Zum Inhalt der Seite

Morgenstern

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Bei diesem Kapitel handelt es sich um eine überarbeitete Fassung des Originals!
Du wurdest gewarnt.
Die Sequenz im Limbus wurde überarbeitet, da sie vorher völlig Out of Character war. Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Tod und Wiedergeburt - Teil 1


 

🌢
 

Alaric und Nebula kreisten mit ihren Waffen verkeilt umeinander, während die Leibwächter nur untätig zusehen konnten. Ihnen war bewusst, wenn er einem anderen Waffenmeister gegenüberstand, wären sie nur im Weg. “Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Land einen so starken Waffenmeister hervorbringen könnte”, bemerkte Alaric. “Und dann ist es auch noch die Thronerbin. Ihr werdet meinem Bruder ehrenhafte Söhne gebären. Hervorragend!”

“Schaut, wie hervorragend ich Euch in Stücke hacken kann!”, drohte Nebula. Sie konnte es auf den Tod nicht ausstehen, auf eine Gebärmaschine reduziert zu werden.

“Ach wirklich?!”

So schnell, wie Alaric sein Bein anhob und nach ihr trat, konnte sie nicht reagieren. Seine Kraft stieß sie gegen die Wand hinter ihr. Schmerz lähmte sie und machte es ihr unmöglich, die folgenden Tritte abzuwehren.

“Ihr schwingt große Reden”, belehrte Alaric, während er nicht aufhörte, Nebula mit seinem Stiefel zu malträtieren. “Lernt zuerst Euch selbst zu schützen!” Er erdreistete sich, ihr altkluge Ratschläge zu geben, wie einen Rekruten in der Soldatenschule.

Sie konnte spüren, wie sich die Kraft der Tritte durch ihren ganzen Leib fortsetzte, um sich letztlich auf die Wand hinter ihr zu übertragen. Risse breiteten sich allmählich im Gemäuer aus. Als der Elf mit einem letzten Stoß nachlegte, brachte es die Wand hinter Nebula zum bersten und sie stürzte hinaus in den menschenleeren Hof. Auf dem Weg nach unten, streifte sie die Krone eines Kirschbaums, riss ein paar Äste mit sich und schlug dann begleitet von Trümmerteilen zu seinen Wurzeln auf dem Boden auf.

Alaric trat an das Loch in der Mauer heran. Er war überrascht festzustellen, dass die Prinzessin noch nicht überwältigt war. Sie hielt sogar noch immer ihre Waffe. Die ganze Zeit hatte sie sie nicht losgelassen. Ein ehrenhafter Krieger lässt bis zum bitteren Ende nicht von der Waffe ab! Er sprang nun selbst hinunter und landete ein paar Meter von ihr entfernt.

Nebula versuchte aufzustehen. Sie drehte sich auf den Bauch und musste husten. Dabei brachte sie ihr schwarzes Blut zum Vorschein.

Alaric beobachtete ihre gequälten Versuche, wieder aufrecht zu stehen. “Ich muss zugeben, Eure Willenskraft ist beeindruckend.”

“Spart Euch den Atem!”, giftete die Blondine, während sie Quake als Stütze nutzte und sich an ihm nach oben zog.

“Bitte ergebt Euch, Prinzessin Emelaigne. Eine Niederlage einzusehen, ist keine Schande. Es zeugt von Besonnenheit! Ich möchte es vermeiden, Euch zu töten.”

“Und wie nennt Ihr das eben?”, fragte sie, als sie wieder fest auf dem Boden stand.

“Von den paar Tritten sterben die unseren nicht. Also bitte, wahrt Eure Ehre und ergebt Euch, bevor ich zu letalen Mitteln greifen muss. Ich möchte meinem Bruder nicht erklären müssen, warum ich die Braut erschlagen habe.”

“Ihr hört nicht auf von Ehre und Euer eigenen Überlegenheit zu reden und seid trotzdem nichts weiter als ein feiger Hund. Oder habt Ihr nicht im Ballsaal eine hilflose Frau angegriffen? Ist das vielleicht ehrenhaft?!”

“Ihr meint diese Hochstaplerin? Lügner haben keine Ehre und verdienen keine Gnade.”

“Erspart mir gefälligst Euren Ehrenkomplex!” Sie erhob Quake und stürmte auf Alaric zu.

Doch der Prinz wehrte den Angriff ab, wie den anderen zuvor. Die Wucht des Aufpralls breitete sich hinter ihm im Innenhof aus, wühlte Staub auf und ließ Blätter tanzen. Während er Quake mit Anima parierte, drückte er Nebulas Arme nach oben und trat sie erneut gegen den nun ungeschützten Oberkörper. Der Stoß katapultierte sie durch die Luft. Sie prallte rücklings gegen eine Säule und fiel anschließend auf die Knie. Keuchend stützte sie sich abermals auf ihr Schwert.
 

Eine leichte Briese spielte mit Prinzessin Lezabels Haaren und ließ es in Strähnen um ihre langen, spitzen Ohren tanzen. Die Dunkelheit der Nacht war für sie viel erträglicher als der unerbittliche Sonnenschein des Tages. Sie musste sich nicht mehr vor der grellen Sonne im Inneren der Kutsche verstecken. Die Kühle der späten Stund tat ihr gut. Nahezu wie ihre von dunklen Wolken verhangene Heimat, in der niemals ein Sonnenstrahl den Boden berührte und sämtliches Licht aus der Erde selbst an die Oberfläche trat.

