Mordanschlag
Stöhnend drehte sich Aramis auf die Seite und begrub die blonden Locken
unter sich. Sie ächzte gequält auf, als ihre lädierte Seite die Matratze
berührte und das Körpergewicht ihrer rechten Seite trug. Die schmerzfreiere
Alternative hieß auf den Rücken zu liegen, aber so konnte sie nicht
schlafen. Es sah nicht gut für sie aus. Vorsichtig verlagerte sie ihre
Position und bewegte die Beine. Dabei strich sie über ihre Knie. Wieder
ächzte sie. Die Haut am linken Knie war abgeschürft worden, als sie im
Dunklen über den Karren stürzte und unliebsame Bekanntschaft mit dem
Straßenpflaster schloss. Sie konnte froh sein nur Hautabschürfungen davon
getragen zu haben. Nach dem Dreck auf Londons Straßen zu urteilen, kam der
nähere Kontakt eine direkte Tetanusgarantie gleich.
Es klopfte an der Tür. Eigentlich sollte ein Türklopfen nicht verstohlen
klingen, aber dieses brachte es fertig.
Sie ging leise auf. Langsam gelang es Aramis die verquollenen Augen zu
öffnen. Das helle Sonnenlicht des vorangeschrittenen Tages brannte hell in
ihren Lidern.
"Monsieur Broussard will Sie sprechen." Bedächtig umrundete Sophie das Bett
und kam vor ihrer Herrin zum Stehen. "Ach du Schreck." Sie schlug die Hände
über den Kopf zusammen, als sie sah, wie übel Aramis zugerichtet war. Ihre
Blessuren und Abschürfungen zeigten alle Schattierungen von Dunkelblau.
"Was ist los?" Broussard schob das Mädchen grob beiseite und kam ebenfalls
vor ihrem Bett zum Stehen. Gerade noch rechtzeitig, ihren protestierenden
Körper ignorierend, drehte sich Aramis auf den Bauch und begrub
Seidennachthemd samt Inhalt unter sich. Seine Reaktion entsprach ungefähr
der ihren.
"Raus aus meinem Schlafzimmer!", knurrte sie gereizt.
Sophie eilte davon. "Ich hole Wasser", murmelte sie und stürzte nach
draußen.
"Habt Euch nicht so, Mädchenjunge!" Broussard wetzte die Messer. "Unter
Männer sollte man sich ... oh Verzeihung, ich vergaß, mit wem ich sprach",
höhnte er. "Ist das ein Frauennachthemd?"
Es fiel ihr schwer mit ihm zu reden. Sie bekam es täglich mit Leuten zu
tun, die Kommunikation für ein komplexes Spiel hielten. Bei ihm musste sie
auf ein derart niedriges Niveau, dass sie sicher gehen musste, nicht über
das Ziel hinauszuschießen. Dieser Mann wollte sich im verbalen Schlamm
suhlen, bis es ihm die Poren verstopfte. Dabei konnte Broussard einfach
nicht anders. Wenn er Aramis ansah, dann sah er zu seidiges Haar, zu glatte
Haut und zu feine Gesichtszüge für einen Mann. Es hatte nichts damit zu
tun, dass man über Broussard Aussehen, wollte man freundliche Worte
benutzen, sagen konnte es waren alle Körperteile vorhanden. Wem es an
Freundlichkeit mangelte, dem standen eine Vielzahl von Worten zur
Verfügung. Aramis war einfach ein zu herber genetischer Schlag für die
Männerwelt, das Synonym des Stierkämpfers mit wedelndem roten Tuch für den
Stier.
"Das ist ein ganz normales Nachthemd, Sie Pfeife", erwiderte Aramis und
fügte, "Geschlechtslos", hinzu, weil es ihr wichtig erschien. Vorübergehend
einen Augenblick der Vernunft annehmend, fragte er wo sie gewesen sei und
eingelenkt durch die Tatsache, dass sie gewissermaßen zusammenarbeiten
musste, antwortete Aramis wahrheitsgetreu. Ohne freilich bestimmte Personen
oder Umstände zu erwähnen.
Broussard öffnete den Mund. Borussard schloss den Mund.
"Im Ernst", entfuhr es ihm, weiß vor Schreck. Irgend etwas trat nach Aramis
Gehirn und versuchte ihre Aufmerksamkeit zu wecken. Kurz darauf hatte er
seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle. Sie nickte. Sophie kam mit einer
Wasserschüssel wieder.
"Heydon ist von de Meye ..." Jedes weitere Wort ging von einem ebenso
energisch, wie unsanften Lappen unter, der ihr Gesicht bearbeite.
"Stillhalten!" Sophie reagierte automatisch. Viel zu spät begriff sie, was
sie tat und doch war es zu spät. Sie bearbeitete Aramis, als wollte sie die
Haut vom Knochen lösen. Am Ende der schmerzhaften Prozedur, leuchtete
Aramis Haut krebsrot, ob vor Scham oder Schmerzen und brannte wie Feuer.
Sophie knickste ebenso rot und verschwand.
"Haben Sie den Mann getötet?", wollte Broussard wissen. Was denn, dachte
Aramis, keine hämischen Bemerkungen, ob Sophie mir vergessen hat die Nase
zu putzen oder etwas dergleichen? Was war mit ihm los? Das Etwas, dass ihre
Aufmerksamkeit erringen wollte, sprang inzwischen auf und ab.
"Fleischwunde", erwiderte sie.
"Sie hätten vorher mit mir reden müssen! Jetzt sind sie gewarnt worden und
..."
"Sie wissen gar nichts", unterbrach ihn Aramis. "Es war eine
Wirtshausschlägerei. Nicht mehr und nicht weniger. So etwas passiert jeden
Abend. Jemand pöbelt rum und der Rest haut ihm dafür eine rein. In dem
Fall, war ich es", schloss sie mürrisch.
"Woher wussten Sie, dass Mr. Heydon ..." Sein Adamsapfel hüpfte aufgeregt
auf und ab.
"Er hat es mir selbst gesagt."
"Nein", unterbrach er sie ungeduldig. "Woher wussten Sie von Mr. Heydon."
"Oh, ach das. Das war Zufall."
"Und ..." Er hatte einen ziemlich großen Adamsapfel, der immer hektischer
wurde. Vielleicht der Ausgleich dafür, dass die Natur für Broussard kein
Kinn vorgesehen hatte.
"Und was?"
"Wie erfuhren Sie davon?" Broussard verfügte wirklich über kein Kinn. Sein
Rattengesicht ging übergangslos in den Hals über. Warum fiel ihr das erst
jetzt auf?
"Berufsgeheimnis, Broussard."
"Wissen Sie, dass Sie mit Ihrer Dummheit Ihre Tarnung auf's höchste
gefährdet haben."
"Was Sie nicht sagen?" Aramis Stimme triefte vor Sarkasmus.
"Am Besten ist, wir vergessen die ganze Sache. Sie waren gar nicht dort.
Hypothetisch haben Sie den Palast nie verlassen, es gab keine Prügelei und
Sie haben Mr. Heydon nie gesehen. Ein imaginäres Treffen fand statt."
"Wenn Sie meinen", lenkte Aramis ein und schwieg eine Minute kummervoll.
"Jetzt entschuldigen Sie mich. Ich bin von höllischen imaginären
Kopfschmerzen geplagt!" Broussard nickte und stürzte aus ihrem
Schlafzimmer. Dabei stieß er Sophie beiseite. "Aus dem Weg, du blöde Kuh!"
Er rammte die Türfüllung und stolperte über seine eigenen Füße. Krachend
fiel die Tür ins Schloss.
"Mit dem stimmt doch irgend etwas nicht. Broussard ist ..."
Das Mädchen nickte wissend, "ein ekliges, schleimiges ..."
"... in der Kindheit zu oft auf den Kopf gefallen, nehme ich an!"
Sie nickte. "... ein widerlicher, am Boden kriechender ..."
"Was macht er eigentlich hier?"
"... Sohn einer räudigen Hündin ..."
"Und ich erzählt ihm noch alles. Dafür könnte ich mich in den Hintern
beißen!"
"Das könnte interessant aussehen. Worüber reden wir eigentlich?"
Beide sahen sich fragend an.
"Über Broussard!", sagte Aramis und stieg, von plötzlichem Elan
durchströmt, aus den warmen Federn.
Ihr Elan versiegte je, als sie vor dem Spiegel zum Stehen kam. Mit
hängendem Schultern blickte sie in ihr entstelltes Antlitz.
Das Mädchen klopfte ihr tröstend auf die Schulter.
"Das heilt wieder." Ihr lädiertes Äußeres interessierte Aramis nicht. Die
Jahre als Mann hatten ihr eins klargemacht. Der Körper diente lediglich als
Kulisse für die Seele.
"Ach verdammt ..." Aramis fuhr sich über die Kratzer in ihrem Gesicht. So
lange nicht blau geschwollene Augen in die derzeitige Mode gerieten, war
sie erneut zum Nichtstun verdammt. Mit einem Gesicht wie das ihre, blieb
'Mann', bessergesagt Frau in ihren eigenen Wänden.
Um die Mittagsstunde trug der Wind es durch Gänge von Whitehall. Vom
Gewölbe bis zum Speicher füllte es die Ohren seiner Bewohner und nistete
sich dort ein. Es war mit Bedacht und genauster Berechnung auf seine Reisen
geschickt worden und erfüllte, kaum war es unterwegs, schon die öden
Stunden, des von Dekadenz und Langeweile geplagten Adel. Wissbegierig
saugten die gesellschaftliche Spitze des Landes an seiner Substenz und
presste alles aus ihm heraus, bis ihre Neugier gestillt war. Ein neuer
Skandal war zum Leben erwacht. Sogar auf dem Vorplatz standen hohe
Würdenträger und redeten mit Händen und Füßen aufeinander ein.
Sophie trat zur Tür und klopfte höflich an, um gleich darauf die Tür zu
öffnen.
"Ja?" Aramis lag im abgedunkeltem Zimmer auf dem Bett, alle Glieder träge
ausgestreckt, dass Haar wirr über dem Kopfkissen verteilt.
"Es tut mir Leid, Sie mitten in Ihrer Ruhepause zu stören, aber ..."
"Schon gut. Und ...?
"Es geht um de Meyé."
Stille.
Die schmale Hand hob sich und wurde zur Faust.
"Ja!"
"Er erzählt überall herum, dass Sie ein verkleideter Mann sind."
"Das kann er nur von einer Person erfahren haben. Ich wusste, dass er
falsch ist."
"Broussard, Mademoiselle."
"Broussard, Sophie. Die Kacke ist echt am Dampfen."
"Gut ausgedrückt, Mademoiselle. Der Geruch dürfte niemanden gefallen. Ist
de Meye jetzt gewarnt?"
"Ja, ganz sicher. Sie werden jetzt vorsichtiger sein, aber die Katze lässt
das mausen nicht."
"Seht, wie sein Leib ein letztes Mal zuckt, bevor er erkaltet! Ich habe ihm
sein Leben genommen. Ein gezielter Schuss und die Entscheidung fiel
zwischen Leben und Tot. Das ist die Macht des Jägers, seine Faszination."
"Gewiss, Eure Majestät", bestätigte Lord Corday und zügelte sein Pferd.
Seine Gesichtszüge blieben unbeweglich, während Karls dunkle Augen
funkelten und ein selbstzufriedener Ausdruck sich über die königlichen Züge
legte. Corday reizte die Macht des Tötens überhaupt nicht. Er liebte es zu
jagend, die kräftigen Muskeln und Sehnen des langgestreckten Pferdekörpers
unter seinen Schenkeln zu spüren, im Rausch der Geschwindigkeit
dahinzufliegen, den Wind zu fühlen und seinen Körper im schnellen Ritt zu
verausgaben. Aber er genoss das Töten nicht. Sie sahen zu, wie die Knechte
den toten Fuchs hochhoben und fortschafften. Dunkel färbte das Blut das
hellrote Fell. Schnuffelnd umkreisten die Jagdhunde ihre Beute und folgten
dem toten Leib. Ein schneller Pfiff rief die gut trainierten Tiere zurück.
Erneut blies das Jagdhorn und die Jäger machten sich bereit das nächste
Wild zu erlegen.
"Majestät?" Charles schloss näher zum König auf.
"Charles?"
"Ich muss mit Euch reden, Majestät."
"Aber sicher Charles, für Euch immer." Die Augen des Königs funkelten
zufrieden. Man traf Karl I. kaum umgänglicher an, als auf der Jagt.
"Es geht um Comtesse de Mystérieuse."
"Comtesse de Mystérieus?" Verwundert forstete der König in seinem
Gedächtnis nach, aber Frauen blieben ihm gemeinhin nur kurz in Erinnerung.
Leider musste zu dieser Erkenntnis auch seine Gemahlin die Königin
gelangen. "Ah, diese Comtesse. Die Französin, ohne Vergangenheit und
richtigem Namen." Karl hatte gefunden, was er gesucht hatte. "Mir kamen da
ein paar unschöne Gerüchte zu Ohren. Geht es darum, Charles? Ihr
interessiert Euch für sie."
"Das ist richtig, Eure Majestät", schrie Corday gegen den Wind an, während
ihre Reittiere dahinfolgen.
"Ist sie nun ein Mann?" fragte der König.
"Sie behauptet jedenfalls einen Frau zu sein", erwiderte Corday
Der König nickte zögernd. Die allgemeine Aufregung verstörte ihn ein wenig.
"Nun", sagte er schließlich, "ich schätze, sie muss es am besten wissen.
Was denkt Ihr."
"Sie kann unmöglich ein Mann sein, Sire."
Der König grinste breit und musterte seinen Freund.
"Wahrscheinlich wisst Ihr das ebenfalls am besten."
"Nein, Karl, ich kompromittiere sie nicht", erklärte Corday mit Nachdruck.
Der König sah in überrascht an.
"Nein, mein Freund? Ihr sprecht ja ganz neue Töne. Seit Ihr ernster an der
Dame interessiert?"
Corday wiegte unbestimmt den Kopf.
"Schade, mein Freund, dann hat sich meine nächste Frage erübrigt. Entsagt
Ihr in Zukunft dann den leichtlebigen Damen in Eurem Bett und enthaltet uns
Eure wertgeschätzte Meinung vor? Ich kann den Gerüchten kein Ende setzen,
aber ich werde kundtun, dass wir sie für eine Frau halten." Dankbar nickte
Corday.
"Ihr könnt nicht zur Comtesse!" Aramis hörte Sophie's aufgeregte Stimme aus
dem Nebenzimmer und sah verwundert von ihrem Buch auf. Sie verzog das
Gesicht, als sie Corday's Stimme vernahm und sandte ein Stoßgebet zum
Himmel. Resigniert klappte sie die Lektüre zu. Der Tag war ungemein
friedlich verlaufen. Bisher hatte nichts seinen Verlauf gestört, bis jetzt.
Nicht das sie Corday nicht mochte oder unempfindlich auf seine Annäherungen
reagierte, aber gebrauchen konnte sie ihn nicht. Zumal sie ihm noch immer
jegliche Schuld zuschob, an ihren verpatzten Auftritten. Schließlich war
sie als Musketier in geheimer Mission hier und stand an diesem Punkt in
ihrem Leben neben jeglicher Romantik.
Schon ging die Tür auf und Lord Corday stellte die aufgebrachte Sophie
beiseite und betrat schwungvoll ihr Zimmer. Grinsend musterte er die
blasser werdenden Spuren in Aramis Gesicht und verbeugte sich galant.
"Wie geht es uns, nach unserem Abenteuer? Die letzten Tage sah ich Euch gar
nicht", fügte er mit einem süffisantem Lächeln hinzu "Man sagte, Ihr wärt
krank."
Sie verzog keine Miene. "Ein Erkältung." Und hüstelte leicht.
"Er hat mich einfach beiseite gestoßen, Comtesse", ereiferte sich Sophie
und versuchte entrüstet auszusehen. Da sie von Natur aus kein sich
ereifernder, verdrießlicher Mensch war, ging der Ausdruck in ihrem Gesicht
reichlich daneben und erinnerte an einem Kampf mit Hämorriden oder einer
Magenverstimmung.
Sie suchte nur ein Grund zum Bleiben und machte sich an dem tadellos
gemachten Bett zu schaffen. Redete nicht der ganze Hof über die Beiden? Es
war wie ein Bühnenstück mit zwei Akteuren. Corday spreizte gerade sein
buntes Gefieder, stolzierte über den Hof und warb mit lautem Gackern um
sein Weibchen, während diese die Hinterfedern aufstellte und fauchte. In
Gedanken setzte sich Sophie in die erste Reihe und holte das Popcorn
hervor.
"Habt Ihr genug von Abenteuern?"
"Noch lange nicht."
"Euch war bestimmt nicht bewusst, was Euer Glaubensbekenntnis, in einem
Raum voller volltrunkener protestantischer Staubhitzen anrichten konnte?"
Oh doch, konnte sie. Sie wusste wozu Männer fähig waren, wenn sie erst
einmal in Stimmung gerieten. Darauf hatte sie es ja schließlich angelegt.
Aramis seufzte. "Was wollte Ihr, Lord Corday?"
"Mich nur nach Eurem Befinden erkundigen."
"Warum? Ihr müsstet doch froh sein, mir nicht all zu oft zu begegnen",
erwiderte sie bissig. "Ihr scheint Glück gehabt zu haben. Ich sehe nicht
den kleinsten Kratzer. Ergreift die Flucht, solange es noch geht! Das
nächste Mal könnte schlimmer enden"
"Euer Gesicht schien ihnen zu reichen. Wir sind aber scharfzüngig heute?
"Was Ihr nicht sagt", erwiderte Sophie innerlich grinsend und saugte am
imaginären Strohhalm ihres Trinkbechers.
"Ich möchte Euch nur meine Wertschätzung beweisen, Renée."
"Spielt nicht mit mir, Sir. Ich schlage zurück."
"Ja, dass habe ich gespürt," gab er sichtlich beleidigt zurück und schob
die Unterlippe vor. Sie grinste.
"Für den Rest des Abends konnte wahrscheinlich keine der Damen Eure
Wertschätzung genießen. Sie schmerzte Eure wohl, Eure Wertschätzung? Ich
will sie nicht"
"Auch das tat weh und ist sehr unfair."
"Ihr seid ein großer Junge."
Sophie erwarb sich gerade Karten für die Spätvorstellung und lehnte sich
zurück mit einer 500g Tafel Schokolade Vollmilchnuss.
"Sie ist wirklich bissig heute, Lord Corday. Gebt Obacht!" Beide sahen sie
an. Geschäftig senkte sie den Kopf und strich zum wiederholten Mal die
faltenlose Decke glatt.
"Im Ernst, Renée. Ihr wisst, was sich über Euch erzählt wird und Ihr könnt
von Glück reden, dass Euch bei Eurem Ausflug keiner sah. Der König wird
dafür sorgen, dass es bei einem Gerücht bleibt, dass schnell vergeht, aber
um Gotteswillen, -nehmt endlich Vernunft an!" Mit einem kurzen Nicken
verabschiedete sich Corday. Sophie geleitete ihn zur Tür.
"Warum versucht Ihr es immer wieder. Sie weißt Euch doch immer wieder ab?",
flüsterte sie.
Er lächelte schelmisch. "Das ist ja der Reiz an der ganzen Sache. Auch wenn
er ab und zu weh tut", räumte er ein und entsann sich deutlich an einen
Knietritt im Mondenschein.
"Aber seid Ihr es nicht irgendwann leid?"
"Ich konnte noch nie Frauen wiederstehen, die im Mondschein über meinem
Fensterbrett klettern und einen religiösen Aufstand in einem Gasthaus voll
volltrunkener Männer anzetteln," gestand er großzügig und nahm Sophie's
schmale Hand in seine. Jugendlicher Schalk blitze in seinen Augen. Das Herz
der jungen Zofe brachte er zum höher Schlagen.
"Eigentlich mag sie mich. Vielleicht weiß sie es selbst nicht, aber es ist
so. Vertrau mir!" Er hauchte einen federleichten Kuss auf ihren Handrücken.
"Pass mir gut auf sie auf, bevor sie noch mehr Unsinn treibt. Ich kann
nicht überall sein."
Lord Corday ist kein schlechter Mensch. Er mochte der Lasterhaftigkeit des
Adels verfallen sein, aber unter dem anerzogenen Mantel aus Dekadenz und
Hochmut schlug ein gutes Herz mit einem solides Charakter.
Als Sophie zurückkehrt, kniete Aramis vor der Reisetruhe und holte in aller
Ruhe ihre Degen hervorholte. Beunruhigt sah Sophie wie sie bedächtig die
silberne Klinge zu polieren begann, einen beunruhigenden Glanz in ihren
Augen.
"Keine Gerüchte mehr. Ist das gut?", fragte sie, mit belegter Stimme.
Aramis sah auf. "Nicht unbedingt. De Meye wird sich nun etwas anderes
einfallen lassen müssen", erklärte sie, mit gefährlicher Ruhe und strich
über die Schneide, als sei es ein Sakrament oder eine uralte Zeremonie.
"Nun sind wir wirklich in Gefahr, Sophie."
"Du machst mir Angst", flüsterte das Mädchen.
Der Tag verging und die Nächsten folgten, ohne das etwas geschah. Die Sonne
nahm ihren Lauf, die Menschen gingen ihren Betätigungen nach und die Welt
vollzog sich dem Wandel der Zeit. Der Musketier in ihr hatte die Oberhand
gewonnen. >Das Militär macht richtige Männer aus dir<, damit warb man junge
Rekruten. Der jahrelange Dienst in der Garde des Königs hatte sie
verändert. Jetzt reagierte der Mann in ihr. Aramis stand äußerlich ganz
ruhig vor dem Spiegel und bürstete die blonden Locken. Doch innerlich war
sie zum Sprung bereit, wie ein Gepard auf Beutefang. Gemeinhin hatte sie
etwa dagegen, wenn man sie aus dem Weg räumen wollte. Die blauen Flecke und
blutigen Kratzer waren größtenteils verblasst. Der Rest lag unter Puder und
Rouge verborgen. Sie betrachtete ihr nunmehr makelloses Gesicht im Spiegel.
Durch die konvexe Form zeigte er mehr vom Zimmer, als normale Spiegel. Im
Spiegel bewegte sich etwas. Aramis neigte den Kopf zur Seite und duckte
sich. Glas splitterte, als die Kugel die Spiegelfläche traf. Der Knall des
Schusses hallte in ihren Ohren wieder. Jenseits der zerbrochenen
Fensterscheibe entfernten sich ein Schatten. Sie richtete sich auf, hob den
größten Splitter auf und stellte ihn an die Wand. Sophie erschien
angsterfüllt am Türrahmen. Sie rührte sich nicht von der Stelle. Sie hatte
zuviel Angst, um zu blieben wo sie sich befand - und sie war viel zu
entsetzt, um sich zu bewegen. Aramis kämmte vorsichtig einzelne
Glassplitter aus Kleidung und Haar. Sie legte in aller Ruhe den Kamm
beiseite.
"Soll .. soll ich jemand von der Palastwache holen", stotterte Sophie
leichenblass.
"Ja und richte bitte Madam Victoria aus, dass ich zu ihrem Souper nicht
kommen kann, da ich einen Ohnmachtsanfall erlitten habe und mich
niederlegen musste. Wenn nicht das, hätte mich sicher Madam Victoria's
Souper niedergerafft ... nur ein Scherz", fügte sie rasch hinzu, als Sophie
den Tränen nah war. Diese knickste und verschwand.
Broussard musste aus dem Weg geräumt werden. Es wurde Zeit, dass es diesem
Mistkerl an den Kragen ging. Wenn doch nur endlich eine Antwort aus
Frankreich kommen würde. Jede Woche schicke sie einen Brief auf Reisen,
aber kein einziger fand zurück zu ihr.