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Enemy mine - geliebter Feind II

von

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Kapitel 12

Es war mehr als nur ärgerlich. Es war beinahe demütigend. Warum hatte er es nicht kommen sehen können?

Das war das teuflische an der Routine, das, was unvorsichtig machte, was man viel zu leicht übersah, ganz gleich wie sehr man es erwartete.

Jetzt war er von Dunkelheit umgegeben. Irgendwo in einem Kasten aus irgendeinem Metall.

Seine Hände waren auf Kopfhöhe an der Wand hinter ihm befestigt.

Er versuchte seine Handgelenke darin zu bewegen, doch gewaltsam wurden sie gehalten.

Handschellen, die an der Wand fixiert waren.

Kaum Bewegungsspielraum. Typisch für Outrider. Menschen waren etwas milder, meist hielten ein oder zwei Kettenglieder die Fesseln, gestatteten geringfügig Bewegung.

Er konnte nichts sehen. Die Finsternis, welche ihn einhüllte, war vollkommen.

Doch er war nicht allein.

Das spürte er.

Das wusste er.

Ehe sie es sich versehen hatten, hatte man sie gefasst.

Diese vermaledeite Baustelle.

So alltäglich im Bild der Stadt.

Ihr Anblick so gewöhnlich. Routine schon.

Ihre Falle. So einladend.

Er hatte es gesehen.

Doch hatte er es nicht gesehen.

Clever.

Er hatte es zu spät gemerkt.

Als April gestolpert war, hatte er sie aufgefangen. Sie hatte ihn angesehen, mit ihren überraschten, großen, blauen Augen.

Dann fehlte ihm die Erinnerung.

Irgendetwas hatten sie ihm gespritzt.

Ob es eine Wirkung auf seinen Sender hatte?

Er hob den Kopf in der Dunkelheit.

Sie war bei ihm. Neben ihm.

Lauschte er aufmerksam, konnte er ihre Bewegungen hören.

Hören, wie sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte.

Hören, wie sie versuchte ihre Hände in den Fesseln zu drehen.

Hören, wie sie frustriert ausatmete.

Dann musste er sich nicht mehr auf diese Geräusche konzentrieren.

Laut wurde sie. Ihre Stimme klang wütend, als sie zu zetern begann.

Sie tobte, unfähig etwas anderes zu tun. Finsternis und stark eingeschränkte Bewegungsfähigkeit limitierten ihr Handlungsvermögen. Nun setzte sie wohl darauf, die Aufmerksamkeit derer auf sich zu richten, die dafür verantwortlich waren, erhoffte sich womöglich eine Änderung ihrer Lage.

Sie schrie nach Jesse Blue, gab ihm einfallsreiche andere Namen und verlangte immer wieder, er solle ihr gegenüber treten und sich so ihr stellen.

Doch Jesse würde nicht kommen. Das wusste er. Das Interesse, das er einst für die Navigatorin hatte, war in den vergangenen Jahren auf Null gesunken. Mit Lily verband ihn nun eine Symbiose, die nicht nur gern gesehen war, sondern ein Maß an Zuneigung erfüllte, welches als das höchste galt, ohne übermäßig zu sein. Nachwuchs hatte diese Verbindung ebenfalls schon erbracht. Natürlich hatten sie damit ihre Aufgabe noch nicht erfüllt. Dazu war weit mehr nötig.

Jean-Claude zurückzubringen, zum Beispiel.

Seine Schwestern in die Phantomzone zurück zu führen, war ebenso wichtig

Allerdings war es sicher ein Bonus, die Ramrod-Navigatorin mitzuliefern.

Wer den sich wohl einheimsen durfte?

Jesse, darauf verwettete Jean-Claude sein Leben, hatte sich Zugang zum Oberkommando und den gesicherten Daten verschafft. Er war als Mensch der einzige, der sich in einer Metropole wie Yuma-City bewegen konnte, ohne aufzufallen, selbst mit seinem Ruf.

Andere Kandidaten, die man sehr wahrscheinlich auf sie angesetzt hatte, fielen da schon eher auf. Vor allem, da sie sich nicht wie Menschen verhielten, wie er selbst oft genug erlebt hatte. Jemand wie Gattler, Viperon oder Calibos fielen hier eher aufgrund dessen auf, weil sie Eigenschaften an den Tag legten, die in der Heimat als positiv bewertet wurden, hier allerdings negativ konnotiert waren.

Der Überläufer hatte also die Informationen beschafft, die den erfolgreichen Zugriff ermöglicht hatten, und eventuelle Handlanger beseitigt, wenn er denn jemand ausfindig gemacht hatte, der wie ein Vogel gezwitschert hatte.

Damit tat sich die Frage auf, wer den Zugriff durchgeführt hatte. Gattler schloss Jean-Claude aus. Dazu war es zu unauffällig und effektiv abgelaufen. Der Geschwaderführer war ein Anhänger von pompösen Aufgebot und großem Materialeinsatz. Wahrscheinlich hatten sie ihn irgendwo in der Hinterhand.

Nein, überlegte Jean-Claude, das ganze entsprach eher dem Muster von Calibos oder Viperon.

Neben ihm zeterte noch immer die Navigatorin.

„Jesse Blue, du Ratte. Damit kommst du nicht durch. Das solltest du wissen.“

„Lass es“, brummte der Outrider in die Finsternis. Sie verstummte abrupt, hatte wohl nicht damit gerechnet, dass er sie ansprach oder überhaupt bei Bewusstsein war. „Das ist Energieverschwendung.“

Seine Ruhe erstaunte sie. Er klang beinahe gelassen, als hätte ihn ihre momentane Lage nicht weniger überraschen können. Sie drehte ihren Kopf in die Richtung, aus der sie seine Stimme vernommen hatte und mehr als diese Augenblicke vom erstaunten Verstummen zum Zuwenden benötigte sie auch nicht, um eben jene Überraschung abzustreifen.

Er war ein Outrider, sachlich und kühl berechnend. Ganz gleich wie sehr er an seinen Schwestern hing und wie wenig es ihm gefiel, dass man ihn erwischt hatte – er würde diese Gefühle nicht überhand nehmen lassen. Es war effektiver, die Situation zu analysieren und zu planen, wie man ihr entkommen konnte, damit er seine Schwestern bald wieder sah. Er hatte Recht damit. Ihre Wut richtete nichts aus, war lediglich ein Ventil für einen Umstand, an dem sie im Augenblick nichts ändern konnte. Zumindest nicht, so lange sie ihre Hände nicht bewegen und ihre Umgebung nicht erkennen konnte.

Sie atmete einmal tief durch.

Beide lauschten in die Dunkelheit.

Beinahe lautlos bewegte sich jemand außerhalb ihrer Zelle. Sie konnten feste, aber leise Schritte vernehmen, welche näher kamen.

Dann klackte etwas.

Ein grellgelber Rahmen zog sich scharf um etwas, das sie als Tür identifizierten.

Zischend fuhr es zur Seite. Neonlicht blendete, je mehr, je weiter die Tür in die Wand glitt.

April und Jean-Claude kniffen die Augen zusammen, blinzelten dann vorsichtig in die gleißende Helligkeit und konnten, langsam zunächst, dann aber immer deutlicher, eine Schattengestalt im Türrahmen ausmachen.

Sie trat langsam ein, als hätte sie alle Zeit für sich.

„Du lärmst wie ein Säugling und doch ist es dir gelungen einen Renegade wie euren Friedenswächter zu entwerfen und erfolgreich zusammen zu montieren. Das ist wahrlich faszinierend“, erklang eine kalte Stimme schneidend.

April zuckte zusammen, als hätte man sie mit Eiswasser übergossen.

Irritiert blinzelte sie auf die Gestalt in der Tür.

Calibos erkannte sie sofort an seiner Stimme und der Art, sich zu bewegen. Die Begegnung mit ihm hatte sich tief in ihre Erinnerungen geprägt. Trotzdem hatten sämtliche Zusammentreffen mit Jesse Blue deutlich tieferen Eindruck in ihrem Gedächtnis hinterlassen, weshalb sie ihn als Drahtzieher vermutet hatte. Nein, sie war sich sicher gewesen. Er stand immerhin auch auf der Liste, die Saber und Jean-Claude aufgestellt hatten. So weit hergeholt war ihre Vermutung nicht. Es verhinderte allerdings nicht, dass sie sich nun schlichtweg dumm vorkam.

Jean-Claude hingegen blieb unbeeindruckt.

„Dann versucht jetzt also Viperon meine Schwestern einzusammeln“, schlussfolgerte er kühl.

Calibos trat näher, so dass sie sein Gesicht erkennen konnten. Sein Blick maß seine Gefangenen, kühl und überlegen.

„Er wird bald Erfolg haben“, versicherte er ruhig und musterte April noch einmal von Kopf bis Fuß.

„Na ja“, meinte er dann nur ehe er sich ganz an Jean-Claude wandte.

„Lange hast du es geschafft. Nicht schlecht, muss ich gestehen. Aber dein kleiner Familienausflug endet bald.“

Damit tippte er sich leicht mit zwei Fingern an die Stirn, salutierte lässig und verließ die Metallkammer ohne weitere Worte.

Als die Tür hinter ihm ins Schloss glitt, blinkten schwache, kleine Lichter darüber auf und spendeten ein mattes blass gelbes Licht.

April starrte schweigend auf die Tür und versank beinah darin, als der grünhaarige sie ansprach.

„Du bist eine attraktive, kluge Frau, aber zu glauben, du seist Jesses einziger Lebensinhalt, ist etwas überheblich, findest du nicht?! Es gibt viele kluge, attraktive Frauen.“

Sie nickte langsam. Seine Worte waren ihr bewusst geworden, als sie Calibos‘ Stimme vernommen hatte.

„Die ganze Art passt zu ihm. Das war sehr kalkuliert. Die meisten von euch, mit denen wir zu tun hatten, hatten einen Plan, aber Jesse war der berechnendste von allen für uns. Er hat es wie keiner von euch verstanden, unsere Gefühle zu manipulieren und das ist auch diesmal gelungen. Denkst du nicht?“, erwiderte sie.

Jean-Claude nickte.

„Uns zuerst zu kassieren, war ganz sicher seine Idee. Damit bringt er deinen …“ Er verzog das Gesicht. „ … Freund auf. Der dürfte jetzt an der Decke kleben, emotional und unsachlich, und nur daran denken, dass er dich wieder bekommt. Ich, ich bedeute immerhin meinen Schwestern was. Beide sind emotional genug um Hals über Kopf zu handeln. Ich hoffe, Saber kann Bio beruhigen. Ihr wird es gelingen, Snow zu beruhigen. Colt ist nicht sachlich genug dafür.“

April musterte ihn. Mit seiner Einschätzung über Fireball hatte er Recht. Sicher war er außer sich, unabhängig davon, wie es gerade zwischen ihnen lief.

„Du unterschätzt Colt. Sicher kann er Snow beruhigen“, entgegnete sie.

„Das bezweifle ich. Colt ist kein Stratege, Saber dafür umso mehr. Ich sage nicht, dass Colt nichts taugt. Ich sage lediglich, dass eine ausgeklügelte Strategie zu so einem Zeitpunkt nicht seine Stärke ist. Er ist emotional und ungestüm“, gab der Outrider schlicht zurück.

„Du scheinst keine sehr hohe Meinung von deinem Schwager zu haben.“ Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu.

„Muss ich auch nicht. Das ist für euch von Belang, nicht für uns. Meine Schwestern treffen ihre Entscheidung, wählen den, den sie für passend halten. Damit muss ich aber nicht einverstanden sein. Ich konnte Annabells Partner nicht ausstehen, aber er war gut für sie. Darauf kommt es an.“

„Würdest du dich nicht lieber mit deinen Schwagern verstehen?“

„Wozu? Ich führe keine Beziehung mit ihnen, das tun meine Schwestern. Aber ich kann deine Bedenken vielleicht zerstreuen. Ich schätze Saber nicht nur als Star Sheriff und Feind. Er ist analytisch, strategisch und bedacht. Ich respektiere auch Colt. Er ist ein hervorragender Scout und Scharfschütze. Ich habe aber Bedenken. Er ist auch sehr hormonell und emotional.“

So sachlich, wie er das aussprach, bezweifelte April nicht im Geringsten den Wahrheitsgehalt seiner Worte, akzeptierte sie als seine Meinung über ihre beiden Kollegen und Freunde. Außerdem waren sie ziemlich treffend, wie sie zugeben musste. Sie nickte ohne sich dessen bewusst zu sein.

„Gut. Wenn wir nun also die Beziehungsangelegenheiten abgehakt haben, kommen wir unserer Situation. Was hältst du für die beste Vorgehensweise?“

„Ein Mensch würde versuchen zu fliehen. Damit werden sie aber rechnen, weshalb das keine gute Idee ist.“ April runzelte nachdenklich die Stirn.

„Da hast du Recht“, stimmte Jean-Claude ihr zu. „Hierzu bleiben und brav zu folgen, ist aber auch nicht sinnvoll. Es macht ihnen den Weg leichter und zieht, wenn ihr Plan aufgeht, überstürzte Verfolger nach sich, die einem leichter in die Falle laufen und auch noch glauben, dass es ihnen in die Finger spielt. So spielen sie ihre Gefühle gegen sie aus.“

„Ich denke, wir können uns auf Saber verlassen. Er wird sie von einem voreiligen Aufbruch abhalten“, meinte die Navigatorin, dann sah sie ihn wieder an. „Was habt ihr beiden geplant? Ihr habt mit so etwas gerechnet.“

„Ein kleiner Eingriff, aber ich fürchte, so wie es uns ausgeknockt hat, haben sie uns ein verdammt starkes Narkotikum gespritzt. Oder hast du auch nur die geringste Erinnerung an irgendetwas, das uns weiterhelfen könnte?“

Sie dachte einen Moment lang nach, versuchte aus ihrem Gedächtnis entsprechende Informationen abzurufen, doch es bestreikte sie.

„Ein Filmriss, fast so, als hätte man noch einige Minuten davor gelöscht“, erwiderte sie dann.

„Wie bei mir auch. Dachte ich mir. Dann sollten wir uns nicht darauf verlassen, dass wir allzu bald … sagen wir … ein Leuchtstern für deine Kollegen sind. Es gibt drei Substanzen, die auf den Eingriff negativen Einfluss haben, aber offensichtlich haben sie eine davon verwendet“, stellte er fest.

„Sie haben wohl damit gerechnet, dass ihr eine Spur legen wollt und haben uns vorsorglich mit was? betäubt. Nacro oder Delum?“

Er hob die Schultern, so gut es in der Position möglich war.

„Wahrscheinlich Delum. Das bleibt länger im Kreislauf“, grübelte er.“

„Das gibt ihnen mehr Zeit für die Flucht oder eher einen geordneten Rückzug.“ Die Navigatorin presste die Lippen zusammen. „Aber es gibt uns auch mehr Zeit. Zeit zum Überlegen, was wir jetzt am besten machen.“

„Ja.“

Schweigen legte sich eine Weile über sie. Grübelnd starrten sie in die Dunkelheit.



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