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Balance Defenders

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Nachdem ihr Ausflug in Trusts Seelenwelt alles andere als den erwünschten Erfolg gebracht hat und sie bei der Frage, wie sie den Allptraum unschädlich machen können, nicht weitergekommen sind, bringt sie ein Anruf von Erik dazu, sich stattdessen mit ihm zu treffen.
Auch Grauen-Eminenz ist nicht untätig. Komplett anzeigen

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Vorfurcht


 

Vorfurcht

 
 

„Bis zur Vollführung einer furchtbaren Tat

vom ersten Antrieb ist die Zwischenzeit

wie ein Phantom, ein grauenvoller Traum.“

(Shakespeare: Julius Cäsar II, 1)

 

Das moderne Café im ersten Stock des Kaufhauses unweit der Finster GmbH besaß eine hohe Fensterfront, durch die man von den Tischen aus einen guten Blick über Entschaithals Stadtmitte hatte. Der Aussicht schenkten die sechs jedoch wenig Beachtung.

„Wovor hast du Angst?“, fragte Vivien frei heraus.

Erik zog die Augenbrauen zusammen. „Wie bitte?“

„Was macht dir Angst?“

Wieder ließ sich Erik Zeit mit seiner Antwort, als warte er darauf, dass Vivien die Frage fallen ließ.

Vivien schrieb indes etwas auf den Notizblock, den sie in Händen hielt.

„Was hast du aufgeschrieben?“, fragte Erik argwöhnisch.

Vivien strahlte. „Hat Angst, seine Schwächen zu zeigen.“

Eriks Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Es ist mir neu, dass es sinnvoll wäre, Schwäche zu zeigen.“

Vivien kicherte.

Erik wandte sich daraufhin an die anderen. „Was hat das zu bedeuten?“

Justin ergriff das Wort. „Heute Nacht hatten viele Leute Albträume. Daher ist Vivien auf die Idee gekommen, das für Balance Defenders zu benutzen.“

Eriks Augen wanderten zu Ariane. „Deshalb hast du mir die Nachricht geschrieben.“

Ariane wich seinem Blick aus.

Für einen Moment fühlte Erik Enttäuschung. Sie hatte sich also nur deshalb bei ihm gemeldet.

„Was genau ist geplant?“

Vivien holte zu einer Erklärung aus. „Es gibt diese Monster: die Allpträume – mit Doppel-L. Und diese Monster gehen nachts in deine Traumwelt und erzeugen Albträume.“

„Du meinst also einen Alb.“, sagte Erik.

Die fünf schienen mit dem Begriff nicht vertraut zu sein.

„Alben sind Fabelwesen, nach denen der Albtraum benannt wurde. Monster, die sich nachts auf deine Brust setzen, sodass du Albträume bekommst.“, erläuterte Erik.

Vitali widersprach. „Nee, die gehen in dich rein. In deinen Kopf.“, erklärte er, als würde er Ewigkeit zitieren.

Erik hielt dieses Geschwätz offensichtlich für unsinnig.

Vivien präzisierte: „Die Allpträume gehen in deine Seelenwelt und können daher jede Angst von dir zum Leben erwecken.“

„Und was wollt ihr dagegen tun?“

Justin erläuterte: „Destiny kann in Seelenwelten eindringen, so können wir gegen sie kämpfen.“

Purer Unglaube trat auf Eriks Gesicht. „Aha.“ Er wollte gar nicht wissen, wie sie das spielen wollten. „Und welche Art von Angst beherrschen die Allpträume?“

Vitali kommentierte: „Angst ist Angst.“

„Wir sind uns da nicht so sicher.“, antwortete dagegen Ariane.

„Darf ich?“, fragte Erik und gab Vivien zu verstehen, dass er Stift und Block ausleihen wollte. Sie überreichte ihm beides.

Daraufhin zeichnete Erik ein auf der Spitze stehendes Dreieck auf, in dessen Ecken er jeweils etwas schrieb, eine weitere Notiz machte er in der Mitte des Dreiecks.

Die anderen beugten sich neugierig über den Tisch und Erik drehte den Block so, dass sie sein Geschriebenes sehen konnten.

