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Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

von

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Zweiter Bote

In Paris wurde der Frühling vom Sommer beiseite geschoben. Die einzelnen Jahreszeiten wirkten sich nicht sonderlich auf die Stadt aus, obgleich die Leute die im Winter über die Kälte murrten, im Sommer die Hitze beklagten.

Dieses Jahr wehte der laue Sommerwind Aufstand und Unruhe durch die Straßen von Paris. Die Menschen fühlten Angst und Unsicherheit. Furcht schürt Gewalt und Gewalt muss sich gegen jemanden richten, einen Sündenbock benennen. Wie alle Streitigkeiten dieser Zeit, gründeten auch Frankreichs Unruhen auf dem religiösen Zwist zwischen Katholizismus und Protestantismus. Richelieu stand kurz vor dem lang erhofften königlichen Segen, zur Eroberung der letzten Hochburg der Hugenotten, -La Rochelle. Die französische Bevölkerung beschränkte sich derweil auf willkürliche Pogrome an seinen protestantischen Mitbürgern und das restliche Europa lauschte den Nachrichten aus dem fernen Frankreich. Zwischen all den Zwistigkeiten, der Angst und der Gewalt, gebot der König alles an Sicherheitskräften auf, was der Staat hergab. Die Musketiere patrouillierten zusammen mit den Männern des Kardinals durch die unruhigen Straßen, um die Wogen zu glätteten. Wobei auf letztere kein Verlass war. Ein Sammelbecken von Hohlköpfen und Tunichtguten, deren gut gezielte Eingriffe das Feuer zusätzlich schürten, ohne das D'Treville es beweisen konnte. Der musste letzte Nacht feststellen, dass sie alle sich zu dem Mob gesellt und mit diesem fröhlich alles kurz und klein geschlagen hatten.

Dann bebte die Welle der Gewalt plötzlich ab. Es hatte genügend Geschädigte gegeben. Wie ein morgendlicher Kater, nach langen Alkoholausschweifungen in der Nacht, erwachte Frankreich aus seinem Glaubenszwist und seine Menschen entsannen sich wieder an ihre Nächstenliebe. Die Hugenotte atmeten auf, während der 1. Minister Frankreichs tief Luft holte, um mit genügend Atem seine Propaganda voranzutreiben.

Und genau darum ging es schon seit einer geraumen Stunde im Arbeitszimmer des Königs. Seine Majestät war im Laufe des Gespräches erheblich tiefer in seinen Sessel gerutscht und kämpfte mit immer schlimmer werdenden Kopfschmerzen. Richelieus ständig wiederholenden Ausführungen, über das Für und Wieder eines notwendigen Angriffs auf La Rochelle, schlichen sich langsam in seine Sinne und begannen ihr manipulatives Werk. Mal sprach er einschmeicheln, mal drohend. Väterlich, schulmeisterisch, diktatorisch oder unterwürfig. Um seinem Einfluss zu entkommen, war Ludwig bereit alles zu unterzeichnen. Sehnsüchtig wanderte sein Blick zur Feder. Eine Unterschrift, ein Erlass, ein Befehl. Vergessen wären die Heirat seiner Schwester mit Karl I., vergessen das wacklige Bündnis mit England, vergessen das Edikt seines Vaters. Wenn nur endlich Friede in seinem Arbeitszimmer einkehren würde.

Als Kapitän D'Treville, jegliche Etikette missachtend in das Zimmer trat, geriet seine Eminenz der Kardinal erheblich ins Schleudern. Der Kapitän legte ein Auftreten an den Tag, dem nichts ferner lag, wie höfische Attitüden oder geziertes Gebärden. Er war ganz der Soldat, -ein Licht in finsterer Dunkelheit für Ludwig's dröhnenden Schädel, Richelieu's ärgster Gegner und Gegensatz. Der Page war beiseite gestoßen worden, die Türblatter vibrieren im Rahmen und eine Zornfalte hatte sich tief in das Antlitz des Kapitän's gegraben. Ölig glänzte sein Gesicht vor Schweiß. Staub lag auf seinem Kragen und Erdklumpen klebten an seinen Stiefeln.

