Zum Inhalt der Seite

Family Ties

Where will you go...
von
Koautor:  Crazychicken

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Männer der Gerechtigkeit hinter Gittern

Die Decke im Bett stank so ungeheuerlich, dass Diego es sich auf dem Boden gemütlich gemacht hatte. Er hatte ja viel Schlimmes in Spanien erlebt, aber in diesem Bett konnte er nicht liegen, ohne zu ersticken. Das hatte nichts damit zu tun, dass er dem Adel entstammte. In ihrem Pferdestall bekam er ja auch Luft, aber diese Zelle war um ein vielfaches Schlimmer. Verbrecher, die man hier eingesperrt hatte, hatten in diesem Bett gelegen, was wohl noch nie eine neue Decke gesehen hatte. Die reudigen Straßenköter, die sich vor dem fließenden Wasser fürchteten, hätte man ein Vollbad verpassen sollen, ehe man sie in die Zelle sperrte. Aber auf so etwas wurde bei Verbrechern keinen Wert gelegt. Mittlerweile hatte er sich seiner Lage ergeben, obwohl der Captain ihm nicht zuletzt das Angebot gemacht hatte, sich mit ihm gegen die Armee zu verbinden. Er resignierte nicht, sondern dachte nach und so sehr es ihm widerstrebte, er wartete ab. An Schlaf war nicht zu denken. Immer noch war Diego schleierhaft, wie dieser korrupte Kerl auf die Idee kam, ihn einzukassieren. Zwar hatte er von Zorros Komplizen gesprochen, aber es erschien ihm drastisch und zu weit hergeholt. Als wenn Luis de la Cruz nach einem Grund gesucht hätte, nur um ihn zu quälen. Jedoch wusste sich Diego nicht zu helfen, er hatte diesem Mann nichts Schlimmes getan. Zorro vielleicht, aber er?

Jekyll hatte ihn in Ruhe gelassen, als er nicht gerade redselig zu sein schien, aber ihn dennoch im Auge behalten. Bernardo könnte sich ruhig ein bisschen beeilen, aber was dann? Wenn er ihn befreite, konnte er Jekyll schlecht hier sich selbst überlassen. Wenn sie schon flohen, dann gemeinsam. Wie erklärte er ihm dann bitteschön, dass er nicht plante zu kämpfen?

Er musste hier weg. Kaum, dass er hier weg war, Zorro in Erscheinung treten zu lassen, wäre sehr verdächtig. Bisher schien der Captain von diesem Geheimnis wenig zu ahnen. Nie hatte er vorgehabt, jemals ein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren.

So langsam wurde Diego ungeduldig, stand auf und lief in seiner Zelle hin und her. Dass der Captain sich ein wenig Ruhe gönnte, hätte ihn nicht gewundert, aber er konnte hier doch jetzt nicht schlafen. Aber ihn stören wollte er auch nicht, indem er anfing zu plappern. Schließlich stieg er aufs Bett, da er ohnehin nicht darin liegen wollte und schaute aus der kleinen Luke, dem Gefängnisfensterchen. Draußen war weit und breit niemand zu sehen.

„Kann er sich nicht sputen? Ich will hier raus...“

Jekyll öffnete die Augen, als er Diegos Stimme hörte, denn wirklich schlafen tat er nicht. Wovon sprach der junge Kerl? Von seinem Vater vielleicht, der natürlich niemals stillschweigend dazu zusehen würde, dass man seinen Sohn länger als eine Nacht hier festhielt. Gerade jetzt erinnerte er sich an die Male, als sie Diego schon öfter verhaftet hatten. Zwar hatte Don Alejandro nie direkt auf der Matte gestanden, aber das lag wohl auch daran, dass sie ihn nie lange festhalten konnten. Dieses Mal, so war sich der Captain sicher, würde sein Aufenthalt länger dauern, wenn sie nicht vorher ausbrachen. Was konnte der alte Mann schon ausrichten? Er glaubte kaum, dass man ihn überhaupt anhören würde. Womöglich durfte er seinen Sohn nicht einmal sehen. Hätte er Kinder, würde ihn das sehr wütend machen. Alejandro war jedoch nicht mehr der Jüngste. Viel ausrichten könnte er kaum, vielleicht seine Macht spielen lassen, aber mehr? Das Gute an solchen Geschichten war, dass ein Adeliger sehr schnell frei kam, wenn er genug Geld vorzuweisen hatte. Um Geld ging es hier aber gewiss nicht. Hier waren höhere Mächte am Werk.

