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Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

von

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Verkaufter Name

Aramis tätschelte beruhigend den Kopf ihrer weißen Stute, schob den Fuß in den Steigbügel und schwang das Bein über den Sattel. Sie schnalzte leise und trieb das Tier mit leichtem Schenkeldruck an. Vorsichtig bahnten sich die Stute und ihre Reiterin den Weg durch die Menge in Richtung Theater.

Angesichts der noch unverdauten Nachricht war Aramis zu verblüfft, um einen klaren Gedanken zu fassen. Sie kannte England nicht, weder seine Sitten noch die Gebräuche und nur Teile der Sprache. Als Franzose verließ man sich darauf, dass alle anderen französisch beherrschten. Sie wusste nicht wie lange sie in England bleiben musste, wie man sich als Hofdame benahm und was sie bezüglich Graf de Meyé unternehmen sollte. Alles worauf sie sich verlassen konnte, waren Intelligenz, Instinkt und eine Portion natürlichen Charme.

Vor ihr lag das Theater. Aramis ließ den prächtigen Vordereingang mit seinen mächtigen Marmorsäulen hinter sich und bog zum rückwärtigen Teil des Gebäudes ab. Für alle öffentlichen Gebäude der Welt galt folgende Regel: Die Schauderhaftigkeit der rückwärtigen Architektur ist umgekehrt proportional zur Pracht der vorderen Seite. Vorn antiker Baustil im aufwendigen Marmor, Blattgold, großen Räumen mit hohen Fenstern. Hinten schmutzige Wände, dunkle Räume und Müll.

Aramis band ihr Pferd fest und stieg über einige Kisten vergammelten Kohl, um zur Seitentür zu gelangen.

Das Leben im Theater begann zu erwachen. Schneiderinnen, Gehilfen, Bühnenbildner, Mägde und Knechte eilten umher, laut, ruhelos und geschäftig. Anders als die Akteure, unsichtbar und ruhmlos, doch die wirklichen Gestalter der Traumwelt des Theaters. Unbemerkt von allen bahnte sich Aramis ihren Weg. Das goldene Schild an der Gaderobentür wies auf Nana Bernard's Räume hin. Sie klopfte kurz.

"Entreé!"

Nana Bernard saß an ihrem Schminktisch und drehte sich der Tür entgegen. Sie hob überrascht eine der sorgsam gezupften Brauen, als sie ihren ungewöhnlichen Besucher erblickte.

"Du? Der große Aramis beehrt mich? Ein Musketier seiner Majestät des Königs?" Dabei verzog sie die Mundwinkel spöttisch. Aramis zog abwehrend die linke Augenbraue hoch. Wenn das ihre Vorstellung von einer humorvollen Begrüßung war, dann würde das Gespräch nicht lange dauern.

Nana Bernard wandte sich wieder ihrem Spiegel zu und beobachtete ihre Besucherin vom Spiegel aus.

"Nun?" Die langen Finger fuhren den Haaransatz entlang und brachten einzelne Strähnen in ihre richtige Lage. Schweigend sah Aramis den blonden Hinterkopf an, dann trat sie näher und zog das königliche Dokument aus ihrem Gürtel. Nana erkannte das Siegel und wandte sich um. Neugierig hob sie die Brauen und streckte die manikürten Finger nach der Schriftrolle aus. Ihre langen Fingernägel brachen das Siegel.

"Weißt du, was drin steht?" fragte sie.

Aramis schüttelte den Kopf. "Aber ich kann es mir denken!"

Nana war aufgestanden und lief um Aramis herum. Das Schriftstück war wieder zusammengerollt und trommelte rhythmisch gegen das rechte Handgelenk.

"Der König bietet mir an, Mitglied der königlichen Schauspieltruppe zu werden." Sie lächelte süffisant, als sie fortfuhr. "Weißt du, wie lange ich mich schon danach verzerre der Star der königlichen Schauspieltruppe zu werden?"

"Du wirst es mir sicher gleich verraten", warf Aramis ausdruckslos ein.