D'Treville stützte sich mit den Fingerknöcheln auf dem Schreibtisch ab.

"Was passiert mit meinem Mann in England?", verlangte er zu wissen. Der König blickte so lange auf die Fingerknöchel herab, bis D'Treville seine Hände zurückzog.

"Ich weiß nicht, was Ihr meint."

"Wie es scheint, verwechselt Ihr den Übungsplatz mit dem Arbeitszimmer seiner Majestät, Kapitän D'Treville", warf der Kardinal ironisch ein und musterte den Kapitän mit langem Blick.

"Seit Wochen bekommen wir keine Nachricht von ihm." D'Treville war zornig und suchte sich den Kardinal als neue Angrifffläche. "Und ich kenne meine Männer genau. Auf Aramis kann man sich verlassen. Regelmäßig müsste ein Bericht von ihm eintreffen."

"'MÜSSTE' Ihr habt es schon richtig formuliert", erwiderte Richelieu bissig. "Höchstwahrscheinlich schlampt er in seiner Berichterstattung."

"Ihr fangt die Briefe ab, Eminenz!"

D'Treville sah Knochen und ein rotes Gesicht. Der Kardinal schnappte nach Luft, dass sich sein knochiges Brustbein hob.

"Ich habe keine Schriftstücke abgefangen. Wie könnt Ihr es wagen? Ich bin ein getreuer Staatsdiener." Sonst mochte das eine infame Lüge sein, doch diesmal stimmte es. Um so leidenschaftlicher verteidigte sich der Kardinal. "Mein Gefolgsmann erteilt mir jede Woche Bericht." Der Kapitän trat näher. Ein starker Körperbau, mit breitem Hals, an dem die blauen Adern vor Wut pulsierten. Bedächtig brachte der Kardinal seine hagere Gestalt auf Abstand.

"Ich sage Euch, wo Ihr Euch Euren Gefolgsmann hinschieben könnt." Ludwig atmete laut ein und kauerte sich in seinem Sessel zusammen. Ein wildes Streitgespräch entbrannte. Geistlichkeit gegen Militär. Es hätte Aramis gefreut, wie vehement der Kapitän ihre Kompetenz verteidigte.

"Wir hörten, dass es mit unserem Musketier in London Probleme gibt. Und weder Euer Gefolgsmann, Richelieu, noch Euer Musketier, D'Treville, scheinen der Situation gewachsen zu sein", unterbrach Ludwig das Gezänk und flüchtete sich hinter geburtsrechtlichem Snobismus. Verblüfft, dass der König sich im Raum befand, hielten beide inne.

"Probleme, Eure Majestät?", fragte Richelieu.

"Man zweifelt seine Verkleidung an. Es wird erzählt, er sei ein Mann. Henrietta ist sehr missgestimmt deswegen."

"Das Problem meint Ihr, Sir", stotterte der Kardinal. Er hatte es nicht gewusst. "Wir werden uns der Sache annehmen", versprach er und hielt sich als dringenden Merkpunkt vor, zukünftig die Briefe der königlichen Schwester besser abzufangen.

"Und ,was' gedenkt Ihr zu tun, Richelieu? Wir verlieren unsere Glaubwürdigkeit, wenn man Gesandte mit unserem offiziellen Schreiben, als Betrüger entlarvt." Seine Majestät war am Zug.

"Ja, was ..." Seine Eminenz geriet ins Schleudern. "Monsieur D'Treville?"

"Was?" Der Kapitän befand sich auf auswegloser Gefechtsposition.

"Was gedenkt Ihr zu tun?"

"Warum ich?"

"Es ist Euer Mann."

"Schluss!" König schlug Soldat und Pfaffe. "Wir senden jemand, der den Verlobten der angeblichen Comtesse mimt!"

"Eine vorzügliche Idee, Eure Majestät. Ich werde einen meiner Leute unterweisen und ..."

"Halt, halt!", warf D'Treville ein und schob die dürre Gestalt des Kardinals beiseite. "Bei allem Verlaub, aber Eure Idee hat meinen Mann erst in diese Situation gebracht. Ohne Euch würde er brav seinen Musketierdienst bei seiner Majestät verrichten und nicht in Weiberkleidung in London hocken. Ich schicke einen meiner Männer!"

"Wen wollt Ihr schicken? Den Grünschnabel D'Artagnan oder den grobschlägigen Porthos? Ein halbes Kind oder ein unmanierlicher Riese?", wandte der Kardinal giftig ein.

"Beleidigt nicht meine Männer! Ich schicke einen meiner Besten. Athos wird gehen!"

"Athos ist nicht von Adel", wandte Richelieu ein.

"Das wissen wir nicht", hielt D'Treville dagegen.

"Wir werden ihm ein Titel verleihen!", befahl der König.

"Wird Athos gehen wollen?", fragte der Kardinal.

"Das ist nicht von Belang!" entschieden König und Kapitän.

Seine Majestät hatte schon Vorarbeit geleistet "Wir haben da genau das Richtige für ihn," erklärte er sichtlich zufrieden und verschwieg großzügig, dass es Anna's Einfall war.

Dem Kardinal rutschten die Unterlagen aus der Hand "Ach, haben wir das?"
 

"Alter Landadel. Der Graf tot, der Sohn verschollen und kein Erbe in Sicht", sagte der Kapitän und beobachtete die Gesichtszüge seines Musketiers. Kantig schob sich der Kiefer vor, hart gruben sich die Linien in das Gesicht, aber er schwieg. In militärisch korrekter Haltung hatte er vor seinem Vorgesetzten Aufstellung genommen.

"Unter diesem Namen wirst du in London auftreten!" Er saß hinter seinem Schreibtisch. Die Herrlichkeit der untergehenden Abendsonne in seinem Rücken.

Athos kämpfte mühsam um Selbstbeherrschung. "Das ist nicht Euer Ernst?"

"Ich weiß, was du mir sagen willst, aber es ist mein voller Ernst. Dir wird befohlen sofort nach England aufzubrechen und dort Aramis zu finden!" Er hatte die Ellenbogen auf der breiten Tischplatte aufgestützt und die Hände ineinander verschränkt. Seine Augen zwangen Athos zu gnadenlosem Blickkontakt.

"Unter diesem Titel?" Die Selbstbeherrschung hielt noch immer seine Gesichtszüge davon ab auszubrechen.

"Unter diesem Namen und Titel. Vom König leihweise an dich verliehen."

"Leihweise?" Athos konnte es nicht verhindern, dass seine Stimme ihn verriet. Der Kapitän nickte und hielt es für das Beste, nicht darauf einzugehen. Er befolgte nur Befehle.

"Die französische Krone steckt in argen Schwierigkeiten, wenn herauskommt, dass Aramis ein Mann ist", erklärte er. "De Meyé muss herausgefunden haben, wer Aramis ist. Und meines Erachtens nach, sind Richelieu's angebliche Gefolgsleute nicht ganz unschuldig an diesem Umstand."

"Und nun wird es gefährlich für ihn?"

"Genau! Mit Aramis Glaubwürdigkeit steht es nicht zum Besten. Die Feder ist mächtiger als das Schwert. Als Soldat glaube ich nicht daran, aber in diesem Fall, ist es dabei uns das Genick zu brechen. De Meyé ist Diplomat. Seine Waffen bestehen aus einer süßen, wie falschen Zunge. Schmeichelei, Lüge und Verrat. Er unternimmt alles, um Aramis in Verruf zu bringen."

"Und was soll ich tun?"

"So schnell wie möglich nach England reisen und dort als Aramis Verlobter auftreten!" An dieser Stelle verschluckte sich Athos und bekam einen Hustenanfall.

"Es ist für Frankreich", wandte der Kapitän streng ein und lockerte sich unbehaglich den Kragen. "Egal was du machst, ob du ihn kompromittierst ... einen Skandal heraufbeschwörst, unsittliches Verhalten ...", führte er weiter aus und hoffte, dass Athos verstand, "... aber um Gotteswillen, tut alles, um die Gerüchte zum Verstummen zu bringen!" Bei Gott, er hoffte wirklich, dass Athos verstand. Das Gespräch wurde ihm entschieden zu unangenehm. Mühsam versuchte er Athos Gefühle nachzuempfinden. Der Kapitän konnte ihm nicht anvertrauen, dass Aramis eine Frau war. Er hatte es dem jungen Mädchen versprochen und später der Frau zum Überleben schwören müssen. Das schloss auch Athos ein.

"Unter dem Namen und Titel?", vergewisserte dieser sich noch einmal. Ein langgezogenes ,Ja' antwortete ihm, dass deutlich die Botschaft ,Ungeduld' signalisierte.

"Leihweise an mich verliehen, weil ..."

"... weil es keinen Erben gibt, ja, ja", unterbrach er Athos, "und du weißt warum! Du kannst es nicht ändern und es war deine Wahl. Geh jetzt und pack deine Sachen!"

Ein sehr hohes Maß an Selbstbeherrschung und Erziehung, ließ Athos strammstehen und zackig abgehen. Ein gehorsamer Musketier, der bedingungslos die Befehlen seines Herrschers befolgte.
 

Nachdenklich ließ Athos den Gebäudekomplex der Musketiere hinter sich. Er hatte es nicht weit nach Hause und legte diesen Weg in der Regel zu Fuß zurück. Die Kosten für einen Mietstall sparte er sich und ließ seinen stolzen Rappen im Stall der Musketiere stehen. Hier sorgte sich der diensthabende Musketier viel besser um ihn, als es Athos gekonnt hätte. Er war zornig. Wütend weil er in einer Situation steckte, die ihm nicht behagte, zornig, weil man ihn fortschickte und aufgebracht, weil sich die Herrscher dieses Landes das Recht herausnahmen auf einen Jahrhunderte alten Namen zu spucken und diesen nach belieben zu verteilen. Andererseits begrüßter er den Umstand nach London abkommandiert zu sein. Jetzt konnte er einer Sache auf den Grund gehen, die ihm erhebliche Kopfschmerzen bereitete. Sie war einfach im Strudel der letzten Geschehnisse in Vergessenheit geraten, aber nun würde er ihr genauer auf den Grund gehen. Und genau deshalb führt ihn sein erster Weg zu Porthos.
 

Porthos befand sich gerade in seinem Haus. In der Unordnung seines Jungesellehnenhaushaltes sitzend, ging er seiner Lieblingsbeschäftigung nach, - er träumte vom Essen. Nur vom Essen zu träumen, war erheblich Figur- und Geldbeutelschonender und stimulierte die Vorfreude auf das eigentliche Mahl. Er war gerade bei Ente ,Foi gras', als ihn sein Freund beehrte.

"Porthos, ich bin nach London abkommandiert worden."

Das gutmütige Lächeln auf dem breiten Gesicht wurde zu einem schiefen Grinsen.

"Hast du ein Glück."

"Ja, soviel Glück kann schon weh tun", räumte Athos trocken ein.

Porthos nickte kummervoll.

"Du armes Schwein, wollen sie dich auch in Weiberkleidung stecken? Kann ich mitkommen?"

"Nein! Ich soll alleine reisen." Die Schultern des Riesen sackten herunter.

"Warum? Was soll ich ohne Euch in Paris?", fragte er betrübt.

"Du hast D'Artagnan, die anderen Musketiere, Madam Bofrait, ihre Mädchen und das Essen. Schneller als du die Zeit zählen kannst, sind wir wieder zurück."

"Warum bist du dann so griesgrämig, mein Freund? Vor deinem Gesichtsausdruck laufen kleine Kinder davon. Denk nur an unser Abenteuer mit Buckingham und der Halskette! Gott sei seiner Seele gändig! Das waren Zeiten."

"Aramis steckt in Schwierigkeiten und leider gibt es kein Buckingham mehr. Ich soll jetzt nach England, um ihm zu helfen."

"Als was? Sein Botenjunge?"

"Als sein Verlobter." Porthos Reaktion bestand aus verzerrten Gesichtszügen. Seiner Meinung nach, grenzte das an körperlicher und seelischer Verletzung der Männlichkeit.

"Sie verleihen mir leihweise den Titel eines Grafen und sein Besitz."

"Im Ernst?", entfuhr es ihm. "So einfach geht das?"

"Der letzte Graf starb und der einzige Erbe gilt seit Jahren als verschollen."

"Der ist tot!" Bedauernd schüttelte er den Kopf. "Ein Graf, der seinen Besitz verwaisen lässt, ist entweder tot oder strohdumm."

"Oder er steht vor dir. Und ich empfinde mich weder als tot, noch als dumm."

Die Augen seines Freundes traten fast aus dessen Höhlen.

"Sie haben mir leihweise meinen eigenen Besitz verliehen", erklärte Athos bitter.

"Du bist ein Graf? Hätte ich mir ja denken können. Warum?", fragte Porthos, völlig mit seiner Weltanschauung hinüber. "Einen Grafentitel zu verschmähen? Für mich hieß ,Zuhause' Hunger und Tyrannei, aber du ...?"

"Ich hatte meine Gründe! ... Wegen einer Frau", gestand er. Sie waren gerade bei der Wahrheit. Die unsichtbare Grenze zu ihrer Vergangenheit war überschritten worden. Weise nickend, ein Ausdruck, der nicht unbedingt in Porthos Gesicht zu passen schien, pflichtete dieser ihm bei.

"Das ist immer der Grund" Athos hob eine Augenbraue.

"Bei dir auch?"

"Meine Mutter!"

"Deine Mutter?"

Porthos nickte kummervoll. "Tyrannei und Hunger! Sie hatte sieben Mäuler zu stopfen. Also, warum so grantig? Du bekommst deinen Titel ja wieder?"

"Er wird mir wieder weggenommen." Athos schrie fast. "Denkst du, der König verschenkt so etwas freiwillig?"

Sein Freund schüttelte bedauernd den Kopf. "Würde ich auch nicht. Sag dem König doch einfach, wer du bist!"

"Nein!"

"Nein? Stolz, ich verstehe!"

"Gar nichts verstehst du!", sagte Athos verbittert, die Arme wie ein Schutzschild vor der Brust verschränkt. Die edlen Gesichtszüge wirkten um Jahre gealtert. "Das hat nichts mit Prestige oder Besitz zu tun. Das ist ein Teil von mir, meine Vergangenheit."

"Das Leben ist schon beschissen. Man kann gar nicht so blöd denken, wie es kommt." Dies war das weiseste, was Porthos für diesen Tag von sich gab und so wahr.

Athos lächelte freudlos "Das denkst du!" Staubtrockene Ironie schwang im dunklen Bariton seiner Stimme mit.

"Aramis ist eine Frau!"

... eine Frau, .... eine Frau ... Der Satz hallte durch den Raum und setzte sich in den Deckenbalken und im Putz fest. Er durchdrang Porthos Gehör, fand aber keinen Einlass im Nervenzentrum seines Gehirns. Bedeutungslos schwirrte er umher, bis kleine Anzeichen des Verstehens ihn zurückriefen. Mit angehaltenem Atem beobachtete Athos die Reaktion seines Freundes.

"Ich meine keine Frau, die Richelieu und der König zum Zwecke der Politik erschaffen haben, sondern eine von Gott gewollte", fügte er hinzu, ohne durch Stimme oder Gesicht seine Gefühle zu verraten. Porthos Gesichtsausdruck war eine einzige Maske ungläubigem Entsetzen.

"Aber ... das kann nicht sein", stammelte er. Athos nickte ernst. Doch es konnte.

In einer anderen Dimension wäre die Geschichte anders verlaufen. Am Tag, da der Kapitän versuchte sein entspannendes Moorbad zu nehmen, hatte sich der Weg der Zeit geteilt und die Zukunft war in verschiedene Richtungen verlaufen. In einer anderen Dimension gab sich ein Athos mit der Erklärung des Kapitäns zufrieden. Er stellte weder Anweisungen noch Beschlüsse seines Vorgesetzten in Frage. Aber auf diesem Weg der Zeit erinnerte er sich an den gehetzten Ausdruck im Gesicht seines Freundes, gab sich nicht mit dem Beschluss des Kapitäns zufrieden und kehrte zurück. Ein Athos ging unwissend nach Hause, las am Kamin ein Buch und ging schließlich in sein Bett. Ein anderer Athos blieb hinter der Tür stehen, weil er die Stimmen von Aramis und den Kapitän vernahm. Als er nach Hause ging, hatte er zuviel gehört, um einfach zu Bett zu gehen. Manchmal löst ein Kiesel einen ganzen Steinschlag aus und manchmal bekommt der Kieselstein die Gelegenheit herauszufinden, was hätte geschehen können - wenn er in eine andere Richtung gefallen wäre.

"Nein!" entfuhr es Porthos ungläubig.

Athos nickte ernst.

"Soll das heißen, dass Aramis ... unser Aramis ..."

Athos nickte immer noch.

"Aramis? Musketier des Königs? Unser Freund seit über ..." Porthos nahm seine Finger zu Hilfe, "6 Jahren? Moniseur Sag-noch-einmal-ich-sehe-aus-wie-eine-Frau-und-ich-prügel-dich-zu-Brei? Monsieur Ich-habe-kein-As-im-Ärmel?

Ja, das ist schon eine komische Welt, nicht wahr?!

"Himmel-Herr-Gott", ächzte Porthos. "Bist du sicher?"

"Ja, ziemlich sicher. Sie ist eine Frau!"

"Sie? Sie? Sie? Aramis ist keine ,Sie'. Er ... sie ... ist ... war ein ,Mann', die ganze verdammte Zeit über", brüllte er, dass die Wände zitterten.

"Wusstest du es die ganze Zeit?" Porthos war aufgesprungen und stand schwer atmend Athos gegenüber, wie ein wildgewordener Stier. Seine Nasenflügel bebten.

"Nein", gestand Athos demütig und schlicht.

"NEIN!" Er war nicht der einzige blinde Narr in diesem Raum. Porthos beruhigte sich langsam, ohne zu verstehen oder zu begreifen. Frauen waren Frauen. Man sah, dass sie es waren, roch sie, fühlte sie, schmeckte sie, hörte sie und reagierte auf sie. Das alles mit Aramis in Zusammenhang zu bringen überstieg sein Fassungsvermögen.

"Wann ... wie?"

"Kurz vor ihrer Abreise nach England, hörte ich sie mit dem Kapitän sprechen."

"Der Kapitän weiß es?" Porthos Stimme und Glauben brach. "Und warum hast du es mir nicht gleich gesagt? Warum hast du Aramis nach England fahren lassen?"

"Ich konnte es nicht sagen. Außerdem wollte ich Aramis in Ruhe beobachten. Du hättest dich verraten. Ich wollte wissen, wie wir so blind sein konnten. Weißt du, wenn man es weiß, ist es eigentlich ganz offensichtlich. Wir waren Narren!" Äußerlich war Athos gelassen und ,der Freund' wie immer geblieben, innerlich fühlte er sich zerrissen und gedemütigt.

"Aramis ist eine Frau", brüllte er D'Artagnan entgegen, als dieser seine Wohnstube betrat. Der Junge schaute in die rollenden Augen des Koloss und zog den Kopf ein. Nichts ahnend von seiner letzten Schicht kommend, brach die Szenerie eines wildgewordenen, schnaufenden Porthos, neben der staturhaften Gestalt von Athos auf ihn ein und seine Überlebensinstinkte erwachten.

"Wirklich?", entfuhr es ihm und rettete ihm weitere wichtige Lebensjahre. Undenkbar, was beide Männer mit ihm angestellen würden, wenn sie gewusst hätten, dass es D'Artagnan schon längst wusste. Er erinnerte sich, dass Aramis kurz vor ihrer Abreise genau diese Situation hinaufbeschworen hatte. Sie kannte die Beiden doch besser.

"Und der Kapitän wusste es! Der Kapitän wusste es", jammerte Porthos und ließ sich schwergewichtig auf den Stuhl zurücksinkend. "Ob sie seine Geliebte ist?"

"Das ist doch lächerlich", entfuhr es D'Artagnan. "Wir reden hier von Aramis."

"Und wer ist Aramis?" fragte Porthos bitter. Während Athos sein Entsetzen und Unglauben still mit sich herumtrug, brüllte Porthos seine Wut nach außen. Kopfschüttelnd barg er das Gesicht in seinen Händen.

"Ich geh jetzt und treffe meine Reisevorbereitungen", sagte Athos ruhig und wandte sich zum Gehen.

"Du verreist? Wohin?", verblüfft wich D'Artagnan zur Seite.

"Nach London. Ich werde bald zurück sein."

"Warte! Du wirfst uns solch einen Brocken vor die Füße und gehst einfach? Was passiert jetzt?", rief ihm Porthos verzweifelt nach?

Athos lächelte unergründlichen. "Es bleibt dir viel Zeit zum Verdauen!"

"Und was wirst du mit Aramis tun?"

"Nichts", erwiderte er, "gar nichts, bis sie es von ganz alleine gesteht. Und gnade Euch Gott, wenn ihr es Aramis verratet! Ohnehin steht zu befürchten, dass die Briefe abgefangen werden."

"Du wirst ihr doch nichts antun?", fragte D'Artagnan unsicher.

"Aber nicht doch. Sie hat nur 6 Jahre zu vertreten, in denen sie uns zum Narren hielt."

"Aber sie hatte bestimmt ihre Gründe."

Athos Gesicht blieb weiterhin unergründlich und ruhig. "Ganz bestimmt hatte sie die und wir haben die unseren."

"Sie war ... ist euer Kollege, ein Musketier, ein Freund."

"Wir haben ihr Dinge erzählt, die nie für das Ohr einer Frau bestimmt waren", brüllte Porthos dazwischen. "Oh mein Gott, und was ich ihr erzählte", flüsterte er und wurde leichenblass. " ... wir waren zusammen im Bordell."

Leicht belustigt sah Athos seinen erschütterten Freund an. "Also ich kenne Aramis Neigungen nicht, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass sie mit genügend Geld das Mädchen bestochen hat, den Mund zu halten."

"Ihr habt zusammen gekämpft." Wie ein Blatt im Sturm hielt D'Artagnan seine Verteidigung für Aramis aufrecht. Wie ein Blatt im Sturm wehte er hilflos davon.

Athos Gesicht wurde wieder hart. "Ein Musketier, ein Soldat muss sich auf seinen Kameraden verlassen können und er darf sich nicht als einzige Lüge herausstellen."

"Du kannst nicht kämpfen, mit einem Weiberrock im Rücken", fuhr Porthos dazwischen und ballte wütend die Faust.

Athos nickte. "Was Aramis macht, ist gegen das Gesetz und die Kirche. Wenn ihr Geschlecht herauskommt, dann trifft es auch die Musketiere, bis hin zum König. Ihre Entdeckung würde uns alle ins Verderben reißen."

"Aber Aramis ist ein guter Musketier", rief D'Artagnan hilflos.

"Nein, sie ist eine Frau!" Mit diesen Worten wandte sich Athos zum Gehen und ließ sie zurück.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  blubbie
2011-06-26T16:55:01+00:00 26.06.2011 18:55
Ok...ich gestehe, ich hätte mit dieser Geschichte schon viel früher anfangen sollen. Ich weiß gar nciht was mich abgehalten hat. Und jetzt sitze ich hier und lese, anstatt für die Prüfung am mittwoch zu lernen...mla wieder...
Und´ich bin entsetzt...und heilfroh, dass ich das nächste Kappi direkt lesen kann...und.... gott, ich hab mich ja riesig auf die Wiedervereinigung gefreut, aber die Enthüllung von Aramis Geheimnis und Athos und Porthos Reaktion darauf. Da wird mir Angst und Bange...und ich würde gerne beide dafür schlagen. Ich bin einfach zu sehr für Athos eingenommen. Ich freue mich auf ein furchtbares Ableben von Mr Broussard und bin gespannt wie Athos auf Corday reagiert. Ich mag ihn übrigens. wunderbarer Charakter den du dains Leben gerufen hast....und....ich muss jetzt weiterlesen.....
Von: abgemeldet
2004-09-23T08:00:22+00:00 23.09.2004 10:00
Also wirklich, ich bin die Woche ja sowieso gerade in einer sensiblen Phasen, aber dieser Abschnitt deiner Geschichte hat mich fast umgehauen... Hier kommt plötzlich soviel Vergangenes hervor, Gefühle schlagen übereinander, Gedanken finden kein Ende... Ich finde, du hast diese Situation sehr menschlich geschrieben, jedenfalls nicht oberflächlich oder in einer Art, dass man nicht glaubt, was man da liest... Nein, du schreibst so, dass man wirklich bei sich denkt, ja, so hätte es sein können... Dieses Kapitel ist einfach nur hervorragend...
LG Krisi
Von:  hamfre
2004-09-19T15:07:05+00:00 19.09.2004 17:07
*lol* die story wird immer besser!!!! mal sehn was der armen aramis noch alles an den kopf geworfen wird!?? sie kann einem leid tun!!!!
also bitte bitte weiter schreiben!!!
cu
Von:  Tach
2004-09-16T07:29:26+00:00 16.09.2004 09:29
Oo Jetz muss ich erstma Luft holen. So viele Dramen auf einmal verkraftet ja kein Mensch x]. Hach das is ja alles so aufregend =] Ich will mehr davon!
Von:  Kajuschka
2004-09-15T12:24:13+00:00 15.09.2004 14:24
UiUiUi... da muss ich amacie zustimmen. Also ich dachte ja fast, dass es kaum noch spannender werden könnte, aber von wegen. Ich vergehe fast vor Spnnung. *beifall klatsch*
Ich würde nur zu gerne wissen, was passiert, wenn Athos in London auftaucht. :-) Also, bitte weiter schreiben. Ich freue mich schon aufs nächste Kapitel. ^_^
Von:  amacie
2004-09-15T09:50:08+00:00 15.09.2004 11:50
*juhe Fähnchen schwenk*
Also das ging ja ruck zuck *Blümchen überreich*

Uhi also wenn ich auch schon früher behauptet habe das es langsam spannend wird, jetzt ist es auf jeden Fall so^^ Aber natürlich muss Madame ja auch ausgerechnet an der besten Stelle aufhören und wir dürfen uns wieder eine Woche lang quälend über uns ergehen lassen, bis wir endlich, ENDLICH die beiden wieder vereint sehen dürfen.
Obwohl mir Corday langsam sehr sympathisch wird ^-^ aber warten wir's mal ab. Bei den restlichen 58% die uns noch fehlen, wird bestimmt noch einiges passieren.

^°^


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