Aber jetzt erhob er sich von seinem Bett und sah zu Diego hinüber, als dieser gerade sich in Sicherheit wog und wohl nicht glaubte, dass er ihn beobachten könne. Deswegen hatte er wohl auch laut gedacht. Ihm gegenüber war Diego stets ernsthaft gewesen und hatte sich noch nie wie ein Vollidiot aufgeführt, was Gonzales ihm immer wieder gesagt hatte. Ihm gegenüber benahm er sich wie ein Mann, der wusste, wann er zu handeln hatte. So hatte er damals Diego gleich kennen gelernt. Ein guter Sohn, der sich zurückhielt, aber wenn man ihn höflich um Hilfe bat, er einem sofort helfen würde. Deswegen wollte er seine Hilfe dem jungen Don auch so gerne aufzwingen. Gerade war Diego nach außen hin vielleicht gefasst, aber als er ihn so von der Seite sah, hinausblickend aus dem Fenster, wusste er, dass es ihm gar nicht gut ging. Wahrscheinlich zerfraß ihn die Sorge um die Frau, die er liebte. Denn das tat er, das würde sogar jeder Blinde spüren. Auch jetzt schien Diego abzuwarten, dass Zorro sie befreite. Was sonst sollte er meinen, wer sich sputen sollte?

Der Captain stand auf und begab sich in die Ecke seiner Zelle. „Psst?“

Erschrocken sah Diego zu der Nachbarzelle, als man ihn an wisperte. „Was ist?“

Jekyll steckte seinen Kopf so weit zu den Eisenstäben hinüber wie möglich. Ein Kopfnicken zu Diego sagte ihm, er solle näher kommen.

Dieser sprang vom Bett und ging hinüber, so dass sie ihre Köpfe zusammen stecken konnten. Nie hätte Diego gedacht, sie würden einmal gemeinsame Sache machen. Er hielt ja viel von diesem Mann, aber mit ihm verbrüdert hatte er sich trotzdem nicht. „Machen Sie mit Zorro gemeinsame Sache?“ Flüsterte er, dabei zuckte Diego doch unglaublich und sah in die Augen des gerechten Mannes. Die Frage war erschreckend und daher kostete es ihn auch einiges an Selbstbeherrschung, den Schreck nicht zu zeigen. Alleine, dass er so etwas annahm, könnte man als gefährlich erachten, aber in ihrer gemeinsamen, misslichen Lage konnte sich Einiges ändern.

Anlügen wollte er ihn eigentlich nicht, das verdiente er nicht, aber die Wahrheit war gefährlich und er wollte seine Tarnung auch nicht so ohne Weiteres aufgeben.

„Überall wo Ungerechtigkeit herrscht ist Zorro zur Stelle“, flüsterte er knapp, dabei wollte er aber auch nicht bejahen. Dennoch waren Emotionen in seine Augen getreten. Er wollte nicht länger warten. Vielleicht war sein Bruder jetzt auf der Flucht und konnte nicht herkommen. „Wir können hier kaum offen sprechen, man könnte uns belauschen.“

„Das weiß ich. Der Grund, weshalb Sie hier sind, Don Diego. Hat er damit zu tun, dass Sie zufällig Mitwisser sind? Ich werde Sie gewiss nicht verraten, mein Wort darauf.“

„So ziemlich jeder in dieser Stadt hat mit diesem Banditen schon einmal gemeinsame Sache gemacht. Lassen Sie es mich so ausdrücken, zur Not frisst der Teufel Fliegen. Das Sprichwort kennen Sie sicher. Ich kann wenig ausrichten, ohne meinen Vater in sehr große Schwierigkeiten zu bringen. Deswegen habe ich mich immer ruhig verhalten, auch wenn ich die Schandtaten unseres Kommandanten nicht guthieß. Jetzt bin ich aber in sehr großer Sorge um Lolita. Ich muss etwas tun. Zorro hat ihr zwar immer geholfen, aber...“ Wie rechtfertigte er am besten, dass er diesmal wohl nicht kommen würde? „Wir wollten bald heiraten. Was für ein Mann wäre ich, wenn ich jetzt nicht selbst handeln würde? Ich bin aber noch nie aus einem Gefängnis ausgebrochen.“ Das war eine Lüge, zweifelsohne.

