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Morgenstern

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Bei diesem Kapitel handelt es sich um eine überarbeitete Fassung des Originals!
Du wurdest gewarnt.
Der zweite Kampf Alaric vs. Nebula wurde überarbeitet und die beiden anderen erwähnten Waffen haben jetzt einen Auftritt. Komplett anzeigen

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Tod und Wiedergeburt - Teil 2


 

🌢

 

Angelockt von dem Lichtspektakel kehrten Alaric und seine Leibwächter zum Schauplatz des Kampfes zurück. Anstatt einer Leiche fand er die Frau, welche er besiegt und erschlagen glaubte, lebendig vor. Und nicht nur das. Auch der Junge von vorhin und eine ihm bis dato unbekannte Person befanden sich bei ihr. Es verlangte ihn nach Aufklärung. Er beschwor Anima als Drohgebärde, bevor er sie zur Rede stellte. “Wie kann das sein?”, entfuhr es ihm. “Ich erschlug Euch!”

“Tja, die ist nicht totzukriegen”, kommentierte die Fremde.

Alaric musterte daraufhin die Rothaarige genauer. Die unzähligen Dolche und Wurfmesser, welche überall an ihrer Kleidung angebracht waren und ihre unverkennbare Gewandung, exponierten sie als Attentäterin. “Und wer seid Ihr?”

Sie vollführte einen damenhaften Knicks. Nicht aus Respekt, sondern vielmehr aus Spott. “Cerise von den Schattenschwestern.”

“Und wem wollt Ihr das Leben nehmen, Assassine?”

“Wenn Ihr schön artig bleibt, dann niemandem.” Sie betrachtete ihre Hände und pulte den Dreck unter den stählernen Krallen an ihren Handschuhen hervor, der vom herabklettern der Palastmauer zurückgeblieben war, anstatt ihre Aufmerksamkeit dem Prinzen zu widmen. “Ich bin eigentlich auch nur auf der Durchreise.”

“Genug geredet!”, unterbrach Nebula. Sie streckte ihre beiden Arme aus und versuchte zu widerholen, was ihr bereits zuvor unter Einfluss der dämonischen Macht gelungen war, und zwei Waffen gleichzeitig zu führen. “Erstehe auf aus der Glut, Embershart!” In ihrer linken Hand nahm ein Schwert Gestalt an, das sofort wieder verglühte. “Durchstoße die Herzen meiner Feinde, Lancelot!” In ihrer rechten Hand entstand eine Lanze. Nebula sprang Kampfschrei schmetternd auf den Elfenprinzen zu. Sie landete vor ihm und den Leibwächtern, welche für sie aussahen, als bewegten sie sich in Zeitlupe, und versetzte Alaric einen heftigen Tritt. Die Kraft ihres Angriffs lehrte Alaric das Fliegen und katapultierte ihn durch den Hofeingang und Meter weit über den Platz, hinein in den großen Springbrunnen. Das Anima in seinen Händen zog eine Spur aus blauen Flammen hinter sich her. Bevor die Leibwächter auch nur reagieren konnten, stieß sich die Blondine erneut vom Boden ab, um den Kampf zum feindlichen Prinzen zu tragen.

“Was war denn dass gerade?”, verlangte Cerise nach Aufklärung.

“I-Ich habe nicht d-den blassesten Schimmer!”, antwortete Henrik. Er war nicht in der Lage, den Bewegungen zu folgen.

Alarics Leibwächter schienen etwas hilflos. Doch dann beschlossen sie, Alaric den Kampf gegen die Blonde zu überlassen, da es ihnen sowieso nicht möglich war, dieses Niveau zu halten. Stattdessen zogen sie ihre Waffen und griffen Cerise und Henrik an. Gegen die beiden rechneten sie sich bessere Chancen aus.

Der Junge suchte Schutz hinter einem der Kirschbäume.

Die Attentäterin hingegen zückte einen Dolch und machte sich Kampfbereit.

Die Männer stürmten zu dritt auf die Rothaarige zu und versuchten sie mit ihren Schwertern zu erstechen. Cerise wich jedem Angriff geschickt aus. Henrik beobachtete sie. Für ihn sah es aus, als tanze sie mit den Schwertern ihrer Gegner. Aber dann gelang es doch einem, sie zu treffen. Ein Schnitt erschien auf ihrem Oberarm.

Aus ihrem Spiel mit den Männern wurde Ernst.

Cerise sprang ein Stück zurück und inspizierte die Verletzung. “Aua!”, sagte sie. Diese schwertschwingenden Grobiane, denen es an jeglichem Feingefühl fehlte, und die wahrscheinlich auch zu dumm waren, sich ohne Anweisung ihres Herren selbst den Hintern abzuputzen, hatten es tatsächlich geschafft, sie zu verletzen. Diese Tatsache war unvereinbar mit ihrem Stolz, welcher so groß war, dass er mit Leichtigkeit den Palast überragte. “Genug gespielt! Nun seid ihr dran!” Mit diesen Worten rannte sie auf die Männer zu, wich dem Schwerthieb des ersten Leibwächters aus und schlitzte fast gleichzeitig dem zweiten die Kehle auf. Als der dritte sein Schwert auf sie richten wollte, drehte sie sich blitzschnell um die eigene Achse, packte den ersten beim Kragen und stieß ihn in die Klinge des dritten. Als dieser nun versuchen wollte, sein Schwert aus seinem Kameraden zu ziehen, sprang sie mit einem einzigen Satz hinter ihn, packte seinen Kopf und brach ihm mit einem hässlichen knackenden Geräusch das Genick.

Fast gleichzeitig schlugen die Körper der drei Männer auf dem Boden auf.

“Unfassbar!”, staunte Henrik aus seinem Versteck heraus.

“Kleinigkeit!”, kommentierte die Rothaarige. “Davon werde ich nicht mal warm.”

Plötzlich stürmten einige der Wachen aus dem Palasteingang heraus.

Cerise wandte sich ihnen zu. “Ihr kommt auch erst dann, wenn die Party vorbei ist!”

 

Unterdessen bezogen Nebula und Alaric während ihrer Auseinandersetzung den gesamten zur Verfügung stehenden Raum vor dem Palast mit ein. Sie bekämpften sich quer über den Platz.

