musste er das Bewusstsein verloren haben. Ohne direkt gleich etwas zu sehen, wusste er natürlich sofort, dass es ein Frauenschoß sein musste, auf dem sein Kopf lag. Auf seine Nase war schon immer Verlass gewesen. Er sah jede Menge Stoff, von einem Kleid möglicherweise.

Die Augen funktionieren weniger gut, denn er hatte das Gefühl, unter Drogen zu stehen, einem Halluzinogen beispielsweise. Sein gesunder Menschenverstand verriet ihm, dass irgendwas ihn täuschte, trotzdem lösten seine Worte Verwunderung in allen aus, genauso wie Mitleid. „Lolita...“

Auch jetzt dachte er an nichts anderes, das konnte ihm auch kaum einer in einem solchen Moment vorwerfen. „Er fantasiert sogar schon“, hörte er die junge Frau sagen.

„Wahrscheinlich bin ich schon im Himmel“, mutmaßte der Blonde. Seine Stirn war triefend nass und auch der Rest seines Körpers war getränkt vom eigenen Schweiß, der in seinen Wunden brannte. Aber nichts von all dem war auch nur im Ansatz so schrecklich wie der Augenblick, als sie ihr Leinentuch ins Salzwasser tauchte und damit die Verletzungen abtupfte. Als der Mistkerl ihn ausgepeitscht hatte, hatte Diego weniger die Miene verzogen, als jetzt.

„Ja, ist gut, bleib liegen“, sagte sie verständnisvoll und hatte gar nicht vor, ihn noch mehr zu quälen. Vorsichtiger konnte sie ihn kaum abtupfen. „Das hier bringt alles nichts, wenn er nachher doch wieder im Dreck liegt. Gonzales, bringen Sie mir irgendetwas. Ein Hemd, ich muss ihm danach wenigstens wieder was anziehen. Er scheint gerade nicht die Kraft zu haben, um sich allzu viel zu bewegen. Wenn das zehn Peitschenhiebe waren, dann müssen die ziemlich brutal gewesen sein, so heftig wie seine Wunden bluten.“

All das wollte Diego eigentlich nicht hören und ihre mitleidige Stimme schon gar nicht.

„Kaum auszudenken, wie schlimm es wäre, hätten sie das mit meinem Vater gemacht.“

Die Dunkelhaarige stoppte in ihrer Bewegung und wollte sich so etwas auch gar nicht vorstellen. Ihr Vater und seiner waren in etwa im gleichen Alter.

„Was für ein schrecklicher Mann. Aber noch schrecklicher finde ich, dass Zorro in dem Fall machtlos ist.“ Obwohl sie mindestens genauso tapfer ihn versorgte, standen Tränen in ihren Augen, die sie sich einmal mit dem Handrücken wegwischte, als Gonzales sich gerade zum Gehen gewendet hatte, aber noch einmal zurückschaute, als er ihre Worte hörte.

Schon wieder. Warum denken das alle? Wieso glaubten sie nicht daran, dass er heldenmütig wie er immer gewesen war, hier auftauchen und ordentlich aufräumen würde? Gonzales jedenfalls glaubte immer noch daran, dass er auftauchen würde.

„Besser nicht darüber philosophieren“, murmelte Jekyll leise und lehnte sich gegen die Wand. Er hatte sich um so vieles Gedanken gemacht, aber auch er war Meister darin, die Augen vor Dingen zu verschließen, die ihm wenig gefallen hätten. Jedenfalls war es keine gute Idee, allzu lange hierzubleiben. Keiner von ihnen wusste, was diesem aalglatten Kerl noch einfallen würde. Wenn er schon einem Mann androhte, sich näher mit seiner Verlobten zu beschäftigen. Ja, er hatte es mitbekommen. Nichts wollte er lieber tun, als herausfinden, wo sie sich aufhielt, um mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Gerade wäre ihm sogar scheißegal, ob Diego am Ende selbst Zorro war. Es würde ihn kurz missmutig stimmen, weiter nichts. Seine Gefühle gegenüber diesen Dingen waren so im Sand verlaufen, wie seine Wut auf die Einmischung des Banditen, der am Ende doch nur für Gerechtigkeit sorgen wollte, wie er es bis zum Schluss immer beteuert hatte. In seiner Gegenwart hatte er auch nie etwas getan, was eine Bestrafung mittels des Galgen rechtfertigte.