Sie hatte sich vor der Drachenstatue eingefunden. Das Friedensgeschenk von Aschfeuer, nachdem die Kampfhandlungen mit dem Reich der freien Menschen aufgrund eines tragischen Vorfalls eingestellt wurden. Dieser Drache war ein wertvolles Geschenk. Nichts bedeutete der kaiserlichen Familie mehr, als ihr Machtsymbol. Es war nun höchste Zeit, einen alten Freund zu treffen. Jemanden, der lange in dieser Stadt die Stellung wahrte und ihre Rückkehr mit absoluter Sicherheit ersehnte.
 

Hustenreiz und übler metallischer Geschmack auf ihrer Zunge überkamen Nebula bei dem Versuch, sich aufzuraffen und wieder aufzustehen. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, nur um erneut blutigen Auswurf vorzufinden, als sie sie wieder herunter nahm.

Er ist zu stark, gestand sie sich ein.

Doch nichts lag ihr ferner, als aufzugeben.

Das Leben - nein die Seele - ihrer besten Freundin stand hier auf dem Spiel!

“Habt Ihr denn immer noch nicht genug?”, fragte Alaric selbstsicher, während Nebula sich quälte, zu stehen. “Ihr gebt nicht auf, Prinzessin. Das rechne ich Euch hoch an!” Er musste unbedingt verhindern, dass sie zu sehr ihrer Wut verfiel. “Aber bitte, gebt endlich auf, bevor Ihr eine Grenze ohne Wiederkehr überschreitet!”

“Ich verzichte auf Eure Besorgnis!”, spie sie verächtlich aus. Keuchend richtete sich die Blondine auf. Sie versiegelte Quake und hob den Arm. “Gehe hernieder, Gungnir, Speer des Himmels!”

Ein Blitz fuhr von oben herab und schlug in ihrer Hand ein.

Alarics Augen weiteten sich. “Ihr besitzt eine weitere-”, wollte er in Verwunderung ausstoßen, wurde jedoch mitten im Satz unterbrochen, als seine Gegnerin plötzlich verschwand, hinter ihm wieder erschien und um ihn herum die Elektrizität zuckte und knackte. Ein paar Schnitte taten sich auf. An seinem Arm, an seiner Brust und auf der Wange. Keine dieser Wunden war wirklich tief. Nebulas Angriff fehlte es an Kraft. Der Elf wandte sich zu ihr, sah sie taumeln und um Gleichgewicht ringen. Es war offensichtlich, dass sie ihm nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

Zornig wandte sie sich zu ihm hin. “Gebt sie mir zurück!”, forderte sie energisch. “Gebt mir Caroline zurück!”

“Ist das der Name der Hochstaplerin?”

“Sie ist keine Hochstaplerin!”

“Was habt Ihr eigentlich mit ihr zu schaffen?”

“Schnauze! Gebt sie mir zurück!!”

Kopflos und ohne nachzudenken, stürmte sie auf den Prinzen zu.

Alaric schwang Anima und stieß es ihr entgegen. Als es eigentlich mit ihr in Berührung hätte kommen müssen, geschah nichts. Doch als sie ihn passierte, bemerkte sie, dass sich nur noch Luft dort befand, wo zuvor eine Waffe war. Sie wandte sich ihrem Gegner zu und musste feststellen, dass ihre Waffe von der immer länger werdenden Kette festgehalten wurde. “Was?” Nebula starrte fassungslos ihre leeren Hände an.

“Anima vermag es, Geist und Körper zu trennen.”, erklärte der Prinz. “Ich besitze die Fähigkeit, weiße Seelen zu absorbieren. Deshalb nennt man mich Soul Eater.” Alaric blieb völlig ruhig, während er sprach. “Leider ist es mir nicht möglich, Eure Waffen ebenfalls aufzunehmen.” Er wiederholte seinen Angriff von eben und entriss Nebula fast ihr gesamtes Arsenal mit einem einzigen Streich. Gastraphetes, Mirage und Quake hingen zusammen mit Gungnir und einigen anderen Teufelswaffen, die Nebula noch nie zuvor zeigte, aufgereiht wie bei einer Perlenschnur an Anima. “Wie kann sie mehr als eine...” Die schiere Menge an Teufelswaffen überraschte den Elf. Den Meisten gelang es nur eine, vielleicht zwei zu beherrschen. Diese Frau besaß sieben und konnte frei zwischen ihnen wechseln.

Nebula war am Ende ihrer Kräfte. Die gewaltsame Abtrennung der Teufelswaffen, schwächte sie zusätzlich. Ihre Arme fühlten sich schwer wie Blei an und ihre Beine trügen sie wohl nicht viel länger. Sie sah sich einem Feind gegenüber, welcher sie mühelos in die Tasche stecken konnte. Die Wut begann die Kontrolle zu übernehmen. Ein erbarmungsloses Feuer in ihrem Herzen wollte sie verschlingen. Dieses Gefühl! Es war genau wie damals. Nebula spürte einen pochenden Schmerz in ihrem Kopf und presste beide Hände an ihr Gesicht. “Arrrrrgh!”, schrie sie auf. Zwischen ihren Fingern blitzte das Rubinrot ihrer Augen hervor. Die Pein ließ ihre Knie wackelig werden. Sie bewegte sich Rückwärts, während sie die Wellen des Schmerzes durchlebte.

Alaric beobachtete das Geschehen mit Sorge.

