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Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

von

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Plan der obersten Geheimhaltungsstufe

Auf dem Platz zwischen Rue Grégoire de Tours und Rue Saint Sulpice begann ein ganz normaler Markttag. Die Sonne hatte gerade ihre Reise über den Zenit begonnen. Mit dem ersten Tageslicht standen die Händler mit ihren Waren bereit, doch der wirkliche Kundenansturm würde erst mit den Mittagsstunden kommen.

Am Ende der Rue Saint Sulpice, vor dem niedrigen Vorbau eines baufälligen leerstehenden Handelsgebäudes, stand Aramis auf einem wackligen Bretterhaufen und drehte der allgemeinen Öffentlichkeit nur ihr wohlgerundetes Hinterteil entgegen.

"Von hier aus hast du den optimalen Überblick", sagte sie. "Siehst du?"

"Ja!" antwortete eine leise Stimme auf dem Dach des Vorbaus.

"Sehr schön!" Sie nickte zufrieden. "Und wenn Tumulte auf dem Marktplatz entstehen oder jemand entsetzt aufschreit, dann machst du was ...?"

"Ich beobachte jeden der sich ungewöhnlich benimmt oder schnell flüchtet und merke mir sein Gesicht und alle körperlichen Merkmale", erklärte die leise Stimme.

"Ausgezeichnet. Du verstehst die Notwendigkeit?"

"Ja."

"Von dort oben hast du einen ausgezeichneten Blick."

"Ich habe Höhenangst", räumte die Stimme ein.

"Sei keine Memme man! Du bist ein Musketier!" wies sie ihn ärgerlich zurecht.

"Musketieranwärter!"

"Gut, Musketieranwärter! ... nur heute ...?"

"... nur heute bin ich inkognito hier." Aramis nickte wohlwollend.

"Darf ich als zivile Person Höhenangst haben?"

"Mach dich nicht lächerlich. Ich würde ja selbst Stellung beziehen, wenn man mich nicht zum Kapitän gerufen hätte. Dir sollte klar sein, welche verantwortungsbewusste Aufgabe du übernimmst!"

"Du kannst mich doch nur deshalb hier oben einsetzen, weil ich noch in der Probezeit bin!" brummte die körperlose Stimme. Aramis flößte den anderen Musketieren Respekt ein. Nachdem sich herumgesprochen hatte, dass sie sich nur zu bereitwillig auf Duelle einließ und die ungesunde Angewohnheit hatte, diese auch zu gewinnen, rief sie jene Art von harntreibender Furcht hervor, die bei entsprechenden Gelegenheiten den Platz von Respekt einnahm. Und genau deshalb konnte sie ihn dazu beordern.

"Hast du was gesagt?" fragte Aramis.

"Nichts, Aramis."

"Aramis? Was bedeutet das?" mischte sich eine dritte Stimme ein. Aramis senkte den Blick, sah auf Athos fragendes Gesicht und lächelte. "Oh, Salut Athos." Leichtfüßig kletterte sie den wackligen Bretterberg hinunter.

"Was du hier siehst ist der erste Schritt zur Revolutionierung in der Verbrechensbekämpfung", erklärte sie.

"Revolutionierung der Verbrechensbekämpfung?"

"Ja, ich hatte eine ausgezeichnete Idee, wie wir die Verbrechensbekämpfung in diesem Teil der Stadt eindämmen. In dieser Gegend sind jetzt vermehrt Taschendiebstähle aufgetreten. Piere, dort oben, ..." sie wies auf ihren unfreiwilligen Mitarbeiter. "... behält den Markt im Auge und merkt sich detailliert jeden Besucher, der sich auffällig benimmt. Danach sammeln wir die Informationen, erstellen Profile und können effektiver nach unseren Dieben suchen", erklärte sie stolz. "Da fällt mir ein ... Piere?" rief sie hinauf. "Kannst du zeichnen?"

"Nein." Schallte es hinunter.

"Schade." Aramis grinste dennoch selbstzufrieden. "Stell dir nur vor, Suchbilder würden überall in der Stadt aushängen. Ein herber Rückschlag für diese Branche."

"Und das ist deine Idee?" fragte Athos skeptisch und kratzte sich an der Nase.

"Ja", strahlte Aramis, "ich wollte es eigentlich selbst übernehmen, bin aber in das Hauptquartier beordert worden."

Es schnaubte abfällig von oberhalb.

"Hast du irgendetwas gesagt, Piere?"

"Nein, Aramis!" ertönte es vom Vorbau.