Der Wachmann hatte die Arme verschränkt und starrte einfach nur in die Zelle, als wenn er ernsthaft befürchten wollte, sie würden Diego entführen. Dabei zeigte er nicht die geringste Emotion, anscheinend dauerte es ihm auch zu lange. „Bald fertig?“

„Halten Sie doch Ihren Mund. Sie sollte man auspeitschen.“

„Freches Stück! Warte nur ab, irgendwann wirst auch du unter der Fuchtel eines Mannes stehen und der wird dir deinen frechen Mund schon aberziehen!“ Sagte er entrüstet, aber sie ignorierte ihn.

„Ich muss hier weg.“

Zwar war Diegos Stimme kraftlos, aber er war fest entschlossen, zu wissen, was er tun wollte. Jetzt!

„Du musst erst einmal gar nichts, es sei denn, du willst schnellst möglich den Löffel abgeben.“ Sie bemerkte, dass Reden nichts brachte. Auch jetzt war er stur genug, seinen Willen durchsetzen zu wollen, das sah sie an seinem Gesichtsausdruck, der bockig wirkte. „Und ich habe immer geglaubt, dass Lolita der Einzige von euch Zweien ist, der sturer als jeder Esel ist.“

„Ich weiß nicht weiter.“ Sein Kopf fiel resignierend zur Seite und damit verwehrte er der Dame zumindest den direkten Blick in seine glasigen Augen. Er war verzweifelt, zum ersten Mal wusste er sich keinen Rat und ihm schien warten und Däumchen drehen, was man ihm schon einmal vorgeworfen hatte, keine Lösung. Er wollte aufspringen, losstürmen, wie ein Wilder zu ihr reiten und jeden bestrafen, der wagte, sie auch nur im Ansatz falsch anzufassen. Viel schlimmer als sein blinder Zorn, war aber auch die Schmach, dass er hier so nichtsnutzig am Boden lag und sich doch schwach fühlte. Sicher würde er sich erholen, aber die Zeit, um sich Ruhe zu gönnen, hatte er schon alleine innerlich nicht. „Dass dieses Scheusal es wagt, mir anzudrohen, unser Leben zu zerstören. Dafür möchte ich grausame Dinge mit ihm tun.“ Sogar jetzt hatte er seine Wortwahl im Griff, obwohl ihm auch weniger nette Worte eingefallen wären, um seine Abscheu kundzutun und zu verdeutlichen, dass man auch ihm eine Grenze überschritten hatte. Bestimmt war er niemand, der vorschnell den Wunsch verspürte, jemanden brutal zu ermorden, aber bei diesem Kerl fiel es ihm schwer, daran zu zweifeln, dass es eine gute Idee wäre, sie von ihm zu befreien. Dabei vergaß er fast, dass er zur Familie gehörte. Es war für sie alle ein Schock. Nicht nur für Diego, der sich wirklich fragte, wie dieser Mann einen Sohn wie Juan zustande gebracht hatte. In ihm steckte so viel Gutes, obwohl er immer noch die Überzeugung lebte, Blut sei dicker als Wasser. Davon wollte Diego gerade rein gar nichts mehr hören. Wenn man ihm den Mann auf dem Silbertablett serviert hätte, dann hätte er sicher schier unmenschliche Kräfte entwickelt, um ihm den Gnadenstoß doch noch zu verpassen, so schwach er gerade auch wirkte, sein Wille war ungebrochen.

 

Luisa war gerade in das Gemach ihres Bruders gekommen und bedachte ihn mit einer besorgten Miene.

„Du spielst wie ein Verrückter – schon wieder. Was ist denn bloß los?“

Der junge Mann hatte sich durch das Spielen nicht beruhigen können. Er starrte zu Boden und konnte immer noch nicht die Worte seines Freundes vergessen, die er letzte Nacht zu ihm gesagt hatte. Für Juan stand fest, dass er alle guten Menschen beschützen wollte. Er wusste auch, dass kein Weg daran vorbeiführte, dabei seinen eigenen Vater zu bekämpfen.

