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Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

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Wie ein Stachel im Fleisch

Wolken zogen sich über den Sternenhimmel und verdeckten das kalte Nachtlicht. Auf dieser Seite der Themse erstarben die Geräusche in der Nacht ganz. Eine einsame Eule gurrte in der Nacht und der Wind raschelte sanft durch das Laub der Bäume. Holzwürmer gruben sich, kaum hörbar, durch Jahrhunderte alte Holzschichten und eine Maus kämpfte um ihr Überleben im Küchentrakt. Athos lag wach in seinem Bett und wälzte sich hin und her. Das Laken war durchgeschwitzt und die Bettdecke lag unangenehm auf seiner Haut. Seine Gedanken ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. In seiner Brust schlugen zwei Herzen. Schwer atmend setzte er sich auf und fuhr sich über die müden Augenlider. Die Tür wurde aufgerissen und landete, mit einem nicht unerheblichen Laut, Ausdruck ihrer Wut, an der Wand. Mit Aramis Eintreten verdichtete sich die Atmosphäre des Raumes zu einer explosiven Mischung aus Entrüstung, Wut und dunkelrotem Zorn.

"Mistkerl", fauchte sie und wedelte aufgebracht mit einem Brief, den sie zerknüllt in ihrer Hand hielt. Eine Walküre vor den Himmelspforten, alten Wikingerglaubens, konnte nicht bedrohlicher wirken. "Du wusstest es, die gesamte Zeit, seit du England betreten hast. Hinterhältiger, verlogener ..." Eine Schimpftirade ging auf ihn nieder.

"Was wusste ich?", fragte er ruhig.

Sie verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen und strich mit kaltem Zorn den Brief glatt. "Das fragst du noch? Du weißt, dass ich eine Frau bin." Das Echo ihrer Worte erfüllte den Raum.

Athos zog scharf die Luft ein. "Porthos schrieb dir?"

"Nein, D'Artagnan, aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass du mich die gesamte Zeit über hast glauben lassen, du wüsstest es nicht. Du hast mich belogen."

"Ist es nicht anmaßend von dir von Lüge zu sprechen?"

Die Wolkendecke zog von den Sternen. Ihr weißes Licht flutete das Zimmer und erhellte Aramis Züge. Athos wich innerlich zurück. Eine ganze Garnison hätte das getan.

"Ich tat es um mich schützen", schrie sie.

Athos lachte bitter auf und sprang aus dem Bett. Er trug nur eine dünne Leinenunterhose, die ein schmales Band lose an den Hüften zusammenhielt. Ein schmaler Haarsaum lief zwischen seiner Brust entlang. Muskeln und Sehnen zeichneten sich unter der Haut ab. Er sah, dass sie schluckte und sichtlich aus dem Konzept gebracht war.

"Du hattest dazu kein Recht", wiederholte sie mit belegter Stimme und musste sich zwingen, ihm in sein Gesicht zu sehen. Das geschah ihr Recht. Sie wollte doch ein Mann sein. War er ihr Mann zuviel?

"Hattest du das Recht uns zu belügen?"

"Hättet Ihr mich als Frau akzeptiert?", fragte sie zurück.

"Hast du die Möglichkeit in Betracht gezogen?"

Aramis schüttelte stur den Kopf. "Beantworte meine Frage, Athos!" Er schwieg wütend und im bitteren Triumph, als Mann recht zu haben. Aramis befand sich als Frau nicht an dem für sie angestammten Platz. Sie verstieß gegen die sittliche Norm, in mehr als einer Hinsicht. Er ballte die Hände zu Fäusten. Muskeln schoben Muskeln beiseite.

"Nein", entgegnete sie, "weil ihr mir gar nicht das Recht eingeräumt hättet, Musketier sein zu dürfen."

"Es gibt Verhaltensregeln und Vorschriften und wir alle müssen uns an diese halten."

"Nein, nur Frauen!", stellte sie richtig. Athos war näher getreten und viel zu nah. Das Denken fiel ihm schwer, der Grund, warum Zorn und Wut seine Gefühle überschattet hatte, verflüchtigte sich. Was für einen unsinnigen Streit führten sie da?

"Ich hatte meine Gründe, warum ich mich als Mann verkleidete und fortlief und die entbinden mich von jeder Regel. Gäbe es einen anderen Weg, so hätte ich ihn gewählt", entgegnete sie.

Er hob eine Braue. "Hättest du das wirklich?"

"Natürlich", erwiderte sie erstaunt. "Glaubst du, ich genieße es, mich verstellen zu müssen, von Albträumen und Wahnvorstellungen verfolgt zu werden, die Inquisition im Nacken zu spüren. Immer und überall besser als alle anderen sein zu müssen, um nicht aufzufallen?" Ein vager Schimmer von Tränen, die Trotz und Stolz nicht zuließen, schimmerte in ihren Augen. Sie wirkte trotz Hemd und Hose verletzlich und feingliedrig.

"Ist das alles, was du in mir siehst? Ein Regelverstoß? Etwas Anstößiges?"

"So war das nicht gemeint."

"Doch! Wie lange weißt du, dass ich eine Frau bin? Drei oder vier Monate und wie begegnest du mir seit dem?" Sie schüttelte wütend den Brief. "Was wird mich bei meiner Rückkehr in Paris erwarten? Von Freundschaft und Akzeptanz ist keine Spur mehr." Ihre Freundschaft war beiden soviel Wert gewesen. Es war klar, dass sie sich von Anfang an gut verstanden, waren sie doch Menschen gleichen Temperaments, die eine adäquate Gesellschaftsform suchten. Beide stieß sie das Streben nach Wein, Weiber, Kampf und Heldentum ab, dass die anderen Musketiere miteinander verband. Und nun?

"Das ist keine Gewöhnungsfrage", sagte Athos.

"Habe ich dir je Anlass gegeben, dass ich meiner Aufgabe als Musketier nicht gewachsen bin?"

Es ging Athos nicht darum, wie gut sie als Musketier war. "Aramis, ich ..."

"Habe ich je Feigheit oder Mutlosigkeit gezeigt?"

"Aramis ..."

"Schwäche oder Unzulässigkeit?"

Er schwieg.

"Ich bin vielleicht ein Dummkopf, aber du bist der größere von uns beiden Athos." Sagte sie und wandte sich zum Gehen.
 

"Renée!" Abrupt drehte sie sich herum und starrte ihn an.

"Das ist das erste Mal."

"Das erste Mal was?"

"Das erste Mal, dass du mich so genannt hast", sagte sie leise, fast nicht hörbar. Er schaute ihr verwundert in die Augen, schließlich meinte er fast zögernd. "Es ist ein schöner Name!"

Dann übernahm ein anderer Teil von ihm das Denken. Seine Lenden produzierten einen Überbedarf an Testosteron und beanspruchten die Steuerung seiner Handlungen für sich. Er überwand den letzten Schritt zu ihr. Umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht und küsste sie. Erst ganz leicht, ein sanftes berühren beider Lippen, dann leidenschaftlicher, heftiger. Aramis sträubte sich nicht, im Gegenteil, sie schmiegte sich enger an ihn, als wollte sie mit ihm eins werden. Die schmalen Finger fuhren über die bloße Haut seines Rückens. Hitze breitete sich in seinem Körper aus. Mochte sie sich hinter Uniform und Waffe verstecken. Sie war eine Frau und sie schmeckte wie eine Frau, süß und verheißungsvoll. Sanft, aber bestimmend dirigierte er sie zum Bett, bis die Bettkante Aramis Kniekehlen berührte und ihr keine andere Wahl blieb, als einzuknicken und auf das Bett zu sinken. Athos hatte einen Punkt erreicht, an dem nicht mehr die Vernunft oder sein Verstand sein Handeln bestimmte. Seine Erregung hatte das ganze Nervenssystem auf und unter seiner Haut erfasst und nun wollte es gestillt werden. Jeder Widerspruch von ihr, würde keine Billigung finden. Seine Hände und Lippen suchten sich gierig ihren Weg.

Aramis stöhnte leise und erregte ihn noch mehr.

"Die Welt ist keine andere, weil ich ein Musketier bin", wisperte sie und seufzte. Athos zog das Hemd aus ihrer Hose und schob es hoch. Seine Lippen wanderten über die weiche Haut.

"Die Menschen und die Ordnung ist doch ... ist doch ...", ihre Stimme erstarb und sie bewegte sich unter seiner Berührung. Sein Mund hielt inne und er hob den Kopf. "Ja?"

"... nicht anders", hauchte sie. Er lachte kehlig und dunkel vor Erregung. "Doch, sieh mich an, was du aus mir gemacht hast."

"Was?", stöhnte sie.

"Einen Dummkopf."
 

Paris, war eine Stadt so einzigartig, die Mutter eines Landes mit Weltherrschaft. Stadt der Freude, Stadt der Trauer, Stadt des Geldes, Stadt der Armut. Voller Leben, voller Leiden, Stadt der Tränen, Stadt der Freude, voller Hoffnung und Sehnen. Unbegreiflich, wunderschön, unzumutbar, unbequem. Perle eines Landes mit tausend Kirchen, tausend Türme, tausend Straßen voller Menschen. Zu dieser Zeit, eine Stadt des Aufruhrs. Geängstigt und Besorgt durch die Morde, geschürt in ihrer Abneigung und ihrem Hass gegen die Protestanten durch jahrhundertslanger Propaganda, aufgerüttelt durch einen bevorstehenden Krieg gegen England, um die letzte Hochburg der Hugenotten. Es kam die Tage, da destillierten sich all die Stimmungen und schwelgenden Ängste, Unruhen und Besorgnisse, die schon so lange diffus in der Luft gelegen hatten, zum Aufstand. Seine Eminenz der Kardinal, eilte so schnell ihn seine alten Glieder trugen durch den Louvre. Schubweise kehrt Kraft aus früheren, jüngeren Tagen in seinen Körper zurück und wenn diese Stunden ihn seine Gicht und Sterblichkeit vergessen ließen, so nutzte er diese, um seine Macht voranzutreiben. Wie eine Sturmkrähe fegte die graugekleidete kirchliche Macht von Frankreich durch den königlichen Palast. Der Kardinal murmelte leise vor sich hin. Nachdenkliche Falten gruben sich zusätzlich in die hageren Züge.

Die Bewohner des Louvre beeilten sich schleunigst, ihm aus dem Weg zu gehen und erst als Richelieu den Palast verließ, atmeten unzählige Kehlen, wie ein einziger qualvoll angehaltener Atemzug auf. Wer ihm nicht entkam, war der Kapitän der Musketiere. D'Treville konnte nicht sein eigenes Büro verlassen. Richelieu beliebte so gut wie nie, das Büro seines schärfsten Kontrahenten zu besuchen. Nun blieb dem Kapitän nur der massive Schreibtisch als Wall gegen das spürbare Verlangen ständiger Machtansammlung durch Richelieu. Vor dem Arbeitszimmer des Kapitäns

lauschten die Musketiere mit angehaltenem Atem.

"Nein, nein, nein!", donnerte D'Treville.

"D'Treville, zeigt Ihr so die Treue zu Eurem König und Land?", tadelte der Kardinal. D'Trevilles Blick schickte den

Kardinal in das Fegefeuer, welches ihn ohnehin in der Ewigkeit erwarteten würde.

"Ihr zieht keinen meiner Männer für Euren sinnlosen Krieg ein. Ich unterstütze keinen heiligen Kreuzzug."

"Wie unsinnig, Kapitän. Wer redet von einem heiligen Krieg. Ich muss mich den weltlichen Problemen des Landes widmen. Die Kirche hat gar keine Zeit militant zu werden. Es geht um rein politische Belange. La Rochelle darf keine Eigenständigkeit zugebilligt werden, wo es so nah bei England liegt und einer unserer wichtigsten Handelshäfen ist. Nur gilt es das Kreuz, dieser störrischen städtischen Oberhäupter zu beugen - für Frankreich."

"Ich wusste nicht, dass es so schlecht um Frankreich steht", sagte D'Treville sarkastisch.

"Lasst es mich so formulieren! Frankreich ist ein prächtiges Haus. Prunkvoll und Erhaben, aber mit der Zeit ziehen Risse durch die Fassade und England ist wie Hausschwamm in den Fugen. Wir müssen dem schleichenden Zerfall Einhalt gebieten!"

"Ich billige ihn trotzdem nicht."

"Niemanden interessiert es, was der Kapitän der Musketiere billigt und was nicht", widersprach der Kardinal fast sanft.

"Ihr standet nie auf dem Schlachtfeld", wandte D'Treville scharf ein. "Es wird Wehklagen, Tote, Verletzte und Unmengen von Blut geben. Später werden sich Generationen fragen, wo war der Zeitpunkt, wo eingelenkt wurde, damit kein Blut floss. Dieser Moment könnte jetzt sein. Haben wir ein Glück."

"Ich fürchte soviel Glück wird La Rochelle nicht haben. Ludwig hat dem Feldzug zugestimmt."

Die Tür wurde aufgerissen und unterbrach D'Treville bei seiner Erwiderung. Ungehalten fuhr der Kapitän seinen Musketier an. Der junge Musketieranwärter schluckte verschreckt.

"In der Rue de Revoline schließen sich die Bürger zusammen und es heißt, sie greifen den Louvre an." Seine Stimme

stieg gleichsam, da sein herz sank. Irgendwo bröckelte der Putz von der Wand.

"Papperlapapp, sie würden es nicht wagen. Das sind ein paar Großmäuler und Tunichtgute. Schließt das Tor, nehmt Haltung an und ihnen wird der Sinn nach Revolte vergehen!" Mit einer verärgerten Handbewegung entließ ihn D'Treville. Als der junge Mann weiterhin blieb und sein Kehlkopf ihm wegzurennen schien, seufzte der Kapitän resigniert auf. "Dummkopf, hol Porthos!" Ich hatte Athos, Aramis und Porthos für das hier, dachte D'Treville bitter. Ich konnte ihnen die Dinge überlassen und brauchte mich nur mit Richelieu rumärgern und seiner verdammten Politik.

Er wandte sich wieder an den Kardinal.

"Das macht Euer Krieg!"

Richelieu zeigte keine Gefühlsregung. Er verspürte nur emotionale Regungen, wen er es ,wollte'. Sein zentrales Bewusstsein für Gefühle kamen aus einem entlegenen Winkel seines Gehirns und ließen sich bei Belieben an- und abschalten.

Pierre beeilte sich durch die Straßen zu kommen, ohne sperrige Fuhrwerke, aufhaltenden Passanten, vorübereilenden Kaufleute oder gar dem meuternden Pöbel zu begegnen. Er wusste wo er Porthos finden würde. Porthos Wesen tat sich durch seine Vorlieben für das Monogramme vor. Bei der Wahl seines Gasthauses zeichnete sich eine gewisse Kontinuität ab, wie auch bei dem Rhythmus seiner Mahlzeiteinnahmen. Im Gasthaus beim Saint Germain fanden sich ohnehin die meisten Musketiere ein und die Taverne vertrat den Ruf ein gesundheitsschädigender Ort für Vertreter krimineller Berufung zu sein. Um zur Grenze toleranten Konkurrenzverhaltens vorzutasten, fanden sich auch Wachen der Garde des Kardinals ein. Zur Mittagszeit wimmelte es von Vertretern des Gesetzes. Genüsslich saß Porthos bei einer Wildkeule. Das Fett lief ihm über das Kinn.

"Porthos, der Kapitän ruft dich. Du sollst sofort zum Louvre kommen!" Piere trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. Der riesenhafte Musketier hob den Kopf und zeigte erste Zeichen ernstgemeinten Unmutes. "Ich bin zu Tisch", brummte er und grub die kräftigen Zähne in das saftige Fleisch. Seit Tagen hörte er verdrossen von Musketieren, die aus dem Urlaub zurückgerufen wurden oder für zusätzlichen Dienst eingeteilt wurden. Er erfuhr von Aufruhr, Streitigkeiten, aufgewirbeltem Staub und Unruhen. Die Musketiere bestanden aus zu wenigen Männern, um sich um König und Volk gleichzeitig zu kümmern. Es lag eine Doppelschicht hinter ihm. Seufzend erhob er sich.

"Ist es wahr, dass Aramis in England ist ... als Frau verkleidet?" Piere's blonder Schopf ruckte vor Aufregung wie ein Wetterhahn auf einer Kirchturmspitze. Porthos entglitt die Keule aus der Hand und landete klatschend auf dem Teller. Claude, welcher in letzter Zeit nur allzugegenwärtig zu sein schien, setzte seinem Dutzendgesicht ein Grinsen auf, als würde er sich glänzend amüsieren. Unauffällig wie er von seiner Erscheinung her war, entging er meist der Aufmerksamkeit anderer, hatte aber unterdessen seine Ohren überall, damit kein Wort ihm entging, gleichgültig, ob es von links oder rechts kam.

"Oh ja und mittlerweile scheint es sogar unser kleiner Piere zu wissen", höhnte er. Porthos spürte den Blick der anderen Gäste in seinem Nacken, wie einen Mückenschwarm. "Wo es doch auch zu den Rotröcken durchgedrungen ist. Aramis sollte in England gleich bleiben. Paris wird ihm so schlecht im Magen liegen, wie verdorbener Fisch", und sein Grinsen wurde eine Spur unverschämter. Steif drehte er sich herum, ohne ein Wort zu verlieren. Piere schnaubte abfällig. Er hörte nicht gern, wenn man schlecht von Aramis sprach. Sein Können, seine Ausbildung und schließlich sogar seine Unterkunft verdankte er ihr. Wenn er dem König als Musketier mit demselben Eifer dienen würde, den er auf seine Ausbildung verwendete, würde er es noch weit bringen.

Wo er sonst nie ein Widerwort gegenüber einem Musketier gewagt hätte, schleuderte er heraus: "Halt das Maul, Claude, deine Worte stinken mehr, als ein frischer Misthaufen. Das ist euch beiden gleich. Ihr liegt in der Sonne und ziehst Fliegen an." Er war ein Bild einzig beleidigender, stummer Anklage. Mit einem letzten Blick abgrundtiefer Verachtung beeilte er sich Porthos zu folgen, der zur Tür hinausgestampft war.

"Pass bloß auf, Kleiner!", brummte Claude und wandte sich seinem Wein zu.
 

Verärgert bahnte sich Porthos seinen Weg. Viele Leute waren auf den Straßen. Mehr Pariser als sonst. Man konnte nicht von dem Pöbel in dem Sinne reden, sondern eher von einem Ur-Mob, aus dem sich der echte Pöbel entwickelte, wenn die Stimmung entsprechend angeheizt war. Derzeit stand sie nur auf kleiner Flamme und köchelte vor sich hin. Wie Netz und Spinne breitete er sich in der Stadt aus und Porthos konnte die Spannung im Spinnennetz fühlen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendein Idiot irgendetwas Idiotisches anstellte und bei Idioten war die Natur sehr großzügig. An der Rue ... traf Porthos auf seinen jüngeren Kollegen und Freund, der das Gesehen beunruhigt betrachtete. Gefährlich nahe beim Louvre hatte sich der Pöbel zusammengerottet.

"Hölle, Fegefeuer und ewige Verdammnis auf dich!"

D'Artagnan musste seinen Freund umrunden, um zu sehen, wer da sprach.

"Deine Zähne sollen verfaulen und Maden sollen in deinen Gedärmen wohnen."

"Porthos, hinter dir steht ein dürrer Mann und verflucht dicht."

"Deine Genitalien sollen Flügel bekommen und davon fliegen."

"Ich weiß", erwiderte der Koloss gleichmütig. "Er folgt mir schon seit der Rue des Fossés Saint-Germain. Der Pöbel wollte schon wieder jemanden steinigen und unser Freund rief alle zu einem heiligen Kreuzzug auf." Sein Daumen wies über die Schulter.

"Ende in den Dornen der Verdammnis. Mögen Blitze dich erschlagen!", ereiferte sich das dunkelgekleidete Männchen, wobei es wütend hin und her sprang, weil niemand es beachtete.

"Jedenfalls habe ich dem energisch ein Ende gesetzt."

Sollen die Maden der Verdammnis in deinen Rachen kriechen und dich elendig verrecken lassen."

"Es wäre schließlich eine eklatante Herausforderung der Regierungsautorität", erklärte Porthos. Verblüfft blieb D'Artagnan stehen und starrte seinen Freund mit großen Augen an. "Wo kommen wir da hin, wenn die Leute das Gesetz in ihre eigenen Hände nehmen", brummt dieser und schob sich durch die Menge.

D'Artagnan musste sich beeilen Schritt zu halten.

"Sieh dort!" Porthos zeigte auf Demonstranten, die den Louvre umstanden und seine Wangen zitterten vor Empörung. "Direkt vor den Augen des Königs. Eine freche Herausforderung der konstituierten Autorität."

"Deine Hand soll verfaulen und abfallen", heulte der kleine Prediger.

"Der was?", fragte D'Artagnan, der an seinen Sinnen zweifelte. Wo war der alte Porthos geblieben. Gutmütig, naiv mit einer großen Portion Inkompetenz, die Athos und Aramis überbrücken mussten. Wann hatte sich Pothos Vokabular auf eine höhere Ebene vervielfältigt? Wie ein Rammbock pflügte sich Porthos durch die murrende Meute und gelangte zum Eingang des Palastes. Ein Stein flog ihm entgegen und er fing diesen mit einer Hand auf, ohne der Wurfrichtung Beachtung zu schenken. Zu D'Artagnans Laufrichtung kam eine ausgeprägte seitliche Komponente hinzu. Verfangen im automatischen Modus der Selbsterhaltung, hielt er sich seitlich hinter dem Koloss. Eher ein Zusammendrängen, als ein Begleiten. Zu ihrem Glück, blieb ihr schwarzgekleideter Irrwisch, fluchend und verwünschend in der Menge stecken.

"Wie redest du denn?"

Ein dürrer Mann sprang ihnen in den Weg und breitete die noch dünneren Arme aus.

"Wir weichen nicht!", schrie er. Porthos erwartete keine Kooperationsbereitschaft und schob ihn einfach beiseite.

Er zuckte die Achseln. "So hat es der Kapitän ausgedrückt."

"Deine Augäpfel soll aus deinem Schädel fallen", kreischte es hinter ihnen.

Porthos drehte sich herum und packte den kleinen Mann am Kragen und riss ihn hoch. Wild strampelten seine Beine in der Luft.

"Hör mal, du Wicht. Kein Feuer der Läuterung, keine Steinigung aus Rache, kein Mord und Totschlag. Wenn ich dich auch nur mit einem verdammten Kieselstein in der Hand erwische ...!" Drohend schüttelte er ihn.

"Allein deine Worte genügen, um dich für die Ewigkeit im Höllenschlund br ..." Porthos schüttelte ihn erneut.

"Das ist Blasphemie", heulte er in Porthos Klauen. Dieser ließ ihn los.

"Das heilige Feuer der Inquis ..."

"Noch ein Wort und du fängst dir eine."
 

Es gibt Menschen, die erwachen und sind derart ekelhaft fröhlich, dass sie, aufgrund ihres naturellen Optimismussees, Gott für den neuen Tag danken. Was Athos auf den Lippen lag, als er erwachte, war weit davon entfernt, Gottgefälligkeit zu sein. Sein gottesfürchtiger Vater hätte ihm den Mund mit Asche ausgewaschen. Sein Körper fühlte sich taub und müde an, doch gleichzeitig schien es, als summten abertausend Mücken durch ihn. Während sein Geist in die Wirklichkeit einkehrte, pulsierten in Körpermitte noch die Traumbilder der Nacht.

""Oh, mein Gott!", murmelte Athos, setzte sich auf und barg den Kopf in den Händen. Spürte er wirklich sexuelles Verlangen nach Aramis? Das konnte nicht sein. Wenn er sie sah, spürte er nichts davon. Jetzt musste er sich die Frage, was Aramis für ihn war. Ein Mann war Aramis nicht, als typische Frau konnte und wollte er sie nicht sehen. Dafür kannte er Aramis zu lange als Mann. Athos war sich selbst über so ehrlich, einzugestehen, dass wenn der Auftrag nicht stattgefunden hätte, er sich immer weiter, Stück für Stück von ihr entfernt hätte. Gedanklich lagen ohnehin ganze Welten zwischen ihnen. Da dem nicht so war, musste er sich weiter mit ihr auseinandersetzen und feststellen, dass die Person, die ihn jahrelang belog, sich trotz der Erkenntnis, dass es sich um eine Frau handelt, in ihrem Wesen nicht weiter verändert hatte. Es wurde registriert und je länger er mit ihr zusammenarbeitete, sich Sorgen um sie macht, an ihr verzweifelte, mit ihr lachte und den Geist des gemeinsam erlebten aufleben ließ, zweifelt er an sich selbst. Wieso entfernte er sich vom klassischen ,Sie-hat-mich-verraten-wieso-kann-ich-sie-dafür-nicht-mehr-hassen'?

Seine Gedanken kehrten wieder zu dem Traum zurück. Er spürte mit aller Intensität die die Anspannung und das sexuelle Verlangen.

Athos erinnerte sich, vor längerer Zeit einen ähnlichen Traum mit Aramis gehabt zu haben. Damals hielt ihn nur der Umstand, dass Traumbilder vergänglich und leicht im Alltag zu vergessen waren, davon ab, im Kloster einzutreten, sich dem Zölibat zu unterziehen und die Tage in Selbstgeißlung zu verbringen.
 

"Aramis? Renée?" Jemand riss Aramis aus ihrem mühsam gefundenen Schlaf, indem er sie kräftig an der Schulter schüttelte.

"Es ist Zeit aufzustehen!" Sophie blieb sanft, aber bestimmend. Aramis hatte eine ruhelose Nacht hinter sich. Geplagt von Alpträumen und ständigen Wachphasen.das was sie in den letzten Monaten erlebt hatte, würde ihr für den Rest ihres Lebens Albträume bescheren. Kurz vor Morgendämmerung brach der Damm in ihr und Tränen spülten den Weg der Seele frei. Das Weinen tat gut, ihre Sehnsucht, der Schmerz und die schrecklichen Ereignisse in Schweigen hüllen zu müssen, weil sie keinem hatte, dem sie es anvertrauen konnte. Sie schluchzte hilflos und leise in ihr Kissen und hoffte, dass der nächste Morgen keine Spuren in ihrem Gesicht zeigen würde. Das was sie in den letzten Monaten erlebt hatte, würde ihr für den Rest ihres Lebens Albträume bescheren. Sie kämpfte sich mühselig aus dem Bett.

Sophie half ihr mit heiterer Betriebsamkeit. "Hast du schon überlegt, welches Kleid du tragen willst?"

"Mh." Aramis betrachtete ihr zerknautschtes Angesicht im Spiegel.

"Und welche Frisur?"

"Dunkelhaarig, mit braunen Augen."

"Hä?"

"Nicht so wichtig!"
 

Zu beider Unglück und gegensätzlich ihrer derzeitigen Stimmung, begegneten sich Aramis und Athos vor der Tür.

"Salut."

"Salut."

Schweigen.

Stille breitete sich aus und setzte sich in den Ecken fest. Unbehaglich wagte keiner den anderen direkt anzusehen.

Gestern Nacht war Athos bereit alle Hemmungen und Zweifel zu vergessen. Das Problem mit einer solchen Nacht bestand darin, dass ein Morgen der Ernüchterung folgte. >Sei nicht albern<, dachte Athos, >sie weiß nichts von deinen Träumen. <

>Hab Geduld, bald bist du zurück in Paris und kannst wieder zu dir selbst finden<, sagte sich Aramis.

"Ein letztes Mal in Kleid und Unterrock?"

Aramis zuckte unbestimmt die Schultern und lächelte schief. "Nur bis ich außer Sichtweite deiner Familie bin. Habe ich dich nicht genügend blamiert?" Kam er nun mit? Warum sagt er nichts? Nannte keinen Zeitpunkt?

"Wenn du wieder Musketier bist, benimm dich gut. Keine Prügellein, die du so gerne anzuziehen scheinst!" Es folgte ein kurzer Klaps gegen das linke Schulterblatt. Im selben Moment verfluchte sich Athos und zog die Hand wie verbrannt zurück. Seine Worte erinnerten ihn, dass sie eben kein Mann war. Athos versuchte, die Reaktion seines Körpers auf diesen Gedanken zu ignorieren und nahm sich vor, dem Angebot seiner Tante nachzukommen. Es wurde Zeit, dass er seine Bedürfnisse über eine respektable Ehefrau tilgte. Die Zeit war reif, sonst würde er nicht nach einem Mannweib lechzen. Ein Blick auf Aramis ebenmäßige Gesichtszüge brachte ihn dazu, seine Einwände zu korrigieren. So sah keine Megäre oder Walküre aus. Er lächelte.

"Oliver?" Seine Tante erschien mit strahlendem Antlitz.

Athos zuckte zusammen und das Lächeln gefror.

"Ich komme gleich."

"Also kehrst du nicht mit mir zurück nach Paris?", wollte Aramis wissen.

"Bald", erwiderte er ernst. "Aber nicht sofort."

"Also suchst du eine Frau?" Aramis versuchte mühsam ihre Stimme nicht bitter und enttäuscht klingen zu lassen. Er lächelte still und seine Augen verrieten nichts, als selbstsichere freundliche Ruhe.

"Vielleicht. Wer weiß, was ich finden werde."
 

Ein merkwürdiger Abschied zunehmen, aber es blieb ein Abschied.



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  blubbie
2011-06-26T20:28:30+00:00 26.06.2011 22:28
Du hast du uns ja schön veralbert! *nörgel* Aber ich gestehe dass es dafür vermutlich wirklich zu früh wäre. Aber dass sich Athos jetzt eine Ehefrau aussuchen will, dafür könnte ich ihm schon wieder links und rechts eine scheuern. Soll er doch. Dann heiratet Aramis eben doch Charles! Der hat sie in letzter Zeit viel mehr verdient. So! Nur der König wäre vermutlich nicht so angetan...und das könnte Charles Ansehen schaden...ah...Zwickmühle. Frankreich wird Probleme schaffen...große Probleme. Diese Idee mi dem Auswandern nach Schottland schaltet sich wieder ein.
Dieses alte Hutzelmännchen was hinter Porthos herhüpft und ihm Flüche auf den Hals hetzt...göttlich! Es lief bildlich in meinem Kopf ab!
Hatte ich schon erwähnt, wie großartig ich Porthos finde? Du schaffst ihn in allen deinen Geshcichten so darzustellen, dass ich ihn einfach nur knuddeln möchte (der arme Tropf)^^
Von:  hamfre
2005-02-23T13:20:44+00:00 23.02.2005 14:20
ohhhh ja wieder ein sehr schönes kapitel!! auch wenn die eine szene nur wunschdenken war!(ob von athos seite oder der der fans!!!!*g*)bin gespannt wanns weiter geht!! also bitte bitte schnell weiter schreiben und vll den traum wahr werden lassen!!!!!*heftignick*
cu
Von:  amacie
2005-02-14T06:52:29+00:00 14.02.2005 07:52
Also ich bin ja nach wie vor traurig das es nur ein Traum war, aber ich darf ja nichts sagen. Habs ja auch nicht besser gemacht^^ Nun der nächste Teil wird mit Spannung erwartet, ich bin gespannt wie du die zwei zusammenkommen lassen willst, immerhin überlegt Athos ja zumindest schon sich endlich einmal eine Frau zuzulegen und wer könnte da wohl am besten zu ihm passen ... :-)
Von:  Tach
2005-02-13T16:39:26+00:00 13.02.2005 17:39
Stelle dir bitte mich lachend, klatschend, kichernd, blöd grinsend und am Schluß fast heulend vor...
Wie sagt man so schön, eine Achterbahnfahrt der Gefühle? Das umschreibt das Ganze wohl sehr gut denke ich. Wirklich nervenaufreibend. Und dieser offene Schluss...das macht mich ja grad son bischen wahnsinnig. Aber ich bin geduldig und der festen Überzeugung dass du zum Wohle aller doch noch ein schönes Happy End für die beiden findest...



Hoffentlich o.O Uiuiui...diese Spannung...mein Magen...

Ach ja, Porthos war genial! x]
Von: abgemeldet
2005-02-13T12:24:55+00:00 13.02.2005 13:24
Genial! Einfach nur Genial! Du führst uns ganz schön hinters Licht, Anne, aber wir wollen dir noch einmal verzeihen, dafür dass du ein so spannendes, exzellentes und ausgezeichnetes Kapitel geschrieben hast! Als du den Tumult vor dem Louvre beschrieben hast, hatte ich ein wenig Schwierigkeit den Dialogen zu folgen, war etwas verwirrend... Aber die angebliche *Nacht* war einfach nur super, sehr gefühlvoll, einfach nur romantisch! Sehr schön!
Liebe Grüße
Krisi
Von:  Kajuschka
2005-02-12T20:17:48+00:00 12.02.2005 21:17
Ich kann mich getrost Ayumi Kishu anschliessen. Ein wirkich wundervolles Kapitel. Wie schaffst du es nur, in deinen Ideen immer besser zu werden? Ich freu mich auch schon auf ein neues Kapitel :-) *Daumen hoch*
Von: abgemeldet
2005-02-12T18:20:48+00:00 12.02.2005 19:20
OHHHHHHHh WOOOOOOOWWW!!!!
Das war einfach das Beste Kapitel von Allen!!! Ich kann es immer noch nict glauben, dass ich es eben gelesen habe.
Ich hab mich am Anfang nicht getraut es zu lesen, da ich dachte, dass jetzt was ganz Schlimmes kommen muss. Aber Pustekuchen. Es kamm das Beste Kapitel überhaupt.
Besonders Athos Traum, obwohl ich zu erst dachte er wäre Realität, und dieser merkwürdige Abschied waren eindeutig die Höhepunkte.
Ich kann es schon jetzt nicht mehr nis zum nächsten Kapitel aushalten. Hoffentlic dauert es nicht alzu lange, denn ich alte diese Warterei eingach nicht aus!

Salut, Ayumi


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