"Aramis", wandte Athos ein, "für solche Aufgaben sind wir nicht zuständig."

"Siehst du dort?" Aramis zeigte nach Westen. "Der Louvre. Damit ist es unser Zuständigkeitsbereich ... damit dämmen wir die Gefahr eines Aufstandes gegen den König ein. So, nun muss ich aber los. Grüß mir die anderen, wenn du sie siehst. Hast du alles was du brauchst, Piere?"

"Ja, Aramis."

"Ausgezeichnet", erwiderte sie und ging zufrieden davon.

Athos sah zweifelnd zu seinem jungen Kollegen nach oben. "Du tust mir leid, Junge", erklärte er seufzend. "Er will den gesamten Musketierdienst revolutionieren."

"Aber dafür sind wir Musketiere nicht zuständig", jammerte es von oben.

Athos schüttelte mitfühlend den Kopf. "Wehre dich nicht, mein Junge!"
 

Trotz seines Status als Schneider der Königin konnte es Monsieur Bonacieux nicht vermeiden, dass er, wann immer er den Louvre betrat feuchte Handteller bekam. Viele Adligen aus der unmittelbaren Umgebung des Königspaares waren Teil seiner Kundschaft und dennoch, - das Meer aus Eleganz, Erhabenheit, Arroganz und Hochmut, durch das der durchschnittliche Adlige schwamm, spülte ihn an den Strand zurück. An ihm haftete der Geruch des gewöhnlichen Mannes. Zwei Schritte hinter ihm folgte Jean, manierlich in ein Pagenkostüm mit Perücke gekleidet. Der 8-jährige Junge war zwangsverpflichtet worden Bonacieux bei seiner Arbeit zur Hand zu gehen. Marthas fester Handgriff brannte noch immer auf seinem Oberarm. Die rabiate Fürsorge von Bonacieux's Magd würde die einzige mütterliche Zuwendung bleiben. Jeans Mutter blieb weiterhin unauffindbar. Die Reise in die Normandie war umsonst gewesen. Sie hatte ihn nur älter werden lassen und eine Hoffnung mehr zerschlagen.

"Sehr schön. Er hat genau unsere Vorstellungen umgesetzt." Anna von Österreich, Königin von Frankreich, ranghöchste Frau des Palastes, strich mit einem zufriedenen Lächeln über den schweren Brokatstoff und drehte sich im halbfertigen Kleid vor dem riesigen Spiegel. Der Rest blieb Bonacieuxs Kenntnissen und Fertigkeiten, sowie einer handvoll Stecknadeln überlassen. Anna brauchte lediglich still zu stehen.

"Wunderschön, Eure Majestät", bestätigte Constance, die ihrem Vater über die Schulter sah. Anna gehörte zwar nicht zu den Herrscherinnen, die von ihren Untergebenen permanente Bestätigung erwarteten, aber ein angemessenes Lob zur rechten Zeit stand einer Kammerzofe durchaus gut.

Die drei Personen beachteten Jean nicht weiter. Gelangweilt sah er sich in den Gemächern der Königin um, doch diese hatten seit seinem ersten Besuch erheblich an Faszination verloren. Sein Blick fiel auf das geöffnete Fenster. Der Schmucksims in der Außenfassade, unter der Fensterreihe, war für einen schmalen und geschickten Kletterer eine direkte Verbindung zu den Gemächern des Königs. Jean warf einen letzten Blick auf Bonacieux und die beiden Frauen, dann schwang er ein Bein über die Fensterbank und schob sich eng an die Mauer gedrängt langsam vorwärts.
 

Einige Zimmer weiter war über Nacht zu Aramis Ungunsten entschieden worden.

Ludwig der XIII. hatte sich der Notwendigkeit gebeugt, Graf de Meyé's Intrigen Einhalt zu gebieten. Noch immer lag der Schatten jahrelanger Belagerung durch die englischen Unterdrücker im Hundertjährigen Krieg über der Beziehung zwischen Frankreich und England. Das fadenscheinige Band der Diplomatie wurde zusätzlich geschwächt durch die religiösen Unstimmigkeiten und die Ermordung des obersten Ministers Englands, dem Duke of Buckingham. Frankreich vergaß den vulgären Engländern nicht ihre Besetzung französischer Gebiete und England vergaß den verweichlichten Franzosen nicht ihr Bündnis mit Maria Stuart, der Königin Schottlands, der Hintertür zu England. Ludwig konnte sich einen Graf de Meyé einfach nicht leisten.

Trotz Richelieus Einwänden hatte der König Kapitän de Treville dazugebeten. Immerhin war der Kapitän der direkte Vorgesetzte von Aramis und letztendlich sollte es ihm überlassen sein, Aramis' Bereitschaft für die Mission zu gewinnen. Beide Männer hatten sich in seinem Arbeitszimmer eingefunden und stritten heftig miteinander. Bisher nahm der König nur die Rolle des unbeteiligten Zuhörers ein. Er war hinter den Schutz seines Schreibtisches zurückgewichen.

"Nein, nein, nein!" rief de Treville und wandte sich dem König zu. "Majestät, dass könnt Ihr nicht tun! Ihr gebt meinen Mann der Lächerlichkeit preis!" Der König hob abwehrend die Hände, hielt die Luft an und schob seinen Stuhl einen weiteren Zentimeter zurück, um Abstand zwischen sich und dem wütenden Kapitän seiner Musketiere zu bekommen.

"Kapitän de Treville", unterbrach ihn der Kardinal. "Niemand außer uns wird davon erfahren. Schließlich liegt es gerade in unserem Interesse, dass es niemand erfährt."

"Kardinal, er ist Musketier, Soldat. Von Diplomatie hat er keine Ahnung!"

"Kapitän de Treville, mit Diplomatie wird er nichts zu tun haben. Wir schicken ihm jemanden mit, der sich in diplomatischen Fragen auskennt und dementsprechend handelt", erklärte Richelieu mit der nötigen Arroganz. "Aramis soll lediglich Graf de Meyé beobachten, Augen und Ohren offen halten und uns Bericht erstatten, und Ihr wollt ihm sicherlich nicht die Fähigkeit aberkennen, Anweisungen zu befolgen, beobachten zu können und die entsprechenden Rückschlüsse zu ziehen. Denn dann wäre er als Musketier gänzlich ungeeignet."

"Kardinal ...,"

"Kapitän de Treville ...,"

Der König atmete still aus. Die Streitigkeiten betrafen ihn gerade nicht unmittelbar. Verhalten irrten seine Augen zwischen dem jeweiligen Wortführer hin und her.
 

"WAS? Ich kann nicht!"

"Du musst! Der König hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass dir keine Wahl bleibt. Aber seine königliche Hoheit sähe es lieber, wenn du dich bereitwillig erklärst nach England zu reisen", erklärte Kapitän de Treville sichtlich unangenehm.

"Und wenn ich den Dienst quittiere?"

"Auch dann bleibt es ein Befehl."

Aramis hätte es vorher wissen müssen. Wenn der Kapitän einen seiner Musketiere bat vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, dann bedeutete dies Unheil. Sie sprang auf. "Aber meine Verkleidung ist in Gefahr."

Der Kapitän schlug mit der Faust auf den Tisch. "Unsinn. Du schaffst es, den Franzosen glaubhaft einen Mann vorzutäuschen. Dir sollte es keine Probleme bereiten den Engländern das Gegenteil zu beweisen."

Aramis starrte ihn schweigend an. "Mir bleibt keine Wahl?"

"Nein, die bleibt dir nicht." De Treville stand von seinem Schreibtisch auf und drehte sich dem Fenster zu. Trotzdem spürte der den fordernden Blick der blauen Augen in seinem Rücken. Als einer der wenigen Eingeweihten wusste er, was er ihr antat.

"Ich bin doch kein Diplomat", wandte sie hilflos ein und verkrampfte die Finger um die Tischkante.

"Es ist nicht erforderlich, dass du diplomatisches Geschick anwenden musst. Du bist so reizend wie möglich."

"So reizend wie möglich?"

De Treville sah sie wieder an. "Du versuchst so weiblich wie möglich zu sein und behältst den französischen Botschafter im Auge. Natürlich wird dich ein Gefolge begleiten. Mitarbeiter", fügte der Kapitän hinzu, als er die Verwirrung in ihrem Gesicht bemerkte. Er seufzte. "Einige Personen werden dich begleiten."

"Wie bitte?" fragte Aramis. "Ich glaube, ich habe gerade einen Teil des Gespräches verpasst, Kapitän."

"Du wirst jemanden an deine Seite bekommen, der als dein Sekretär auftritt und eine Zofe. Ich habe mich durchsetzen können, dass ich mich um eine geeignete Dienerin für dich kümmere. Sophie wird mit dir reisen. Du weißt, dieses reizende Ding, dessen Mutter ich das Leben rettete!" Aramis nickte.

"Natürlich werden wir Sophie einweihen", erklärte der Kapitän weiter. "Aber wir brauchen jemanden, dem wir vertrauen können, damit sie den Engländern erklärt, dass du eine Frau bist und Frankreich versichert, dass du ein Mann bist und wie gesagt, sie ist mir treu ergeben, weil ich ihrer Mutter das Leben rettete. Armes Ding ..." Er lächelte versonnen. "Weißt du, dass sie eigentlich in dich verliebt ist? Es wird ihr das Herz brechen."

Aramis rutschte langsam die Kinnlade aus dem Gesicht. "Warum ist Graf de Meyé so gefährlich?" fragte sie, um ihre Verlegenheit zu unterdrücken.

"Weißt du, es kommt darauf an, wo er sich aufhält ... und welchen Aktivitäten er nachgeht."

Sie musterte de Treville verwirrt, bis alle Teile ihres Gehirns schalteten. "Spionage?"

"Informationsgewinnung, so kann man es nennen. Letztendlich sind alle damit beschäftigt."

"Und Graf de Meyé geht zu weit?"

"So ungefähr und wenn ein Diplomat dabei ertappt wird, wie er zu weit geht, dann wird er nicht mit einem Beschwerdebrief nach Hause geschickt. Es kann, gerade bei einem gespannten Verhältnis wie das zwischen Frankreich und England, einer Kriegserklärung gleichkommen. Immerhin ist nicht mehr der Duke of Buckingham oberster Regierungsbeamter."

"Warum wird er nicht nach Frankreich zurückbeordert?"

"Niemand spielt mit offenen Karten", erwiderte de Treville. "Ein Wort hier, ein Gerücht da, ein diskreter Mord oder eine Beschuldigung."

"Mord?"

Der Kapitän nickte. "Du siehst ein, dass man bestrebt ist, keine wehrlose Frau nach England zu schicken!"

Der Kapitän hielt ihr ein mit dem königlichen Wappen versiegeltes Schreiben entgegen.

"Es wurde dafür gesorgt, dass du die entsprechenden Unterweisungen erhältst." erklärte er.

"Unterweisung in was?" fragte Aramis verblüfft.

De Treville räusperte sich verlegen. "Um dich entsprechend als Frau zu benehmen. Spiel das Spiel mit", fügte er hinzu, als er ihr Gesicht sah. "Dir bleibt keine andere Wahl. Der Kardinal schlug die Schauspielerin Nana Bernard vor."

"Wie kommt denn Richelieu auf eine Schauspielerin. Hat er Probleme mit seiner Abstinenz?"

"Anscheinend", erwiderte der Kapitän. "Schließlich warst du ja auch sein Einfall."

"Welch eine Ehre", erwiderte sie sarkastisch.

De Treville seufzte. "Für die nächsten Tage bist du von deinen Schichten befreit, damit du .... mit Mademoiselle Bernard ... üben kannst. Und nun, Aramis ... bestimmt hast du noch einige Dinge zu erledigen."

"Kapitän, ich ..."

"Ich möchte dich nicht länger aufhalten."

"Kapitän, ich ..."

"Wegtreten, Musketier!"

Im Vorzimmer blieb Aramis stehen, bis ihr Herz nicht mehr rasend schnell schlug, sondern nur noch ziemlich schnell.
 

Etwa zur selben Zeit da Kapitän de Treville den König verließ, um Aramis zu sich zu beordern, kletterte Jean wieder in das Zimmer der Königin. Ein ungemein zorniges Augenpaar sah ihn an.

"Jean." Die Arme in die Seite gestemmt sah Constance wütend auf ihn nieder. "Was hast du getan? Hast du den König belauscht? Wenn die Königin davon erfährt? Was ist nur in dich gefahren?"

Jean sah spitzbübisch zu ihr auf und klopfte sich den Staub von der ungewohnten Kleidung. "Du wirst nicht mehr wütend auf mich sein, wenn du erfährst, was ich erfahren habe."



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Tach
2004-04-02T17:53:04+00:00 02.04.2004 19:53
Hmmm...
mich interessiert ja mal brennend dieser diplomatische Begleiter XD

Naja, auf jeden fall isses schön, nach einer Woche lahmem Pragurlaub nach Haus zu kommen und gleich von sonem schönen kapitel begrüßt zu werden, doch doch ^^V
Von:  Kajuschka
2004-04-02T14:13:46+00:00 02.04.2004 16:13
Hey, super Kapitel. Mir fällt schon gar nicht mehr ein, wie ich es anders ausdrücken soll, dass du echt gute Fanfics schreibst. Bitte schreib schnell weiter.


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