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Enemy mine - geliebter Feind II

von

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Kapitel 14

In ihrer Wohnung stand Beth etwas früher auf als sonst, damit Ian etwas schlafen konnte. Sie duschte und zog sich an.

Dann machte sie Frühstück für Broik und sich. Der allerdings zog sich erstmal in Snows Zimmer zurück und schloss die Augen.

Es überraschte Beth, als es klopfte und Fireball sich bemerkbar machte.

Sie prüfte die Tür, ehe sie ihn einließ.

„Guten Morgen“, begrüßte sie ihn und schaute ihm nach, als er zielstrebig an ihr vorbei in die Küche ging, den Gruß kaum hörbar erwiderte.

Langsam kam sie ihm nach und betrachtete ihn. Ihr fielen einige Blätter Papier in seiner Hand auf.

„Möchtest du eine Tasse Kaffee?“, fragte sie ihn und grübelte, was ihn zu ihr führte.

„Danke, das brauche ich jetzt.“ Er klang seltsam rau, mürrisch und träge zur gleichen Zeit.

Sie nickte, warf ihm noch einen prüfenden Blick zu und nahm eine Tasse aus dem Schrank.

Fireball tigerte unterdessen in der Küchennische auf und ab.

Beth fand es amüsant, goss bedacht Kaffee ein, hielt inne, als prüfe sie die Menge und schenkte noch ein wenig nach, hielt inne und goss schließlich noch einen kleinen Schluck nach.

Es erinnerte ihn an die gemessenen Bewegungen einer Geisha, die kunstvoll eine Teezeremonie durchführte.

„Möchtest du Zucker in deinen Kaffee? Oder etwas Milch?“

„Milch, bitte.“ Er fragte sich, ob sie das mit Absicht machte. Sie schien ihn aus dem Augenwinkel zu beobachten, während er auf und ab lief, und hätte die Milch nur noch langsamer dem Kaffee hinzufügen können, wenn sie eine Pipette verwendet hätte.

Er blieb stehen und seufzte, tappte ungeduldig mit dem Fuß, was ihn davon abhielt, sie ungeduldig anzufahren.

„Kann ich etwas für dich tun?“ fragte sie und reichte ihm die Tasse. Ein feines, unschuldiges Grinsen umspielte ihre Lippen. „Ich werde dir übrigens nicht in die Nase fassen um es dir rauszuziehen. Ihr sagt doch immer „lass dir nicht alles aus der Nase ziehen“. Tja, das betrachte ich nicht als meine Aufgabe“ erklärte sie freundlich. Ihr Grinsen vertiefte sich.

Sticheln konnte sie wie ihr Bruder, nur charmanter, das gestand Fireball ihr zu. Unter anderen Umständen hätte er darüber lachen und sie seinerseits aufziehen können, nun aber reichte es noch für ein träges Grinsen.

„Saber sagte, ohne ein Protokoll, dem du und Snow zustimmen, bleibe ich vom Fall abgezogen.“ Damit reichte er ihr die Blätter. „Also dachte ich, bevor ich ihm das gebe, gebe ich es dir.“

Sie nahm das Protokoll an und hakte nach. „Und Snow? Sie muss ja ebenfalls damit einverstanden sein.“

Er nickte.

Sie faltete die Blätter aus einander und warf einen Blick darauf. Sie hob die Brauen. Der Text war von Hand geschrieben und glich schon vom Format her eher einem Aufsatz als einem Protokoll. Nun, vielleicht erfüllte es den Zweck, den der Schotte sich davon erhoffte.

Sie überging daher den augenscheinlichen Fehler und begann zu lesen.

Es war etwas schwierig. Fireball hatte eine nachlässige Handschrift, zerrte die Buchstaben beinahe halbherzig über das Blatt und seine Linien. Offensichtlich wollte er den Befehl erfüllen und hatte es eilig, wieder zum Fall hinzugezogen zu werden um seine Freundin retten. Beth verstand das. Ihre Schwester hatte sich am vorherigen Abend nicht wesentlich anders verhalten und darauf gedrängt mit Ramrod zu fliegen, um ihren Bruder zu retten.

Sabers Anordnung hatte ihn allerdings etwas zur Ruhe gebracht. Schon der erste Abschnitt las sich, als wäre er um Sachlichkeit bemüht. Der zweite allerdings zeigte, dass es wohl nicht so einfach war. Der Rennfahrer zählte darin zunächst das Verhalten ihres Bruders auf, das er als unangebracht empfand.

„Aha …“ Beth runzelte die Stirn und las weiter.

Dem Wuschelkopf wurde unbehaglich. Dieses kleine Wort hatte nüchtern und kühl geklungen, was wohl nichts Gutes verhieß.

Ihre Augen erfassten die Worte des Abschnittes weiter. Es schien Fireball nicht schwer zu fallen, die Schwächen, oder das, was er als solche bewertete, aufzuzählen und zu benennen, wenn auch nicht nachvollziehen zu können. Nicht gänzlich.

Sie seufzte und wandte das Blatt auf die andere Seite, um sich weitere strenge Ansichten über ihren Bruder zu ersparen. Die, die sie bisher gelesen hatte, bewertete sie als falsch da schlecht beobachtet, wenn überhaupt.

Die Rückseite des Blattes las sich nicht sehr viel anders. Ihre Augen suchten nach dem nächsten Absatz, ohne sich in den Text zu vertiefen.

Hier begann Fireball mit der Nennung seines Verhaltens, seiner Begründung und die Reflexion.

Stille erfüllte den Raum. Der Rennfahrer drehte die Tasse in seinen Händen und beobachtete Beth abwartend.

Diese begann sich dem zweiten Blatt zu zuwenden. Snow hätte längst aufgehört zu lesen und sich gegen Fireballs erneuten Einsatz ausgesprochen. Zu wütend wäre sie über den zweiten Abschnitt geworden. Beth traf ebenfalls, was dort stand, dennoch hoffte sie, dass irgendwo etwas stand, das zeigte, das hier nicht nur Schuld hin und her geschoben wurde, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung statt fand.

Sie runzelte die Stirn und las weiter. Dann glätteten sich die Runzeln wieder. Ihre Brauen hoben sich. Es war schwer zu sagen, ob sich Erstaunen oder Interesse oder Verwunderung hinter diesem Zug verbarg.

Sie hob den Blick und sah Fireball an.

„Was ist?“, wollte sie wissen, als sie seine angespannte Miene sah.

„Dein Aha beunruhigt mich“, erwiderte er wahrheitsgemäß.

„Aha.“ Das klang eben so nüchtern wie zuvor. Sie faltete das Blatt zusammen, nahm ihre Tasse von der Anrichte gegen die sie sich gelehnt hatte, und trank einen Schluck. „Es ist interessant, das zu beobachten. Du wirfst meinem Bruder allen möglichen Unsinn vor, hast keine Zeit für Snows oder meine Ansichten - es scheint mit Überzeugung völlig unsinnig was wir sagen - bist aufbrausend und entscheidungswütig. Aber jetzt, wenn ich dich ansehe, weckst du in mir die Assoziation zu 'den Schwanz einziehen ' Was soll ich davon halten?“

Der Rennfahrer schluckte verhalten. Sie hatte eine Art und Weise eine Feststellung zu äußern, die ebenso sachlich wie offen war, gleichermaßen kühl und warm. Das war seltsam, schien aber typisch für sie zu sein. Man konnte sich nur schwer davon angegriffen fühlen.

„Ich gebe zu, in den letzten Wochen habt ihr mich nicht von meiner besten Seite kennen gelernt. Auch wenn es spät kommt, so tut es mir leid“, antwortete er darauf.

Sie hob die Bauen, deutlich erstaunter als noch beim Lesen. „Auf einmal so reumütig? Das ist wie 'große Klappe und nichts dahinter'. Wie soll ich so jemand ernst nehmen? Wie soll ich das glauben?“

Wieder klang sie nüchtern, fehlte es ihrer Stimme an Ablehnung. Auch ihr Gesicht spiegelte aufrichtiges Interesse an der Antwort wieder.

„Ich bin mir dessen bewusst, dass ihr das nicht ernst nehmt. Ihr kennt mich nicht anders, “ begann er und suchte nach passenden Worten, sich zu erklären.

Jetzt allerdings verzog sich ihre Miene skeptisch. Er war offenbar tatsächlich ein lausiger Beobachter. „Ich bin bei den Star Sheriffs, weil ich den Frieden in unserer Dimension haben will. Mir war bisher nicht klar, wie wichtig eure Informationen für eine gemeinsame friedliche Lösung sind“, brachte er hervor, während sie ihn forschend ansah.

„Weißt du, den Eindruck hatte ich am Anfang von dir. Als wir uns in Bay Back trafen. Aber als wir nach Yuma kamen, hast du aufgehört zu reden und zu fragen. Das war irritierend. Dein Verhalten danach noch mehr und gestern erst Recht“, stellte sie schlicht und ruhig fest.

Nun lehnte er sich an den Tisch der Anrichte gegenüber und verschränkte die Arme vor seiner Brust.

„Ich hatte nie etwas gegen euch, aber ich war wütend. Wieder ein abgebrochener Urlaub, wieder eine Mission. Meine Freunde verlassen mit euch nach der versuchten Entführung deiner Schwester beinahe fluchtartig Ramrod“, erläuterte er ihr und seufzte. „April und Jean-Claude verstehen sich auch noch ausgesprochen gut. Mich hat die Eifersucht gepackt, ganz übel“, gab er dann zu.

Verständnislos starrte sie ihn an und brauchte einen Moment, ehe sie zu einer Erwiderung ansetzte. Den Sarkasmus in ihren Worten konnte und wollte sie nicht verbergen. „Ich bitte um Verzeihung. Das nächste Mal, wenn wir Gelegenheit haben aus der Phantomzone zu fliehen, werden wir vorher nachfragen, wann ihr wo Urlaub zu machen gedenkt, damit wir euch nicht wieder in die Quere kommen. Wie konnten wir Lemminge es wagen, das selbstständig und situativ zu entscheiden. Aber ich bin sicher, du findest dann jemand anderen, den du für abgebrochenen Urlaub, eine neue Mission und andere Umstände verantwortlich machen kannst.“ Rasch presste sie die Lippen zusammen, ehe sie ihm noch vorschlug, den Job zu wechseln, wenn ihm die Arbeitsbedingungen nicht passten. Sie ging davon aus, dass das, was er da beschrieb, für einen Star Sheriff normal sein dürfte. Noch dazu wurde Menschen eine wochenlange Arbeitspause zugestanden. Einen derartigen Luxus gab es in ihrer Heimat nicht, lediglich eine Arbeitsunterbrechung einem Rhythmus von Fünf-Zwei oder Drei-Eins, wobei die erste Zahl die Arbeitstage und die zweite Zahl die Ruhetage meinte.

Es lag ihr auf der Zunge, das auszusprechen, aber es würde seinen Unwillen provozieren oder eine Predigt über die glorreiche, überlegene Menschheit zur Folge haben. Weder das eine noch das andere war konstruktiv.

Sie sah ihn abwartend an.

„Es ging um euer Leben. Da spielt es keine Rolle, wer wann und wo“, meinte er und sie unterdrückte erneut ihren Sarkasmus ihm für dieses Zugeständnis zu danken. Sie ließ ihn fort fahren. „Ihr musstet fliehen. Das weiß ich auch. Es sollte auch kein Vorwurf sein. Ich bin kein besonders rationaler Mensch, nicht wie Saber. Wenn mir was quer liegt, kann ich das nicht zur Seite schieben oder mit Vernunft entkräften. Ich hab mir in den letzten Wochen Fehler geleistet und es war niemandes Schuld, außer meiner eigenen. Dafür entschuldige ich mich in aller Form. Ich will endlich Frieden, ebenso wie die anderen. Dafür will ich aktiv etwas tun und nicht darauf warten, dass ein Wunder geschieht.“

Jetzt nickte sie langsam und fasste ihre Beobachtung zusammen. „Hm, ein kleines Eingeständnis, eine höfliche, den Gepflogenheiten entsprechende, Entschuldigung gefolgt vom individuell variierten Statement des Inhaltes ‚So bin ich eben, das wird sich auch nicht ändern‘, das meist einhergeht mit ‚Ich will es auch nicht‘.“ Sie hob die Schultern. „Alle anderen haben sich also nach dir zu richten und deine Eigenheiten in Kauf zu nehmen. Definierst du so Freundschaft? Oder Loyalität?“ Sie musterte ihn einmal mehr. „Was sagst du mir wohl als nächstes?“, setzte sie ihre Gedanken verbal fort. „ ‚Meine Freunde wissen wie ich bin und kommen damit zurecht. Die kennen mich.‘ Ist das deine Berechtigung dich … wie sagt ihr? … wie die Axt im Walde aufzuführen? Die anderen verzeihen und verstehen es ja, nehmen es halt so hin. Das mag für euch gelten und funktionieren, aber nicht für uns. Du kannst dir weitere Ausflüchte sparen, genauso wie Beteuerungen, Rechtfertigungen, Entschuldigungen, Erklärungen und Worte mit vergleichbarem Inhalt.“ Bei diesen Worten klang ihre Stimme deutlich distanziert. Fireball wurde klar, dass er den Respekt der Schwestern gestern tatsächlich eingebüßt hatte und gerade wenig auf ihre Unterstützung rechnen durfte. Betroffen presste er die Lippen aufeinander.

„Bei uns gilt: Ein Mann, ein Wort. Wir messen in Taten eher als in Gerede. Also: An welchen Taten kann ich messen, was deine Versprechen taugen, die du sicher gleich machen wirst, damit du deine Symbiosepartnerin und vielleicht, wenn es sich nicht vermeiden lässt, leider auch unseren Bruder mit retten kannst?“, fuhr sie in der gleichen Weise fort. Sie war unschlüssig, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Ihr war sehr wohl bewusst, dass es in ihrer Hand lag, über ihn zu entscheiden. Eine solche Entscheidung wollte sie nicht leichtfertig fällen und auch nicht unbedacht. Seine Worte bisher gaben ihr jedoch keinen Anlass, für ihn zu sprechen. Vielmehr bestätigte er gerade ihre Enttäuschung und schürte Ablehnung in ihr, die sie zu einer emotionalen Entscheidung zu verleiten drohte.

„Mag sein, dass ich deinen Bruder nicht sonderlich mag“, räumte er ein, nachdem sie ihm gehörig das Wasser abgegraben und beinahe alles, was er hatte sagen wollen im Vorfeld als wenig wirkungsvolle Worte aufgedeckt hatte. „Sein … nein, euer Leben ist ebenso wertvoll wie das eines Menschen. Ich werde tun, was Saber mir aufträgt. Wenn er befindet, dass ich hier nützlicher bin, als auf Ramrod, dann werde ich das akzeptieren.“ Er nickte, als wollte er so seine Worte bekräftigen.

Sie nickte ebenfalls, eher halbherzig, und forschte weiter. „Wirst du den Job quittieren, wenn nur mein Bruder zurück kommt?“

„Nein, denn dann wäre Aprils Opfer sinnlos.“

Schmalzige Theatralik und Sentimentalität verwendeten Menschen offenbar gern, besonders in solchen Momenten. Beth konnte nicht erkennen, worin Aprils Opfer bestand, wenn sie ihren Job erfüllte. Das würde sie sich mal von Saber erklären lassen müssen. Es hatte vielleicht etwas mit der Freiwilligkeit zu tun, mit dieser ‚der Gesellschaft etwas zurück geben‘-Sache, von der er gesprochen hatte, als er sie zum ersten Mal nach Hause begleitet hatte, in Bay Back.

„Also wirst du dann ein normales Verhältnis zu meinem Bruder aufbauen? Oder schiebst du ihm dann die Schuld zu?“, fragte sie daher weiter.

„Ich würde mich bemühen.“

Das waren die ersten Worte, die sie ihm voll und ganz glaubte, die sie nicht für eine Floskel hielt. Vielleicht verdiente er doch eine Chance? Sie runzelte die Stirn und überlegte einen Moment. Er hatte bisher eher oberflächlich gedacht und gehandelt. Seine letzte Antwort ließ sie vermuten, dass er auch tiefgründigere Gedanken fassen und umdenken konnte, hatte er sich gerade ehrlich reflektiert.

„Magst du mich?“, wollte sie unvermittelt wissen.

„Ja“, nickte er ohne zu zögern, wunderte sich aber, worauf sie hinaus wollte.

„Ich rede nicht anders mit dir, als mein Bruder es getan hat. Wie ihm wurde auch ich unter Personenschutz gestellt. Wie ihm ist auch mir klar, mit wem sich April in einer Symbiose, oder Beziehung, befindet. Magst du mich also nur, weil ich eine Frau bin?“

Seine Augen weiteten sich perplex. Es dauerte einige Augenblicke, und einige länger, ehe er nachdenklich antwortete: „Nein, ich mag dich nicht, nur weil du eine Frau bist. Du bist eine interessante Person. Womit ich aber nicht wirklich klar komme, ist diese Gefühlskälte, mit der du, ihr alle eigentlich, über Dinge sprecht.“

Die Art wie sie nun die Brauen hob, hatte wieder diese seltsame Mischung aus Distanziertheit und Offenheit. Es ermutigte ihn fortzufahren. „Es geht immer nur um Tatsachen. Tatsache ist leider auch, dass Jean-Claude versucht hat Colt, April und ein unschuldiges Kind umzubringen. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann darüber nicht so einfach hinwegsehen, wie April oder die anderen, “ erklärte er sich leidenschaftlich.

Auch das glaubte Beth ihm. Ihre Wirkung auf viele Menschen war ihr zumeist bewusst. Auch kannte sie es aus eigener Erfahrung, wie schwer es war zu vergeben und zu vergessen. Für den Tod Annabells machte sie allerdings nicht Colt verantwortlich, sondern ihre eigene Führung, die sie alle zur Flucht getrieben und ihre Phantomkammern zerstört hatte. Damit nahm sie den Tod der Vier billigend in Kauf.

Der Scharfschütze hatte lediglich seinen Job gemacht, wie ihre Schwester auch.

„Wir verfügen über dieselben Gefühle wie ihr, wir leben sie nur anders aus. Das hat nichts mit Kälte zu tun, es ist lediglich eine andere Intensität zu anderen Zeitpunkten. Es geschieht kontrollierter, weniger spontan, aber es geschieht. Du hast bereits erlebt, dass mein Bruder, Snow und auch ich unsere Gefühle unkontrolliert auslebten. Das zum einen. Zum andern: wie wird es dir gefallen, wenn wir dich in die Phantomzone mitnehmen und dir nachtragen, was du uns alles angetan hast. Denke nicht, du wärst unschuldig. Ihr habt uns viel angetan, sehr viel. Oder zählt das nicht, weil unsere Seite angefangen hat? Wird eine eurer Taten deshalb weniger nachteilig für uns? Was meinst du?“ Wieder sprach sie nüchtern und warm zugleich.

„Nein, das wird es nicht“, gab er ohne Umschweife zu, wenn auch nicht so fest wie er zuvor geklungen hatte. Er kratzte sich am Kopf und schaute auf den Boden. Es schien immer so leicht, so problemlos. Outrider erschießen, warten bis er sich phantomisiert hatte und zurück kam, dann wieder erschießen. Ihm war klar gewesen, dass die Phantomwesen Nemesis Rechenschaft ablegen mussten, aber was darüber hinaus passierte, darüber hatte er sich nie darüber Gedanken gemacht. Aber Beth‘ Familie hatte gelitten, hatte nicht nur eine Schwester verloren. Nein, Jean-Claudes Körper hatte ihm gezeigt, dass da noch mehr war. Ob dessen Narben wohl vom Scheitern seiner Mission herrührten oder nicht, wusste er bis heute nicht. Der Grünhaarige hatte ihn darüber im Unklaren gelassen. Vielleicht gab es noch andere Gründe für diese Narben. Es war leicht sich vorzustellen, dass die Familie der Drei nicht die einzige war, die eine solche Geschichte hatte. Es gab mehr. Ganz bestimmt. Er wusste es nicht genau, aber er konnte es sich vorstellen. Jean-Claude hatte ihm mangelndes Interesse vorgeworfen. Nun musste er zugeben, dass dieser Vorwurf berechtigt war. Er hatte einen Outrider bei sich gehabt, hatte ihn beschützen sollen und nicht eine Frage an ihn gerichtet, die ihn jetzt weniger unwissend da stehen ließ. Tatsächlich bedurfte es Beth‘ vernünftigen, ruhigen Fragen, um sein Gehirn in Gang zu bringen und den Schleier, der es verhangen hatte, zu lüften.

„Eagle hat einmal gesagt, im Krieg gibt es keine Gewinner, nur Verlierer. Es ist nicht wichtig, wer angefangen hat, sondern nur, dass es beendet wird“, murmelte er nachdenklich.

„Das denke ich auch“, nickte Beth und strich sich eine wellige, blasslila Strähne hinters Ohr. „Es geht nicht nur darum, wer einen Konflikt beginnt, sondern auch darum, wer ihn wie fortsetzt. Es gibt ebenso wenig schuldig und unschuldig wie es besser oder schlechter gibt. Anders - das gibt es. Wir sind. April, Jean, Colt, Snow... du und ich ... wir alle sind … anders. Das ist schon alles. Nachtragen, hassen sogar, verwehren es einem, das zu akzeptieren. Aber das ist nur meine Meinung.“

„Anders.“ Das Wort hallte tief in ihm nach. Wenn er es so betrachtete wie sie, auf die gleiche sachliche Weise, die ihm nun gar nicht mehr gefühlskalt erschien, ging ihm auf, wie subjektiv und persönlich Wertungen waren. „Ramrod galt deshalb als unschlagbar, weil wir vier so unterschiedlich sind.“ Die Wertung war positiv für ihn, war aber eben eine Wertung. „Vielfalt ist das, was das Neue Grenzland ausmacht. Aber…“ Er brach ab, dachte weiter. Vielfalt galt für Menschen und auch unter ihnen brachte sie nicht nur Gutes. Doch was man den Menschen zugestand, als eben ihre Art akzeptierte, nahm man bei den Outridern nicht hin, verurteilte es. War das nicht heuchlerisch, wenn man es recht bedachte? Menschen verdienten eine zweite Chance, so lange sie kein Leben zerstörten. Selbst dann gab es Ausnahmen, wie Notwehr oder psychische Störungen und Unzurechnungsfähigkeit. Den Outridern gestand man es nicht zu. Sie waren der Feind. Damit hatte es sich. Wenige Bemühungen darum, ihre Geschichte anzuhören und ihre Erklärungen zu verstehen.

Fireball wollte den Kopf wieder heben, doch es gelang ihm nicht. Scham breitete sich in ihm aus. Er war in die gleiche Falle getappt wie viele auch, weil seine Emotionen seine Sicht getrübt hatten. Dabei hatte er unvoreingenommen bleiben wollen, als Colt sehr mit seiner Erkenntnis über die Geschwister gehadert hatte. Da hatte er noch kläglicher versagt, als er geglaubt hatte. Er schüttelte den Kopf, wortlos.

Beth konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete, wie er grübelte, aber scheinbar von den gewonnenen Erkenntnissen übermannt wurde.

„Die Taten zählen, Fireball. Was du weißt, wendest du an. Das ist alles“, sagte sie nach dem einige Zeit verstrichen war. Endlich sah er sie an, etwas überrascht, aber direkt. „ Wenn du Jean findest, bringst du ihn an einem Stück zurück. Ob April das überlebt oder nicht“, fügte sie an und lächelte leicht. „Damit wir uns da richtig verstehen, ich möchte, dass sie unversehrt zurück kommt.“

Er nickte knapp. Sie prüfte ihn noch einmal. Etwas hatte sich in ihm geändert. Sie konnte nicht fest machen was genau. Es war mehr ein Gefühl … Intuition, aber ganz sicher bewegte er sich langsam in der Richtung, die Saber sich gewünscht hatte.

Saber.

Wärme breitete sich in ihr aus. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, wie immer, wenn sie an ihn dachte. Doch irgendwo hinter dem angenehmen Gefühl folgte eine Kälte, die sich wie ein unheilvoller Schatten an diese Wärme hängte und sie bedrohte, unaufdringlich, aber beständig.

Saber hatte ihr versprochen, ihre Geschwister zurück zu bringen. Sie verließ sich auf sein Wort, doch der ahnungsvolle Schatten mahnte sie, warnte sie.

Jean-Claude. Snow. Ihre Familie. Alles was sie hier hatte, an Vertrautem, an Heimat. Ihre geliebten Geschwister. Ihr Halt, ihre Sicherheit.

Sie straffte ihre Schultern. Ihr Herz raste, schlug heftig gegen ihren Brustkorb und pumpte rasch Blut durch ihren Körper.

„Alle sagen, ich tauge nicht für den Kampf, ich wäre zu sanft und zu weich“, begann sie, rau und angespannt. Die erwachte Sorge war ihr anzusehen. Nervosität pochte sichtlich in der Ader ihres Halses. „aber das lass dir gesagt sein: Ich werde zur Furie, wenn Jean was geschieht und ich erkennen muss, dass du dein Wissen nicht angewandt hast. Du willst nicht, dass ich zur Furie werde. Niemand will das“, drohte sie ihm aufgewühlt.

So menschlich. So verständlich.

Fireball hatte erst gestern Abend dieselbe intensive Mischung aus Angst, Hilflosigkeit und Ungewissheit gespürt. Während Saber und Colt schon da die Schwestern und ihre Reaktionen verstanden hatten, konnte er es nun.

„Ich will beide unversehrt nachhause bringen“, versicherte er der Outriderin schlicht. Er ersparte es sich diese Aussage auf irgendeine Weise zu betonen. Jedes weitere Wort hielt sie wahrscheinlich für unnötig, sentimental oder wenig effektiv.

Auch wenn sie in ihrem augenblicklichen Zustand eher schutzbedürftig wirkte und wenig überzeugend als kampfeslustige Furie, ihre Worte eher entkräftete als betonte, so spürte er deutlich, dass er sich nun das Schmunzeln, das ihr Anblick in ihm auszulösen drohte, nicht zu lassen durfte. Er würde ihr sonst das Gefühl geben, sie nicht ernst zu nehmen obgleich ihre Gefühle es ganz einfach waren.

Deshalb nickte er seine folgenden Worte bestärkend. „Ich werde helfen deinen Bruder retten.“

Das glaubte sie ihm.



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