"Seit ich denken kann. Unzählige Male habe ich beim König, beim Kardinal, bei seinen Höflingen vorgesprochen ... aber sie wiesen mich ab. Mich, die große Nana Bernard. Alle lieben mich ...," Nana zuckte die Achseln,

"aber meine Berühmtheit ändert nichts an meiner Herkunft." Sie umkreiste Aramis weiterhin. Lauernd und jede Geste genau abgestimmt, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen. "Und nun bietet man mir an, sofern ich einem gewissen Musketier helfe, dessen Name ich hier nicht zu nennen brauche, dass ich aufgenommen werde. Was soll ich dafür tun?" Aramis erklärte es ihr. Die folgenden Minuten verbrachte Nana damit zu lachen. Kein Lachen, das man normalerweise bei Paris beliebtester Schauspielerin erwartete. Lauthals, ungezügelt und rauh, das Lachen der Person, die sie war, bevor sie den Namen Nana Bernard annahm und auf den Pariser Theaterbühnen ihr Glück versuchte.

"Fertig?" Aramis verlagerte gelangweit das Gewicht von einem Bein auf das andere.

"Weißt du, was du mir damit in die Hände spielst?" fragte Nana herausfordernd. Ihre Stimme klang noch immer heiser vor Belustigung. Ihre Augen musterten den Musketier spöttisch.

"Ich weißt nicht, was du meinst", erwiderte Aramis. "Wir hatten eine Vereinbarung. Ich erzähle niemanden, woher du stammst und du verrätst im Gegenzug mich nicht."

"Jetzt höre mir mal zu, Renée!" Nana's Atem strich ihr Gesicht, als diese sich vor Aramis aufbaute und mit bebendem Dekolleté ihren Zeigefinger in Aramis Brust bohrte. "Der Preis für mein Schweigen ist gestiegen", fuhr sie fort.

"Was willst du?"

"Ich will deinen Namen. Deinen Namen und alle Vorteile, die mit deiner Herkunft verbunden sind." Aramis riss überrascht die Augen auf.

"Dieses Angebot ...", Nana wedelte aufgebracht mit dem königlichen Dokument, "... ist so gut wie ungültig. Man wird mit Bedauern ablehnen, aber man habe ja nicht gewusst, dass mir die richtige Herkunft fehlt. Als Bastard deines Onkel werde ich nie dahin gelangen, wo ich hin möchte ... aber mit deinen Namen, steht mir alles offen."

"Die Herblay's sind niederster Landadel", wandte Aramis ein.

"Ja, aber sie gehören zum Adel. Wozu brauchst du ihn denn noch? Glaubst du, dass du je wieder in dein altes Leben zurückkehren könntest?" fragte sie mit geheucheltem Bedauern. "So dumm bist du nicht. Aber ich kann ihn, dank deines abgeschiedenen Lebens auf dem Land, hervorragend gebrauchen. Nun?"

"Nun? Bleibt mir wohl keine Wahl."

"Nein, die bleibt dir nicht, Cousine. Es ist Pech für dich in Paris ausgerechnet auf mich zu stoßen und nun gehe bitte. Ich bekomme bald Besuch." Nana wedelte unwirsch mit ihrer Hand und wandte sich wieder ihrer Frisur zu. "Komm aber morgen wieder, gleiche Uhrzeit! Wir wollen das Spiel aufrecht erhalten."

Aramis öffnete leise die Tür und drehte sich ein letztes Mal um. "Weißt du, Bernadette", sagte sie leise und seufzte, "du hättest dir von Anfang an meinen Namen nehmen können. Und ich hätte rein gar nichts dagegen tun können." Aramis schloss die Tür. Nana Bernard stach sich vor Verblüffung den Wimpernpinsel in die Augen.
 

Tief in Gedanken versunken betrat Aramis die Taverne, in der sie sich üblicherweise mit ihren Freunden nach gemeinsamem Dienstschluss traf. Schummriges Wirtshauslicht empfing sie. Die Abendstunden waren schon längst angebrochen, dementsprechend dicht waren die Plätze an den langen Holztischen besetzt. Viele der Besucher waren schon bei ihrem zweiten Krug Bier nach beendeter Arbeit. Die langen Holztische glänzten ölig von fettigem Essen, Bierspritzern und den unzähligen Händen, die über die raue Oberfläche fuhren. Mägde mit vollen Krügen eilten geschäftig durch die Reihen. Kräftige Oberarmmuskeln verbargen sich unter Blusenärmeln aus grobem Leinen. Porthos erhob seine beträchtliche Gestalt und winkte seinen Freund zu sich. Der Lärm ringsum war ohrenbetäubend. Aramis begrüßte ihre Freunde mit einem kurzen Nicken, dann setzte sie sich.

"Du kommst spät!" Porthos gewaltige Pranke landete hart auf ihrem Schulterblatt. Sie untersagte ihren Gesichtsmuskeln sich schmerzerfüllt verziehen zu dürfen. So etwas behielt sie sich für später vor.

Ein Bierkrug wurde Aramis entgegengeschoben. Drei Augenpaare sahen sie erwartungsvoll an.

"Was hat dich so lange aufgehalten?" fragte Athos, ein beunruhigendes Glitzern in seinen Augen. Aramis zuckte mit den Achseln und enthielt sich einer Antwort, in dem sie einige Schlucke trank.

"Warst du zu beschäftigt, die passende Frisur zu deinen Kleidern zu finden, Aramis? Was trägt eigentlich eine englische Lady von heute?" Das breite Grinsen in Porthos Gesicht nahm die gesamte Spanne seiner unteren Gesichtshälfte ein. Aramis verschluckte sich und spie einen Teil des Biers wieder in den Krug zurück. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. "Ihr wisst es?" Sie versuchte in den Gesichtern der anderen zu lesen. Sie feixten und der Ausdruck in ihren Gesichtern war reine Neugier. Athos und D'Artagnan grinsten, wobei zu D'Artagnan's Verteidigung angeführt werden musste, dass er gleichzeitig versuchte, sie mitfühlend anzusehen.

"Ja, Jean hat zufällig den König bei seinem Gespräch mit dem Kardinal und dem Kapitän belauscht", gestand er.

"Wie kann man zufällig den König belauschen?"

D'Artagnan grinste. "Jean kann es."

"Wie konnte der Kardinal nur auf diese Idee kommen? Warum gerade du, Aramis?" fragte Athos.

Aramis schüttelte kummervoll den Kopf. "Ich weiß es nicht."

Porthos Faust schlug so laut und kraftvoll auf die Tischfläche, dass die Bierkrüge tanzten. "Das können wir nicht zulassen!" Zustimmendes Gemurmel folgte.

"Richelieu kann unseren Aramis nicht einfach entmannen!" Alle nickten bejahend.

"Einen Musketier des Königs, einen der besten Kämpfer, einen Mann mit Ehre steckt man nicht einfach in Frauenkleider!" Vier Bierkrüge schlugen bestätigend aufeinander.

"Andererseits ...", Porthos lehnte sich näher zu Aramis, "ach, komm gib mir einen Kuss, ma petite!" Er spitzte die Lippen und schloss genüsslich die Augen.

Selbst Aramis musste lachen. "Halt die Klappe!"

"Womit hast du den Kardinal nur betört, Aramis?" fragte Athos im allgemeinen Gelächter.

"War es Aramis Charme? Seine glutvollen Augen? Seine Jugend, seine Kraft oder die lange priesterliche Enthaltsamkeit?" fragte Porthos im gutmütigen Spott, den Aramis selbst jedem anderen in ihrer Situation entgegengebracht hätte.

"Auf den Kardinal und seine Abstinenz", rief Athos. Zustimmend klirrten vier Bierkrüge aufeinander und füllten vier Kehlen mit der kalten Flüssigkeit. Das Lachen befreite Aramis. Sie fühlte, wie sich die Fesseln der letzten Stunden lösten. Es war nicht das erste Mal, dass sich einer von ihnen für einen Auftrag verkleiden musste. Deswegen galt man nicht als unmännlich. Ihre "Männlichkeit" hatte sie als Musketier oft genug bewiesen.

Sechs Bierrunden später hatte die Stimmung etwas an Schwung verloren und man war der Lösung des Problems nicht näher gekommen.

"Also, was wollen wir?" fragte Athos.

"Eine Frau für den Kardinal und ein Protestschreiben an den König", erklärte Porthos und sah genussvoll auf die weichen Formen in den tiefem Ausschnitt der Schankmagd, während diese, sein Lächeln erwidernd, neue Krüge auf den Tisch stellte. Aramis hatte den rechten Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt, den alkoholschweren Kopf auf der Hand und hörte träge zu.

D'Artagnan hob die Hand. "Er ... Er scholl jemand andere schschhhicken." Seine Lider wurden schwer. "Richtig", bestätigte Athos. "Da die Geheimhaltung der Mission nicht mehr gewährleistet und die

betreffende Person, also Aramis, dem Spott preisgegeben ist."

"... die Absetzung des Kardinals!"

"... das Recht den Auftrag abzulehnen!"

"Noch ein Bier!" Die Forderung stieß auf allgemeine Zustimmung.

"Wir wollen, dass ein Musketier ein Musketier bleibt, ein Mann ein Mann bleibt ..."

"... und noch ein Bier!" Die gelbliche Flüssigkeit in den Krügen schwappte, als die Krüge erneut aufeinander klirrten.
 

Die kalte Abendluft trieb den Alkoholnebel hinfort. Das Pflaster glänzte nass vom letzten Regenschauer. Sterne glitzerten am Himmelszelt. Sie standen einige Minuten reglos vor dem Gasthaus, genossen die abendliche Stille, zogen die klare Luft ein und warteten, dass die Welt sich nicht mehr drehte. Porthos gähnte herzhaft.

"Ich sehe euch morgen, schlaft gut!" Er stutzte, als er Aramis sorgevolles Gesicht sah. Die Nüchternheit brachte die Erkenntnis, dass ihre gesamten stichhaltigen Argumente nicht ausreichen würden, den König umzustimmen. Er schlug ihr freundschaftlich gegen die Schulter. "Kopf hoch! Schlaf eine Nacht darüber!" Aramis nickte und rieb sich die Schulter. Zweimal am selben Abend Porthos Freundschaftsbekenntnisse zu erfahren war zuviel für ihren schmalen Körperbau. Auch Athos nickte und gab ihr den Rat, den Morgen abzuwarten. Kurz darauf war Aramis mit D'Artagnan allein. Der jüngste Musketier sah sie an. "Liegt es am Bier oder hört sich eine Frau, die vorgibt ein Mann zu sein, der vorgeben muss eine Frau zu sein, für mich verwirrend an?"

"Ja, dass liegt am Bier," erwiderte Aramis. "Nüchtern hört es sich schlichtweg bescheuert an." D'Artagnan nickte und tätschelte mitfühlend ihre Schulter. "Viel Glück!" Äußerst verwirrt ließ er sie alleine.

Aramis reckte sich und betrachtete das endlose Sternenmeer am Firmament. Sie seufzte. Es war Zeit ins Bett zu gehen und den morgigen Tag mit einem anständigen Kater und vielen Sorgen zu beginnen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kajuschka
2004-04-06T17:19:01+00:00 06.04.2004 19:19
Was kann man noch dazu sagen? Ich schließe mich mal einfach meinen Vorrednern an. Wieder ein schönes kapitel. Es wird sicher noch interessant...also bitte bald weiter schreiben :-)
Von: abgemeldet
2004-04-06T08:27:57+00:00 06.04.2004 10:27
"Liegt es am Bier oder hört sich eine Frau, die vorgibt ein Mann zu sein, der vorgeben muss eine Frau zu sein, für mich verwirrend an?"
-Genial- Ich sag ja, diesen Satz rahm ich mir und häng ihn mir übers Bett XD
Alles in allem wieder ein tolles Kapitel, das viel offen lässt und anregt zum fantasieren ;o)
Freu mich sehr auf den Fortgang der Story...
LG Krisi
Von:  Tach
2004-04-05T19:02:03+00:00 05.04.2004 21:02
Fein fein fein, eeeeendlich. Hab ja schon nimmer dran geglaubt. Und wieder einmal ein Kapitel voller Überraschungen, dass mag ich so an deinen Geschichten ^^. Da tun sich ja verwandschaftliche Beziehungen auf dasses nich mehr feierlich is XD. Hmm...würde ja mal zu gern wissen was das noch für Konsequenzen hat, dass sie einfach so ihren namen abtritt...wirds da noch nähere Ausführungen zu geben oder bleibt das so frei im raum stehen?
Hach, kanns nächste kapitel kaum erwarten ^^°


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