Das abscheuliche Kreischen Nebulas verebbte. Ihre Arme fielen schlaff zur Seite und sie ließ den Kopf hängen. “TöTEn!”, sagte sie. Ihre Stimme war nicht wiederzuerkennen. Sie hob ihr Haupt an. Pulsierende schwarze Adern entstellten ihr Gesicht. “IcH wERdE DiCH TöTEn!!!” Die Kraft kehrte in ihre Gliedmaßen zurück. In ihren beiden Händen konzentrierte sich schwarze Masse und formte jeweils entartete Klingen.

Alaric hatte dies noch nie zuvor mit eigenen Augen gesehen, aber er wusste, was es zu bedeuten hatte. Nun ist sie verloren, erkannte er betrübt.

Ohne Vorwarnung attackierte Nebula ihn. Eine violette Aura vergrößerte die Länge ihrer schwarzen Schwerter auf das Dreifache. Sie prügelte ohne Verstand auf den Prinzen ein. “StIRb! STirB! StIRb!” Sie realisierte in ihrem Wahn nicht einmal mehr, dass Alaric alle ihre Schläge parierte. Erst der Schock eines stechenden Schmerzes holte sie in die Realität zurück. Die schwarzen Adern in ihrem Gesicht verschwanden und ihre Schwerter lösten sich auf. Ein Blick nach unten verriet ihr den Grund für das eisige Gefühl von Kälte, welches sie urplötzlich durchdrang. All der Schmerz war so unwirklich, wie das Schwert des Elfen, welches bis zur Parierstange in ihrer Brust steckte und schwarz benetzt aus ihrem Rücken austrat. Sie war heimgekehrt, nur um nun hier zu sterben? Einfach absurd! Sie würde lachen, täte es nicht so unglaublich weh.

“Ihr habt mir keine Wahl gelassen, Prinzessin”, bedauerte Alaric. “Der Tod ist besser, als das, was Ihr im Begriff seid zu werden!”

Seine Worte klangen in ihren Ohren nach Heuchelei.

Dann ging er einen Schritt rückwärts und zog dabei sein Schwert aus ihrem Körper.

Leblos fiel die Geschlagene zu seinen Füßen.

Alaric ließ Anima verschwinden und gab so Nebulas Waffen frei. Sie stürzten im Kreis um sie herum zu Boden. Alaric hockte sich neben die Geschlagene und drehte sie auf den Rücken. Er sah in ihre starren blauen Augen. “Wirklich eine Verschwendung”, kommentierte er. “Warum musste es soweit kommen?” Dann schloss er ihre Lider und erhob sich wieder. Es gab keinen Grund mehr für ihn, hier noch länger zu verweilen.

Er kehrte zurück zum Palasteingang.

Als er ihn erreichte, kamen ihm seine Leibwächter entgegen. “Eure Hoheit”, sagte einer.

“Was seid ihr für Leibwächter?”, tadelte sie Alaric. “Ich habe mich um das Problem bereits selbst gekümmert!”

Die anderen zwei zerrten just in jenem Moment einen Jungen mit braunen Haaren zur Tür heraus. Er wirkte schwächlich und dachte nicht im Traum daran, Widerstand zu leisten. “Eure Hoheit, den haben wir aufgegriffen, als er versucht hat, uns zu folgen”, erklärte einer von ihnen. “Was sollen wir mit ihm machen?”

Der Elfenprinz sah ihn sich genau an. “Was willst du?”, fragte er.

“Ich will z-zu ihr. Z-Zu Nebula.”

“Nebula?” Gab sich die Prinzessin diesen Namen? “Du meinst-?”

“Ja. W-Warum h-hat sie Euch n-noch nicht den A-Arsch aufgerissen?”

“Was ist das für eine Ausdrucksweise? Haben dir deine Eltern nie Manieren beigebracht?” Alaric grübelte erneut. Er gab seinen Leuten das Zeichen, Henrik loszulassen. “Sie war eine ehrenhafte Frau. Sie kämpfte für das, was sie liebte.”

“W-War?” Sofort rannte der Junge los, an Alaric vorbei, der Prinzessin entgegen.

“Wieso habt Ihr ihn gehen lassen?”, fragte ein Leibwächter verwirrt.

“Was ist mein Sieg wert, wenn ich ihr den letzten Respekt ihres Gefolgsmann verwehre?” Insgeheim wünschte er sich wenigstens einen Untertanen, welcher seiner Familie nicht aus Zwang, sondern aus freien Stücken, so treu ergeben war, wie dieser Junge der Prinzessin.

Unterdessen erreichte Henrik Nebula. Er sah die Teufelswaffen, die sich im Kreis um Nebula gruppiert hatten. In ihrem Zentrum lag sie in einer immer größer werdenden schwarzen Pfütze. Ihr Blut! Henriks Gesichtsausdruck verfinsterte sich und seine Schritte wurden langsamer. Als er sie endlich erreichte, hockte er sich neben sie. Seine Schenkel tauchten platschend in die Lache ein und er nahm sie in den Arm. Presste ihren reglosen Körper an sich und begann bitterlich zu weinen.
 

🌢
 

Drei Jahre zuvor am königlichen Hof von Ewigkeit.