„Was unser Vater tut, gefällt mir nicht, Luisa. Ich denke sogar darüber nach, wie ich gegen ihn agieren kann. Ohne, dass er mich am Ende noch umbringt, wenn ich ihn verrate, ist das kaum möglich. Das quält mich eben. Wie würdest du es wohl finden, wenn wir gegeneinander kämpfen würden? Wärst du mir sehr böse, wenn ich dabei über unseren Vater urteile? Damit meine ich, ihn umzubringen.“ Normalerweise verschonte er seine kleine Schwester vor solchen Gedanken. Hatte sie tief in sich eingesperrt und misshandelte seine Violine lieber, als je darüber zu sprechen.

„Er ist ein grausamer, hartherziger Mann.“ Ihre Stimme war leise und bedrückt – ihre Wortwahl konnte man weit auslegen.

„Wärst du nicht enttäuscht von mir?“

Die Rotbraunhaarige Dame schritt zu ihrem Bruder und umarmte ihn. „Was redest du da bloß? Für mich wäre einfach schrecklich, wenn er dich dann wieder bestraft. Es gehört sich aber auch nicht, dem Vater den Tod zu wünschen. Wir sind beide schlimm“, sagte sie und drückte ihrem geliebten Bruder einen Kuss auf die Stirn, wofür sie sich komplett auf die Zehenspitzen stellen musste. „Tu mir den Gefallen und riskiert nicht zu viel. Ich habe fürchterliche Angst, wie er reagieren könnte, wenn er wüsste, dass wir zu den Vegas gefahren sind, über die er bisher nur hergezogen hat. Ich wünschte, wir hätten einen Vater wie Diego...“ Sie drückte ihre Kopf an Juans Brust und wollte nicht das schwache Mädchen sein, was weinte, da es unglücklich war. Aber ihr Vater bereitete ihr Sorgen, seit sie ein kleines Kind war. Wäre ihr Bruder nicht gewesen, hätte er bestimmt auch sie öfters geschlagen. Bisher hatte er das aber nie gewagt. Ihr Vater schien zu wissen, dass sein Sohn dann aus dem Kleister ginge.

„...Diego...“ Seinen Namen sprach Juan mit reichlich schlechtem Gewissen aus. „Mein Vater wird sich nie ändern. Er scheint alles zu hassen, was ein gutes Herz hat. Wahrscheinlich weil er selbst keines hat.“ So etwas vom eignen Vater zu sagen, er wusste, das war schlecht, aber leider war es die Wahrheit. „Du magst ihn, oder?“

„Er ist anders, als die Caballeros, die ich aus Spanien kenne, Bruderherz. Ich glaube, es gibt kaum eine Frau, die ihn nicht leiden kann. Nicht? Vater wird bestimmt ausrasten, wenn er erfährt, dass wir zur Hochzeit eingeladen wurden.“

Juan schob sanft seine Schwester von sich und ließ sich kraftlos aufs Bett fallen, wo er seinen Kopf mit beiden Händen stützte, diesen aber nach unten hängen ließ.

„Was hast du denn?“ Ihr Bruder redete ja auch nie, über nichts.

Gerade, als sie nachhaken wollte, klopfte es an der Tür. „Man, warum denn jetzt?“ Ärgerte sie sich und ging doch zur Tür. Als sie sie öffnete, stand ein dicker Mann mit einer roten Jacke in dieser. Auch sie als 18-jähriges Mädchen wusste, dass er Sargento sein musste. „Was wollen Sie hier?“ Luisa ging zwei Schritte zurück und brach nur nicht in Panik aus, weil ihr Bruder hinter ihr war.

Gonzales zog seinen Hut ab, so viel Höflichkeit hatte man ihm zuhause in seiner bäuerlichen Familie beigebracht.

„Oh, entschuldigen Sie, Señorita Luisa. Ist wohl Ihr Bruder in der Nähe? Ich bräuchte dringend ein Hemd zum Anziehen. Einer der Gefängnisinsassen hat kräftig Schläge eingesteckt und die Zelle ist das schlimmste Dreckloch. Sie haben ihm alles runtergerissen, er braucht dringend eins. Würden Sie wohl Ihren Bruder bitten, uns eins zu borgen?“

Juan hörte den jungen Sargento, obwohl er selbst noch jünger war. Eigentlich konnte er diesen ganz gut leiden.

„Natürlich – ich gebe Ihnen etwas. Was hat der arme Kerl verbrochen, dass mein Vater ihn schlagen ließ?“

Juan war zum Schrank gelaufen und nahm dort natürlich das erste Hemd, was er greifen konnte.

„Der Sohn von Alejandro hat per se nichts gemacht, aber sein Vater soll Zorro Unterschlupf gewährt haben, deswegen haben sie Diego verprü-“

„WAS?“ Das Hemd fiel ihm aus der Hand, es segelte gleitend zu Boden und er drehte sich rasch herum. Schockierte weit geöffnete, grüne Augen hatte der junge Aristokrat, die Gonzales emotional ansehen. „Ich kann es nicht fassen! Jetzt reicht es!“ Kurz drehte er sich herum, griff das nächste Hemd, was nicht auf den dreckigen Boden gefallen war und drückte es Luisa in die Hand. „Geh mit ihm und bring ihm das. Jetzt kann mein Vater was zu hören kriegen. Der hat jawohl den Verstand verloren. Ist ihm also wieder etwas Gemeines eingefallen, um Alejandro zu ärgern. Das mache ich nicht länger mit!“

„Juan...“ Aber sie konnte wenig tun, er war so wutentbrannt, dass er sofort mit großen Schritten aus der Tür geschritten war, er trampelte regelrecht. Zurück blieb sie mit dem Wissen, dass ihr Vater ein weiteres Mal Menschen Leid zufügte, aber sie verbot sich, nun in Tränen auszubrechen. „Nehmen Sie’s!“ Luisa drückte dem verdutzten Sargento das Kleidungsstück in die Hand und drehte sich herum. „Gehen Sie!“ Ihre Stimme war lauter geworden und Gonzales strich natürlich sofort verängstigt die Segel, als die junge Dame ihn so anfauchte. Es war keine Böswilligkeit, aber sie umfasste ihren Körper, der sich jetzt so kalt anfühlte. „Warum kann er sie nicht einfach in Ruhe lassen?“ Eines wusste sie. Dass sie Diego so nicht sehen wollte. es war schlimm genug, es sich vorzustellen, was ihr Vater mit ihm gemacht haben könnte. „Er soll auf der Stelle tot umfallen!“ Damit meinte sie natürlich ihren eigenen Vater. Dieser schreckliche Mann.

 

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Crazychicken
2017-07-19T13:32:14+00:00 19.07.2017 15:32
In dem Kapitel hast du so richtig Input gegeben.
Die Frauen O.o"
Alejandro, der die Wahrheit nicht aussprechen kann. Schon bei Catarina nicht. Wovor hat er denn Angst?! verraten zu werden?
Aber der Priester und du hast Hill eingebracht. Das kann nicht gut gehen. Er bringt sich ins Grab. Aber eines hast du richtig erkannt, ich glaube er ist mit Diego befreundet. Er ärgert ihn, das erinnert mich an Juans verhalten in Andreas FF xD dieses leichte Piesacken. Aber das ist nicht ernst zu nehmen, es ist nicht fies gemeint. ^^
Gonzales ist aber auch die Härte. Sitzt heulend im der Taverne. Gib der Tochter vom Wirt doch einen schönen Namen, dann kannst du sie auch benennen. ^^
Luisa ist sehr zurückhaltend und hat Angst. Solche Leute wachsen dann über sich hinaus, wenn sie es müssen xDDD Nicht wahr? Juan braucht ja auch einen großen Anlauf, bis er wirklich etwas macht. Aber wenn er einmal Kopf los wird, ist es zu spät. . . das weisst du ja.


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