Theoretisch war es unklug, selbst auszubrechen, aber ihnen blieb kaum eine andere Wahl. „Ob man Gonzales ins Boot holen kann, was sagen Sie? Er ist ein guter Mensch und mein Freund. Wissen Sie, wo er steckt? Weiß er hiervon?“ Gerade hätte er jede helfende Hand ergriffen, die es ihm ermöglichte dieses Gefängnis hinter sich zu lassen.

„Ich könnte versuchen ihn rufen zu lassen, aber ich befürchte, dass man mir diesen Wunsch abschlägt. Der Gouverneur will mich vors Kriegsgericht bringen. Von so jemandem nimmt man keine Befehle mehr entgegen.“ Aber das hieß nicht, dass er es nicht probieren könnte.

Diego holte tief Luft, als Jekyll sagte, er solle vors Kriegsgericht. „Da kommen aber harte Zeiten auf Sie zu. Wie ich Sie kenne, wollen Sie natürlich kein Unrecht begehen. Es wäre bereits eines, wenn wir hier ausbrechen. Warum wollen Sie mir eigentlich helfen?“

„Das mit der Gerechtigkeit ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite betrachtet mag es vielleicht Unrecht sein, wenn wir aus dem Gefängnis ausbrechen. Auf der anderen jedoch ist es bereits Ungerechtigkeit, dass wir überhaupt hier sind. Die zivilen Obrigkeiten werden uns zwar anklagen, aber dann wissen wir wenigstens, wofür wir starben.“ Normalerweise war er sehr wortkarg, das hieß aber nicht, dass er nicht die Weisheit eines älteren Mannes mit sich brachte. Er hatte sie bisher nur immer für sich behalten. Viel reden, machte auch viele Schwierigkeiten.

Es lag nicht viel Hoffnung in Jekylls Stimme. Am liebsten wollte Diego ihm jetzt sagen, dass er so etwas nie zulassen würde. Dass Zorro ihn nie sterben ließe. Dass er alle Hebel in Bewegung setzen würde, um ihn davor zu bewahren, einen sinnlosen Tod zu sterben. So wie er jeden Menschen in dieser Stadt gerettet hatte, sollte er auch nur einen Funken Ungerechtigkeit in einer Gefangennahme sehen. So viele Menschen hatte Ramón versucht, hinzurichten – er hatte sie alle befreit und sich sein Grab immer tiefer geschaufelt. Man konnte von Glück sprechen, dass die Male, in denen er im Gefängnis war, am Ende ihn nicht das Leben gekostet hatten. Ramón hätte, wenn er die Wahrheit gewusst hätte, ihn mit Freuden aufgehängt. Von allen Rebellen hätte dieser Mann ihn wohl am liebsten verurteilt. Und er hätte es gewiss klug getan, ohne dass jemand etwas dagegen tun könnte, auf dem schnellsten Weg, mitten in der Nacht am besten.

Die Wahrheit hatte schon so viel Unheil mit sich gebracht. Vielleicht würde es Jekyll ja auch bestürzen. „Ich glaube nicht, dass der Herrgott im Himmel zulässt, dass Ihnen solch Böses widerfährt, guter Mann.“ Das war das Einzige, was er ihm gerade sagen konnte. Um ihn aufzumuntern, ihm Mut zu machen.

 

Die Gefängniskutsche wurde von zwei trabenden Pferden in Bewegung gesetzt. Sie bestand aus einem Frontteil, wo ein Kutscher sie lenkte und dem Hinterteil, der offen war. Eingesperrt hinter Holzstäben, ohne Sitzmöglichkeit. Sie hatten sie sich geschnappt, hinter sich her gezerrt und letztendlich in den Wagen geworfen wie ein Stück Vieh. Es war kein Stück mehr davon zu sehen, dass sie die Frau mit Würde behandeln würden. Wohin sie fuhren, wusste sie auch nicht. Die Fahrt führte sie über holprigen Weg, durch Wald und Gebirge. Den Weg kannte sie bereits, doch die Kutsche hielt nicht an, als sie in der Stadt waren. Mit Schrecken stellte Lolita fest, dass ihr Ziel nicht die Garrison war. Ohne etwas dagegen ausrichten zu können, ließen sie die Stadt hinter sich, die immer kleiner und kleiner wurde.