Ein Grau verhüllte den Thronsaal, als sei auch er unter einem gewaltigen Leichentuch bedeckt. Der König von Morgenstern saß geistesabwesend in seinem Thron. Erst seine Frau und nun seine Tochter. Es war mehr, als ein Mann aushalten konnte. Seitdem man ihm vom Mord an Prinzessin Emelaigne in Kenntnis gesetzt hatte, fühlte er sich innerlich tot.

Vor dem erhobenen Königssessel kniete Lord Greymore mit gesenktem Haupt auf dem roten Teppich. “Lasst mich nach Spuren suchen, Eure Majestät”, bat er den König. “Ich werde den Mord an Prinzessin Emelaigne rächen!” Er wagte nicht, sein Haupt zu heben und seinem Lehnsherrn seine Tränen aufzubürden.

Der König reagierte nicht auf ihn.

“Eure Majestät!”, machte Greymore erneut auf sein Anliegen aufmerksam. “Als König von Morgenstern ist es Eure Pflicht-”

Er wurde jäh von einem metallischen Klingen unterbrochen. Graymore hob den Kopf und sah, dass die Königskrone auf ihn zurollte. Unverstanden sah er seinen Lehnsherren an.

“Wenn Ihr so viel besser wisst, wie sich der König nach dem Mord an seiner einzigen Tochter zu verhalten hat, solltet vielleicht Ihr der König sein, Greymore.”

Der Ritter wischte sich die Tränen aus den Augen. “Ich will Euer Handeln in keinster Weise kritisieren, Eure Majestät.”

Der König erhob seine Stimme. “Dann haltet Eurer altkluges Mundwerk und geht mir aus den Augen!”

Greymore konnte den Schmerz des Königs vollkommen nachvollziehen. Als ein wahrer Mann, steckte er die wütenden Schreie des Königs weg und ergriff die Krone. Er erhob sich und brachte sie dem König zurück. “Eure Majestät, die ist Euch wohl heruntergefallen.”

Der König riss ihm sein Herrschaftssymbol aus der Hand.

Greymore verneigte sich. “Ihr entschuldigt mich.” Dann machte er kehrt Marsch und verließ den Thronsaal. Auch wenn der König ihn nicht unterstützen wollte oder konnte, beschloss er, den Auftraggeber der Meuchelmörderin ausfindig zu machen. Solange der Strippenzieher hinter dem Mord an seiner Verlobten nicht seine Klinge zu spüren bekommen hätte, würde er keine Ruhe mehr finden.

Schnaubend stiefelte Greymore die gewundene Treppe hinunter und ging an den Säulen in der Mitte der Eingangshalle vorbei. Er durchquerte den Innenhof und schwang sich auf sein Pferd, das er auf dem Platz vor dem Palast zurückgelassen hatte. Er ritt auf dem kürzesten Weg zum Ausgang der Stadt. Auf sein Signal hin öffneten die Wachen das Tor und Greymore begann seinen Rachefeldzug auf eigene Faust, an dessen Ende nichts als Verderben auf ihn warten sollte.
 

Ein gequälter Schrei hallte durch das Schloss.

Wo bin ich?

Wer bin ich?

Was ist geschehen?

Wirre Gedanken schossen durch den Kopf der Prinzessin.

Alles war in einen roten Schleier getaucht. Blut sickerte aus den Fugen an der Wand und ergoss sich auf den Boden. Emelaigne erinnerte sich noch an den Weg in ihr Gemach und stieg die Treppe hinauf, dem blutigen Sturzbach zum Trotz. Angekommen im Gang, der zu ihren Räumlichkeiten führte, schmerzen die unglaublich hell leuchtenden Fackeln in ihren Augenhöhlen, als wollten sie sie ihr herausbrennen.

Endlich erreichte sie die Tür und riss sie aus den Angeln.

Das Brett fiel zu Boden.

Das unverständliche Flüstern einer schwarzen Silhouette lockte sie zu ihrem Spiegel. Rubinrot glänzende Augen funkelten sie aus ihr heraus an.

“Komm!”, säuselte die Stimme in der Finsternis.

Vorsichtig näherte sich Emelaigne dem Spiegel.

Die Silhouette nahm Gestalt an.

Bald erkannte sie ihr eigenes Spiegelbild. Es trug, im Gegensatz zu ihr, nicht ein mit Blut besudeltes Brautkleid, sondern ein feuerrotes Gewand. Die Haare waren schneeweiß. Ungläubig befühlte sie ihr Abbild. “Bin ich das?”, fragte sie ihre eigene Projektion, als ob sie eine Antwort erwartete.

Plötzlich bewegten sich die Mundwinkel ihres Spiegelbildes und die flüsternde Stimme sprach erneut zu ihr. “Ich halte dir den Spiegel vor.”

Fassungslos wich die Prinzessin vom Spiegel zurück und führte ihre Hände an ihr Gesicht heran. Wie war es möglich, von dem eigenen Spiegelbild eine Antwort zu erhalten? Bang blickte sie zwischen den Fingern ihrer Hand hindurch.

Das konnte nicht wirklich sein!

Sie musste träumen!

“Es gibt keinen Grund es zu leugnen! Du willst das Blut in Strömen fließen sehen!”

“Niemals! Ich bin kein Monster!”

“Glaubst du das wirklich? Schau, Blut klebt bereits an deinen Händen!”

Emelaigne nahm die Hände aus dem Gesicht und erkannte, dass die Stimme aus dem Spiegel die Wahrheit sprach. Sie waren rot, getränkt in Blut.

“Nein!”, wimmerte sie voll des Entsetzens.

“Sieh dich um und erkenne die Wahrheit!”

"Aahhhrrr!" Sie schrie den Spiegel an.

Die sprechende Reflektion verstummte, als der Spiegel urplötzlich Risse bekam und zersprang. Der mattrote Schleier vor ihren Augen löste sich auf und das Blut, welches bis eben hoch zu ihren Waden stand, versickerte im Boden, als sei es nie da gewesen. Nur von ihren Händen wollte es nicht weichen. Erst jetzt bemerkte sie, dass das besudelte Brautkleid in Fetzen gerissen an ihrem Leib hing. Emelaigne tat, wie das Spiegelbild ihr geheißen hatte, und sah sich um. Sie entdeckte mehrere übel zugerichtete Leichen. Es handelte sich um die königlichen Palastwachen. Eine lag an der Tür, weitere verstreut in ihren Gemächern. Emelaigne erinnerte sich nicht, doch sie spürte, dass sie sie umgebracht hatte.

Verängstigt kauerte sie sich in Fötusstellung zusammen und weinte.

In jenem Moment stürmten weitere Wachen den Raum und umzingelten Emelaigne. Die Wachen streckten ihr ihre Waffen entgegen, doch die Prinzessin nahm es nicht für voll. Sie war zu sehr mit der Furcht vor sich selbst beschäftigt.
 

Inzwischen war eine Woche vergangen.

Eine Magd trug einen Eimer mit Wasser einen spärlich ausgeleuchteten Gang entlang. In ihm schwamm ein Schwamm. In der anderen Hand hielt sie ein Stück Seife. Links und Rechts waren die Wände mit vergitterten Türen versehen. Sie trennten die Kerkerzellen von dem Gang ab. In ihnen hatte man den Abschaum des Königreiches eingesperrt. Am Ende des Ganges bewachten zwei schwer bewaffnete Männer eine massive eiserne Tür mit einem winzigen Sehschlitz, der sich nur von außen öffnen ließ.

“Was willst du hier, Dienstmagd?”, fragte der eine Wächter unfreundlich.

“Die Gefangene bekommt keinen Besuch!”, verwies der andere.

“Ich bin auf Befehl des Hofzauberers Arngrimr hier!”, entgegnete die blonde Magd. “Ich soll sie waschen und sie für die Vorführung vorbereiten.”

“Wenn dem so ist”, sagte der erste Wächter und erlaubte ihr zu passieren.

Ein Lichtstrahl fiel in die finstere Kammer ein, als die Eisentür geöffnet wurde.

Eine schemenhafte Gestalt hielt sich schützend die zusammengeketteten Hände vor das Gesicht, um nicht geblendet zu werden. Ein Wächter trat ein und hing eine Fackel in eine Halterung an der Wand. Sofort wurde die winzige Zelle ausgeleuchtet. Die Magd folgte und begab sich umgehend zu der Gefangenen. Sie stellte den Eimer ab und begann sich an den schmutzigen und zerfetzten Gewandung des apathischen weiblichen Wesens vor ihr zu schaffen zu machen. Ein versifftes und zerrissenes Kleid. Unmöglich zu sagen, wie es einmal ausgesehen haben möge.

Doch dann stoppte sie ihr Tun und sah den Wächter böse an.

“Was ist, Magd. Mache weiter!”, befahl der Mann.

“Wollt Ihr dabei zusehen, wie ich sie wasche?”, empörte sich die Blondine. “Fehlt es Euch gänzlich an Anstand?”

Der Wächter trat aus der Zelle heraus. “Wenn du fertig bist, klopfe drei mal.” Dann schlug er die Tür zu.

Die Magd setzte ihre Arbeit fort. Sie entkleidete das Mädchen vor sich, welches weder Widerstand leistete, noch sie unterstützte. Kurz überlegte sie, wer sie wohl war und warum sie in schweren Ketten lag. Doch dann besann sie sich ihrer Aufgabe zurück und begann den Dreck und das eingetrocknete, verkrustete Blut abzuwaschen. Darunter kam eine wunderschöne und zarte Haut zum Vorschein, was die Neugier der Bediensteten um die Identität der jungen Frau nur noch weiter anheizte.
 

Noch immer lag eine bedrückende Stimmung in der Luft und erstickte den Thronsaal.

“Hört auf Euer grausames Spiel mit mir zu treiben, Arngrimr!”, forderte der König.

“Mein König”, sprach der alte Mann in langen Gewändern und mit einem zotteligen Bart. “Es ist wahr! Die Bestie, die vor ein paar Tagen im Schloss wütete, ist Eure Tochter.”

“Aber sie ist tot!”, rang der mittelalte Mann mit der Fassung. “Mein Kind ist tot!”

“Es muss wie ein Scherz klingen. Aber eine höhere Macht hat sie aus dem Totenreich zurückgeholt. Ihr wisst, ich studiere die Teufelswaffen. Es ist gewiss kein Ammenmärchen. Ich glaube, es war dieser Dolch. Wir haben ihn nicht bei ihr sicherstellen können, als die Wachen sie gefangen genommen haben.”

“Ihr wollt mir also sagen, dass mein kleines Mädchen jetzt ein Monster ist?”

“Nein, Eure Majestät. Legenden sagen, es gibt Menschen, die eine Teufelswaffe führen können. Die Prinzessin scheint jedoch ein außergewöhnlicher Fall zu sein...”

“Dieser Teufel soll umgehend ausgetrieben werden. Ruft den Exorzisten!”

“Verzeiht, aber ein Priester wird hier nicht helfen können.”

“Gibt es noch eine Hoffnung für meine Tochter?”

“Sie ließ sich ohne weiteren Widerstand festnehmen. Deshalb denke ich, dass es für ihre Seele noch nicht zu spät ist. Ich ließ sie sicherheitshalber in verwunschene Ketten legen, die die Finsternis im Zaun halten.”

“Ihr habt meine Tochter in Ketten gelegt, Arngrimr?!”

“Ich versichere Euch, das geschah nur zu ihrem Besten.”

“Das hoffe ich für Euch! Ich will sie sehen! Sofort!”

“Ich ließ bereits alles in die Wege leiten. Sie sollten jeden Moment eintreffen.”

Wie auf ein Stichwort kamen zwei Frauen, begleitet von mehreren Wachen, die Treppe hinauf. Die eine war besagte Königstochter. Schwere Ketten hielten ihre Hände zusammen. Sie schaute leer, wie innerlich tot. Die Frau neben ihr war die Magd, welche der Hofzauberer damit beauftragt hatte, Emelaigne zu waschen und später neu einzukleiden.

Erst jetzt, wo die Prinzessin vom Schmutz und Dreck befreit war, wurde einem erst bewusst, wie ähnlich sie und die Magd sich sahen.

“Ihr habt tatsächlich die Wahrheit gesprochen!” Bis jetzt wollte es der König nicht glauben. "Und ich fürchtete, Ihr hättet den Verstand verloren."

Die Wachen führten die Magd und die Prinzessin näher zum Thron, hielten jedoch einen Sicherheitsabstand ein. Sie ließen Emelaigne nicht aus den Augen.

“Und wer ist die andere?”

“Sie ist eine Magd am Hof”, erklärte der Zauberer.

“Sie sieht ihr so ähnlich...”

“Aus diesem Grund habe ich sie ausgewählt, Eure Hoheit. Bis Eure Tochter wieder zu sich selbst findet, müssen wir der Öffentlichkeit einen Ersatz präsentieren. Gerüchte über einen Anschlag auf die Prinzessin haben die Runde gemacht. Nun verlangt das Volk nach einem Lebenszeichen. Darum suchte ich eine Frau, welche der Prinzessin möglichst ähnlich sieht, Eure Hoheit.” Er sah die Magd an. “Für’s erste wirst du den Platz der Prinzessin einnehmen!”

Sprachlos starrte die blonde Frau den Hofzauberer an.

Davon hatte er zuvor kein Wort gesagt!
 

In der Nähe der Hauptstadt, in der Residenz eines einflussreichen Adligen, trug sich derweil schändliches zu.

Ein Wächter drehte die Augen in den Höhlen und würgte, als er Graymores Schwert zu spüren bekam. Die Klinge hatte ihn vollkommen durchdrungen.

Greymore zog seine Waffe heraus und ließ den Kadaver zu Boden fallen.

Der Weg zu seinem Ziel stand ihm nun frei.

Zitternd und zusammengekauert hockte ein Mann an der Wand des Raumes, neben dem Kamin. Die Flammen der brennenden Holzscheite warfen flackernde Schatten auf ihn. Er war ein einflussreicher Adliger. Doch seine Macht und sein Geld konnten ihm nun auch nicht mehr helfen, da er sich dem Zorn eines trauernden Racheengels entgegen sah.

Graymore ließ die Spitze seines blutverschmierten Langschwertes auf dem Boden schleifen. Sein stechender Blick fuhr seinem Gegenüber durch Mark und Bein.

“W-Was wo-wo-wollt Ihr?”, stotterte der Mann verängstigt. “Gold? Ich habe Gold!”

Greymore zeigte keine Reaktion.

Dem Adligen ran das Leben durch die Finger wie Sand in einem Stundenglas.

Graymore baute sich vor ihm auf und erhob seinen Schwertarm.

“Wollt Ihr Macht?”, versuchte der Adlige zu dem Ritter durchzudringen. “Macht kann ich Euch verschaffen! Große Macht!”

“Ich will Euer Gold nicht!”

“Kein Gold! Eine Waffe. Stark genug, um Euch jeden Wunsch zu erfüllen.”

Greymore hielt inne und war bereit, seinen Worten zu lauschen. Er senkte sein Schwert. “Sprecht!”, forderte er ihn auf. “Und gnade Euch Gott, wenn Ihr meine Zeit verschwendet!”

“Gewiss nicht! Gewiss nicht!”

“Dann raus mit der Sprache!”

“Habt ihr schon einmal von den Teufelswaffen gehört?”
 

🌢
 

Zurück in der Gegenwart.

Mit einem heftigen Atemstoß erwachte Nebula in der Leere. Ein Ort, an dem es kein Licht und keine Schatten gab. Eine endlose schwarze Weite umgab sie.

Vorsichtig stand sie auf. Wo bin ich?, überlegte sie.

Egal wo sie auch hin sah, kein Licht, kein Schatten.

Sie fühlte keine Schmerzen mehr.

Dieser Ort, dachte sie. Hier war ich schon einmal.

Es war der Limbus.

Dann sah sie zu ihren Stiefeln herab. Obwohl es hier nichts gab - nicht einmal einen Boden - fanden ihre Füße halt. Vorsichtig verschaffte sie sich einen Überblick. Sie sah alles und dennoch nichts. Denn es gab nichts, das sie hätte sehen können. Allmählich kam die Erinnerung zurück. Sie hatte dieses Nichts in der Tat schon einmal gesehen. Dieser Ort war jener, an dem sie sich in der Nacht vor drei Jahren wiederfand, als man ihr das erste Mal das Leben nahm.

“Hey!”, schrie sie hinaus in das Nichts, als erwarte sie eine Antwort.

Das Schweigen überraschte sie wenig.

“Was ist das für ein schlechter Witz?”, fügte sie in Zimmerlautstärke an.

Allerdings war ihr klar, dass es keiner war.
 

Allmählich dämmerte es Henryk, dass die Frau, für die er bereitwillig alles aufgegeben hatte, um ihr zu folgen, nun an einem Ort war, an dem er sie nicht erreichen konnte.

Sie würde ihm nicht mehr sein Essen wegessen. Ihn nicht mehr als Perversling bezeichnen. Ihn nicht mehr einen Idioten schimpfen oder sich über seine Tollpatschigkeit aufregen. Ihn keinen Staub mehr bei Übungskämpfen schlucken lassen. Ihn nicht mehr zwingen, das Gepäck zu tragen, obwohl sie viel stärker war als er. Und er müsste auch nicht mehr ihre Versuche zu kochen hinunterwürgen.

Nichts davon.

Nie wieder.

“A-Aber ich b-brauche dich doch!”, wimmerte er. “B-Bitte, komm zu mir zurück!”

Seine Tränen tropften auf ihr Gesicht.
 

Seit einer gefühlten Ewigkeit wanderte Nebula bereits in der Finsternis umher. Ob es in Wirklichkeit nur eine Stunde oder schon ein Jahrhundert war, konnte man nicht feststellen. Im Limbus gab es nichts, woran man das Voranschreiten der Zeit festmachen konnte. Wahrscheinlich gab es hier nicht einmal die Zeit selbst. Wer an diesem Ort angelangte, war dazu verdammt, bis auf alle Ewigkeit durch die Leere zu wandern.

In der Vorhölle gab es keine Flammen und keine Folterknechte.

Weder kochten unreine Seelen im eigenen Sud noch rührte die Großmutter des Teufels in der Suppe der Verdammnis.

Hier durchlebte man - wenn man das Leben nennen wollte - eine andere Tortur.

Die Abwesenheit jeglicher Reize treiben jeden früher oder später in den Wahnsinn.

Und dann wurde man ein Teil der Finsternis.

Ein Schicksal, das nun auch Nebula bevorstand.

Plötzlich fühlte sie etwas an ihrer Wange hinunterlaufen.

Verwirrt sah sie sich um.

Über ihrem Kopf hatte sich doch nicht etwa plötzlich eine Schlechtwetterfront zusammengezogen.

Nichts.

Nur noch mehr leere Schwärze.

Eine Flüssigkeit tropfte erneut auf ihre Wange.

Nebula berührte den Tropfen mit ihrem Zeigefinger und steckte ihn in den Mund.

Ein salziger Geschmack breitete sich auf ihrem Gaumen aus.

Tränen?, dachte sie spontan.

Aus unbekanntem Grund verliehen sie ihr die Kraft, nicht zu verzweifeln.

Aber woher kamen sie?

“A-Aber ich b-brauche dich doch!”

Das war Henrik!

Seine Stimme drang irgendwie an diesen von allen guten Geistern verlassenen Ort.

“B-Bitte, komm zu mir zurück!”

Nebula horchte auf.

Plötzlich flutete ein grelles weißes Licht die Schwärze. Es wurde immer stärker, bis es augenscheinlich den gesamten Limbus verschlang.
 

Er soll doch der Einzige sein, der Nebula noch retten kann.

Das hatte Annemarie gesagt.

Aber hier konnte niemand mehr helfen. Das Gefühl seiner Machtlosigkeit traf Henrik wie ein fallender Baum. Er kauerte hier neben der Leiche seiner ersten Liebe. Diese Erkenntnis fühlte sich an, als wäre auch sein Herz stehen geblieben. Ein Dolchstoß bis tief hinein in seine Seele. Und sie war noch immer so schön. Wäre nicht all das Blut, könnte man glauben, sie hätte sich nur zum Schlafen niedergelegt und würde jeden Moment die Augen aufschlagen. Alles, was er jetzt wollte, war wenigstens einmal ihre Lippen zu spüren. Er beugte sich hinunter, schloss seine Augen und küsste sie auf den Mund.

Derweil hatte sich die Blutlache bis hin zu den Teufelswaffen ausgebreitet. Langsam begann die schwarze Substanz, sie zu zersetzen. Das, was getrennt wurde, fand wieder zusammen. Das Blut begann zurück in Nebulas Körper zu fließen.

Henrik küsste noch immer ihre Lippen.

Für einen Augenblick machte eine Explosion aus Weiß die Nacht zum Tag.

Als das Licht schließlich verebbte, erwachte Henrik aus seiner Trance und fühlte Hände, wie sie seinen Rücken umschlossen. Wie Nebula seinen Kuss zaghaft erwiderte. Vorsichtig löste er sich von ihren honigsüßen Lippen und öffnete seine Augen, nur um sich anschließend im tiefen Blau ihrer zu verlieren.
 

