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Balance Defenders

von

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Lernen


 

Lernen
 

„Einander kennenlernen, heißt lernen,

wie fremd man einander ist.“

(Christian Morgenstern, dt. Schriftsteller)
 

Samstags war das Lernen bei Erik anberaumt.

Der längste Tisch, den Erik in seinem Zimmer gefunden hatte, war ein ziemlich niedriges Exemplar, das er für gewöhnlich nur als Ablage nutzte und an der Wand stehen hatte. Nun hatte er ihn in die Mitte des Raums gestellt und einige Kissen darum verteilt, die als Sitzgelegenheit dienen sollten. Stühle wären für den niedrigen Tisch zu hoch gewesen.

„Du … Das wäre nicht nötig gewesen.“, sagte Justin beschämt, als er und die anderen die Umgestaltung von Eriks Zimmer sahen.

Irgendwie waren sie naiverweise davon ausgegangen gewesen, dass sie im Esszimmer des Hauses lernen würden, nicht in Eriks Zimmer.

Erik antwortete erst gar nicht darauf und machte auch nicht den Eindruck, als interessiere ihn, was Justin dachte.

„Hey! Du hast was zu trinken und Knabberzeugs vergessen!“, bemängelte indes Vitali in gespielter Empörung.

Plötzlich gab Erik einen ungewohnten Laut von sich und wirkte mit einem Mal durcheinander. „Einen Augenblick.“

Im nächsten Moment war er aus dem Zimmer gestürmt.

Die fünf sahen ihm ungläubig nach.

War das wirklich Erik? Sie hatten noch nie erlebt, dass er einen Spruch, und schon gar keinen von Vitali, so ernst genommen hätte.

Ariane war der festen Überzeugung gewesen, er würde mit einer coolen Entgegnung aufwarten. Dieses Benehmen schien so gar nicht zu ihm zu passen.

Bei dem Gedanken sank Ariane in sich zusammen.

Das durfte doch nicht wahr sein! Hatte sie tatsächlich ein vorgefasstes Bild von ihm? Das musste sie schnellstens abstellen!

Justin machte einen Gesichtsausdruck, als wäre ihm die ganze Situation äußerst unangenehm. „Vielleicht hätten wir nicht … Er hatte so viel Arbeit wegen uns.“

Vitali machte eine ausschweifende Armbewegung. „Ahwa! Der freut sich, dass wir da sind.“

Justin war anzusehen, dass er nicht im Geringsten verstand, worauf Vitali diese Behauptung stützte.

Serena verschränkte die Arme vor der Brust. „Wieso sollte sich jemand über dich freuen?“

„Das kann man nicht erklären, das muss man erlebt haben.“, grinste Vitali.

Vivien lachte und Serena verzog das Gesicht.

Dann hörten sie das Klirren von aneinander stoßenden Gläsern und einen Fluch.

Sofort eilten sie Erik entgegen, der mit einem überfüllten Tablett in der Hand die ehrfurchtgebietende Treppe hinauf schritt.

Schnellstens nahmen Justin und Vivien ihm ein paar Gläser und Flaschen ab und brachten sie ins Zimmer.

Vitali dagegen entschied sich, Erik bloß um Chips und Salzstangen zu erleichtern, die ihm im nächsten Moment von Serena aus der Hand genommen wurden.

„Mit vollem Magen kann man nicht lernen.“, belehrte sie ihn.

„Und du meinst, das macht bei mir einen Unterschied?“, meinte Vitali locker.

Währenddessen wollte Ariane Erik das Tablett aus der Hand nehmen, was dieser allerdings nicht zuließ.

Dass er ihre Hilfe nicht annehmen wollte, ärgerte sie. „Du bräuchtest dir wirklich nicht so viel Mühe geben. Wir hätten auch in der Schule lernen können. Und dort wären wir auch nicht bewirtet worden.“

„Und aus diesem Grund seid ihr ja hier und nicht in der Schule, nicht wahr?“, entgegnete er mit überheblicher Miene.

Empörung kam in Ariane auf. „Wenn du meinst, dass wir dich nur ausnutzen wollen, dann gehen wir besser gleich wieder.“

Erik blieb gelassen. Im nächsten Augenblick hatte er einen Schritt zur Seite gemacht, um an ihr vorbei zu gelangen, hielt dann aber nochmals in der Bewegung inne.

Unversehens beugte er sich zu ihr hinüber und flüsterte ihr in düsterem Tonfall etwas ins Ohr.

„Vielleicht bin ich es ja, der die Situation ausnutzen will.“

Perplex drehte Ariane sich zu ihm und erkannte das gefährliche Glitzern in seinen Augen, begleitet von einem Lächeln, das sie nicht einzuordnen vermochte.

Dann war Erik auch schon an ihr vorbeigeschritten, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen.

Ein Gedankensturm tobte in ihrem Kopf.

Was hatte er vor?!

Wollte er sie erneut über seine Wunde ausfragen und die Ereignisse auf der Burg? Würde er dieses Mal nicht locker lassen, ehe er die Wahrheit erfuhr?

Oder konnte er sich vielleicht sogar erinnern?

Oder waren sie vielleicht in eine Falle getappt und Erik wurde vom Schatthenmeister kontrolliert?!

Sie musste die anderen warnen! Aber wie?!

„Buh!“

Vor Schreck wäre sie fast von der Treppe gestürzt.

„Vivien!“, rief sie wütend, als sie diese kichernd hinter sich entdeckte.

Vivien streckte keck die Zunge raus.

„Alles okay?“, drang Eriks Stimme zu ihnen.

Dass ausgerechnet er sich nach ihnen erkundigte, fand Ariane abermals seltsam und konnte nicht umhin, sich dafür zu rügen.

„Jaja!“, rief Vivien ihm zu.

Als Erik sich wieder ins Zimmer begeben hatte, wandte sich Ariane eilig an Vivien.

„Vivien, Vivien!“, stieß sie im hektischen Flüsterton aus. „Erik hat irgendetwas vor. Vielleicht sollten wir gehen!“

Mit hochgezogenen Augenbrauen und verdutztem Blick sah Vivien sie an. „Wie kommst du darauf?“

„Er hat mir gegenüber so eine Andeutung gemacht.“, flüsterte Ariane. „Was machen wir bloß?“

„Was hat er denn gesagt?“, hakte Vivien nochmals nach.

Mit ehrlicher Sorge in den Augen schilderte Ariane, was geschehen war. „Im Vorbeigehen hat er mir ins Ohr geflüstert, dass er die Situation ausnutzen will. Und er hatte dabei diesen Blick!“

Angesichts Arianes verzweifelter Mimik und dem Ernst, mit dem sie diese Angelegenheit sah, hatte Vivien mit einem breiten Grinsen zu kämpfen und dem Lachen, das aus ihr hervorbrechen wollte.

Dass Ariane, die mit ihrem Aussehen doch an alle Arten der Anmache gewöhnt sein musste, nicht einmal auf die Idee kam, wie Erik diesen Spruch gemeint hatte! Das war einfach zum Brüllen komisch!

Ariane schien ihre Reaktion nicht zu verstehen und zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.

Ganz Schauspielerin hatte Vivien sich schnell wieder gefangen. Auch wenn ihre Gesichtsmuskeln auf eine harte Probe gestellt wurden.

Wieder mit ernster Miene legte Vivien bedeutungsvoll die Hand auf Arianes Schulter.

„Ich kümmere mich drum.“

Hoffnungsvoll sah Ariane sie an, als wäre sie ihre Rettung, und machte Vivien damit die Maskerade umso schwerer.

Eilig drehte Vivien sich um, eilte die Treppe hinauf und konnte ihr Grinsen nicht länger unterdrücken.
 

Alsbald saßen die sechs gemeinsam um den Tisch und hatten ihre Wirtschaftsunterlagen vor sich ausgebreitet.

Als Ariane und Vivien in den Raum gekommen waren, hatten sie nur noch zwei Sitzmöglichkeiten gehabt. Und da Ariane um nichts in der Welt neben Erik sitzen gewollt hatte, hatte sie den Platz am Tischende eingenommen. Auf der anderen Seite saß ihr Vitali gegenüber, mit dem Rücken zur Zimmertür. Links von ihr saßen Serena und Justin. Taktischerweise hatte sich Justin zwischen den beiden Streithähnen platziert. An Arianes rechter Seite waren nun Vivien und Erik. Mit größter Mühe unterließ Ariane jeglichen Blickkontakt mit ihm.

„Wollen wir als erstes durchgehen, was alles drankommt?“, schlug Justin vor.

„Halt!“, warf Vivien ein. „Wir sollten uns als erstes richtig einstimmen für das Lernen mit einer kleinen Meditation!“

Mit diesem Vorschlag erntete sie sarkastische, ungläubige und verwirrte Blicke.

„Nun kommt schon!“, rief Vivien sie auf. „Wir nehmen uns jetzt alle an den Händen und konzentrieren uns für eine Minute!“

Die anderen schwiegen.

Erst Erik durchbrach die Stille – mit einem Stöhnen. Er zögerte einen Moment, ließ den Blick über Vivien schweifen, die ihn freudig anlächelte, und wandte sich wieder ab. „Schaden kann’s ja nicht.“

„Das meinst du!“, rief Vitali und warf einen bedeutungsvollen Blick zu Serena, woraufhin diese ihn aufgebracht anfunkelte.

Erik wollte Vivien gerade seine Hand reichen, als diese nochmals unterbrach.

„Erik, tauschen wir die Plätze!“

Ariane wollte protestieren, während Erik Vivien irritiert ansah.

„Weißt du, ich muss rechts von dir sitzen, damit mein Qi richtig fließen kann. Das ist so eine Feng Shui Sache.“, erklärte sie überzeugt.

„Ah ja.“, sagte Erik gedehnt und mit Misstrauen in der Stimme, machte aber nicht den Anschein, aufstehen zu wollen, ehe er nicht eine bessere Erklärung bekam.

Vivien ließ eine weitere Sekunde verstreichen. „Ich will gegenüber Justin sitzen!“

Justin horchte bei ihren Worten auf und sah sie mit errötenden Wangen an.

Vivien war es ein wenig unangenehm, ihn als Vorwand zu benutzen, aber es war ihr nichts Glaubhafteres eingefallen.

Es wunderte sie ohnehin, dass Erik nicht sofort dankend angenommen hatte, schließlich konnte er jetzt neben Ariane sitzen!

Also wirklich! Diese beiden unbeholfenen Stümper!

Dieses Mal hatte Erik keine weiteren Einwände und tauschte mit Vivien bereitwillig die Plätze.

Daraufhin kam Vivien auf die Meditation zurück, auch wenn Arianes Gesichtsausdruck ihr zu verstehen gab, wie viel sie von der Idee hielt, mit Erik Händchenhalten zu müssen. Aber Vivien bestand natürlich trotzdem darauf.

Entgegen der allgemeinen Annahme hatte Vivien diese Situation schon lange im Voraus geplant, und auch der Platzwechsel mit Erik war ursprünglich nicht dazu gedacht gewesen, ihn neben Ariane zu platzieren. Das war nur ein positiver Nebeneffekt.

Für ihre wahre Absicht war es nötig, rechts von Erik zu sitzen, wenn sie nicht das Risiko eingehen wollte, dass die unsichtbare Wunde an seinem linken Oberarm ihr Vorhaben behinderte.

Als sie alle Hand in Hand dasaßen und die Augen geschlossen hatten, konzentrierte sich Vivien.

Sie fühlte Eriks Hand an ihrer Linken, ließ ihre Aufmerksamkeit dorthin wandern und ihre Energien sich dort bündeln.

Zunächst spürte sie nur das Pochen von Eriks Blut, doch um seine Empfindungen und, noch wichtiger, seine versteckten Fähigkeiten zu finden, musste Vivien ihre Kräfte tiefer gehen lassen.

Sie stellte fest, dass ihr das Erspüren bei Justin sehr viel schneller gelungen war als bei ihm. Sie musste sich beeilen. Nicht nur weil die anderen, allen voran Vitali, die Meditation nicht lange durchziehen würden, sondern auch weil sie sonst Gefahr lief, von Erik entdeckt zu werden.

Dass er ein wenig davon spüren würde, was sie da tat, war wohl unumgänglich, aber wenn sie schnell genug war und das Gefühl sofort wieder von ihm abließ, würde er vielleicht nicht weiter darüber nachdenken.

Endlich hatte Vivien den Zugang zu Eriks Innenleben gefunden und wollte gerade mit ihren Nachforschungen beginnen, als ein gewaltiger Schlag durch sie hindurch ging. Reflexartig riss sie ihre Hand zurück und gab einen leisen Aufschrei von sich.

Sofort rissen die anderen wieder ihre Augen auf. Besonders Erik musterte sie fragend.

„Du hast mir eine gewischt.“, sagte Vivien unschuldig lächelnd.

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Das passiert beim ersten Hautkontakt, nicht in der Folge.“

„Ich hab eben eine lange Reaktionszeit.“, scherzte sie unbekümmert.

Eriks Skepsis sprang ihr ins Gesicht.

„Wir sollten jetzt wirklich anfangen!“, mischte sich Justin ein, der Viviens Verhalten als einziger sofort mit ihrer Fähigkeit in Verbindung brachte.

Vivien lächelte ihm zu. „Gute Idee.“

Erik stieß die Luft aus und ließ die Sache auf sich beruhen.

Während sie die Punkte durchsprachen, die sie für die Arbeit beherrschen mussten, war Vivien mit ihren Gedanken beschäftigt.

Dass ein elektrischer Schlag etwas mit Eriks Kräften zu tun hatte, klang einleuchtend. Aber es war ihr mehr wie ein Schutzmechanismus vorgekommen.

Weil sie unerlaubt in seine Gefühlswelt hatte eindringen wollen?

Das war ihr bei den anderen noch nie passiert, obwohl sie Serena und Vitali auch nicht um Erlaubnis gefragt hatte.

Hatte es doch mit der rätselhaften Wunde zu tun?

Hing es mit der Gehirnwäsche zusammen, der Secret im Schatthenreich unterzogen worden war?

Oder handelte es sich nicht doch viel mehr um etwas, das in Erik selbst begründet lag?

Letzteres fühlte sich irgendwie ‚richtig‘ an.

Justin warf Vivien einen kurzen fragenden Blick zu, um zu erfahren, was geschehen war. Vivien gab ihm mit einer Bewegung ihrer Augen zu verstehen, dass Erik jedes verdächtige Verhalten registrierte und das seinen Argwohn nur noch verstärken würde.

Justin verstand und lauschte wieder den Erläuterungen von Ariane und Serena, die gerade bei dem letzten Punkt angelangt waren.

„Hey, wir hätten dieses Zusammen-Lernen früher machen sollen!“, rief Vitali. „Jetzt hab ich ja nur noch einen Tage Zeit, um den ganzen Mist in meinen Kopf zu kriegen!“

Bestürzt blickte Ariane ihn an. „Vitali, zusammen lernen heißt, dass jeder zuerst für sich zuhause lernt und man dann gemeinsam die Probleme durchspricht.“

Vitalis Gesichtszüge entgleisten. „Und warum hat mir das niemand vorher gesagt?! Ich dachte, wir machen das jetzt alles zusammen!“

„Weil es klar war!“, keifte Serena.

„Für mich war das nicht klar!“, beharrte Vitali.

„Als hättest du mehr als einen Tag gelernt.“, gab Serena zurück.

„Manche Menschen haben eben auch noch ein Leben neben der Schule!“, konterte Vitali.

„Oh ja. Videospiele!“, erwiderte Serena spöttisch.

„Sagt die, die Mangas liest!“, schimpfte Vitali.

Ariane unterbrach die beiden. „Wenn ihr weniger Zeit mit Streiten und mehr mit Lernen verbringen würdet, dann könnte das noch was werden.“

Sie entschieden sich, zeitgleich dieselben Übungsaufgaben durchzuarbeiten und bei Problemen einander zu helfen.

Nach einer halben Stunde kam selbst Ariane bei einer Frage nach der Auswirkung auf das Eigenkapital-Konto ins Wanken. Sie wandte sich an Serena, doch diese war noch nicht bei der Aufgabenstellung angelangt.

„Wo ist das Problem?“, erkundigte sich Erik leise.

Ariane erschrak für einen Moment. Sie hatte doch nur kurz zu Serena hinübergesehen, ihren Kopf nicht einmal merklich in ihre Richtung gedreht.

Wie konnte Erik das bemerkt haben? Beobachtete er sie?

Oder war das wieder sein sechster Sinn? Und wenn ja, was konnte er damit noch ungefragt über sie erfahren?

Ohne auf seine Frage zu antworten, wandte sie sich schnellstens ab.

Eine Falte bildete sich zwischen Eriks Augenbrauen.

Was sollte das? Wieso behandelte diese Person ihn wie einen Aussätzigen? Schon die ganze Zeit schaute sie ihn nicht an und sprach kein Wort mit ihm.

Es reichte!

Erik erhob sich. „Wir holen noch Getränke. Ariane?“

Ariane starrte ihn fassungslos an.

Sein Blick war unmissverständlich.

„Das schaffst du doch alleine.“, sagte sie ausweichend.

Einer von Eriks stechendsten Blicken durchbohrte sie, sodass sie innerlich zusammenzuckte. Einige Sekunden lang waren Eriks Augen auf sie gerichtet, als wolle er sie allein durch Willenskraft dazu zwingen, seiner Aufforderung Folge zu leisten.

Dennoch oder vielmehr deswegen rührte Ariane sich nicht von der Stelle.

Schließlich lief Erik wortlos um sie herum, an den anderen vorbei. Ohne sich nochmals umzublicken, verließ er den Raum.

Einen Moment rang Ariane mit sich.

Was war schlimmer? Ihn so zu verärgern oder mit ihm alleine zu sein?

Beides war gleich schlimm!

Im gleichen Atemzug sprang sie von ihrem Platz auf und lief Erik hinterher. Sie öffnete die Tür und hatte eine leere Treppe vor sich.

Wo war er?

Irritiert schloss sie die Tür in ihrem Rücken, ohne den Blick von der Treppe zu nehmen.

„Du hast dir Zeit gelassen.“

Kurz schrak Ariane zusammen.

Hinter der Zimmertür war Erik sichtbar geworden, der dort an der Wand lehnte.

Augenblicklich glitt er weg von seinem Platz und schritt auf die Treppe zu, drehte sich dann aber nochmals zu ihr um.

„Kommst du?“

Wortlos folgte sie ihm in nötigem Sicherheitsabstand.

Als sie am Ende der Treppe angelangt waren und weitere Schritte in eine Richtung gemacht hatten, die sie nicht zuordnen konnte, sah Erik sie ernst an.

„Was soll das?“

Ariane antwortete nicht, schon allein weil sie keine Ahnung hatte, wovon er sprach.

„Wenn das eine neue Taktik von dir ist, dann hab ich’s jetzt verstanden.“

Sie wusste immer noch nicht, was er wollte.

Gereizt stieß Erik die Luft aus. „Wenn es dich glücklich macht: Du hast gewonnen! Zwei zu eins. Bist du jetzt zufrieden?“

Arianes Unverständnis nahm kein Ende, und mit ihr auch nicht Eriks Erregung.

„Ich finde es jetzt nicht mehr witzig, okay? Könntest du endlich aufhören, mich anzuschweigen! Das macht mich wahnsinnig!“

Wortlos stand Ariane da.

„Na fein!“, zischte Erik und ließ Ariane stehen.

„Warte!“, rief sie im gleichen Moment, woraufhin Erik sich zu ihr umdrehte und sie erwartungsvoll ansah.

Es brauchte einen Augenblick, ehe Ariane die ganze Situation begriffen hatte.

Vielleicht hatte sie Eriks Aussage vollkommen falsch interpretiert.

Ja! Er hatte damit nur auf ihr Spielchen hinausgewollt!

Das war es! Dafür wollte er die Situation ausnutzen!

Ein unwillkürliches freudiges Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.

Er hatte also nichts Bösartiges vor!

Zumindest nichts Bösartigeres als sonst…

„Gefällt es dir so sehr, wenn ich eine Niederlage eingestehe?“, fragte Erik angesichts ihres Strahlens.

Nun erst bemerkte Ariane die Regung ihrer Gesichtsmuskeln. Schnell brachte sie diese wieder unter ihre Kontrolle und hatte im gleichen Moment ihre Selbstsicherheit gegenüber Erik wiedererlangt.

„Das sind die wenigen Momente, in denen du nicht so herablassend tust.“, antwortete sie keck und grinste.

Erik warf ihr einen strafenden Blick zu.

Die Erleichterung darüber, dass keine Gefahr von ihm ausging, motivierte sie. Spielerisch machte sie ein paar Schritte auf ihn zu. „Aber dass es dich stört, wenn ich dich anschweige, überrascht mich doch ein wenig.“

„Ich kann es nicht leiden, ignoriert zu werden.“, sagte er knapp.

„Und letztens hast du noch so getan, als sei es dir lieber, wenn alle Mädchen dich ignorieren würden.“, hielt sie ihm schmunzelnd vor.

„Es kommt drauf an.“

„Auf was? Das Mädchen?“, scherzte sie vergnügt.

In einer Mischung aus Gereiztheit und Arroganz antwortete Erik: „Auf die Person“ und wartete ihre Reaktion ab.

Ariane beugte sich verschwörerisch und ein wenig spöttisch zu ihm vor. „Das solltest du ihr vielleicht sagen.“

Erik tat es ihr gleich und näherte sich ihrem Gesicht. „Vielleicht weiß sie es schon.“

Ariane zog sich zurück. „Dann ist sie wohl nicht interessiert.“

Eriks Gesichtszüge blieben kalt. „Vielleicht spielt sie nur gerne.“

„Ich dachte nicht, dass du jemand bist, der mit sich spielen lässt.“, neckte sie ihn.

„Kommt auf das Spiel an.“

Der Wunsch ihn aus der Reserve zu locken, stachelte sie dazu an, ihn weiter zu provozieren. „Keine Angst zu verlieren?“

„Ich verliere nicht.“, verkündete er überzeugt.

„Wer nicht verlieren will, sollte nicht anfangen zu spielen.“, warnte sie.

„Wer glaubt zu verlieren, fängt nicht an zu spielen.“, konterte Erik und zeigte nun den Ansatz eines Lächelns.

Ariane wich angesichts dessen ein wenig zurück. „Glücksspiel kann süchtig machen.“

Die Erheiterung war seiner Stimme nun anzuhören. „Sprichst du aus Erfahrung?“

Nun machte sie einen klaren Schritt von ihm weg. „Ich halte mich von so etwas fern.“

Erik antwortete mit überlegenem Lächeln. „Also hast du Angst zu verlieren.“

„Ganz sicher nicht!“, brauste sie auf.

Im gleichen Moment hatte er einen entschiedenen Schritt auf sie zu gemacht. Seine Stimme offenbarte eine bedrohliche Tiefe. „Worauf wartest du dann noch?“

Sein durchdringender Blick und seine abrupte Nähe brachten sie zum Stocken. Wie aus einem Schutzreflex heraus zog sie die Schultern an.

Ein breites, belustigtes Grinsen nahm Eriks Züge ein.

„Haha.“, knurrte sie und wich zur Seite aus. „Zwei zu zwei.“

Er nahm wieder den nötigen Mindestabstand zu ihr ein.

„Lass mal. Den schenk ich dir.“, meinte er gönnerhaft. Anschließend wollte er wieder zur Treppe zurücklaufen.

„Wolltest du nicht Getränke holen?“, wandte Ariane verwundert ein.

„Wenn du meinst.“, entgegnete er und lief an ihr vorbei in Richtung Küche.

„Was soll das heißen: ‚Wenn du meinst‘?“, verlangte Ariane zu wissen und eilte ihm hinterher.

„Das war nur ein Vorwand, um mit dir allein zu sein.“, klärte Erik sie ungeniert auf.

Darauf konnte Ariane nichts erwidern.

Für Momente sprachlos folgte sie ihm.

Sie betraten eine unnormal große Küche, die Ariane an die Kochstudios aus dem Fernsehen erinnerte und deren Sauberkeit sie zu dem Schluss brachte, dass dies werktags der Drehort für Putzmittelwerbung sein musste.

„Ist deine Mutter Spitzenköchin?“, fragte sie verblüfft.

Sein Mund formte das spöttisch arrogante Lächeln, das Ariane immer wieder aufs Neue verärgerte.

Ihre Gefühlsregung war ihr wohl deutlich anzusehen, denn Eriks Lächeln wurde zu einem amüsierten Grinsen. „Als Geschäftsführerin steht Kochen nicht grade auf ihrer Prioritäten-Liste. Wir haben eine Haushälterin, die das übernimmt. Am Wochenende wird außerhalb gegessen oder etwas bestellt.“

Ariane sah ihn mit großen Augen an und kam sich vor, als sei sie in einer völlig fremden Welt gelandet.

Erik gefiel ihr Blick wohl nicht, denn er wandte sich ab und holte Getränke aus dem Kühlschrank.

Sein Schweigen war unangenehm.

„Wo sind eigentlich deine Eltern?“

„Meine Mutter ist beim Sport, mein Vater ist sonstwo, wahrscheinlich in der Kanzlei oder auf irgendeiner Veranstaltung. Interessiert mich nicht wirklich.“

„Verbringt ihr das Wochenende nicht zusammen?“, fragte sie bekümmert.

Als Antwort stieß Erik Luft durch die Zähne aus. Ein spöttisches Geräusch.

Kleinlaut sprach Ariane weiter. „Aber fühlst du dich in diesem riesigen Haus dann nicht einsam?“

Eriks Blick streifte sie einen Moment. „Man kann auch unter Menschen einsam sein.“

Die Worte hinterließen in Ariane einen unangenehmen Nachgeschmack.


 


 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nächste Woche lernt ihr Eriks Vater kennen im Kapitel "Donner".

Ich hatte überlegt gehabt, das heutige Kapitel mit dem nächsten zusammenzupacken, aber das wäre dann ein Mammut-Kapitel geworden. Daher ist es jetzt so geblieben. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  CMH
2022-07-09T18:59:44+00:00 09.07.2022 20:59
Diese Verwicklungen. Und der arme Vitali. Jemand hätte ihm wirklich sagen können, dass er selbst lernen muss. 😂💚
Antwort von:  Regina_Regenbogen
09.07.2022 22:21
Genau! Vitali versteht nicht, warum das für alle so selbstverständlich war! Ich kann das nachvollziehen. 😂
Von:  RukaHimenoshi
2021-03-20T13:33:04+00:00 20.03.2021 14:33
Ein Ariane-Erik-Schlagabtausch Kapitel. Ach, die beiden. XD Aber witzig, auf welche Art und Weise Erik Ariane mitteilt, dass er an ihr interessiert ist. An sich haben die beiden eine sehr faszinierende Dynamik. XD

Aber Vivien, so gerissen!!! Einfach mal mit ihren Kräften Eriks Fähigkeiten auschecken zu wollen! Ich bin schwer beeindruckt. Besonders, wie sie einfach jeden hinters Licht führen konnte. :'D

Und Justin war mal wieder so süß, wie er direkt gedacht hat, Erik mit ihrem Besuch Umstände zu bereiten! Das ist Gastfreundschaft, mein Schnucki! T~T
Ich fand's aber auch echt goldig, wie Erik einen Moment lang aus der Rolle fiel, als Vitali ihn an Getränke und Snacks erinnert hat. Man hatte wirklich den Eindruck, dass er noch ziemlich unerfahren ist, Freunde daheim einzuladen und sich aber total Mühe geben will. 🙈
Antwort von:  Regina_Regenbogen
20.03.2021 15:07
Hm, dein Kommentar hat mich jetzt zum Nachdenken gebracht, ob Erik ihr mitgeteilt hat, dass er an ihr interessiert ist.
Es ist irgendwie so, dass er durch dieses "Spiel" zwischen ihnen einen Weg gefunden hat, sich ihr zu nähern, ohne ihr nah zu sein. Es ist ja alles nur ein Spiel. Und solange es nur ein Spiel ist, kann nichts passieren. Und nichts ist ernst.

Ja, Viviens Gerissenheit ist schon beeindruckend. XD
Oh, ja, Justin kennt das nicht. Er hatte ja keine Freunde. (┬┬﹏┬┬)
Ja, das fand ich auch total niedlich, wie Erik einfach mal nicht das Erik-Image aufrechterhalten hat, sondern seine Unsicherheit durchscheinen hat lassen. (´▽`ʃ♡ƪ)
Ich finde es auch niedlich, dass Vitali das alles als Selbstverständlichkeit ansieht, aber eben weil er tatsächlich sieht, dass Erik sich über ihre Anwesenheit freut. Fand ich voll goldig, dass er Erik ohne Worte versteht. Bromance! XD Und dadurch dass er das alles als Selbstverständlichkeit abtut, bringt er Erik auch nicht in die Verlegenheit, sich irgendwie zu schämen, weil er sich zu viel Mühe gegeben hätte, was ja seinem Image (oder wie totalwarANGEL es sagen würde: seiner Persona) widersprechen würde. Auf Justins Kommentar konnte Erik ja nicht wirklich reagieren. Es ist doch eine gemeine Unterstellung, dass er sich für andere Mühe gibt. Erik Donner doch nicht! XD XD XD
Antwort von:  RukaHimenoshi
20.03.2021 16:53
Da fällt mir auf: Geht nicht eigentlich auch Vivien mit dieser Spiel-Intention an die Sache ran? Zumindest nutzt sie diese spielerische Form der Annäherung ja auch, um Justin mitzuteilen, dass sie ihn sehr mag. Auch, wenn sie und Erik andere "Beweggründe" haben, ist es eigentlich witzig, wie ähnlich sie sich in diesem Punkt sind. :'D Aber vielleicht kam es mir auch nur deshalb so vor, dass Erik Ariane damit sein Interesse mitteilen möchte, eben weil es mich so an Vivien erinnert hat. °o° Sein „Vielleicht bin ich es ja, der die Situation ausnutzen will.“ hat sich für mich halt auch wie für Vivien total nach "Ich möchte dir näher kommen." angehört. XD (Wobei man Ariane nicht übel nehmen kann, dass sie direkt gedacht hat Erik wolle sie wieder wegen dieser ganzen Geschichte mit seiner Verletzung und so ausquetschen - schließlich war das auch der Grund gewesen, weshalb er sie das letzte mal zu sich daheim eingeladen hatte.)

Ja stimmt, das war echt niedlich, wie sehr Erik und Vitali dadurch auf einer Wellenlänge sein konnten, während Justins Bescheidenheit ihn voll überfordert! :'D Das ergibt auch total Sinn! Erik erwartet ja auch von seinem Gegenüber eine gewisse Form des Stolzes - siehe Ariane - und mein süßer Justin hat davon von allen am wenigsten... Wenn überhaupt ^^"
Antwort von:  Regina_Regenbogen
20.03.2021 18:25
Ja, stimmt! :D Vivien und Erik sind sich darin wirklich ähnlich. Und du hast vollkommen Recht, dass er mit dem Satz, die Situation ausnutzen zu wollen, tatsächlich meinte, dass er Zeit mit ihr verbringen will. Das war definitiv von ihm intendiert. Er macht ja keinen Hehl daraus, dass er an ihr als Mensch interessiert ist. Er hätte auch keine Hemmung zu sagen, dass er sie faszinierend findet. Bloß romantische Gefühle sind etwas, das er an dem Punkt noch nicht realisiert hat.
Es freut mich, dass man Ariane zumindest nicht für dumm hält für ihre Sorge, dass Erik sie wieder ausquetschen will. Aus Viviens Perspektive wirkte Ariane da ja schon sehr naiv. :'D

Oh ja! Der kleine Justin, ihm fehlt wirklich der Stolz in solchen Momenten. இ௰இ
Justin, du hast noch viel zu lernen, aber du hast dich immerhin schon deutlich weiterentwickelt.
Antwort von:  RukaHimenoshi
21.03.2021 16:10
Stimmt, so wirklich "romantisch" wirkt es bei ihm bisher noch nicht. Das finde ich wirklich gut gemacht von dir, als Leser hat man tatsächlich den Eindruck, dass Erik sie erstmal auschecken will, auf charakterlicher Ebene. Zumindest durch seine machohaft wirkenden Kommentare kommt es so rüber, und dass er es halt so spielerisch angeht. XD
Ich fand es wirklich überhaupt nicht naiv von Ariane. Zum einen, da sie halt schon so eine Aktion von ihm kennt und zum Anderen ist es halt echt so, dass man diese Form der Annäherung häufig nicht als solche wahrnimmt, insbesondere wenn man der "Empfänger" ist. (Justin kann ja ein Lied davon singen :'D) Plus noch dazu hängt ihr auch noch dieses erste Treffen nach (fand ich übrigens sehr schön, wie sie nach wie vor diese Vorurteile hat und sich aber gleichzeitig dessen bewusst ist und das nicht will) und ich kann mir gut vorstellen, dass sie glaubt, dass es Erik ähnlich geht und er - noch ein Vorurteil - deshalb eigentlich nichts von ihr wollen kann.

Das stimmt, Justin hat schon große Schritte in die richtige Richtung gemacht. (ಥ _ ಥ)❤
Von:  totalwarANGEL
2021-03-19T23:35:23+00:00 20.03.2021 00:35
Niedlich, wie Ariane sich für Vorurteile schämt. Dabei sollte sie eigentlich wissen, das Vorurteile evolutionär sinnvoll sind, da sie generalisieren und unnötigem Denken vorbeugen.
Das Vivien so ein "hinterhältiges" Stück sein kann... Hat sie Ariane und Erik schon irgend wo ein Zimmer gemietet?
Und mal wieder dieses Angeschmachte. Ach, das lieben wir so. ;)
Antwort von:  Regina_Regenbogen
20.03.2021 01:18
Ja, Ariane hat da eindeutig übermenschliche Ansprüche an sich selbst, die ihr mehr schaden als nützen. Sie sollte besser ihren Frieden damit schließen. ;D
XD Ich glaube, so gut kann Vivien Ariane einschätzen, um zu wissen, dass das keine gute Idee wäre. Egal wie friedfertig Ariane sonst ist. XD XD XD Und die sollen das schon selbst auf die Reihe kriegen.

Ja, das hab ich heute sogar noch ausgebaut. Ursprünglich war das kein ganz so langes Wortgefecht zwischen den beiden.
Ursprünglich:

Erik tat es ihr gleich und näherte sich ihrem Gesicht. „Vielleicht weiß sie es schon.“
Ariane zog sich zurück und zuckte mit den Schultern. „Wie es eine mit dir aushalten soll, ist mir schleierhaft.“
Sie wollte an ihm vorbeigehen, als Erik ihr mit seinem Arm den Durchweg versperrte. „Du kannst es ja drauf ankommen lassen.“
Die Worte ließen sie stocken, woraufhin Eriks selbstherrliches Grinsen erschien.
„Haha. Zwei zu zwei.“, knurrte sie.

Aber ich fand, dass Ariane mehr Raum kriegen sollte, ihre Schlagfertigkeit zu zeigen. ;D Und dass sie so was Plumpes wie "Ich weiß nicht, wie es eine mit dir aushalten soll." sagen würde, fand ich nicht mehr so passend. Das klang irgendwie eher nach einer Stichelei, die Serena bei Vitali bringen würde - nur etwas höflicher formuliert. XD
Von:  totalwarANGEL
2021-03-19T23:10:50+00:00 20.03.2021 00:10
Hat es sich doch gelohnt so lange wach zu bleiben. Na dann gleich mal ran an die Buletten.
Antwort von:  Regina_Regenbogen
20.03.2021 00:24
Damit hab ich auch gar nicht mehr gerechnet, da es ja echt kurz vor knapp war mit dem Upload. XD


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