Ich hatte die ganze holprige Reise Zeit nachzudenken. Das gab mir einen kleinen Vorteil. Ich betete, dass er reichen würde ... Obwohl ich noch nicht einmal wusste, was sie mit mir vorhatten. Im Ansatz wusste ich, dass man mich aus der Stadt brachte, um in aller Seelenruhe sich mich vorzuknöpfen. Eine Komplizin hatten sie mich genannt. Der Umstand, dass Zorro der wohl am längsten Verfolgte Verbrecher war, ließ es mir schon Angst und Bange werden. Was würden sie wohl mit mir vorhaben? Würden sie tatsächlich meine Gründe hinterfragen? Oder mich gleich richten? Hoffentlich war meine Mutter dieses Mal auch so schlau würde auf dem schnellsten Weg die richtigen Personen alarmieren. Andererseits, war es so klug, wenn Diego davon erführe? Er war noch in jede Falle getappt – womöglich sogar bewusst. Bestimmt ging es ihnen darum, oder?

Dieser de la Cruz kannte die alten Berichte über Zorro. Schon von Anfang an hatte er sich sehr interessiert an ihm gezeigt. Sie wusste nicht einmal, warum genau. Er hatte ihn mit seinen Ungerechtigkeiten regelrecht aus der Reserve gelockt. Es war nur die Ruhe vor dem Sturm gewesen, oder? Eine ruhige Zeit, die sie alle hinters Licht geführt hatte. Ein jeder hatte an ihren Sieg geglaubt – und jetzt, so kurze Zeit später, waren sie aus ihren albernen Träumen erwacht, in denen alles gut werden würde ...

Sie war so dumm zu glauben, dass der Gouverneur Zorro wirklich fürchten könnte, da dieser glaubte, Zorro habe viele Verbündete, was ihn stark machte. Vielleicht war das auch der Grund, warum man sie des Nachts in einer Kutsche weg aus der Stadt brachte. Wie vielen anderen Menschen es wohl genauso erging? Sie war nicht so eingebildet zu glauben, dass sie die Einzige war. War das die Art dieses Mannes, Zorro anzugreifen. Weil er in einem direkten Gefecht nichts gegen ihn ausrichten könnte? Er hatte die Armee verstärkt und es zumindest auf direktem Wege versucht, vergeblich. Vielleicht waren sie auch zu siegessicher gewesen – sie alle, seine Anhänger, die ihn stets gefeiert hatten. Oder vielleicht waren sie beide schuld, weil sie nicht voneinander lassen konnten. Am Ende dachte dieser Kerl, sie sei ihm wichtig. Womit er dann leider goldrichtig lag. Sie hatte ein fürchterlich schlechtes Gewissen dabei. Zu wissen, dass sie einer seiner verheerendsten Schwachpunkte war. Wenn ihm etwas zustieß, dann war das gewiss ihr Verdienst. In ihrer Angst bereute sie sogar, dass sie seinen Heiratsantrag angenommen hatte. Während der Fahrt standen die Tränen in ihren Augen und sie hielt Todesängste aus um den Mann, den sie, bereits seit ihrer Jugend liebte.

 

Doña Catarina war bestürzt darüber, was ihr zugetragen worden war. Es hatte sie wertvolle 15 Minuten gekostet, bis sie sich in der Lage sah, selbst zu handeln. Zu gern schickte sie ihren Mann vor, gerade wenn ihr mal wieder etwas an ihrer Tochter nicht gepasst hatte. Gerade war er aber nicht da und sie wusste auch gar nicht, wann er zurückkehren würde. Ihr Mann hatte wegen der bevorstehenden Hochzeit seiner eigenen Tochter sehr viel zu tun. So tat sie etwas, was sie sonst nie getan hätte und auch jetzt sehr ungern tat. Sie ließ sich eine Kutsche bereit machen, doch anders als ihre Tochter ließ sie sich von einem Mann chauffieren. Es gehörte sich ja auch eigentlich nicht für eine Dame, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen, obwohl sie es durchaus konnte, hatte sie sich an diese Regel immer gehalten. Aber ihre Tochter war wild und hatte ihren eigenen Kopf. Sie hatte viele Jahre dieses Kind versucht anständig zu erziehen – in einigen Dingen war sie auch erfolgreich gewesen, allerdings nicht darin, dass eine Frau sich unter dem Mann stellen sollte. Sie hätte auch härtere Maßnahmen ergriffen, hätte sich ihre Tochter nicht wenigstens dem Anschein nach anständig benommen. Sie war vorzeigbar und niemals frech oder vorlaut gegenüber Don Alejandro. Also wusste diese Göre durchaus, was sich gehörte und all die Moralpredigten waren nicht umsonst gewesen. Gegenüber Diego hatte sie sich lange Zeit noch unmöglich aufgeführt, aber auch das war irgendwann abgeflaut.

Auch jetzt noch erinnerte sie sich daran, wie dieser falsche Herzog auftauchte und sich auch noch als Zorro ausgab. Das war höchstwahrscheinlich ein Wendepunkt in ihrer aller Leben gewesen, denn kaum, dass diese Sache passiert war, hatte sich das Verhalten ihrer Tochter erheblich geändert. Eine Tochter sollte immer auf die Weisheiten ihrer Mutter hören, das hatte sie noch gesagt, nachdem sie überglücklich gewesen war, dass Diego Lolita heil wieder zurückgebracht hatte. Zwar hatte das Mädchen lange geschwiegen, was ihre Rettung anging, aber sie alle wussten, dass nicht Diego sie gerettet hatte, aber trotzdem war er losgeritten, um sie nach Hause zu bringen. Ihre Tochter war ja nicht dumm, sie wusste seit diesem Tag ganz genau, dass auf Diego sehrwohl Verlass war. Das hatte er ihnen so oft bewiesen und sich wirklich Mühe gegeben. Auch jetzt baute Catarina noch auf ihn. Sie hatte sich nicht umsonst immer an ihn gewandt. Er war ja immerhin Alejandros Sohn und der fühlte sich in der Führerrolle immer am wohlsten. Meistens wiegelte er die ganze Stadt auf, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte. Die meisten Leute würden ihm auch folgen – bis kurz vor Diegos Rückkehr jedenfalls. Irgendwann war den Männern dieser Stadt aber der Mut abhanden gekommen, vor allem ihrem Mann. Darum war sie bis zuletzt froh gewesen, deswegen schätzte sie ja auch Diego als Mann so sehr. Er riskierte nicht besonders viel, das war in ihren Augen von Vorteil.

In einer guten halben Stunde hatte es die Kutsche bis zur Hazienda des Herrn Vega geschafft. Ein Bediensteter teilte der Doña mit, dass der Zeitpunkt für einen Besuch schier ungünstig war, doch Doña Catarina – ihrem Stand entsprechend – sah sich als wichtig und besonders an, ließ sich also nicht abspeisen. Sie forderte sofort, zu Don Alejandro vorgelassen zu werden, dagegen konnte derjenige wenig ausrichten, denn die Mutter der Verlobten vom Sohn des Hausherren mussten sie immer vorlassen, zumindest bis zum Wartebereich, gleich darauf berichtete man Don Alejandro von ihrem Besuch.

Zu ihrem Leidwesen fühlte sich der alte Herr gar nicht nach der Gesellschaft von Carlos Frau, die er oft nur stillschweigend ertrug, weil sie nun einmal bald zur Familie gehören würde. Die Art und Weise wie sie ihren Mann unterbutterte, missfiel ihm und er hoffte wirklich inständig, dass Diego es bei ihrer Tochter besser ergehen würde. Er hatte ihm auch lange in den Ohren gelegen, sich nicht alles von dieser Frau bieten zu lassen, weil man dann bald über ihn lachen würde. Er wusste, Diego war das einerlei, aber er hatte trotzdem versprochen, dass das keinesfalls der Fall sein würde. Zwar mit einem leicht gemeinen Unterton in der Stimme hatte er gescherzt darüber, dass sie ja immerhin wusste, dass er gefährlich sein konnte. Trotzdem wusste sein Vater natürlich, dass ohne diesen Umstand er wohl kaum gegen Lolita angekommen wäre, so wie er sich zuvor benommen hatte. Nichtsdestotrotz kannte auch Diego Mittel und Wege, sich eine Frau gefügig zu machen, was ihm jedoch wenig gefiel. Er wollte eine Frau, die sich von sich aus fügte, sich ihm also unterordnete. Was bei einer Frau wie Lolita jedoch wie ein immer währender Kampf sein würde. Ein bisschen glaubte Alejandro auch, dass genau das Diego gefiel – der Kampf um sie.

Aber gerade fühlte sich Alejandro eher nach sterben als nach einer anstrengenden Frau wie Catarina. Die auch noch über alle Maßen aufgelöst wirkte, als er sie endlich mit seiner Anwesenheit beglückte.