„Angst vor dem Tod, Angst vor dem Leben und Angst, nicht genug vom Leben zu bekommen.“, las er vor und verwies auf die drei Ecken. „Das erste ist das, was bei uns Panik und Adrenalinausschüttung hervorruft, unser natürlicher Überlebenstrieb. Das zweite hat was mit Unsicherheit zu tun. Angst, Fehler zu machen, Angst vor Enttäuschung. Auch Melancholie und Depression kommen dadurch zustande. Das dritte ist die Gier. Süchte jeglicher Art, Obsessionen, der ewige Hunger, den man nicht sättigen kann. Und der Mensch bewegt sich im ständigen Wechselbad dieser drei Ängste. Die einen haben mehr hiervon, die anderen mehr davon. Und in der Mitte steht die Angst vor Schmerzen.“

„Woher hast du dieses Modell?“, wollte Ariane beeindruckt wissen.

Erik antwortete emotionslos. „Ich bin Secret.“

Ariane fühlte sich auf den Arm genommen. Allein Justin schien mehr in Eriks Bemerkung zu lesen.

„Ist dir das heute Nacht eingefallen?“

Erik warf ihm einen Blick zu, als hätte Justin etwas gesagt, das er besser unterlassen hätte. Keiner der beiden sprach weiter.

Vivien ignorierte das stumme Zwiegespräch der beiden und unterbrach sie. „Wahrscheinlich können die Allpträume all diese Ängste herausfiltern.“ Sie sah sich nochmals das Dreieck an. „Was denkst du ist das Gegenteil von jeder dieser Ängste?“

Erik schaute skeptisch.

Justin erklärte. „Unsere Kräfte beruhen darauf, dass wir das Gegenteil der Schwingung einsetzen, aus der unsere Gegner bestehen.“

„Yin und Yang?“

„Physik.“, rief Vitali.

Erik sah wieder auf den Block. „Das Gegenteil von Angst vor dem Tod? Todessehnsucht?“

Vivien lachte. „Das wäre nicht das Gegenteil von Angst vor dem Tod. Todessehnsucht ist Angst vor dem Leben.“

„Sind das nicht Gegensätze?“, wandte Erik ein.

„Es ist beides Mal Angst.“, meinte Vivien lächelnd.

„Die eine hält dich davon ab, dich umzubringen.“, hielt Erik entgegen.

„Angst ist nicht immer schlecht.“, antwortete Vivien. „Deswegen sind wir ja die Gleichgewichtsbeschützer.“ Sie grinste.

„Das heißt, ihr müsst Mut gegen die Allpträume einsetzen.“, schlussfolgerte Erik.

Hatten sie vor, irgendwelche Mutproben zu machen?

Vivien schüttelte den Kopf. „Mut heißt nur, trotz der Angst zu handeln, aber sie ist nicht ihr Gegenteil.“

„Was ist es dann?“

„Ich weiß noch nicht.“, gestand Vivien. „Aber es wird mir sicher bald einfallen.“

„Ihr seid also noch in der Planungsphase.“, mutmaßte Erik.

„So etwa.“

„Diese Allpträume.“, setzte Erik nochmals an. „Woran erkennt ihr, wo sie sich aufhalten? Wenn sie in Seelenwelten von Menschen eindringen, woher wisst ihr, in wessen sie sich gerade befinden? Oder wollt ihr einfach in allen möglichen nach ihnen suchen?“

Die gleichen Fragen hatten sich die fünf auch schon gestellt. Und bisher hatten sie noch keine Antwort gefunden.

 

Serena konnte nicht schlafen. Es war schon ein Uhr, aber allein der Gedanke an Schlaf versetzte sie in Schrecken.

Ihre Familie war längst ins Bett gegangen, nur sie saß noch allein in ihrem Zimmer, hatte das Licht an und wartete.

Schließlich stand sie auf und trat in den Flur. Oben im zweiten Stock des Hauses – dem Büro ihrer Eltern – standen die Computer.

Sie lief die Treppe hinauf, schaltete alle Lichter an und setzte sich an ihren PC, um sich mit AMVs abzulenken – aus Animeclips zu passender Musik zusammengestellte Videos.

Ihr Instant Messenger Client versuchte sie über den Präsenzstatus ihrer Kontakte in Kenntnis zu setzen, sprich, wer ihrer Freunde gerade ebenfalls online war.

Vivien hatte darauf bestanden, dass sie alle das gleiche Programm installierten, um so jederzeit in Kontakt treten zu können. Da Justin kein Handy besaß, war das die einzige Möglichkeit, auch ihn in einem Gruppenchat zu erreichen.

Serena widmete der Anzeige keine Beachtung und klickte sie automatisch weg. Sie ging nicht davon aus, dass irgendjemand sonst um diese Uhrzeit noch wach war.

Sie wählte aus ihrer Favoritenleiste die gewünschte Seite, als ein Pop-up Fenster aufklappte und ihr anzeigte, dass Vitali online war.

Serena stockte.

Sicher hatte Vitali bloß vergessen, den Computer runterzufahren, weshalb sein Präsenzstatus immer noch auf dem gleichen Stand war wie vor Stunden.

Sie starrte auf die Anzeige seines Namens.

Schließlich klickte sie ihn an und schrieb ihm eine Nachricht.

Bist du online?

Was für eine bescheuerte Frage…

Wenn Vitali morgen wieder an den PC gehen würde, würde er die unmögliche Uhrzeit sehen, zu der sie ihm geschrieben hatte.

Das war einfach nur peinlich!

Sie wollte ihre Nachricht sofort wieder löschen, doch augenblicklich wurde diese nach oben geschoben.

Hey!

Sie sah auf das Wort und konnte kaum glauben, dass er tatsächlich geschrieben hatte.

Was machst du?, schrieb Vitali, der offenbar nicht auf ihre Reaktion hatte warten wollen.

Serena holte Luft und tippte eine neue Nachricht.

Ich kann nicht schlafen.

Kenn ich. Eine zweite Nachricht folgte sogleich. Vitali schien nach jedem Satz die Nachricht abzuschicken, selbst wenn er noch etwas zu sagen hatte.

Wegen dem Allptraum?

Serena zögerte, dann tippte sie.

Können wir telefonieren?

Sie wusste nicht, ob das nicht eine blöde Idee war. Aber etwas in ihr wünschte sich, der bedrückenden Stille zu entkommen.

Jupp. Er ergänzte: Festnetz?

Ich ruf dich an., schrieb Serena.

Es wäre sehr ungeschickt gewesen, wenn im ganzen Haus Funke die Telefone geklingelt hätten, wie sie es immer taten, wenn jemand anrief.

Akku leer.

Serena begriff erst nicht, was er ihr damit sagen wollte. Dann fiel ihr ein, dass er das wohl auf sein Handy bezogen hatte. Das erklärte, warum er nicht per Handy telefonieren wollte.

Muss erst runter., kam von Vitali.

Okay.

Serena wartete kurz. Jede Sekunde kam ihr wie eine Ewigkeit vor.

Sie hatte einen Zettel mit den Festnetznummern der anderen auf ihren Schreibtisch geklebt, und las dort Vitalis Nummer ab. Sie wählte.

Es klingelte mehrfach, dann nahm Vitali endlich ab.

„Mann! Hast du gedacht, ich teleportier mich runter?“, beschwerte sich Vitali.

„Hättest du ja tun können!“, meckerte Serena zurück.

„Ja, um deinen Anruf entgegen zu nehmen!“, spottete Vitali.

„Du kannst ja auch mit jemand anderem telefonieren!“

„Was soll’n das jetzt heißen?“

„Gar nichts.“

Vitali stöhnte. „Du hast auch nie bessere Laune.“

„Nein.“

Vitali grummelte. „Großartig.“

Sie schwiegen.

„Was machst du?“, fragte Vitali. Nun wieder in normaler Tonlage.

„Mit dir telefonieren.“

„Ich meine, was du sonst machst.“

„Gar nichts.“

„Wie spannend.“

„Haha.“ Serena atmete aus. „Ich hab überall das Licht angemacht, aber ich hab immer noch Angst.“

„Hm.“, machte Vitali. „Ich hab auch keinen Bock, dass das Ding in meinen Kopf geht.“

Serenas Hände verkrampften sich. „Ich denke immer wieder an das, was in Trusts Seelenwelt passiert ist.“

„Das darfst du nicht.“

„Das weiß ich auch.“, brummte sie. „Aber ich kann’s nicht abstellen.“

„Hey, wenn irgendwas ist, komm ich zu dir.“, versicherte Vitali.

Sie stockte. „Wie willst du das denn machen?“

„Wie war das mit dem Teleportieren?“ Sie musste ihn nicht sehen, um zu wissen, dass er bei den Worten grinste.

„Du wüsstest ja nicht mal, dass mir was passiert ist.“, widersprach sie.

„Dann bleiben wir einfach am Telefon, dann hör ich, wenn was ist.“

„Ich kann trotzdem nicht schlafen.“, murrte sie.

„Dann bleib halt wach.“

„Ich bin müde.“

„Dir kann man’s doch nie recht machen.“, stellte Vitali fest.

„Nee.“, maunzte Serena wie ein beleidigtes Kind.

„Sollen wir nen Film gucken?“

„Hä?“, machte Serena wie es sonst Vitalis Art war.

„Nen Film. Du weißt schon: sich bewegende Bilder, wo die Menschen sprechen –“

„Ich weiß, was ein Film ist!“, fuhr Serena ihm ins Wort. „Aber wie bitteschön willst du einen mit mir schauen? Du kannst dich nicht einfach herteleportieren, falls dich hier jemand sieht –“

„Ganz locker. Ich meinte, dass wir beide den gleichen Film im Fernsehen schauen.“

Serena schämte sich angenommen zu haben, dass er sich zu ihr teleportieren würde. Deutlich kleinlauter meinte sie daher: „Um die Uhrzeit läuft eh nur Schrott.“

„Hm. Ich bin jetzt nicht mehr am Computer, aber ich kann auch wieder hoch gehen und wir schauen online nen Film.“

„Was für einen?“

„Keine Ahnung.“

Serena gab ein unschlüssiges Geräusch von sich. „Wir müssen auch irgendwann schlafen.“

„Willst du dich hinlegen?“

„Nur wenn du dich auch hinlegst.“

„Du siehst ja nicht mal, ob ich wirklich liege.“, meinte Vitali.

„Mh.“

Vitali seufzte. „Okay, gehen wir ins Bett. Aber wir müssen leise sein, damit ich Vicki nicht wecke.“

„Ich muss dich erst aufs Schnurlose legen oder… Ich ruf dich von unten wieder an. Okay?“

„Okay.“

„Bis gleich.“ Serena legte auf.

Hastig fuhr sie ihren Computer herunter, eilte nach unten und nahm in ihrem Zimmer das schnurlose Telefon aus seiner Ladestation. Sie wählte Vitalis Namen aus der Liste gespeicherter Nummern.

„Hi!“, stieß sie atemlos aus.

„Bist du gerannt?“, fragte Vitali verwundert und ein wenig belustigt.

„Halt die Klappe.“, schimpfte Serena beschämt. Sie legte sich auf ihr Bett. Die Decklampe erhellte den Raum. „Ich bin so müde.“

Vitali gab ein bestätigendes Geräusch von sich.

„Vitali?“

Sie hörte, dass er eine Tür öffnete. Offenbar hatte er ihren Anruf abwarten wollen, damit das Klingeln seinen kleinen Bruder nicht weckte.

Seine Stimme war nun leiser und weicher. „Ja?“

„Erzähl was.“

„Ich dachte, du willst schlafen.“, flüsterte er.

Serenas Augen fielen langsam zu. „Ja, aber wenn ich deine Stimme höre, hab ich keine Angst.“

Von der anderen Leitung kam kurzzeitig keine Antwort.

„Echt?“, fragte Vitali schließlich ungläubig.

„Mhm.“, machte sie schläfrig.

Wieder entstand eine Pause.

Doch allein Vitali am anderen Ende des Hörers zu wissen, beruhigte Serena und ließ sie die bleierne Schwere der Müdigkeit umso stärker spüren.  

„Danke.“, sagte seine Stimme.  

Serena bekam es kaum noch mit, ihre Sinne entschwanden immer weiter in einen Traum.

„Serena?“

„Hm…“

Was Vitali anschließend sagte, hörte sie schon nicht mehr.

 

Auf Vitalis Schrank saß Ewigkeit und hielt Wache über den schlafenden Beschützer, der noch immer das schnurlose Telefon neben sich liegen hatte. Ewigkeit war bemüht, ihre Augen offen zu halten.

Sie hatte die ersten Stunden der Nacht bei Wunsch geschlafen, ehe Veränderns Beschwörung begonnen hatte: ein Dauerfeuer an Anrufungen.

Mit der Hartnäckigkeit eines Bauarbeiters hatte die Stimme in ihrem Kopf einen Krawall und nervtötenden Lärm produziert, der nicht abreißen wollte, bis es ihm schließlich gelungen war, sie aus dem Schlaf zu reißen.

Nur halb bei Bewusstsein hatte sich Ewigkeit daraufhin zu dem Rufenden begeben wie ein Flaschengeist zu seinem Meister.

Er hatte sie angewiesen, zu überprüfen ob bei Schicksal alles in Ordnung war. Nachdem sie die Beschützerin schlafend vorgefunden und ihm darüber Bericht erstattet hatte, hatte er sie darum gebeten, die Nacht über Wache zu halten.

Selbstverständlich nahm sie diese Aufgabe äußerst ernst!

Müde schwebte sie vom Schrank, landete vorsichtig neben Vitalis Kopf auf dem Kissen und ließ sich auf die weiche Oberfläche sinken. Kaum hatte sie sich eingekuschelt und die Augen geschlossen, erklang ein leises Rascheln und im nächsten Moment wurde sie nahezu von Vitalis Schädel zerquetscht.

Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich in Sicherheit teleportieren.

Der Beschützer indes schien von seinem Attentat nichts mitbekommen zu haben. Seelenruhig schlief er weiter.

Ewigkeit sah missmutig auf ihn hinab, dann seufzte sie. Sie schwebte wieder auf den Schrank und lief auf seinem Oberboden ein paar Schritte.

Ihr Kopf tat schon wieder weh.

Er fühlte sich so schwer an, als wäre viel zu viel darin. Sie ließ sich auf den Boden plumpsen und fasste sich an die Stirn.

 

Grauen-Eminenz fasste sich an die Stirn.

Er hätte der Schatthenmeister-Gewerkschaft doch beitreten sollen. Gab es überhaupt ein Arbeitsgericht für Schatthenmeister?

Anstatt seine Zeit mit Nebensächlichkeiten wie seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten zu verschwenden, hätte er sich über solche lebenswichtigen, bürokratischen Dinge informieren sollen!

– Nicht mal sein eigener Sarkasmus konnte ihn heute aufmuntern...

Das Telefonat mit einem der Zuständigen war alles andere als erfreulich verlaufen. Wie ein spitzes Tötungsinstrument bohrte sich die Erinnerung in seinen Schädel.

Die bullige Stimme hatte laut gedonnert: „Was fällt Ihnen ein, Forderungen zu stellen! Wir sind hier nicht beim Wunschkonzert! Sie halten sich gefälligst an Ihren Arbeitsvertrag!“

Im Gegensatz dazu war Grauen-Eminenz ruhig geblieben. „In meinem Vertrag steht nichts davon, dass ich Aufträge übernehmen muss, über die ich nicht gründlich genug informiert bin. Um das Experiment richtig durchzuführen, brauche ich mehr Informationen.“

Sein Gesprächspartner hatte kurz geschwiegen.

Grauen-Eminenz war davon ausgegangen, dass der Pandämoniums-Mitarbeiter sich in dieser Zeitspanne darüber geärgert hatte, dass es in Schatthenmeister-Arbeitsvertrag keine Klausel gab, die einen Schatthenmeister dazu zwang, einfach alles zu tun, was man ihm sagte, egal wie hirnrissig es war.

„Die Informationen, die Sie brauchen, haben Sie bereits.“, hatte sein Gesprächspartner schließlich fortgesetzt. Damit hatte er Bezug auf die Info genommen, dass das Behältnis, in dem die Allpträume aufbewahrt waren, eine Einsaugfunktion hatte.

„Und auf welchen Radius beschränkt sich die Einsaugfunktion? Um die Allpträume per Knopfdruck wieder einzufangen, müsste an jedem ein Sender angebracht sein oder ein Suchzauber. Ich habe einen der Allpträume gesehen und es war nichts dergleichen an ihm festzustellen.“

„Das zeigt doch nur, wie wenig Ahnung Sie von der Materie haben.“, hatte der Pandämoniums-Vertreter gespottet. „Wenn alles nicht funktionieren würde, nur weil Sie mit Ihrem Spatzenhirn es nicht durchschauen, hätten wir weit größere Probleme!“

Grauen-Eminenz hatte die Hände zu Fäusten geballt. Die Provokation durch seinen Gesprächspartner hatte eine finstere Welle in seinem Inneren aufschäumen lassen.

„Sie sollten sich im Klaren darüber sein, mit wem Sie hier reden.“ Der Ton des Herrschers war in seine Stimme getreten. „Das Pandämonium hat mich mit dieser Aufgabe betraut, weil ich der einzige bin, der sich mit dem Phänomen der Nebendimensionen auskennt. Als Verantwortlicher für dieses Experiment will ich entsprechend behandelt werden.“, hatte er gefordert. „Wenn Sie jemanden hätten, der sich besser mit den Allpträumen auskennt, dann hätten Sie wohl ihn mit dieser Aufgabe betraut. Da Sie das nicht getan haben, gehe ich davon aus, dass Sie selbst nicht wissen, was genau uns bei dieser Aktion erwartet. Diese Dinger sind gefährlich und unberechenbar. Sie loszulassen ist eine Sache, aber sie auf eine mit einem Schlafzauber belegte Stadt loszulassen eine ganz andere. Dadurch werden die Dimensionen durcheinandergebracht.“

Der hirnlose Typ war ihm ins Wort gefahren. „Sind Sie so’n Star Trek Nerd? Es gibt keine verschiedenen Dimensionen!“

Hatte dieser minderbemittelte Bürohengst eigentlich auch nur die geringste Ahnung über diesen Auftrag?

Grauen-Eminenz hatte nicht den Nerv gehabt, sich noch länger mit diesem verbohrten Ignoranten zu unterhalten. Deshalb hatte er zum finalen Schlag angesetzt und seiner Stimme einen gewichtigen Ton verliehen.

„Wenn sich das Erledigen meines Auftrags verzögert wegen Ihrer Unfähigkeit, mir die nötige Auskunft zu geben, dann werde nicht ich es sein, der seinen Job verliert. Aufwiederhören.“ Ha! Das hatte gesessen!

Den Gesprächspartner in die Enge zu treiben, war immer noch die beste Methode! Dann musste man nur noch lange genug zögern, damit sein Gegenüber doch noch einlenken konnte.

„Herr Grauen-Eminenz!“

Genau so! In diesem Moment hatte Grauen-Eminenz bereits seinen Sieg vor Augen gehabt.

„Schicken Sie die Box mit den Allpträumen umgehend zurück an das Pandämonium. Der Einsatz findet am 31. statt. Ob mit oder ohne Sie.“

Setzte man jemanden unter Druck, gab es nur zwei Möglichkeiten:

Entweder derjenige gab nach oder aber derjenige setzte ebenfalls zum finalen Schlag an. Man konnte nie wissen, welches von beidem.

Und in einem solchen Moment Schwäche zu zeigen war tödlich.

Er hätte daraufhin desinteressiert klingen müssen, hätte sich auch noch glücklich darüber geben müssen, dass er diesen Auftrag los war, aber etwas in ihm – etwas äußerst Störendes! – hatte sich so sehr geweigert, diese Waffe in die Hände eines der hirn- und gewissenlosen anderen Schatthenmeister zu geben, dass er das Risiko nicht hatte eingehen wollen. Deshalb hatte er eingelenkt.

Grauen-Eminenz ärgerte sich bei der Erinnerung noch immer über sein eigenes Verhalten.

Dass er vor diesem Großkotz hatte klein beigeben müssen, war das Letzte!

Sein Stolz ließ ihn an dieser Beleidigung fast ersticken.

Er kam sich ja schon vor wie einer mit Moral und Anstand! Jemand, der die Welt davor beschützen wollte, von einer Horde Amok laufender Allpträume heimgesucht zu werden.

Das würde sich ganz sicher nicht gut in seinem Lebenslauf machen.

Wie konnte er sich nur aus solch einem bescheuerten Grund auf diesen Irrsinn einlassen?

Wieder blitzte das Bild des Allptraums in Gestalt dieser Person in seinem Kopf auf.

Er biss die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten.

Erneut bemühte er sich, sich auf seine Aufschriebe zu konzentrieren. Mit ihnen hatte er versucht, Klarheit über das zu gewinnen, was ihm in der folgenden Nacht bevorstand.

In den letzten Tagen hatte er das Wirken des freigelassenen Allptraums verfolgt. Den Aufenthaltsort des Allptraums hatte er durch die Daten seiner Schwingung lokalisiert.

Als er sich daraufhin an den entsprechenden Ort begeben hatte – was sich ziemlich umständlich gestaltete – hatte er damit gerechnet, dass die Kreatur ihn erneut angreifen würde. Dem war nicht so gewesen.

Außerhalb des Schatthenreichs widmete sich der Allptraum offenbar allein Schlafenden. Die Art seines Vorgehens war in der normalen Welt völlig anders als im Schatthenreich.

Im Schatthenreich war der Allptraum nicht unsichtbar gewesen, er hatte einen Körper besessen und hatte seine Gestalt verändern können. In der normalen Welt schien er dagegen wie ein böser Geist, wie etwas, dessen Existenz mit dem seines Opfers verschmolz, es besetzte.

Was genau der Allptraum im Kopf des Schlafenden anrichtete, konnte Grauen-Eminenz nicht mit Sicherheit sagen. Es erinnerte ihn an den Mechanismus seines Spiegelkabinetts.

Was aber würde passieren, wenn der Schlafzauber eine Dimension schaffen würde, die dem Schatthenreich ähnelte?

Er seufzte.

Jetzt im Nachhinein klangen die beiden Gründe, aus denen das Pandämonium ihm diesen Auftrag erteilt hatte, wie leiser Hohn über seine Selbstüberschätzung.

Die plötzliche Sichtbarkeit des Allptraums bei dem ersten Versuch hatte ihm schmerzlich klar gemacht, dass seine Vorgesetzten sein Schatthenreich weit besser einzuschätzen wussten als er selbst. Und das obwohl er sich so viel darauf einbildete.

Sein Schatthenreich hatte die richtige Frequenz.

Der zweite Grund war, dass er ganz Entschaithal eingeschläfert hatte, um seine Versuchskaninchen in sein Reich zu schaffen. Die Sache mit den Auserwählten und dass er sie einer Immunisierung unterzogen hatte, hatte er zwar vor seinen Vorgesetzten geheim gehalten, doch über den Schlafzauber hatte er natürlich Rechenschaft ablegen müssen. Er hatte damals behauptet, es handle sich um eine Übung für den Einsatz der Schatthen und genau das wurde ihm nun zum Verhängnis.

Das Pandämonium verlangte von ihm, erneut die ganze Stadt einzuschläfern und dann die Allpträume an den schlafenden Bewohnern zu testen.

Grauen-Eminenz stöhnte. Am liebsten hätte er alles hingeschmissen. Er legte seinen Kopf auf den Schreibtisch vor sich und vergrub ihn in seinen Armen. Schweigend lauschte er seinem Atem.

Er brauchte ein Haustier!

Jawohl! So ein kleines, sich über seine Anwesenheit freuendes Lebewesen, das ihn überglücklich begrüßte und zu dämlich war, um seine schlechte Laune zu bemerken.

Er seufzte.

Als hätte er Zeit für ein Haustier…


Nachwort zu diesem Kapitel:
Grauen-Eminenz ist nicht begeistert von seiner Aufgabe, deren Ausführungsdatum immer näher rückt.
Derweil erhalten die fünf neue Informationen. Nächste Woche: "Warnung".

Meine Gedanken zum Kapitel:
Ich liebe es, Ewigkeits und Grauen-Eminenz' Sichtweise miteinander abzuwechseln. Irgendwie finde ich das süß. Und ja, bei dem Bild von Grauen-Eminenz' Haustier hab ich an Ewigkeit gedacht. XD

Ja, es wird gerade viel aufgebaut für den großen Allpträume Showdown, daher braucht man derzeit etwas Geduld. Aber wer bis hierher gelesen hat, hat ja bereits bewiesen, dass er viel Geduld hat. :D
Im Übrigen: Danke dafür! 😘 Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  RukaHimenoshi
2021-10-21T09:05:47+00:00 21.10.2021 11:05
Es ist wirklich witzig zu beobachten, wie Erik der Gruppe hilft obwohl er es nach wie vor irgendwie für ein Spiel hält. XD Aber das Modell ist ziemlich cool. °o°

Hahahaha oooh Gott, es war so klar, dass Vitali einer dieser Leute ist, die gefühlt ein Wort pro Nachricht verschicken und dadurch entsprechend viele Nachrichten hintereinander XD
Oh ja, ich bin auch müde Leute… und es ist helllichter Tag ^^“

Okay, jetzt bin ich mal gespannt, ob dieses geupdatete Babyphone auch wirklich macht was es soll. XD (Ich hoffe, die haben eine Festnetz-Flat… Will mir nicht vorstellen, wie hoch die Telefonrechnung ansonsten wird!!! °_° )

Hahahah ach, Szenen aus Grauen-Eminenz‘ Sicht sind einfach immer wunderbar X’D Und so’n Scheiß, dass in ihm anscheinend doch noch ein Funken Gutes steckt, hihi :3
Aaaaaw, oh ja, er sollte sich ein Haustier zulegen *o* <3 Irgendein süßes, was man kuscheln kann. Denn eines steht fest: Grauen-Eminenz braucht unbedingt Cuddles! <3 X‘D
Antwort von:  Regina_Regenbogen
22.10.2021 19:03
>Es ist wirklich witzig zu beobachten, wie Erik der Gruppe hilft obwohl er es nach wie vor irgendwie
>für ein Spiel hält. XD
Secret halt. XD Irgendwie hilft er ihnen, ob er will oder nicht.

>Hahahaha oooh Gott, es war so klar, dass Vitali einer dieser Leute ist, die gefühlt ein Wort pro
>Nachricht verschicken und dadurch entsprechend viele Nachrichten hintereinander XD
Haha, ich finde das auch so ein niedliches Detail. :D

>(Ich hoffe, die haben eine Festnetz-Flat… Will mir nicht vorstellen, wie hoch die Telefonrechnung
>ansonsten wird!!! °_° )
Haha, ja Serenas Familie hat ne Festnetzflat. Jetzt stell ich mir vor, wie Vitali ohne Flat so was machen würde, seine Mutter würde ihn killen. :'D

>Hahahah ach, Szenen aus Grauen-Eminenz‘ Sicht sind einfach immer wunderbar X’D
XD Das freut mich.

>Und so’n Scheiß, dass in ihm anscheinend doch noch ein Funken Gutes steckt, hihi :3
Üble Verleumdung! XD Das ist alles ein Missverständnis!

>Aaaaaw, oh ja, er sollte sich ein Haustier zulegen *o* <3 Irgendein süßes, was man kuscheln kann.
>Denn eines steht fest: Grauen-Eminenz braucht unbedingt Cuddles! <3 X‘D
XD Stelle mir grade seinen Gesichtsausdruck auf diese Aussage hin vor. XD XD XD XD XD Mörderisch gut. XD
Von:  totalwarANGEL
2021-10-15T17:42:49+00:00 15.10.2021 19:42
> „Was hast du aufgeschrieben?“, fragte Erik argwöhnisch.
> Vivien strahlte. „Hat Angst, seine Schwächen zu zeigen.“
Ha ha ha, exakt!

> um sich mit AMVs abzulenken
♥‿♥

> Was Vitali anschließend sagte, hörte sie schon nicht mehr.
War bestimmt eine Sauerei...

> Ihr Kopf tat schon wieder weh.
> Er fühlte sich so schwer an, als wäre viel zu viel darin.
Wag ich zu bezweifeln. ]:)

> Es gibt keine verschiedenen Dimensionen!
Einspruch! Es gibt mehrere ernst gemeinte wissenschaftliche Theorien dazu.


Mein persönliches Highlight war natürlich wieder der Auftritt der grauen Eminenz.
Immunisierung. Interessant. Corona? :D
Antwort von:  Regina_Regenbogen
15.10.2021 23:23
>> Vivien strahlte. „Hat Angst, seine Schwächen zu zeigen.“
>Ha ha ha, exakt!
😂 Schön, dass du mal über was lachen kannst, das Vivien gesagt hat.

>>Was Vitali anschließend sagte, hörte sie schon nicht mehr.
>War bestimmt eine Sauerei...
😂 Ja, genau, weil er sich das bei ihr trauen würde.

>> Es gibt keine verschiedenen Dimensionen!
>Einspruch! Es gibt mehrere ernst gemeinte wissenschaftliche Theorien dazu.
Tja, der Typ ist nicht grade das hellste Licht am Kronleuchter.

>Mein persönliches Highlight war natürlich
>wieder der Auftritt der grauen Eminenz.
Haha, das freut mich. Der Gute wird immer beliebter. 😂

>Immunisierung. Interessant. Corona? :D
Zwangsimpfung! 🤣


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