Nachdem der Prinz zuvor im Brunnen gelandet war, konnte er gerade noch ausweichen, bevor die Prinzessin ihre Waffen in ihn treiben konnte. Stattdessen zerstörte sie das Becken des Brunnen, weshalb sich seither sein kühles Nass über die Pflastersteine ergoss und den Boden in eine rutschige Schlitterpartie verwandelte.

Alaric hatte seine Mühen, die wilden Hiebe der Blonden abzuwehren.

Eben erst machte sein Oberarm Bekanntschaft mit dem Spezialangriff des Embershart. Eine Wolke aus Glut umhüllte ihn und äscherte den linken Ärmel seiner noblen Kleidung ein. Auf seiner Haut blieben schmerzhafte Verbrennungen zurück.

“Überschallstoß!”

Der Elfenprinz formte mit der Kette seines Anima eine Barriere, mit der er den Angriff seiner Gegnerin abblockte. Die Wucht des Stoßes mit Lancelot schleuderte Alaric dennoch rücklings gegen eine Hauswand. Mit aller Macht wirkte er der Kraft entgegen und befreite sich aus seiner misslichen Lage, indem er im rechten Moment zur Seite sprang. Mit dieser Teufelswaffe zuzustechen kam dem Schuss mit einer Kanone gleich.

Diese Frau war nicht nur auferstanden, sondern hatte auch einiges an Stärke und Schnelligkeit zugelegt. Auch wenn ihre Bewegungen etwas unbeholfen und plump wirkten. Sie schien den Kampf mit zwei Waffen zu improvisieren.

Alaric entschied sich dazu, sein Schwert zu Hilfe zu nehmen, welches er den schmerzenden Brandwunden zum Trotz mit der linken Hand führte, während die rechte die Teufelswaffe Anima bewegte. Er stürmte vor und konfrontierte Nebula im Nahkampf, da ihm bewusst war, dass er auf Distanz gegen die Stoßkraft des Lancelot unterliegen würde. Als es ihm gelang, beide Waffen gleichzeitig zu parieren, nutzte er die Zeit, um mit seiner Gegnerin ins Gespräch zu kommen.

“Wie macht Ihr das?”, fragte er. “Erst kehrt Ihr von den Toten zurück und nun seid ihr nicht nur viel stärker, sondern könnt zwei Waffen gleichzeitig führen.”

“Ach das ist ungewöhnlich”, spottete Nebula. “Ich dachte, das ist immer so!”

“Macht Euch nicht über mich lustig!”, forderte Alaric. “Manche haben versucht mehrere Waffen zu führen, doch sie sind fast alle wahnsinnig geworden.”

“Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wovon Ihr da redet!”

“Seid Ihr niemals darin unterwiesen worden, eine Teufelswaffe zu führen?”

Alaric spürte sein Schwert nachgeben. Er musste sich aus seiner misslichen Lage befreien, bevor das passierte, und trat nach Nebula. Sie wurde meterweit durch die Luft katapultiert, konnte jedoch sicher landen. Als ihre Füße aufsetzten, ließ sie die Kraft des Trittes noch ein ganzes Stück auf den glatten Pflastersteinen schlittern.

“Dreckskerl!”

Alaric holte bereits mit Anima aus.

Nebula entschied sich, mit Lancelot zu kontern.

“Dann lasst uns sehen, welche Waffe stärker ist!”, schrie Alaric.

Die beiden Teufelswaffen, welche beide ihre Länge zu variieren vermochten, stießen mit voller Wucht zusammen. Weder Alaric noch Nebula gedachten daran nachzugeben, bis ein lauter Krach ertönte und Anima und Lancelot voneinander abprallten. Der Rückstoß ließ beide Kontrahenten ins Taumeln geraten.

Nebula fing sich zuerst und tauschte die Lanze gegen ihren den Donner beherrschenden Speer ein. “Gehe hernieder, Gungnir, Speer des Himmels!” Wie ein Blitz stürmte sie auf Alaric zu.

Dieser wollte gerade ihren Angriff parieren, als Nebula plötzlich verschwand. Zu spät dämmerte es ihn. Er wandte sich um und versuchte vergeblich, sich mit Anima zu schützen, als ihn die Wolke aus heißer Glut traf und Embershart nicht nur seine Kleidung versenkte, sondern ihm überall schmerzvolle Brandwunden zufügte.

Nebula zog ihren Arm zurück und verfestigte Embershart dabei zu einer gewöhnlichen Klinge. Sie holte in einer vollen Drehung Schwung, zog die Teufelswaffe diagonal über Alarics Körper und schlug ihm gleichzeitig Anima aus der Hand. Dabei erwischte sie ebenfalls den Kopf des Elfen.

Blutend und um sein rechtes Auge beraubt, torkelte Alaric rückwärts.

Wie konnte er nur so kläglich versagen?

Möglicherweise hatte er zuvor auf dem Bankett tatsächlich seine eigene Ehre beschmutzt und dies war nun die Strafe.

Nebula nutzte seine Schwäche und tauschte beide Waffen gegen Mirage aus, welches sie mit der rechten Hand führte. “Entfessele die Angst, Mirage!” Sie griff Alaric ein letztes mal an. “Ich wünsche Euch süße Träume!”, sagte sie triumphierend, als sie den Dolch in seine Eingeweide trieb, wohl wissend, welches Leid ihm diese Waffe in den letzten Momenten seines Lebens zufügen würde. Der Hofzauberer würde mit seiner Leiche schon was anzufangen wissen. Ihre Augen funkelten und die süße Vergeltung ließ ein Lächeln ihr Gesicht zieren. Alaric torkelte rückwärts und streckte seinen Arm nach ihr aus. Sein blutverschmiertes Gesicht war von Angst entstellt. Welche Albträume ihn Mirage zeigte, würde für immer sein Geheimnis bleiben. Er fiel zu Boden.

Die blauen Flammen des Anima erloschen zusammen mit dem Glanze in seinem Auge.

Sie hatte gewonnen.

Es war vorbei.

 

Ein abscheuliches Gebrüll hallte durch ganz Ewigkeit.

Im Thronsaal schreckte Clay auf. Seine Ohren waren nicht nur in der Lage, das immer näher kommende monströse Geräusch zu vernehmen, sondern auch das Lodern von Flammen und das Schlagen von mächtigen Schwingen. Was da kam, war kein normales Ungeheuer. Die Angst lähmte ihn.

“Was hast du?”, fragte ihn Annemarie.

“Es kommt!”, antwortete der Werwolf verstört.

 
 

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Drei Jahre zuvor.

Eerika schlenderte mit einem großen geflochten Weidenkorb auf ihrer Schulter über den Marktplatz. Sie hatte ockerblonde geflochtene Haare. Es war Einkaufstag und wenn ihr Gatte von der Arbeit heimkehren würde, wollte sie ihm etwas frisches zum Abendbrot kredenzen.

Einige Äpfel, etwas Brot, einen Fisch und eine Käseecke hatte sie bereits erstanden.

Sie brauchte noch etwas Lauch und einen Salatkopf.

Auf den Markt fand sich auch der ein oder andere Gemüseverkäufer. Aber Eerika hatte ihren Stand, den sie regelmäßig aufsuchte. Der glatzköpfige Mann überzeugte mit seinem Angebot. Es war ihr noch nie untergekommen, ein welkes Blatt an seinen Waren auszumachen. Er verkaufte die frischeste Ware in ganz Ewigkeit.

“Guten Morgen, Eerika”, grüßte der freundliche Mann, der inmitten des Gemüses auf Kundschaft wartete, seine Stammkundin. “Sagt, wie geht es den deinem Tarben?”

“Schuftet sich den Rücken krumm”, antwortete sie.

“Also alles wie gehabt?”

“Ich sage andauernd, er solle seinen Meister bitten, ihm die extra Arbeit zu entlohnen.”

“Aber er hat es noch nicht getan?”

“Er fürchtet sich, dass sein Meister ihn hochkant hinauswirft.” Eerika berührte mit der linken Hand ihren leicht konvexen Bauch. “Er hat Angst davor, unsere kleine Familie nicht ernähren zu können.”

“Dennoch kann es so nicht weitergehen!” Dann schwenkte der Mann vom Smalltalk zum Verkaufsgespräch um. “Was darf es denn sein?”

“Einen Kohl und einen Lauch.”

“Ich habe heute Morgen erst eine frische Lieferung von Bauer Knut erhalten.”

Die Hausfrau sah sich die Waren an und traf ihre Wahl. Dann ging sie zum Verkäufer zurück und Münzen wechselten den Besitzer. Sie wollte sich gerade verabschieden, als etwas ihre Wange streifte. Sie spürte Blut ihre Wange hinunter laufen.

Der freundliche Gemüseverkäufer fiel nach hinten um.

Die Marktbesucher verstreuten sich panisch in alle Himmelsrichtungen.

Erst jetzt wurde Eerika bewusst, was sich vor ihren Augen zugetragen hatte. Ein schwarzer Bolzen hatte ihre Wange gestreift und den Mann genau zwischen die Augen getroffen. Nun lag er tot hinter seinen ausgestellten Waren auf dem Boden. Die Furcht keimte in ihr auf. Sie verlor das Gleichgewicht und setzte sich vor Schreck auf ihr Hinterteil. Sie konnte sich noch abstützen, doch die Waren in ihrem Korb verteilten sich überall auf dem Boden. Sie verschwendete keinen Gedanken daran sie aufzuheben und floh ebenfalls vom Schauplatz des Mordes.

 

Sie hatte sich nach drei Wochen noch immer nicht daran gewöhnt, jetzt den Platz der Prinzessin eingenommen zu haben, ihre Kleider aufzutragen und Befehle zu erteilen, wo sie sie einst nur empfangen hatte. Alle wurden angewiesen, sie so zu behandeln, als sei sie Emelaigne Morgenstern, als sei sie die rechtmäßige Thronerbin, und nicht irgend eine Magd von niederem Stande. Währenddessen hockte die echte Prinzessin noch immer in der finsteren Isolationszelle.

Bei dem Gedanken, Emelaigne allein im Verlies versauern zu lassen, wurde der Aushilfsprinzessin ganz flau im Magen. Sie beschloss ihr einen Besuch abzustatten. Sie nahm sich erneut einen Eimer und füllte ihn mit Wasser. Sie legte einen Schwamm ins kühle Nass und besorgte sich ein Stück Seife. Genauso wie an jenem Tag, an dem sie sie das erste Mal sah. Als man ihr auftrug, sie zu waschen. Doch dieses mal tat sie es aus freien Stücken.

Als erlebe sie ein Dejavu, versuchten die Wachen sie zu stoppen. “Was wird das?!”, mahnte der eine. “Hier hat niemand Zutritt!”

“Lasst mich herein!”, forderte die geadelte Bedienstete. “Ich will die Gefangene waschen!”

“Unsinn!”, meinte der andere. “Wir können Euch nicht durchlassen! Arngrimr hat-”

“Ihr sollt meinen Anweisungen Folge leisten”, erinnerte die blonde Frau die Männer an ihre Befehle. “Ich verlange, dass ihr mich herein lasst!”

“Aber-”

“Sie hat Recht. Wir müssen ihr gehorchen. Auf Geheiß des Königs.”

Die Kerkerwachen öffneten widerwillig die Tür und ließen sie eintreten. Danach wurde die Eisentür wieder verriegelt. Sie kannte die Losung: Drei mal klopfen.

Emelaigne saß in der Mitte des Raumes. Sie war noch immer mit den verwunschenen Ketten Arngrimrs gefesselt, welche angeblich die Macht besitzen sollten, die böse Energie zurückzuhalten.

“Wie geht es Euch?”, fragte die Besucherin.

Emelaigne sah der Stimme entgegen.

“Mein Name ist Caroline.”

Emotionslose Augen starrten die Magd im Prinzessinengewand an.

“Du bist Emelaigne. Die Prinzessin.”

“Prinzessin”, wiederholte Emelaigne. Es war seit Langem das erste Wort, das sie sprach.

“Genau! Du bist die Prinzessin.”

“Ich habe sie alle umgebracht!” Emelaigne schlug die Arme über dem Kopf zusammen. Die Ketten rasselten. Ihr Gesicht war gezeichnet von Grauen und Abscheu. Dann bemerkte sie den Eimer in Carolines Hand und entriss ihn ihr. Sie zog sich mit ihrer Beute in eine Ecke zurück und begann wie wild mit dem Schwamm auf ihren Händen zu rubbeln.

“Was machst du da?”, fragte Caroline.

Kurz unterbrach Emelaige ihr tun. “Ihr Blut klebt noch immer an meinen Händen!”, antwortete sie mit Wahnsinn in ihrer Stimme.

Caroline konnte aber kein Blut ausmachen. “Da ist keins!”

“Ich muss es abwaschen!” Emelaigne begann erneut zu reiben. Und sie tat so, bis ihre Hände wund wurden.

"Du tust dir weh!"

Aber Emelaigne hielt nicht inne.

Caroline hatte Mitleid mit der Prinzessin. Sie musste ihr helfen aus diesem Loch zu entkommen. Aber dafür müsste sie ihr zuerst helfen, mit ihren Taten klar zu kommen.

 

In den letzten Wochen gab es immer wieder willkürlich anmutende Mordanschläge in Ewigkeit. Diese Meldung ließ sich nicht mehr länger geheim halten. Kunde von den Taten eines vermeintlich wahnsinnigen Mörders hatten inzwischen auf Umwegen auch das Ohr des Königs erreicht. Er hatte den Hauptmann der Wache zu sich rufen lassen.

Der bärtige Mann mit den dunkelbraunen Haaren kniete vor seinem Herren.

“Steht auf!”, befahl der Herrscher. “Ich ziehe es vor, meinem Gegenüber in die Augen zu sehen, wenn ich ein Gespräch führe.”

“Verzeiht, mein Herr!”, sagte der Hauptmann und leistete Folge.

“Lasst mich Euch eine Frage stellen, Sir Anthony.”, eröffnete der König. “Wie kann es sein, dass meine Untertanen in Furcht vor einem Wahnsinnigen leben und der Hauptmann der Wache mir gegenüber kein Sterbenswörtchen darüber verliert, sodass ich es hinten herum von einem meiner Pagen erfahren muss?”

“Mein Herr, gestattet Ihr mir offen zu sprechen?”

“Ich bitte darum! Tut wie Euch beliebt.”

“In den letzten Wochen ist viel geschehen. Ihr wart nicht mehr wiederzuerkennen. Drum dachte ich, ich könnte Euch wenigstens diese Sorge ersparen.”

“Es ist nicht an Euch zu entscheiden, was ich mir zumuten kann und was nicht!” Aber der König musste sich wohl oder übel eingestehen, dass es stimmte. “Dennoch will ich Euch für Eure Umsichtigkeit danken.”

“Die Stadtwache hat keinen Stein auf den anderen gelassen. Wir werden den Verantwortlichen zur Strecke bringen, Eure Majestät!”

Sir Anthony wandte sich ab und verließ den Thronsaal.

Ein blondes Gewitter huschte an ihm vorbei.

Caroline trat an den Thron heran und kniete vor dem Herrscher nieder. “Mein König.”

“Caroline!” Das Erscheinen des Mädchens wunderte ihn.

“Verzeiht, aber ich habe den Wachen befohlen, mich herein zu lassen.”

Der König zeigte sich wenig Begeistert über diese Störung.

“Hört mich an, bitte.”

“Was bedrückt dich?”

“Eure Tochter. Ist Euch klar, wie sie dort unten gehalten wird?”

Der König sah Tränen in vorwurfsvollen Augen. “Steh auf!”, befahl er in herrischen Tonfall. “Meine Tochter würde niemals vor mir knien!”

Caroline leistete Folge.

“Natürlich weiß ich, wie es Emelaigne dort unten geht. Aber was bleibt mir übrig? Sie ist gefährlich. Meine Leute leben in Furcht vor ihr. Sie bleibt in dieser Zelle, bis sie keine Gefahr mehr darstellt!”

 

Es vergingen weitere Wochen.

Der Hofzauberer kam von Zeit zu Zeit und versuchte mit mystischen Beschwörungen und magischen Tinkturen den Teufel aus Emelaigne auszutreiben. So behauptete er zumindest. In Wahrheit befriedigte er seine wissenschaftliche Neugier an seinem unfreiwilligen Versuchsobjekt. Die Studien an einem echten Waffenmeister waren zu verlockend. Ihm fiel auf, dass die regelmäßigen Besuche der Doppelgängerin einen Effekt auf den Geisteszustand der Prinzessin hatten. Daraufhin erlaubte er dem Mädchen, Emelaigne einmal täglich einen Besuch abzustatten.

Es war wieder an der Zeit.

Die Tür wurde entriegelt.

Einen Menschen zu haben, mit dem sie über ihre Erlebnisse sprechen konnte, half ihr mehr als alles andere. Emelaigne berichtete Caroline im Verlauf der letzten Wochen von dem Mord an ihr, von der finsteren Schwärze der anderen Seite und von der Stimme in ihrem Kopf, die ihr andauernd abscheuliche Taten schmackhaft machte.

Caroline trat ihr gegenüber. “Hallo Emmi!”, grüßte sie.

“Hallo, Caro!”, erwiderte die Prinzessin.

Inzwischen waren sie sich so nah gekommen, dass sie sich vertraut und ohne Scheu mit Kurzformen ihrer Namen ansprechen konnten.

“Ich muss dir unbedingt etwas erzählen”, eröffnete Caroline. “Heute ist es endlich so weit! Ich werde zum ersten mal an deiner Stelle vor das Volk treten.”

“Schön für dich! Ich habe diese Vorführungen früher immer gehasst!”

“Und jetzt ist das nicht mehr so?”

“Ich würde gern unter das Volk treten.” Sie hob ihre gefesselten Arme an. “Doch wie soll ich das hier bitte erklären?”

“Dafür hast du ja mich!” Carolines Gesichtsausdruck verfinsterte sich. “In Zeiten wie diesen, braucht das Volk seine Prinzessin erst Recht. Es wird ihnen Hoffnung geben.”

“Danke, Caro!”

“Hast du noch einen Rat für mich?” Sie hob ihrerseits die Hände an. Sie zitterten. “Ich bin tierisch aufgeregt!” Caroline zwang sich ein Lächeln auf, welches ihre Angst jedoch nicht zu verbergen vermochte.

“Sei einfach du selbst! Wenn die Prinzessin urplötzlich die Etikette achtet, würde das Volk es nicht glauben. Ich tat es nie.”

“Danke, Emmi. Ich werde es beherzigen!”

Sie wechselten das Thema und sprachen über allerlei verschiedene Dinge.

Die Zeit verging wie im Fluge.

 

Vor dem Eingang des Palastes hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Nachdem die Gerüchte über den angeblichen Tod der Prinzessin den Umlauf gemacht hatten, zog es sie alle her. Es verlangte ihnen danach, die Prinzessin zu sehen. Die Besucher waren so zahlreich, der Platz vor dem Palast war vollkommen überfüllt und die Wachen hatten ihre Mühen, die Ordnung zu wahren.

“Wo ist die Prinzessin?”, verlangte ein Mann Auskunft.

“Zeigt uns de Prinzessin!”, skandierte ein anderer, welcher hörbar aus Faringart stammte. “Mia hom a Recht auf de Wahrheit!”

Die Stimmen wurden immer lauter.

Bis sich endlich die Türen des Palastes öffneten.

 

Der Heckenschütze von Ewigkeit hatte sich im Glockenturm einer nahegelegenen Kirche verschanzt. In seinen Händen hielt er eine massive schwarze Armbrust. Er folgte jeder Bewegung des jungen Mädchens, welches er für die Prinzessin hielt.

Wenn ich die Prinzessin erschieße, dachte er, werde ich berühmt.

Er grinste zufrieden über sich selbst und seine eigene Genialität, während er auf die passende Gelegenheit wartete, den tödlichen Schuss abzugeben. Er würde treffen. Selbst zweihundert Metern Entfernung waren kein Problem. Alles was er brauchte, war ein Ziel. Und das hatte er. Er fixierte den hübsch frisierten Kopf ihrer Hoheit.

Gastraphetes würde es schon richten.

Emelaigne saß unbeteiligt an der Wand neben der Tür gelehnt und ertrug vollkommen teilnahmslos die Einsamkeit, bis sich die Tür erneut öffnen und ihr Abendessen gebracht werden würde - sofern man diesen Fraß als essbar bezeichnen wollte.

Man hielt sie wie einen Verbrecher!

Aber war es so unangemessen und widersprüchlich, sie so zu behandeln? Nach allem Leid und Tod, das sie zu verantworten hatte? Mehrere der Wachen, welche durch ihre Hand den Tod fanden, hatten Familie. Sie hätte ein solches Monster längst töten lassen, anstatt es ins Verlies zu werfen. Sie war doch nichts weiter als ein bissiges Tier, welches Menschen anfiel! Vater sollte keine Gnade zeigen.

Plötzlich riss sie das Gespräch der Wachen vor der Tür aus ihrer Selbstgeißelung.

“Und, was glaubt Ihr?”, plauderte der eine Wächter ungezwungen drauf los. “Wird der Attentäter heute wieder zuschlagen?”

“Das kann durchaus sein”, bestätigte der andere Wächter genervt.

“Ich meine, er hat in den letzten Wochen immer wieder jemanden umgenietet”, setzte der erste seine Rede unverfroren fort.

“Ja, da habt Ihr Recht.” Der zweite wurde immer brummiger. Er konnte sich schönere Dinge vorstellen, als darüber zu spekulieren, wann ein Verbrecher das nächste mal zuschlagen und jemanden ermorden würde.

“Es würde mich nichtmal wundern, wenn er heute mitten in die Menge schießt.”

Emelaigne horchte auf.

“Vielleicht tut er das.”

“Oder vielleicht erschießt er gleich die Prinzessin!”

Der andere lachte. “Das dürfte ihm schwer fallen. Die hockt immerhin hinter dieser Tür.”

Emelaigne war sofort klar, dass sich Caroline in ernster Gefahr befand. Sie musste sofort aus dieser Zelle raus! “Wachen! Lasst mich raus!”, rief sie ihnen zu.

“Als ob wir eine Mörderin rauslassen würden!”, antwortete der erste Wächter.

“Ich bitte Euch! Ich will sie retten!” Die Angst um Caroline trieb Emelaigne dazu, um ihre Freilassung zu flehen. Sie stellte sich an die Tür und begann zu klopfen.

“Das können wir leider nicht verantworten!”, antwortete der zweite Wächter.

“Bitte!”, wimmerte sie während das dumpfe Schlagen an das Metall allmählich an Kraft verlor. Aber die Männer reagierten nicht mehr auf ihre Rufe. Emelaigne sackte zusammen und kniete vor dem Ausgang. Wenige Zentimeter Metall trennten sie von der Freiheit. Sie betrachtete die Ketten. Sie musste ihre Fesseln abstreifen. Eilig ging sie zur Wand und schlug ihre Handgelenke so fest sie konnte immer und immer wieder gegen den Stein, bis die Schellen brachen und von ihren Armen fielen.

“Die spinnt doch!”, entrüstete sich der erste Wachmann über all dem Lärm aus der Zelle hinter ihm. “Als ob wir dieses Monster freiwillig raus lassen wür-”

Ein gewaltiger Knall.

Eine deutliche Delle erschien in der Tür.

Ungläubig starrten beide Wachen auf das verbogene Metall.

Mit einem weiteren Knall sprang die Tür zwischen ihnen aus den Angeln. Die Männer fühlten einen starken Luftzug entweichen, als jemand in Windeseile an ihnen vorbei rannte. Ängstlich hielten sie ihre Fackeln in die schwarze Kammer und schauten nach, nur um festzustellen, dass die Prinzessin nicht mehr in ihr war.

 

Der Wind stand günstig.

Es war die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte.

Der Heckenschütze vertraute vollends in das düstere Mordwerkzeug in seinen Händen. Er stoppte seinen Atem, korrigierte ein wenig den Winkel und wollte den Abzug betätigen. Aber dann überkam ihn das ungute Gefühl, nicht allein zu sein. Anstatt zu schießen, wandte er sich um. Er stellte fest, dass er tatsächlich nicht allein war. Ein blondes Mädchen in Lumpen stand vor ihm, das haargenau so aussah wie die Prinzessin. Ihre Augen glühten rot und in ihrer rechten Hand hielt sie ein schwarzes Schwert.

Ihre Erscheinung ängstigte den Mann so sehr, dass seine zitternden Hände ungewollt die Armbrust abfeuerten. Der Bolzen traf das Mädchen in die rechte Schulter. Unbeeindruckt zog sie das Projektil heraus und warf es weg. Noch im Flug verschwand es. Sie nutzte die Starre des Heckenschützen aus und stürmte vor. Mit einem geschickten Schwung schlug sie ihm den Arm ab. Das Blut spritzte und Gastraphetes viel zusammen mit dem Unterarm zu Boden. Noch bevor er den Verlust seiner Gliedmaße realisierte, hatte das Mädchen ihn bereits mit dem schwarzen Schwert durchbohrt.

Sie kannte keine Gnade!

Nur die Klinge hielt den Körper noch aufrecht. Das Mädchen stemmte ihre Fuß gegen den Brustkorb und befreite ihr Schwert von der Last. Der Heckenschütze von Morgenstern stürzte in die Tiefe und schlug mit einem dumpfen Plopp auf dem Boden auf. Unter ihm breitete sich eine Blutlache aus.

 

Unterdessen hatte sich die Kunde von Emelaignes Ausbruch im ganzen Schloss verbreitet. Die Wachen brachten die falsche Prinzessin in Sicherheit und lösten die Versammlung auf.

Caroline vernahm nur gedämpfte Schreie einiger Besucher. Der Zufall leitete ihre Augen zur Turmspitze der Kirche, wo sie glaubte ihre Freundin Emelaigne zu sehen, welche just in diesem Moment eine schwarze Masse in sich aufnahm.

 

Emelaigne trat an die schwarze Armbrust heran. Diese bizarre Waffe rief ein befremdliches und doch so vertrautes Gefühl in ihrem Inneren hervor. Es war, als würde diese Waffe zu ihr sprechen. Sie glaubte, ein leises Flüstern zu hören. Verhalten säuselte ihr die Armbrust ins Ohr, sie solle sie aufheben. Ohne weiter zu zögern, griff Emelaigne nach ihr und nahm sie an sich. Genau in jenem Moment büßte die Waffe ihre feste Form ein und lief als Flüssigkeit ihren Arm hinunter. Dabei trat ihrerseits eine schwarze Flüssigkeit dampfend aus ihrem Arm hervor, um sich mit der anderen zu vereinigen. Bald bildete sich eine homogene Masse, welche sich ins Körperinnere zurück zog.

Emelaigne nahm ihren ausgestreckten Arm herunter und führte ihn in ihr Sichtfeld.

Es war keine Spur mehr von der schwarzen Flüssigkeit auszumachen.

In ihrem Inneren fühlte sie eine noch bösartige Energie als zuvor. Eine Finsternis, welche ihre Substanz ins Wanken brachte. Ein Fremdkörper hatte begonnen sich in den kläglichen Rest ihrer Seele hineinzufressen. Sie wollte nicht noch einmal die Kontrolle verlieren! Sie spürte mit jeder Faser das Fortschreiten des Prozesses. Ein stetig heftiger werdender Schmerz schoss wellenartig durch ihren Schädel. Der Widerstand gegen die Finsternis wurde Sekunde um Sekunde unerträglicher.

Sie presste ihre Hände an ihren Kopf. Ihre Finger vergruben sich in ihren Haaren. Mit zusammengekniffenen Augen schritt sie umher, ungeachtet, das sie sich noch immer oben im Glockenturm der Kirche befand und es kein Geländer gab.

Als der Schmerz so stark wurde, dass sie ihn nicht mehr spüren konnte, versagten ihr die Beine. Sie stieß mit dem Kopf gegen die Glocke und ging zu Boden.

 
 

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Zurück in der Gegenwart.

Der seltsame Krach ließ auch Nebula sofort aufhorchen, welche noch immer wie hypnotisiert auf die schwarze Kettenwaffe herab blickte. Sie sah sich um und entdeckte etwas am dunklen Nachthimmel. Es hatte Flügel und wirkte wie ein viel zu groß geratener Vogel. Doch die schliefen Nachts. Als es plötzlich sein Maul aufriss, trieb es eine weite zylinderförmige Stichflamme vor sich durch die Luft. Es kam näher und endlich erkannte sie, was es für eine Kreatur war. Ein Untier, dass es eigentlich nur in Sagen und Erzählungen geben dürfte. Bedeckt von Kopf bis Fuß mit Schuppen. Eine geflügelte Echse. Ein leibhaftiger Drache.

Die Kreatur kam auf Nebula zu und landete nicht weit von ihr.

Als der Drache landete, ließ die Erschütterung des Bodens sie fast das Gleichgewicht verlieren. Mit Mühe hielt sie sich selbst aufrecht, bis sie der Schwanz des Monsters voll erwischte und von den Füßen riss.

Henrik und Cerise hatten alles beobachtet und eilten ihr zu Hilfe, während die Palastwachen nicht wusste, was sie tun sollten. Henrik und Cerise waren erleichtert zu sehen, dass der Schlag Nebula nicht verletzt hatte und es ihr gut ging.

“Mein Gott!”, keuchte die Blondine, als sie aufstand. “Fast hätte ich noch Mal den Löffel abgegeben.”

“E-Ein Dr-Dra-Drache!”, stotterte Henrik ängstlich. Er konnte nicht aufhören das Ungetüm anzustarren.

Cerise schwieg. Sie wirkte nicht zu überrascht.

Oben auf den Schultern des Monstrum saß eine Person. Eine Frau mit langen glänzenden schwarzen Haaren und einem ebenfalls langen gewundenen Stock mit einer großen Perle aus Bernstein an seinem Ende. Die Perle hatte einen schwarzen Einschluss, der sie bald wie eines der Augen des Drachen wirken ließ. War es vielleicht eine Art Zauberstab? Der Drache senkte seinen Kopf, sodass sie mühelos absteigen konnte. Sie trug ein enges Korsett, lange, schwarze Gewänder mit einem Pelzkragen, einen welligen Rock und hohe Stiefel. Sofort zog es sie zur Leiche von Alaric. “Was haben sie dir angetan, Bruder?”, monologierte sie.

Nebula, Cerise und Henrik kamen vorsichtig näher.

Als der Drache es bemerkte, fauchte er sie an, sodass ihnen ein heftiger Windstoß ins Gesicht blies. Sein Mundgeruch war schlimmer, als jeder Feuerodem hätte seien können. Ein Gestank, der sich gewiss aus den zahllosen Überresten unglückseliger Opfer der Bestie zusammensetzte, welche sich noch immer in den Zwischenräumen seiner Reißzähne befinden mussten. Die Übelkeit in ihren Mägen, stoppte die Drei abrupt.

Derweil vollführte die Unbekannte merkwürdige Bewegungen, welche zum Ziel hatten, die gesammelten Seelen zu übernehmen. Es war der Tanz der Seelen. Die Essenzen aller Opfer von Anima übertrugen sich von Alaric auf sie und sammelten sich in einem leuchtenden Orb, welcher über ihrer Hand schwebte. Sie sah sie an, prüfte ihre Qualität und verzog angewidert das Gesicht. “Wiederlich!”, sagte sie und ließ daraufhin die meisten von ihnen frei. Ihre Energien bewegten sich zum Palast und durchdrungen seine Mauern. Derweil bestaunte sie die eine, welche sie noch in ihrem Besitz behielt. “Diese hier ist perfekt.” Sie hockte sich neben Alaric und drückte die Energiekugel in seinen Brustkorb hinein. Der leuchtende Orb verschwand und Alarics Wunden schlossen sich. Allerdings blieb sein rechtes Auge weiterhin unbrauchbar.

Blaue Flammen entzündeten sich, fast als ob auch Anika zu neuem Leben erwachte. Alaric schreckte auf. Er blickte durch sein verbleibendes Sehorgan in das Gesicht der Frau, die ihn ins Reich der Lebenden zurückgeholt hatte. “Sch...wester”, sprach er noch immer schwach.

“Was habt Ihr getan?”, stellte Nebula die Frau zur Rede.

“Warst du das?”, erwiderte sie wütend. “Hast du dich an meinem Bruder vergriffen?”

“Beantwortet meine Frage!”

“Sonst was? Vielleicht sollte ich Fafnir befehlen, dich vorlautes Menschlein zu rösten! Sein Mundgeruch reicht offenbar nicht aus, dich mit Ehrfurcht zu erfüllen. Erst wagst du Hündin es, die Hand gegen die Elfenrasse zu erheben und jetzt bist du auch noch vorlaut! Ich habe meine Bestien schon wegen geringerem Städte niederbrennen lassen!”

“Seid Ihr etwa Prinzessin Lezabel?”, fragte Cerise.

Die Frau musterte sie. Sah ihre nicht ganz so spitzen Ohren und die blasse Haut. Dann spuckte sie vor Abscheu auf den Boden, als wäre sie es nicht Wert, dass sie ihr antwortete.

“Raus mit der Sprache, wer seid Ihr?”, wiederholte Nebula.

“Mein Name ist Lezabel von Aschfeuer. Ich bin die älteste Tochter des Kaisers. Ich bin für die Sicherheit meines Bruders während seines Besuchs verantwortlich.”

“Dann waren die Schießbudenfiguren tatsächlich nur reine Ablenkung”, erkannte Cerise.

Lezabel überging ihren Kommentar. “Eigentlich hätten wir euch Würmer schon lange ausrotten können. Zu eurem Glück gibt es wichtigere Dinge in der Welt, welche die Aufmerksamkeit meines Vaters erfordern. Und ihr seid die Mühe sowieso nicht wert!” Danach half sie Alaric auf den Rücken von Fafnir.

“Wie habt Ihr Euren Bruder wieder ins Leben zurückgeholt?”, fragte Nebula.

Lezabel setzte sich nun selbst auf den Rücken ihres Drachens, vor ihren Bruder. Der umklammerte ihre Taille, da er fürchtete, sonst herunter zu fallen. Daraufhin schlug Fafnir seine Schwingen und erhob sich in die Lüfte. Der Druck der Luftverwirbelungen ließ Henrik nach hinten kippen, während die beiden Frauen stehen blieben.

“Ich weiß nicht, warum ich dir Rede und Antwort stehen sollte, Menschlein.”, rief die elfische Prinzessin von oben herab. “Aber dein primitives Primatenhirn wird es sowieso nicht verstehen, also kann ich es dir auch sagen. Man nennt mich auch Soul Charmer. Ich gebiete über weiße Seelen. Wenn die Seele rein ist, ist sogar ein Untermensch wie ihr noch etwas Wert. Ich bot eine Seele im Austausch für die meines Bruders an. Sie nahm seinen Platz im Limbus ein. Und nun entschuldige mich. Ich muss meinem Vater berichten, das die Hochzeit abgesagt ist.” Sie signalisierte Fafnir, das er losfliegen solle. Doch gehen, ohne bleibenden Eindruck zu hinterlassen, kam für Lezabel nicht in Frage. Auf ihrem Weg über die Stadt, spieh der Drache mehrfach Feuerbälle auf die Häuser von unbeteiligten Zivilisten und steckte so, nur zum Vergnügen seiner Herrin, ein ganzes Stadtviertel in Brand. Die schwachen Proteste des kraftlosen Alarics, der sie ermahnte, dass ihre Taten ehrlos und feige seien, kümmerten sie nicht im Geringsten. Als Lezabel genug Verwüstung verursacht hatte, zog der Drache endlich davon.

Lezabels hexenhafte Lache hallte noch lange in den Gassen Ewigkeits wieder.

 

Die Nacht war rot erleuchtet.

“Zieht eine Feuerschneise!”, hallte ein Befehl.

Die Flammen fraßen sich wie ein ausgehungertes Ungeheuer in die hölzernen Balken des Wohnhauses und verbrannten sie im rapidem Tempo zu Asche. Als es Feuer vom Himmel regnete, traf es das Dach und brachte es zum einstürzen. Die gesamte obere Etage war mit lautem Getöse unter dem Druck zusammengebrochen und auf das Erdgeschoss herabgefallen. Nun erfasste die Gluthitze sofort jeden Winkel. Brennende Trümmerteile schnitten Wege ab, versperrten Ausgänge und separierten, was eigentlich eins war.

Zwischen Flammen und Schutt saß ein kleines Mädchen fest. Von Angst gelähmt, kauerte es inmitten der Feuersbrunst und klammerte sich an die Lieblingspuppe, deren Haare, die aus Stroh gefertigt waren, bereits an ihren Enden begonnen hatten, zu versengen.

Auf der anderen Seite einer unüberwindbar heißen Wand aus Feuer, versuchte eine etwa dreißigjährige Frau verzweifelt sich dem Griffen eines Mannes zu entziehen. Ihr mütterlicher Instinkt befahl ihr, das Mädchen zu retten, ungeachtet der Konsequenzen für sie selbst. Der Mann gehörte zur Feuerwacht und war ebenfalls bemüht, Leben zu retten. Zuerst musste sie aus der Gefahr gebracht werden. Aber ihr lebhafter Protest, ließ ihn seinerseits verzweifeln.

“Lasst mich zu meinem Kind, Ihr Bastard!”, schrie die Frau. Sie war der Situation geschuldet nicht in der Lage, die Absichten des Mannes zu verstehen. “Lasst mich los!”

“Gute Frau”, versuchte er sie zu beschwichtigen. “Das Haus wird jeden Moment einstürzen! Ihr müsst sofort hier heraus!”

“Aber mein Kind! Was wird mit meinem Kind?”

“Zuerst müsst Ihr Euch zusammenreißen! Sonst sterben wir alle!”

Das Kind streckte die Hand nach der Mutter aus. “Mama!”, kreischte es. “Mama, hilf mir!”

Dem Feuerwächter gelang es, dank seiner ihr weit überlegenen Kraft, die Frau gegen ihren Willen aus dem brennenden Haus herauszuziehen. Im nächsten Moment stürzte ein Teil der Decke herab und versiegelte den letzten Fluchtweg aus dem Inferno mit einer weiteren Wand aus Feuer.

“Nein!”, rief die Frau und streckte nun ebenfalls ihre Hand aus, als versuche sie die ihrer Tochter aus der Distanz zu ergreifen.

Die Schreie erregten die Aufmerksamkeit von Nebula und Henrik. Sie hatten sich umgehend an den Rettungsarbeiten beteiligt, nachdem der Drache am dunklen Horizont verschwunden war. Sie kamen gerade noch rechtzeitig, um das Drama um das in einer brennenden Hausruine eingeschlossene Kind glimpflich zu beenden.

“Was hat sich hier zugetragen?”, fragte Nebula die Frau.

“Mein Kind!”, rief diese immer wieder. “Mein Kind!”

“Ich konnte sie gerade noch retten”, erklärte der Feuerwächter. “Aber ihre Tochter ist noch immer dort drin und-”

Nebula wollte nicht mehr auf das Ende des Satzes warten und stürmte Hals über Kopf hinein in das Flammenmeer. 

“D-Das ist Wa-Wahnsinn!”, rief ihr Henrik hinterher.

Aber Nebula hörte ihn schon nicht mehr.

In gebückter Haltung schlich sie an den brennenden Trümmerteilen vorbei, während der heiße Qualm über ihr in den Nachthimmel entwich. Sie packte einen umgefallenen Balken an einer Stelle, welche noch nicht brannte, und warf ihn zur Seite, als wöge er nichts. So verfuhr sie mit weiteren Trümmern, bis der Weg zu dem Mädchen endlich frei war. Sie schnappte es, klemmte es wie ein Paket Wurst unter die Schulter, und eilte dem Ausgang entgegen, ungeachtet den Protesten des Kindes, welches unbedingt noch die Puppe aus den Flammen gerettet wissen wollte. Kurz bevor die Ruine endgültig dem Feuer nachgab und in sich zusammen stürzte, entkamen Nebula und das Kind aus den Flammen. Beide waren wohl auf, wenn auch von schwarzem Ruß bedeckt.

Henrik fiel ein Stein vom Herzen, auch wenn er sie noch immer für lebensmüde hielt.

Die Blondine setzte das Mädchen ab und hockte sich vor ihm hin. Sie sah ihm ernst in die Augen. “Deine Puppe kann man ersetzen.”, belehrte sie. “Dein Leben aber nicht!” Bevor sie das Mädchen zu seiner Mutter zurück schickte, wollte sie ihm einen letzten Ratschlag fürs Leben mitgeben. “Übe lieber mit dem Schwert, statt mit Puppen zu spielen.” Danach ließ sie es zu seiner Mutter zurückkehren. “Los, deine Mutter wartet!”

Beide fielen sich in ausgelassener Freude in die Arme.

In dieser Nacht verloren sie ihr Hab und Gut, ihr Heim, aber wenigstens nicht einander.

Der Feuerwächter kam und legte anerkennend seine Hand auf Nebulas Schulter. “Ihr seid eine wahrhaft mutige Frau”, sprach er und musterte ihre Gesichtszüge. Das Muttermal unter ihrem linken Auge erregte sein Aufsehen. “Moment mal, Ihr-”

Sie unterbrach ihn, bevor er seine Ausführung vollenden konnte. “- helft, wo Hilfe gebraucht wird”, beendete sie den Satz für ihn. Danach wandte sie sich an Henrik. “Komm, sehen wir, wo wir noch helfen können!” Beide rannten davon, noch bevor ein Dank ausgesprochen werden konnte.

 

Nach einer anstrengenden Nacht, kehrten alle wieder im Palast ein. Auch Clay, der sich den Rettungsmaßnahmen im brennenden Stadtviertel später noch angeschlossen hatte, nachdem er es irgendwie vollbrachte, Annemarie zum Schlafen zu überreden. Von ihm erfuhren Nebula und Henrik, das alle ihrer Seele beraubten Palastwachen das Bewusstsein zurück erlangten. Die von Prinzessin Lezabel als “widerlich” aussortierten Seelen, kehrten von selbst in ihre Körper zurück, nachdem sie freigelassen wurden. Den Männern blieb, außer einer heftigen Migräne, kein erkennbarer Schaden zurück. Es würde ihnen sicher bald wieder gut gehen.

Nur einer Seele war noch immer nicht zurückgekehrt.

Am frühen Morgen des dritten Tages nach dem Angriff, entschloss sich Nebula ihrer Freundin einen Besuch abzustatten. Zuvor hielt sie Schuld und Scham davon ab. Nun kniete sie neben Caroline und hielt todtraurig ihre Hand. Es forderte ihr alles ab, nicht sofort in Tränen auszubrechen. Weinen? Sie? Das kam für sie gar nicht in die Tüte! Man hatte Caroline inzwischen in einem mit feinsten Stoffen ausgelegten offenen Sarg aus Eichenholz zur Ruhe gebettet und sie in ihren Gemächern aufgebahrt. Wie eine echte Prinzessin, die seit einhundert Jahren schlief und den Kuss ihres Prinzen erwartete.

Lezabel benutzte Carolines Seele, um Alaric zurückzuholen, das stand zweifelsfrei fest. Nebula fühlte sich so machtlos. Für was hatte sie dem Tod ins Auge geblickt, wenn doch alles umsonst gewesen ist? Rückblickend, tat ihr nichts so weh, wie es sie schmerzte, ihre Freundin in diesem Zustand zu sehen. Ihre Rettung in endlos weite Ferne gerückt. Davon getragen von den Schwingen einer mystischen Bestie.

Unerreichbar.

Über diese Gedanken verlor sie nun doch die Kontrolle über ihre Emotionen.

Ein Glück, dass es niemand sah.



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