„Don Alejandro, es ist ganz schrecklich!“ Sagte sie den Tränen nahe und machte ihrem üblichen Dramaqueen Dasein alle Ehre. „Die Armee ist ins Haus eingefallen und hat Lolita einfach mitgenommen! Wegen einer schlichen Vermutung, sie sei Zorros Komplizin! Das ist doch ungeheuerlich! Diego muss schnellstmöglich etwas gegen diese Ungeheuerlichkeit unternehmen!“

Sie fiel mit der Tür förmlich ins Haus, das erschreckte den Don wie so oft ziemlich. Beinahe tat es ihm Leid um die aufgelöste Mutter, die sich natürlich um ihr Kind sorgte.

„Oh, so ganz Unrecht hat die Armee da sicherlich nicht.“ Es war keineswegs böse gemeint, deshalb seufzte er wohl am Ende auch so theatralisch.

Lolitas Mutter fand diese Art von Humor alles andere als lustig und ihre Mundwinkel verzogen sich empört nach unten. „Mir ist nicht nach scherzen zumute, Alejandro. Sie haben Lolita förmlich verschleppt! Wer weiß, was sie mit meiner armen Tochter machen?“ Sie schniefte und er glaubte ihr sogar, dass sie mehr als nur beunruhigt war. Er war ja auch beunruhigt über die Gefangennahme seines Sohnes, wogegen er natürlich plante vorzugehen. Er ließ sich das nicht gefallen.

„Beruhigen Sie sich erst einmal. Setzen Sie sich.“ Er brachte die Frau außer Fassung zur Sitzcouch im Salon und ließ ihr von Maria einen Tee zubereiten, der sie beruhigen sollte. So wenig er Catarina mochte, gerade tat es dem alten Mann leid, ihr mitteilen zu müssen, dass Diego außer Stande war, irgendetwas zu unternehmen und vor allem den Grund.

Er sagte ihr nicht sofort, dass sein Sohn inhaftiert worden war und wie groß auch seine Sorge war, weil er behutsam war und sie nicht gleich noch mehr aufwühlen wollte.

Erst als sie anscheinend etwas gefasster war, setzte er sie davon in Kenntnis, was ihm widerfahren war. „Sie müssen jetzt ganz tapfer sein. Unser Gouverneur ist ein eiskalter Mann, der vor nichts zurückschreckt. Mir scheint nicht einmal davor, willkürlich Menschen für etwas zu bezichtigen, was er nicht beweisen kann. Bei uns ist er auch gewesen, höchstpersönlich sogar, um meinen Sohn Diego abzuführen, wie einen Schwerverbrecher. Wir alle wissen doch, dass er nach außen hin harmlos ist.“

Catarina stockte sofort der Atem und sie konnte ein weiteres Schluchzen nicht unterbinden. „Das hört sich ja furchtbar an! Und Carlos reist in der Weltgeschichte um wegen so einer Belanglosigkeit, wie unsere Verwandtschaft! Wer soll mir dann jetzt helfen? Mein armes Kind.“

Gerade war die Doña nicht die starke Frau, die ihrem Mann die Leviten ließ, sondern die schwache Mutter, die um ihr Kind bangte. Das konnte der alte Mann sehr gut nachvollziehen.

„Ich werde die Leute in der Stadt zusammentrommeln und an ihre Hilfsbereitschaft appellieren. Wir können uns nicht alles gefallen lassen. Mein Sohn wurde grundlos verhaftet. Damit lasse ich ihn nicht durchkommen. Seine Gründe sind nicht rechtens, auch wenn er sich Gouverneur von Kalifornien nennen will, ist er das nur zeitweise, was er natürlich schamlos ausnutzt. Gerade hat er die besseren Karten, aber das Blatt kann sich ganz schnell wenden, glauben Sie mir. Eine ganze Stadt gegen sich aufzuwiegeln, sollte auch in seinem Sinne nicht sein.“

Mit diesem Versprechen konnte er der verzweifelten Frau zumindest Mut machen. „Allerdings gibt es da noch etwas, was Sie wissen sollten.“

Wissbegierig sah die Blondine den um so viele Jahre älteren Mann an. Die Jahre hatten ihn ruhiger werden lassen, denn ihr Mann und Alejandro hatten sich immer todesmutig für jedermann eingesetzt, ohne Rücksicht auf Verluste.

„Sicherlich ist es für Sie ein Schock, so davon zu erfahren. Aber Lolitas Besinnung und die meines Sohnes sind stimmig. Beide missbilligen Ungerechtigkeit. Warum wundert es Sie da so sehr, dass man ihr nachsagt, sie sei Zorros Komplizin? Jedes Kind in dieser Stadt weiß, dass sie eine Schwäche für ihn hat.“

Lolitas Mutter hörte so etwas natürlich nicht gerne trotzdem konnte sie die Augen davor nicht verschließen. „Ach, dieses dumme Kind! Todärgern könnte ich mich. Diesen Mann so anzuhimmeln. Aber auch ich bin ihm total verfallen. Trotzdem würde ich mich ihm doch nicht anschließen. Eine Frau sollte sich immer zurückhalten. Es tut mir Leid, wenn meine Tochter Ihren Sohn Diego vielleicht zu irgendetwas aufgewiegelt hat.“ Natürlich glaubte Catarina, dass ihre Tochter auf Diego eingewirkt haben könnte, etwas zu tun und er deswegen jetzt im Gefängnis sitzen musste.

„Mein Sohn benötigt dafür keine Frau.“ Don Alejandro wirkte ein klein wenig verstimmt, als er dies versuchte klarzustellen. „Er schafft es ganz alleine, sich in Schwierigkeiten zu bringen.“

„Oh bitte, Alejandro, Sie müssen nichts schönigen. Ich weiß, dass meine Tochter Ihrem Sohn mehr als einmal klargemacht hat, welche Art Mann sie mag. Bestimmt ist es so gewesen. Mir kam schon solange verdächtig vor, wie bereitwillig sie sich mit ihm hat verloben lassen. Gutes Aussehen war ihr noch nie wichtig, darauf kann man ihren Entschluss nicht schieben. Ebenso wenig war ihr Geld wichtig.“

Alejandro wusste nicht, wie er es ihr erklären sollte, aber er wollte auch nicht zu hart mit ihr ins Gericht gehen, das tat er ja noch nicht einmal bei Lolita, die lange Zeit seinen Sohn gequält hatte. Er verstand sie, denn auch er hatte, Diegos Verhalten nicht sonderlich berauschend gefunden, nachdem er ihn noch um seine Hilfe gebeten hatte.

„Lolitas Entschluss Diego zu heiraten, liegt daran, dass sie als junge Dame sich in ihn verliebt hat und einfach nicht verstehen konnte, wie er sich in den knapp drei Jahren so verändern konnte. Sie hat all ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben in ihn geleg, und ist dann so sehr enttäuscht wordent, so wie ich auch. Manchmal konnte man sich wirklich für meinen Sohn schämen. Deswegen mache ich ihr bestimmt keinen Vorwurf. Auch nicht für ihre Schwäche für Zorro, denn er war genau die Art von Mann, die sie sich in Diego gewünscht hatte. Ich weiß nicht, wann sie die Wahrheit herausgefunden hat, denn ich habe beide nie gefragt. Aber ich vermute, es war lange nachdem sie eingewilligt hatte. Die beiden sind befreundet, seit sie Kinder sind. Bestimmt war sie am Ende froh, dass er sich nicht aus dem Fenster hängt, wie sie sich am Anfang gewünscht hatte. Denn einmal habe ich sie alleine erwischt und sie danach gefragt. Zu sehen, wie Diego etwas schlimmes widerfährt, wäre das allerschlimmste für sie gewesen, auch wenn sie zu dem Zeitpunkt ihn nur gern hatte.“ Ihre Ehrlichkeit hatte ihn imponiert. Er hatte einfach wissen wollen, wie sie zu seinem Sohn stand, wenn sie die beiden schon verheiraten wollten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Vätern interessierte ihn das, ob sein Sohn glücklich war, obwohl er immer gelogen hatte, was das angeht. Das einzige, was er sich angeblich gewünscht hatte, war nicht von Lolita verabscheut zu werden, von geliebt werden, hatte er nie gesprochen. Es war ihm wahrscheinlich ein Leichtes, das zu behaupten, immerhin wusste er ja von ihren Gefühlen für Zorro. Wie man es dreht oder wendet, das war nun einmal er, da konnte er es gewiss besser ertragen.

„Ich bin froh, dass sie ihm jetzt die Gefühle entgegenbringt, die er sich insgeheim gewünscht hat, da bin ich mir sehr sicher. Seinen Vater kann er nicht anschwindeln. Es tut mir auch außerordentlich Leid, dass wir Ihnen nichts gesagt haben. Wir dachten, je weniger Menschen es wissen, desto weniger können uns gefährlich werden. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die falschen Leute davon erfahren.“ Er meinte es ja nicht böse, aber Frauen waren nun einmal Tratschweiber.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das einzig Berechenbare an Frauen ist, dass sie absolut unberechenbar sind.

Catarina verstand überhaupt nicht, was Diegos Vater ihr damit mitteilen wollte. „Ich glaube, ich verstehe nicht so recht, worauf Sie hinaus wollen. Was denn bitte erfahren?“ Auch jetzt hinterblickte die blonde Frau nicht das Offensichtliche, genauso wie ihre Tochter bis zuletzt sich dem Gedanken verschlossen hatte, dass Diego eben doch der junge Mann war, den sie vor fast 10 Jahren nach Spanien verabschiedet hatten.

„Um das zu verstehen, muss ich sagen, dass ich meinen Sohn um Mithilfe gebeten hatte. Ich beschwerte mich über die Umstände hier zulande und bat ihn darum, früher nachhause zu kommen.“

Ob Catarina jetzt verstand, was er damit mitteilen wollte, war sich Alejandro nicht sicher, aber aus ihm sprach auch sein schlechtes Gewissen. Nicht Lolita hatte irgendwen aufgewiegelt, das war er selbst gewesen. „Sie wissen doch bestimmt noch, wann Zorro das erste Mal hier aufgetaucht ist. Nicht? Das war nach Diegos Willkommensfeier.“

Don Alejandro konnte das Offensichtliche nicht einmal aussprechen.

Natürlich brachte der Mann Licht ins Dunkel, das sah man sofort in Catarinas Gesicht. Sie war blass geworden, als sie jetzt genau darüber nachdachte. Viele hatten gemunkelt, dass Zorro mit dem gleichen Schiff aus Spanien gekommen sein musste, wie Diego. Aber es war noch viel schlimmer ...

Die Doña hatte das Gefühl, in Ohnmacht fallen zu müssen. Sie hatte Diego für einfach zu handhaben empfunden. Ein braver Junge, der immer nur machte, was sich gehörte. Und da verpasste man ihr einen solchen Schock.

„Ich fürchte, ein Tee passt jetzt nicht, auf den Schock brauche ich einen Brandy.“

Diego hatte immer merkwürdig auf Fragen bezüglich Zorro reagiert, irgendwie ausweichend. Kein Wunder, wenn er ihn schon deckte. So etwas hatte sie sich schon gedacht, aber dass er selbst Zorro sein könnte – nein darauf wäre sie nie gekommen. Obwohl Carlos mehr als einmal erwähnt hatte, wie tapfer er als Junge gewesen sei. Sie wollte nicht noch so einen wilden Mann in ihrer Familie, der Kopf und Kragen riskierte, um seine Familie am Ende ins Unglück zu stürzen, weil er so weich war, dass er nicht wegschauen konnte.

„Ich hoffe, damit sind alle Missverständnisse geklärt.“

„Und dieses Luder hat immerzu geschwiegen. Nicht einmal ihrer Mutter hat sie davon erzählt.“

„Ach, das zeigt nur, wie treu ergeben sie ihm ist.“ Etwas, was Don Alejandro ziemlich begrüßte.

Die Wunschvorstellung von Männern. Dass die Frauen ihnen treu ergeben waren ... Auch Catarina hörte so etwas natürlich nicht gern, aber sie würde sich nie so offen darüber beschweren, wie zum Beispiel ihre Tochter.

Maria hatte das Gespräch mit angehört und brachte natürlich sofort einen Brandy, wie sie ihn verlangt hatte.

„Sollte ich herausfinden, dass die beiden irgendetwas vor der Ehe gemacht haben, gnade ihnen Gott“, sagte sie entrüstet und stürzte das Glas Brandy hektisch die Kehle hinab, was sich als Frau auch nicht wirklich schickte, aber sie war aufgebracht.

„Ich bezweifle dann doch, dass Diego so viel Mut hat, so etwas zu wagen. Maskiert oder unmaskiert nicht.“

Solch ein Satansbraten. Sie alle so anzuschwindeln ... Aber ihre Tochter war um keinen deut besser. Sich auch noch in einen solchen Unhold zu verlieben, dieses kleine Luder.

„Gleich morgen früh werde ich die Leute zusammen trommeln. Es gibt einen einzigen Ort in dieser Stadt, wo man ungestraft eine Sitzung abhalten kann, die auch verschwiegen abläuft.“

Beide Frauen sahen einander an und schienen sich zu fragen, wo das sein könnte. 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück