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Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

von

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Der Mörder aus der Hendson Steet

Der alte John Dunn lag zusammengekrümmt auf seiner Strohmatte und träumte von besseren Tagen. Bessere Tage hieß, - frühere Tage, denn früher war alles besser und einfacher gewesen. Dabei übersah er lediglich den Umstand, dass auch in den vergangenen Zeiten einmal die Zeit gewesen war, in der er der flüchtigen besseren Vergangenheit nachgetrauert hatte. Etwas polterte gegen seine Tür. Ein düsterer Laut, der als er endlich seinen Schlaf durchbrochen hatte, ihn aufstöhnen ließ. John wälzte seine alten Körper schwerfällig aus dem Bett.

"Diese Bälger", brummte er. Sich einfach umdrehen und weiterschlafen nützte nichts. Die Lausbuben der Nachbarschaft trieben so lange ihren Schabernack mit ihm, bis sie einen armen alten Mann aus seinem Bett getrieben hatten. Schmerzen fuhren durch sein altergekrümmtes Rückrat, während er in seine einzige Hose schlüpfte und zur Tür schlürfte.

"Diesmal gibt es Prügel."

Als er sich gegen die Tür stemmt, blieb diese verschlossen. Etwas Schweres blockierte sie von der Außenseite. Keuchend hielt er inne und fluchte hingebungsvoll. Erneut drückte er mit aller Kraft, doch seinen übermüdeten Gliedern fehlte die Kraft. Missmutig zog er einen Stuhl zum Fenster und kletterte umständlich durch die kleine Öffnung. John Dunn bewohnte, samt seiner einzigen Ziege, ein Zimmer im Erdgeschoss und musste sich lediglich auf der anderen Seite in einem Haufen fauliger Kohlköpfe herunterfallen lassen. Mühsam rappelte er sich auf und keuchte erstickt, vor dem was er da erblickte auf. Vor seiner Tür lag, was vor gar nicht allzu langer Zeit noch lebendig gewesen sein möchte. Das Entsetzen ließ ihn zur Salzsäule erstarren. Er vermochte den Blick nicht von der, von Fliegen umschwärmten Leiche lösen, die ihn aus leeren Augenhöhlen vorwurfsvoll anzublicken schien.
 

Karl I. schloss die Augen, in der Hoffnung, dass die Welt ein besserer Ort sein würde, wenn er sie wieder öffnete. Als er sie wieder öffnete, zeigte sie noch immer das kalte Gesicht des frisch degradierten Grafen de Meyé.

Es war bittere Ironie, dass Karl I. zu den Herrschern gehörte, die kaum dazu beigetragen hatten, die Welt zu seinem besseren Ort zu machen. Fand sein Name doch kaum Platz in den Geschichtsbüchern, neben den wirklich großen Fürsten der Vergangenheit. Die Stuarts regierten England, sein Profil prägten die Gold- und Silbermünzen, sein Gemälde hing im Thronsaal, aber überall in seinem Land waren noch die Einflüsse von Elisabeths Regierung sichtbar und ließen erkennen, dass es für England schon bessere Zeiten gegeben hatte. Endlich stellte er den Weinpokal beiseite und widmete sich dem Grafen. Es ärgerte Karl, dass Frankreich Geheimagenten an seinen Hof geschickt hatte. Hieß es doch, dass man ihm die Fähigkeit absprach, selbst damit fertig zu werden. Er nahm sich vor, dem Chef seiner Geheimgarde daran zu erinnern, dass man ihn zur Verantwortung ziehen würde, wenn sich durch den Diplomaten nicht einzuschätzende Konsequenzen ergeben hatten.

Ein Diener entfernte das leere Weinglas. Sein Schreibtisch war leer, so wie es Karl gefiel. Wer nichts zu verheimlichen hatte, ließ einfach alles herumliegen und verriet so, was er trieb. Ein Schreibtisch der leer war, zeigte, dass sein Besitzer etwas zu verbergen, ja Geheimnisse hatte und folglich Macht besaß. Macht übte einen unglaublichen Reiz auf Karl aus, das selbst die sexuellen Gelüste überstieg. Zudem ruhte sein Schreibtisch, samt Stuhl auf einer minimalen Erhebung. Dem Bittsteller war es nicht bewusst, dass der König selbst räumlich auf ihn herabblickte, aber die psychologische Wirkung war enorm. Nicht nur das, - der König hatte den Grafen genau vier Stunden auf seine Audienz warten lassen. Zeit war eine wertvolle Waffe. Es war gerade zu heimtückisch, dem Vorgeladenen der zermürbenden Anspannung des Wartens auszusetzen. Er bat seine Besucher grundsätzlich nicht sofort zu sich herein. Stattdessen ließ er sie warten und immer wieder durch einen Pagen versichern, dass es nicht mehr lange dauern würde. Die Menschen hatten dem nach genügend Zeit, sich mit ihren Ängsten und Befürchtungen auseinanderzusetzen.

"Womit kann ich Euch dienen, mein König?"

"Gar nicht", kommentierte der König spitz.

Der Graf verzog keine Miene, doch er spürte, wie sich seine Finger verkrampften und die Schläfenadern anschwollen.

Der König presse die Hände aneinander und klopfte mit den Zeigefingern gegen seine Zähne.

"Was tun? Was tun?", fragte er nachdenklich. "Was tun, wenn Diplomatie den Anstrich von Schmutz und Dreck bekommt?"

"Ich verstehe nicht, Eure Majestät?"

Es gab Regeln. Intrigen und Korruption existierten, darüber machte sich kein Herrscher Illusionen, aber diejenigen die damit zu schaffen hatten, mussten bestimmten Regeln folgen. Aber einigen Leuten war einfach nicht zu helfen. Viele Adlige waren von Königen eliminiert worden, weil sie über das Ziel hinausgeschossen waren und nun war Karl der Meinung, dass der französische Diplomat die Zielscheibe verfehlt hatte. Natürlich eliminiert ein König einen Adligen nicht selbst. Das verbot die Regel. Er gab entsprechende Hinweise zur rechten Zeit, am rechten Ort und wenn der Adlige überlebenswillig genug war, dann begriff er und suchte das Weite.

Der König dachte einige Augenblicke lang nach. "Graf, wisst Ihr, man weiß die Freiheit erst zu schätzen, wenn man sie hinter ein paar Eisenstangen sieht und dem Atem des Henkers im Nacken spürt", sagte er sarkastisch.

"Äh, keine Ahnung."

Eine Braue erwachte aus ihrem Schlummer zuckte. Zwanzig Minuten später - und das schloss eine Schreckensminute für den Grafen ein - waren die wichtigsten Wertsachen des Grafen verpackt und der Graf beim Verlassen des Landes.
 

Am 12. August des Jahres 1623 nach Christi ereignete sich zu später Nachtstunde ein Mord in der Hendson Street. Ein älterer Anwohner fand die Leiche kurz nach Mitternacht und erlitt aufgrund des Schreckens einen Herzinfarkt. Zurück blieben eine verzweifelte Witwe und ein Enkelkind, dessen Eltern bei der letzten Seuche ums Leben gekommen waren. Die Stiftung von St. James nahm sich ihrer an, damit nicht das Armenhaus die letzte Wohnstätte ihres Lebens bleiben sollte. Wenige Stunden später, bestätigte die Wache der Öffentlichkeit die geschätzte Tatzeit, Todesart und Tatwaffe. Den Namen der Leiche hielt man geheim. War es nur ein Raubüberfall oder der Beginn einer Verschwörung, die bis zum König reichen würde?

So begann ein Artikel in dem Tagesblatt des 13. Augusts. Ein Toter mehr oder weniger in London, war nicht weiter der Sensationslust der Reporter wert, spülte doch die Themse die ein oder andere aufgedunsene Leiche an das Ufer, raffte Armut und Seuchen die Menschen zu Hunderten dahin. Aber ein sauberer Degenstich direkt durchs Herz, bei einer Person, dessen Identität vertuscht werden sollte, dass war wie ein Fleischbrocken für ausgehungerte Löwen. Gut möglich, dass es nur eine Begegnung mit einem unfreundlichen Zeitgenossen, mit Knüppel und leerer Geldbörse war. So gärten die Gerüchte, bis sie zu wilden Ereignissen aufblähten - zu parasitären Wucherungen für das Tagesblatt und die steigernde Auflage.
 

Was die Polizei und die Presse nicht wussten, war die Anwesenheit dreier Straßenräuber kurz vor der Mordzeit. Hatte einer der Anwohner etwas von der Tat mitbekommen, so behielt er es für sich. Es lebte sich besser und vor allem länger, Dinge mit Absicht nicht zu sehen. Neugier schlug auf die Gesundheit, dass war allgemein bekannt. Zurück blieben die Leiche und ein verstörter John Dunn, dessen letzte Empfindungen mit einer durchnässten Hose und einem stechenden Schmerz in der Brust endete. Die Räuber indes zeichneten sich durch konsequente Abwesenheit aus und von dem Täter fehlte jede Spur.

Nicht weit vom Tatort entfernt und wenige Augenblicke nach dem Mord rannten zwei Gestalten durch die Nacht.

Sie liefen nebeneinander her, durch die dunklen Gassen. Im Schatten der Nacht rückten die Häuser näher zusammen, als wollten sie sie zerquetschen. Eine der Gestalte strauchelte, stolperte und wäre sicherlich gestürzt, hätte der andere nicht zugegriffen und festgehalten.

"Danke", sagte eine leise Stimme.

"Das sieht nach einer Schussverletzung aus!", erwiderte die andere.

"Das liegt daran, dass auf mich geschossen wurde." Schmerzen erzeugten Sarkasmus.

Benommen rieb sich Aramis die Schläfe. Es war nur ein Streifschuss, aber das aufgerissene Fleisch brannte und sie schmeckte den bitteren Geschmack von Galle im Mund.

Heydon musste gleich nach dem Verlassen der Taverne auf seine Mittäter gestoßen sein. Männer wie diese, gab es überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Für Silber taten sie alles. Harte Schläge holten sie aus ihrer Bewusstlosigkeit. Solche Schläge, ertrug man nur, wenn man das Bewusstsein verlor oder sie holten ein aus der Schwärze der Besinnungslosigkeit, umso schmerzerfüllter zurück. Sie hatte keine Kraft mehr zu Gegenwehr gehabt, als Heydon seine Pistole zog und auf ihr Herz zielte.

Starr vor Angst und Ohnmacht, benommen von den Schlägen, starrte sie in den dunklen Lauf der Pistole. Aramis keuchte erstickt auf. Die Zeit verlangsamte sich. Man umfasste ihre Arme und Schultern von hinten und hielt sie fest. Irgendwo polterte ein Wagen mit seinen hölzernen Rädern über das grobe Pflaster. Ein einsamer Laut in der Nacht. Aramis fühlte den Schmerz noch bevor einer der Männer zuschlug. Alles wurde unwirklich und das Leben zog an ihr vorbei. Sie nahm die Augen nicht von dem totobringenden Schlund der Waffe, Schmerzen und Tot, die er bringen würde. Heydons Gesicht sprach von Hass. Er rief irgendetwas, sie sah sein verzerrtes Gesicht, hörte die Worte und verstand doch nichts. Da war sie nun. Über ein halbes Jahrzehnt unentdeckt als Mann, dem König und Gefängnis entflohen und nun endete alles in dieser dunklen Gasse.

Und plötzlich war er da.
 

Athos und sie, hatten sich gestritten. Kurz nach ihrer Audienz mit dem König, hatte man Athos aus dem Gefängnis entlassen. Auch er war wütend gewesen. Ihr Streit war lautstark und mit Worten, die sie bereits bereuten, als sie sie ausgesprochen hatten. Sie hatten Dinge gesagte, die wie ein böses Echo in der Luft lagen und das Elend, die Bitterkeit und die Ohnmacht, die sie beide empfanden, ließen eine Geste der Versöhnung nicht zu. Und dennoch ... Einer für alle und alle für einen. Athos war aus dem Nichts erschienen, hatte Heydon beiseite gestoßen und der Schuss streifte ihren Arm lediglich einen Millimeter. Bei dem darauffolgenden Kampf, ergriffen Heydons Handlanger die Flucht und der Sekretär erlitt das schnelle und schmerzlose Ableben durch einen präzisen Degenstich durch das Herz.

Aramis war zusammengesackt. Benommen vom Schmerz und Erleichterung, musste ihr Athos helfen aufzustehen. Die Schwerkraft war eine Angewohnheit, die sich schwer abstreifen ließ. Nun stolperte sie tapfer neben ihm her und versuchte Schritt zu halten. Sie unterdrückte ihre Schmerzen und versiegelte jeden schmerzerfüllten Laut hinter ihren Lippen.

"Wo kamst du her?"

"Ich folge dir, seit du den Palast verlassen hast", erwiderte er lakonisch, ohne sie anzusehen.

Sturkopf, dachte Aramis, aber er hat mir das Leben gerettet. "Tritt bitte näher an die Mauer heran!"

"Warum?"

Etwas schlug auf das Pflaster auf. Von einem Augenblick zum anderen stand Athos flach an der Mauer gepresst, während ein weiterer Schwall menschlicher Ausgüsse zu Boden ging.

Na bitte, Aramis nickte metaphorisch, jetzt ging es ihr besser. Ihre Stimme war so leise, dass der Wind sie davontrug. "Ich wollte einfach nur nach Hause", flüsterte sie. "Gefällt dir nicht die Vorstellung, nach Hause zu kommen?"

"Ich möchte ein kühles Bier."

Sie schien beleidigt.

Athos seufzte. "Ich habe gerade einen Menschen getötet. Morgen früh geht die Sonne auf und ob deine Aufgabe hier beendet ist, ist bedenklich, aber mir gefällt die Vorstellung von einem kühlen Bier", sagte er und offenbarte damit jene Art von Logik, die sich einstellte, wenn er zuviel Zeit mit Aramis verbrachte.

Er schob sie weiter durch die Nacht, zu dem spärlich beleuchteten Eingang einer kleinen Taverne. Der kleinen Hure am Eingang begegnete er mit einem Lächeln, der sich sträubenden Aramis mit Ignoranz. Drinnen empfingen sie ohrenbetäubender Lärm und die abgestandene Luft zu vieler Menschen auf kleinstem Raum mit mangelnder Körper- und Zahnhygiene. In der rauchigen Luft lag das Aroma unverdauten Alkohols. Matrosen aus allen Ländern waren hier eingekehrt und zwischen zottigen Liedern erhob sich ein gewaltiges babylonisches Stimmengewirr aus allen Sprachen der bis dahin bekannten Welt. Sie betranken mit einer Dirne im Arm ihre Nüchternheit und hatte die Grenze des gesunden Menschenverstandes längst überschritten. Im automatischen Modus des männlichen Beschützerinstinkts gefangen, verstärkte Athos den Griff um Aramis Arm und bugsierte sie in den hinteren Bereich des Schankraums.

"Warum sind wir aus dem Gefängnis entlassen worden?" Das Bier schäumte knisternd im nicht ganz so sauberen Krug, dessen Innere sein eigenes Spektrum an Bakterien entwickelte.

Aramis zuckte unbestimmt die Schultern. "Ich habe ihm erklärt, warum wir hier sind."

"Und der König glaubt dir so einfach?"

"Warum nicht?", erwiderte Aramis, wobei ihr Gesicht ein sorgfältiges Bild der Unschuld zeigte. Sie versuchte engelsgleich zu blicken, machte es dadurch aber wahrscheinlich noch schlimmer.

"Er kümmert sich jetzt um den Diplomaten. Außerdem hat der Graf seinen Informanten gegenüber einiges an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Selbst wenn er noch weiter seiner diplomatischen Tätigkeit in London nachkommt, würde niemand ihm Glauben schenken. Mr. Heydon ist tot und Broussard außer Landes. Kehrt er nach Frankreich zurück, wird de Meyé mehr gemieden, als ein Pestkranker."

"Athos musste sich konzentrieren, mit dem Nicken aufzuhören.

"Tatsächlich", erwiderte er. "Weiß er das auch?"

In ihrem Zustand konnte Aramis nichts mit Sarkasmus anfangen. Athos Problem war, dass er steht's danach strebte, Gesetze, Regeln und Befehle einzuhalten und zu befolgen. Aramis nahm Befehle hin und filterte dann diese durch das feine Netz der Vernunft und gab eine großzügige Portion kreativen Missverständnisses hinzu. Half das nicht, reagierte sie mit Taubheit.

"Wenn ich mich recht erinnere, dann sollte der Graf nicht öffentlich kompromittiert werden."

"Das schon, aber offiziell hatte ich nie eine Audienz beim König. Wir haben nicht mit einander gesprochen."

"Verstehe, um solch ein Treffen handelte es sich."

Aramis sah Athos an, der nie die Stimme hob. Es ließ sich kaum feststellen, woran er dachte, selbst wenn er seine Gedanken in Worte fassen würde. Sie rieb sich den Nassenrücken und konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal geschlafen hatte, - damit meinte sie richtiges Schlafen, kein Dösen oder Bewusstlosigkeit. Wahrscheinlich fiel es ihr deshalb das Denken so schwer. Mit dem Lärm der Taverne im Ohr, schlief sie ein.

Athos sah, wie ihre Lieder schwer wurden und der Arm, samt Kopf wegknickte und auf dem Tisch landete. Er betrachtete Aramis, wie sie im Dämmerlicht der Taverne. Er hatte die letzten Tage ebenfalls im Tower verbracht. Dank der Fürsprache seines Cousins in einer der oberen Etagen, bei erheblich mehr Luxus und Erträglichkeit. Gegensätzlich zu der Inhaftierung über dem Erdgeschoss, wurden die Insassen im Untergeschoss behandelt. Er wusste, dass Aramis indes die Zeit im Kerker abgesessen hatte. Dahinvegetieren, stand als Begriff zur Daseinsberechtigung dort. Schläge, Hunger, Kälte, Krankheiten und Dreck waren dort allgegenwärtig. Er sah in ihr Gesicht, dass viel zu blass war und nur noch aus Augen zu bestehen schien. Ich fasse es nicht, dachte er. Da sitzt eine Frau, die versucht einen Mann zu spielen und ich der weiß, dass sie eine Frau ist, gebe ihr das Gefühl, zu glauben, ich sähe sie als Mann. Versuche das mal jemanden zu erklären, der nicht schon einige Gläser getrunken hat. Aramis war ihm in den Jahren als Musketier ein Kamerad geworden, dem er sich auf eine ganz besondere Art und Weise viel enger verbunden gefühlt hatte, als jemals einem anderen Menschen. Als sie beide im Gefängnis saßen, hatte er zum ersten Mal gespürt, dass es ihm Unbehagen bereitete, von ihrer Seite zu weichen.
 

Graf de Meyé hielt viel von Geld, Macht und Prestige. Vor allem hielt er viel vom Leben und um dieses zu behalten, musste er das Land wechseln. Dabei galt es ein passendes Exil zu finden. Nach Frankreich zurückkehren konnte er nicht. Der Kardinal besaß ein langes und gründliches Gedächtnis und galt als sehr nachtragend. Der Duke von Buckingham hatte dies durch Milady und einem sehr spitzen Dolch zu spüren bekommen. Bestimmte führende Männer in bestimmten angrenzenden Königreichen, hegten einen nicht ganz unbegründeten Groll auf de Meyé, auf grund der letzen geplatzten Transaktion. Es gab annehmbare Exile, wie Spanien oder Italien, nur galt es auch dort, bestimmte Adelsfamilien zu meiden. Graf de Meyé wusste nicht, welches Ereignis in der Geschichte den Zwist ausgelöst hatte, aber er musste wichtig gewesen sein. Ansonsten wäre es dumm gewesen, die gegenseitige Verachtung fortzusetzen.
 

"Oh, mein Gott".

Das Timbre der Stimme vibrierte in einem sorgevollen Schluchzer. Athos schluckte schwer und wich zurück.

"Oh, Olivier."

Seine Tante mit aufgelösten Haaren und im blassrosa Morgenmantel zu sehen, zerstörte schlichtweg sein Weltbild. Elisabeth Corday stand, seit sie den Titel der Lady Corday innehielt an der patriachalen Spitze der Familie, als Sinnbild für Ethik und Stil. Sie war sozusagen das Firmenschild der Familie. Er fand heraus, dass Kerzenlicht einer Frau, mitte 50, zwar schmeichelte, aber nur die völlige Dunkelheit die Falten ganz verbarg.

"Mein Gott", rief sie und rauschte geradewegs an ihm vor bei. "Deine arme Verlobte, die arme Comtesse." Hierbei ergriff sie Aramis Hände und drückte diese innig. "Was haben sie Euch angetan, mein Kind?" Aramis Wangen färbten sich rot. Elisabeth sah über die Tatsache hinweg, dass Aramis kurz vor ihrer Verhaftung in äußerst delikaten Umständen vorgefunden wurde. Aramis Kollision mit den am Hofe geltenden Regeln der Ethik sollte Gesprächsstoff über Jahre hinweg liefern. Aber die Entscheidung ihres geliebten Neffen, diese Frau zu ehelichen und der Familie Corday und la Fere zuzuführen, verpflichteten Elisabeth Corday zu absoluter Treue und Optimismus.

"Tante Beth, sie ist nicht meine ..."

"Wie fühlt Ihr Euch. Euch einfach in den Tower zu stecken, als wärt Ihr eine Schuldnerin oder gehörtet zum gemeinen Volk..."

"Mir geht es ... besser."

"Tante, sie ist gar nicht ..."

"Ich konnte es nicht fassen. In einem Augenblick bei Hofe und im anderen in einen dunklen Kerker. Haben sie Euch etwas angetan?"

"Mir geht es wirklich besser", warf Aramis zaghaft ein

"Der König muss nicht ganz bei Verstand gewesen sein."

"Er hat sie ja wieder entlassen", wandte ihr Sohn ein, der bisher geschwiegen hatte. Betrübt schüttelte Elisabeth den Kopf.

"Sie ist nicht meine Verlobte."

Elisabeth Augen wurden starr.

"Au", entfuhr es Aramis und versuchte ihre Hände zurückzuziehen.

"Nicht deine Verlobte?", wiederholte Lady Corday mechanisch.

"Au", wiederholte Aramis.

"Wer ist sie dann?" Endlich bekam sie ihre Hände frei. Drei Augenpaare richteten sich auf Aramis.

"Sie ist ..." Erschrocken holte Aramis Luft. "... eine Agentin des Königs." Die Luft entwich unverbraucht.

"Eine Agentin des Königs?", wisperte Corday's Mutter und zupfte an ihrem Morgenrock. "Bist du auch ein Agent des Königs?"

"Ich stehe im Dienste des Königs von Frankreich", bestätigte Athos. "Ich lege, wenn ich nach Frankreich zurückkehre, meinen Namen wieder ab!"

"Was?"

Aramis fühlte sich, als näher sie sich dem Rand vor einem tiefen Abgrund. Und sie tastete sich zur Dunkelheit jenseits des Randes vor. "Zum Glück ... Jetzt ist unser Auftrag beendet und es ist Zeit heimzukehren." Sie wählte ihre Worte sorgfältig. "Der König erwartet uns", schloss sie sanft, aber beharrlich. Elisabeth Blick traf sie und schickte in den Abgrund.

"Zurückkehren ... zum König? Du kannst deinen Namen doch nicht ablegen, wie ein Kleidungsstück, Olivier." Ihre Stimme klang nicht mehr optimistisch, sondern nur noch hohl. "Dein Vater ist tot. Du musst heiraten, auf deine Länderein zurückkehren und die Verwaltung und Führung der Familie übernehmen. Die Familie de la Fere braucht einen Erben?" Bedauernd schüttelte ihr Neffe, der Letzte der de la Feres den Kopf. Die Weiterführung des Stammbaumes hatte Zeit.

"Noch nicht." Das Abbild seines ewig strengen Vaters erschien vor Athos innerem Auge und sein Bewusstsein für Familienehre und die Bürde seiner Geburt, vor der er geflohen war, regten sich in ihm. Er wusste, dass Aramis morgen London verlassen wollte. Es gab für sie keinen Grund zu bleiben. Ihre Aufgabe war beendet und der König hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er sie auf Whitehall nicht mehr zu sehen wünschte.

"Wenn euer Land an den König fällt, werden die de la Feres werden aussterben." Beunruhigt wich Athos dem Blick seiner Tante aus.

Auch Corday mischte sich ein. "Du solltest auf sie hören, Olivier! Was ist, wenn dir etwas passiert?"

Schweigend beobachtete Aramis die Drei. Athos Familie ging sie nichts an. Dennoch, das Herz schlug laut und schnell, der Hals war trocken und das Blut rauschte in den Ohren.

Elisabeth hackte sich bei ihrem Neffen ein und strich ihn beruhigend über den Arm. "Ich kenne da ein zauberhaftes Mädchen. Ausgezeichnete Familie, vermögend, mächtig und blaublütig", wandte sie eifrig ein und Aramis Herzschlag erhöhte sich abermals. "Sie ist zierlich, dunkelhaarig und hat wunderschöne dunkle Augen. So wie du es magst."

"Tante Beth, ich kann wirklich nicht ..."

Elisabeth führte ihn sanft zur Tür hinaus. "Schlaf darüber, mein Junge und denke über deine Zukunft und die der de la Feres nach. Dein Vater hätte es so gewollt."

Langsam sackte Aramis in den Stuhl nieder. Ihre Hände umklammerten die Lehnen.

"Vielleicht hast du Recht, Tante Beth. Morgen teile ich dir meine Entscheidung mit."

"Wenn sie es nicht ist, dann wird eine andere die nächste Gräfin. Mit dem Morgengrauen wirst du wissen, was gut für dich ist."



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  blubbie
2011-06-26T20:07:12+00:00 26.06.2011 22:07
Ich habe da so eine Ahnugn was Athos dachte, als er fragte, ob der König ihr so einfach glaubte.

"Ich fasse es nicht, dachte er. Da sitzt eine Frau, die versucht einen Mann zu spielen und ich der weiß, dass sie eine Frau ist, gebe ihr das Gefühl, zu glauben, ich sähe sie als Mann. Versuche das mal jemanden zu erklären, der nicht schon einige Gläser getrunken hat. "
Dieser Spruch ist einfach genial. Sehr schön finde ich aber auch, wie du Athos und Aramis Verständnis udn Ausführung von Befehlen beschreibst. Großartig!^^

Jetzt will ich ein Happy End!!!! Aber ich schätze davor muss Ari noch erfahren, dass Athis komplett über sie beshceid weiß. Na das wird nochmal Stunk geben....
Von:  Kajuschka
2005-02-12T10:43:08+00:00 12.02.2005 11:43
Mein Kommentar kommt reichlich spät, ich weiß *schäm*
ALSO: Ich finde dein neues Kapitel wirklich sehr schön geschrieben, wieder mal spannend und wieder so ein gemeines Ende, dass man nicht weiß, wie's weiter geht, aber vor spannung fast umkommt :-) Trotz oder gerade deshalb weiter so. Ich hoffe, du kommst trotz deines Streß doch dazu ein bisschen weiter zu schreiben ^_^
Von: abgemeldet
2005-02-04T17:28:40+00:00 04.02.2005 18:28
Großartig! Hab's bis jetzt leider verpasst, meinen Senf dazu zu geben!
Von: abgemeldet
2005-01-31T10:20:06+00:00 31.01.2005 11:20
ich will meeeeeehhhhhrrrrrr! ich fand es nicht schlimm, dass es ein wenig länger gedauert hat, schließlich hast du ja dafür gründe... ich schließ mich ayumi an, es hat sich wirklich gelohnt auf das neue kapitel zu warten und die richtung in der sich deine story entwickelt ist seeeeeehhhhhr interessant... :o)
LG Krisi
Von:  Tach
2005-01-31T10:01:06+00:00 31.01.2005 11:01
eieiei...spannend, unterhaltsan, was will man mehr? Ich bin gespannt auf Athos' Entscheidung! Hoffenltich dauerts diesmal nich wieder so lange x]
Von: abgemeldet
2005-01-29T10:04:28+00:00 29.01.2005 11:04
WoW!!!! Das war ein klasse Kapitel. Das Warten hat sich dafür wirklich gelohnt.
Heydon ist nun tot und Athos will sich eine Braut aussuchen. Ich kann mir dabei vorstellen, dass er da an eine gewisse Agentin denkt. *gg*
Hoffentlich erfahren wir schnell, wie es weiter gehen wird.
Mach so weiter und lass dich von mir nicht unter Druck setzen. ^-^

Ciao, Ayumi Kishu


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