Als das grelle Licht durch die Fenster in den Ballsaal einfiel, schreckten die Gäste abermals angstvoll wie aufgescheuchtes Federvieh zurück. Was bisher passiert war, reichte scheinbar noch nicht aus. Eine Explosion aus Licht, wie am jüngsten Tag. Der namenlose Gott musste in dieser Nacht einen schlechten Tag gehabt haben. Dann versiegte der Schein. Was konnte das nur gewesen sein?

Annemaries Weinen fand endlich ein Ende. Sie strahlte stattdessen fröhlich und lächelte von einem Ohr zum anderen.

Clay gefiel die plötzliche Änderung ihres Verhaltens nicht. Menschen wechseln ihre Stimmung nicht von einem Moment auf den anderen, als betätige man einen Schalter. “Wieso bist du auf einmal so ausgelassen, Kleines?”, fragte er.

“Weil nun alles gut wird”, antwortete sie.

Clay wünschte, er könnte die Zuversicht des Kindes teilen. Er wurde dieses Gefühl einfach nicht los. Diese Ahnung, dass noch etwas viel Schlimmeres passieren würde. Wie Vögel, die schon Stunden vor einer Katastrophe die Flucht ergreifen.

Oder vielleicht wurde er nur allmählich verrückt.
 

Der grelle Blitz ließ Alaric in der Bewegung einfrieren.

Er und seine Leibwachen hatten den Platz vor dem Palast schon zur Hälfte passiert, gerade eben den reichlich verzierten Springbrunnen hinter sich gelassen, als plötzlich die Nacht taghell und heller wurde. Wenn auch nur für einen Moment. Eine große Macht strömte von dem Ort, dem sie eben erst den Rücken gekehrt hatten. Aber es war nichts Böses. Einzig ein Gefühl von Wärme.

Liebe.

Alaric konnte es nicht einordnen.

Er spürte, wie Emotionen eines Anderen in seinen Körper strömten.

Ehrfürchtig sah er sich um.

Zurück zum Eingang des Palastes.
 

Cerise musste sich geblendet abwenden.

Heimlich hatte sie sich aus einer Ahnung heraus zum Palast geschlichen, ohne entdeckt zu werden. Nun hockte sie oben auf dem Dach. So war ihr das Drama keineswegs entgangen, aber einzugreifen wäre Selbstmord gleichgekommen. Als das Licht erloschen war und sie wieder etwas sehen konnte, traute sie ihren Augen nicht. Das musste sie sich genauer ansehen, auch auf die Gefahr, vielleicht in einen Kampf verwickelt zu werden. Schnell kletterte sie vom Dach des Palastes herunter. Sie musste aus der Nähe betrachten, wie Lazarus dem Grab entstieg.
 

Henrik und Nebula sahen einander in die Augen. Die Tränen quollen dem braunhaarigen Jungen nun noch stärker als zuvor. Doch dieses Mal waren es keine Tränen der Trauer, sondern von ausgelassener, ehrlicher und purer Freude.

Sie war am Leben!

Noch einmal beugte er sich nach vorn, um ihr einen weiteren Kuss zu geben.

Nebulas Trunkenheit verflog. Als sie bemerkte, was Henrik im Schilde führte, nahm sie die Hände von seinem Rücken, legte sie auf seine Brust und stieß ihn von sich. “Das reicht jetzt aber!”, waren ihre ersten Worte nach der wundersamen Auferstehung.

Henrik ließ sie los, fiel wortlos nach hinten und landete auf seinem Gesäß.

Derweil stand die wieder frisch unter den Lebenden weilende auf und betrachtete ihren Körper. Alle Wunden aus dem Kampf mit dem Prinzen waren spurlos verschwunden, als hätten sie nie existiert. Ebenso der Schmerz. Einzig ein schmaler ovaler Spalt in ihrem Oberteil zeugte davon, dass es nicht nur ein böser Traum war.

Das sie tatsächlich gestorben war.

“Aber, Nebula!”, stieß Henrik beunruhigt aus.

“Wie kann das sein?”, fragte sie ihn. “Was hast du... Ich war doch...”

"Tod!", vollendete eine wohl bekannte Stimme. Cerise betrat die Bühne. “Ich habe es mit angesehen. Auch das Geflenne von dem da.” Sie deutete auf Henryk.

“Na großartig!”, grämte Nebula zu sich selbst. “Von den Toten auferstanden, um jetzt diese Plage am Hals zu haben!”

“Am Besten hat mir gefallen, wie der Junge Euch geküsst hat.”

Fassungslos sah Nebula Henrik an. “Du hast mich geküsst?!” Offenbar war ihr entfallen, dass sie den Kuss ihrerseits erwidert hatte. Oder vielleicht wollte sie es nicht wahrhaben.

“Ä-Ähm...”, stotterte der noch immer hilflos auf seinem Hintern sitzende Jüngling. “I-Ich… E-Entschuldigung!”

Nebula lief rot an.

Henrik war diesbezüglich nicht besser.

Beide schwiegen und mühten sich krampfhaft, aneinander vorbei zu sehen.

“Wirklich?!”, entrüstete sich die rothaarige Halbelfe über das Verhalten der anderen beiden. “Habt ihr zwei gerade keine anderen Probleme, als einen Kuss?”

Fragend sahen sie beide an.

“Zum Beispiel die Typen da drüben.” Cerise zeigte auf die anrückende Bedrohung.

Alaric kam, begleitet von seinen Stiefelleckern, auf die drei zu. Anima zuckte bereits in blaue Flammen gehüllt über ihren Köpfen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück